VwGH 2012/06/0139

VwGH2012/06/01394.8.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch sowie die Hofrätin Dr. Bayjones und den Hofrat Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Lehner, über die Beschwerde des Dr. AS in W, vertreten durch Dr. Walter Brunner, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Villacher Straße 1 A/VII, gegen den Bescheid der Kärntner Landesregierung vom 3. Juli 2012, Zl. 07-B-BRM-1377/7-2012, betreffend Abweisung eines Bauansuchens (mitbeteiligte Partei: Gemeinde S), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §45 Abs3;
AVG §52;
AVG §56;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §45 Abs3;
AVG §52;
AVG §56;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Kärnten hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1. Mit Bauansuchen vom 30. März 2011 beantragte der Beschwerdeführer gemäß § 6 K-BO 1996 die Bewilligung für die Errichtung einer Lärmschutzwand von km 36,25 bis km 36,50 auf dem im grundbücherlichen Eigentum des Landes Kärnten, Landesstraßenverwaltung, stehenden Grundstück Nr. 1296, KG S, entlang der O-Straße B xx. Er legte den zwischen ihm und dem Grundstückseigentümer abgeschlossenen Sondernutzungsvertrag vor, dem zufolge ihm das Land Kärnten, Landesstraßenverwaltung, auf sein Ansuchen gemäß § 55 des Kärntner Straßengesetzes 1991 die "Zustimmung zur Sonderbenutzung von Landesstraßengrund für die Errichtung einer Lärmschutzwand an der B xx O-Straße, km 36,25 - 36,50" unter näher angeführten allgemeinen und besonderen Bedingungen erteilt.

Nach Einholung einer fachlichen Beurteilung des Bauvorhabens durch die Ortsbildpflegekommission (vom 9. Mai 2011) im Rahmen des Vorprüfungsverfahrens gemäß § 13 Abs. 1 Kärntner Bauordnung 1996 - K-BO 1996 (diese vertrat die Ansicht, die vorgesehene Lärmschutzwand werde eine erhebliche Störung des vorhandenen Ortsbildes verursachen) wies der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde mit Bescheid vom 9. Mai 2011 das Bauansuchen des Beschwerdeführers ab.

2. Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung des Beschwerdeführers vom 25. Mai 2011, in der dieser unter anderem ausführte, dass ihm keine Möglichkeit eingeräumt worden sei, zu den Ermittlungsergebnissen Stellung zu nehmen, gab der Gemeindevorstand der mitbeteiligten Gemeinde mit Bescheid vom 7. Juli 2011 Folge, behob den Bescheid des Bürgermeisters vom 9. Mai 2011 gemäß § 66 Abs. 2 AVG und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Prüfung und Entscheidung an diesen mit der Begründung zurück, dass dem Parteiengehör nicht entsprochen worden sei.

3. Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde vom 13. Oktober 2011 wurde nach Einräumung des Parteiengehörs das Bauansuchen des Beschwerdeführers unter Hinweis auf das Gutachten der Ortsbildpflegekommission gemäß § 15 Abs. 1 K-BO 1996 erneut abgewiesen.

4. Die Berufung des Beschwerdeführers vom 25. Oktober 2011 wurde mit Bescheid des Gemeindevorstandes der mitbeteiligten Gemeinde vom 16. Jänner 2012 (Beschlussfassung 12. Dezember 2011) als unbegründet abgewiesen.

5. Die gegen diesen Bescheid erhobene Vorstellung des Beschwerdeführers vom 31. Jänner 2012 wurde mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 3. Juli 2012 als unbegründet abgewiesen.

Begründend legte die belangte Behörde im Wesentlichen dar, in dem im Vorstellungsverfahren eingeholten bautechnischen Gutachten des Amtssachverständigen DI K vom 23. Mai 2012 beschreibe dieser unter Anschluss von Lichtbildern nachvollziehbar das Ortsbild und die Wirkung des gegenständlichen Vorhabens auf die dargestellten ortsbildrelevanten Anlagen. Er führe dazu aus, dass das gegenständliche Vorhaben die südlichen Ausblicke in Richtung See um ein weiteres Maß nachteilig beeinträchtigen würde, was aus der Sicht des Ortsbildschutzes als wesentlich zu erachten sei. Gleiches gälte für die Blickrichtung Ortskern.

Das vom Beschwerdeführer vorgelegte Privatgutachten (Anmerkung: von DI P/DI B vom 14. April 2012; dieses erliegt nicht im Verwaltungsakt und wird vom Amtssachverständigen lediglich als eine der ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen unter Anführung des Datums 17. April 2012 genannt) sei dem Amtssachverständigen zur Prüfung der Schlüssigkeit, Nachvollziehbarkeit und Vollständigkeit vorgelegt worden, "welche dieser nachvollziehbar begründet verneint".

6. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und wie die mitbeteiligte Partei in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

7. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

7.1. Auf den vorliegenden, mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdefall sind nach § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden.

Im Beschwerdefall ist folgende Rechtslage im Hinblick auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung des Gemeindevorstandes der mitbeteiligten Gemeinde von Bedeutung:

Kärntner Bauordnung 1996 (K-BO 1996) idF LGBl. Nr. 16/2009:

"§ 6

Baubewilligungspflicht

Sofern es sich nicht um ein bewilligungsfreies Vorhaben nach § 7 handelt, bedarf einer Baubewilligung:

a) die Errichtung von Gebäuden und sonstigen baulichen

Anlagen;

...

§ 13

Vorprüfung

(1) Bei Vorhaben nach § 6 lit. a bis c hat eine Vorprüfung stattzufinden.

(2) Bei der Vorprüfung hat die Behörde festzustellen, ob dem Vorhaben

...

Interessen der Erhaltung des Landschaftsbildes oder des Schutzes des Ortsbildes,

..."

7.2. Der Beschwerdeführer bringt im Wesentlichen vor, das Ortsbild sei eine Frage, die nur durch Sachverständige anhand objektiver Kriterien beurteilt werden könne, weshalb er im Vorstellungsverfahren das Privatgutachten der DI P/DI B vom 14. April 2012 vorgelegt habe. Darin kämen die Sachverständigen zusammenfassend zum Schluss, "dass insbesondere aufgrund der durch Vorbelastungen (bestehendes dammartig aufgehöhtes Verkehrsband der O-Straße) geminderten Raumsensibilität und den Umstand, dass durch das gegenständliche Projektvorhaben keine relevanten Blickbeziehungen unterbunden werden und etwa auch der Blick vom Oberdorf bzw. der Dorfstraße auf das Steinhaus als örtlich bedeutsamer Landmarke nur geringfügig tangiert werde und von den seeufernahen Ortsbereichen und der Seeuferpromenade aus die bestehenden topografischen Aufhöhungen blickverschattend wirken, unter Heranziehung einer fünfstufigen Bewertungsskala (Eingriffserheblichkeit: keine/sehr gering, gering, mittel, hoch, sehr hoch) lediglich mittlere Eingriffserheblichkeiten zu prognostizieren sind."

Zur Widerlegung der Konklusion des Amtssachverständigen in seinem Gutachten vom 23. Mai 2012 und zur "Aufklärung" des Amtssachverständigen habe der Beschwerdeführer das Ergänzungsgutachten DI P/DI B vom 26. Juni 2012 vorgelegt. Auf diese Expertise der Privatsachverständigen und die Stellungnahme vom 28. Juni 2012 gehe die belangte Behörde mit keinem Wort ein.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei einem Privatsachverständigengutachten nicht von vornherein weniger Gewicht beizumessen als Gutachten von Amtssachverständigen. Die Frage des Ortsbildes könne nur von Sachverständigen nach objektiven Beurteilungsmaßstäben beantwortet werden. Bei einander widersprechenden Gutachten sei es der Behörde nach herrschender Ansicht zwar gestattet, sich dem einen oder dem anderen Gutachten anzuschließen, sie habe aber die Gedankengänge aufzuzeigen, die sie veranlasst hätten, von den an sich gleichwertigen Beweismitteln dem einen höheren Beweiswert zuzubilligen als dem anderen. Ohne Eingehen auf die Ausführungen des Privatgutachters dürfe die belangte Behörde nicht entscheiden, weshalb sie ihren Bescheid mit einem wesentlichen Begründungsmangel belastet habe. Die lapidare Ausführung der belangten Behörde, dass der Amtssachverständige das ihm zur Prüfung der Schlüssigkeit, Nachvollziehbarkeit und Vollständigkeit vorgelegte Privatgutachten als nicht nachvollziehbar begründet halte, reiche nicht aus. Gerade in der Situation, dass einander widersprechende Sachverständigengutachten vorlägen, wobei das Privatsachverständigengutachten inhaltlich und dokumentarisch wesentlich umfänglicher gestaltet sei, sei die belangte Behörde aufgefordert, ausführlich und nachvollziehbar zu begründen, weshalb sie dem Amtssachverständigengutachten folge. Allein der Hinweis auf die besondere Stellung der Person (des Amtssachverständigen) reiche nicht.

Aus den Privatsachverständigengutachten, insbesondere den darin enthaltenen Bildmontagen, ergebe sich, dass die Realisierung des gegenständlichen Bauvorhabens nicht gegen den Ortsbildschutz verstoße.

