Normen
21964A1229(01) AssAbk Türkei Art7;
ARB1/80 Art7;
AuslBG §1 Abs3;
AuslBG §3 Abs1;
AuslBG §4 Abs1;
AuslBG §4 Abs3 Z1;
AuslBG §4 Abs3 Z7;
AVG §56;
21964A1229(01) AssAbk Türkei Art7;
ARB1/80 Art7;
AuslBG §1 Abs3;
AuslBG §3 Abs1;
AuslBG §4 Abs1;
AuslBG §4 Abs3 Z1;
AuslBG §4 Abs3 Z7;
AVG §56;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird im Umfang der bescheidmäßigen Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen nach Art. 7 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Im Übrigen - hinsichtlich des Abspruches über die tatbestandlichen Voraussetzungen nach Art. 6 Satz (Absatz) 1 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 - wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Das Arbeitsmarktservice hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin (eine türkische Staatsangehörige) stellte am 25. September 1996 beim Arbeitsmarktservice Linz unter Verwendung des amtlich aufgelegten Formulars den Antrag auf Feststellung "gemäß Art. 7 oder 6 des Beschlusses des Assoziationsrates Nr. 1/80".
Mit dem im Instanzenzug ergangenen, vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 12. Dezember 1996 wurde der Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Linz vom 8. Oktober 1996 gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit Art. 6 und Art. 7 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 (ARB Nr. 1/80) keine Folge gegeben und damit der erstinstanzliche Bescheid, mit dem der Feststellungsantrag der Beschwerdeführerin
"gemäß Art. 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich und Art. 7 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich" des ARB Nr. 1/80 abgelehnt worden war, bestätigt.
Diese Entscheidung wurde von der belangten Behörde im Wesentlichen damit begründet, die Beschwerdeführerin erfülle die Voraussetzungen des Art. 6 ARB Nr. 1/80 deshalb nicht, weil sie seit Beendigung ihres letzten Dienstverhältnisses am 21. Juli 1995 derzeit weder einer nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz bewilligten Erwerbstätigkeit nachgehe, noch seit Beendigung des Bezuges auf Arbeitslosengeld am 5. Juni 1995 über einen Anspruch auf Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung verfüge und demnach nicht dem regulären Arbeitsmarkt angehöre. Für den Zeitraum 24. Jänner 1995 bis 2. April 1995 und die Zeit ab 22. Juli 1995 sei keine von der zuständigen Behörde festgestellte Arbeitslosigkeit und auch keine Abwesenheit wegen langer Krankheit vorgelegen. Bereits durch diese Unterbrechungen werde bewirkt, dass die davor liegenden Beschäftigungszeiten nicht mehr herangezogen werden könnten. Hinsichtlich der Voraussetzungen des Art. 7 ARB Nr. 1/80 sei davon auszugehen, dass "Kinder bis zum 21. Lebensjahr sowie Ehegatten in aufrechter Ehe" als Familienangehörige im Sinne dieses Artikel gelten würden. Die Beschwerdeführerin sei jedoch bereits berufstätig gewesen und somit selbsterhaltungsfähig; die "im § 1 Abs. 2 lit. m (gemeint: AuslBG) angeführte Definition wonach jemand noch Kind ist, wenn ihm Unterhalt gewährt wird, ist daher ebenfalls nicht anwendbar". Da es sich bei der Beschwerdeführerin "nicht mehr um ein Kind handelt", sei Art. 7 ARB Nr. 1/80 nicht anwendbar. Die Beschwerdeführerin erfülle keine der Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 erster bis zweiter Gedankenstrich ARB Nr. 1/80. Die Einwände in der Berufung seien nicht geeignet, eine andere Entscheidung herbeizuführen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die Beschwerdeführerin erachtete sich durch den angefochtenen Bescheid in dem Recht "auf Feststellung, dass bei ihr die Voraussetzungen gemäß Art. 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich und/oder Art. 7 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich des Beschlusses des Assoziationsrates Nr. 1/80, gemäß § 66 Abs. 4 des allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz 1951, BGBl. Nr. 51 in Verbindung mit Art. 6 und Art. 7 des Beschlusses des Assoziationsrates Nr. 1/80 vom 19. 9. 1980 basierend auf Art. 36 des Zusatzprotokolles zum Assoziationsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 23. 11. 1970, gegeben sind", verletzt. Sie beantragt, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben und ihr die entstandenen Kosten im verzeichneten Ausmaß zuzusprechen.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Art. 6 und Art. 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB Nr. 1/80) lauten:
"Art. 6
(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen in Art. 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehört, in diesem Mitgliedstaat
- nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;
- nach drei Jahren ordnungsgemäßer
Beschäftigung - vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs - das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem gleichen Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedienungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;
- nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.
(2) Der Jahresurlaub und die Abwesenheit wegen Mutterschaft, Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit werden den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt. Die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit, die von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind, sowie die Abwesenheit wegen langer Krankheit werden zwar nicht den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt, berühren jedoch nicht die aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche.
(3) Die Einzelheiten der Durchführung der Abs. 1 und 2 werden durch einzelstaatliche Vorschriften festgelegt.
Art. 7
Die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen,
- haben vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben;
- haben freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben.
Die Kinder türkischer Arbeitnehmer, die im Aufnahmeland einen Berufsausbildung abgeschlossen haben, können sich unabhängig von der Dauer ihres Aufenthalts in dem betreffenden Mitgliedstaat dort auf jedes Stellenangebot bewerben, sofern ein Elternteil in dem betreffenden Mitgliedstaat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war."
Die Beschwerdeführerin legt in ihrer Beschwerde dar, sie sei - nach Abschluss eines Berufsvorbereitungskurses und Erlernung des Lehrberufes Damenkleidermacherin - in weiterer Folge von 15. November 1993 bis 29. Jänner 1994, vom 1. März 1994 bis 13. April 1994, vom 20. Juni 1994 bis 29. Juli 1994 und zuletzt vom 3. Juli 1995 bis 21. Juli 1995 (in Österreich) beschäftigt gewesen.
Ausgehend von diesen unbestrittenen Beschäftigungszeiten zeigt die Beschwerdeführerin mit ihrem auf Art. 6 ARB Nr. 1/80 gestützten Vorbringen keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Nach dem Verlust ihrer Beschäftigung am 29. Juli 1994 konnte sich die Beschwerdeführerin nämlich noch nicht auf einen allenfalls durch die Zurücklegung in Art. 6 Abs. 1 des ARB Nr. 1/80 umschriebener Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung erworbenen Anspruch auf Fortsetzung einer ordnungsgemäßen Beschäftigung nach den - erst mit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union am 1. Jänner 1995 wirksamen - Bestimmungen des ARB Nr. 1/80, etwa im Lichte des Urteils des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 23. Jänner 1997 in der Rechtssache C-171/95 (Recep Tetik), berufen. Daher hat die Unterbrechung der Beschäftigung der Beschwerdeführerin im Zeitraum 30. Juli 1994 bis 2. Juli 1995 zum Untergang der davor erworbenen Anwartschaft auf die in Art. 6 Abs. 1 ARB Nr. 1/80 verbundenen Rechtsposition geführt. Die vom 3. Juli 1995 bis 21. Juli 1995 dauernde und zu berücksichtigende Beschäftigung der Beschwerdeführerin erfüllte jedoch im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (18. Dezember 1996) in zeitlicher Hinsicht noch nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen der beantragen Feststellung gemäß Art. 6 des ARB Nr. 1/80. Bei diesem Ergebnis kann dahingestellt bleiben, ob - wie die belangte Behörde festgestellt hat - die Beschwerdeführerin zudem auch das Erfordernis der Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates Österreich nicht zu erfüllen vermag (vgl. hiezu auch etwa die hg. Erkenntnisse jeweils vom 10. März 1999, Zl. 97/09/0247, sowie Zl. 97/09/0273 und die jeweils darin angegebenen hg. Judikatur). Die Beschwerde erweist sich demnach hinsichtlich des auf Art. 6 ARB Nr. 1/80 gestützten Begehrens als unbegründet und war daher in diesem Umfang gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Hingegen ist die Beschwerde im Umfang des auf
Art. 7 ARB Nr. 1/80 gestützten Begehrens schon aus folgenden
Erwägungen berechtigt:
Die Beschwerdeführerin hat - ohne Einschränkung auf Satz (Absatz) 1 oder 2 - die Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen gemäß Art. 7 des ARB Nr. 1/80 begehrt. Im erstinstanzlichen Bescheid wurden ausschließlich die Voraussetzungen nach Satz (Absatz) 1 zweiter Gedankenstrich des Art. 7 ARB Nr. 1/80 verneint. Darüber, ob die Beschwerdeführerin die tatbestandlichen Voraussetzungen im Sinn von Satz 2 des Art. 7 ARB Nr. 1/80 zu erfüllen vermag, wurde von der Erstbehörde nicht abgesprochen. Insoweit die belangte Behörde die Ansicht vertrat, die Beschwerdeführerin erfülle die Voraussetzungen eines "Familienangehörigen" im Sinn von Satz 1 leg. cit. allein deshalb nicht, weil es sich bei der Beschwerdeführerin "nicht mehr um ein Kind handelt", verkennt sie, dass Familienangehörige nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen des Satzes 2 leg. cit., sondern die engeren Voraussetzungen des Satzes 1 leg. cit. zu erfüllen haben. Es beeinträchtigt unter dem Gesichtspunkt der Erfüllung der tatbestandlich engeren Voraussetzungen des Satzes 1 leg. cit. nicht die Rechtsstellung der Beschwerdeführerin in dieser Hinsicht, wenn die Beschwerdeführerin nicht die gegenüber Satz 1 günstigeren Voraussetzungen eines "Kindes" im Sinn des Art. 7 Satz 2 ARB Nr. 1/80 zu erfüllen vermag, kann sich doch jeder Familienangehöriger, der die Voraussetzungen des Satzes 1 zu erfüllen vermag, auf diese Rechtsstellung berufen (vgl. hiezu das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 19. November 1998 in der Rechtssache C-210/97 , Haydar Akman gegen Oberkreisdirektor des Rheinisch-Bergischen-Kreises, Randnummern 21 und 34 bis 37; sowie die hg. Erkenntnisse vom 27. Oktober 1999, Zl. 97/09/0012, und vom 20. Mai 1998, Zl. 97/09/0009). Der angefochtene Bescheid ist daher schon aus diesem Grund, soweit damit die bescheidmäßige Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen gemäß Art. 7 Abs. 1 (Satz 1) zweiter Gedankenstrich ARB Nr. 1/80 abgelehnt wurde, mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet.
Zudem hat die belangte Behörde die Rechtslage auch dahin verkannt, dass die Erfüllung der Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 lit. m AuslBG nicht Gegenstand des vorliegenden Feststellungsverfahrens ist und diese Bestimmung, die einen Ausnahmetatbestand vom Geltungsbereich des AuslBG regelt, die Voraussetzungen des Art. 7 ARB Nr. 1/80 inhaltlich nicht zu ändern vermag, ist diese Bestimmung doch unmittelbar anwendbar und räumt Art. 7 leg. cit dem Betroffenen subjektive Rechte ein (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 29. September 1998, Zl. 97/09/0255, und die darin angegebene hg. Judikatur). Art. 7 ARB Nr. 1/80 enthält nach seinem eindeutigen Wortlaut keine altersmäßige Begrenzung der "Familienangehörigen" und der "Kinder". Die Ansicht der belangten Behörde, Personen mit einem das 21. Lebensjahr übersteigendem Lebensalter, würden diesen beiden Personengruppen nicht mehr angehören, entbehrt der textlichen und der rechtlichen Grundlage (vgl. hiezu nochmals das genannte hg. Erkenntnis Zl. 97/09/0012, sowie R. Gutmann, Die Assoziationsfreizügigkeit türkischer Staatsangehöriger, Baden-Baden 1996, Seite 112 und 113).
Der angefochtenen Bescheid war daher im Umfang des negativen Abspruches über die tatbestandlichen Voraussetzungen gemäß Art. 7 des ARB Nr. 1/80 gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff insbesondere auf § 50 VwGG in Verbindung mit § 41 AMSG und der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 27. Oktober 1999
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