VwGH 85/18/0148

VwGH85/18/014823.4.1986

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsident Dr. Petrik und die Hofräte Dr. Pichler und Dr. Domittner als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Brauhart, über die Beschwerde des MH in W, vertreten durch Dr. Georg Hahmann, Rechtsanwalt in Wien I, Wollzeile 25, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 25. November 1983, Zl. MA 70‑IX/H 23/83/Str, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §45 Abs2
AVG §49
AVG §50
StVO 1960 §20 Abs2
VStG §44a lita
VStG §44a Z1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1986:1985180148.X00

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat der Bundeshauptstadt (Land) Wien Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde der Beschwerdeführer durch Bestätigung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses (§ 66 Abs. 4 AVG 1950 in Verbindung mit § 24 VStG 1950) schuldig erkannt, er habe am 9. Juli 1982 um 09,31 Uhr in Wien 13, Fasangartengasse 85, mit einem dem Kennzeichen nach bestimmten Pkw die zulässige Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet überschritten und dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 20 Abs. 2 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) begangen. Unter Berufung auf § 99 Abs. 3 lit. a StVO wurde eine Geldstrafe (Ersatzarreststrafe) verhängt. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer bestreite die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung und führe im wesentlichen aus, er habe zwar ein anderes, langsam fahrendes Fahrzeug überholt, dabei jedoch die im Ortsgebiet erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h keineswegs überschritten. Auch sei am Tatort ein Überholmanöver, wie es der Meldungsleger geschildert habe, gar nicht möglich. Dem sei entgegenzuhalten, daß gemäß den Angaben des als Zeugen einvernommenen Meldungslegers der Beschwerdeführer zur Tatzeit am Tatort mit einer Geschwindigkeit von ca. 90 km/h gefahren sei und dabei einen anderen mit mindestens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h fahrenden Fahrzeuglenker mit erheblicher Geschwindigkeitsdifferenz überholt habe. Die Geschwindigkeitsschätzung sei vom Meldungsleger auf Grund seiner Straßendiensterfahrung auf einer Wegstrecke von ca. 150 m vorgenommen worden. Hiezu sei zu bemerken, daß nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes einem Sicherheitswachebeamten ohne weiteres zugemutet werden könne, die Geschwindigkeit eines Fahrzeuges auch ohne Nachfahren und ohne technische Hilfsmittel zuverlässig zu schätzen, wenn die Beobachtungsverhältnisse günstig seien, was nach der Rechtsprechung dann der Fall sei, wenn die Beobachtungsstrecke lang genug sei oder der Meldungsleger die Geschwindigkeit des überholenden Fahrzeuges mit der anderer Fahrzeuge, welche an ihm ebenfalls vorbeigefahren seien, verglichen habe. Beide Möglichkeiten einer einwandfreien Schätzung träfen im vorliegenden Fall zu. Hiezu werde noch bemerkt, daß bereits eine Wegstrecke von knapp 100 m ausreiche, um eine Geschwindigkeitsschätzung als verläßlich zu erachten. Abgesehen davon, daß der Meldungsleger angebe, eine Geschwindigkeitsüberschreitung, wie sie im gegenständlichen Fall vorliege, sei am Tatort ohne weiteres möglich, werde noch bemerkt, daß selbst bei Zubilligung einer Fehlerquote von +/- 10 % bei den im Schätzungswege gewonnenen Angaben des Anzeigelegers trotz alledem immer noch eine erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung vorliege. In Abwägung des widersprüchlichen Vorbringens schenke die belangte Behörde bezüglich des (angezeigten) Sachverhaltes der zeugenschaftlichen Aussage des Meldungslegers mehr Glauben, als den Angaben des Beschwerdeführers. Der Meldungsleger unterliege auf Grund seines Diensteides und seiner verfahrensrechtlichen Stellung der Wahrheitspflicht und müsse bei deren Verletzung mit straf- und dienstrechtlichen Sanktionen rechnen; hingegen träfen den Beschwerdeführer in seiner Eigenschaft als Beschuldigter keine derartigen Pflichten bzw. Sanktionen. Der Beschwerdeführer habe überdies ein persönliches Interesse, straflos zu bleiben, und werde daher eher geneigt sein, zu seinen Gunsten sprechende Angaben zu machen. Außerdem habe keine Veranlassung gesehen werden können, daß der Meldungsleger eine ihm unbekannte Person wahrheitswidrig habe belasten wollen. Die dem Beschwerdeführer angelastete Tat sei daher als erwiesen anzunehmen gewesen, weshalb der Berufung keine Folge zu geben und der erstinstanzliche Schuldspruch zu bestätigen gewesen sei. Die Beweisanträge auf neuerliche Einvernahme des Meldungslegers, Abhaltung eines Lokalaugenscheines und Anfertigung einer Tatortskizze seien jedoch abzuweisen gewesen, da die im Zeitpunkt der Tat gewesene Situation nicht mehr in allen wesentlichen Phasen wiederherstellbar sei (Lokalaugenschein), da dies einer Beweiswiederholung gleichkäme (neuerliche Einvernahme des Meldungslegers) bzw. der Tatort so ausreichend beschrieben worden sei, daß kein Zweifel an der Örtlichkeit bestünde. Es folgen noch Ausführungen über die Strafbemessung.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsstrafakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer rügt zunächst, daß der Spruch des angefochtenen Bescheides im Sinne des § 44 a lit. a VStG 1950 mangelhaft und daher mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet sei, da im Spruch ein wesentliches Tatbestandsmerkmal, nämlich die erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung der im Ortsgebiet zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h fehle. Es könne wohl auf eine ziffernmäßige Feststellung der Geschwindigkeitsüberschreitung im Spruch verzichtet werden, nicht jedoch auf die Feststellung der erheblichen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit; diese Feststellung sei als wesentliches Tatbestandsmerkmal anzusehen.

Dazu ist nachstehendes zu bemerken:

Bei der Angabe der als erwiesen angenommenen Tat im Spruch ist es nicht erforderlich, den Vorwurf einer erheblichen Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit ausdrücklich anzuführen. Wenn dem Beschwerdeführer zum Vorwurf gemacht wurde, er habe „... in Wien 13, Fasangartengasse 85, mit dem Pkw W ... die zulässige Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet überschritten“, so ist dieser Vorwurf bei Konkretisierung der als erwiesen angenommenen Tat in dem oben dargestellten Sinne vollkommen ausreichend, weil der Beschwerdeführer damit weiß, daß er die im Ortsgebiet zulässige Geschwindigkeit überschritten haben soll, ohne daß es darauf ankommt, um wieviel sie überschritten wurde und ob dieses Ausmaß als „erheblich“ anzusehen ist (vgl. hg. Erkenntnis vom 28. Jänner 1983, Zl. 82/02/0214, und die dort zitierte Vorjudikatur). Hat somit ein Kraftfahrzeuglenker ein Verhalten gesetzt, wie es der Bestimmung des § 20 Abs. 2 StVO unmittelbar widerspricht, so ist schon damit die als erwiesen angenommene Tat ohne Hinzufügung von Einzelheiten entsprechend konkretisiert.

Weiters rügt der Beschwerdeführer, der Meldungsleger habe bei seiner zeugenschaftlichen Vernehmung auf seine Anzeige sowie auf einen ergänzenden Bericht verwiesen; nur bezüglich seines Standortes sowie der geschätzten Wegstrecke habe er präzise Angaben gemacht. Dies sei nicht ausreichend, um ihn als unwiderlegbar überführt ansehen zu können, zumal er die ihm vorgeworfene Verwaltungsübertretung geleugnet habe. Nur dann, wenn sämtliche Angaben des Meldungslegers in einer Zeugenaussage wiedergegeben würden, könne dies als gültiger und überzeugender Beweis angesehen werden. Der Verwaltungsgerichtshof vermag nun nicht zu erkennen, warum - unter der Voraussetzung, daß bei der Zeugeneinvernahme die Bestimmungen der §§ 49 und 50 AVG 1950 über den Zeugenbeweis eingehalten worden sind - sämtliche von einem Zeugen in seiner Anzeige und etwaigen weiteren ergänzenden Berichten (Relationen) gemachten Angaben in seiner Zeugenaussage bzw. der Zeugenniederschrift wiederholt werden müßten, sofern sämtliche bisherigen Angaben schlüssig sind und keine Widersprüche aufweisen.

Insofern der Beschwerdeführer das Fehlen von Angaben dahingehend bemängelt, durch welche akustischen und optischen Komponenten der Meldungsleger die Geschwindigkeit des von ihm überholten Fahrzeuges festgestellt habe, ist ihm zu erwidern, daß derartige Feststellungen über Vergleichsfahrzeuge entbehrlich sind.

Insofern der Beschwerdeführer rügt, es fehle die ausdrückliche Angabe, daß er während des Schätzvorganges an dem Meldungsleger vorbeigefahren sei, ist dazu festzustellen, daß sich aus der Anzeige, dem Bericht vom 7. Oktober 1982 und insbesondere der Zeugenaussage vom 12. August 1983, in welcher der Meldungsleger unter anderem ausführt, er habe von seinem Standort in der Fasangartengasse in Höhe Nr. 85 Blick bis zur VLSA bei der Kreuzung mit der Stranzenbergstraße und in der anderen Richtung bis zur Kreuzung mit der Pacassistraße gehabt, eindeutig ergibt, daß der Beschwerdeführer am Meldungsleger vorbeigefahren ist. Denn wenn - wie sich aus den Angaben des Meldungslegers in ihrer Gesamtheit ergibt - der Beschwerdeführer bei der Kreuzung Fasangartengasse‑Stranzenbergstraße beschleunigt, kurz nach der Kreuzung Fasangartengasse-Würzburggasse zu überholen begonnen und diesen Überholvorgang vor dem Schutzweg in der Fasangartengasse Nr. 67 beendet hat, wobei ihn der Meldungsleger noch bis zur Kreuzung Fasangartengasse-Pacassistraße beobachten konnte, so muß er notwendigerweise beim Standort des Meldungslegers (Fasangartengasse 85) vorbeigefahren sein. Zu den Einwendungen, es sei kein Lokalaugenschein abgehalten und keine Tatortskizze angefertigt worden sowie daß Angaben darüber fehlten, ob die Sicht des Meldungslegers ungehindert gewesen sei, ist zu sagen, daß der Beschwerdeführer während des Verwaltungsstrafverfahrens nie geltend gemacht hat, daß die Sichtverhältnisse im Tatortbereich zur Tatzeit nicht ausgereicht hätten, um die für eine Schätzung der Geschwindigkeit seines Fahrzeuges notwendigen Beobachtungen machen zu können. Auch aus den detaillierten Angaben des Meldungslegers in der Anzeige über die Fahrzeugart, Marke, Type und Farbe des Fahrzeuges des Beschwerdeführers läßt sich ableiten, daß die Sicht des Meldungslegers auf das Fahrzeug des Beschwerdeführers nicht erheblich beeinträchtigt war. Der belangten Behörde kann daher keine Verletzung von Verfahrensvorschriften vorgeworfen werden, wenn sie dem Beweisantrag des Beschwerdeführers auf Anfertigung einer Tatortskizze und Abhaltung eines Lokalaugenscheines nicht entsprochen hat; aus diesen Beweismitteln hätten sich nämlich keine Schlußfolgerungen auf die vom Beschwerdeführer zur Tatzeit gefahrene Geschwindigkeit ergeben können (vgl. hg. Erkenntnis vom 13. Februar 1985, Zl. 85/18/0031).

Die behauptete Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides liegt daher nicht vor, weshalb die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985.

Wien, am 23. April 1986

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte