VwGH 84/16/0100

VwGH84/16/010027.6.1985

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Karlik und die Hofräte Dr. Närr, Mag. Meinl, Dr. Kramer und Dr. Karger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Schöller, über die Beschwerde der DE in X, vertreten durch Dr. YZ Rechtsanwalt in X, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 16. Februar 1984, Zl. GA 11-326/2/34, betreffend Grunderwerbsteuer, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37
AVG §39 Abs2
AVG §39 Abs2 implizit
AVG §45 Abs2
AVG §45 Abs2 implizit
AVG §51 implizit
BAO §115 Abs1
BAO §166
BAO §183 Abs1
BAO §183 Abs1 implizit
GrEStG 1955 §18 Abs1
GrEStG 1955 §20 Abs6
StGB §289
VStG §25 Abs2 implizit
VwGG §42 Abs2 litc Z3 implizit
VwGG §42 Abs2 Z3 litc implizit

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1985:1984160100.X00

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrenvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 9.810,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Am 26. August 1980 erstattete der nunmehrige Beschwerdevertreter an das Finanzamt X eine Abgabenerklärung gemäß § 18 GrEStG, welche beim Finanzamt am 29. August 1980 einlangte. Nach dem Inhalt dieser Erklärung sei am 12. August 1980 vom öffentlichen Notar in S ein zwischen der Beschwerdeführerin und CB abgeschlossener Kaufvertrag beurkundet worden. Mit diesem Kaufvertrag, dessen undatierte Kopie im Verwaltungsakt erliegt, hatte die Beschwerdeführerin an CB83/3084 Anteile der Liegenschaft EZ nn KG. X Gerichtsbezirk X verkauft. Zu Pkt. VI. dieses Vertrages war festgehalten worden, daß die Grunderwerbsteuer von der Käuferin getragen werde.

Das Finanzamt setzte zunächst gegenüber der Käuferin für den erwähnten Erwerbsvorgang Grunderwerbsteuer fest. Nachdem zwei Zustellversuche hinsichtlich dieses Bescheides ergebnislos verlaufen waren (beim zweiten Mal deshalb, weil die Empfängerin beruflich im Ausland weilte), setzte sodann die Abgabenbehörde erster Instanz gegenüber der Beschwerdeführerin als Gesamtschuldnerin Grunderwerbsteuer in derselben Höhe fest.

Dagegen erhob die Beschwerdeführerin Berufung und brachte darin vor, der diesem Bescheid zugrundeliegende Kaufvertrag vom 12. August 1980 sei mit Vereinbarung zwischen ihr und der Käuferin vom 16. Februar 1981 aufgelöst worden. Diese Auflösungsvereinbarung sei dem Finanzamt am 13. März 1981 angezeigt worden.

Mit Berufungsvorentscheidung vom 14. Jänner 1983 wies das Finanzamt die Berufung als unbegründet ab. Die Behörde begründete dies damit, daß der mit Vereinbarung vom 16. Februar 1981 aufgelöste Kaufvertrag vom 12. August 1980 nicht rechtzeitig, sondern erst am 29. August 1980 - also verspätet - zur Anzeige gebracht worden sei, weshalb § 20 GrEStG nicht "gewährt" werden könne.

In ihrem Vorlageantrag brachte die Beschwerdeführerin vor, das im gegenständlichen Kaufvertrag aufscheinende Ausfertigungsdatum "S am 12. 8. 1980" beziehe sich lediglich auf ihre Unterschrift, nicht jedoch auf die Unterschrift der Käuferin, die erst später, und zwar nicht vor dem 18. August 1980, hinzugesetzt worden sein könne. Der Kaufvertrag sei erst in der Folge durch den Gatten der Beschwerdeführerin der Käuferin zur Unterschrift vorgelegt worden. Demgemäß sei der Kaufvertrag rechtzeitig zur Anzeige gebracht worden. Zum Beweis für ihr Vorbringen berief sich die Beschwerdeführerin auf den Kaufvertrag samt Beglaubigungsvermerk sowie auf ihre Einvernahme als Partei.

Mit Schreiben vom 9. August 1983 teilte die Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland dem Beschwerdevertreter mit, der zum Nachweis des Berufungsvorbringens vorgelegte Kaufvertrag vom 12. August 1980 enthalte keinen schlüssigen Hinweis darauf, daß die Käuferin nicht gleichzeitig mit der Verkäuferin, also am 12. August 1980, den Vertrag unterzeichnet habe. Es erscheine daher eine weitere Beweisführung notwendig. Der Beschwerdevertreter werde ersucht, eine das Berufungsvorbringen unterstützende Erklärung der Käuferin zu beschaffen oder ein Information des die Unterschrift beglaubigenden Notars, aus der sich ergebe, daß am 12. August 1980 nur die Verkäuferin allein den Vertrag unterfertigt habe.

