LVwG Niederösterreich LVwG-AV-731/002-2021

LVwG NiederösterreichLVwG-AV-731/002-202122.10.2021

BauO NÖ 2014 §29
BauO NÖ 2014 §70 Abs16
AVG 1991 §57

European Case Law Identifier: ECLI:AT:LVWGNI:2021:LVwG.AV.731.002.2021

 

 

 

IM NAMEN DER REPUBLIK

 

 

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch HR Mag. Janak-Schlager als Einzelrichter über die Beschwerde des A und des B, beide in ***, sowie der C in *** (Deutschland), alle vertreten durch die D rechtsanwaelte gmbh in ***, gegen den Bescheid des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde *** vom 18.03.2021, ***, betreffend die Zurückverweisung eines Verfahrens zur Erlassung baupolizeilicher Aufträge nach der NÖ Bauordnung 2014 (NÖ BO 2014) an die Baubehörde I. Instanz, zu Recht:

 

1. Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs 1 und 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) Folge gegeben und der angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert, dass der Spruch zu lauten hat: „Der Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde *** vom 23.09.2020, ***, wird ersatzlos behoben.“

 

2. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG) eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B‑VG) nicht zulässig.

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Zum verwaltungsbehördlichen Verfahren:

 

Aus dem Inhalt des von der Marktgemeinde *** vorgelegten unbedenklichen Verfahrensaktes ergibt sich folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt:

 

Mit Mandatsbescheid vom 09.01.2020, ***, untersagte der Bürgermeister der Marktgemeinde *** den nunmehrigen Beschwerdeführern gemäß § 29 Abs 1 Z 1 NÖ BO 2014 die Fortsetzung der Ausführung des Bauvorhabens Errichtung von Einfriedungen (in Form von Betonleitwänden), welche gegen die öffentliche Verkehrsfläche gerichtet werden, innerhalb eines Abstandes von 7 m von der vorderen Grundstücksgrenze, entlang der Grenzen des Grundstückes Nr. ***, KG ***, hin zu den als öffentliches Gut gewidmeten Grundstücken Nr. *** und ***.

 

Unter Spruchpunkt II. verfügte der Bürgermeister gemäß § 29 Abs 2 NÖ BO 2014 „den Abbruch der bereits ausgeführten, unter Punkt I. näher beschriebenen Einfriedung und daher die Herstellung eines Zustandes, der dem vorherigen entspricht.“

 

Als Erfüllungsfrist wurde eine Frist von fünf Tagen ab Rechtskraft dieses Spruchpunktes festgesetzt und ergänzend ausgeführt, dass die Einbringung einer Vorstellung gemäß § 57 Abs 2 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) keine aufschiebende Wirkung habe.

 

Aufgrund der am 23.01.2020 gegen diesen Bescheid per E-Mail eingebrachten Vorstellung der Beschwerdeführer wurde deren Rechtsvertreterin mit Schreiben des Bürgermeisters vom 29.01.2020 mitgeteilt, dass gemäß § 57 Abs 3 AVG das Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sei.

 

Am 10.02.2020 wurde von der Baubehörde mit einem bautechnischen Amtssachverständigen des Gebietsbauamtes *** eine Niederschrift verfasst, in der der Sachverständige zu dem Schluss kam, dass es sich bei den Betonleitwänden um keine bauliche Anlage gemäß NÖ BO 2014 handle, jedoch würden diese eine Einfriedung auf einer Gesamtlänge von ca. 120 m darstellen.

 

Zum Zeitpunkt der am 10.02.2020 erfolgten Befundaufnahme durch den Sachverständigen befanden sich entlang der gewidmeten Verkehrsfläche im „Bereich 1“ 33 Stück Betonleitwände, im „Bereich 2“ weitere zwei Stück. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 30.04.2020 gab der Sachverständige zur Frage des Bestehens von Gefahr im Verzug zusammengefasst an, dass sich durch das Aufstellen der Betonleitwände in einer Entfernung von 40 cm von der Fahrbahn eine neue Fahrbahnbreite von lediglich ca. 5,5 m ergeben habe, sodass es nicht auszuschließen sei, dass bei Gegenverkehr zwischen z.B. LKW, landwirtschaftlichen Fahrzeugen o.ä., Fahrzeuge gezwungen seien, über den Gehsteigbereich auszuweichen, was eine Gefährdung von Personen bedeute. Zudem sei nachvollziehbar, dass die Behörde zum damaligen Zeitpunkt eine Gefahr im Verzug zum Sachwertschutz von Fahrzeugen und zur Vermeidung von Beeinträchtigungen im Winterdienst erkannt habe.

 

Schließlich wurde mit Bescheid des Bürgermeisters vom 23.09.2020, ***, „der Antrag der Vorstellungswerber vom 23.01.2020, der Bürgermeister der Marktgemeinde *** als Baubehörde I. Instanz möge den Mandatsbescheid vom 09.01.2020, GZ: ***, nach Einleitung des Ermittlungsverfahrens ersatzlos beheben“, abgewiesen.

 

Der Gemeindevorstand der Marktgemeinde *** entschied mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 18.03.2021, ***, unter Spruchpunkt 1, dass der Berufung gemäß § 66 Abs 2 AVG insofern Folge gegeben werde, als der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung, zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung und zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Baubehörde I. Instanz zurückverwiesen werde. Unter Spruchpunkt 2 wurde der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Berufung abgewiesen.

 

Begründend wurde – soweit für die Zurückverweisung relevant – zusammengefasst ausgeführt, dass die Gefahrengeneigtheit bzw. die von der Baubehörde I. Instanz bei Erlassung ihres auf § 57 Abs 1 AVG gestützten Mandatsbescheides angenommene konkrete Gefahrensituation in Bezug auf die Sicherheit und Flüssigkeit des Verkehrs, die von der Gemeinde auszuübenden Verkehrssicherungspflichten, insbesondere des Winterdienstes und schließlich die konkrete Gefährdung von Leib und Leben von einem verkehrstechnischen Sachverständigen beurteilt werden müssten. Überdies vertrete die Berufungsbehörde die Ansicht, dass eine derartige verkehrstechnische Beurteilung, zweifellos unter Einbeziehung der bisherigen Ermittlungsergebnisse, eine konkrete Einschätzung der örtlichen Gegebenheiten erfordere, zu der nicht zuletzt zur Wahrung des Parteiengehörs, insbesondere auch die Beschwerdeführer beizuziehen seien. Eine solche unmittelbare Befundaufnahme unter Beiziehung eines verkehrstechnischen Sachverständigen könne nach Einschätzung der Berufungsbehörde nur im Rahmen einer vor Ort durchgeführten mündlichen Verhandlung gewährleistet werden.

 

2. Zum Beschwerdevorbringen:

 

Dagegen richtet sich die vorliegende fristgerecht eingebrachte Beschwerde. Darin wird (nach Verweis auf bisheriges Vorbringen) im Wesentlichen geltend gemacht, dass der Vorstellungsbescheid des Bürgermeisters vom 23.09.2020 kein vollstreckbarer Bescheid iSd § 58 AVG sei. Der Vorstellungsbescheid ersetze den Mandatsbescheid und habe die Behörde darüber abzusprechen, ob das Mandat aufrecht bleibe, behoben oder abgeändert werde. Der Mandatsbescheid vom 09.01.2020 sei mit Erhebung der Vorstellung außer Kraft getreten. Der Spruch des Vorstellungsbescheides beschränke sich darauf, dass die Vorstellung der Beschwerdeführer abgewiesen werde. Einen Abspruch hinsichtlich des rechtlichen Schicksals des Mandatsbescheides habe die Baubehörde I. Instanz gänzlich vermissen lassen und damit den Beschwerdeführern die zweckentsprechende Rechtsverfolgung verwehrt, da keine „Sache“ iSd AVG vorliege. Da der Vorstellungsbescheid den Mandatsbescheid ersetze und der Bescheidspruch neben der Abweisung der Vorstellung keine weiteren Leistungspflichten aufweise, sei er nicht vollstreckbar. Gleichzeitig sei der Mandatsbescheid zur Gänze aus dem Rechtsbestand ausgeschieden. Die belangte Behörde hätte daher den Vorstellungsbescheid ersatzlos beheben müssen.

Hinsichtlich des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung der Berufung wurde in der Beschwerde ausgeführt, dass mit der Durchführung einer allfälligen Ersatzvornahme, konkret mit einer behördlichen Entfernung der Betonleitwände, für die Beschwerdeführer ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre. Gegen den mit dem Anbringen der Betonleitwände verfolgten Schutz des Grundstückes ***, KG ***, vor einer widmungswidrigen Nutzung und gegen unberechtigte Eingriffe Dritter in das Eigentumsrecht seien bereits Besitzstörungsklagen gegen die Beschwerdeführer erhoben worden, welche noch nicht rechtskräftig abgeschlossen seien, jedoch habe das Erstgericht die Besitzstörungsklage abgewiesen. Die Durchführung der Güterabwägung schlage zugunsten der Beschwerdeführer aus, da der Schutz des Eigentums und die Einhaltung der rechtlichen Vorgaben (NÖ ROG) über jeglichen Interessen Dritter (rechtswidrige Nutzung der für Dritte fremden Grundfläche) stehe.

