VwGH Ro 2014/22/0032

VwGHRo 2014/22/00329.9.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, den Hofrat Dr. Robl, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Dr. Mayr und Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Revision der Bundesministerin für Inneres gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 7. April 2014, Zl. VGW- 151/082/10383/2014, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: R, vertreten durch Mag. Thomas Hohenberg, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Mariahilfer Straße 36), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
AVG §56;
NAG 2005 §11 Abs2 Z2;
AVG §37;
AVG §56;
NAG 2005 §11 Abs2 Z2;

 

Spruch:

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht Wien der Beschwerde des Mitbeteiligten statt und erteilte einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" für zwölf Monate nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG). Das Verwaltungsgericht Wien erklärte weiters die ordentliche Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig.

Im angefochtenen Erkenntnis stellte das Verwaltungsgericht Wien fest, dass der Mitbeteiligte, ein philippinischer Staatsangehöriger, am 3. Jänner 2012 seine in Österreich niedergelassene Ehefrau geheiratet habe. Er habe die Familienzusammenführung gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 NAG beantragt. Seine Ehefrau verfüge seit 16. November 2010 über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG". Den gemeinsamen Lebensunterhalt in Österreich bestreite die Ehefrau des Mitbeteiligten aus ihrer aktiven Erwerbstätigkeit. Am 12. Oktober 2012 habe sie ein gemeinsames Kind zur Welt gebracht. Rechtsgrund für das geplante gemeinsame Wohnen sei ein Mietvertrag vom 7. Juli 2009 über eine näher bezeichnete Wohnung, wobei das Mietverhältnis auf Grund der fünfjährigen Befristung (spätestens) am 1. Juli 2014 automatisch ende. Eine Verlängerung bzw. eine vertragliche Verlängerungsoption sehe der Mietvertrag nicht vor. Vorher habe die Ehefrau des Mitbeteiligten mehrere Male ihren Hauptwohnsitz in Wien "lückenlos gewechselt" und sei seit 2004 durchgehend in Wien gemeldet.

Rechtlich beurteilte das Verwaltungsgericht Wien den festgestellten Sachverhalt dahin, dass keine Erteilungshindernisse dem beantragten Aufenthaltstitel entgegenstünden und auch die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen erfüllt seien.

Für das Revisionsverfahren wesentlich enthält das angefochtene Erkenntnis die Beurteilung, dass sich der Rechtsanspruch des Mitbeteiligten auf eine ortsübliche Unterkunft auf die gemeinsam angestrebte eheliche Wohngemeinschaft, also auf einen rechtlich hinreichenden familienrechtlichen Titel, gründe. Die vertragliche Befristung des Mietvertrags, die zu einer automatischen Beendigung des Mietverhältnisses mit Ablauf des Juni 2014 führe, ohne dass es einer Kündigung bedürfe und ohne dass eine Verlängerung durch einseitige Erklärung der Mieterin ohne Zustimmung der Vermieterin möglich wäre, bewirke nicht, dass die Erteilungsvoraussetzung des Rechtsanspruchs auf Unterkunft gemäß § 11 Abs. 2 Z 2 NAG nicht (mehr) erfüllt sei. Die (absolute) Befristung von Bestandverträgen - häufig seien drei bis fünf Jahre - sei ein übliches vertragliches Gestaltungsmittel im Mietrecht. Zum jetzigen Zeitpunkt bestehe unstrittig ein Rechtsanspruch für einen ausreichenden Zeitraum, der voraussichtlich bei Einreise des Mitbeteiligten noch nicht abgelaufen oder auf so wenige Tage geschrumpft sein werde, dass von einem Rechtsanspruch auf Unterkunft nicht mehr gesprochen werden könnte. Zudem bestünden keine Anhaltspunkte, dass der Mitbeteiligte und seine Ehefrau nicht in der Lage wären oder es sich nicht leisten könnten, nach Vertragsende eine neue Unterkunft zu finden. Die Ehefrau des Mitbeteiligten habe seit ihrer Niederlassung in Österreich ihre Unterkunft mehrere Male nahtlos gewechselt. Unter diesen Voraussetzungen könne ein Rechtsanspruch auf Unterkunft bejaht werden. Dem stünde die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Berücksichtigung von Sparguthaben für die Bestreitung des Lebensunterhalts, die mit der gesamten Dauer der Gültigkeit des zu erteilenden Aufenthaltstitels in Bezug zu setzen seien, oder zur Gültigkeitsdauer von Haftungserklärungen, die neben der gesetzlichen Mindestlaufzeit eine verbleibende Mindestgültigkeitsdauer für den gesamten Zeitraum des zu erteilenden Aufenthaltstitels aufweisen müssten, nicht entgegen. In diesen Fällen könne nämlich nicht davon ausgegangen werden, dass sich das zum Verbrauch bestimmte Vermögen (abseits sonstigen Einkommens) während der Dauer des Aufenthalts nennenswert erhöhe oder der haftende Dritte seine Haftungserklärung bei Ablauf innerhalb der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels freiwillig verlängern werde.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil Rechtsprechung zur Frage des Rechtsanspruchs auf ortsübliche Unterkunft bei einem in die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels fallenden Ende des Rechtsanspruchs durch zulässige vertragliche Befristung fehle.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision nach Vorlage der Verwaltungsakten sowie einer Revisionsbeantwortung des Mitbeteiligten durch das Verwaltungsgericht Wien erwogen:

