BBG §41
BBG §43
BBG §45
B-VG Art133 Abs4
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2024:W133.2286932.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Natascha GRUBER als Vorsitzende und den Richter Mag. Michael SCHWARZGRUBER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 08.02.2024, betreffend die Neufestsetzung des Grades der Behinderung nach dem Bundesbehindertengesetz, zu Recht erkannt:
A)
Der angefochtene Bescheid vom 08.02.2024 wird behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführerin wurde am 03.11.1995 ein befristeter Behindertenpass mit einem eingetragenen Grad der Behinderung von 50 von Hundert (v.H.) ausgestellt.
Seit 18.10.2000 ist die Beschwerdeführerin Inhaberin eines unbefristeten Behindertenpasses mit einem festgestellten Grad der Behinderung von 50 von Hundert (v.H.).
Am 25.09.2023 stellte die Beschwerdeführerin den nunmehr verfahrensgegenständlichen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses (der von der Behörde aufgrund des bereits vorliegenden unbefristeten Behindertenpasses zutreffend als Antrag auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung im Behindertenpass gewertet wurde) beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien (in der Folge auch als „belangte Behörde“ bezeichnet). Dem Antrag legte sie ein Konvolut an medizinischen Unterlagen und ihre Medikamentenliste bei.
Die belangte Behörde holte daraufhin ein unfallchirurgisches und allgemeinmedizinisches Sachverständigengutachten vom 14.01.2024 ein, in welchem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung und Darstellung der Statuserhebung die Funktionseinschränkungen den Leidenspositionen
Lfd. Nr. | Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes: | Pos.Nr. | Gdb % |
1 | Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Cervikalsyndrom bds., Skoliose Oberer Rahmensatz, da rezidivierende Cervikodorsolumbalgie ohne relevante funktionelle Einschränkung, inkludiert Migräne und Adipositas permagna | 02.01.01 | 20 |
2 | Pes valgus beidseits Unterer Rahmensatz, da keine relevante funktionelle Einschränkung. | 02.02.01 | 10 |
zugeordnet wurden und nach der Einschätzungsverordnung ein Gesamtgrad der Behinderung von 20 von Hundert (v.H.) eingeschätzt wurde. Das Leiden 1 werde durch das Leiden 2 nicht erhöht, da kein maßgebliches ungünstiges Zusammenwirken vorliege. Im Vergleich zum Vorgutachten vom 10.10.1995 entfalle das vorherige Leiden 1, da ein behinderungsrelevantes Leiden anhand des unauffälligen radiologischen Befundes und der objektivierbaren guten Beweglichkeit nicht feststellbar sei. Leiden 2 des Vorgutachtens werde neu bezeichnet und entsprechend der aktuell feststellbaren Funktionsbeeinträchtigung neu eingestuft. Das nunmehrige Leiden 1 komme neu hinzu. Der Gesamtgrad der Behinderung werde aufgrund der Besserung der Leiden 1 und 2 des Vorgutachtens um drei Stufen gesenkt. Im Vergleich zum Vorgutachten vom 05.05.2009 entfalle das vorherige Leiden 1. Leiden 2 werde neu bezeichnet, es komme zu keiner Änderung der Einstufung. Der Gesamtgrad der Behinderung werde aufgrund der Besserung des Leidens 1 des Vorgutachtens um eine Stufe gesenkt. Es liege ein Dauerzustand vor.
Mit Schreiben vom 22.01.2024 räumte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin ein förmliches Parteiengehör gemäß § 45 AVG samt Möglichkeit zur Stellungnahme ein. Begründend führte sie aus, das ärztliche Sachverständigengutachten habe einen Gesamtgrad der Behinderung von 20 v.H. festgestellt. Die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses würden nicht vorliegen. Das Gutachten vom 14.01.2024 wurde der Beschwerdeführerin als Beilage übermittelt.
Mit Schreiben vom 05.02.2024, eingelangt am 07.02.2024, übermittelte die Beschwerdeführerin – ohne Vorlage medizinischer Unterlagen – einen „Einspruch“ gegen das Parteiengehör gem. § 45 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes bezugnehmend auf die Neufestsetzung des Grades der Behinderung im Behindertenpass. Sie wünsche sich eine neuerliche Begutachtung durch einen orthopädischen Facharzt und nicht durch einen Arzt für Allgemeinmedizin bzw. Unfallchirurgie.
Mit Bescheid vom 08.02.2024 setzte die belangte Behörde den Grad der Behinderung mit 20 v.H. neu fest. In der Begründung verwies die belangte Behörde auf das im Ermittlungsverfahren eingeholte Gutachten. Die wesentlichen Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien der Beilage, die einen Bestandteil der Begründung bilde, zu entnehmen. Der Beschwerdeführerin sei Gelegenheit gegeben worden, zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens Stellung zu nehmen. Die vorgebrachten Einwendungen seien jedoch aufgrund mangelnder medizinischer Begründung bzw. fehlender Vorlage neuer Beweismittel nicht geeignet gewesen, das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zu entkräften. Das medizinische Sachverständigengutachten vom 14.01.2024 wurde der Beschwerdeführerin als Beilage zum Bescheid übermittelt.
Mit E-Mail vom 16.02.2024 erhob die Beschwerdeführerin – ohne Vorlage medizinischer Unterlagen – fristgerecht eine Beschwerde. Darin ersuchte sie um eine nochmalige Begutachtung durch einen orthopädischen Facharzt und nicht durch eine Allgemeinmedizinerin. Diesbezüglich ergebe sich für die Beschwerdeführerin die Fragestellung, wie sie durch wesentlich mehr körperliche Leiden zu einem deutlich geringeren Grad der Behinderung von 20 v.H. komme. Dazu schicke sie auszugsweise die betreffenden Stellen aus der Begutachtung (Anm.: gemeint ist das Sachverständigengutachten) mit. Hinzu komme, dass die Neufeststellung des Grades der Behinderung erfolgt sei, da sie mindestens einen Grad der Behinderung von 50 v.H. benötige, um bei der Stadt Wien eine Arbeitsstelle zu bekommen. Als Anhang übermittelte die Beschwerdeführerin die ersten zwei Seiten des Sachverständigengutachtens vom 14.01.2024.
Die belangte Behörde legte dem Bundesverwaltungsgericht am 20.02.2024, eingelangt am 21.02.2024, die Beschwerde und den Bezug habenden Verwaltungsakt zur Entscheidung vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die Beschwerdeführerin ist österreichische Staatsbürgerin und hat ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.
Die Beschwerdeführerin ist seit 18.10.2000 Inhaberin eines unbefristeten Behindertenpasses mit einem festgestellten Grad der Behinderung von 50 v.H.
Die Beschwerdeführerin stellte am 25.09.2023 einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses, der von der belangten Behörde aufgrund des bereits vorliegenden unbefristeten Behindertenpasses zutreffend als Antrag auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung im Behindertenpass gewertet wurde.
Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens wurde von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid vom 08.02.2024 der Gesamtgrad der Behinderung der Beschwerdeführerin mit 20 von Hundert (v.H.) neu festgesetzt. Der Spruch des angefochtenen Bescheides lautet: „Der Grad der Behinderung wird mit 20% neu festgesetzt.“
Eine Einziehung des Behindertenpasses erfolgte mit dem angefochtenen Bescheid nicht.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zur österreichischen Staatsbürgerschaft und zum Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Inland ergeben sich aus einem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Auszug aus dem zentralen Melderegister; konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerdeführerin ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Inland hätte, sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Auch die belangte Behörde ging vom Vorliegen dieser Voraussetzung aus.
Die Feststellungen betreffend die Ausstellung eines Behindertenpasses, die gegenständliche Antragstellung sowie den nunmehr angefochtenen Bescheid vom 08.02.2024 basieren auf dem diesbezüglich unbestrittenen Akteninhalt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten auszugsweise:
„§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn
1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder
2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder
3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder
...
5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.
(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpass auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.
§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn
1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder
2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder
3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.
...
§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familiennamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
(2) Der Behindertenpaß ist unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist.
§ 43. (1) Treten Änderungen ein, durch die behördliche Eintragungen im Behindertenpaß berührt werden, hat das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen diese zu berichtigen oder erforderlichenfalls einen neuen Behindertenpaß auszustellen. Bei Wegfall der Voraussetzungen ist der Behindertenpaß einzuziehen.
(2) Der Besitzer des Behindertenpasses ist verpflichtet, dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen binnen vier Wochen jede Änderung anzuzeigen, durch die behördliche Eintragungen im Behindertenpaß berührt werden, und über Aufforderung dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen den Behindertenpaß vorzulegen.
...
§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.
…
§ 46. Die Beschwerdefrist beträgt abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung beträgt zwölf Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.“
§ 3 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung), StF: BGBl. II Nr. 261/2010, lautet in der geltenden Fassung:
"Gesamtgrad der Behinderung
§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.
(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.
Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.
(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn
- sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,
- zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.
(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine."
Die Beschwerdeführerin ist seit 18.10.2000 Inhaberin eines unbefristeten Behindertenpasses mit einem festgestellten Gesamtgrad der Behinderung von 50 von Hundert (v.H.).
Die Beschwerdeführerin stellte am 25.09.2023 einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses, der von der belangten Behörde aufgrund des bereits vorliegenden unbefristeten Behindertenpasses zutreffend als Antrag auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung im Behindertenpass gewertet wurde.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 08.02.2024 setzte die belangte Behörde in weiterer Folge den Gesamtgrad der Behinderung mit 20 v.H. neu fest. Der Spruch des angefochtenen Bescheides lautet: „Der Grad der Behinderung wird mit 20% neu festgesetzt.“ In der Begründung verwies die belangte Behörde auf das Ergebnis der ärztlichen Begutachtung, wonach der Grad der Behinderung 20 v.H. betrage.
Zum Entscheidungszeitpunkt verfügt die Beschwerdeführerin somit über einen gültigen Behindertenpass.
Im Falle einer solchen Neufestsetzung des Grades der Behinderung ist, solange der Grad der Behinderung weiterhin wenigstens 50 v.H. beträgt, gemäß § 43 Abs. 1 erster Satz BBG der Behindertenpass zu korrigieren bzw. erforderlichenfalls ein neuer mit geänderten Eintragungen auszustellen.
Demgegenüber regelt § 43 Abs. 1 zweiter Satz BBG, wie vorzugehen ist, wenn sich herausstellt, dass die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses weggefallen sind. In einem solchen Fall „ist der Behindertenpass einzuziehen“ (vgl. etwa VwGH 29.03.2011, 2008/11/0191). Die Einziehung hat gemäß § 45 Ab. 2 BBG durch Bescheid zu erfolgen.
In seinem Erkenntnis vom 13.12.2018, Zl. Ra 2018/11/0204, hat der Verwaltungsgerichtshof in einem vergleichbaren Fall (zu einer amtswegig getroffenen Entscheidung) klar ausgesprochen, dass der bereits zitierte § 43 Abs. 1 zweiter Satz BBG die Vorgangsweise regelt, wenn sich herausstellt, dass die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses weggefallen sind. § 43 Abs. 1 zweiter Satz BBG enthält nach seinem Wortlaut und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hingegen keine Ermächtigung für einen gesonderten Ausspruch der Behörde, dass die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht mehr vorliegen oder - wie im vorliegenden Beschwerdefall - dass ein Grad der Behinderung von weniger als 50 v.H. besteht. Die belangte Behörde hätte nach der zu beachtenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes somit – in einer für die Beschwerdeführerin erkennbaren Form – ein eigenes Einziehungsverfahren führen müssen. Nach der dargelegten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Wegfall der Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses als Vorfrage in einem Einziehungsverfahren zu klären (vgl. VwGH 13.12.2018, Ra 2018/11/0204: „§ 43 Abs. 1 BBG 1990 ermächtigt die Behörde zwar zu einem amtswegigen Vorgehen, allerdings nur zu einem Ausspruch der Einziehung des Behindertenpasses. Ein Bescheid, in dem ausgesprochen wird, dass der Betreffende mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50 % nicht mehr die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses erfülle, oder in dem festgestellt wird, dass ein Grad der Behinderung von weniger als 50 % besteht, findet in § 43 Abs. 1 BBG 1990 keine Deckung.“).
Da mithin ein eigenes Verfahren vorgesehen ist, in dem die Frage, ob weiterhin ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 v.H. vorliegt, zu beantworten ist, fehlt es in der vorliegenden Verfahrenskonstellation an einer rechtlichen Grundlage für die Erlassung eines Feststellungsbescheids über das Nichtbestehen dieser Voraussetzung (vgl. z.B. VwGH 25.7.2007, 2005/11/0131) oder für die Feststellung, dass ein Grad der Behinderung von weniger als 50 % besteht.
Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erweist sich die Festsetzung des Gesamtgrades der Behinderung in Höhe von 20 v.H. im angefochtenen Bescheid als rechtswidrig.
Der Spruch des angefochtenen Bescheides, mit dem der Gesamtgrad der Behinderung mit 20 v.H. neu festgesetzt wurde, ist somit zu beheben, da aufgrund der dargelegten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in der vorliegenden Verfahrenskonstellation keine Zuständigkeit der Behörde zu einer (ausschließlichen) Feststellung des Grades der Behinderung besteht, wenn die Behörde den Grad der Behinderung mit weniger als 50 v.H. beurteilt.
Abschließend wird angemerkt, dass es dem Bundesverwaltungsgericht verwehrt ist, aus eigenem die Einziehung des Behindertenpasses (allenfalls nach Durchführung ergänzender Ermittlungen) zu verfügen:
Das Bundesverwaltungsgericht war nach den zu beachtenden höchstgerichtlichen Vorgaben nicht befugt, das vorliegende Verfahren gleichsam als „Einziehungsverfahren“ weiterzuführen und erstmals über eine Einziehung des Behindertenpasses abzusprechen, da der Verwaltungsgerichtshof in seiner genannten Entscheidung vom 13.12.2018, Ra 2018/11/0204, auch ausdrücklich klargestellt hat, dass ein Abspruch des Bundesverwaltungsgerichts über die Einziehung eines Behindertenpasses in einer Verfahrenskonstellation wie vorliegend die „Sache“ des Beschwerdeverfahrens in rechtswidriger Weise überschreiten würde.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist „Sache“ des Berufungs- bzw. (nach Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012) Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht – ungeachtet des durch § 27 VwGVG vorgegebenen Prüfumfangs – jedenfalls nur jene Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches der vor dem Verwaltungsgericht belangten Verwaltungsbehörde gebildet hat (vgl. dazu etwa VwGH 17.12.2014, Ra 2014/03/0049; VwGH 17.12.2014, Ro 2014/03/0066; VwGH 22.01.2015, Ra 2014/06/0055; VwGH 26.03.2015, Ra 2014/07/0077; VwGH 27.04.2015, Ra 2015/11/0022, VwGH 17.02.2017, Ra 2017/11/0008).
Da der angefochtene Bescheid keinen Abspruch über die Einziehung des Behindertenpasses enthält, ist auch das Bundesverwaltungsgericht aufgrund dieser Beschränkung des Beschwerdeverfahrens zu einer derartigen Maßnahme nicht befugt. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde. Im vorliegenden Fall wurde darüber hinaus weder von der belangten Behörde noch von der Beschwerdeführerin eine mündliche Verhandlung beantragt. Dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird (vgl. dazu die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 09.06.2017, Zl. E 1162/2017-5).
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)
