VwGH 2009/22/0066

VwGH2009/22/00667.4.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder und die Hofrätinnen Mag. Merl und Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der G, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/II/23, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 4. November 2008, Zl. 117.322/5- III/4/08, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §293;
NAG 2005 §11 Abs2 Z4;
NAG 2005 §11 Abs5;
VwGG §42 Abs2 Z1;
ASVG §293;
NAG 2005 §11 Abs2 Z4;
NAG 2005 §11 Abs5;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 4. November 2008 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin, einer türkischen Staatsangehörigen, vom 4. Jänner 2008 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 und Abs. 5 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass die Beschwerdeführerin erstmals im Oktober 2007 und wiederum im Dezember 2007 nach Österreich gereist sei. Nach einer Ausreise im März 2008 sei sie schließlich seit April 2008 durchgehend in Österreich aufhältig. Sie habe den gegenständlichen Antrag am 4. Jänner 2008 zwecks Familienzusammenführung mit ihrem Ehemann, einem österreichischen Staatsbürger, gestellt. Zum damaligen Zeitpunkt sei sie im Besitz einer bis zum 13. März 2008 gültigen deutschen Aufenthaltserlaubnis gewesen.

Gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 NAG dürften Aufenthaltstitel einem Fremden nur erteilt werden, wenn der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte. Da die Beschwerdeführerin den Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" anstrebe, sei ein Einkommensnachweis von ihrem Ehemann zu erbringen gewesen. Dieser leiste derzeit Zivildienst und erhalte lediglich einen monatlichen Bezug von EUR 612,30.

Das Berufungsvorbringen, wonach der Ehemann bereits von seinem vormaligen Arbeitgeber ersucht worden wäre, sich nach Ableistung seines Zivildienstes zu melden, gehe insofern ins Leere, als der Nachweis ausreichender Unterhaltsmittel zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung erbracht werden müsse und daher möglicherweise zukünftig eintretende Veränderungen der Einkommenshöhe nicht der Entscheidung der Behörde zu Grunde gelegt werden könnten. Darüber hinaus sei die bloße Behauptung einer Wiedereinstellung durch den ehemaligen Arbeitgeber durch keinerlei Unterlagen belegt worden und es sei in der Berufung ebenso wenig eine konkrete Aussage zur Einkommenshöhe getroffen worden. Die letzte Erwerbstätigkeit des Ehemannes habe mit 10. August 2007 geendet. Danach bis unmittelbar vor Beginn des Zivildienstes am 1. März 2008 sei abwechselnd der Bezug von Krankengeld, Arbeitslosengeld sowie Notstandshilfe ersichtlich. Somit seien ausreichende Unterhaltsmittel nicht nachgewiesen worden.

In der weiteren Bescheidbegründung nahm die belangte Behörde eine Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK zu Lasten der Beschwerdeführerin vor.

Der Verfassungsgerichtshof hat die gegen diesen Bescheid an ihn gerichtete Beschwerde nach Ablehnung ihrer Behandlung mit Beschluss vom 30. Jänner 2009, B 2040/08-3, dem Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG zur Entscheidung abgetreten, der über die ergänzte Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:

Die belangte Behörde nahm zu Recht eine Prüfung dahin vor, ob der Beschwerdeführerin und ihrem Ehemann ein Unterhaltsbetrag zur Verfügung stehe, der dem Richtsatz für im gemeinsamen Haushalt lebende Ehepartner gemäß § 293 ASVG entspricht. Zu Unrecht verknüpfte sie aber den Nachweis ausreichender Unterhaltsmittel allein mit dem Zeitpunkt der Bescheiderlassung und sprach möglichen Änderungen in den Einkommensverhältnissen die Relevanz ab.

Dadurch hat sie die Rechtslage verkannt. Bei der Prüfung, ob ausreichende Unterhaltsmittel zur Verfügung stehen, ist eine Prognose über die Erzielbarkeit ausreichender Mittel zu treffen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 9. September 2010, 2008/22/0113). Dabei kommt zwar grundsätzlich den Verhältnissen zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung und auch der Frage früherer Beschäftigungsverhältnisse Bedeutung zu. Ein Abstellen allein auf den Zeitpunkt der Bescheiderlassung verbietet sich aber völlig unzweifelhaft in Fällen wie dem vorliegenden, in denen in absehbarer Zeit mit einer Änderung der Einkommensverhältnisse zu rechnen war. Die Tätigkeit als Zivildiener ist nämlich ausdrücklich befristet. Gemäß dem im Verwaltungsakt erliegenden Bescheid der Zivildienstserviceagentur vom 16. November 2007 ist das Dienstende mit 30. November 2008 festgelegt. Demnach war bei Bescheiderlassung bereits mit einer Änderung der Einkommensverhältnisse innerhalb einer Zeit von weniger als einem Monat zu rechnen.

In der Berufung wurde darauf hingewiesen, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin, dessen "Militärdienst" mit 30. November 2008 ende, bald in der Lage sein werde, Mittel in der Höhe des erforderlichen Richtsatzes zu verdienen. Dabei wurde auch ein bestimmtes Unternehmen genannt, bei dem dieser arbeiten könne und es wurden zu diesem Vorbringen auch Beweisanbote gestellt. Weder im erstinstanzlichen Verfahren noch durch die belangte Behörde wurde die Beschwerdeführerin aufgefordert, nähere Angaben über das zu erwartende Beschäftigungsverhältnis und über das dabei erzielbare Einkommen zu machen. Demnach kann ihr nicht angelastet werden, über das zitierte Vorbringen hinaus nähere Angaben mit Beweisanboten unterlassen zu haben.

Da die belangte Behörde Änderungen in den Einkommensverhältnissen von vornherein die Relevanz abgesprochen hat, war der angefochtene Bescheid schon deswegen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben, ohne dass fallbezogen auf - auch in der Beschwerde enthaltene - unionsrechtliche Fragen hätte eingegangen werden müssen.

Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 und 6 VwGG Abstand genommen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das Mehrbegehren war infolge Bewilligung der Verfahrenshilfe abzuweisen.

Wien, am 7. April 2011

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