VwGH 87/16/0044

VwGH87/16/004411.2.1988

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Karlik und die Hofräte Dr. Närr, Mag. Meinl , Dr. Kramer und Dr. Karger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Samonig, über die Beschwerde 1. der W‑Zeitschriftengesellschaft m.b.H. & Co. KG., 2. der W‑Zeitschriftengesellschaft m.b.H. und 3. des KF, alle in W, 1. und 2. vertreten durch Dr. Guido Kucsko und 3. vertreten durch DDr. Hellwig Torggler, Rechtsanwälte in Wien I, Tuchlauben 13, gegen den Bescheid des Präsidenten des Handelsgerichtes Wien vom 10. Februar 1987, Zl. Jv 152‑33/87, betreffend Gerichtsgebühren, zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §6
ABGB §7
GGG 1984 TP1 Anm1
GGG 1984 §1 Abs1
VwRallg
ZPO §235
ZPO §237
ZPO §408

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1988:1987160044.X00

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von insgesamt S 10.440,‑ ‑ binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Aus den vorgelegten Verwaltungsakten ergibt sich im wesentlichen folgendes:

Die Beschwerdeführer waren in der Rechtssache AZ. 10 Cg 11/86 des Handelsgerichtes Wien die Beklagten. Der Wert des Streitgegenstandes hatte seit der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung am 23. Mai 1986 S 11 Mio betragen. Mit Schriftsatz vom 10. November 1986 (GZ. 10 Cg 11/86‑32 des Handelsgerichtes Wien) hatten die Beschwerdeführer beantragt, die Kläger gemäß § 408 ZPO zur Leistung eines Entschädigungsbetrages von S 122 Mio an sie, zuzüglich eines weiteren Betrages von S 3 Mio an den 3. Beschwerdeführer, zu verurteilen. Dieser Antrag war mit Teilurteil vom 10. Dezember 1986 (GZ. 10 Cg 11/86‑41 des Handelsgerichtes Wien) abgewiesen worden. Gegen dieses Teilurteil hatten die Beschwerdeführer mit ihrer gemeinsamen Berufungsschrift vom 12. Jänner 1987 Berufung erhoben und für diesen Schriftsatz ‑ offensichtlich ausgehend von einem Wert des Streitgegenstandes von S 125 Mio - Gerichtsgebühren entrichtet. Am 16. Jänner 1987 hatten die Beschwerdeführer beim Handelsgericht Wien ihren gemeinsamen (unbestritten im Sinne des § 30 Abs. 4 GGG rechtzeitigen) Antrag auf Rückzahlung der (ihrer Ansicht nach für diese Berufungsschrift im Hinblick auf den nunmehr ihrer Meinung nach maßgebenden Wert des Streitgegenstandes von bloß S 11 Mio) zu viel entrichteten Gerichtsgebühren überreicht.

Dieser Antrag wurde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid abgewiesen.

Im vorliegenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist die Frage streitentscheidend, ob der Wert des Streitgegenstandes bei der Ermittlung der Pauschalgebühren nach TP 2 des gemäß § 1 Abs. 1 GGG einen Bestandteil dieses Bundesgesetzes bildenden Tarifs für das den angeführten Antrag gemäß § 408 ZPO betreffende Berufungsverfahren (im Sinne der belangten Behörde) S 125 Mio oder (im Sinne der Beschwerdeführer) nur S 11 Mio beträgt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 1 Abs. 1 GGG unterliegt den Gerichts- und Justizverwaltungsgebühren im Sinne dieses Bundesgesetzes die Inanspruchnahme der Tätigkeit der Gerichte und Justizverwaltungsbehörden einschließlich der an diese gerichteten Eingaben nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen und des angeschlossenen, einen Bestandteil dieses Bundesgesetzes bildenden Tarifs.

§ 6 Abs. 1 GGG bestimmt, daß sich der der Gebührenermittlung zugrunde zu legende Betrag (Bemessungsgrundlage) aus den besonderen Bestimmungen (Abschnitte B und C) ergibt.

Gemäß § 14 GGG ist Bemessungsgrundlage, soweit nicht im folgenden etwas anderes bestimmt wird, der Wert des Streitgegenstandes nach den Bestimmungen der §§ 54 bis 60 JN.

Nach § 15 Abs. 2 GGG sind mehrere in einem zivilgerichtlichen Verfahren von einer einzelnen Partei oder von Streitgenossen geltend gemachte Ansprüche zusammenzurechnen; die Summe der geltend gemachten Ansprüche bildet, soweit nicht im folgenden etwas anderes bestimmt wird, eine einheitliche Bemessungsgrundlage für das ganze Verfahren.

