BVwG W168 2251511-1

BVwGW168 2251511-11.3.2022

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2022:W168.2251511.1.00

 

Spruch:

 

W168 2251511-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Dr. Bernhard MACALKA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Syrien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.01.2022, Zl. 1281732700/211053587, zu Recht:

A) Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. wird gemäß § 3 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

 

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger Syriens geboren am XXXX , reiste seinen eigenen Angaben zufolge im Jahr 2012 aus Syrien nach Saudi-Arabien und anschließend in die Vereinigten Arabischen Emirate aus, wo er ungefähr drei Jahre aufhältig war. In weiterer Folge hielt er sich sechs Jahre in Jordanien auf. Nach Syrien wäre er seither nicht mehr zurückgekehrt. Aus Jordanien kommend reiste der BF nunmehr schlepperunterstützt gezielt nach Österreich, wo er am 31.07.2021 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Am 01.08.2021 erfolgte die Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes.

Zum Fluchtgrund befragt, führte der BF im Zuge der Erstbefragung ausdrücklich aus, dass in seiner Heimat Krieg und Unruhen vorherrschen würden, weshalb er sich dazu entschieden habe, nach Europa zu fliehen und er ansonsten keine weiteren Fluchtgründe habe. Bei einer Rückkehr habe er Angst um sein Leben.

2. Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme am 13.10.2021 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) führte der BF aus, dass er zuckerkrank sei und an Bluthochdruck leide. Er befinde sich derzeit jedoch noch nicht in ärztlicher Behandlung. Befragt, ob er Medikamente einnehme oder ärztliche Befunde vorlegen könne, erwiderte der BF, dass er am 30.10.2021 einen Arzttermin habe. Zu seinen persönlichen Umständen befragt, brachte der BF vor, dass er verheiratet sei und acht Kinder habe. Er sei Pensionist und sei früher in Syrien in als Staatsangestellter einer Bank beschäftigt gewesen, die für Bauern zuständig sei. Zwei seiner Kinder würden in seinem Haus in Syrien wohnen. Seine Ehefrau sei derzeit in Jordanien aufhältig, in Syrien würden nach wie vor drei seiner Brüder und vier seiner Schwestern wohnhaft sein. Er stehe mit seinen in Syrien lebenden Söhnen in regelmäßigen Kontakt und es gehe diesen gut. Seine beiden Söhne seien für die syrische Regierung beschäftigt, einer seiner Söhne sei Rechtsanwalt, der andere unterrichte an einer Universität in Damaskus. Einer seiner Söhne sei in Österreich wohnhaft, drei weitere Söhne würden in Deutschland leben.