Im vorliegenden Beschwerdefall war im Hinblick auf die Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses am 10. April 2014 das NAG idF BGBl. I Nr. 144/2013 anzuwenden.

In der Amtsrevision macht die Bundesministerin für Inneres geltend, weder der Gesetzestext des NAG noch die Materialien zum Fremdenrechtspaket 2005 böten einen Anhaltspunkt für die Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtes Wien hinsichtlich der Prognose auf Grund des bisherigen Verhaltens des Zusammenführenden in Bezug auf die Voraussetzung einer Unterkunft. Diese Ansicht widerspreche der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, in der ausgesprochen worden sei, dass eine Reisekrankenversicherung mit einer Gültigkeitsdauer von sechs Monaten keine ausreichende Krankenversicherung darstelle, weil der beantragte Aufenthaltstitel für die Dauer von zwölf Monaten auszustellen wäre. Zur erforderlichen Gültigkeitsdauer von Haftungserklärungen habe der Verwaltungsgerichtshof festgestellt, dass der durch eine Haftungserklärung verfolgte Zweck der umfassenden Absicherung der normierten Risken bei einer verbleibenden Gültigkeitsdauer von knapp unter einem halben Jahr nicht mehr erreicht wäre. Demnach würde das angefochtene Erkenntnis zu einer dem Gesetzgeber nicht zu unterstellenden unsachlichen Differenzierung zwischen § 11 Abs. 2 Z 2 NAG einerseits und § 11 Abs. 2 Z 3 und Z 4 leg. cit. andererseits führen. § 11 Abs. 2 Z 2 NAG verlange somit, dass im Zeitpunkt der Erteilung des Aufenthaltstitels für dessen gesamte Gültigkeitsdauer ein Rechtsanspruch auf Unterkunft vorliege.

Die Revision ist zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

§ 11 NAG lautet auszugsweise:

"(1) ...

(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn

1. der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet;

2. der Fremde einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird;

3. der Fremde über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist;

4. der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte;

..."

Eingangs ist im Grundsätzlichen darauf hinzuweisen, dass es dem Fremden obliegt, initiativ und untermauert durch entsprechende Bescheinigungsmittel einen Rechtsanspruch auf eine ortsübliche Unterkunft nachzuweisen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. September 2012, 2011/23/0145).

Da der Mitbeteiligte in der Wohnung seiner Ehefrau Unterkunft nehmen möchte, ist weiters anzumerken, dass generelle Mitbenützungsrechte an einer Wohnung auf Grund familienrechtlicher Titel zur Erfüllung der Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 2 NAG ausreichen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 5. Mai 2011, 2008/22/0508).

Der Revisionswerberin ist zuzustimmen, dass eine unsachliche Differenzierung zwischen § 11 Abs. 2 Z 2 NAG (Nachweis einer ortsüblichen Unterkunft) und § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 NAG (Nachweis ausreichender Unterhaltsmittel) zu vermeiden ist. Sie übersieht aber, dass gerade durch das angefochtene Erkenntnis der gewünschte Gleichklang hergestellt wird.

Grundsätzlich ist nämlich bei der Prüfung, ob ausreichende Unterhaltsmittel zur Verfügung stehen, eine Prognose über die Erzielbarkeit ausreichender Mittel zu treffen. Dabei kommt zwar grundsätzlich den Verhältnissen zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung und auch der Frage früherer Beschäftigungsverhältnisse Bedeutung zu (vgl. das hg. Erkenntnis vom 7. April 2011, 2009/22/0066). In diesem Erkenntnis sprach der Verwaltungsgerichtshof aus, dass ein Abstellen allein auf den Zeitpunkt der Bescheiderlassung sich dann verbietet, wenn in absehbarer Zeit mit einer Änderung der Einkommensverhältnisse zu rechnen ist (fallbezogen mit dem Ende der Tätigkeit als Zivildiener). Für den Nachweis ausreichender Unterhaltsmittel reicht es, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, der Fremde könnte im Fall der Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels einer näher konkretisierten Erwerbstätigkeit nachgehen und damit das notwendige Ausmaß an Einkommen erwirtschaften. Dazu müsse nicht ein "arbeitsrechtlicher Vorvertrag" vorliegen, sondern es reicht eine glaubwürdige und ausreichend konkretisierte Bestätigung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Mai 2010, 2008/21/0630). Wenn bereits ein Arbeitsverhältnis eingegangen wurde, ist dieses bei der Ermittlung der erforderlichen Unterhaltsmittel zu berücksichtigen, sofern keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Fremde nach Erteilung des Aufenthaltstitels nicht weiterhin beschäftigt sein werde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Juli 2011, 2008/22/0802).

Dieser Rechtsprechung liegt zu Grunde, dass sowohl die weitere Ausübung einer Erwerbstätigkeit über einen gewissen Zeitraum als auch die Aufrechterhaltung eines bestehenden oder zugesagten Beschäftigungsverhältnisses mit Unsicherheit behaftet sind und somit nur in Form einer Prognose beurteilt werden kann, ob unter Einbeziehung der relevanten Umstände mit der Erzielung eines ausreichenden Einkommens in Zukunft zu rechnen ist. Nichts anderes gilt für die Voraussetzung eines Rechtsanspruchs auf eine ortsübliche Unterkunft. Auch hier kann im Regelfall - selbst bei einem nur eingeschränkt kündbaren Mietvertrag - nicht garantiert werden, dass gerade eine bestimmte Unterkunft über den gesamten Zeitraum der Gültigkeit des Aufenthaltstitels zur Verfügung stehen wird, weil auch hier eine gewisse rechtliche und/oder tatsächliche Unsicherheit vorhanden ist. Deshalb ist auch hier in einer Prognoseentscheidung zu beurteilen, ob begründete Aussicht besteht, dass der Fremde (bzw. der zusammenführende Familienangehörige) in der Lage sein wird, seine Wohnbedürfnisse bzw. die der Familie befriedigen zu können, ohne wegen Obdachlosigkeit eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darzustellen oder eine Gebietskörperschaft finanziell zu belasten. Diese Prognoseentscheidung ist nicht vergleichbar mit der Beurteilung, ob ein Versicherungsvertrag mit einer bestimmten Dauer vorliegt oder ob die Haftungserklärung noch eine bestimmte Gültigkeitsdauer aufweist.

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist der Revision der Erfolg zu versagen. Das Verwaltungsgericht stellte nämlich fest, dass die zusammenführende Ehefrau des Mitbeteiligten seit ihrer Niederlassung in Österreich im Jahr 2005 immer über eine Unterkunft verfügt habe und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Mitbeteiligte und seine Ehefrau nicht in der Lage wären und es sich nicht leisten könnten, nach Auslaufen des befristeten Bestandvertrages eine neue Unterkunft zu finden. Demnach war die Prognose gerechtfertigt, dass die Voraussetzung einer ortsüblichen Unterkunft für die Dauer der Gültigkeit des beantragten Aufenthaltstitels erfüllt sei.

Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008 und § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 idF BGBl. II Nr. 8/2014. Das Mehrbegehren war abzuweisen, da die in der angeführten Verordnung enthaltenen Pauschalbeträge die Umsatzsteuer mit enthalten. Wien, am 9. September 2014

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