Auf Grund des § 18 Abs. 1 GGG bleibt die Bemessungsgrundlage für das ganze Verfahren gleich.

Hievon treten nach § 18 Abs. 2 GGG neben anderen hier überhaupt nicht in Betracht kommenden Ausnahmen, folgende ein:

„.....

2. Wird der Wert des Streitgegenstandes infolge einer Erweiterung des Klagebegehrens geändert oder ... so ist die Pauschalgebühr unter Zugrundelegung des höheren Streitwertes zu berechnen; die bereits entrichtete Pauschalgebühr ist einzurechnen.

3. Betrifft das Rechtsmittelverfahren oder ... nur einen Teil des ursprünglichen Streitgegenstandes, so ist in diesem Verfahren für die Berechnung nur der Wert dieses Teiles maßgebend.

...“

Auf Grund des § 18 Abs. 3 GGG tritt eine Änderung des Streitwertes für die Pauschalgebühr nicht ein, wenn das Klagebegehren zurückgezogen oder eingeschränkt wird oder wenn ein Teil- oder Zwischenurteilt gefällt wird.

Gemäß § 30 Abs. 2 Z. 1 GGG sind Gebühren zurückzuzahlen, wenn sie ohne Zahlungsauftrag entrichtet wurden, sich aber in der Folge ergibt, daß überhaupt nichts oder ein geringerer Betrag geschuldet wurde.

Die hier wesentlichen Teile der ‑ im Gesetzesrang stehenden (siehe z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. Juni 1987, Zlen. 86/16/0153, 0170 bis 0172) - Anmerkungen zu TP 1 (Pauschalgebühren in zivilgerichtlichen Verfahren erster Instanz bei einem Wert des Streitgegenstandes ...) bestimmen folgendes:

„1. Der Pauschalgebühr nach Tarifpost 1 unterliegen alle mittels Klage einzuleitenden gerichtlichen Verfahren in bürgerlichen Rechtssachen, Verfahren über Nichtigkeitsbeschwerden gegen Erkenntnisse der Börsenschiedsgerichte, Bestandverfahren und Verfahren über Beweissicherungsanträge. ....

2. Die Pauschalgebühr nach Tarifpost 1 ist auch für prätorische Vergleiche (§ 433 ZPO) sowie für Verfahren zur Erlassung einstweiliger Verfügungen außerhalb eines Zivilprozesses zu entrichten; ...

4. Neben der Pauschalgebühr nach Tarifpost 1 sind in Verfahren erster Instanz keine weiteren Gerichtsgebühren zu entrichten; dies gilt auch für Anträge auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung, die in einem zivilgerichtlichen Verfahren gestellt werden. ....

6. Die Pauschalgebühr nach Tarifpost 1 ist nur einmal zu entrichten; ...“

Die hier wesentlichen Anmerkungen zu TP 2 (Pauschalgebühren für das Rechtsmittelverfahren zweiter Instanz bei einem Wert des Streitgegenstandes ....) lauten:

„1. Der Pauschalgebühr nach Tarifpost 2 unterliegen folgende Rechtsmittelverfahren: Berufungsverfahren, Verfahren über Rekurse gegen Endbeschlüsse in Besitzstörungsverfahren (§ 459 ZPO) und gegen Beschlüsse, mit denen über Nichtigkeitsbeschwerden gegen Erkenntnisse der Börsenschiedsgerichte (Art. XXIII EGZPO) entschieden wird.

2. Neben den Pauschalgebühren nach Tarifpost 2 sind in Verfahren zweiter Instanz keine weiteren Gerichtsgebühren zu entrichten. ...

4. Die Pauschalgebühr nach Tarifpost 2 ist von jedem Rechtsmittelwerber nur einmal zu entrichten; ....“

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes knüpft die Gerichtsgebührenpflicht bewußt an formale äußere Tatbestände an, um eine möglichst einfache Handhabung des Gesetzes zu gewährleisten. Eine ausdehnende oder einschränkende Auslegung des Gesetzes, die sich vom Wortlaut insoweit entfernt, als sie über das Fehlen eines Elementes des im Gesetz umschriebenen formalen Tatbestandes, an den die Gebührenpflicht oder die Ausnahme hievon geknüpft ist, hinwegsieht, würde diesem Prinzip nicht gerecht werden (siehe z.B. das mit zahlreichen Judikaturhinweisen begründete Erkenntnis vom 3. September 1987, Zl. 86/16/0050). In dem soeben zitierten Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof aber auch unter Hinweis auf ein früheres Erkenntnis dargetan, daß es nicht angeht, im Wege der Analogie einen vom Gesetzgeber nicht vorgesehenen Ausnahmetatbestand zu begründen. Umsomehr muß dieser Weg zur Schaffung eines vom Gesetzgeber nicht vorgesehenen Gerichtsgebührentatbestandes verschlossen sein.