7.3. Der Beschwerdeführer hat im Vorstellungsverfahren - wie dargestellt - das Gutachten von DI P/DI B vom 14. April 2012 vorgelegt, worauf die belangte Behörde das Gutachten des DI K vom 23. Mai 2012 eingeholt hat, dem der Beschwerdeführer durch Vorlage eines Gegengutachtens von DI P/DI B vom 26. Juni 2012 entgegengetreten ist. Anzumerken ist, dass sich dieses zweite Privatgutachten ebenso wenig wie das erste in den Verwaltungsakten befindet. Die belangte Behörde ist allerdings dem Beschwerdevorbringen, dieses zweite Gutachten sei noch vor Erlassung des angefochtenen Bescheides vorgelegt worden, in der Gegenschrift nicht entgegen getreten.

Eine Rechtsverletzung des Vorstellungswerbers liegt nicht vor, wenn sich auf Grund der ergänzenden Ermittlungen ergibt, dass die Entscheidung der Gemeindebehörde im Ergebnis richtig ist. Die Gemeindeaufsichtsbehörde ist nach der Rechtsprechung berechtigt, selbst den maßgebenden Sachverhalt zu klären (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 20. März 2003, Zl. 99/06/0010).

7.4. Die Aussagen von Sachverständigen haben grundsätzlich den gleichen verfahrensrechtlichen Beweiswert, und es besteht zwischen dem Gutachten eines Amtssachverständigen und dem eines Privatsachverständigen kein verfahrensrechtlicher Wertunterschied (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 2015, Zl. 2013/05/0020, mwN).

Bei einander widersprechenden Gutachten ist es der Behörde gestattet, sich dem einen oder dem anderen Gutachten anzuschließen. Sie hat aber in der Begründung ihres Bescheides die Gedankengänge und sachlichen Erwägungen darzulegen, die dafür maßgebend waren, dass sie das eine Beweismittel dem anderen vorgezogen hat. Wenn die Behörde sich über ein von der Partei beigebrachtes Sachverständigengutachten hinwegsetzt, ist dies zu begründen. Der bloße Umstand, dass Sachverständige zu verschiedenen Ergebnissen kommen, macht an sich weder das eine noch das andere Sachverständigengutachten unglaubwürdig (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 22. Mai 2013, Zl. 2011/03/0089).

Diesen Anforderungen entspricht die belangte Behörde mit dem bloßen Hinweis, dass dieses Privatgutachten vom 14. April 2012 dem Amtssachverständigen zur Prüfung der Schlüssigkeit, Nachvollziehbarkeit und Vollständigkeit vorgelegt worden sei, was dieser nachvollziehbar begründet in seinem Gutachten vom 23. Mai 2012 verneint habe, nicht.

Wie erwähnt, kann die Behörde bei Vorliegen einander widersprechender Gutachten auf Grund eigener Überlegungen mit entsprechender Begründung einem Gutachten wegen dessen größerer Glaubwürdigkeit bzw. Schlüssigkeit den Vorzug geben. Ist sie dazu nicht in der Lage, so kann sie den von ihr bestellten Sachverständigen auffordern, sich mit den Aussagen des (anderen, insbesondere des Privat‑) Sachverständigen - gegebenenfalls unter neuerlicher Gewährung von Parteiengehör - im Detail auseinanderzusetzen. Diesfalls kann die Sache (beispielsweise) erst dann im Sinne des § 56 AVG spruchreif sein, wenn die Behörde den beigezogenen Amtssachverständigen dazu veranlasst hat, die gegen sein Gutachten vorgetragene Kritik in jedem einzelnen Punkt in einer auch dem nicht fachkundigen Rechtsanwender einleuchtenden Weise zu widerlegen (oder sein Gutachten dementsprechend zu adaptieren) und den Bescheidverfasser damit in die Lage zu versetzen, die Einsichtigkeit der von der Behörde getroffenen Sachverhaltsfeststellungen in ebenso einleuchtender Weise detailliert darzustellen (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 2012, Zl. 2010/06/0147).

Der Beschwerdeführer hat zur Entkräftung des Amtssachverständigengutachtens des DI K vom 23. Mai 2012 ein Gegengutachten von DI P/DI B vom 26. Juni 2012 vorgelegt, in welchem die Privatsachverständigen dem Amtssachverständigengutachten entgegentreten.

Die belangte Behörde hat sich im angefochtenen Bescheid mit den Argumenten in diesem zweiten Privatgutachten im Sinne der angeführten Rechtsprechung nicht auseinandergesetzt und den Amtssachverständigen auch nicht aufgefordert, zu der darin vorgetragenen Kritik Stellung zu nehmen.

8. Der angefochtene Bescheid ist daher mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften nach § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG belastet, weil nicht auszuschließen ist, dass die belangte Behörde bei ordnungsgemäßer Auseinandersetzung mit den Privatgutachten zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, weshalb der angefochtene Bescheid aufzuheben war.

9. Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455/2008 (siehe § 3 Z. 1 VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 idF BGBl. II Nr. 8/2014). Wien, am 4. August 2015

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