BVwG G316 2298936-1

BVwGG316 2298936-12.4.2025

AsylG 2005 §10 Abs3
AsylG 2005 §55 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs3
FPG §52 Abs9
FPG §55

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2025:G316.2298936.1.00

 

Spruch:

 

G316 2298936-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Katharina MUCKENHUBER über die Beschwerde von XXXX , StA. Serbien, vertreten durch Mag. Stefan ERRATH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.08.2024, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. stattgegeben und XXXX eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ gemäß § 55 Abs. 1 AsylG für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

II. Die Spruchpunkte II. bis IV. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Am XXXX stellte die serbische Staatsangehörige XXXX (im Folgenden: BF) beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom XXXX wurde dieser Antrag gemäß § 55 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 10 Abs. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der BF gemäß § 46 FPG nach Serbien zulässig sei (Spruchpunkt III.) und die Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage betrage (Spruchpunkt IV).

Begründend führte die belangte Behörde dazu im Wesentlichen aus, dass sich die BF unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. In Österreich leben zwar ihr Ehegatte sowie ihre beiden minderjährigen Kinder. Sie sei jedoch nicht Mitglied in einem Verein oder einer Organisation und ihre Integration sei nicht derart, als dass eine Rückkehrentscheidung unzulässig wäre. Die BF habe offensichtlich nicht die österreichischen Wertevorstellungen verinnerlicht und ignoriere die aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen. Ihr Aufenthalt könne zudem unmittelbar zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen. Im Ergebnis seien daher die festgestellten individuellen Interessen der BF im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht so ausgeprägt, weshalb die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der fremdenpolizeilichen und aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen höher zu werten seien.

Gegen diesen Bescheid erhob die BF durch ihre rechtliche Vertretung fristgerecht Beschwerde und führte dazu im Wesentlichen aus, dass sie in Österreich in Familiengemeinschaft mit ihrem aufenthaltsberechtigten Ehegatten sowie ihren beiden gemeinsamen Kindern, die beide im Besitz von Aufenthaltstitel seien, lebe. Es liege auch keine von Anfang an beabsichtigte Umgehung der Einwanderungsvorschriften vor. Der Ehegatte der BF bringe zwar ein weit überdurchschnittliches Einkommen ins Verdienen, aufgrund der hohen monatlichen regelmäßigen Belastungen genüge das Einkommen jedoch nicht, um den allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 5 NAG zu genügen. Die von der Behörde angenommene Mittellosigkeit sei zudem aufgrund des gesetzlichen Unterhaltsanspruches gegenüber dem Ehegatten nichtzutreffend.

Die Beschwerde wurde mit dem maßgeblichen Verwaltungsakt am 12.09.2024 dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.

Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 13.08.2024 wurde die Rechtssache mit Wirksamkeit vom 16.09.2024 der Gerichtsabteilung G316 zugewiesen.

Am 19.02.2025 fand am Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung in Anwesenheit der BF und ihres Rechtsvertreters sowie im Beisein einer Dolmetscherin für die serbische Sprache statt. Der Ehegatte der BF wurde als Zeuge befragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die BF wurde in XXXX (Serbien) geboren, ist serbische Staatsbürgerin und spricht serbisch als Muttersprache. Sie ist verheiratet und Mutter von zwei minderjährigen Kindern. Die BF ist gesund und leidet an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen.

Sie besuchte in Serbien die Schule, begann anschließend ein Studium und ging nebenbei Aushilfsarbeiten nach.

1.2. Die BF ehelichte am XXXX in XXXX (Serbien) den serbischen Staatsangehörigen, XXXX . Sie reiste im November 2020 in das Bundesgebiet ein, wo sie sich für einen Zeitraum von etwa 3 Monaten aufhielt. Anschließend reiste die BF zur Entbindung ihrer Tochter nach Serbien und hielt sich dort für etwa 2 Monate auf. Die BF hält sich nunmehr seit Juli 2021 – mit kurzen Aufenthalten von etwa 10 bis 14 Tagen in Serbien – durchgehend in Österreich auf.

