VwGH 87/18/0084

VwGH87/18/00842.10.1987

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Petrik und die Hofräte Dr. Pichler und Dr. Domittner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hollinger, über die Beschwerde des Dipl.Ing. FO in L, vertreten durch Dr. Heinrich Roth, Rechtsanwalt in Wien IV, Argentinierstraße 20 A, gegen den Bescheid der oberösterreichischen Landesregierung vom 1. Juni 1987, Zl. VerkR- 2978/6-1987-II/H, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §13a;
AVG §33;
AVG §37;
AVG §45 Abs3;
AVG §56;
AVG §60;
AVG §62;
AVG §65;
AVG §66 Abs4;
StVO 1960 §5 Abs7 idF 1983/174;
VStG §19;
VStG §5 Abs2;
VStG §51 Abs4;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 litc Z3;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;
AVG §13a;
AVG §33;
AVG §37;
AVG §45 Abs3;
AVG §56;
AVG §60;
AVG §62;
AVG §65;
AVG §66 Abs4;
StVO 1960 §5 Abs7 idF 1983/174;
VStG §19;
VStG §5 Abs2;
VStG §51 Abs4;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 litc Z3;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich der verhängten Strafe und der damit verbundenen Kostenbestimmungen erster und zweiter Instanz wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Bezüglich des Schuldspruches des angefochtenen Bescheides und hinsichtlich der Auferlegung von Barauslagen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Das Land Oberösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.690,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Berufungsbescheid der oberösterreichischen Landesregierung vom 1. Juni 1987 wurde der Beschwerdeführer im Instanzenzug schuldig erkannt, er habe am 19. August 1985 gegen 19.40 Uhr in Linz auf der Kreuzung Dinghoferstraße-Blumauerstraße einen dem Kennzeichen nach bestimmten Pkw in einem durch Alkohol beeinträchtigten und fahruntüchtigen Zustand gelenkt; er habe hiedurch eine Verwaltungsübertretung nach § 5 Abs. 1 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) begangen; gemäß § 99 Abs. 1 lit. a StVO wurde eine Geldstrafe von S 10.000,-- (Ersatzarreststrafe 20 Tage) verhängt. In der Begründung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses war zur Strafbemessung ausgeführt worden, die verhängte Strafe erscheine unter Berücksichtigung des Ausmaßes der mit der Tat verbundenen Schädigung und Gefährdung der Interessen anderer Verkehrsteilnehmer dem Unrechtsgehalt der Tat, dem Grade des Verschuldens wie auch den sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers angepaßt und auch geeignet, ihn künftig von der Begehung gleichartiger Übertretungen abzuhalten. Erschwerend sei, daß der Beschwerdeführer in alkoholisiertem Zustand einen Verkehrsunfall mit Personenschaden verursacht habe; Milderungsumstände seien nicht bekanntgeworden.

Die Berufungsbehörde begründete den Strafausspruch wie folgt:

Hinsichtlich der Höhe der verhängten Strafe komme die Berufungsbehörde zur Überzeugung, daß unter Berücksichtigung des gesetzlichen Strafrahmens von S 5.000,-- bis S 30.000,-- die von der Erstbehörde festgesetzte Strafe von S 10.000,-- keinesfalls überhöht sei. Es sei wohl davon auszugehen, daß bereits über einen einkommens- und vermögenslosen jugendlichen Radfahrer die Mindeststrafe von S 5.000,-- zu verhängen gewesen wäre. Demgegenüber habe der Beschwerdeführer ein monatliches Nettoeinkommen von S 7.000,--. Es sei auch zu berücksichtigen, daß der Beschwerdeführer einen Verkehrsunfall mit Personenschaden verursacht habe. Im übrigen seien von der Berufungsbehörde die im § 19 VStG 1950 angeführten Erschwerungs- und Milderungsgründe bei Überprüfung der Strafhöhe berücksichtigt worden. Auch die Bestimmung des § 99 Abs. 1 StVO sei berücksichtigt worden. Zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung seien hinsichtlich des Beschwerdeführers keine rechtskräftigen Vormerkungen vorgelegen.

Gegen diesen Bescheid, und zwar sowohl in der Schuld- als auch in der Straffrage, wendet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Hinsichtlich des Schuldspruches ist weder die Rechts- noch die Verfahrensrüge gerechtfertigt.

Nach dem Zeitpunkt der Tat am 19. August 1985 war § 5 Abs. 1 StVO in der Fassung der 10. Novelle, BGBl. 1983/174, anzuwenden, nicht aber, wie der Beschwerdeführer anzunehmen scheint, in der Fassung der 13. Novelle, BGBl. 1986/105, die erst am 1. Mai 1986 in Kraft trat. Nach § 5 Abs. 7 StVO in der Fassung der 10. Novelle hat ein im öffentlichen Sanitätsdienst stehender Arzt eine Blutabnahme zum Zwecke der Bestimmung des Blutalkoholgehaltes auch vorzunehmen, wenn sie ein Vorgeführter verlangt oder ihr zustimmt. Nach dem Erhebungsbogen, ausgefüllt vom diensthabenden Polizeiarzt Dr. K, hat der Beschwerdeführer aus Anlaß seiner klinischen Untersuchung gegen 21.00 Uhr des Tattages über Aufforderung der Blutabnahme zugestimmt. Somit wurde dem § 5 Abs. 7 StVO Genüge getan. Keine Bestimmung verpflichtete den Polizeiarzt, den Beschwerdeführer darüber aufzuklären, daß im vorliegenden Fall eine Blutabnahme gegen seinen Willen nicht stattfinden konnte. Es ist demnach die Ansicht des Beschwerdeführers unrichtig, die Abnahme der Blutprobe sei in rechtswidriger Weise erfolgt. § 5 Abs. 4b in Verbindung mit Abs. 2 lit. b StVO in der Fassung der 13. Novelle war aus den oben angeführten Gründen auf den Sachverhalt nicht anzuwenden.

Nach rechtzeitiger Erhebung der Berufung holte die Berufungsbehörde zunächst das medizinische Gutachten eines Amtssachverständigen ein, wozu der Beschwerdeführer auch eine schriftliche Stellungnahme erstattete. Sodann veranlaßte die Berufungsbehörde den Amtssachverständigen zu einer Ergänzung seines Gutachtens, welche am 3. April 1987 erfolgte. Der Verwaltungsstrafakt wurde einschließlich des letzterwähnten Ermittlungsergebnisses am 8. April 1987 von der Berufungsbehörde der Bundespolizeidirektion Wien als Rechtshilfebehörde mit dem Ersuchen übersendet, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsanwaltes das ergänzende Gutachten des Amtssachverständigen nachweislich zur Kenntnis zu bringen und ihm eine angemessene Frist zur Abgabe einer Stellungnahme einzuräumen. Laut Niederschrift der Bundespolizeidirektion Wien - Bezirkspolizeikommissariat Wieden - vom 27. April 1987 wurde dem Rechtsanwalt des Beschwerdeführers Akteneinsicht erteilt, worauf er erklärte, binnen vier Wochen schriftlich Stellung nehmen zu wollen. Er nahm zur Kenntnis, daß das weitere Verwaltungsstrafverfahren ohne seine Anhörung durchgeführt werden werde, wenn die Stellungnahme nicht fristgerecht sei. Die Stellungnahme ergehe direkt an das Amt der oberösterreichischen Landesregierung. Die vierwöchige Frist endete am 25. Mai 1987, bis zu diesem Zeitpunkt war bei der Berufungsbehörde keine Stellungnahme des Beschwerdeführers oder seines Rechtsanwaltes eingelangt. Die Berufungsbehörde datierte ihren Bescheid mit 1. Juni 1987 und ließ diesen durch die Erstbehörde am 16. Juni 1987 zuhanden des Rechtsanwaltes des Beschwerdeführers zustellen.

Am letzten Tag der genannten vierwöchigen Frist gab der Rechtsanwalt des Beschwerdeführers einen Antrag auf Verlängerung der Frist zur Stellungnahme bis einschließlich 10. Juni 1987 zur Post, wobei sowohl der Briefumschlag als auch der Schriftsatz an die Bundespolizeidirektion Wien - Bezirkspolizeikommissariat Wieden - gerichtet waren. Dort langte der Schriftsatz am 26. Mai 1987 ein; die ersuchte Behörde leitete den Schriftsatz an die Berufungsbehörde weiter, wo er erst am 9. Juni 1987 eintraf. Eine Entscheidung über den Fristverlängerungsantrag erfolgte nicht, da der Berufungsbescheid zu dieser Zeit bereits unterschrieben war. Am 10. Juni 1987 langte bei der erwähnten ersuchten Wiener Polizeibehörde ein Schriftsatz des Rechtsanwaltes des Beschwerdeführers ein, enthaltend einen Beweisantrag und den Antrag, einen anderen Amtssachverständigen beizuziehen, weil der beigezogene nicht unbefangen gewesen sei. Dieser Schriftsatz langte bei der Berufungsbehörde am 25. Juni 1987 ein.

In dem Umstand, daß die belangte Behörde nicht auf die letzterwähnten Anträge einging, liegt kein Verfahrensmangel. Es trifft zwar zu, daß die belangte Behörde auch solches relevante Vorbringen des Beschwerdeführers zu beachten gehabt hätte, das zwischen Datierung und Zustellung des Berufungsbescheides bei ihr eingelangt wäre. An einem solchen Vorbringen innerhalb des Zeitraumes vom 1. bis 16. Juni 1987 fehlte es aber; der bloße innerhalb dieses Zeitraumes bei der belangten Behörde eingelangte Fristverlängerungsantrag hätte nur dann eine solche Verpflichtung begründet, wenn er seinerseits rechtzeitig, d.h. innerhalb der Vierwochenfrist, gewesen wäre. Das ist aber nicht der Fall, weil in der Niederschrift vor der Bundespolizeidirektion Wien vom 27. April 1987 ausdrücklich erklärt worden war, daß eine allfällige Stellungnahme binnen der genannten Frist unmittelbar an das Amt der oberösterreichischen Landesregierung zu erstatten sei. Daraus ergibt sich, daß auch der Fristverlängerungsantrag an diese und nicht an die ersuchte Wiener Behörde zu richten gewesen wäre.

Bestand somit für die belangte Behörde kein Anlaß, sich mit dem Fristverlängerungsantrag sachlich zu befassen, so langte auch der Beweisantrag bei der belangten Behörde verspätet, nämlich nach Erlassung des angefochtenen Bescheides durch Zustellung, ein.

Hatte die belangte Behörde daher aus den oben dargestellten Gründen keine Veranlassung, sich mit dem verspäteten Beweisantrag auseinanderzusetzen, so ist es auch vom Standpunkt des im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden Neuerungsverbotes unzulässig, wenn der Beschwerdeführer nunmehr von der nicht erwiesenen Annahme ausgehen will, die bei ihm behauptete Stoffwechselstörung habe zu einer Verringerung der Geschwindigkeit des Blutalkoholabbaues geführt.

Die vom Beschwerdeführer angenommene "stillschweigende Zustimmung zur beantragten Fristverlängerung" ist dem Verfahrensrecht fremd. Es trifft zu, daß die für die schriftliche Stellungnahme gesetzte Frist weder eine materiellrechtliche Präklusiv- noch eine Rechtsmittelfrist war, doch hat die Behörde das Parteiengehör nicht verletzt, wenn sie nach Ablauf der gesetzten Frist mit der Entscheidung nicht mehr zuwartete, sondern sie fällte (vgl. Erkenntnis vom 27. Jänner 1975, Slg. N. F. Nr. 8747/A).

Hingegen erweist sich der Ausspruch über die Strafe aus folgenden Gründen zwar nicht mit inhaltlicher, aber mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften behaftet:

Die Erstbehörde ging davon aus, Milderungsumstände seien nicht bekannt. Die Berufungsbehörde stellte, durchaus gesetzmäßig (vgl. Erkenntnis vom 22. März 1985, Zl. 85/18/0198) von Amts wegen fest, daß hinsichtlich des Beschwerdeführers keine rechtskräftige Vormerkung vorliege. Dieser festgestellte Umstand bildet gemäß § 19 Abs. 2 VStG in Verbindung mit § 34 Z. 2 StGB den besonderen Milderungsgrund des bisherigen ordentlichen Lebenswandels verbunden mit der Tatsache, daß die Tat mit dem sonstigen Verhalten des Täters in auffallendem Widerspruch steht. Die belangte Behörde hat aber jede Begründung dafür unterlassen, warum sie trotz des Hinzutretens eines Milderungsgrundes die verhängte Strafe schlechthin bestätigte (vgl. diesbezüglich die Erkenntnisse vom 13. Februar 1985, Zl. 84/03/0125, und vom 13. Februar 1987, Zl. 85/18/0074). Dadurch hat sie Verfahrensvorschriften verletzt, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

Daher war der angefochtene Bescheid nur hinsichtlich seines Strafausspruches samt den diesbezüglichen Kostenentscheidungen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben, im übrigen aber die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere 50 VwGG, in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 30. Mai 1985, BGBl. Nr. 243. Das Mehrbegehren nach S 120,-- Stempelgebühren war abzuweisen, weil die Beschwerde nur in zweifacher Ausfertigung einzubringen war. Wien, am 2. Oktober 1987

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte