BVwG W151 2296655-1

BVwGW151 2296655-110.12.2024

ASVG §18a
B-VG Art133 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2024:W151.2296655.1.00

 

Spruch:

 

W151 2296655-1/12E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Doris KOHL, MCJ, als Einzelrichterin, über die Beschwerde von MMag. Dr. XXXX , geb. am XXXX , vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Martin WUELZ, MSc., Salurner Straße 12, 6020 Innsbruck, gegen den Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt, Hauptstelle, vom 10.06.2024, GZ: XXXX , wegen Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege des behinderten Kindes XXXX , geb. am XXXX gemäß § 18a Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), zu Recht:

 

A)

Die Beschwerde wird abgewiesen.

 

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin beantragte am 09.06.2023 die rückwirkende Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege des behinderten Kindes XXXX ab 25.07.2022.

2. Mit Bescheid vom 10.06.2024 lehnte die Pensionsversicherungsanstalt (kurz: PVA) den Antrag der Beschwerdeführerin ab. Es liege kein Bezug einer erhöhten Familienbeihilfe im Sinne des § 8 Abs. 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 vor. Es würden Zeiten einer Teilversicherung in der Pensionsversicherung nach § 8 Abs. 1 Z 2 lit. a bis c oder g ASVG bzw. einer Ersatzzeit nach § 227 Abs. 1 Z 3 bis 6 oder nach § 227a ASVG vorliegen. Aufgrund des festgestellten Leidenszustandes sei eine Selbstversicherung nach § 18a ASVG wegen ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege des behinderten Kindes nicht gerechtfertigt. Hauptdiagnose Zöliakie (Erstdiagnose April 2022). Es sei somit die Berechtigung zur Selbstversicherung gemäß § 18a ASVG nicht gegeben.

3. Dagegen erhob die rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde. Hinsichtlich des Bezuges erhöhter Familienbeihilfe sei der Bescheid aktenwidrig. Die Beschwerdeführerin beziehe für beide Kinder erhöhte Familienbeihilfe. Hinsichtlich der Zeiten der Teilversicherung sei dem Bescheid weder eine Konkretisierung des Ausschlussgrundes, noch Feststellungen betreffend den konkreten Zeitraum zu entnehmen. Weiters habe die Beschwerdeführerin nicht nur einen pro futuro wirkenden, sondern auch einen rückwirkenden Antrag gestellt, die belangte Behörde habe jedoch keinerlei Sachverhaltsfeststellungen oder Begründung hinsichtlich des zurückliegenden Zeitraumes getroffen. Schließlich habe sich die PVA nicht mit dem tatsächlichen enormen zeitlichen Aufwand auseinandergesetzt, der mit der Erkrankung der Tochter verbunden sei und im „Fragebogen zur Selbstversicherung für die Pflege eines behinderten“ angegeben worden sei. In Zusammenschau des festgestellten Sachverhaltes habe die Beschwerdeführerin einen begründeten Anspruch auf Selbstversicherung bei Pflege eines behinderten Kindes.

4. Die Beschwerde wurde unter Anschluss des Verwaltungsaktes dem Bundesverwaltungsgericht am 31.07.2024 zur Entscheidung vorgelegt.

5. Mit hg. Parteiengehör vom 01.10.2024 wurde der Beschwerdeführerin bekannt gegeben, dass diese aufgrund der Aktenlage ab April 2022 erhöhte Familienbeihilfe für das Kind XXXX bezogen habe. Somit liege erst ab diesem Zeitpunkt eine notwendige Voraussetzung zur Überprüfung des geltend gemachten Anspruches vor. Für den Zeitpunkt ab April 2022 würden laut beiliegendem Sozialversicherungsdatenauszug Ausschlussgründe vorliegen: April 2022 bis Juli 2022: Kindererziehungszeiten; ab August 2022 bis März 2023: Bezug von Bildungsteilzeitgeld. Danach habe eine Pflichtversicherung nach dem ASVG bis laufend bestanden. Somit würden keine Voraussetzungen für eine (zusätzliche) Selbstversicherung in der Pensionsversicherung vorliegen.

6. Mit Schreiben vom 01.10.2024 führte die Beschwerdeführerin aus, dass die Berechtigung zur Selbstversicherung richtigerweise ab 01.08.2022 zu prüfen sei. Richtig sei, dass die Beschwerdeführerin in diesem Zeitraum eine Beschäftigung im Ausmaß von vorerst 20, dann 30 Stunden nachgegangen sei. Dies stehe jedoch der Annahme einer überwiegenden Beanspruchung der Arbeitskraft nicht entgegen, da der wöchentliche Pflegebedarf der Tochter jedenfalls mehr als die von der Rechtsprechung als Richtwert herangezogenen 14 Stunden in Anspruch nehme.