Schließlich sei über wesentliche Beschwerdepunkte von der belangten Behörde nicht entschieden worden.

 

Mit Schreiben der Marktgemeinde *** vom 20.04.2021 wurden dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich die Verfahrensakten zur Entscheidung über diese Beschwerde vorgelegt.

 

3. Zum durchgeführten Ermittlungsverfahren:

 

Da die gegenständliche Beschwerde gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG nicht zurückzuweisen bzw. das Beschwerdeverfahren nicht einzustellen war, hatte das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich darüber gemäß § 28 Abs 2 VwGVG in der Sache selbst zu entscheiden.

 

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den unbedenklichen Verfahrensakt der belangten Behörde und das öffentliche Grundbuch.

 

Das erkennende Gericht hat im Hinblick auf die Frist des § 57 Abs 3 AVG den Bürgermeister der Marktgemeinde *** mit Schreiben vom 26.08.2021 um Auskunft dahingehend ersucht, welche konkreten Ermittlungsschritte zu welchem Zeitpunkt gesetzt wurden, und aufgetragen, fehlende Aktenteile dazu vorzulegen.

 

Der Bürgermeister beantwortete diese Anfrage am 31.08.2021 wie folgt:

Am Anfang des Jahres werden bereits einige Termine mit dem ASV für Bautechnik E vereinbart, damit eine Bearbeitung der Bauvorhaben in einer angemessenen Zeit möglich ist.

Die Anforderung dieser Termine erfolgt je Termin immer per Email beim Gebietsbauamt ***.

 

Wie sie sehen können wurde auch der Termin vom 10.02.2020 bereits am 09.01.2020 per Email beim Gebietsbauamt *** angefordert.

Dieser Termin wurde gleich dazu genutzt um die Niederschrift für das Ermittlungsverfahren zu erstellen.“

 

Angeschlossen war dieser Mitteilung ein Schreiben vom 09.01.2020, worin um Beistellung des Bausachverständigen am 10.02.2020 ersucht wurde.

 

4. Feststellungen und Beweiswürdigung:

 

Die Beschwerdeführer sind je zu einem Drittel Eigentümer des Grundstückes Nr. ***, EZ ***, in der Katastralgemeinde ***.

 

Mit Mandatsbescheid vom 09.01.2020 untersagte der Bürgermeister der Marktgemeinde *** den Beschwerdeführern gemäß § 29 Abs 1 Z 1 NÖ BO 2014 „die Fortsetzung der Ausführung des Bauvorhabens Errichtung von Einfriedungen (in Form von Betonleitwänden) welche gegen die öffentliche Verkehrsfläche gerichtet werden, innerhalb eines Abstandes von 7 m von der vorderen Grundstücksgrenze“, entlang der Grenzen des Grundstückes Nr. ***, KG ***, hin zu den als öffentliches Gut gewidmeten Grundstücken Nr. *** und ***, KG ***, und wurde gemäß § 29 Abs 2 NÖ BO 2014 der Abbruch der bereits ausgeführten unter Punkt I. näher beschriebenen Einfriedung und daher die Herstellung eines Zustandes, der dem vorherigen entspricht, verfügt.

 

Ebenfalls am 09.01.2020 wurde vom Bürgermeister ein Termin mit dem Bausachverständigen am 10.02.2020 angefordert.

 

Am 23.01.2020 langte die von den Beschwerdeführern gegen diesen Mandatsbescheid mittels E-Mail fristgerecht erhobene Vorstellung bei der Baubehörde ein. Mit Schreiben vom 29.01.2020 wurde der Rechtsvertreterin der Beschwerdeführer mitgeteilt, dass das Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sei. Konkrete Ermittlungsschritte sind im Bauakt nicht dokumentiert.

 

Erst am 10.02.2020 befasste sich der bautechnische Amtssachverständige mit der Angelegenheit und wurde darüber eine Niederschrift verfasst.

 

Die am 09.01.2020 erfolgte Anforderung des Termins mit dem bautechnischen Amtssachverständigen am 10.02.2020 war ohne konkrete Bezugnahme auf ein bestimmtes Bauvorhaben. Die zu Jahresbeginn mit dem Bausachverständigen vereinbarten Termine dienten allgemein dem Zweck, dass „eine Bearbeitung der Bauvorhaben in einer angemessenen Zeit möglich ist“. Dass eine konkrete Terminvereinbarung für die gegenständliche Angelegenheit nicht vorlag, ergibt sich auch aus der Mitteilung des Bürgermeisters vom 31.08.2021, dass der Termin am 10.02.2020 „gleich dazu genutzt“ worden sei, um die Niederschrift für das Ermittlungsverfahren zu erstellen. Die erste konkrete Befassung mit der gegenständlichen Angelegenheit (in der Sache selbst) nach Einlangen der Vorstellung erfolgte demnach am 10.02.2020.

 

Mit Bescheid des Bürgermeisters vom 23.09.2020 wurde die Vorstellung abgewiesen.

 

Mit dem gegenständlich angefochtenen Berufungsbescheid des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde *** vom 18.03.2021 wurde der erstinstanzliche Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung, zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung und zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Baubehörde I. Instanz zurückverwiesen. Der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Berufung wurde abgewiesen.

 

Zu diesen Feststellungen gelangt das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich aufgrund des gesamten vorgelegten verwaltungsbehördlichen Verfahrensaktes sowie der Mitteilung des Bürgermeisters der Marktgemeinde *** vom 31.08.2021, sodass der entscheidungsrelevante Sachverhalt zweifellos aufgrund der im Akt befindlichen Unterlagen sowie der vom Gericht durchgeführten Ermittlung konstatiert werden konnte.

 

5. Rechtslage:

 

§ 57 AVG lautet:

„(1) Wenn es sich um die Vorschreibung von Geldleistungen nach einem gesetzlich, statutarisch oder tarifmäßig feststehenden Maßstab oder bei Gefahr im Verzug um unaufschiebbare Maßnahmen handelt, ist die Behörde berechtigt, einen Bescheid auch ohne vorausgegangenes Ermittlungsverfahren zu erlassen.

(2) Gegen einen nach Abs. 1 erlassenen Bescheid kann bei der Behörde, die den Bescheid erlassen hat, binnen zwei Wochen Vorstellung erhoben werden. Die Vorstellung hat nur dann aufschiebende Wirkung, wenn sie gegen die Vorschreibung einer Geldleistung gerichtet ist.

(3) Die Behörde hat binnen zwei Wochen nach Einlangen der Vorstellung das Ermittlungsverfahren einzuleiten, widrigenfalls der angefochtene Bescheid von Gesetzes wegen außer Kraft tritt. Auf Verlangen der Partei ist das Außerkrafttreten des Bescheides schriftlich zu bestätigen.“

 

Gemäß § 70 Abs 16 NÖ BO 2014 idgF sind die am Tag des Inkrafttretens der Bestimmungen der NÖ Bauordnung 2014, LGBl 32/2021, (Abs 14) anhängigen Verfahren nach den bisherigen Bestimmungen zu Ende zu führen.

 

§ 29 NÖ BO 2014 idF LGBl 1/2015 (Baueinstellung) lautet:

„(1) Die Baubehörde hat die Fortsetzung der Ausführung eines Bauvorhabens zu untersagen, wenn1. die hiefür notwendige Baubewilligung (§ 23) oder Anzeige (§ 15) nicht vorliegt oder2. bei einem bewilligten Vorhaben kein oder kein geeigneter Bauführer bestellt ist.

(2) Im Fall des Abs. 1 Z 1 hat die Baubehörde ungeachtet eines anhängigen Antrages nach § 14 oder einer anhängigen Anzeige nach § 15 die Beseitigung der ohne Baubewilligung oder Anzeige ausgeführten Teile des Bauvorhabens und gegebenenfalls die Herstellung eines Zustandes, der dem vorherigen entspricht, zu verfügen.“

 

6. Erwägungen:

 

Unbestritten handelt es sich beim Bescheid vom 09.01.2020 um einen Mandatsbescheid im Sinne des § 57 AVG.

 

Die Vorstellung gegen diesen Bescheid, korrekt bezeichnet und gerichtet an den Bürgermeister, langte am 23.01.2020 bei der Gemeinde ein. Die zweiwöchige Frist gemäß § 57 Abs 3 AVG zur Einleitung des Ermittlungsverfahrens endete demnach am 06.02.2020.

 

Mit Schreiben vom 29.01.2020 teilte der Bürgermeister mit, dass das Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sei. Zwar ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Einleitung des Ermittlungsverfahrens iSd § 57 Abs 3 AVG eine bestimmte Art von Ermittlungen oder eine bestimmte Form nicht vorgeschrieben, jedoch kommt es danach vielmehr darauf an, dass die Behörde eindeutig zu erkennen gibt, dass sie sich nach der Erhebung der Vorstellung durch die Anordnung von Ermittlungen mit der den Gegenstand des Mandatsbescheides bildenden Angelegenheit befasst. Dies kann auch durch einen rein innerbehördlichen Vorgang (z.B. durch eine Anfrage an eine andere Abteilung derselben Behörde, VwGH Ra 2017/11/0255) erfüllt werden (VwGH Ro 2014/16/0075).

 

Gemäß § 57 Abs 3 AVG ist entscheidend, ob die Behörde eindeutig zu erkennen gibt, dass sie sich nach Erhebung der Vorstellung durch die Anordnung von Ermittlungen mit der den Gegenstand des Mandatsbescheides bildenden Angelegenheit befasst (VwGH 2006/11/0159).

 

Die mit Schreiben vom 29.01.2020 vorgenommene Verständigung von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens stellt für sich noch keinen in einem Ermittlungsverfahren unternommenen Verfahrensschritt dar. Sie dient weder der Ermittlung eines maßgeblichen Sachverhaltes noch gibt sie der Partei Gelegenheit, ihre Rechte oder rechtlichen Interessen geltend zu machen (VwGH 94/11/0202).

 

Die Terminanfrage an den Sachverständigen vom 09.01.2020 diente allgemein dem Zweck der raschen Bearbeitung von nicht näher definierten Bauvorhaben. Abgesehen davon, dass die Terminvereinbarung nicht in Bezug auf die verfahrensgegenständliche Angelegenheit erfolgte, liegt der Zeitpunkt (deckungsgleich mit der Datierung des Mandatsbescheides) nicht nach Einlangen der Vorstellung iSd § 57 Abs 3 AVG, sodass auch hinsichtlich dieser Terminvereinbarung nicht von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ausgegangen werden kann.

 

Mangels Einleitung eines Ermittlungsverfahrens bis spätestens 06.02.2020 trat daher der Mandatsbescheid vom 09.01.2020 gemäß § 57 Abs 3 AVG von Gesetzes wegen außer Kraft. Durch das Außerkrafttreten des Mandatsbescheides war jedoch eine Zuständigkeit des Bürgermeisters zur Entscheidung über die Vorstellung nicht mehr gegeben, sodass der Bescheid vom 23.09.2020 unzuständigerweise erlassen wurde.

 

Spricht eine Berufungsbehörde über eine Angelegenheit in der Sache ab, die nicht Gegenstand des unterinstanzlichen Bescheides gewesen ist, leidet der Berufungsbescheid an Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der Rechtsmittelbehörde, weil eine derartige Entscheidung nicht in ihre funktionelle Kompetenz fällt (vgl. VwGH vom 2003/20/0138). Überdies verletzt die Sachentscheidung das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht der Partei auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (VfSlg 9537/1982; 14.087/1995). Gleiches muss für den Fall gelten, wenn die Vorstellungsbehörde über einen Mandatsbescheid abspricht, der dem Rechtsbestand nicht mehr angehört, zumal Prozessgegenstand des Vorstellungsverfahrens der Mandatsbescheid ist (VwGH 2002/18/0241).

 

Daher hätte bereits die belangte Behörde den Bescheid vom 23.09.2020 wegen Unzuständigkeit des Bürgermeisters als rechtswidrig aufheben müssen.

 

Verletzungen von Rechten der Beschwerdeführer betreffend die Entscheidung durch eine unzuständige Behörde sind gemäß § 27 VwGVG – aber auch nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. VwGH 83/05/0137) – selbst dann wahrzunehmen, wenn sie nicht geltend gemacht wurden. Der Beschwerde war daher Folge zu geben und der Bescheid des Bürgermeisters vom 23.09.2020 aufzuheben, ohne auf das Vorbringen der Beschwerdeführer in der Sache näher einzugehen.

 

Das erkennende Gericht verkennt dabei nicht den Umstand, dass ein Außerkrafttreten des Mandatsbescheides die Behörde nicht daran hindert, nachträglich ein Ermittlungsverfahren einzuleiten und sodann in der Sache neuerlich zu entscheiden (VwGH 2000/11/0276). Im konkreten Fall lautete der Spruch des Vorstellungsbescheides vom 23.09.2020 dahingehend, dass „der Antrag der Vorstellungswerber vom 23.01.2020, der Bürgermeister der Marktgemeinde *** als Baubehörde I. Instanz möge den Mandatsbescheid vom 09.01.2020, GZ: ***, nach Einleitung des Ermittlungsverfahrens ersatzlos beheben“, abgewiesen wurde. Es liegt daher schon aufgrund des Wortlautes des Spruches keine vom Mandatsbescheid unabhängige eigenständige neue Sachentscheidung vor.

 

Im Übrigen wäre diesbezüglich noch festzuhalten, dass eine Untersagung der Fortsetzung einer Bauführung gemäß § 29 NÖ BO 2014 nur in jenen Fällen in Betracht kommt, in denen das Bauvorhaben noch nicht fertiggestellt ist. War die Bauführung schon vor Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides abgeschlossen, darf der Beseitigungsauftrag nicht auf § 29 NÖ BO 2014, sondern nur auf § 35 Abs 2 Z 2 NÖ BO 2014 gestützt werden (VwGH Ra 2016/05/0066).

 

Aus den Fotos in der Stellungnahme des Sachverständigen vom 10.02.2020 ist ersichtlich, dass die Beschwerdeführer ihr Ziel, die öffentliche Verkehrsfläche von ihrem Grundstück durch das Aufstellen von Betonleitwänden abzutrennen, zu diesem Zeitpunkt bereits vollständig verwirklicht hatten. Ebenso ergibt sich aus dieser Stellungnahme, dass sich zum Zeitpunkt der Befundaufnahme in den Bereichen 1 und 2 insgesamt 35 Stück dieser Betonleitwände befunden haben. In diesem Zusammenhang ist überdies unter Hinweis auf das Verfahren zu LVwG-718/001-2021 davon auszugehen, dass zum Zeitpunkt der Erlassung des Vorstellungsbescheides vom 23.09.2020 die Abgrenzung des Grundstückes der Beschwerdeführer zur öffentlichen Verkehrsfläche in Form von 35 Stück Betonleitwänden bereits fertiggestellt war.

 

Gegenstand des Verfahrens zu LVwG-AV-718/001-2021 ist ein in erster Instanz gemäß § 35 Abs 2 Z 2 NÖ BO 2014 mit Bescheid vom 23.09.2020, ***, erlassener Abbruchauftrag für 35 Stück (näher definierte) Betonblöcke, welcher von der Berufungsbehörde in einen Unterlassungsauftrag (Verwendung des Grundstückes als Lagerplatz) abgeändert wurde. Somit ergibt sich auch aus dem zeitlichen Zusammenhang – sowohl der Vorstellungsbescheid wie auch der erstinstanzliche Abbruchauftrag sind mit 23.09.2020 datiert –, dass eine Untersagung der Fortsetzung der Bauführung gemäß § 29 NÖ BO 2014 aufgrund dessen, dass diese bereits abgeschlossen war, nicht mehr in Betracht kam.

 

Eine Interpretation des Vorstellungsbescheides vom 23.09.2020 dahingehend, dass es sich hierbei um eine – nach verspäteter Einleitung des Ermittlungsverfahrens – neuerliche Entscheidung in der Sache handelt, kommt einerseits aus dem Wortlaut des Spruches nicht in Betracht. Darüber hinaus erfolgte eben jene Entscheidung in der Sache mit Bescheid des Bürgermeisters vom 23.09.2020, ***, in Form eines baupolizeilichen Abbruchauftrages, sodass eine derartige „Umdeutung“ auch unter dem Gesichtspunkt einer bereits entschiedenen bzw. einer „zweimaligen Entscheidung in derselben Sache zum selben Zeitpunkt“ nicht möglich ist.

 

Mit der nunmehrigen Entscheidung ist der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Berufung gegen den (hiermit aufgehobenen) Bescheid des Bürgermeisters vom 23.09.2020, ***, gegenstandslos und kann ein gesonderter Abspruch hierüber entfallen.

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

 

Diese Entscheidung konnte gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG unter Entfall der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung getroffen werden, da bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

 

7. Zur Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

 

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da im gegenständlichen Verfahren keine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art 133 Abs 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil die Entscheidung nicht von der zitierten, als einheitlich zu wertenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht. Zudem stellen die – hier im Einzelfall beurteilten – Fragen keine „Rechtsfragen von grundsätzlicher, über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung“ (VwGH Ro 2014/01/0033) dar.

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