Normen
AVG §37;
AVG §45 Abs3;
AVG §52;
VwGG §42 Abs2 Z3;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Ein Aufwandersatz findet nicht statt.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 23. April 2009 wurde der mitbeteiligten Partei die naturschutzrechtliche Bewilligung zur Errichtung eines näher beschriebenen Kleinwasserkraftwerkes am Großsölkbach erteilt; die Berufung der beschwerdeführenden Partei gegen die erstinstanzliche Erteilung der naturschutzrechtlichen Bewilligung wurde abgewiesen.
Begründend wurde nach Darstellung des Verfahrensganges und der angewendeten Rechtsvorschriften im Wesentlichen ausgeführt, das Vorhaben der mitbeteiligten Partei liege in den Landschaftsschutzgebieten 11 und 12. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens stehe fest, dass kein Versagungsgrund im Sinne des Steiermärkischen Naturschutzgesetzes bestehe. Das Vorhaben greife weder in das ökologische Gleichgewicht der Natur, noch in den Landschaftscharakter, noch in die Wohlfahrtsfunktion in einer solchen Art ein, dass dadurch die Natur geschädigt, das Landschaftsbild verunstaltet oder der Naturgenuss gestört würde. Die Erstbehörde habe sich inhaltlich den Ausführungen der - von der mitbeteiligten Partei als Projektunterlage vorgelegten - "ökologischen Begleitplanung" angeschlossen. Die Berufungsbehörde sehe - auch auf Grund des Vorbringens der beschwerdeführenden Partei - keinen Anlass zu einer anderen Betrachtungsweise. Insbesondere ergebe sich aus der "ökologischen Begleitplanung" zum Thema "Restwasser und Landschaftsbild", dass die vorgesehenen Pflichtwassermengen (auch) für den ca. 700 m langen Abschnitt des Großsölkbaches unmittelbar nach dem Wehrstandort keine gravierenden Änderungen des Landschaftsbildes und -charakters herbeizuführen vermöchten. Der Bezirksnaturschutzbeauftragte sei zwar zum Ergebnis gelangt, dass dieser Gewässerabschnitt für eine Kraftwerksnutzung aus naturschutzfachlichen Gründen ungeeignet sei. Dass es in diesem Bereich jedoch zu einer Verunstaltung des Landschaftsbildes komme, sei den erstatteten Gutachten nicht nachvollziehbar zu entnehmen. Demgegenüber sei der "ökologischen Begleitplanung" schlüssig und nachvollziehbar zu entnehmen, dass die Erscheinungsform des Baches als Gebirgsbach weitestgehend erhalten bleibe. "Geringfügige Änderungen ergeben sich erst bei einer Dotation von 130 l/s, welche jedoch auf Grund der beinahe Nichtwahrnehmbarkeit in den Wintermonaten (wenige Tage) vernachlässigbar ist." Die bildlichen Darstellungen im Projekt, in denen die Pflichtwassermengen simuliert würden, zeigten jedenfalls augenscheinlich, dass das Landschaftsbild durch den Entzug der Wassermenge weder unansehnlich noch hässlich werde.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die von der Umweltanwältin des Landes Steiermark gemäß § 6 Abs. 2 des Gesetzes über Einrichtungen zum Schutz der Umwelt, LGBl. Nr. 78/1988, erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragte. Auch die mitbeteiligte Partei erstattete eine Gegenschrift, in der sie beantragte, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Steiermärkischen Naturschutzgesetzes 1976, LGBl. Nr. 65/1976 idF LGBl. Nr. 71/2007, (Stmk NSchG 1976) lauten auszugsweise wie folgt:
"§ 2
Schutz der Natur und Landschaft
(1) 1) Bei allen Vorhaben, durch die nachhaltige Auswirkungen auf Natur und Landschaft zu erwarten sind, ist zur Vermeidung von die Natur schädigenden, das Landschaftsbild verunstaltenden oder den Naturgenuß störenden Änderungen
- a) auf die Erhaltung des ökologischen Gleichgewichtes der Natur,
- b) auf die Erhaltung und Gestaltung der Landschaft in ihrer Eigenart (Landschaftscharakter) sowie in ihrer Erholungswirkung (Wohlfahrtsfunktion) Bedacht zu nehmen und
c) für die Behebung von entstehenden Schäden Vorsorge zu treffen.
…
§ 6
Landschaftsschutzgebiete
(1) Gebiete, die
a) besondere landschaftliche Schönheiten oder Eigenarten (z.B. als Au oder Berglandschaft) aufweisen,
b) im Zusammenwirken von Nutzungsart und Bauwerken als Kulturlandschaft von seltener Charakteristik sind oder
c) durch ihren Erholungswert besondere Bedeutung haben oder erhalten sollen,
können durch Verordnung der Landesregierung zum Landschaftsschutzgebiet erklärt werden.
…
(3) In Landschaftsschutzgebieten sind alle Handlungen zu unterlassen, die den Bestimmungen des § 2 Abs. 1 widersprechen; außerdem ist für nachstehende Vorhaben die Bewilligung der nach Abs. 4 zuständigen Behörde einzuholen:
…
c) Errichtung von Bauten und Anlagen, die nicht unter lit. b fallen und außerhalb eines geschlossenen bebauten Gebietes liegen, für das weder Bebauungspläne noch Bebauungsrichtlinien erlassen wurden; Bauten und Anlagen, die für die land- und forstwirtschaftliche Bewirtschaftung unerlässlich sind, bedürfen jedenfalls keiner Bewilligung.
…
(6) Eine Bewilligung gemäß Abs. 3 ist zu erteilen, wenn die Ausführung des Vorhabens keine Auswirkungen im Sinne des § 2 Abs. 1 zur Folge hat.
(7) Eine Bewilligung gemäß Abs. 3 kann erteilt werden, wenn die vorstehenden Auswirkungen zwar zu erwarten sind, jedoch besondere volkswirtschaftliche oder besondere regionalwirtschaftliche Interessen die des Landschaftsschutzes überwiegen. Bei der Interessenabwägung ist zu berücksichtigen, ob der angestrebte Zweck auf eine technisch und wirtschaftlich vertretbare andere Weise erreicht werden kann und dadurch die im § 2 Abs. 1 erwähnten Interessen in geringerem Umfang beeinträchtigt würden. Zur Vermeidung von Auswirkungen nach § 2 Abs. 1 können im Bewilligungsbescheid Auflagen erteilt werden."
Zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens steht unbestritten fest, dass das vom Vorhaben der mitbeteiligten Partei betroffene Gebiet zum Teil im Landschaftsschutzgebiet Nr. 11 (Gebiet der Schladminger Tauern bis zum Sölkerpass, LGBl. Nr. 54/1981) und zum Teil im Landschaftsschutzgebiet Nr. 12 (Wölzer Tauern vom Sölkerpass bis Große Windlucke, LGBl. Nr. 55/1981) gelegen ist und daher einer Bewilligung gemäß § 6 Abs. 3 Stmk NSchG 1976 bedarf.
Dem angefochtenen Bescheid liegt die Auffassung zu Grunde, es liege im vorliegenden Fall kein Versagungsgrund im Sinne des § 6 Abs. 6 iVm § 2 Abs. 1 Stmk NSchG 1976 vor. Insbesondere werde mit dem projektgemäß vorgesehenen Wasserentzug des Großsölkbaches keine wesentliche Veränderung des Landschaftsbildes bewirkt.
Dem hält die Beschwerde entgegen, die Annahmen der belangten Behörde stützten sich ausschließlich auf die von der mitbeteiligten Partei vorgelegte "ökologische Begleitplanung". Das erstinstanzlich eingeholte naturkundefachliche Gutachten zweier Amtssachverständiger sei demgegenüber jedoch zum Ergebnis gelangt, der ca. 700 m lange Gewässerabschnitt im Anschluss an die Wehrstelle würde bei Verwirklichung des Projektes der mitbeteiligten Partei sowohl landschaftlich wie ökologisch deutlich entwertet. Die - näher beschriebenen - kräftigen Wasserüberfälle an den Kaskadenstufen würden zu dünnen, band- bis fadenförmigen Wasserstrahlen schrumpfen. Das bisherige Erscheinungsbild dieser Bachstrecke würde verloren gehen. Diese Beurteilung sei durch eine von der Beschwerdeführerin beigezogene Ziviltechnikergesellschaft bestätigt worden. Dennoch habe die belangte Behörde - ohne sich näher mit dem Beweiswert des eingeholten Amtssachverständigengutachtens auseinander zu setzen - aus dem in der ökologischen Begleitplanung enthaltenen Foto einer Restwasserstrecke "in der Strub" und aus dem Foto betreffend die simulierte Restwassermenge des Großsölkbaches sowie aus der Erwartung des Projektanten, die für einen Gebirgsbach typischen Charakteristika würden bildhaft zwar geringfügig abnehmen, insgesamt aber die Erscheinungsform Gebirgsbach weitestgehend erhalten bleiben, den Schluss gezogen, dass eine nachteilige Veränderung des Landschaftsbildes nicht zu erwarten sei. Das von der Beschwerdeführerin beigezogene Ziviltechnikerbüro sei hingegen zum Ergebnis gelangt, dass nach Verwirklichung des Projekts der Wasserabfluss nur an 66 Tagen im Jahr dem natürlichen entsprechen werde. Ein Abfluss von mehr als 190 l/s, wie er derzeit an über 300 Tagen des Jahres charakteristisch sei, werde nur mehr an 78 Tagen pro Jahr gegeben sein. Die Wassermenge werde durch das Projekt gerade in den Frühsommer- und Sommermonaten erheblich reduziert, was eine starke Beeinträchtigung des Landschaftsbildes zur Folge habe. Mit diesem Vorbringen habe sich die belangte Behörde aber nicht auseinander gesetzt.
Die Beschwerde ist im Ergebnis berechtigt:
Eine Bewilligung im Sinne des § 6 Abs. 6 Stmk NSchG 1976 ist zu erteilen, wenn nicht das Vorhaben einen Eingriff in das ökologische Gleichgewicht der Natur, den Landschaftscharakter oder die Wohlfahrtsfunktion darstellt, durch den die Natur geschädigt, das Landschaftsbild verunstaltet oder der Naturgenuss gestört wird (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 29. April 2009, Zl. 2007/10/0309, und die dort zitierte Vorjudikatur).
Ob ein Vorhaben das Landschaftsbild verunstaltende oder den Naturgenuss schädigende Auswirkungen nach sich zieht, ist Gegenstand des Beweises durch Sachverständige, die darüber auf Grund ihres Fachwissens ihr Urteil abzugeben haben (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 28. Mai 2010, Zl. 2004/10/0086, und die dort zitierte Vorjudikatur).
Wird die Aufnahme eines Beweises durch Sachverständige notwendig, sind gemäß § 52 Abs. 1 AVG die der Behörde beigegebenen oder zur Verfügung stehenden amtlichen Sachverständigen (Amtssachverständige) beizuziehen. Wenn Amtssachverständige nicht zur Verfügung stehen oder es mit Rücksicht auf die Besonderheit des Falles geboten ist, kann die Behörde gemäß § 52 Abs. 2 AVG aber ausnahmsweise andere geeignete Personen als Sachverständige (nichtamtliche Sachverständige) heranziehen. Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, so kann die Behörde gemäß § 52 Abs. 3 AVG dennoch nichtamtliche Sachverständige heranziehen, wenn davon eine wesentliche Beschleunigung des Verfahrens zu erwarten ist. Die Heranziehung ist jedoch nur zulässig, wenn sie von demjenigen, über dessen Ansuchen das Verfahren eingeleitet wurde, angeregt wird und die daraus entstehenden Kosten einen von dieser Partei bestimmten Betrag voraussichtlich nicht überschreiten.
Werden nicht nach Maßgabe des § 52 AVG Amtssachverständige oder von der Behörde bestellte sonstige Sachverständige herangezogen, sondern andere Sachverständige ("Privatgutachter"), deren Aussagen von einer Partei des Verfahrens vorgelegt wurden, so sind diese nach hg. Judikatur einer Überprüfung durch Sachverständige iSd § 52 AVG zu unterziehen; gegebenenfalls ist dann aber nicht noch ein (zusätzliches) Gutachten eines Sachverständigen iSd § 52 AVG notwendig (vgl. zB. die hg. Erkenntnisse vom 1. April 2008, Zl. 2007/06/0337, vom 25. Februar 2005, Zl. 2003/05/0099, und vom 2. Juni 1999, Zl. 98/04/0242).
Die belangte Behörde hat die Begutachtung durch die erstbehördlich beigezogenen Amtssachverständigen, eine Verwirklichung des Projekts der mitbeteiligten Partei führe im erwähnten 700 m langen Gewässerabschnitt des Großsölkbaches zu einer nachteiligen Veränderung des optischen Erscheinungsbildes der Landschaft als unzureichend begründet erachtet. Es fehle eine Auseinandersetzung mit den Darlegungen der mitbeteiligten Partei in der "ökologischen Begleitplanung". Aus den fachlichen Darlegungen der "ökologischen Begleitplanung" sei jedoch für die belangte Behörde ersichtlich, dass das Projekt auch im erwähnten Gewässerabschnitt keine gravierenden Änderungen des Landschaftsbildes und -charakters herbeiführen werde. Das Vorliegen von Versagungsgründen im Sinne des § 2 Abs. 1 Stmk NSchG 1997 sei daher - gestützt auf die "ökologische Begleitplanung" - zu verneinen.
Die belangte Behörde ist zwar zu Recht der Auffassung, dass ein - gegebenenfalls - mangelhaft begründetes Gutachten eines Amtssachverständigen als Entscheidungsgrundlage für die Beurteilung, ob ein bestimmtes Tatbestandsmerkmal erfüllt ist, nicht ausreicht. In einem solchen Fall ist es erforderlich, zur Klärung der unzureichend beantworteten Fachfragen die sachverständigen Entscheidungsgrundlagen gemäß § 52 AVG zu ergänzen und gegebenenfalls ein weiteres Gutachten eines Sachverständigen einzuholen.
Dies hat die belangte Behörde nicht getan. Vielmehr hat sie sich auf die von der mitbeteiligten Partei vorgelegte "ökologische Begleitplanung" gestützt und aus dieser - ohne weitere Befassung von Sachverständigen iSd § 52 AVG - den Schluss gezogen, Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes seien entgegen den Darlegungen der erstinstanzlich beigezogenen Amtssachverständigen nicht zu erwarten.
Nun haben sich die erstinstanzlich beigezogenen Amtssachverständigen in ihrem Gutachten zwar grundsätzlich auch mit der Methodik des "ökologischen Einreichprojektes" auseinandergesetzt und angegeben, diese entspreche dem Stand der Wissenschaft und die gezogenen Schlussfolgerungen seien aus fachlicher Sicht im Wesentlichen nachvollziehbar. Sie sind aber - ungeachtet dieser grundsätzlichen Einschätzung - aus näher dargelegten fachlichen Erwägungen zu einem anderen Ergebnis gelangt, nämlich, dass im erwähnten Gewässerabschnitt das Landschaftsbild nachteilig verändert würde. Die grundsätzliche Anerkennung der Methodik der "ökologischen Begleitplanung" und die darauf gestützte Beurteilung, die getroffenen Aussagen seien "im Wesentlichen nachvollziehbar", kann daher nicht als eine den obigen Darlegungen entsprechende Überprüfung der konkret auf den erwähnten Gewässerabschnitt bezogenen Aussagen in der "ökologischen Begleitplanung" durch Sachverständige iSd § 52 AVG angesehen werden.
Angesichts der in diesem Punkt bloß auf das Einreichprojekt der mitbeteiligten Partei gestützten Begründung des angefochtenen Bescheides fehlt daher ein wesentlicher Ermittlungsschritt für die Beurteilung, in Ansehung einer Beeinträchtigung des Landschaftsbildes lägen keine Versagungsgründe vor. Eine abschließende Beurteilung ist dabei umso weniger möglich, als fachlich fundierte Gegenmeinungen sowohl in Gestalt des Gutachtens der erstinstanzlich beigezogenen Amtssachverständigen als auch in Form der von der beschwerdeführenden Partei vorgelegten naturschutzfachlichen Äußerung aktenkundig sind.
Der angefochtene Bescheid erweist sich daher als rechtswidrig infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Dies hatte gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides zu führen, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde, hätte sie die erforderlichen Ermittlungsschritte zur Beurteilung einer Beeinträchtigung des Landschaftsbildes im erwähnten Gewässerabschnitt gesetzt und im gebotenen Ausmaß Sachverständige iSd § 52 AVG beigezogen, statt sich mit den eingereichten Projektunterlagen zu begnügen, zu einem anderen Bescheid gelangt wäre.
Die Entscheidung über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG.
Wien, am 31. März 2011
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