7. Mit hg. Parteiengehör vom 21.10.2024 wurde der belangte Behörde aufgetragen, zu konkretisieren, welcher Ausschlussgrund aus Sicht der Behörde für den Zeitraum vom 01.04.2023 bis 09.06.2023 vorliege. In der Folge übermittelte die PVA Stellungnahmen vom 22.10.2024 und 29.10.2024.

8. In der Folge wurde durch das erkennende Gericht der Antrag und Fragebogen zur Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege des behinderten Kindes angefordert. Die PVA legte diese am 14.11.2024 vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die Beschwerdeführerin stellte am 09.06.2023 einen rückwirkenden Antrag auf Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege ihrer am XXXX geborenen Tochter XXXX ab 25.07.2022.

1.2. Für die Tochter der Beschwerdeführerin besteht ab April 2022 bis Juli 2036 ein Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe. Die Beschwerdeführerin hat ihren Wohnsitz im Inland und lebt mit ihrer Tochter in einem gemeinsamen Haushalt.

1.3. Im Zeitraum April 2022 bis Juli 2022 liegen Kindererziehungszeiten vor. Von 11.06.2022 bis 31.03.2023 bezog die Beschwerdeführerin Bildungsteilzeitgeld.

1.4. Bei der Tochter der Beschwerdeführerin liegt folgender Leidenszustand vor:

a) Hauptdiagnose:

ICD-10: K900 Zöliakie

1.5. Im Vergleich zu einem gesunden gleichaltrigen Mädchen benötigt die Tochter etwas mehr Betreuung im Sinne der Zubereitung der Mahlzeiten, wobei immer auf strikt glutenfreie Ernährung geachtet werden muss und teurere Einkäufe, da glutenfreien Produkte am Markt teurer verkauft werden als nicht glutenfreie Produkte. Zusätzlich müssen die Eltern für das Kind die Jause und das Mittagessen für den Kindergarten mitgeben.

1.6. Der Pflegebedarf der Tochter der Beschwerdeführerin unterscheidet sich damit in den wesentlichen Punkten jedoch nicht maßgeblich von jenem eines gleichaltrigen gesunden Kindes. Es liegt somit keine überwiegende Beanspruchung der Arbeitskraft der Beschwerdeführerin iSd § 18a Abs. 3 ASVG vor.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Antragstellung ergibt sich aus dem im Beschwerdeverfahren beigeschafften Antragsformular. Der Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe ist einer aktenkundigen Bestätigung des zuständigen Finanzamtes vom 09.07.2023 zu entnehmen. Der gemeinsame Wohnsitz im Inland ist unstrittig.

2.2. Die Feststellungen über Art und Ausmaß der bei der Tochter der Beschwerdeführerin bestehenden Funktionseinschränkungen sowie der behinderungsbedingt erforderlichen persönlichen Hilfe und besonderen Pflege stützen sich auf ein durch die PVA eingeholtes amtsärztliches Gutachten von Dr. XXXX , Ärztin für Allgemeinmedizin, vom 16.05.2024 und einer chefärztlichen Stellungnahme vom 31.05.2024. Hinsichtlich des Betreuungsaufwandes fanden ferner die Angaben der Beschwerdeführerin im gegenständlichen Antrag bzw. dem von ihr ausgefüllten Fragebogen zur Selbstversicherung vom 10.01.2024 und der darin enthaltenen Darstellung des Tagesablaufs der Pflege Berücksichtigung. Die Beschwerdeführerin veranschlagte im Fragebogen zur Selbstversicherung vom 10.01.2024 einen Pflegeaufwand für Zubereitung von Mahlzeiten im Ausmaß von 180 Minuten täglich sowie zusätzlich 30 Minuten täglich für das Einkaufen glutenfreier Nahrungsmittel.