Entgegen der von der belangten Behörde vertretenen Auffassung ist im Hinblick auf den oben zitierten § 18 Abs. 1 GGG ‑ abgesehen von den dort anschließend angeführten Ausnahmen ‑ der „Wert des Streitgegenstandes“ in der zitierten TP 2 grundsätzlich derselbe wie in der erwähnten TP 1. Daher ist zu prüfen, ob der Antrag gemäß § 408 ZPO ‑ ohne Verstoß gegen das oben dargelegte Analogieverbot ‑ unter den Begriff „Klage“ (siehe z.B. auch Arnold, Das neue Gerichtsgebührengesetz, Anw. 1/1985, S. 3 ff, insbesondere S. 4 rechts unten in Verbindung mit Anm. 18a) fällt oder nicht.

§ 408 ZPO bestimmt nun folgendes:

„Findet das Gericht, daß die unterliegende Partei offenbar mutwillig Prozeß geführt hat, so kann es diese auf Antrag der siegenden Partei zur Leistung eines entsprechenden Entschädigungsbetrages verurteilen.

Durch die Verhandlung über diesen Antrag darf die Entscheidung in der Hauptsache nicht aufgehalten werden.

Bei Bestimmung des Entschädigungsbetrages ist auf die Vorschrift des § 273 Bedacht zu nehmen.“

Einerseits ist der Antrag gemäß § 408 ZPO zwar ein dem Klagebegehren gleichgestellter Sachantrag, über dessen Berechtigung im Regelfall mit Urteil entschieden wird (siehe z.B. Fasching, Lehrbuch des österreichischen Zivilprozeßrechts, Wien 1984 ‑ Ergänzungsheft Wien 1987, Rz 643, 752, 1155, 1376, 1439, 1448 und 1481) und den Eintritt der Streitanhängigkeit bewirkt (siehe z.B. Fasching, a.a.O., Rz 1181 und 1187). Andererseits ist er aber ein abhängiger Sachantrag, für den daher u.a. - im Gegensatz zur Widerklage ‑ die Vorschriften des § 237 ZPO (Zurücknahme der Klage) keine Anwendung finden (siehe z.B. Fasching, a.a.O., Rz 1244) und schließlich besteht das Verbot der selbständigen Einklagung von bereits mit ihm erhebbaren Schadenersatzansprüchen wegen mutwilliger Prozeßführung (siehe z.B. die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 30. September 1970, 6 Ob 220, 221/70 JBl. 1972, insbesondere S. 145 links Abs. 2, und die dort zitierte Literatur und Judikatur).

Bedenkt man zusätzlich, daß die Frage, ob die unterliegende Partei offenbar mutwillig Prozeß geführt hat oder nicht, in der Regel wohl ein verhältnismäßig umgrenztes Beweisthema darstellt, dann kann weder dem Gesetzgeber unterstellt werden, er habe bei der Einführung von Pauschalgebühren für den Zivilprozeß durch das GGG den Fall des § 408 ZPO offenbar übersehen, noch gesagt werden, der nicht geregelte (vom Wortsinn der Norm nicht mehr erfaßte) Sachverhalt sei dem geregelten so ähnlich, daß seine Außerachtlassung als schwerer Verstoß gegen die Gleichmäßigkeit und Gerechtigkeit des Gerichtsgebührenrechtes gewertet werden müsse (siehe z.B. Doralt‑Ruppe, Grundriß des österreichischen Steuerrechts, Band II, Wien 1981, S. 130).

Lediglich zur Vermeidung von Mißverständnissen wird noch folgendes bemerkt:

Ganz abgesehen davon, daß die Beschwerdeführer in der angeführten Rechtssache Beklagte waren und von einer von ihnen allenfalls gemäß § 96 JN angebrachten Widerklage nie die Rede war, ist der Antrag auf Ersatz wegen mutwilliger Prozeßführung gemäß § 408 ZPO keine Klagsänderung bzw. Änderung des Streitgegenstandes durch den Kläger im Sinne des § 235 ZPO, und damit jedenfalls keine Erweiterung des Klagebegehrens (siehe z.B. Fasching, a.a.O., Rz 1223).

Aus allen dargelegten Erwägungen ist der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985.

Wien, am 11. Februar 1988

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte