VwGH Ro 2014/10/0065

VwGHRo 2014/10/006512.8.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Rigler und Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, in den Revisionssachen der R Ltd in Irland, vertreten durch Gillhofer & Plank Rechtsanwälte GesBR in 1010 Wien, Herrengasse 6-8/3/5, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Sicherheit im Gesundheitswesen vom 6. September 2013, Zlen. 958653- 6518039 (hg. Zl. Ro 2014/10/0065) und 958652-6517860 (hg. Zl. Ro 2014/10/0066), je betreffend Zulassung von Arzneimittelspezialitäten (mitbeteiligte Partei: K in Slowenien), den Beschluss gefasst:

Normen

AMG 1983 §10;
AVG §37;
AVG §8;
VwGbk-ÜG 2013 §4 Abs5;
VwGG §26 Abs2;
VwGG §34 Abs1;
VwRallg;
AMG 1983 §10;
AVG §37;
AVG §8;
VwGbk-ÜG 2013 §4 Abs5;
VwGG §26 Abs2;
VwGG §34 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Begründung

Nach dem Vorbringen der Revisionswerberin hat das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen mit den angefochtenen Bescheiden je vom 6. September 2013 der mitbeteiligten Partei die Zulassung der Arzneimittelspezialitäten X 20mg/10mg Filmtabletten (angefochten zur hg. Zl. Ro 2014/10/0065) und X 10mg/10 mg Filmtabletten (angefochten zur hg. Zl. Ro 2014/10/0066) gemäß § 10 Arzneimittelgesetz - AMG, BGBl. Nr. 185/1983, als Generikum erteilt. Als Referenzprodukte, auf deren Unterlagen dabei verwiesen worden sei, seien die für die Revisionswerberin im Rahmen eines konzentrierten Verfahrens vom "Reference Member State" Deutschland am 26. Juli 2006 zugelassenen Arzneimittelspezialitäten Y 20 mg/10 mg Filmtabletten und Y 10 mg/10 mg Filmtabletten herangezogen worden, die die gleiche qualitative und quantitative Wirkstoffzusammensetzung und Darreichungsform aufwiesen.

Durch die gegenständlichen Zulassungen werde die Revisionswerberin (u.a.) im Recht auf achtjährigen Unterlagenschutz gemäß § 10 Abs. 2 AMG verletzt. Die mit den angefochtenen Bescheiden zugelassenen Generika seien bereits am österreichischen Markt verfügbar und stünden in direkter Konkurrenz zu den Originalprodukten der Revisionswerberin. Nach der zu erwartenden Listung der gegenständlichen Generika im Erstattungskodex der österreichischen Sozialversicherungsträger sei die Revisionswerberin verpflichtet, den Preis für das Originalprodukt um 30 % zu senken.

Der Revisionswerberin seien die angefochtenen Bescheide nicht zugestellt worden. Sie habe durch Einsichtnahme in die Website der belangten Behörde weniger als sechs Wochen vor Einbringung der dagegen an den Verfassungsgerichtshof gerichteten Beschwerden von der Existenz der angefochtenen Bescheide erfahren.

Der Verfassungsgerichtshof hat mit den Beschlüssen je vom 21. Februar 2014, B 1595/2013 und B 1596/2013, die gegen diese Bescheide gerichteten Beschwerden nach Ablehnung ihrer Behandlung dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.

Auf die vom Verfassungsgerichtshof nach dem 31. Dezember 2013 gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG abgetretenen Bescheidbeschwerden ist § 4 Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 (VwGbk-ÜG) (sinngemäß) anzuwenden (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 27. Mai 2014, Zl. Ro 2014/10/0064). Die abgetretenen Beschwerden gelten daher als Revisionen, für deren Behandlung gemäß § 4 Abs. 5 VwGbk-ÜG die Bestimmungen des VwGG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung sinngemäß anzuwenden sind.

Mit hg. Verfügung vom 3. April 2014 wurde der Revisionswerberin aufgetragen, die Revisionen in mehreren Punkten zu verbessern. Weiters wurde ihr Folgendes vorgehalten:

"Da die Revisionswerberin nach ihrem Vorbringen dem zur Erlassung des angefochtenen Bescheides führenden Verfahrens nicht beigezogen worden ist, erscheint die Beschwerde unzulässig (vgl. dazu die hg. Judikatur, wonach eine übergangene Partei lediglich das Recht auf Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides, nicht aber auf Erhebung einer Beschwerde an den VwGH hat; etwa das Erkenntnis vom 15. März 2013, Zl. 2012/17/0340). Sie erhalten Gelegenheit, sich dazu binnen vier Wochen zu äußern."

Dazu führte die Revisionswerberin aus, dass ihr als Zulassungsinhaberin des Referenzarzneimittels im Verfahren zur Zulassung eines Generikums nach dem AMG keine Parteistellung zukomme. Selbst wenn ihr die angefochtenen Bescheide zugestellt worden wären, hätte sie dagegen nur eine Beschwerde an den Verfassungs- bzw. Verwaltungsgerichtshof einbringen können. Die Zurückweisung mangels Zustellung der angefochtenen Bescheide würde eine Ungleichbehandlung gegenüber dem vergleichbaren Fall bedeuten, der dem hg. Beschluss vom 28. Juni 2010, Zl. 2008/10/0291, zu Grunde gelegen sei, in dem der Verwaltungsgerichtshof in der Sache entschieden habe.

