AlVG §17
AlVG §44
AlVG §46
B-VG Art133 Abs4
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2024:W209.2296780.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Reinhard SEITZ als Vorsitzenden sowie die fachkundige Laienrichterin Mag. Gabriele STRAßEGGER und den fachkundigen Laienrichter Peter STATTMANN als Beisitzende über die Beschwerde XXXX gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Wien Austria Campus vom 13.05.2024 betreffend Feststellung des Gebührens von Arbeitslosengeld ab 08.05.2024 zu Recht erkannt:
A) Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid mit der Maßgabe abgeändert, dass er zu lauten hat:
„Aufgrund Ihres Antrags vom 15.04.2024 wird festgestellt, dass Ihnen gemäß §§ 7 und 12 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 (AlVG) Arbeitslosengeld ab dem 16.04.2024 gebührt.“
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Mit Bescheid vom 13.05.2024 sprach das Arbeitsmarkservice Wien Austria Campus (im Folgenden: belangte Behörde, AMS) aus, dass der Beschwerdeführerin gemäß § 17 iVm § 44 und 46 AlVG das Arbeitslosengeld ab dem 08.05.2024 gebührt. Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin aufgrund der aktuellen Bestimmungen zum § 12 Abs. 3 lit. h AlVG sämtliche Voraussetzungen für das Arbeitslosengeld ab 08.05.2024 erfüllt habe.
2. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde und führte in einem ergänzenden Schriftsatz im Wesentlichen aus, dass die Anwendung der Bestimmung des § 12 Abs. 3 lit. h AlVG voraussetze, dass nach Ende der vorhergehenden vollversicherten Beschäftigung eine „neue“ geringfügige Beschäftigung beim selben Arbeitgeber vorliege. Zwar komme es im Falle der Beschwerdeführerin im Rahmen der Gesamtbetrachtung zu einer Vollversicherung der Bemessungsgrundlagen aus der vollversicherten und der geringfügigen Beschäftigung, an den jeweiligen vertraglichen Gegebenheiten bzw. am Charakter des geringfügigen Dienstverhältnisses ändere dies jedoch nichts. Die Durchführungsweisung des Bundesministers für Arbeit und Wirtschaft, auf dem die von der belangten Behörde vertretene Rechtsansicht beruhe, sei gesetz- und verfassungswidrig. Sie begehre eine Zuerkennung des Arbeitslosengeldes ab 15.04.2024 [sic].
3. Die belangte Behörde legte die Beschwerde samt Bezug habenden Akt ohne Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung direkt dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor. In einer beigefügten Stellungnahme führte die belangte Behörde insbesondere aus, dass zu diesen neuen Regelungen des § 12 Abs. 3 lit. h AlVG noch keine Judikatur vorliege und die Beschwerde deshalb zur Beurteilung der Rechtsfrage direkt vorgelegt werde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die Beschwerdeführerin sprach am 15.04.2024 bei der belangten Behörde vor, um sich arbeitslos zu melden, woraufhin ihr ein Formular für die Beantragung von Arbeitslosengeld ausgehändigt wurde. Nach einmaliger Fristverlängerung wurde von der belangten Behörde zum Rückgabetermin der 30.04.2024 bestimmt. Die Antragsrückgabe erfolgte am 25.04.2024.
Zuletzt hatte die Beschwerdeführerin von 01.08.2020 bis 18.04.2021 Arbeitslosengeld bezogen.
Vor der Antragstellung übte die Beschwerdeführerin im Zeitraum 27.11.2023 bis 15.04.2024 (141 Tage) eine vollversicherte Beschäftigung bei der Dienstgeberin XXXX aus. Ein aus diesem Dienstverhältnis bestehender Anspruch auf Urlaubsersatzleistung wurde von der Beschwerdeführerin im Antragsformular verneint.
Davor war die Beschwerdeführerin von 19.04.2021 bis 24.11.2023 (223 Tage ab 16.04.2023) bei der Dienstgeberin XXXX vollversichert beschäftigt.
