Normen
AVG §56;
AVG §62 Abs1;
AVG §63 Abs1;
AVG §66 Abs4;
FSG 1997 §24 Abs1 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z2;
ZustG §2 Z1;
ZustG §7 Abs1 idF 2004/I/010;
ZustG §7 Abs1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Nach Benachrichtigung von der Beendigung eines gegen den Beschwerdeführer beim Landesgericht St. Pölten geführten gerichtlichen Strafverfahrens leitete die Bundespolizeidirektion St. Pölten ein Verfahren zur Entziehung der Lenkberechtigung ein und richtete an den Beschwerdeführer "z.H. Herrn RA Dr. Wolfgang Rainer" (des nunmehrigen Vertreters des Beschwerdeführers) eine Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme verbunden mit der Einräumung einer Frist zur Stellungnahme von zwei Wochen.
2. Der Bescheid der Bundespolizeidirektion St. Pölten vom 18. April 2005 enthält folgenden Spruch:
"Gemäß § 24 Abs. 1 Z. 1 und § 25 Abs. 3 Führerscheingesetz (FSG) wird Ihnen die von der Bundespolizeidirektion St. Pölten ...
erteilte Lenkberechtigung ... wegen mangelnder
Verkehrszuverlässigkeit entzogen. Nach § 25 Abs. 1 wird die Entziehungsdauer mit sechs Monaten, gerechnet ab dem Tage der Zustellung dieses Bescheides, festgesetzt.
Gemäß § 29 Abs. 3 FSG 1997 haben Sie den über die entzogene Lenkberechtigung ausgestellten Führerschein unverzüglich der Behörde abzuliefern."
Dieser Bescheid war ebenfalls an den Beschwerdeführer "z.H. Herrn RA Dr. Wolfgang Rainer" gerichtet und wurde von letzterem am 25. Juni 2005 übernommen.
Nach Ausführungen zur von der Erstbehörde angenommenen Verkehrsunzuverlässigkeit des Beschwerdeführers enthält die Begründung folgenden Passus (Aktenseite 123):
"Die Rechtsvertretung durch RA Dr. Wolfgang RAINER ergibt sich aus dem zugrunde liegenden Verwaltungsstrafverfahren, wo in den ha. erliegenden Akten S 6554/SP/03 und S 6555/SP/03 unter Berufung auf die erteilte Vollmacht gem. § 8/1 RAO und § 10/1 AVG der Beschuldigte vertreten wurde. In gegenständlichen Verfahren wurde daher auch an die Rechtsanwaltskanzlei eine Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme mittels RSa übermittelt, welche am 23.03.2005 nachweislich zugestellt wurde. Von der Möglichkeit der Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme binnen 2 Wochen ab Zustellung wurde kein Gebrauch gemacht, es langte auch kein Schriftstück über die Beendigung des Vollmachtsverhältnisses ein, weshalb dieser Bescheid zu Handen des Rechtsvertreters ausgefertigt wird und spruchgemäß zu entscheiden war."
3. Mit dem an die Erstbehörde gerichteten Faxschreiben vom 20. Mai 2005 teilte Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Rainer Folgendes mit:
"Zu Ihren Zuschriften vom 21.3.2005 bzw. 18.4.2005 darf ich der Ordnung halber mitteilten, dass mir seitens (des Beschwerdeführers) bis dato kein Mandat zur Vertretung auch in dieser Angelegenheit erteilt wurde, weshalb auch insbesondere die Zustellung Ihres Entziehungsbescheides vom 18.4.2005 an mich ins
Leere ging. ... Allfällige weitere Zustellungen Ihrerseits wären
... mangels einer mir (von Seiten des Beschwerdeführers) für diese Sache erteilten Vertretungs- oder Zustellvollmacht direkt an (den Beschwerdeführer) vorzunehmen."
4. Daraufhin reagierte die Erstbehörde damit, dass sie mit Erledigung vom 23. Mai 2005 die "Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme" direkt an den Beschwerdeführer richtete.
5. In der Niederschrift über die mit dem Beschwerdeführer am 3. Juni 2005 aufgenommene Amtshandlung vor der Erstbehörde heißt es (Aktenseite 151):
"Zum Sachverhalt befragt, gebe ich an, dass ich von Herrn Dr. Rainer nicht nur im Gerichtsverfahren, sondern auch in allen anderen Verfahren vertreten werde. Wie Herr Dr. Rainer dazu kommt, dass er mich nicht vertritt, weiß ich nicht."
6. In der Folge brachte der Beschwerdeführer, nunmehr vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Rainer, mit Schriftsatz vom 7. Juni 2005 eine Stellungnahme, in eventu Berufung, ein und brachte darin vor, dass er die an ihn persönlich gerichtete Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 23. Mai 2005 am 27. Mai 2005 dem ausgewiesenen Anwalt mit dem Auftrag zur rechtsfreundlichen Intervention übermittelt habe.
In der Stellungnahme wird (was näher begründet wurde) ausgeführt, dass eine Verkehrsunzuverlässigkeit des Beschwerdeführers nicht anzunehmen sei und der Antrag gestellt, das Entziehungsverfahren einzustellen.
Weiter heißt es im erwähnten Schriftsatz:
"II. Aus vertreterischer Vorsicht wird seitens des Betroffenen für den Fall, daß durch seine am 27.05.2005 erfolgte Mandatserteilung an den einschreitenden Rechtsanwalt der durch die Zustellung des Entziehungsbescheides vom 18.04.2005 an selbigen bewirkte Zustellmangel einer Heilung zugeführt worden sein sollte (vgl. dazu Walter-Thienel, Verwaltungsverfahren I2, E 17 ff. zu § 7 ZustG), unter einem auch gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion St. Pölten vom 18.04.2005, 80/Fe/2005, Berufung erhoben."
7.1. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid entschied die belangte Behörde über die Berufung des Beschwerdeführers gegen den erstinstanzlichen Bescheid vom 18. April 2005: Der Berufung wurde dahin Folge gegeben, dass "der erstinstanzliche Bescheid mit der Maßgabe bestätigt wird, dass die Entziehungsdauer von sechs Monaten ab dem Tag der Zustellung des Berufungsbescheides zu berechnen" sei sowie der Satz "Gemäß § 29 Abs. 3 FSG 1997 haben Sie den über die entzogene Lenkberechtigung ausgestellten Führerschein unverzüglich der Behörde abzuliefern." ersatzlos zu entfallen habe.
7.2. Begründend führte die belangte Behörde - nach einer Darstellung des Verfahrensgangs - hinsichtlich der Rechtswirksamkeit der Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides Folgendes aus:
"Entgegen der Ansicht der erstinstanzlichen Behörde ist die gegenständliche Berufung rechtzeitig eingebracht worden.
§ 7 Abs. 1 ZustellG lautet:
'Unterlaufen im Verfahren der Zustellung Mängel, so gilt die Zustellung als in dem Zeitpunkt dennoch bewirkt, in dem das Dokument dem Empfänger tatsächlich zugekommen ist.'
Wenn auch die Zustellung eines an die Partei persönlich adressierten Bescheides an den Rechtsvertreter der Partei zu einem Zeitpunkt erfolgt ist, zu dem eine auf ihn lautende Vollmacht der Partei noch nicht vorlag, sondern lediglich vom Gatten der Partei, so ist davon auszugehen, dass der Bescheid der Partei jedenfalls an dem Tag zugekommen ist, an dem sie dem einschreitenden Rechtsanwalt, in dessen Händen sich der Bescheid bereits befand, Vollmacht erteilte, dagegen Beschwerde an den VwGH zu erheben. Daher ist der Zustellmangel als geheilt anzusehen (VwGH 29.11.1989, 89/01/0275).
Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass der angefochtene Bescheid vom 18.4.2004 (gemeint offenbar: 18.4.2005) als am 17.5.2005 (gemeint offenbar: 27.5.2005) zugestellt gilt, da an diesem Tag der Berufungswerber seinem Rechtsvertreter unwiderlegbar Vollmacht erteilte, ihn im anhängigen Verfahren betreffend Entziehung der Lenkberechtigung zu vertreten. Eine allfällige (frühere) Heilung des Zustellmangels durch tatsächliches Zukommen an den - bis zum 17.5.2005 unvertretenen - Berufungswerber ist laut den ebenfalls unwiderlegbaren Angaben des Rechtsvertreters vom 26.8.2005 nicht erfolgt.
Grundsätzlich bezieht sich eine Bevollmächtigung nur auf das jeweilige Verfahren, in dem sich der Bevollmächtigte durch eine schriftliche oder mündlich erteilte Vollmacht ausgewiesen hat, nicht jedoch auch auf andere bei der Behörde bereits anhängige oder anhängig werdende Verfahren (VwGH vom 19.1.1995, 93/09/0410).
So durfte die erstinstanzliche Behörde nicht aus der Tatsache, dass der Berufungswerber in zwei Verwaltungsstrafverfahren vor derselben Behörde rechtsanwaltlich vertreten war, darauf schließen, dass diese Vollmacht sich auch auf das anhängige Verfahren betreffend Entziehung der Lenkberechtigung erstreckt.
Aufgrund dieser Überlegungen durfte die Behörde auch im verfahrensgegenständlichen Fall mangels Vorliegens einer unmissverständlichen Berufung auf die seinerzeitige Vollmachtserteilung (welche sich zweifellos nur auf die beiden aktenzahlenmäßig konkretisierten Verwaltungsstrafverfahren bezog) nicht davon ausgehen, dass diese Bevollmächtigung auch im Verfahren betreffend Entziehung der Lenkberechtigung relevant ist, zumal - im Gegenteil - der nunmehrige Rechtsvertreter am 20.5.2005 sogar mitteilte, dass ihm noch kein Mandat zur Vertretung in dieser Angelegenheit erteilt worden sei.
Auch die Angaben des Betroffenen vom 3.6.2005 führen zu keinem anderen Ergebnis, da verabsäumt wurde, ihn zum Zeitpunkt der Bevollmächtigung zu befragen.
Da von einer Bevollmächtigung am 27.5.2005 auszugehen ist, sind die Angaben des Betroffenen vom 3.6.3005 jedenfalls nachvollziehbar, lässt sich daraus jedoch, wie bereits ausgeführt, keinesfalls ableiten, dass zum Zeitpunkt der Zustellung des Entziehungsbescheides an den Rechtsanwalt ein Vollmachtsverhältnis bestanden habe. Zufolge Zustellung am 27.5.2005 ist daher die Berufung vom 7.6.2005, welche mittels Telefax am selben Tag an die Bundespolizeidirektion St. Pölten übermittelt wurde, rechtzeitig eingebracht worden."
In der Folge legte die belangte Behörde dar, warum ihrer Auffassung nach die Erstbehörde den Beschwerdeführer zutreffend als nicht verkehrszuverlässig beurteilt und die Lenkberechtigung für die Dauer von sechs Monaten entzogen habe. Angesichts der Art und Anzahl der vom Beschwerdeführer begangenen strafbaren Handlungen habe die belangte Behörde auch hinsichtlich der Dauer der Entziehung keine Bedenken. Der Ausspruch hinsichtlich der unverzüglichen Ablieferungspflicht des Führerscheins habe aber zu entfallen, weil gemäß § 29 Abs. 3 FSG die Ablieferungspflicht erst nach Eintritt der Vollstreckbarkeit des Entziehungsbescheides bestehe. Dieser werde erst mit Zustellung des Berufungsbescheides rechtskräftig und vollstreckbar, weil die Erstbehörde die aufschiebende Wirkung der Berufung nicht aberkannt habe. Daraus folgerte die belangte Behörde: "Aus diesem Grund ist auch die Entziehungsdauer von sechs Monaten erst ab den Tage der Zustellung des Berufungsbescheides zu berechnen."
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
1. Der Beschwerdeführer macht zunächst geltend, die belangte Behörde sei zur inhaltlichen Entscheidung über die von ihm nur eventualiter erhobene Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid nicht zuständig gewesen, weil dieser nicht wirksam erlassen worden sei.
Er ist damit im Recht.
1.1. Ein der Entscheidung in der Sache selbst entgegenstehendes Hindernis liegt auch dann vor, wenn sich die Berufung gegen einen nicht rechtswirksam erlassenen Bescheid richtet (vgl. die bei Walter/Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze I2, unter E 62 zu § 66 AVG zitierte hg. Judikatur). In diesem Fall fehlt es an einer Zuständigkeit der Berufungsbehörde zu einem meritorischen Abspruch über die Berufung, da in derartigen Fällen die Zuständigkeit nur so weit reicht, das Rechtsmittel wegen Unzulässigkeit zurückzuweisen.
1.2. Beide Parteien des Beschwerdeverfahrens gehen zutreffend davon aus, dass die vom Beschwerdeführer erteilte Vollmacht zur Vertretung in den gegen ihn anhängigen Verwaltungsstrafverfahren nicht auch eine Bevollmächtigung im - später anhängig gemachten - Administrativverfahren betreffend die Entziehung der Lenkberechtigung umfasste.
1.3. Der an den Beschwerdeführer als Normadressaten des erstinstanzlichen Entziehungsbescheids vom 18. April 2005 gerichtete, entsprechend der Zustellverfügung aber an Rechtsanwalt Dr. W. R. am 25. April 2005 als Empfänger (im formellen Sinn) zugestellte Bescheid wurde daher - mangels Bestehens eines Vollmachtsverhältnisses im Entziehungsverfahren - nicht wirksam zugestellt. Die entsprechend der Zustellverfügung erfolgende Zustellung an eine Person, die zu Unrecht als Zustellungsbevollmächtigter der Partei angesehen wird, vermag nämlich gegenüber der Partei keine Rechtswirkungen zu entfalten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 7. September 2005, Zl. 2004/12/0212).
1.4. Entgegen der Auffassung der belangten Behörde kann im Beschwerdefall aber auch nicht von einer Heilung dieses Zustellmangels ausgegangen werden.
Die Heilung eines Zustellmangels nach § 7 Abs. 1 ZustG setzt voraus, dass das Schriftstück in die Verfügungsgewalt des "Empfängers", welcher aus dem Grunde des § 2 Z 1 ZustG die in der Zustellverfügung bezeichnete Person ist, gelangt. Darin unterscheidet sich der Beschwerdefall von dem von der belangten Behörde ins Treffen geführten dem hg. Erkenntnis vom 29. November 1989 zu Grunde liegenden Beschwerdefall. War dem gegenüber schon eine unzutreffende Person in der Zustellverfügung als Empfänger bezeichnet, so liegt - auch nach der Novelle BGBl. I. Nr. 10/2004 - kein Fall des § 7 Abs. 1 ZustG vor (vgl. das hg. Erkenntnis vom 7. September 2005, Zl. 2004/12/0212). Entgegen der Auffassung der belangten Behörde kann eine Heilung des Zustellmangels gemäß § 7 Abs. 1 ZustG im Beschwerdefall daher nicht angenommen werden, weshalb eine wirksame Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides vom 18. April 2005 nicht erfolgt ist (so auch Thienel, Verwaltungsverfahrensrecht3, 337; vgl. auch den Beschluss des Obersten Gerichtshofes vom 15. April 1998, 3 Ob 37/98g).
1.5. Wurde dieser Bescheid aber nicht rechtswirksam erlassen, erweist sich die angefochtene Entscheidung über die Berufung gegen diesen Bescheid als rechtswidrig infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde.
2. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG aufzuheben, ohne dass es eines Eingehens auf das weitere Beschwerdevorbringen bedurfte.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 18. Juni 2008
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