Diese Aufforderung wurde seitens des Beschwerdevertreters nicht beantwortet.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 16. Februar 1984 wies die Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland die Berufung abermals als unbegründet ab. Sie begründet ihre Entscheidung im wesentlichen damit, daß der gegenständliche Vertrag am 12. August 1980 abgeschlossen und am 29. August 1980 zur Grunderwerbsteuerbemessung angezeigt worden sei. Die gesetzliche Anzeigefrist von 2 Wochen sei somit um drei Tage überschritten worden. Die Behauptung der Beschwerdeführerin, der mehrfach genannte Vertrag sei erst nach dem 18. August 1980 zustande gekommen, habe in keiner Weise glaubhaft gemacht werden können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Nach dem Inhalt ihres Vorbringens erachtet sich die Beschwerdeführerin in dem Recht, für den gegenständlichen Erwerbsvorgang Grunderwerbsteuer nicht entrichten zu müssen, verletzt. Sie beantragt, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes bzw. Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 20 Abs. 1 Z. 1 GrEStG wird die Steuer auf Antrag nicht festgesetzt, wenn der Erwerbsvorgang innerhalb von zwei Jahren seit Entstehung der Steuerschuld unter anderem durch Vereinbarung rückgängig gemacht wird. Nach Abs. 6 dieser Gesetzesstelle gelten die Vorschriften der Absätze 1 bis 4 nur, wenn beim rückgängig gemachten Erwerbsvorgang oder bei dem dem Rückerwerb vorausgegangenen Erwerbsvorgang oder bei dem Erwerbsvorgang, für den die Gegenleistung herabgesetzt wurde, die Steuerschuldner ihrer Offenlegungs- und Wahrheitspflicht rechtzeitig nachgekommen sind.

Die Beschwerdeführerin bringt im Rahmen ihrer Rechtsrüge zunächst vor, bei der Verspätung von drei Tagen könne nicht davon gesprochen werden, daß der Erwerbsvorgang nicht ordnungsgemäß angezeigt worden sei.

Diese Rechtsansicht ist unzutreffend. Gemäß § 18 Abs. 1 GrEStG beträgt die Frist zur Vorlage der Abgabenerklärung zwei Wochen ab der Verwirklichung des Erwerbsvorganges. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem auch von der belangten Behörde erwähnten Erkenntnis vom 18. Juni 1976, Zl. 2241/74, dargetan hat, ist die Anzeige des rückgängig gemachten Erwerbsvorganges auch schon dann nicht ordnungsgemäß erfolgt, wenn sie nur geringfügig und versehentlich verspätet erstattet wurde.

Im Beschwerdefall langte die gemäß § 18 GrEStG erstattete Abgabenerklärung bei der Abgabenbehörde erster Instanz am 29. August 1980 ein, was - ausgehend von einem Vertragsabschluß am 12. August 1980 - jedenfalls verspätet gewesen wäre. Zwar werden gemäß § 108 Abs. 4 BAO die Tage des Postenlaufes in die Frist nicht eingerechnet, jedoch hat die Beschwerdeführerin niemals behauptet, daß die Abgabenerklärung etwa auf dem Postwege dem Finanzamt übermittelt worden wäre. Sie bestreitet auch in der Beschwerde nicht, daß die Abgabenerklärung erst am 29. August 1980 bei der Abgabenbehörde erster Instanz angezeigt wurde.

Wenn die Beschwerdeführerin in ihrer Rechtsrüge weiters ausführt, die Vertragsurkunde selbst enthalte sehr wohl einen Anhaltspunkt dafür, daß die Unterzeichnung durch die damalige Verkäuferin nach der Unterschrift der Beschwerdeführerin erfolgt sei, bekämpft sie damit in Wahrheit die Beweiswürdigung der angefochtenen Behörde. Die behauptete Rechtswidrigkeit des Inhaltes haftet daher dem angefochtenen Bescheid nicht an.

Hingegen ist die Verfahrensrüge der Beschwerdeführerin berechtigt. Zwar wäre der Hinweis der Beschwerdeführerin, daß die Unterschrift der Käuferin nach der Unterschrift der Beschwerdeführerin auf der Urkunde aufscheint, nicht geeignet, die Beweiswürdigung der belangten Behörde als unschlüssig erkennen zu lassen, weil sich aus der Reihenfolge der Unterschriften kein Hinweis auf deren Zeitpunkt ergibt.

Mit Recht bemängelt die Beschwerdeführerin jedoch, daß das von ihr angebotene Beweismittel der Vernehmung ihrer Person nicht durchgeführt wurde. Wenn die belangte Behörde hiezu in ihrer Gegenschrift meint, die Beschwerdeführerin habe in eigener Sache nicht als "Zeugin" auftreten können, übersieht sie die Vorschrift des § 166 BAO, wonach als Beweismittel im Abgabenverfahren alles in Betracht kommt, was zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes geeignet und nach Lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist. Obwohl der BAO eine dem § 51 AVG 1950 entsprechende, ausdrückliche Bestimmung über die Vernehmung von Beteiligten fremd ist, besteht doch auf Grund der Vorschrift des § 166 BAO kein Hindernis, auch die Einvernahme der Partei als Beweismittel heranzuziehen; dies freilich in eben dieser Eigenschaft als Partei und nicht etwa, wie Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechtes3, S 119, meinen, als Zeuge und damit unter "sanktionierter Wahrheitspflicht (§ 289 StGB)". Dies ergibt sich nicht nur aus der rein begrifflichen Unterscheidung zwischen dem Abgabepflichtigen als Partei des Verfahrens und dem gegenüber dem Verfahren außenstehenden Zeugen, sondern unter anderem auch daraus, daß das Gesetz selbst, etwa in § 171 Abs. 1 lit. b BAO, zwischen dem Zeugen und dem Abgabepflichtigen ausdrücklich unterscheidet.

Soweit die belangte Behörde hiezu weiters ausführt, die Beschwerdeführerin habe ihren Standpunkt "schriftlich klar und deutlich" vorgetragen, verwechselt sie offenbar den als "Anbringen" im Sinne des § 85 BAO zu qualifizierenden Inhalt der von der Beschwerdeführerin erstatteten Schriftsätze mit den zum Nachweis dieses Anbringens dienenden Beweismitteln gemäß § 166 leg. cit., zu denen - wie dargelegt - auch die Vernehmung der Partei gehört. Nur diese sind übrigens der nach der Vorschrift des § 167 Abs. 2 BAO vorzunehmenden Beweiswürdigung zugänglich.

Auch der von der belangten Behörde ins Treffen geführte Umstand, daß die Beschwerdeführerin die Aufforderung der belangten Behörde, eine Erklärung der Verkäuferin oder eine Information des Notars beizuschaffen, unbeantwortet ließ, vermag an der Beurteilung des Streitfalles nichts zu ändern. Gemäß § 115 Abs. 1 BAO haben die Abgabenbehörden die abgabepflichtigen Fälle zu erforschen und von Amts wegen die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu ermitteln, die für die Abgabepflicht und die Erhebung der Abgaben wesentlich sind. Nach Abs. 3 dieser Gesetzesstelle haben die Abgabenbehörden Angaben der Abgabepflichtigen und amtsbekannte Umstände auch zugunsten der Abgabepflichtigen zu prüfen und zu würdigen. Gemäß § 183 Abs. 1 BAO sind Beweise von Amts wegen oder auf Antrag aufzunehmen. Zwar normiert § 138 Abs. 1 BAO die Obliegenheit der Abgabepflichtigen, in Erfüllung ihrer Offenlegungspflicht zur Beseitigung von Zweifeln den Inhalt ihrer Anbringen zu erläutern und zu ergänzen sowie dessen Richtigkeit zu beweisen. Die Nichtvorlage der von der Partei verlangten Nachweise enthob jedoch die belangte Behörde bei der gegebenen Sachlage nicht der Aufgabe, den maßgebenden Sachverhalt erschöpfend von Amts wegen zu ermitteln (vgl. die Erkenntnisse vom 16. April 1980, Zl. 2783/79, und vom 26. November 1982, Zl. 82/04/0035, ähnlich auch vom 27. September 1972, Zlen. 997, 998/72).

Anders läge der Fall, wenn eine amtswegige Beweisaufnahme unmöglich oder unzumutbar wäre. Dies träfe etwa dann zu, wenn Umstände vorlägen, die die belangte Behörde ohne Mitwirkung des Abgabepflichtigen nur unvollständig oder gar nicht ermitteln könnte (vgl. die Erkenntnisse vom 21. Oktober 1982, Zl. 82/16/0032, und vom 14. November 1983, Zl. 83/12/0004). Daß solche Umstände im Beschwerdefall vorlägen, ist nicht zu erkennen; wenn daher die belangte Behörde eine Beweisaufnahme durch Vernehmung der seinerzeitigen Käuferin und des öffentlichen Notars für notwendig erachtete, bestand kein Hindernis, diese Einvernahmen von Amts wegen durchzuführen. Die belangte Behörde konnte sich dieser Pflicht nicht durch Erteilung der erwähnten Aufträge an die Beschwerdeführerin entziehen.

Die belangte Behörde hat daher Verfahrensvorschriften verletzt, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Der angefochtene Bescheid war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Auf die Frage, ob die belangte Behörde das von ihr auszuübende Ermessen bei der Heranziehung der Beschwerdeführerin als Gesamtschuldnerin (§ 17 Z. 4 GrEStG, §§ 6 Abs1 und 20 BAO) richtig gehandhabt hat (vgl. hiezu u.a. das hg. Erkenntnis vom 21. Februar 1985, Zl. 84/16/0027, und die dort angeführte weitere Rechtsprechung), ist in diesem Verfahrensstadium nicht einzugehen, weil zunächst das Bestehen der Abgabenschuld selbst in Frage steht.

Von der von der Beschwerdeführerin beantragten Verhandlung war gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 und 6 VwGG abzusehen.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985, insbesondere deren Art. III Abs. 2. Stempelgebühren können nur im notwendigen Ausmaß zugesprochen werden.

Hinsichtlich der oben genannten, unveröffentlichten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes sei an Art. 14 Abs. 4 seiner Geschäftsordnung, BGBl. Nr. 45/1965, erinnert.

Wien, am 27. Juni 1985

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