BVwG W102 2260393-1

BVwGW102 2260393-115.5.2024

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2024:W102.2260393.1.00

 

Spruch:

 

W102 2260393-1/26E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Werner ANDRÄ als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich – Außenstelle Linz, vom 06.09.2022, Zl. XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 26.04.2023, zu Recht:

 

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

 

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Araber, stellte am 09.11.2021 erstmals im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der Erstbefragung am 10.11.2021 gab der Beschwerdeführer zum Fluchtgrund befragt im Wesentlichen an, er fürchte für das syrische Militär eingezogen zu werden. Er wolle nicht kämpfen und niemanden töten. Es gebe auch keinen Strom und keine Lebensmittel. Man bekomme keine Arbeit. Bei einer Rückkehr fürchte er für das Militär eingezogen zu werden.

In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 04.02.2022 führte der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen aus, dass er Syrien verlassen habe, weil er den Militärdienst leisten hätte müssen. Wenn er zurückkehren würde, würden sie ihn zum Militärdienst verpflichten. Das wolle er nicht, weil Krieg herrsche. Er habe seinen regulären Militärdienst noch nicht abgeleistet.

2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 06.09.2022, zugestellt am 09.09.2022, wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erkannte dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm die befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 für ein Jahr (Spruchpunkt III.). Begründend führte die belangte Behörde hinsichtlich Spruchpunkt I. aus, dass der Beschwerdeführer keinen Einberufungsbefehl erhalten habe und sich zudem während seines Aufenthalts im Libanon zwischen 2017 und 2020 vom Militärdienst freikaufen hätte können. Der Beschwerdeführer könne sich durch eine Geldleistung folglich legal vom Militärdienst befreien. Zusätzlich habe der Beschwerdeführer ohne Probleme im Jahr 2018 bei den syrischen Behörden ein Familienbuch ausstellen lassen. Es gebe keine Generalmobilmachung des syrischen Militärs. Aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers lasse sich daher keine asylrelevante Verfolgung im Sinne der GFK ableiten.

3. Gegen Spruchpunkt I. des oben dargestellten Bescheides richtet sich die am 23.09.2022 bei der belangten Behörde eingelangte Beschwerde, in der der Beschwerdeführer ausführte, dass er befürchte vom syrischen Regime (und auch von der kurdischen Armee) rekrutiert zu werden. Da er Syrien unerlaubterweise verlassen habe, den Militärdienst nicht abgeleistet habe und aus Manbidsch (Provinz Aleppo) stamme, befürchte er staatliche Verfolgung. Als Deserteur drohe ihm eine langjährige Haftstrafe bzw. die Todesstrafe. Das syrische Regime sehe Desertion nicht nur als strafbare Handlung, sondern auch als Zeichen des politischen Dissens an. Daher drohe dem Beschwerdeführer auch wegen seiner (unterstellten) politischen Gesinnung eine langjährige Haft- bzw. die Todesstrafe. Mit der Beschwerde legte der Beschwerdeführer einen Einberufungsbefehl in Kopie vor.

Mit Ladung vom 27.03.2023 brachte das Bundesverwaltungsgericht folgende Länderberichte in das Verfahren ein:

 Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Syrien, Version 8, Stand 29.12.2022

 EUAA, Country Guidance: Syria von Februar 2023

 UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 6. aktualisierte Fassung von März 2021 (in der Folge UNHCR-Richtlinien)

 EUAA COI Report: Syria. Targeting of Individuals von September 2022

 EUAA COI Report: Syria. Security situation von September 2022)

 EASO COI Report: Syria. Security situation von Juli 2021

 EASO COI Report: Syrien. Lage der Rückkehrer aus dem Ausland von Juni 2021)

 EASO COI Report: Syria. Military service von April 2021)

 Liveuamap LLC: Syria Live Map

und gab dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde die Gelegenheit zur Stellungnahme.

Das Bundesverwaltungsgericht führte zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes am 26.04.2023 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, sein bevollmächtigter Rechtsvertreter und ein Dolmetscher für die Sprache Arabisch teilnahmen. Die belangte Behörde erschien entschuldigt nicht.

Im Zuge der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt und hielt sein Vorbringen, er wolle den Wehrdienst nicht ableisten, im Wesentlichen aufrecht. Zudem wurde der Dolmetscher beauftragt, den mit der Beschwerde vorgelegten Einberufungsbefehl binnen zwei Wochen zu übersetzen.

Mit Stellungnahme vom 10.05.2023 führte der Beschwerdeführer aus, dass er bei einer Rückkehr nach Syrien wegen der Verweigerung des Wehrdienstes verfolgt und eingezogen werden würde. Der Beschwerdeführer wäre durch die Teilnahme am Krieg in Syrien einer erheblichen Gefahr für sein Leben ausgesetzt und es sei davon auszugehen, dass er zur Beteiligung an schweren Menschenrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder an anderen Handlungen gegen seinen Willen gezwungen wäre. Aus den aktuellen Länderberichten ergebe sich weiters, dass das syrische Regime mittlerweile in mehreren Regionen im Norden, einschließlich der Herkunftsregion des Beschwerdeführers, Manbidsch, präsent sei. Weiters sei aus der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 03.01.2023, Ra 2022/01/0328, abzuleiten, dass es auch auf die Erreichbarkeit der Heimatregion ankomme. Der Beschwerdeführer würde bereits bei der Einreise vom syrischen Regime kontrolliert werden.

Mit Parteiengehör vom 19.07.2023 brachte das Bundesverwaltungsgericht das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Syrien, Version 9, Stand 17.07.2023, vom 17.02.2023 in das Verfahren ein und gab den Parteien die Möglichkeit zur Stellungnahme. Bis zum Fristende langten keine Stellungnahmen ein.

Am 30.11.2023 langte die in der mündlichen Verhandlung beauftragte Übersetzung des Einberufungsbefehls (nach zahlreichen Urgenzen) beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Mit Erkenntnis vom 06.12.2023, W102 2260393-1/10E, gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde statt, erkannte dem Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 den Status des Asylberechtigten zu und stellte gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 fest, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Der hiergegen erhobenen außerordentlichen Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gab der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 28.02.2024, Ra 2023/20/0619-8, statt und hob das Erkenntnis vom 06.12.2023 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf. Begründend führt der Verwaltungsgerichtshof aus, das Bundesverwaltungsgericht habe die für die Entscheidung maßgeblichen Feststellungen nicht umfänglich getroffen. Es handle sich in erster Linie um aus den vorhandenen Beweismitteln gezogene (prognostische) Schlussfolgerungen. Das Bundesverwaltungsgericht habe sich nicht mit der von der Behörde angenommenen Möglichkeit, der Mitbeteiligte könne sich vom Militärdienst gegen die Zahlung einer Kompensation befreien lassen, befasst. Es habe zudem keine Feststellungen getroffen, aus denen sich die Annahme, eine Einreise des Mitbeteiligten in seine Herkunftsregion könne nur über von der syrischen Regierung kontrollierte Gebiete erfolgen, ableiten ließe. Aus den Länderberichten ergebe sich ein differenziertes Bild der Haltung des syrischen Regimes gegenüber Wehrdienstverweigerern. Nicht jedem den Militärdienst verweigernden Syrer werde eine oppositionelle Haltung unterstellt. Es lasse sich kein Automatismus dahingehend als gegeben annehmen, dass jedem im Ausland lebenden Syrer, der seinen Wehrdienst nicht abgeleistet habe, im Herkunftsstaat eine oppositionelle politische Gesinnung unterstellt werde und deswegen eine unverhältnismäßige Bestrafung drohe. Nichts Anderes gelte für die Frage, ob ein den Militärdienst ableistender syrischer Staatsangehöriger sich dazu gezwungen sähe, zu Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen beizutragen. Wenn ein Wehrdienstverweigerer unter den Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 lit. e Statusrichtlinie Bestrafung drohe, spreche zwar eine starke Vermutung für die Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund, dies entbinde aber nicht von der erforderlichen Plausibilitätsprüfung. Es bedürfe einer Beurteilung unter Einbeziehung aller konkreten Umstände des Einzelfalles, ob im Fall der Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes eine Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohe. Es sei für sich genommen auch nicht ausreichend, wenn der asylwerbende Fremde Gründe, die Ausdruck einer politischen oder religiösen Gesinnung sein könnten, ins Treffen führe. Die begründete Furcht einer Person vor Verfolgung müsse in kausalem Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen stehen. Dem Schutz vor willkürlichen Zwangskaten bei Fehlen eines kausalen Konnexes zu einem in der GFK genannten Gründen, diene die Gewährung subsidiären Schutzes.

Mit Schreiben vom 09.04.2024 brachte das Bundesverwaltungsgericht das aktuelle

 Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien, Version 11, Gesamtaktualisierung: 27.03.2024 (in der Folge: Länderinformationsblatt)

in das Verfahren ein und gab dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde die Gelegenheit zur Stellungnahme.

Am 17.04.2024 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers am Bundesverwaltungsgericht ein, in der auf die Ausführungen im Beschwerdeschriftsatz verwiesen wird sowie ausgeführt wird, dass es in Syrien keine wesentlichen Neuerungen hinsichtlich der Lage im Falle einer Wehrdienstverweigerung und den damit einhergehenden Folgen gekommen sei. Der Beschwerdeführer habe auch seinen Selbstverteidigungsdienst bis dato nicht abgeleistet. Eine Verfolgung am Weg der Rückkehr sei asylrelevant und daher zu prüfen.

Mit Schreiben vom 18.04.2024 brachte das Bundesverwaltungsgericht die

 EUAA Country Guidance: Syria vom April 2024 (in der Folge EUAA Country Guidance)

in das Verfahren ein und gab dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde die Gelegenheit zur Stellungnahme.

Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:

 Einberufungsbefehl (in Kopie)

 Syrischer Personalausweis (Original)

 Familienbuch (Kopie)

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, wurde am XXXX geboren, ist Staatsangehöriger der Arabischen Republik Syrien, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Arabisch.

Der Beschwerdeführer stammt aus der Stadt Manbidsch, Gouvernement Aleppo. Er besuchte neun Jahre die Schule und war anschließend als Hilfsarbeiter in Manbidsch tätig. Zwischen 2013 und 2014 arbeitete der Beschwerdeführer legal im Libanon. Dann kehrte er nach Manbidsch zurück, bevor er 2017 illegal in den Libanon zurückkehrte und dort arbeitete. Ca. 2019/2020 kehrte der Beschwerdeführer nach Syrien zurück, bevor er 2021 über die Türkei nach Österreich reiste.

Der Beschwerdeführer ist mit XXXX , geb. XXXX , seit 01.01.2017 verheiratet. Sie haben drei gemeinsame mj. Kinder. Die Ehefrau und Kinder leben im Heimatort des Beschwerdeführers bei seinen Eltern.

Die Eltern des Beschwerdeführers, zwei Brüder und sechs Schwestern des Beschwerdeführers leben nach wie vor im Heimatort in Syrien. Zwei Brüder des Beschwerdeführers leben im Libanon, ein Bruder lebt im Irak.

Der Beschwerdeführer ist gesund.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Die Heimatstadt des Beschwerdeführers liegt im Gebiet der kurdischen Selbstverwaltung.

Der Beschwerdeführer hat seinen Wehrdienst noch nicht abgeleistet und möchte seinen Wehrdienst nicht ableisten. Dass der Beschwerdeführer die Ableistung des Militärdienstes aus politischen oder religiösen Gründen ablehnt, wird nicht festgestellt.

Dass der Beschwerdeführer einen Einberufungsbefehl erhalten hat, wird nicht festgestellt. Er hat sein Wehrbuch nie abgeholt.

Für eine Einschränkung der Religionsausübung von sunnitischen Muslimen durch die kurdische Selbstverwaltung finden sich keinerlei Hinweise in den herangezogenen Berichten.

Der Beschwerdeführer wurde vor seiner Ausreise nicht von den kurdischen Streitkräften für die „Selbstverteidigungspflicht“ rekrutiert, diese sind auch nicht deswegen an den Beschwerdeführer herangetreten.

1.2.1. Wehrdienst

Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter von 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von zwei Jahren gesetzlich verpflichtend. Die Dauer des Wehrdienstes beträgt 18 Monate bzw. 21 Monate für jene, die die fünfte Klasse der Grundschule nicht abgeschlossen haben. Polizeidienst wird im Rahmen des Militärdienstes organisiert. Eingezogene Männer werden entweder dem Militär oder der Polizei zugeteilt. Ausnahmen von der Wehrpflicht bestehen für Studenten, Staatsangestellte, aus medizinischen Gründen und für Männer, die die einzigen Söhne einer Familie sind. Auch geflüchtete Syrer, die nach Syrien zurückkehren, müssen mit Zwangsrekrutierung rechnen.

Die Umsetzung

Bei der Einberufung neuer Rekruten sendet die Regierung Wehrdienstbescheide mit der Aufforderung, sich zum Militärdienst anzumelden, an Männer, die das wehrfähige Alter erreicht haben. Die Namen der einberufenen Männer werden in einer zentralen Datenbank erfasst. Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Wehrbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. Die Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Obwohl die offizielle Wehrdienstzeit etwa zwei Jahre beträgt, werden Wehrpflichtige in der Praxis auf unbestimmte Zeit eingezogen.

Seit März 2020 hat es in Syrien keine größeren militärischen Offensiven an den offiziellen Frontlinien mehr gegeben. Scharmützel, Granatenbeschuss und Luftangriffe gingen weiter, aber die Frontlinien waren im Grunde genommen eingefroren. Nach dem Ausbruch von COVID-19 und der Einstellung größerer Militäroperationen in Syrien Anfang 2020 verlangsamten sich Berichten zufolge die militärischen Rekrutierungsmaßnahmen der SAA. Die SAA berief jedoch regelmäßig neue Wehrpflichtige und Reservisten ein.

Rekrutierungspraxis

Es gibt zahlreiche glaubhafte Berichte, laut denen wehrpflichtige Männer, die auf den Einberufungsbescheid nicht reagieren, von Mitarbeitern der Geheimdienste abgeholt und zwangsrekrutiert werden. Junge Männer werden an Kontrollstellen (Checkpoints) sowie unmittelbar an Grenzübergängen festgenommen und zwangsrekrutiert, wobei es in den Gebieten unter Regierungskontrolle zahlreiche Checkpoints gibt. Es gibt Zwangsrekrutierungen junger Männer durch syrische Streitkräfte auch unmittelbar im Kampfgebiet. Rekrutierungen finden auch in Ämtern statt, beispielsweise wenn junge Männer Dokumente erneuern wollen, sowie an Universitäten, in Spitälern und an Grenzübergängen, wo die Beamten Zugang zur zentralen Datenbank mit den Namen der für den Wehrdienst gesuchten Männer haben.

Da die Zusammensetzung der syrisch-arabischen Armee ein Spiegelbild der syrischen Bevölkerung ist, sind ihre Wehrpflichtigen mehrheitlich sunnitische Araber, die vom Regime laut einer Quelle als „Kanonenfutter“ im Krieg eingesetzt wurden. Die sunnitisch arabischen Soldaten waren (ebenso wie die alawitischen Soldaten und andere) gezwungen, den größeren Teil der revoltierenden sunnitisch-arabischen Bevölkerung zu unterdrücken.

Rekrutierung von Personen aus Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle

Nach dem Abkommen zwischen den Syrian Democratic Forces (SDF) und der syrischen Regierung Mitte Oktober 2019, das die Stationierung von Truppen der syrischen Regierung in zuvor kurdisch kontrollierten Gebieten vorsah, wurde berichtet, dass syrische Kurden aus dem Gebiet in den Irak geflohen sind, weil sie Angst hatten, in die SAA eingezogen zu werden. Die Absolvierung des „Wehrdiensts“ gemäß der „Demokratischen Selbstverwaltung Nord- und Ostsyrien“ [Autonomous Administration of North and East Syria (AANES)] befreit nicht von der nationalen Wehrpflicht in Syrien. Die syrische Regierung verfügt über mehrere kleine Gebiete im Selbstverwaltungsgebiet. In Qamishli und al-Hassakah tragen diese die Bezeichnung „Sicherheitsquadrate“ (al-Morabat al-Amniya), wo sich verschiedene staatliche Behörden, darunter auch solche mit Zuständigkeit für die Rekrutierung befinden. Während die syrischen Behörden im Allgemeinen keine Rekrutierungen im Selbstverwaltungsgebiet durchführen können, gehen die Aussagen über das Rekrutierungsverhalten in den Regimeenklaven bzw. „Sicherheitsquadraten“ auseinander – auch bezüglich etwaiger Unterschiede zwischen dort wohnenden Wehrpflichtigen und Personen von außerhalb der Enklaven, welche die Enklaven betreten. Ein befragter Rechtsexperte der ÖB Damaskus berichtet, dass die syrische Regierung in den Gebieten unter Kontrolle der Selbstverwaltung dort rekrutieren kann, wo sie im „Sicherheitsquadrat“ im Zentrum der Gouvernements präsent ist, wie z. B. in Qamishli oder in Deir ez-Zor. Dies wird auch von SNHR bestätigt, die ebenfalls angeben, dass die Rekrutierung durch die syrischen Streitkräfte an deren Zugriffsmöglichkeiten gebunden ist. Ein befragter Militärexperte gab dagegen an, dass die syrische Regierung grundsätzlich Zugriff auf die Wehrpflichtigen in den Gebieten unter der Kontrolle der PYD [Partiya Yekîtiya Demokrat] hat, diese aber als illoyal ansieht und daher gar nicht versucht, sie zu rekrutieren. Männer im wehrpflichtigen Alter, die sich zwischen den Gebieten unter Kontrolle der SDF und der Regierungstruppen hin- und her bewegen, können von Rekrutierungsmaßnahmen auf beiden Seiten betroffen sein, da keine der beiden Seiten die Dokumente der anderen Seite [z.B. über einen abgeleisteten Wehrdienst, Aufschub der Wehrpflicht o. Ä.] anerkennt.

Wehrdienstverweigerung

In Syrien besteht keine Möglichkeit der legalen Wehrdienstverweigerung. Auch die Möglichkeit eines (zivilen) Ersatzdienstes gibt es nicht. Es gibt in Syrien keine reguläre oder gefahrlose Möglichkeit, sich dem Militärdienst durch Wegzug in andere Landesteile zu entziehen. Beim Versuch, sich dem Militärdienst durch Flucht in andere Landesteile, die nicht unter Kontrolle des Regimes stehen, zu entziehen, müssten Wehrpflichtige zahlreiche militärische und paramilitärische Kontrollstellen passieren, mit dem Risiko einer zwangsweisen Einziehung, entweder durch die syrischen Streitkräfte, Geheimdienste oder regimetreue Milizen.

Männern im wehrpflichtigen Alter ist die Ausreise verboten. Der Reisepass wird ihnen vorenthalten und Ausnahmen werden nur mit Genehmigung des Rekrutierungsbüros, welches bescheinigt, dass der Wehrdienst geleistet wurde, gewährt.

Manche Experten gehen davon aus, dass Wehrdienstverweigerung vom Regime als Nähe zur Opposition gesehen wird. Bereits vor 2011 war es ein Verbrechen, den Wehrdienst zu verweigern. Nachdem sich im Zuge des Konflikts der Bedarf an Soldaten erhöht hat, wird Wehrdienstverweigerung im besten Fall als Feigheit betrachtet und im schlimmsten im Rahmen des Militärverratsgesetzes (qanun al-khianaal-wataniya) behandelt. In letzterem Fall kann es zur Verurteilung vor einem Feldgericht und Exekution kommen oder zur Inhaftierung in einem Militärgefängnis. Loyalität ist hier ein entscheidender Faktor: Wer sich dem Wehrdienst entzogen hat, hat sich als illoyal erwiesen. Rechtsexperten der Free Syrian Lawyers Association (FSLA) mit Sitz in der Türkei beurteilen, dass das syrische Regime die Verweigerung des Militärdienstes als schweres Verbrechen betrachtet und die Verweigerer als Gegner des Staates und der Nation behandelt. Dies spiegelt die Sichtweise des Regimes auf die Opposition wie auch jede Person wider, die versucht, sich seiner Politik zu widersetzen oder ihr zu entkommen. Der Syrien-Experte Fabrice Balanche sieht die Haltung des Regimes Wehrdienstverweigerern gegenüber als zweischneidig, weil es einerseits mit potenziell illoyalen Soldaten, die die Armee schwächen, nichts anfangen kann, und sie daher besser außer Landes sehen will, andererseits werden sie inoffiziell als Verräter gesehen, da sie sich ins Ausland gerettet haben, statt „ihr Land zu verteidigen“. Wehrdienstverweigerung wird aber nicht unbedingt als oppositionsnahe gesehen. Das syrische Regime ist sich der Tatsache bewusst, dass viele junge Männer nach dem Studium das Land verlassen haben, einfach um nicht zu sterben. Daher wurde die Möglichkeit geschaffen, sich frei zu kaufen, damit die Regierung zumindest Geld in dieser Situation einnehmen kann. Hinzu kommen Ressentiments der in Syrien verbliebenen Bevölkerung gegenüber Wehrdienstverweigerern, die das Land verlassen haben und sich damit „gerettet“ haben, während die verbliebenen jungen Männer im Krieg ihr Leben riskiert bzw. verloren haben. Ein für eine internationale Forschungsorganisation mit Schwerpunkt auf den Nahen Osten tätiger Syrienexperte, der allerdings angibt, dazu nicht eigens Forschungen durchgeführt zu haben, geht davon aus, dass das syrische Regime möglicherweise am Anfang des Konflikts, zwischen 2012 und 2014, Wehrdienstverweigerer durchwegs als oppositionell einstufte, inzwischen allerdings nicht mehr jeden Wehrdienstverweigerer als oppositionell ansieht. Gemäß Auswärtigem Amt legen einige Berichte nahe, dass Familienangehörige von Deserteuren und Wehrdienstverweigerern ebenfalls Verhören und Repressionen der Geheimdienste ausgesetzt sein könnten.

Wehrdienstentzug wird gemäß dem Militärstrafgesetzbuch bestraft. In Art. 98-99 ist festgehalten, dass mit einer Haftstrafe von einem bis sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft wird, wer sich der Einberufung entzieht.

Die Gesetzesbestimmungen werden nicht konsistent umgesetzt, und die Informationslage bezüglich konkreter Fälle von Bestrafung von Wehrdienstverweigerern und Deserteuren ist eingeschränkt, da die syrischen Behörden hierzu keine Informationen veröffentlichen. Manche Quellen geben an, dass Betroffene sofort oder nach einer kurzen Haftstrafe (einige Tage bis Wochen) eingezogen werden, sofern sie in keinerlei Oppositionsaktivitäten involviert waren. Andere geben an, dass Wehrdienstverweigerer von einem der Nachrichtendienste aufgegriffen und gefoltert oder „verschwindengelassen“ werden können. Die Konsequenzen hängen offenbar vom Einzelfall ab.

Es gibt verschiedene Meinungen darüber, ob Wehrdienstpflichtige zurzeit sofort eingezogen, oder zuerst inhaftiert und dann eingezogen werden: Laut Balanche ist der Bedarf an Soldaten weiterhin hoch genug, dass man wahrscheinlich nicht inhaftiert, sondern mit mangelhafter oder ohne Ausbildung direkt an die Front geschickt wird. Die Strafe für Wehrdienstentzug ist oft Haft und im Zuge dessen auch Folter. Während vor ein paar Jahren Wehrdienstverweigerer bei Checkpoints meist vor Ort verhaftet und zur Bestrafung direkt an die Front geschickt wurden (als „Kanonenfutter“), werden Wehrdienstverweigerer derzeit laut Uğur wahrscheinlich zuerst verhaftet. Seit die aktivsten Kampfgebiete sich beruhigt haben, kann das Regime es sich wieder leisten, Leute zu inhaftieren (Gefängnis bedeutet immer auch Folter, Wehrdienstverweigerer würden hier genauso behandelt wie andere Inhaftierte oder sogar schlechter). Dem hingegegn gibt ein von EUAA interviewter Experte an, dass Wehrdienstverweigerer, die von der syrischen Regierung gefasst werden, der Militärpolizei übergeben werden und schließlich in Trainingslager zur Ausbildung und Stationierung gesendet werden. Bis zum Beginn einer Wehrdienstausbildung, die normalerweise im April und September geplant sind, bleibt der Wehrdienstverweigerer bei der Militärpolizei. Selbst für privilegierte Personen mit guten Verbindungen zum Regime ist es nicht möglich, als Wehrdienstverweigerer nach Syrien zurückzukommen – es müsste erst jemand vom Geheimdienst seinen Namen von der Liste gesuchter Personen löschen. Auch nach der Einberufung ist davon auszugehen, dass Wehrdienstverweigerer in der Armee unmenschliche Behandlung erfahren werden. Laut Kheder Khaddour würde man als Wehrdienstverweigerer wahrscheinlich ein paar Wochen inhaftiert und danach in die Armee eingezogen. Auch einige Quellen des Danish Immigration Service geben an, dass Wehrdienstverweigerer mit einer Haftstrafe von bis zu neun Monaten rechnen müssen. Andere Quellen des Danish Immigration Service wiederum berichteten, dass Wehrdienstverweigerer direkt zum Wehrdienst eingezogen, ohne vorher inhaftiert zu werden. Wer an einem Checkpoint als Wehrdienstverweigerer erwischt wird, wird dem Geheimdienst übergeben.Ein Wehrdienstverweigerer, der nicht aus anderen Gründen gesucht wird, wird dem Militär zur Ableistung des Wehrdienstes übergeben. Wehrdienstverweigerer werden meist direkt an die Front geschickt. Wehrdienstverweigerer aus den Gebieten, die von der Opposition kontrolliert wurden, werden dabei mit größerem Misstrauen betrachtet und mit größerer Wahrscheinlichkeit inhaftiert oder verhaftet.

Aufgrund der fehlenden Überwachung durch internationale Organisationen ist unklar, wie systematisch und weit verbreitet staatliche Übergriffe auf Rückkehrer sind. Die Tatsache, dass der zuständige Beamte am Grenzübergang oder in der örtlichen Sicherheitsdienststelle die Befugnis hat, seine eigene Entscheidung über den einzelnen Rückkehrer zu treffen, trägt dazu bei, dass es hierbei kein klares Muster gibt (DIS 5.2022). Auch geflüchtete Syrer, die nach Syrien zurückkehren, müssen mit Zwangsrekrutierung rechnen. Glaubwürdige Berichte über Einzelschicksale legen nahe, dass auch eine zuvor ausgesprochene Garantie des Regimes, auf Vollzug der Wehrpflicht bzw. Strafverfolgung aufgrund von Wehrentzug, etwa im Rahmen sogenannter „Versöhnungsabkommen“ zu verzichten, keinen effektiven Schutz vor Zwangsrekrutierung bietet.

Einem Experten sind hingegen keine Berichte von Wehrdienstverweigerern bekannt, die aus dem Ausland in Gebiete unter Regierungskontrolle zurückgekehrt sind. Ihm zufolge kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, was in so einem Fall passieren würde. Laut dem Experten wäre es aber „wahnsinnig“, als Wehrdienstverweigerer aus Europa ohne Sicherheitsbestätigung und politische Kontakte zurückzukommen. Wenn keine „Befreiungsgebühr“ bezahlt wurde, müssen zurückgekehrte Wehrdienstverweigerer ihren Wehrdienst ableisten. Wer die Befreiungsgebühr entrichtet hat und offiziell vom Wehrdienst befreit ist, wird nicht eingezogen.

1.2.2. Selbstverteidigungspflicht

Auch aus den nicht vom Regime kontrollierten Gebieten Syriens gibt es Berichte über Zwangsrekrutierungen. Im Nordosten des Landes hat die von der kurdischen Partei PYD [Partiya Yekîtiya Demokrat, Partei der Demokratischen Union] dominierte „Demokratische Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien“ [Autonomous Administration of North and East Syria, AANES] 2014 ein Wehrpflichtgesetz verabschiedet, welches vorsah, dass jede Familie einen „Freiwilligen“ im Alter zwischen 18 und 40 Jahren stellen muss, der für den Zeitraum von sechs Monaten bis zu einem Jahr in den YPG [Yekîneyên Parastina Gel, Volksverteidigungseinheiten] dient. Im Juni 2019 ratifizierte die AANES ein Gesetz zur „Selbstverteidigungspflicht“, das den verpflichtenden Militärdienst regelt, den Männer über 18 Jahren im Gebiet der AANES ableisten müssen. Am 4.9.2021 wurde das Dekret Nr. 3 erlassen, welches die Selbstverteidigungspflicht auf Männer beschränkt, die 1998 oder später geboren wurden und ihr 18. Lebensjahr erreicht haben. Gleichzeitig wurden die Jahrgänge 1990 bis 1997 von der Selbstverteidigungspflicht befreit. Der Altersrahmen für den Einzug zum Wehrdienst ist nun in allen betreffenden Gebieten derselbe, während er zuvor je nach Gebiet variierte. So kam es in der Vergangenheit zu Verwirrung, wer wehrpflichtig war. Mit Stand September 2023 war das Dekret noch immer in Kraft.

Die Wehrpflicht gilt in allen Gebieten unter der Kontrolle der AANES, auch wenn es Gebiete gibt, in denen die Wehrpflicht nach Protesten zeitweise ausgesetzt wurde. Alle ethnischen Gruppen und auch staatenlose Kurden (Ajanib und Maktoumin) sind zum Wehrdienst verpflichtet. Araber wurden ursprünglich nicht zur „Selbstverteidigungspflicht“ eingezogen, dies hat sich allerdings seit 2020 nach und nach geändert.

Ursprünglich betrug die Länge des Wehrdiensts sechs Monate, sie wurde aber im Jänner 2016 auf neun Monate verlängert. Artikel zwei des Gesetzes über die „Selbstverteidigungspflicht“ vom Juni 2019 sieht eine Dauer von zwölf Monaten vor (RIC 10.6.2020). Aktuell beträgt die Dauer ein Jahr und im Allgemeinen werden die Männer nach einem Jahr aus dem Dienst entlassen. In Situationen höherer Gewalt kann die Dauer des Wehrdiensts verlängert werden, was je nach Gebiet entschieden wird..

Nach dem abgeleisteten Wehrdienst gehören die Absolventen zur Reserve und können im Fall „höherer Gewalt“ einberufen werden. Diese Entscheidung trifft der Militärrat des jeweiligen Gebiets. Derartige Einberufungen waren den vom DIS befragten Quellen nicht bekannt.

Einsatzgebiet von Wehrpflichtigen

Die Selbstverteidigungseinheiten [Hêzên Xweparastinê, HXP] sind eine von den SDF separate Streitkraft, die vom Demokratischen Rat Syriens (Syrian Democratic Council, SDC) verwaltet wird und über eigene Militärkommandanten verfügt. Die SDF weisen den HXP allerdings Aufgaben zu und bestimmen, wo diese eingesetzt werden sollen. Die HXP gelten als Hilfseinheit der SDF. In den HXP dienen Wehrpflichtige wie auch Freiwillige, wobei die Wehrpflichtigen ein symbolisches Gehalt erhalten. Die Rekrutierung von Männern und Frauen in die SDF erfolgt dagegen freiwillig.

Die Einsätze der Rekruten im Rahmen der „Selbsverteidigungspflicht“ erfolgen normalerweise in Bereichen wie Nachschub oder Objektschutz (z.B. Bewachung von Gefängnissen wie auch jenes in al-Hasakah, wo es im Jänner 2022 zu dem Befreiungsversuch des sogenannten Islamischen Staats (IS) mit Kampfhandlungen kam). Eine Versetzung an die Front erfolgt fallweise auf eigenen Wunsch, ansonsten werden die Rekruten bei Konfliktbedarf an die Front verlegt, wie z. B. bei den Kämpfen gegen den IS 2016 und 2017 in Raqqa.

Rekrutierungspraxis

Die Aufrufe für die „Selbstverteidigungspflicht“ erfolgen jährlich durch die Medien, wo verkündet wird, welche Altersgruppe von Männern eingezogen wird. Es gibt keine individuellen Verständigungen an die Wehrpflichtigen an ihrem Wohnsitz. Die Wehrpflichtigen erhalten dann beim „Büro für Selbstverteidigungspflicht“ ein Buch, in welchem ihr Status bezüglich Ableistung des Wehrdiensts dokumentiert wird - z. B. die erfolgte Ableistung oder Ausnahme von der Ableistung. Es ist das einzige Dokument, das im Zusammenhang mit der Selbstverteidigungspflicht ausgestellt wird. Das Wehrpflichtgesetz von 2014 wird laut verschiedenen Menschenrechtsorganisationen mit Gewalt durchgesetzt. Berichten zufolge kommt es auch zu Zwangsrekrutierungen von Jungen und Mädchen.

Wehrdienstverweigerung und Desertion

Es kommt zu Überprüfungen von möglichen Wehrpflichtigen an Checkpoints und auch zu Ausforschungen. Die Selbstverwaltung informiert einen sich dem Wehrdienst Entziehenden zweimal bezüglich der Einberufungspflicht durch ein Schreiben an seinen Wohnsitz, und wenn er sich nicht zur Ableistung einfindet, sucht ihn die „Militärpolizei“ unter seiner Adresse. Die meisten sich der „Wehrpflicht“ entziehenden Männer werden jedoch an Checkpoints ausfindig gemacht.

Die Sanktionen für die Wehrdienstverweigerung ähneln denen im von der Regierung kontrollierten Teil. Laut verschiedener Menschenrechtsorganisationen wird das „Selbstverteidigungspflichtgesetz“ auch mit Gewalt durchgesetzt, während der DIS nur davon berichtet, dass Wehrpflichtige, welche versuchen, dem Militärdienst zu entgehen, laut Gesetz durch die Verlängerung der „Wehrpflicht“ um einen Monat bestraft würden – zwei Quellen zufolge auch in Verbindung mit vorhergehender Haft „für eine Zeitspanne“. Dabei soll es sich oft um ein bis zwei Wochen handeln, um einen Einsatzort für die Betreffenden zu finden. Ähnliches berichteten ein von ACCORD befragter Experte, demzufolge alle Wehrdienstverweigerer nach dem Gesetz der Selbstverteidigungspflicht gleich behandelt würden. Die kurdischen Sicherheitsbehörden namens Assayish würden den Wohnort der für die Wehrpflicht gesuchten Personen durchsuchen, an Checkpoints Rekrutierungslisten überprüfen und die Gesuchten verhaften. Nach dem Gesetz werde jede Person, die dem Dienst fernbleibe, verhaftet und mit einer Verlängerung des Dienstes um einen Monat bestraft. Die ÖB Damaskus erwähnt auch Haftstrafen zusätzlich zur Verlängerung des Wehrdiensts. Hingegen dürften die Autonomiebehörden eine Verweigerung nicht als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung sehen. Einem von ACCORD befragten Syrienexperten zufolge hängen die Konsequenzen für die Wehrdienstverweigerung vom Profil des Wehrpflichtigen ab sowie von der Region, aus der er stammt. In al-Hasakah beispielsweise könnten Personen im wehrpflichtigen Alter zwangsrekrutiert und zum Dienst gezwungen werden. Insbesondere bei der Handhabung des Gesetzes zur Selbstverteidigungspflicht gegenüber Arabern in der AANES gehen die Meinungen der Experten auseinander. Grundsätzlich gilt die Pflicht für Araber gleichermaßen, aber einem Experten zufolge könne die Behandlung je nach Region und Zugriffsmöglichkeit der SDF variieren und wäre aufgrund der starken Stammespositionen oft weniger harsch als gegenüber Kurden. Ein anderer Experte wiederum berichtet von Beleidigungen und Gewalt gegenüber arabischen Wehrdienstverweigerern.

Bei Deserteuren hängen die Konsequenzen abseits von einer Zurücksendung zur Einheit und einer eventuellen Haft von ein bis zwei Monaten von den näheren Umständen und eventuellem Schaden ab. Dann könnte es zu einem Prozess vor einem Kriegsgericht kommen. Eine Möglichkeit zur Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen besteht nicht.

1.2.3. Rückkehr

Nach zuvor vorwiegend rückkehrkritischen öffentlichen Äußerungen hat die syrische Regierung seine Politik seit Ankündigung eines sogenannten „Rückkehrplans“ für Flüchtlinge durch Russland 2018 sukzessive angepasst und im Gegenzug für eine Flüchtlingsrückkehr Unterstützung der internationalen Gemeinschaft und die Aufhebung westlicher Sanktionen gefordert. Die Rückkehr von ehemaligen Flüchtlingen ist trotzdem nicht erwünscht, auch wenn offiziell mittlerweile das Gegenteil gesagt wird. Rückkehrende werden vom Regime häufig als „VerräterInnen“ deklariert, bzw. insgeheim als illoyal gegenüber ihrem Land und als Unterstützer der Opposition und/oder bewaffneter Gruppen angesehen. Eine besondere Gefahr, Ziel staatlicher und von Willkür geprägter Repression zu werden, besteht für alle, die sich in der Vergangenheit (regime-)kritisch geäußert oder betätigt haben oder sich auf andere Weise das Missfallen des Regimes zugezogen haben. Dies kann nach Einschätzungen von Menschenrechtsorganisationen bereits dann der Fall sein, wenn Betroffene in familiärer Verbindung zu vermeintlichen Oppositionellen oder Regimefeinden stehen oder ihre regionale Herkunft (z. B. ehemalige Oppositionsgebiete) dies nahelegt. Berichte deuten jedoch darauf hin, dass selbst regimenahe Personen Opfer von Repressionen werden können.

Jeder, der geflohen ist und einen Flüchtlingsstatus hat, ist in den Augen des Regimes bereits verdächtig. Aus Sicht des syrischen Staates ist es daher besser, wenn diese SyrerInnen im Ausland bleiben, damit ihr Land und ihre Häuser umverteilt werden können, um Assads soziale Basis neu aufzubauen. Minderheiten wie Alawiten und Christen, reiche Geschäftsleute und Angehörige der Bourgeoisie sind hingegen für Präsident al-Assad willkommene Rückkehrer. Für arme Menschen, z. B. aus den Vorstädten von Damaskus oder Aleppo, hat der syrische Staat jedoch keine Verwendung, zumal keine Kapazitäten zur Unterstützung von (mittellosen) Rückkehrenden vorhanden sind.

Gemäß Berichten von Menschenrechtsorganisationen kommt es zu systematischen, politisch motivierten Sicherheitsüberprüfungen von Rückkehrwilligen, Ablehnung zahlreicher Rückkehrwilliger und gezielten Menschenrechtsverletzungen gegen Rückkehrende sowie Verletzungen von im Rahmen lokaler Rückkehrinitiativen getroffenen Vereinbarungen (Einzug zum Militärdienst, Verhaftung, etc.).

Anhand der von der United Nations Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic, NGOs und anderen dokumentierten Einzelschicksalen der Vergangenheit ist die Bedrohung der persönlichen Sicherheit im Einzelfall das zentrale Hindernis für Rückkehrende. Dabei gilt nach Ansicht des deutschen Auswärtigen Amts, dass sich die Frage einer möglichen Gefährdung des Individuums weder auf etwaige Sicherheitsrisiken durch Kampfhandlungen und Terrorismus beschränken lässt, noch ganz grundsätzlich eine Eingrenzung auf einzelne Landesteile möglich ist. Entscheidend für die Sicherheit von Rückkehrenden bleibt vielmehr die Frage, wie der oder die Rückkehrende von den im jeweiligen Gebiet präsenten Akteuren wahrgenommen wird. Rückkehr auf individueller Basis findet, z. B. aus der Türkei, insbesondere in Gebiete statt, die nicht unter Kontrolle des Regimes stehen. Darüber hinaus können belastbare Aussagen oder Prognosen zu Rückkehrfragen nach geografischen Kriterien weiterhin nicht getroffen werden. Insbesondere für die Gebiete unter Kontrolle des Regimes, einschließlich vermeintlich friedlicherer Landesteile im äußersten Westen Syriens sowie in der Hauptstadt Damaskus, gilt unverändert, dass eine belastbare Einschätzung der individuellen Gefährdungslage aufgrund des dortigen Herrschaftssystems, seiner teilweise rivalisierenden Geheimdienste sowie regimenaher Milizen ohne umfassende zentrale Steuerung nicht möglich ist.

Berichte internationaler Organisationen ergeben ein Bild regional unterschiedlicher Bedingungen und Politiken zur Flüchtlingsrückkehr, und die Aussagen zur Haltung der Regimekräfte gegenüber Rückkehrern heben unterschiedliche Aspekte zu deren Wahrnehmung und Behandlung hervor:

 Laut dem Syrien-Experten Kheder Khaddour kommt es darauf an, wo im Ausland man sich aufgehalten hat: War man in den Golfstaaten, wird vielleicht davon ausgegangen, dass man geschäftlichen Tätigkeiten nachgegangen ist und nichts mit Politik zu tun hat. Wer in die Türkei gegangen ist, wird als Kollaborateur der Islamisten und Präsident Erdoğans gesehen. Wer in Europa war, wird beschuldigt, von Europa bezahlt worden zu sein, um gegen das Regime zu sein. Der Libanon ist vielleicht noch am neutralsten, quasi wie ein ’erweitertes Syrien’, und durch die geografische Nähe stehen Flüchtlingen im Libanon Korruptionsnetzwerke (zur Absicherung der Rückkehr) zur Verfügung, auf die man in Europa keinen Zugriff hat. Bashar al-Assad hat erklärt, dass er jene, die gegen sein Regime sind, als ’Krankheitserreger’ sieht. Die Rückkehr ist aber nicht nur für Regimegegner, sondern auch für alle, über deren politischer Position sich das Regime nicht sicher ist, problematisch. Die Behandlung eines Rückkehrers durch die Behörden hängt laut dem syrischen Journalisten und Menschenrechtsaktivisten Mohamad Rasheed allein davon ab, ob die Person für oder gegen das Regime ist. Wer regierungstreu ist, kann auf legalem und gewöhnlichem Weg ein- und ausreisen. Die Unvorhersehbarkeit und Willkür sind große Hindernisse für die Rückkehr, nach Syrien. Man kann jederzeit verhaftet und verhört werden und niemand weiß, ob man leben, getötet oder verschwinden gelassen wird. Der Staatsapparat ist durchzogen von Mafias, und im ganzen Land gibt es Milizen, die die Bevölkerung tyrannisieren.

 Laut dem Nahost-Experten Fabrice Balanche kann man, wenn man Teil der Opposition war oder sogar gekämpft hat, nicht nach Syrien zurückkehren, selbst wenn es laut offiziellem Narrativ des Präsidenten eine Amnestie gibt. Dasselbe gilt auch für (andere) politische Flüchtlinge. Zudem besteht immer die Gefahr, vom Geheimdienst verhaftet zu werden, zum Teil, um Geld zu erpressen. Man wird für ein paar Wochen inhaftiert, weil man vom Ausland zurückkommt und davon ausgegangen wird, dass man Geld hat. Die Familie muss dann ein Lösegeld von ein paar Tausend Dollar bezahlen, oder die Person bleibt weitere zwei Wochen im Gefängnis.

Das deutsche Auswärtige Amt zieht den Schluss, dass eine sichere Rückkehr Geflüchteter insofern für keine Region Syriens und für keine Personengruppe gewährleistet, vorhergesagt oder gar überprüft werden kann. UNHCR ruft weiterhin die Staaten dazu auf, keine zwangsweise Rückkehr von syrischen Staatsbürgern sowie ehemals gewöhnlich dort wohnenden Personen - einschließlich früher in Syrien ansässiger Palästinenser - in irgendeinen Teil Syrien zu veranlassen, egal wer das betreffende Gebiet in Syrien beherrscht.

Auch die lokale Bevölkerung hegt oft Argwohn gegen Personen, die das Land verlassen haben. Es besteht eine große Kluft zwischen Syrern, die geflohen sind, und jenen, die dort verblieben sind. Erstere werden mit Missbilligung als Leute gesehen, die ’davongelaufen’ sind, während Letztere oft Familienmitglieder im Krieg verloren und unter den Sanktionen gelitten haben. Es kann daher zu Denunziationen oder Erpressungen von Rückkehrern kommen, selbst wenn diese eigentlich ’sauber’ [Anm.: aus Regimeperspektive] sind, mit dem Ziel, daraus materiellen Gewinn zu schlagen.

Ein weiteres soziales Problem sind persönliche Racheakte: Wenn bei Kämpfen zwischen zwei Gruppen jemand getötet wurde, kann es vorkommen, dass jemand, der mit dem Mörder verwandt ist, von der Familie des Ermordeten im Sinne der Vergeltung getötet wird. Dies hindert viele an der Rückkehr in ihren Heimatort.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zu Identität und Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers beruhen auf den plausiblen und gleichbleibenden Angaben des Beschwerdeführers, sowie auf den vorgelegten Dokumenten (Personalausweis). Die Feststellungen zu Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit, Herkunft, Muttersprache, Ausbildung sowie den Aufenthaltsorten seiner Familienangehörigen beruhen ebenso auf den plausiblen Angaben des Beschwerdeführers (AS 69, AS 70). Dass der Beschwerdeführer verheiratet und Vater dreier Kinder ist, ergibt sich aus seinen Angaben in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sowie dem vorgelegten Familienbuch (AS 69, Familienbuch übersetzt AS 89f).

Dass er gesund ist, hat der Beschwerdeführer im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht bestätigt (OZ 4, S. 2-3) und im Lauf des Verfahrens kein anderslautendes Vorbringen erstattet.

Die Feststellung zur Unbescholtenheit beruht auf dem im Akt einliegenden aktuellen Auszug aus dem Strafregister.

2.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Dass der Herkunftsort aktuell unter Kontrolle der kurdischen Selbstverwaltung steht ergibt sich aus der Syria Live Map (https://syria.liveuamap.com/ ). Es wird auch im Länderinformationsblatt berichtet, dass Manbij zu, Gebiet der AANES gehört.

Dass der Beschwerdeführer seinen Wehrdienst noch nicht abgeleistet hat und nicht ableisten möchte, beruht auf den Angaben des Beschwerdeführers während des gesamten Verfahrens (AS 11, AS 71; OZ 4, S. 3). Mit Blick auf sein Alter, seinen Ausreisezeitpunkt sowie seiner Herkunft aus einem Gebiet, das im Einflussbereich der kurdischen Selbstverwaltung steht, scheint dies auch plausibel. Allerdings begründet der Beschwerdeführer seinen Unwillen, den Militärdienst abzuleisten, im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde lediglich damit, dass er dies nicht wolle, weil Krieg herrsche (AS 71). Gleichzeitig beschränkt er sich bereits vor der belangten Behörde in seiner freien Erzählung der Fluchtgründe lediglich auf den Satz: „Syrien habe ich verlassen, weil ich den Militärdienst leisten hätte müssen“ (AS 71) und begründet aus eigenem nicht weiter, warum er den Militärdienst nicht leisten möchte. Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht stellt der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe sehr kurz dar und gibt lediglich an, er wäre gezwungen, eine Waffe zu tragen, um damit unschuldige Menschen zu töten. Auch auf nochmalige Nachfrage, was er befürchte, wenn er zurückkehre, gibt er lediglich an, er werde sterben, weil das Regime ihn sofort einziehe und ihm eine Waffe geben werde. Danach werde er an die Front geschickt (OZ 4). Gleichzeitig verneint der Beschwerdeführer im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde, in seiner Heimat jemals wegen seiner politischen Gesinnung oder wegen seiner Religion verfolgt worden zu sein (AS 71). Im Ergebnis sind keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich, dass der Beschwerdeführer die Ableistung des Militärdienstes aus politischen oder religiösen Gründen ablehnt, dies ist folglich nicht glaubhaft.

Zum mit der Beschwerde vorgelegten Einberufungsbefehl (Übersetzung: OZ 9) ist zunächst anzumerken, dass dieser in Kopie vorgelegt wurde, weswegen die Echtheit einer Überprüfung nicht zugänglich ist. Weiters ist das diesbezügliche Vorbringen des Beschwerdeführers aufgrund der divergierende Angaben als nicht glaubhaft zu erachten: So gab der Beschwerdeführer in der Einvernahme vor der belangten Behörde an, dass er kein Militärbuch erhalten habe, weil in seinem Ort die freie Armee herrsche und dort keine Behörde der Regierung seien (AS 71f). Befragt, ob seine Personalien bei etwaigen Checkpoints aufgenommen worden seien, gab der Beschwerdeführer an, dass er diese immer vermieden hätte und selten einen Checkpoint passiert habe. Die Checkpoints seien zudem von den Kurden betrieben worden, die ihm keine Probleme gemacht hätten (AS 72). In der Beschwerde brachte er hingegen vor, dass er an der Grenze, als er vom Libanon nach Syrien zurückgekehrt sei, einen Einberufungsbefehl erhalten habe (S. 3 der Beschwerde). In der mündlichen Verhandlung gab der Beschwerdeführer, befragt, wie er den Einberufungsbefehl erhalten habe, an: „Als ich im Libanon war, wurde in Syrien erlassen, dass Syrer für 15 Tage ohne eingezogen zu werden nach Syrien zurückkehren dürfen, um ihre Familien besuchen zu können. Ich habe diese Gelegenheit genutzt und bin nach Syrien zurückgereist. An der Grenze wurde mir von einem Grenzbeamten diese Verständigung ausgehändigt und mir mitgeteilt, dass nach Ablauf der 15 Tage ich mich bei meiner zuständigen Rekrutierungsstelle melden soll.“ (OZ 4, S. 3). Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts wäre hier zu erwarten gewesen, dass der Beschwerdeführer den Einberufungsbefehl im Rahmen seiner Einvernahme vor der belangten Behörde zumindest im Rahmen seines Vorbringens zum Wehrdienst bzw. ob er deshalb gesucht werde, kurz erwähnt bzw. mit seinen übrigen Dokumenten auch vorlegt. Da der Beschwerdeführer den Einberufungsbefehl in der Beschwerde erstmals erwähnte und vorlegte und die diesbezüglichen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung im gravierenden Widerspruch zu seinem bisherigen Vorbringen stehen, ist dem vorgelegten Dokument kein Beweiswert zuzumessen.

Im Zuge der mündlichen Verhandlung bringt der Beschwerdeführer vor, er könne als sunnitischer Moslem unter der Kontrolle der Kurden nicht ohne weiteres seine Religion ausüben (OZ 4, S. 4). In den herangezogenen Länderberichten finden sich keinerlei Hinweise darauf, dass die kurdische Selbstverwaltung die Religionsausübung für sunnitische Muslime einschränken würden (insbesondere Länderinformationsblatt, Kapitel 4.4 Nordost-Syrien (Selbstverwaltungsgebiet Nord- und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria - AANES) und das Gebiet der SNA (Syrian National Army), Kapitel 13 Religionsfreiheit, Kapitel 14 Ethnische und religiöse Minderheiten); EUAA Country Guidance Kapitel 4.10.1 Sunni Arabs, S. 71-73). Gleichzeitig gab der Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme an, die Kurden hätten ihm keine Probleme gemacht (AS 72).

Zur Selbstverteidigungspflicht ist auszuführen, dass der Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme keinerlei Angaben dazu macht, dass die kurdischen Streitkräfte versucht hätten, ihn zu rekrutieren. Er gibt viel mehr an, die Kurden hätten ihm keine Probleme gemacht (AS 72). In der mündlichen Verhandlung dagegen weicht der Beschwerdeführer der direkten Frage, ob er jemals von den SDF zum Wehrdienst einberufen worden sei, aus, indem er angibt: „In meinem Heimatort stellen sich die Einsatzkräfte bei einem nicht vor, sondern kommen in Militärfahrzeugen und ziehen einen ein“ (OZ 4, S. 4) und impliziert damit, ihm könne eine Rekrutierung drohen. Hierzu ist dem Länderinformationsblatt zu entnehmen, dass Araber ursprünglich nicht zur „Selbstverteidigungspflicht“ eingezogen wurde und sich dies erst seit 2020 nach und nach geändert habe (Kapitel 9.7 Demokratische Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien, Abschnitt Wehrpflichtgesetz der „Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien“). Insofern sind die Angaben des Beschwerdeführers, der bereits 2021 (wieder) aus Syrien ausreiste, in der niederschriftlichen Einvernahme, denen zufolge ihm die Kurden keine Probleme gemacht hätten, plausibel und wurden entsprechende Feststellungen getroffen.

Die Feststellungen zum Wehrdienst beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 9 Wehr- und Reservedienst und Rekrutierungen, ebenso die zur Selbstverteidigungspflicht. Die Feststellungen zur Rückkehr beruhen auf dem Kapitel 19 Rückkehr.

Zur Plausibilität und Seriosität der herangezogenen Länderinformationen zur Lage im Herkunftsstaat ist auszuführen, dass die im Länderinformationsblatt zitierten Unterlagen von angesehen Einrichtungen stammen. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nach § 5 Abs. 2 BFA-VG verpflichtet ist, gesammelte Tatsachen nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten und in allgemeiner Form zu dokumentieren. Auch das European Union Agency for Asylum (EUAA) ist nach Art. 9 Abs. 1 Verordnung (EU) 2021/2303 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2021 über die Asylagentur der Europäischen Union und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 439/2010 ist verpflichtet, Informationen über einschlägige Drittstaaten transparent und unparteiisch sachdienliche, belastbare, objektive, präzise und aktuelle Informationen zu sammeln. Damit durchlaufen die länderkundlichen Informationen, die diese Einrichtungen zur Verfügung stellen, einen qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage im Herkunftsstaat. Den UNHCR-Richtlinien ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besondere Beachtung zu schenken („Indizwirkung"), wobei diese Verpflichtung ihr Fundament auch im einschlägigen Unionsrecht findet (Art. 10 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU [Verfahrensrichtlinie] und Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2011/95/EU [Statusrichtlinie]; VwGH 07.06.2019, Ra 2019/14/0114) und der Verwaltungsgerichtshof auch hinsichtlich der Einschätzung von EASO (nunmehr: EUAA) von einer besonderen Bedeutung ausgeht und eine Auseinandersetzung mit den „EASO-Richtlinien“ (EUAA Country Guidance) verlangt (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0405). Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich daher auf die angeführten Länderberichte, wobei eine beweiswürdigende Auseinandersetzung im Detail oben erfolgt ist.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG 2005) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht, dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG 2005 offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG 2005 gesetzt hat.

Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht einer Person, wenn sie sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist den von UNHCR und EASO (nunmehr EUAA) herausgegebenen Richtlinien besondere Beachtung zu schenken („Indizwirkung“), was sich aus dem einschlägigen Unionsrecht ergibt (VwGH 11.02.2021, Ra 2021/20/0026).

3.1. Zur behaupteten Verfolgungsgefahr wegen Wehrdienstverweigerung

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw. der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im Allgemeinen keine asylrechtlich relevante Verfolgung dar, sondern könnte nur bei Vorliegen eines Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen. Zur möglichen Asylrelevanz von Wehrdienstverweigerung führt der Verwaltungsgerichtshof näher aus, auch der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohende Bestrafung könne Asylrelevanz zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen – wie etwa der Anwendung von Folter – jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch eine „bloße“ Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein (jüngst etwa VwGH 21.05.2021, Ro 2020/19/0001 m.w.N.).

Der Einschätzung von EUAA zufolge ist im Hinblick auf Wehrdienstverweigerer aus Gewissensgründen davon auszugehen, dass eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Allgemeinen begründet ist. Im Hinblick auf Wehrdienstentzieher geht EUAA davon aus, dass die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 lit. e Stautsrichtlinie erfüllt sind und eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Allgemeinen ebenso begründet ist. Im Hinblick auf die Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund ist EUAA zufolge insbesondere die (unterstellte) politische Gesinnung, im Fall der Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen auch die Religion wahrscheinlich, die Plausibilität der Verknüpfung der Verfolgungshandlungen mit einem Verfolgungsgrund im Sinne des Art. 10 Statusrichtlinie, sei im Lichte relevanter aktueller Informationen zur Lage im Herkunftsstaat und anhand der persönlichen Umstände des Antragstellers zu prüfen (EUAA Country Guidance, Kapitel 4.2.2 Draft evaders, S. 46-47). UNHCR vertritt in seinen Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 6. aktualisierte Fassung von März 2021 die Auffassung, dass Personen, die sich dem Pflichtwehrdienst aus Gewissensgründen entzogen haben, wahrscheinlich internationalen Flüchtlingsschutz benötigen, je nach den Umständen des Einzelfalls auf der Grundlage einer begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen politischen Meinung und/oder ihrer Religion (Abschnitt III. Beurteilung der Schutzbedürftigkeit von Asylsuchenden aus Syrien, Kapitel A. Flüchtlingsschutz nach den Kriterien der GFK und die wichtigsten Antragsarten, Unterkapitel 2) Wehrdienstentzieher und Deserteure der syrischen Streitkräfte, S. 138).

Gegenständlich konnte der Beschwerdeführer glaubhaft machen, dass er den Militärdienst nicht ableisten möchte. Nicht glaubhaft machen konnte er dagegen – wie beweiswürdigend ausgeführt – dass seine Weigerung auf einer politischen Überzeugung bzw. auf religiösen Gründen beruht.

Für die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft kommt es nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht bloß auf die tatsächliche politische Gesinnung des Asylwerbers an, auch die ihm seitens der Verfolger unterstellte politische Gesinnung ist asylrechtlich relevant (VwGH 09.11.2023, Ra 2023/18/0365).

Im Hinblick auf die Haltung des syrischen Regimes gegenüber Wehrdienstverweigerern ergibt sich aus der Berichtslage eine differenzierte Haltung, aus der nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht abgeleitet werden kann, dass jedem den Militärdienst verweigernden Syrer eine oppositionelle Haltung unterstellt wird (VwGH 28.02.2024, Ra 2023/20/0619). Gleichzeitig konkretisiert der Beschwerdeführer keine individuellen Merkmale, die wahrscheinlich erscheinen lassen, dass ihm persönlich von Seiten der syrischen Regierung eine oppositionelle politische Gesinnung unterstellt würde.

Im Ergebnis ist nicht glaubhaft, dass dem Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr Verfolgung durch die syrische Regierung droht, weil er sich aus politischen (oder religiösen) Gründen dem Wehrdienst entzogen hätte bzw. ihm eine politische Gesinnung unterstellt würde, weil er sich dem Wehrdienst entzogen hat.

Im Hinblick auf die von den GFK-Fluchtgründen unabhängigen Konsequenzen der Wehrdienstentziehung ist anzumerken, dass der Beschwerdeführer wegen der ihm drohenden Verletzungen seiner durch die EMRK geschützten Rechte bereits subsidiären Schutz erhalten hat.

3.2. Zur behaupteten Verfolgungsgefahr aus religiösen Gründen

Der Beschwerdeführer brachte in der mündlichen Verhandlung vor, er könne als sunnitischer Moslem unter der Kontrolle der Kurden nicht ohne weiteres seine Religion ausüben. Wie festgestellt, konnte in den herangezogenen Berichten keinerlei Hinweis für eine Einschränkung der Religionsausübung von sunnitischen Muslimen durch die kurdische Selbstverwaltung gefunden werden. Eine Verfolgung aus Gründen der Religion für den Fall der Rückkehr ist damit nicht glaubhaft.

3.3. Zur Zwangsrekrutierung durch die Demokratische Selbstverwaltung

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist von der – nicht asylrelevanten – Zwangsrekrutierung durch eine Bürgerkriegspartei jene Verfolgung zu unterscheiden, die an die tatsächliche oder nur unterstellte politische Gesinnung anknüpft, die in der Weigerung, sich den Rekrutierenden anzuschließen, gesehen wird. Auf das Auswahlkriterium für die Zwangsrekrutierung selbst kommt es in einem solchen Fall nicht an. Entscheidend ist, mit welchen Reaktionen durch die Milizen auf Grund ihrer Weigerung, sich dem Willen der Rekrutierenden zu beugen, zu rechnen ist und ob in diesem Verhalten eine – sei es auch nur unterstellte – politische oder religiöse oppositionelle Gesinnung erblickt wird (VwGH 19.04.2016, Ra 2015/01/0079).

Gegenständlich war der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise nie einem Rekrutierungsversuch von Seiten der SDF ausgesetzt und muss insofern auch nicht mit den Konsequenzen einer Weigerung rechnen. Im Hinblick auf eine Rückkehr ist eine Rekrutierung des Beschwerdeführers nicht zu erwarten, sein Geburtsjahr liegt außerhalb der rekrutierten Jahrgänge. Sonstige konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr von der SDF rekrutiert würde und ihm im Fall einer Weigerung asylrelevante Verfolgung droht, wurden nicht vorgebracht und sind auch nicht ersichtlich.

3.4. Zur behaupteten Verfolgungsgefahr wegen der Rückkehr aus bzw. der Asylantragstellung im Ausland

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss das Vorbringen eines Asylwerbers, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entferne Möglichkeit von Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, genügt zur Dartuung von selbst Erlebtem grundsätzlich nicht (VwGH 12.03.2020, Ra 2019/01/0472).

In der Beschwerde wird im Wesentlichen ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer aufgrund der Ausreise aus Syrien sowie der Lebensführung und Asylantragstellung in Österreich eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werde. Dem Beschwerdeführer würden aus diesem Grund unmenschliche Behandlung und Strafen sowie Vergeltungsmaßnahmen drohen. In diesem Zusammenhang wird auf Länderberichte verweisen. Es wird allerdings kein konkretes individuelles Vorbringen erstattet und macht der Beschwerdeführer selbst weder in der mündlichen Verhandlung noch in der niederschriftlichen Einvernahme diesbezüglich Angaben. Gleichzeitig ist nicht ersichtlich, dass jedem Rückkehrer aus dem Ausland bzw. jedem Rückkehrer, der einen Asylantrag gestellt hat, automatisch eine oppositionelle politische Gesinnung unterstellt würde. Eine Verfolgung wegen unterstellter politischer Gesinnung, weil der Beschwerdeführer im Ausland einen Asylantrag gestellt hat bzw. von dort zurückkehrt, ist damit nicht glaubhaft gemacht.

Im Ergebnis konnte der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen, dass ihm im Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Verfolgung droht. Die Beschwerde war daher spruchgemäß abzuweisen.

4. Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zum angefochtenen Spruchpunkt des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

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