Weiters stand die Beschwerdeführerin von 01.06.2016 bis 07.05.2024 in einem geringfügigen Dienstverhältnis beim Dienstgeber XXXX , welches sie auch im Zuge der Antragstellung bekannt gab. Das monatliche Einkommen der Beschwerdeführerin lag – ohne Berücksichtigung von Sonderzahlungen – im Jahr 2024 stets unter EUR 518,44.
2. Beweiswürdigung:
Der festgestellte entscheidungswesentliche Sachverhalt ergibt sich unstrittig aus der Aktenlage. Mit ihrem Beschwerdevorbringen wendet sich die Beschwerdeführerin ausschließlich gegen die von der belangten Behörde vorgenommene rechtliche Beurteilung.
3. Rechtliche Beurteilung:
§ 56 Abs. 2 AlVG normiert, dass über Beschwerden gegen Bescheide der Geschäftsstellen des Arbeitsmarktservice das Bundesverwaltungsgericht durch einen Senat zu entscheiden hat, dem zwei fachkundige Laienrichter, je einer aus dem Kreis der Arbeitgeber und einer aus dem Kreis der Arbeitnehmer angehören. Gegenständlich liegt daher Senatszuständigkeit mit Laienrichterbeteiligung vor.
Zu A) Stattgabe der Beschwerde
Im vorliegenden Fall erkannte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin aufgrund ihres Antrags vom 15.04.2024 Arbeitslosengeld (erst) ab 08.05.2024 zu. Begründet wurde dies im Wesentlichen – mit Verweis auf die Bestimmung des § 12 Abs. 3 lit. h AlVG – mit der mangelnden Arbeitslosigkeit vor diesem Datum.
Zu klären ist daher die Frage, ob die Beschwerdeführerin schon zu einem früheren Zeitpunkt – nämlich ab 16.04.2024 – arbeitslos iSd § 12 AlVG war.
Insoweit im Schriftsatz zur Beschwerde die Zuerkennung des Arbeitslosengeldes ab 15.04.2024 begehrt wird, ist auszuführen, dass aus dem Akt eindeutig ersichtlich ist, dass das vollversicherte Beschäftigungsverhältnis an diesem Tag noch nicht beendet war. Die Richtigkeit der zugrundeliegenden sozialversicherungsrechtlichen Meldedaten ist zu keinem Zeitpunkt bestritten worden, weshalb von einem offenkundigen Versehen hinsichtlich des Datums auszugehen ist. Auch ist aus dem Inhalt der Beschwerde klar ersichtlich, dass die Beschwerdeführerin die Gewährung von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung erst nach Beendigung ihres Dienstverhältnisses bei der Dienstgeberin XXXX begehrt.
Folgende maßgeblichen Bestimmungen des AlVG gelangen zur Anwendung:
„Voraussetzungen des Anspruches
§ 7. (1) Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, wer
1. der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht,
2. die Anwartschaft erfüllt und
3. die Bezugsdauer noch nicht erschöpft hat.
(2) Der Arbeitsvermittlung steht zur Verfügung, wer eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf (Abs. 3) und arbeitsfähig (§ 8), arbeitswillig (§ 9) und arbeitslos (§ 12) ist.
[…]
Arbeitslosigkeit
§ 12. (1) Arbeitslos ist, wer
1. eine (unselbständige oder selbständige) Erwerbstätigkeit (Beschäftigung) beendet hat,
2. nicht mehr der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung unterliegt oder dieser ausschließlich auf Grund eines Einheitswertes, der kein Einkommen über der Geringfügigkeitsgrenze erwarten lässt, unterliegt oder auf Grund des Weiterbestehens der Pflichtversicherung für den Zeitraum, für den Kündigungsentschädigung gebührt oder eine Ersatzleistung für Urlaubsentgelt oder eine Urlaubsabfindung gewährt wird (§ 16 Abs. 1 lit. k und l), unterliegt und
3. keine neue oder weitere (unselbständige oder selbständige) Erwerbstätigkeit (Beschäftigung) ausübt.