Das Gutachten von Dr. XXXX , Ärztin für Allgemeinmedizin, vom 16.05.2024 basiert auf dem im Rahmen einer persönlichen Untersuchung der Tochter der Beschwerdeführerin erhobenen klinischen Untersuchungsbefund sowie auf den Angaben der Beschwerdeführerin. In der ärztlichen Beurteilung erfolgte unter Berücksichtigung der festgestellten Diagnose eine Beschreibung des Krankheitsverlaufes und des erforderlichen Pflegebedarfes der Tochter. Die Sachverständige erkannte einen behinderungsbedingten Bedarf ständiger Hilfe bzw. besonderer Pflege hinsichtlich folgender Maßnahmen:

 Bei der Nahrungszubereitung

 Für Begleitung zu notwendigen Therapien/ärztlichen Kontrollen

 Für Überwachung notwendiger diätischer Einschränkungen

Diesen Feststellungen wurden die Angaben der Beschwerdeführerin in dem Fragebogen zur Selbstversicherung für die Pflege des behinderten Kindes vom 10.01.2024 gegenübergestellt. Diese Angaben der Beschwerdeführerin lassen erkennen, dass der hauptsächliche Pflegeaufwand in der Beschaffung von glutenfreien Nahrungsmitteln und der Zubereitung glutenfreier Mahlzeiten bestehen soll.

Durch die in Supermärkten mittlerweile jedoch vorhandene, reiche Produktpalette an glutenfreien Produkten ist nach allgemeiner Lebenserfahrung jedoch kein besonderer erhöhter Aufwand beim Einkauf dieser Produkte nachvollziehbar.

Weiters widerspricht es auch der Lebenserfahrung, dass die Zubereitung der genannten Mahlzeiten für die Tochter der Beschwerdeführerin zusätzlich 180 Minuten – wie von der Beschwerdeführerin vorgebracht - im Vergleichs zur Zubereitung von Mahlzeiten eines gesunden Kindes ausmachen soll. Gegenständlich ist nämlich nicht die Mahlzeitenzubereitungszeit über den Tag verteilt zu beurteilen, sondern vielmehr, ob ein darüber hinausgehender Betreuungsaufwand für das kranke Kind zusätzlich vorliegt oder nicht. Dass auch für ein gesundes Kind Mahlzeiten zubereitet werden und dies etwa 180 Minuten täglich ausmacht, ist nachvollziehbar, worin aber der zusätzliche Aufwand für die Zubereitung der glutenfreien Mahlzeiten im Ausmaß von nochmals 180 Minuten bestehen soll, kann nicht erkannt werden und widerspricht der Lebenserfahrung.

Die von der Beschwerdeführerin übermittelte Darstellung des Tagesablaufs macht vielmehr deutlich, dass sich der Tagesablauf der Tochter der Beschwerdeführerin in den wesentlichen Punkten nicht maßgeblich von jenem eines gleichaltrigen gesunden Kindes unterscheidet. Dies steht auch mit der ärztlichen Beurteilung im Gutachten vom 16.05.2024 im Einklang, wonach die Tochter der Beschwerdeführerin im Vergleich zu einem gesunden gleichaltrigen Mädchen lediglich „etwas mehr Betreuung“ bei der Einhaltung einer glutenfreien Ernährung bedürfe (vgl. Gutachten vom 16.05.2024, S. 3).

Weiters ist dem Gutachten zu entnehmen , dass eine Kontrolle des Gesundheitszustands des Kindes einmal jährlich durchzuführen ist, sodass auch dieser Zeitaufwand in keinem maßgeblichen Umfang vorliegt.

Damit ist nach dem amtsärztlichen Gutachten vom 16.05.2024 zwar ein objektiv notwendiger Pflegebedarf erkennbar, jedoch nicht in einem solchen Ausmaß, dass eine ständige persönliche Hilfe bzw. besondere Pflege erforderlich wäre. Ein Mehraufwand im Ausmaß von insgesamt 210 Minuten täglich für Einkauf und Zubereitung glutenfreier Nahrungsmittel ist demnach nicht nachvollziehbar.

Aus diesen Erwägungen wird die chefärztliche Stellungnahme vom 10.01.2024 vom Bundesverwaltungsgericht für schlüssig und nachvollziehbar befunden. Es ist vor diesem Hintergrund schlüssig, dass die Notwendigkeit einer ständigen persönlichen Hilfe und besonderen Pflege der Tochter der Beschwerdeführerin nicht vorliegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 414 Abs. 2 ASVG entscheidet in Angelegenheiten nach § 410 Abs. 1 Z 1, 2 und 6 bis 9 ASVG das Bundesverwaltungsgericht auf Antrag einer Partei durch einen Senat; dies gilt auch für Verfahren, in denen die zitierten Angelegenheiten als Vorfragen zu beurteilen sind. Die Selbstversicherung gemäß § 18a ASVG ist von dieser Bestimmung nicht erfasst, weshalb vorliegend – unabhängig von der Stellung eines entsprechenden Antrags – die Entscheidung ohne Laienrichterbeteiligung durch Einzelrichterin zu erfolgen hat.

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

3.2. Die im Beschwerdefall zeitraumbezogen maßgebenden Bestimmungen des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG) lauten wie folgt:

§ 18a ASVG idF BGBl. I Nr. 217/2022, in Kraft von 01.01.2023 bis 31.12.2023, lautete wie folgt:

„Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege eines behinderten Kindes

§ 18a. (1) Personen, die ein behindertes Kind, für das erhöhte Familienbeihilfe im Sinne des § 8 Abs. 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376, gewährt wird, unter überwiegender Beanspruchung ihrer Arbeitskraft in häuslicher Umgebung pflegen, können sich, solange sie während dieses Zeitraumes ihren Wohnsitz im Inland haben, längstens jedoch bis zur Vollendung des 40. Lebensjahres des Kindes, in der Pensionsversicherung selbstversichern. Der gemeinsame Haushalt besteht weiter, wenn sich das behinderte Kind nur zeitweilig wegen Heilbehandlung außerhalb der Hausgemeinschaft aufhält. Eine Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege eines behinderten Kindes kann jeweils nur für eine Person bestehen.

(2) Die Selbstversicherung ist ausgeschlossen

1. für die Zeit, in der ein bescheidmäßig zuerkannter Anspruch auf eine monatlich wiederkehrende Geldleistung aus einer eigenen gesetzlichen Pensionsversicherung besteht;

2. für die Zeit einer Ausnahme von der Vollversicherung nach § 5 Abs. 1 Z 3 oder des Bezuges eines Ruhegenusses auf Grund eines der dort genannten Dienstverhältnisse;

3. für die Zeit des Vorliegens einer Teilpflichtversicherung nach § 8 Abs. 1 Z 2 lit. a bis c oder g bzw. einer Ersatzzeit nach § 227 Abs. 1 Z 3 bis 6 oder nach § 227a;

4. für die Zeit, in der eine Selbstversicherung nach Abs. 1 bereits auf Grund eines anderen Pflegefalles besteht oder eine Selbstversicherung nach § 18b vorliegt.

(3) Eine überwiegende Beanspruchung der Arbeitskraft im Sinne des Abs. 1 wird jedenfalls dann angenommen, wenn und so lange das behinderte Kind

1. das Alter für den Beginn der allgemeinen Schulpflicht (§ 2 des Schulpflichtgesetzes 1985, BGBl. Nr. 76/1985) noch nicht erreicht hat und ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf,

2. während der Dauer der allgemeinen Schulpflicht wegen Schulunfähigkeit (§ 15 des Schulpflichtgesetzes 1985) entweder von der allgemeinen Schulpflicht befreit ist oder ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf,

3. nach Vollendung der allgemeinen Schulpflicht und vor Vollendung des 40. Lebensjahres dauernd bettlägrig ist oder ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf.

(…)“

§ 669 Abs. 3 ASVG idF BGBl. I Nr. 125/2017 lautet:

„Schlussbestimmungen zu Art. 5 des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 3/2013 (78. Novelle):

§ 669. …

(3) Die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung nach § 18a kann auf Antrag von Personen, die irgendwann in der Zeit seit dem 1. Jänner 1988 die zum Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Voraussetzungen für diese Selbstversicherung erfüllt haben, nachträglich beansprucht werden, und zwar für alle oder einzelne Monate, längstens jedoch für 120 Monate, in denen die genannten Voraussetzungen vorlagen. § 18 Abs. 2 ist sinngemäß anzuwenden.

…“

3.3. Der Verwaltungsgerichtshof vertritt seit dem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 04.05.1977, 898/75, VwSlg. 9.315 A, in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass die Rechtsmittelbehörde bzw. das Verwaltungsgericht im Allgemeinen das zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides bzw. Erkenntnisses geltende Recht anzuwenden hat (VwGH 24.03.2015, Ro 2014/09/0066). Eine andere Betrachtungsweise wäre nur dann geboten, wenn der Gesetzgeber in einer Übergangsbestimmung zum Ausdruck bringt, dass auf anhängige Verfahren noch das bisher geltende Gesetz anzuwenden ist, oder wenn darüber abzusprechen ist, was an einem bestimmten Stichtag oder in einem konkreten Zeitraum rechtens gewesen ist (VwGH 19.02.1991, 90/08/0177; 06.06.1991, 91/09/0077).

§ 707a ASVG sieht das Inkrafttreten des § 669 Abs. 3 ASVG idF BGBl. I Nr. 125/2017 mit 01.01.2018 ohne Übergangsregelung vor. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass eine solche aus anderen Bestimmungen abzuleiten wäre bzw. dass diesbezüglich eine Rechtslücke bestünde.

§ 669 Abs. 3 ASVG in der genannten Fassung stellt darauf ab, dass die betreffenden Personen die zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung (hier: 09.06.2023) geltenden Voraussetzungen für diese Selbstversicherung erfüllen müssen, im vorliegenden Fall sohin die in § 18a ASVG idF BGBl. I Nr. 217/2012 festgelegten Voraussetzungen. Auf die im zu erwerbenden Zeitraum der betreffenden Selbstversicherung früher in Geltung gestandenen Voraussetzungen für eine Selbstversicherung kommt es gemäß § 669 Abs. 3 ASVG nicht an (VwGH 05.06.2019, Ra 2019/08/0051).

3.4. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Zuerkennung der Berechtigung zur Selbstversicherung in der Pensionsversicherung abgelehnt, da einerseits kein Bezug einer erhöhten Familienbeihilfe im Sinne des § 8 Abs. 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 sowie Zeiten einer Teilversicherung in der Pensionsversicherung nach § 8 Abs. 1 Z 2 lit. a bis c oder g ASVG bzw. einer Ersatzzeit nach § 227 Abs. 1 Z 3 bis 6 oder nach § 227a ASVG vorliegen würden, andererseits aufgrund des festgestellten Leidenszustandes eine Selbstversicherung nach § 18a ASVG wegen ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege des behinderten Kindes nicht gerechtfertigt sei.

3.4.1. Zum Bezug erhöhter Familienbeihilfe:

Gemäß § 18a Abs. 1 können sich Personen, die ein behindertes Kind, für das erhöhte Familienbeihilfe im Sinne des § 8 Abs. 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376, gewährt wird, unter überwiegender Beanspruchung ihrer Arbeitskraft in häuslicher Umgebung pflegen, solange sie während dieses Zeitraumes ihren Wohnsitz im Inland haben, längstens jedoch bis zur Vollendung des 40. Lebensjahres des Kindes, in der Pensionsversicherung selbstversichern.

Die Beschwerdeführerin bezieht nachweislich seit April 2022 – und damit über den gesamten Antragszeitraum – erhöhte Familienbeihilfe für das Kind XXXX .

3.4.2. Zum Vorliegen von Ausschlussgründen:

Gemäß § 18a Abs. 2 Z 3 idF BGBl. I Nr. 217/2022 ist die Selbstversicherung für die Zeit des Vorliegens einer Teilpflichtversicherung nach § 8 Abs. 1 Z 2 lit. a bis c oder g bzw. einer Ersatzzeit nach § 227 Abs. 1 Z 3 bis 6 oder nach § 227a ausgeschlossen.

Gegenständlich lagen von April 2022 bis Juli 2022 Kindererziehungszeiten vor. Von 11.06.2022 bis 31.03.2023 bezog die Beschwerdeführerin Bildungsteilzeitgeld.

Im beantragten Zeitraum (ab 25.07.2022) liegen demnach Zeiten einer Teilversicherung in der Pensionsversicherung nach § 8 Abs. 1 Z 2 lit. a bis c oder g ASVG bzw. einer Ersatzzeit nach § 227 Abs. 1 Z 3 bis 6 oder nach § 227a ASVG vor, sodass für die genannten Zeiträume der Ausschlussgrund des § 18a Abs. 2 Z 3 ASVG idF BGBl. I Nr. 217/2022 zum Tragen kommt.

Es ist daher in weiterer Folge zu prüfen, ob die Beschwerdeführerin ihre Tochter im Zeitraum ab 01.04.2023 unter überwiegender Beanspruchung ihrer Arbeitskraft gepflegt hat.

3.4.3. Zur überwiegenden Beanspruchung der Arbeitskraft:

Im vorliegenden Fall ist für die Frage der überwiegenden Beanspruchung der Arbeitskraft der Beschwerdeführerin somit relevant, ob ihre Tochter im fraglichen Zeitraum einer ständigen persönlichen Hilfe und besonderen Pflege bedurfte (vgl. zum Maßstab der „ständigen persönlichen Hilfe und besonderen Pflege“ auch jüngst VwGH 17.10.2023, Ra 2021/08/0142).

Es ist unter Zuhilfenahme medizinischer Sachverständiger zu klären, in welchen Belangen das Kind der persönlichen Hilfe und besonderen Pflege bedarf und ob bei Unterbleiben der Betreuung durch den pflegenden Elternteil das Kind im Verhältnis zu einem ähnlich behinderten Kind, dem diese Zuwendung zu Teil wurde, in seiner Entwicklung benachteiligt und gefährdet wäre (VwGH 16.11.2005, 2003/08/0261). In seinem Erkenntnis vom 19.01.2017, Ro 2014/08/0084, betonte der Verwaltungsgerichtshof, dass die Legaldefinition des § 18a Abs. 3 ASVG – im Gegensatz zu § 18b ASVG – nicht (primär) auf eine zeitliche Inanspruchnahme durch die Pflege (Anzahl der Pflegestunden), sondern auf speziell für behinderte Kinder zugeschnittene andere Kriterien abstellt.

Inhaltlich versteht der Verwaltungsgerichtshof diese Bestimmung so, dass das Kind aufgrund seiner Behinderung zwar nicht körperlich hinfällig ist, aber aus anderen Gründen (insbesondere auch aufgrund einer geistigen Behinderung) rund um die Uhr einer intensiven persönlichen Betreuung bedarf, ohne die es gänzlich außerstande wäre, seinen Tagesablauf zu bewältigen. Der Begriff „ständig“ kann wohl nur so verstanden werden, wonach ständiger Pflegebedarf vorliegt, wenn dieser täglich oder zumindest mehrmals wöchentlich regelmäßig gegeben ist (vgl. Pfeil in: Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Kommentar, Stand 01.07.2018, rdb.at, § 18a ASVG Rz 8-10; Gruber in: Poperl/Trauner/Weißenböck, ASVG: Praxiskommentar, 76. Lfg. April 2023, § 18a ASVG, Rz 9).

Eine (bloß) "überwiegende" Beanspruchung der Arbeitskraft ist daher - im Hinblick auf die Normalarbeitszeit von 40 Stunden wöchentlich (§ 3 AZG) und das oben aufgezeigte Begriffsverständnis (wonach "überwiegend" ein größeres Gewicht im Sinn von mehr als die Hälfte bedeutet) - bei einem durchschnittlichen Pflegeaufwand ab 21 Stunden wöchentlich bzw. ab 90 Stunden monatlich (entspricht mehr als der halben Normalarbeitszeit) anzunehmen (VwGH vom 19.01.2017, Ro 2014/08/0084).

Ein derartiger ständiger Bedarf persönlicher Hilfe und besonderer Pflege ist im gegenständlichen Fall zu verneinen. Die Beschwerdeführerin führte einen Mehraufwand bei der Beschaffung von glutenfreien Nahrungsmitteln und der Zubereitung glutenfreier Mahlzeiten im Ausmaß von insgesamt 210 Minuten täglich an. Wie in der Beweiswürdigung umfassend dargelegt, konnte zwar ein objektiv notwendiger Pflegebedarf erkannt werden, jedoch nicht in einem solchen Ausmaß, dass eine ständige persönliche Hilfe bzw. besondere Pflege erforderlich wäre. Der Pflegebedarf der Tochter der Beschwerdeführerin unterscheidet sich in den wesentlichen Punkten nicht maßgeblich von jenem eines gleichaltrigen gesunden Kindes.

Eine Selbstversicherung nach § 18a ASVG wegen ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege des behinderten Kindes ist daher nicht gerechtfertigt.

Die Beschwerde war somit abzuweisen.

3.5. Zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde, insbesondere den Angaben der Beschwerdeführerin im Fragebogen zur Selbstversicherung sowie dem im Verwaltungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten samt chefärztlicher Stellungnahme. Vor dem Hintergrund des schlüssigen Sachverständigenbeweises ist der entscheidungsrelevante Sachverhalt als geklärt anzusehen. Da weder komplexe Rechtsfragen zu lösen waren noch Fragen der Beweiswürdigung auftraten, welche die Durchführung einer mündlichen Verhandlung notwendig gemacht hätten, stehen dem Entfall der Verhandlung auch weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegen (vgl. u.a. VwGH 18.12.2020, Ra 2019/08/0100 mHa; 09.05.2018, Ra 2018/03/0046; 21.02.2019, Ra 2019/08/0027).

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das hg. Erkenntnis hält sich an die darin zitierte Judikatur des VwGH.

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