Die BF stellte am XXXX bei der zuständigen Niederlassungsbehörde einen Antrag auf Erteilung einer „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“, welcher mit Bescheid der XXXX vom XXXX abgewiesen wurde. Am 21.06.2024 wurde das Verfahren durch das Landesverwaltungsgericht nach Zurückziehung der Beschwerde (am 17.06.2024) rechtskräftig eingestellt.

1.3. Die BF ist seit Oktober 2020 mit einem serbischen Staatsbürger verheiratet, welcher sich seit 2012 in Österreich befindet und über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“ verfügt. Ebenso leben im Bundesgebiet ihre zwei gemeinsamen Kinder, XXXX , geboren am XXXX in Serbien, sowie XXXX , geboren am XXXX in Wien, welche über einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ bis zum XXXX bzw. XXXX verfügen. Die BF lebt derzeit im gemeinsamen Haushalt mit dem Ehegatten sowie den zwei gemeinsamen Kindern.

In Österreich leben weiters die Mutter, die Schwester und der Bruder des Ehegatten der BF.

Die BF hat gute Deutschkenntnisse und absolvierte am XXXX die ÖIF-Integrationsprüfung auf dem Niveau A2. Sie verfügt über keine Anmeldebescheinigung und ging zu keinem Zeitpunkt einer Erwerbstätigkeit in Österreich nach. Die BF kümmert sich um ihre minderjährigen Kinder und den Haushalt. Der Ehegatte der BF ist derzeit (seit März 2025) als Spengler bei der XXXX Gesellschaft beschäftigt, wo er bereits im Zeitraum von September 2018 bis Jänner 2025 tätig war. Die BF ist bei ihrem Ehegatten mitversichert und bestreitet den Lebensunterhalt vom seinem derzeitigen Gehalt.

Die BF ist im Bundesgebiet strafgerichtlich unbescholten.

1.4. In Herkunftsstaat leben die Eltern der BF, zu welchem sie nach wie vor in Kontakt steht. Weiters leben zwei Brüder der BF in Frankreich.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Identität der BF steht aufgrund der aktenkundigen Kopie ihres gültigen serbischen Reisepasses fest. Die serbischen Sprachkenntnisse sind aufgrund ihrer Herkunft plausibel und wurden von der BF in der Beschwerdeverhandlung befragt zu ihren Sprachkenntnissen angegeben.

Die Feststellungen zu ihrem Gesundheitszustand beruhen ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Die Feststellungen zur Herkunft der BF aus Serbien sowie zu ihren dortigen Lebensumständen ergeben sich aus ihren diesbezüglich glaubhaften Angaben im Verfahren.

2.2. Die Feststellungen zur durchgehenden Hauptwohnsitzmeldung der BF seit November 2020 ergab sich aus einem Auszug aus dem Zentralen Melderegister.

Der Antrag der BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ bei der zuständigen Niederlassungsbehörde ergab sich aus dem Auszug aus dem Zentralen Fremdenregister, woraus sich ebenso die Feststellungen zum verfahrensgegenständlichen Antrag vom XXXX ergaben.

2.3. Die Eheschließung der BF beruht auf ihren Angaben im Verfahren sowie der vorgelegten Heiratskurkunde. Die Wohnsituation der BF in Österreich beruht auf den Angaben der BF und ihres Ehegatten in der Beschwerdeverhandlung, welche sich mit den Auszügen aus dem Zentralen Melderegister decken. Die Erwerbslosigkeit der BF beruht auf einer Abfrage der Sozialversicherungsdaten der BF. Die Feststellungen, dass sich die BF um die Kinder kümmert, beruht auf den plausiblen Angaben der BF und ihres als Zeugen einvernommen Ehegatten in der mündlichen Verhandlung.

Die Feststellungen zu den Aufenthaltstiteln des Ehegattens und der gemeinsamen Kinder ergeben sich aus dem amtswegig erstellten Auszug aus dem Zentralen Fremdenregister sowie der im Akt ersichtlichen – die Tochter der BF betreffenden – Entscheidung des Verwaltungsgerichts XXXX vom XXXX .

Die Deutschkenntnisse der BF wurde von ihr im Rahmen der Beschwerdeverhandlung unter Beweis gestellt. Das Ergebnis der ÖIF-Integrationsprüfung wurde von ihr vorgelegt.

Die Unbescholtenheit der BF ergibt sich aus einem aktuellen Strafregisterauszug.

2.4. Die Feststellungen zu den familiären Verhältnissen der BF in Serbien und Frankreich beruhen auf ihren Angaben in der mündlichen Beschwerdeverhandlung.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

3.1.1. Gesetzliche Grundlagen

§ 55 AsylG, „Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK“ lautet wie folgt:

(1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.

Gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

Artikel 8 EMRK lautet wie folgt:

(1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

3.1.2. Für den vorliegenden Fall bedeutet das:

Gegenständlich ist zu prüfen, ob der BF ein Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK zu erteilen ist. Aus diesem Grunde gilt es, eine Abwägung zwischen den betroffenen Rechtsgütern der BF und den öffentlichen Interessen vorzunehmen und anhand derer zu überprüfen, ob sich die Erteilung eines Aufenthaltstitels im Sinne des Art 8 EMRK als geboten darstellt. Im Zuge dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (VwGH 30.04.2020, Ra 2019/21/0362 mit Hinweis auf VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).

Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung ist zunächst die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, zu berücksichtigen. Gegenständlich ist die BF seit Juli 2021 im Bundesgebiet aufhältig.

Auch wenn die vorliegende Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich genommen keine maßgebliche Verstärkung der persönlichen Interessen der BF an einem Verbleib in Österreich bewirkt und sich die BF ihres unsicheren Aufenthaltes bewusst sein musste, liegen gegenständlich Umstände vor, die ein großes Interesse an ihrem Verbleib im Bundesgebiet begründen.

So hält sich die BF seit dem Jahr 2017 regelmäßig im Bundesgebiet auf und führt nunmehr ein aufrechtes und schützenswertes Familienleben zusammen mit ihrem zum dauernden Aufenthalt berechtigten Ehegatten sowie ihren ebenso aufenthaltsberechtigten Kindern.

Am stärksten ins Gewicht fällt somit das gemeinsame intensive Familienleben im Inland mit dem in Österreich aufenthaltsberechtigten Ehegatten, das die BF nun seit über 4 Jahren ununterbrochen führt. Diesem ist nach mehr als 10 Jahren Aufenthalt im Inland auch nicht zuzumuten, das Eheleben im Herkunftsstaat fortzusetzen. Festzuhalten ist hier, dass eine Trennung der BF von ihrer Familie letztlich zwingend zum Abbruch des festgestellten schützenswerten Familienlebens führen würde. Eine Verlegung des Familienwohnsitzes nach Serbien steht derzeit nicht in Aussicht und wäre im Hinblick auf die starken Bindungen zu Österreich auch nicht zumutbar.

Hierzu ist hervorzuheben, dass sich gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG 2014 eine Abwägung zu Gunsten des Fremden insbesondere dann ergeben kann, wenn – wie im vorliegenden Fall – ein Familienleben mit einer Person besteht, die über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt-EU" nach § 45 NAG 2005 verfügt. In diesem Zusammenhang kommt einem dauerhaft niedergelassenen Ehepartner im Rahmen der Abwägung nach Art. 8 MRK große Bedeutung zu (vgl. ua. VwGH 23.05.2021, 2008/22/0354; VwGH 15.12.2021, Ra 2021/20/0328).

Überdies lässt der Bescheid der belangten Behörde vermissen, dass laut ständiger Rechtsprechung auch die Auswirkungen der Entscheidung auf das Kindeswohl zu bedenken sind und dieser Umstand bei der Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 MRK bzw. § 9 BFA-VG 2014 hinreichend berücksichtigt werden muss (vgl. etwa VfGH 11.6.2018, E 343/2018, mwN; VwGH 23.2.2017, Ra 2016/21/0235, 31.8.2017, Ro 2017/21/0012, 20.9.2017, Ra 2017/19/0163, 5.10.2017, Ra 2017/21/0119, 28.11.2019, Ra 2019/19/0359, u.a.)

Bei einer Trennung der BF von ihrer Familie wäre insbesondere auch im Sinne des Kindeswohls in das Familienleben unverhältnismäßig eingegriffen. Die Obsorge für die gemeinsamen Kinder und ihrem Ehegatten kommt beiden Elternteilen zu gleichen Teilen zu. Die BF war nie längere Zeit von ihren Kindern getrennt und gilt als Hauptbezugsperson der Kinder. Insbesondere übernimmt sie den Großteil der Kinderbetreuung, als ihr Ehegatte untertags und teilweise an den Wochenenden seiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Eine Trennung der BF von ihrer Familie würde somit massiv in die Mutter-Kind-Beziehung eingreifen und somit einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Familienleben der BF und letztlich eine Verletzung des Kindeswohls der Kinder der BF darstellen, zumal diesen aufgrund der Ableitung ihres Aufenthaltstitels von ihrem Vater und ihrer größtenteils in Österreich zugebrachter Lebenszeit nicht zugemutet werden kann mit der BF nach Serbien zu reisen.

Zudem erachtete der VfGH in ständiger Rechtsprechung die Aufrechterhaltung des Kontaktes zwischen einem Kleinkind und einem Elternteil über Telekommunikation und elektronische Medien als lebensfremd (vgl. VfGH 25.02.2013, U2241/12). Die Möglichkeit der BF den Kontakt zu ihren Kindern unter Nutzung von modernen Kommunikationsmitteln zu halten, stellt gegenständlich somit keine taugliche Alternative dar (vgl. VwGH 14.04.2021, Ra 2020/18/0288).

An dieser Stelle ist vor allem darauf hinzuwiesen, dass das Kindeswohl nicht nur bei die Minderjährigen selbst betreffenden Maßnahmen eine große Rolle spielt. Vielmehr sind nach der Rechtsprechung des VfGH auch bei der – wie im vorliegenden Fall – Aufenthaltsbeendigung für einen Elternteil deren konkrete Auswirkungen auf das Wohl des Kindes zu ermitteln und bei der Interessenabwägung nach Art 8 Abs. 2 EMRK zu berücksichtigen, wenn das Kind selbst in Österreich verbleibt (vgl. statt vieler VfGH 12.06.2019, E47/2019 mwN).

Besonderes Gewicht ist somit der Berücksichtigung des Kindeswohles ihrer Kinder und der Aufrechterhaltung des Familienlebens der BF mit ihrer Familie zuzubilligen.

Führt die aufenthaltsbeendende Maßnahme gegen einen Elternteil dazu, dass das Kind ohne diesen Elternteil aufwachsen muss, so bedarf dies einer besonderen Rechtfertigung. Die Rechtfertigung liegt nicht schon allein darin, dass das Familienleben während des unsicheren Aufenthaltsstatus des Elternteiles begründet wurde. Sie kann aber etwa dann bejaht werden, wenn dem öffentlichen Interesse an einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme ein sehr großes Gewicht zukommt, wie dies insbesondere bei Straffälligkeit des Fremden oder bei einer von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regeln über den Familiennachzug der Fall ist. (VwGH 19.06.2020, Ra 2019/19/0475, mwN)

Die BF ist strafgerichtlich unbescholten, und aus den Feststellungen ergibt sich kein Hinweis darauf, dass sie von Anfang an beabsichtigt hätte, die Regeln über den Familiennachzug zu umgehen.

Es sind auch keine sonstigen gewichtigen Rechtfertigungsgründe aufgrund derer das Kindeswohl fallbezogen hinter das öffentliche Interesse an einer Beendigung des Aufenthaltes der BF zurücktreten müsste.

Das Bundesverwaltungsgericht übersieht in diesem Zusammenhang nicht, dass der mehrjährige unrechtmäßige Aufenthalt der BF einen nicht bloß unbedeutenden Verstoß gegen die öffentliche Ordnung darstellt und sich das Ehepaar im Zeitpunkt der Begründung ihres Familienlebens des unsicheren Aufenthalts der BF bewusst sein musste. Das reicht aber nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nicht aus, die Trennung von ihrem zum dauernden Aufenthalt berechtigten Ehegatten zu rechtfertigen (vgl. etwa VwGH 26.06.2014, Ro 2014/21/0010).

Hierzu wurde ebenso seitens des VfGH festgehalten, dass das Bewusstsein des unsicheren Aufenthaltsstatus wegen des vorrangig zu berücksichtigenden Kindeswohls nicht maßgeblich ins Gewicht falle (vgl. zur Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach dieser Umstand zwar zu berücksichtigen ist, einen Eingriff in das Recht aus Art. 8 EMRK aber nicht ausschließt etwa VfSlg. 18.223/2007; VfGH 3.10.2012, U 119/12; 25.3.2013, U 2241/12).

Auch kann aus dem – in der mündlichen Verhandlung gewonnen – persönlichen Eindruck der BF durchaus ein gewisses Bemühen um Integration gewonnen werden, zumal sie über freundschaftliche Kontakte in Österreich verfügt, auch wenn es sich dabei nicht um intensive soziale Kontakte handelt. Die BF konnte zudem gute Deutschkenntnisse dartun und absolvierte im April 2024 die ÖIF Integrationsprüfung auf dem Niveau A2.

Es wird nicht übersehen, dass die BF noch einen Bezug zum Herkunftsstaat hat und diesen auch über die letzten Jahre aufrecht hielt. Dem gegenüber steht aber ihr langer Aufenthalt im Bundesgebiet, ihr festgestelltes Familien- und Privatleben und Bedenken zum Kindeswohl der betroffenen Kinder entgegen.

Schließlich ergibt sich aus dem Verhalten der BF – abgesehen vom unrechtmäßigen Verbleib in Österreich – keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit (vgl. VwGH 02.09.2021, Ra 2021/21/0209).

Demnach ist es zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK erforderlich, der BF einen Aufenthaltstitel zu erteilen.

Demgemäß war dem Antrag auf einen Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK zu entsprechen, sodass der Beschwerde stattzugeben war.

3.1.3. Zur Erteilung der Aufenthaltsberechtigung

Der mit „Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK“ betitelte § 55 AsylG lautet wie folgt:

(1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.

Gemäß § 9 Abs. 3 IntG beinhaltet die Erfüllung des Moduls 2 (§ 10) das Modul 1.

Das Modul 2 der Integrationsvereinbarung ist gemäß § 10 Abs. 2 IntG erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige einen mindestens fünfjährigen Besuch einer Pflichtschule in Österreich nachweist und das Unterrichtsfach „Deutsch“ positiv abgeschlossen hat oder das Unterrichtsfach „Deutsch“ auf dem Niveau der 9. Schulstufe positiv abgeschlossen hat oder eine positive Beurteilung im Prüfungsgebiet „Deutsch – Kommunikation und Gesellschaft“ im Rahmen der Pflichtschulabschluss-Prüfung gemäß Pflichtschulabschluss-Prüfungs-Gesetz, BGBl. I Nr. 72/2012 nachweist.

Die BF absolvierte am XXXX die ÖIF Integrationsprüfung auf dem Niveau A2 und erfüllt somit gemäß § 9 Abs. 4 Z 1 IntG das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG.

Demnach war ihr eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ gemäß § 55 Abs. 1 AsylG zu erteilen, da dies wie soeben ausgeführt gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist.

Die Aufenthaltstitel gelten gemäß § 54 Abs. 2 AsylG 2005 zwölf Monate lang, beginnend mit dem Ausstellungsdatum.

3.2. Zur Aufhebung der Spruchpunkte II. bis IV. des angefochtenen Bescheides:

Da der BF eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 55 AsylG erteilt wurden, entfällt die Grundlage für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß 10 Abs. 3 AsylG und § 52 Abs. 3 FPG und war Spruchpunkt II. daher ersatzlos zu beheben.

Auch der auf der Rückkehrentscheidung aufbauende Ausspruch über die Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkt III.) und die Frist zur freiwilligen Ausreise (Spruchpunkt IV.) war folglich ersatzlos zu beheben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

In der Beschwerde findet sich kein Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und solche sind auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben. Die Entscheidung folgt der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Im Ergebnis war die Revision daher nicht zuzulassen.

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