Die Revisionen sind unzulässig:

Gemäß § 8 AVG sind Personen, die eine Tätigkeit der Behörde in Anspruch nehmen oder auf die sich die Tätigkeit der Behörde bezieht, Beteiligte und - insoweit sie an der Sache vermöge eines Rechtsanspruches oder eines rechtlichen Interesses beteiligt sind -

Parteien.

Die Frage, wer in einem konkreten Verwaltungsverfahren Parteistellung besitzt, kann nicht allein auf Grund des AVG gelöst werden. Sie muss vielmehr regelmäßig anhand der Vorschriften des materiellen Rechts gelöst werden (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG2, Rz 4 zu § 8, und die dort angeführte hg. Judikatur). Die Einräumung eines subjektiven Rechts durch eine Norm ist immer dann zu vermuten, wenn nicht ausschließlich öffentliche Interessen, sondern zumindest auch das Interesse einer im Besonderen betroffenen und damit von der Allgemeinheit abgrenzbaren Person für die gesetzliche Festlegung der verpflichtenden Norm maßgebend war (Hengstschläger/Leeb, a.a.O., Rz 6, mwN).

Die hier maßgebliche Bestimmung des § 10 Arzneimittelgesetz - AMG, BGBl. Nr. 185/1983, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 162/2013, hat (auszugsweise) folgenden Wortlaut:

"Bezugnehmende Zulassung

§ 10. (1) Abweichend von § 9a Abs. 1 Z 19, 20 und 28 ist der Antragsteller nicht verpflichtet, die Ergebnisse der nichtklinischen Versuche und klinischen Prüfungen bzw. Versuche und die Ergebnisse der Unbedenklichkeits- und Rückstandsversuche vorzulegen, wenn er nachweisen kann, dass es sich bei dem Arzneimittel um ein Generikum eines Referenzarzneimittels handelt und

1. die erstmalige Zulassung in einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum mindestens acht Jahre zurückliegt, oder

2. der Zulassungsinhaber des Referenzarzneimittels einer Bezugnahme auf die der Zulassung zugrundeliegenden Unterlagen schriftlich und unwiderruflich zugestimmt hat.

(2) Ein Generikum, das gemäß Abs. 1 zugelassen wurde, darf erst nach Ablauf von zehn Jahren nach Erteilung der erstmaligen Zulassung für das Referenzarzneimittel in Verkehr gebracht werden.

..."

Diese Bestimmung schützt den Inhaber der Zulassung für das Referenzarzneimittel für eine bestimmte Zeit vor der Verwendung der von ihm - unter erheblichem Kostenaufwand - erstellten bzw. erwirkten Unterlagen ohne seine Zustimmung. Insoweit räumt § 10 AMG dem Inhaber des Referenzarzneimittels als von der Zulassung eines Generikums besonders betroffenen Person ein - zeitlich begrenztes - subjektives Recht (auf "Unterlagenschutz") ein.

Da der Zulassungsinhaber des Referenzarzneimittels durch die Zulassung eines Generikums in diesem Recht verletzt werden kann, kommt ihm im Verfahren über einen derartigen Zulassungsantrag nach den obigen Ausführungen jedenfalls insoweit Parteistellung zu, als er - wie dies die Revisionswerberin im vorliegenden Fall tut - geltend machen kann, dass die Frist für den Unterlagenschutz noch nicht abgelaufen ist.

Demnach handelt es sich bei der Revisionswerberin unter Zugrundelegung ihres Vorbringens um eine übergangene Partei.

Gemäß § 26 Abs. 2 VwGG in der nach den obigen Ausführungen sinngemäß anzuwendenden bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung kann die Beschwerde (nunmehr: Revision) auch erhoben werden, bevor der Bescheid dem Beschwerdeführer (Revisionswerber) zugestellt oder verkündet worden ist.

Diese Bestimmung ist jedoch nicht auf den Fall einer "übergangenen Partei" im Mehrparteienverfahren, sondern nur auf Parteien anzuwenden, deren Parteistellung unstrittig war und die auch tatsächlich dem Verwaltungsverfahren beigezogen worden sind (vgl. aus der ständigen hg. Judikatur neben dem bereits zitierten Erkenntnis vom 15. März 2013, Zl. 2012/17/0340, etwa den Beschluss vom 18. Jänner 2005, Zl. 2004/05/0238, sowie die bei Walter/Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht9, Rz 432 zitierte weitere hg. Judikatur). Jedenfalls muss die Frage des Mitspracherechts als Partei des Verwaltungsverfahrens zunächst durch die Behörde entschieden werden, sei es durch Abweisung eines Antrages auf Bescheidzustellung, sei es durch Anerkennung der Parteistellung in Form der Parteifeststellung.

Da die Revisionswerberin nach ihrem eigenen Vorbringen dem Verfahren vor der belangten Behörde überhaupt nicht beigezogen worden ist, handelt es sich bei ihr um eine übergangene Partei, der nach der dargestellten Judikatur nicht das Recht auf Revision zukommt. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Der Revisionswerberin stehen jedoch auf der Grundlage ihres Vorbringens die Rechtsbehelfe einer übergangenen Partei, insbesondere die Antragstellung auf Zustellung der angefochtenen Bescheide zu. Ein diesen Antrag abweisender Bescheid könnte - nunmehr vor dem Bundesverwaltungsgericht - angefochten werden.

Wien, am 12. August 2014

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