[…]
(3) Als arbeitslos im Sinne der Abs. 1 und 2 gilt insbesondere nicht:
a) wer in einem Dienstverhältnis steht;
[…]
h) wer beim selben Dienstgeber eine Beschäftigung aufnimmt, deren Entgelt die im § 5 Abs. 2 ASVG angeführten Beträge nicht übersteigt, es sei denn, daß zwischen der vorhergehenden Beschäftigung und der neuen geringfügigen Beschäftigung ein Zeitraum von mindestens einem Monat gelegen ist.
[…]
(6) Als arbeitslos gilt jedoch,
a) wer aus einer oder mehreren Beschäftigungen ein Entgelt erzielt, das die im § 5 Abs. 2 ASVG angeführten Beträge nicht übersteigt, wobei bei einer Beschäftigung als Hausbesorger im Sinne des Hausbesorgergesetzes, BGBl. Nr. 16/1970, der Entgeltwert für die Dienstwohnung und der pauschalierte Ersatz für Materialkosten unberücksichtigt bleiben;
[…]
Anwartschaft
§ 14. (1) Bei der erstmaligen Inanspruchnahme von Arbeitslosengeld ist die Anwartschaft erfüllt, wenn der Arbeitslose in den letzten 24 Monaten vor Geltendmachung des Anspruches (Rahmenfrist) insgesamt 52 Wochen im Inland arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt war. […]
(2) Bei jeder weiteren Inanspruchnahme des Arbeitslosengeldes ist die Anwartschaft erfüllt, wenn der Arbeitslose in den letzten 12 Monaten vor Geltendmachung des Anspruches (Rahmenfrist) insgesamt 28 Wochen im Inland arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt war. Die Anwartschaft ist im Falle einer weiteren Inanspruchnahme auch dann erfüllt, wenn der Arbeitslose die Anwartschaft gemäß § 14 Abs. 1 erster Satz erfüllt.
[…]
Beginn des Bezuges
§ 17. (1) Sind sämtliche Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld erfüllt und ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht gemäß § 16, gebührt das Arbeitslosengeld ab dem Tag der Geltendmachung, frühestens ab dem Eintritt der Arbeitslosigkeit. Der Anspruch gilt rückwirkend ab dem Eintritt der Arbeitslosigkeit
1. wenn diese ab einem Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag besteht und die Geltend-machung am ersten darauf folgenden Werktag erfolgt oder
2. wenn die Arbeitslosmeldung bereits vor Eintritt der Arbeitslosigkeit bei der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice eingelangt ist und die Geltendmachung sowie eine gemäß § 46 Abs. 1 erforderliche persönliche Vorsprache binnen 10 Tagen nach Eintritt der Arbeitslosigkeit erfolgt, soweit das Arbeitsmarktservice nicht hinsichtlich der persönlichen Vorsprache Abweichendes verfügt hat.
[…]
Geltendmachung des Anspruches auf Arbeitslosengeld
§ 46. (1) Der Anspruch auf Arbeitslosengeld ist bei der zuständigen regionalen Geschäftsstelle persönlich geltend zu machen. Für die Geltendmachung des Anspruches ist das bundeseinheitliche Antragsformular zu verwenden. Personen, die über ein sicheres elektronisches Konto beim Arbeitsmarktservice (eAMS-Konto) verfügen, können den Anspruch auf elektronischem Weg über dieses geltend machen, wenn die für die Arbeitsvermittlung erforderlichen Daten dem Arbeitsmarktservice bereits auf Grund einer Arbeitslosmeldung oder Vormerkung zur Arbeitsuche bekannt sind; sie müssen jedoch, soweit vom Arbeitsmarktservice keine längere Frist gesetzt wird, innerhalb von 10 Tagen nach elektronischer Übermittlung des Antrages persönlich bei der regionalen Geschäftsstelle vorsprechen. Das Arbeitsmarktservice kann die eigenhändige Unterzeichnung eines elektronisch eingebrachten Antrages binnen einer gleichzeitig zu setzenden angemessenen Frist verlangen, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Geltendmachung bestehen. Der Anspruch gilt erst dann als geltend gemacht, wenn die arbeitslose Person bei der regionalen Geschäftsstelle zumindest einmal persönlich vorgesprochen hat und das vollständig ausgefüllte Antragsformular übermittelt hat. Das Arbeitsmarktservice kann vom Erfordernis der persönlichen Vorsprache absehen. Eine persönliche Vorsprache ist insbesondere nicht erforderlich, wenn die arbeitslose Person aus zwingenden Gründen, wie Arbeitsaufnahme oder Krankheit, verhindert ist, den Antrag persönlich abzugeben. Die Abgabe (das Einlangen) des Antrages ist der arbeitslosen Person zu bestätigen. Können die Anspruchsvoraussetzungen auf Grund des eingelangten Antrages nicht ohne weitere persönliche Vorsprache beurteilt werden, so ist die betroffene Person verpflichtet, auf Verlangen bei der regionalen Geschäftsstelle vorzusprechen. Hat die regionale Geschäftsstelle zur Klärung der Anspruchsvoraussetzungen, etwa zur Beibringung des ausgefüllten Antragsformulars oder von sonstigen Unterlagen, eine Frist bis zu einem bestimmten Zeitpunkt gesetzt und wurde diese ohne triftigen Grund versäumt, so gilt der Anspruch erst ab dem Tag als geltend gemacht, ab dem die beizubringenden Unterlagen bei der regionalen Geschäftsstelle eingelangt sind.
[…]“
Bezogen auf den gegenständlichen Fall ergibt sich daraus:
Den Feststellungen folgend endete das vorangegangene vollversicherte Beschäftigungsverhältnis der Beschwerdeführerin zum 15.04.2024, wohingegen das parallel bestehende geringfügige Beschäftigungsverhältnis noch bis zum 07.05.2024 fortdauerte.
Bereits am 15.04.2024 wurde die Beschwerdeführerin bei der belangten Behörde vorstellig, wo ihr das Formular für die Beantragung von Arbeitslosengeld ausgehändigt wurde, welches sie ausgefüllt und unterfertigt innerhalb der von der belangten Behörde gesetzten Frist retournierte. Den Anspruch auf Arbeitslosengeld hat die Beschwerdeführerin daher rechtzeitig nach Eintritt der Arbeitslosigkeit geltend gemacht.
Gemäß der von der belangten Behörde herangezogenen Bestimmung des § 12 Abs. 3 lit. h AlVG gilt nicht als arbeitslos iSd § 12 Abs. 1 und Abs. 2 AlVG, wer beim selben Dienstgeber eine Beschäftigung aufnimmt, deren Entgelt die im § 5 Abs. 2 ASVG angeführten Beträge nicht übersteigt, es sei denn, dass zwischen der vorhergehenden Beschäftigung und der neuen geringfügigen Beschäftigung ein Zeitraum von mindestens einem Monat gelegen ist.
Die durch das Strukturanpassungsgesetz 1996, BGBl. Nr. 201, (damals als lit. i) eingefügte Bestimmung des § 12 Abs. 3 lit. h AlVG sollte nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (72 BlgNR 20. GP , S. 234 f.) Missbrauchsmöglichkeiten hintanhalten – insbesondere jenen Fall, dass eine Person von einem vollversicherten Dienstverhältnis in ein geringfügiges Dienstverhältnis beim selben Arbeitgeber wechselt und daneben Arbeitslosengeld bezieht. In einem solchen Fall soll der Anspruch auf Arbeitslosengeld daher ausgeschlossen sein, wenn zwischen dem Vollarbeitsverhältnis und der geringfügigen Beschäftigung nicht ein Zeitraum von mehr als einem Monat liegt (vgl. VwGH 23.5.2012, 2011/08/0138; VwGH 06.03.2018, Ra 2017/08/0048).
§ 1 Abs. 4 AlVG in der Fassung BGBl. I Nr. 144/2015 (gültig bis 31.03.2024), lautete wie folgt: „Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Beschäftigung als geringfügig gilt, ist § 5 Abs. 2 ASVG sinngemäß anzuwenden. Eine Beschäftigung als Hausbesorger im Sinne des Hausbesorgergesetzes, BGBl. Nr. 16/1970, gilt jedoch dann als geringfügig, wenn das Entgelt die im § 5 Abs. 2 ASVG angeführten Beträge nicht überschreitet.“
Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 06.03.2023, G 296/2022-7, wurde die Wort- und Zeichenfolge „Abs. 2“ in § 1 Abs. 4 erster Satz AlVG als verfassungswidrig aufgehoben, sodass § 1 Abs. 4 erster Satz AlVG in der Fassung BGBl. I Nr. 66/2024 nunmehr lautet: „Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Beschäftigung als geringfügig gilt, ist § 5 ASVG sinngemäß anzuwenden.“
Daraus folgt, dass für die Beurteilung der Frage, ob eine Beschäftigung als geringfügig gilt, nicht mehr nur § 5 Abs. 2 ASVG, sondern § 5 ASVG in seiner Gesamtheit anzuwenden ist. Dies hat zur Folge, dass seit 01.04.2024 auch Personen, die aus zwei oder mehr – wenn auch jeweils für sich gesehen geringfügigen – Beschäftigungen ein Einkommen erzielen, das insgesamt die Geringfügigkeitsgrenze des § 5 Abs. 2 AlVG überschreitet, für den Zeitraum der Überschneidung der Arbeitslosenversicherungspflicht unterliegen. Ebenso der Arbeitslosenversicherungspflicht unterliegt ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis, das parallel zu einem bereits an sich vollversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis besteht.
Als Reaktion auf dieses Erkenntnis wurde seitens des Bundesministers für Arbeit und Wirtschaft eine Durchführungsweisung erlassen.
Bei einer Durchführungsweisung handelt es sich um eine Verwaltungsverordnung, die an unterstellte Verwaltungsorgane adressiert ist, die allgemeine Rechtslage nicht berühren und bloß intern wirken (vgl. Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht5 (2017) Rz 741). Einer bloßen Verwaltungsanweisung ist kein normativer Charakter beizumessen (vgl. VwGH 17.09.1996, 94/05/0071; VwGH 20.10.1999, 94/13/0027).
Dem Vorbringen der Beschwerdeführerin in ihrem ergänzenden Schriftsatz zur Beschwerde, wonach die Durchführungsweisung rechtlich als (verfassungswidrige) Verordnung des Bundesministers für Arbeit und Wirtschaft zu qualifizieren sei, ist daher entgegenzuhalten, dass es sich bei einer Durchführungsweisung eben nicht um eine Verordnung handelt, da sie nach außen hin keine normative Wirkung entfaltet.
Die Durchführungsweisung bindet lediglich die belangte Behörde als unterstelltes Verwaltungsorgan und wurde sie auch nicht in der Rechtsform einer Verordnung erlassen und insbesondere kundgemacht. Darüber hinaus ist auch nicht anzunehmen, dass sie allenfalls durch die Verbreitung und Anwendung durch Behörden und in der Gerichtsbarkeit ein solches Maß an Publizität erreicht hätte, dass sie Eingang in die Rechtsordnung gefunden hätte. Sie legt allein die behördeninterne Rechtsauslegung fest, ohne die allgemeine Rechtslage zu gestalten bzw. den Eindruck einer materiellen Außenwirkung zu erwecken (vgl. zur Abgrenzung VfGH 23.06.2021, V 95-96/2021). Die belangte Behörde selbst bezieht sich in der Begründung des beschwerdegegenständlichen Bescheids auch gar nicht auf die Durchführungsweisung.
Gemäß der in der genannten Durchführungsweisung – und folglich auch von der belangten Behörde – vertretenen Rechtsansicht, soll § 12 Abs. 6 AlVG nicht für bereits bestehende Dienstverhältnisse gelten, die der Arbeitslosenversicherung unterliegen. Weiters sollen nach Ansicht des Bundesministers aufgrund der Aufhebung der Wortfolge „Abs. 2“ parallel bestehende Dienstverhältnisse nach AlVG nicht mehr als geringfügig gelten, wenn alle Beitragsgrundlagen insgesamt die Geringfügigkeitsgrenze überschreiten. Selbiges gelte für ein an sich geringfügiges Dienstverhältnis, das mit einem vollversicherten Dienstverhältnis zusammentrifft und im Überschneidungszeitraum vollversichert ist. Aufgrund dieser Systematik des § 12, also der Verknüpfung von Abs. 1 und Abs. 3 und der nunmehrigen Zusammenrechnung aller Beitragsgrundlagen für die Frage der Geringfügigkeit, sei grundsätzlich davon auszugehen, dass Abs. 1 die Beendigung sämtlicher Dienstverhältnisse, die der Arbeitslosenversicherung unterliegen, für das Vorliegen von Arbeitslosigkeit verlange und folglich auch § 12 Abs. 3 lit. h AlVG Anwendung finde. Der Durchführungsweisung zufolge soll erst nach einer Unterbrechung von einem Monat beim jeweiligen (ehemaligen) Arbeitgeber wiederum eine geringfügige Beschäftigung aufgenommen werden können, wobei für den Fristbeginn auf die Beendigung des der Vollversicherung unterlegenen geringfügigen Dienstverhältnisses bzw. auf das Ende der Vollversicherung bei einem fortlaufenden geringfügigen Dienstverhältnis abgestellt werde.
In der Praxis ergibt sich daraus, dass Personen, die zugleich in zwei geringfügig entlohnten Dienstverhältnissen oder einem vollversicherten und einem geringfügigen Dienstverhältnis stehen, für den Zeitraum, in dem sich diese Dienstverhältnisse überschneiden, der Arbeitslosenversicherungspflicht unterliegen. Wird eines dieser beiden geringfügigen Dienstverhältnisse bzw. das neben dem geringfügigen Dienstverhältnis bestehende an sich vollversicherte Dienstverhältnis beendet, wird (unabhängig vom Beendigungsgrund) aufgrund der davor bestehenden Vollversicherung angenommen, dass das weiterbestehende Dienstverhältnis trotz Geringfügigkeit beendet werden müsste, um den Anforderungen des § 12 Abs. 3 lit. h AlVG zu genügen, da es sich um ein geringfügiges Dienstverhältnis beim selben Dienstgeber im Anschluss an eine Vollversicherung handle.
Zusammengefasst kommt für die belangte Behörde bei Beendigung eines der parallel bestehenden Dienstverhältnisse und somit auch der Arbeitslosenversicherungspflicht die Bestimmung des § 12 Abs. 3 lit. h AlVG zum Tragen – und zwar auch in Fällen, in denen das fortbestehende (geringfügige) Dienstverhältnis gar keine Änderung erfahren hat und nicht (mehr) der Arbeitslosenversicherungspflicht unterliegt, da die Grenze des § 5 Abs. 2 AlVG unterschritten wird.
Gegen die Anwendung des § 12 Abs. 3 lit. h AlVG im gegenständlichen Fall einer geringfügigen Beschäftigung, die lediglich aufgrund sowie ausschließlich für die Zeit des parallelen Bestehens zu einer vollversicherten Beschäftigung ebenfalls der Pflichtversicherung in der Arbeitslosen-versicherung unterliegt, sprechen jedoch der Wortlaut der Bestimmung, der darauf abstellt, dass ein vollversichertes in ein geringfügig entlohntes Beschäftigungsverhältnis bei demselben Arbeitgeber umgewandelt wird, und die mangelnde Missbrauchsmöglichkeit aufgrund einer erst im Nachhinein begründeten Vollversicherung.
§ 12 Abs. 3 lit. h AlVG dient dazu, einen vom jeweiligen Bedarf des Arbeitgebers abhängigen Wechsel des Arbeitnehmers in ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis bei (teilweiser) Substitution des Entgeltausfalls durch Arbeitslosengeld zu verhindern (vgl. RV 72 BlgNR 20. GP , S. 234). Eine solche Missbrauchsmöglichkeit ist aber dann nicht gegeben, wenn die Arbeitslosenversicherung nur aufgrund eines oder mehrerer geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse zu (einem) anderen Arbeitgeber(n) begründet wurde – also im Verhältnis zu dem in Frage kommenden Arbeitgeber hinsichtlich des Arbeitsausmaßes bzw. des Entgeltanspruches gar keine (maßgebliche) Änderung eingetreten ist.
Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 12 Abs. 3 lit. h AlVG muss die arbeitslose Person binnen eines Monats beim selben Arbeitgeber – d.h. bei jenem, zu dem das bereits vor Wegfall der Arbeitslosenversicherungspflicht bestehende (geringfügige) Dienstverhältnis weiter fortgeführt wird und dessen Wegfall gemäß § 12 Abs. 1 Z 1 AlVG grundsätzlich Arbeitslosigkeit begründet – ein (neues) geringfügig entlohntes Dienstverhältnis aufnehmen.
§ 12 Abs 3 lit h AlVG stellt weder darauf ab, ob ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis beim selben Arbeitgeber auch schon vor Aufnahme der vollversicherten Beschäftigung bestanden hat, noch darauf, ob während der daran anschließenden geringfügigen Beschäftigung zunächst kein Anspruch auf Arbeitslosengeld besteht, weil ein weiterer die Arbeitslosigkeit ausschließender Tatbestand des § 12 Abs. 3 AlVG vorliegt. Für die Anwendbarkeit des § 12 Abs. 3 lit. h AlVG ist zunächst nur entscheidend, dass vor der geringfügigen Beschäftigung eine die Arbeitslosigkeit ausschließende (vollversicherte) Beschäftigung beim selben Dienstgeber vorlag (vgl. VwGH 16.02.2011, 2008/08/0028).
Die oben dargestellte Auslegung des § 12 Abs. 3 lit. h AlVG gemäß Durchführungsweisung, wonach das fortgeführte Dienstverhältnis (beim selben Arbeitgeber) so betrachtet wird, als ob es nach Wegfall der Vollversicherung neu als geringfügiges Dienstverhältnis aufgenommen worden wäre, ist weder dem Gesetzeswortlaut noch der dazu ergangenen Rechtsprechung zu entnehmen. Zunächst wird nämlich bereits faktisch kein Dienstverhältnis neu aufgenommen, sondern fällt lediglich die Arbeitslosenversicherungspflicht weg, woraus keinesfalls geschlossen werden kann, dass damit eine Änderung und Neuaufnahme des bereits bestehenden Dienstverhältnisses einhergeht.
Auch eine Umdeutung des fortgeführten Dienstverhältnisses in der Hinsicht, dass der Wegfall der Arbeitslosenversicherungspflicht eine Neuaufnahme des Dienstverhältnisses darstellt, ist rechtlich unzutreffend. Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits klargestellt hat, darf das Dienstverhältnis nicht bloß unverändert fortgeführt werden, sondern hat zumindest eine maßgebende Änderung (jedenfalls in Bezug auf die Entgelthöhe und den naheliegend damit einhergehenden Arbeitsumfang) zur Voraussetzung, um von der Aufnahme einer „neuen“ Beschäftigung ausgehen zu können (vgl. näher VwGH 20.2.2008, 2005/08/0217; 29.4.2002, 99/03/0070; vgl. VwGH 13.10.2020, Ro 2016/08/0005).
Bei einer Gesamtbetrachtung stellt daher der Wegfall der Pflichtversicherung keine „maßgebende Änderung“ dar. Sofern das fortgeführte geringfügige Dienstverhältnis keine maßgebende Änderung erfährt, sondern unverändert fortgeführt wird und lediglich die Vollversicherungspflicht durch den Wegfall des parallel bestehenden vollversicherten Dienstverhältnisses entfällt, handelt es sich iSd zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht um eine neue Beschäftigung im Sinne des § 12 Abs. 3 lit. h AlVG.
Darüber hinaus ist im gegenständlichen Fall auch keine Missbrauchsabsicht zu erkennen; insbesondere handelte es sich um ein geringfügiges Dienstverhältnis, dass die Beschwerdeführerin lange vor und unabhängig von ihrem letzten vollversicherten Dienstverhältnis bzw. auch jenem davor begründet hatte. Die Konstellation, die mit der Bestimmung des § 12 Abs. 3 lit. h AlVG hintangehalten werden soll, nämlich die Substitution des Entgeltausfalls durch Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung beim Wechsel von einer vollversicherten in eine geringfügige Beschäftigung, liegt hier zweifelsfrei nicht vor.
Soweit es sich bei § 12 Abs. 3 AlVG um eine demonstrative Aufzählung handelt („insbesondere“), ist darauf zu verweisen, dass sich keine Anhaltspunkte aus dem Gesetz oder den Materialien ergeben, warum gerade diese vorliegende Konstellation – Fortführung des bestehenden geringfügigen Dienstverhältnisses ungeachtet der Beendigung der vollversicherten Beschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber – der Arbeitslosigkeit entgegenstehen sollen. Zudem wäre es dem Gesetzgeber offen gestanden, nach der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 06.03.2023, G 296/2022-7, eine entsprechende Klarstellung im Gesetz vorzunehmen.
Festzuhalten ist überdies, dass auch nicht nachvollziehbar ist, inwiefern das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 06.03.2024, G 296/2022-7, mit dem der Umfang der Versicherungspflicht gemäß § 1 Abs. 4 AlVG erweitert wurde, zu einer gänzlich anderen Interpretation der davon unberührten Bestimmung des § 12 Abs. 3 lit. h AlVG führen soll. § 12 Abs. 3 lit. h AlVG war nicht Gegenstand des Gesetzprüfungsverfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof.
Die Beschwerdeführerin war daher bereits ab 16.04.2024 arbeitslos iSd § 12 AlVG.
Anhaltspunkte, dass die übrigen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht gegeben sind, liegen nicht vor.
Den Feststellungen folgend hat die Beschwerdeführerin bereits Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung bezogen; sohin war zur Erfüllung der Anwartschaft gemäß § 14 Abs. 2 AlVG grundsätzlich vorausgesetzt, dass sie in den letzten 12 Monaten vor Geltendmachung des Anspruches insgesamt 28 Wochen im Inland arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt war („kleine Anwartschaft“). Mit insgesamt 364 Tagen vollversicherter Beschäftigung im Zeitraum 16.04.2023 bis 15.04.2024 wurde dieses Kriterium eindeutig erfüllt, sodass auf allfällige Rahmenfristerstreckungsgründe nicht mehr einzugehen war.
Vor dem Hintergrund der neu erworbenen Anwartschaft war gegenständlich auch die Bezugsdauer nicht erschöpft.
Im Ergebnis erfüllte die Beschwerdeführerin daher bereits ab 16.04.2024 sämtliche Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld gemäß § 7 AlVG, weshalb ihr bereits ab diesem Datum Arbeitslosengeld zuzuerkennen war.
Zum Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung
Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen.
Die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung wurde von der Beschwerdeführerin zwar beantragt, doch erscheint diese im gegenständlichen Fall nicht geboten, da sich der maßgebliche Sachverhalt aus der Aktenlage ergibt und – soweit fallgegenständlich relevant – von der Beschwerdeführerin gar nicht substantiiert bestritten wurde. Im vorliegenden Fall war lediglich die Rechtsfrage des Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen gemäß § 7 AlVG zu klären, die sich aufgrund der eindeutigen Rechtslage auch nicht als besonders komplex erwies.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Zwar mag die belangte Behörde entsprechend der Durchführungsweisung des Bundesministers eine eigene Rechtsansicht betreffend den Anwendungsbereich des § 12 Abs. 3 lit. h AlVG vertreten, doch steht dieser – wie in der rechtlichen Beurteilung eingehend dargestellt – der klare Wortlaut der Bestimmung bzw. eine eindeutige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entgegen, auf die sich das Bundesverwaltungsgericht gegenständlich stützen konnte.
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