Zum Fluchtgrund befragt, führte der BF aus, dass er zwei Söhne beim Militär gehabt habe und diese desertiert seien. Einer dieser Söhne sei derzeit in Deutschland wohnhaft, der andere Sohn sei bei einem Bombenanschlag in Syrien ums Leben gekommen. Er sei im Jahr 2012 aus Syrien ausgereist, als seine Kinder ausgereist seien, da er von der Regierung gesucht worden sei. Man habe ihm erklärt, er müsse seine Kinder zurückbringen, andernfalls würde er umgebracht werden. Er sei daraufhin nicht mehr nach Syrien zurückgekehrt. Auf Vorhalt, dass einer seiner Söhne trotzdem bei der Regierung angestellt sei, antwortete der BF, dass das der Wahrheit entspreche. Zur Frage, wann seine Kinder desertiert seien, gab der BF zu Protokoll, dass sein Sohn Noor nicht vom Militär geflüchtet sei, sondern nur Reservist gewesen sei. Sein Sohn Mohammed sei regulär als Colonel in der Luftwaffe beim Militär gewesen, er sei im Jahr 2012 bei einem Diensteinsatz umgekommen. Die Frage, ob er selbst seinen Militärdienst bereits abgeleistet habe, wurde vom BF bejaht und ausgeführt, dass er im Jahr 1968 seinen Militärdienst bereits abgeleistet habe. Insgesamt sei er vier Jahre und zwei Monate bei der syrischen Armee gewesen. Die Fragen, ob er jemals selbst gekämpft habe oder ob er eine Waffe abgefeuert oder getragen habe, wurden vom BF verneint. Er sei auch nie Mitglied einer bewaffneten Gruppierung in Syrien gewesen und habe im Herkunftsstaat nie Strafrechtsdelikte begangen oder sei inhaftiert gewesen. Befragt, wie lange er in den Vereinigten Arabischen Emiraten gewesen sei, führte der BF aus, dass er über fünf Jahre in den Vereinigten Arabischen Emiraten gewesen sei und drei Jahre in Jordanien gewesen sei. In Jordanien sei er aufgefordert worden, das Land zu verlassen, da er keine Aufenthaltsgenehmigung habe. Seine Ehefrau warte, bis sie der BF zu sich holen könne, da seine Ehefrau ebenfalls keine Aufenthaltsgenehmigung in Jordanien habe. Auf die Frage, welche Befürchtungen der BF bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat hätte, führte der BF aus, dass man ihn entweder umbringen oder verhaften werde. Zudem müsse er sein desertiertes Kind zurückbringen. Auf Nachfrage, wieso jedoch dennoch seine weiteren 2 Kinder in Syrien leben könnten, brachte der BF vor, dass diese Staatsangestellte seien. Ansonsten habe er keine weiteren Gründe, weshalb er das Land verlassen habe.

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme wurden vom BF eine in die deutsche Sprache übersetzte Abschrift der Personenstandsurkunde der Syrischen Arabischen Republik vom 14.09.2021, eine in die deutsche Sprache übersetzte Abschrift der Personenstandsurkunde der Syrischen Arabischen Republik vom 14.09.2021 seiner Ehefrau, eine Heiratseintragung vom 15.09.2021 im Original und ein Auszug aus dem Familienregister im Original sowie in deutscher Übersetzung in Vorlage gebracht.

Am 14.10.2021 wurde vom BF die Kopie eines syrischen Reisepasses sowie ein Visum der Vereinigten Arabischen Emirate, ausgestellt vom Konsulat Dubai, gültig vom 10.06.2017 bis zum 09.06.2019, in Vorlage gebracht.

Mit Parteiengehör des BFA vom 03.12.2021 wurde dem BF die Möglichkeit gegeben, binnen einer Frist von zwei Wochen ab Zustellung der Verständigung eine Stellungnahme bezüglich der Länderinformationsblätter zu den Vereinigten Arabischen Emiraten, der Anfragebeantwortung vom 23.04.2019 bezüglich Wiedereinreise und erneuter Aufenthalt in den VAE für Personen ohne emiratische Staatsbürgerschaft und den Länderinformationsblättern zu Jordanien abzugeben.

Mit Stellungnahme vom 20.12.2021 wurde vom bevollmächtigten Vertreter des BF ausgeführt, dass er Syrien verlassen habe müssen, weil sich seine beiden Söhne geweigert hätten, den Wehrdienst abzuleisten und ihm als Familienangehöriger ebenfalls asylrelevante Verfolgung drohe. Es sei allgemein bekannt, dass die Verfolgung auf die ganze Familie Auswirkungen habe. In den Vereinigten Arabischen Emirate bestehe für den BF keine Möglichkeit, einen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu stellen und im Falle der Anerkennung als Flüchtling Schutz gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention zu erhalten. Die Vereinigten Arabischen Emirate hätten die GFK nicht unterzeichnet und würden keinen Zugang zu einem Asylverfahren gewähren. Auch hätten Syrer keine Stellung als anerkannte Flüchtlinge. Daher drohe dem BF eine Abschiebung nach Syrien, wo ihm der sichere Tod drohe. In Jordanien habe er zwar mehrere Jahre lang gelebt, bevor er nach Europa gekommen sei; er sei dort nicht legal gewesen und auch seine Ehefrau sei dort nicht legal aufhältig, weshalb ihm die Rückkehr dorthin auch nicht möglich sei.

3. Mit Bescheid des BFA vom 14.01.2022, Zl 1281732700/211053587, wurde der Antrag des BF vom 31.07.2021 auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.). Die befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte wurde dem BF für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).

Begründend wurde ausgeführt, dass nicht glaubhaft sei, dass der BF auf der eine Seite angegeben habe, vom Staat bedroht zu werden, auf der anderen Seite aber weiterhin eine staatliche Pension bekomme. Widersprüchliche Angaben gebe es auch zum Aufenthaltsort seiner beiden Söhne. Bei der Einvernahme habe er angegeben, seine beiden Söhne seien bei der syrischen Regierung angestellt, einer sei Rechtsanwalt, der andere unterrichte bei der Universität Damaskus in einer Zweigstelle. Sollte dies wahr sein, widerspreche das einer staatlichen Bedrohung. Auf Nachfrage habe er die eigenen Angaben korrigiert, indem er angegeben habe, dass sein Sohn Noor nicht vom Militär geflüchtet sei, sondern nur ein Reservist gewesen sei und sein Sohn Mohammed sei regulär beim Militär gewesen und als Colonel der Luftwaffe beim Einsatz im Dienst gestorben. Aufgrund der widersprüchlichen Angaben zum Fluchtgrund könne dem BF kein Glauben geschenkt werden. Glaubhaft sei, dass er Syrien aufgrund des Krieges und der allgemein unsicheren Lage verlassen habe und nach seiner Mekka Reise bei seinen Kindern in den Vereinigten Arabischen Emiraten bleiben habe wollen. Der BF wäre im Falle einer Rückkehr nach Syrien keiner persönlichen Bedrohung oder Verfolgung ausgesetzt.

4. Gegen diesen Bescheid erhob der BF fristgerecht Beschwerde gegen Spruchpunkt I. wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und der Verletzung von Verfahrensvorschriften. Der Pflicht zur amtswegigen Ermittlung und materiellen Wahrheitsforschung sei die Behörde in der angefochtenen Entscheidung nicht im gesetzlich vorgesehenen Ausmaß nachgekommen. Die Söhne des BF würden in Risikoprofile fallen und wären daher direkt vor einer Verfolgung durch das syrische Regime bedroht. Ebendiese Bedrohung bestehe auch für den BF als Angehörigen. Das Unverständnis der belangten Behörde beruhe auf einem erheblichen Ermittlungsmangel, zumal der BF zu dem unterstellten Widerspruch nicht befragt worden sei. Allgemein sei somit nicht ersichtlich, wie die belangte Behörde angesichts der bekannten politischen sowie der Sicherheitslage in Syrien zur Ansicht gelange, dem BF drohe als Angehörigen von Wehrdienstverweigerern bzw. Entziehern im Fall der Rückkehr nach Syrien keine Verfolgung. Aus den Länderfeststellungen gehe hervor, dass der Militäreinsatz in der syrischen Armee, dem sich die Söhne des BF durch ihre Ausreise entzogen hätten, im derzeitigen bewaffneten Konflikt in Syrien mit einem Zwang zur Verübung menschenrechtswidriger Handlungen und zur Teilnahme an völkerrechtswidrigen Militäraktionen sei und, dass bei Verweigerung von Befehlen im Bereich des Militärdienstes bzw. des Militäreinsatzes völlig unverhältnismäßige Bestrafungsmaßnahmen drohen würden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Zur Person des BF und zu dessen Fluchtvorbringen:

Der XXXX geborene BF ist syrischer Staatsangehöriger, gehört der arabischen Volksgruppe an und bekennt sich zur islamischen Glaubensgemeinschaft. In Syrien hat der BF 12 Jahre die Schule besucht. Der BF ist Pensionist und war früher als Staatsangestellter in einer Staatsbank tätig. Er erhält 60.000 syrische Pfund als monatliche Rente. Der BF ist verheiratet und hat acht Kinder. Nach dem Verlassen Syriens hat sich der BF für mehrere Jahre in den Vereinigten Arabischen Emiraten aufgehalten und war zuletzt in Jordanien wohnhaft. Seine Ehefrau lebt derzeit in Jordanien. Zwei Söhne des BF sind nach wie vor in Syrien aufhältig. Ein Sohn arbeitet in Syrien als Rechtsanwalt, der zweite ist an einer Universität angestellt. Der BF steht mit seinen in Syrien lebenden Kindern in Kontakt und diesen geht es gut, bzw. wurden aktuell konkrete asylrelevante Bedrohungen dieser Personen nicht angegeben.

Der BF hat Syrien seinen eigenen Angaben zufolge bereits im Jahr 2012 verlassen und ist seit dieser Zeit nicht mehr dorthin zurückgekehrt.

Der BF ist aus Jordanien kommend, unter Aufwendung hoher geldlicher Summen (USD 13.000) für die schlepperunterstützte und unter Umgehung der Grenzkontrollen erfolgte Reise auf unbekannten Wege nach Österreich gelangt.

Der BF stellte am 31.07.2021 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Aufgrund dieses Antrages wurde ihm mit Bescheid vom 14.01.2022 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von zwei Jahren gesetzlich verpflichtend (ÖB 29.9.2020). Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Art. 4 lit b gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren (PAR 12.5.2007). Zusätzlich gibt es die Möglichkeit eines freiwilligen Militärdienstes. Der 77-jährige BF befindet sich daher aktuell nicht mehr im wehrfähigen Alter.

Der BF hat im Jahr 1968 den Wehrdienst bei der syrischen Armee für vier Jahre abgeleistet.

Im Falle einer Rückkehr besteht für den XXXX geborenen und gegenwärtig XXXX Jahre alten und pensionierten BF besteht aktuell mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Gefahr, als Reservist zum syrischen Militärdienst eingezogen zu werden.

Der BF ist in Syrien nie Mitglied einer bewaffneten Gruppierung gewesen und hat keine Strafrechtsdelikte begangen.

Der BF hat insgesamt ausreichend konkret nicht dargelegt, dass dieser einer ihn unmittelbar konkret und individuell seine Person betreffenden asylrelevanten individuellen Verfolgung oder Bedrohung von maßgeblicher Intensität in Syrien ausgesetzt war, bzw. hat dieser nicht glaubhaft machen können, dass dieser mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von einer asylrelevanten Bedrohung persönlich aktuell konkret bedroht ist.

Er hat mit verfahrensrelevanter Wahrscheinlichkeit im Falle seiner Rückkehr nach Syrien keine aktuell unmittelbare und ihn persönlich betreffende konkrete Verfolgung oder Bedrohung, insbesondere nicht wegen einer - ihm zumindest unterstellten – oppositionellen politischen Gesinnung aufgrund der vorgebrachten Wehrdienstverweigerung seiner Söhne, zu befürchten.

Der BF wäre im Falle einer Rückkehr nach Syrien nicht aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht.

Dem BF droht keine asylrelevante Verfolgung aufgrund seiner illegalen Ausreise.

Dem BF wurde aufgrund des Vorliegen einer allgemeinen Gefährdung aufgrund der gegenwärtigen Versorgung – und Sicherheitslage in Syrien durch das BFA der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

Zur Lage im Herkunftsstaat schließt sich das Bundesverwaltungsgericht den folgenden aktuellen Länderfeststellungen des angefochtenen Bescheides an:

Länderspezifische Anmerkungen

COVID-19

Letzte Änderung: 01.10.2021

Bezüglich der aktuellen Anzahl der Krankheits- und Todesfälle in den einzelnen Ländern empfiehlt die Staatendokumentation folgende Website der WHO: https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports oder der Johns Hopkins-Universität: https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6 mit täglich aktualisierten Zahlen zu kontaktieren.

Am 22.3.2020 wurde der erste Fall einer COVID-19 infizierten Person in Syrien bestätigt (ÖB 29.9.2020). Unbestätigte Berichte deuteten damals darauf hin, dass das Virus schon früher entdeckt worden war, dies aber vertuscht wurde (Reuters 23.3.2020). Dem ersten bestätigten Fall folgten weitreichende Maßnahmen (u.a. Ausgangssperren, Verkehrsbeschränkungen, Schließungen von Bildungseinrichtungen und Geschäften), die zwischenzeitig weitgehend aufgehoben wurden. Die Pandemie traf das Land mit einem Gesundheitssystem, das durch den Konflikt schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde. Dies trifft gerade auch für die humanitären Brennpunkte mit hunderttausenden Binnenvertriebenen (IDPs) vor allem im Nordwesten zu (ÖB 29.9.2020).

Trotz der katastrophalen humanitären Lage in Syrien sind dort weit weniger Fälle und Todesfälle gemeldet worden als in den Nachbarländern (BBC 13.10.2020). Die offiziell bekannt gegebenen Zahlen für die von der Regierung kontrollierten Gebiete in Syrien sind sehr niedrig, ebenso die Zahl der Tests (ÖB 29.9.2020). Angesichts der begrenzten Anzahl von Tests in ganz Syrien ist es wahrscheinlich, dass die tatsächliche Zahl der Fälle die offiziellen Zahlen bei weitem übersteigen könnte (UNOCHA/WHO 10.6.2021: vgl. TG 29.4.2021). Eine britische Studie schätzt, dass nur 1,25% der Infektionen gemeldet werden. Mitte August 2020 wurde allein in der Hauptstadt Damaskus die Zahl der Infizierten auf 112.500 geschätzt (AA 4.12.2020). Die Regierung erhielt mit Stand März 2021 geschätzte 120.000 Testsets und andere Ausrüstung von unterschiedlichen Ländern und soll diese an private Labore verkauft haben, statt sie im öffentlichen Gesundheitssystem zu verteilen. Es gibt auch Anschuldigungen, dass die Regierung Lieferungen, die für oppositionelle Gebiete bestimmt waren, für ähnliche Zwecke beschlagnahmt hat bzw. sich bemüht Hilfsgüter in die eigenen Gebiete zu lenken (COAR 10.3.2021).

Epidemiologische Analysen deuten auf eine zweite Welle Mitte Dezember 2020 hin, als die Zahl der Fälle (3.547) die höchste war, die bisher in einem einzigen Monat gemeldet wurde. Nach einem relativen Abflauen der gemeldeten Fälle im Februar 2021 stiegen die Zahlen im Berichtszeitraum Ende März bis Anfang April 2021 wieder an, was möglicherweise auf eine dritte Welle hindeutet. Von Mai bis Mitte Juni 2021 hat die Zahl der gemeldeten Fälle wieder abgenommen, bleibt aber immer noch relativ hoch mit signifikanten Positivitätsraten bei begrenzten Tests (UNOCHA/WHO 10.6.2021).

Die seit Juli 2020 gemeldete stetige Zunahme des betroffenen Gesundheitspersonals unterstreicht - angesichts des fragilen Gesundheitssystems Syriens mit einer ohnehin schon unzureichenden Zahl an qualifiziertem Gesundheitspersonal - das Potenzial einer weiteren Beeinträchtigung der überforderten Gesundheitskapazitäten. Humanitäre Akteure erhalten weiterhin Berichte, dass das Gesundheitspersonal in einigen Gebieten nicht über ausreichende persönliche Schutzausrüstung verfügt (UNOCHA/WHO 10.6.2021). Staatliche Spitäler, besonders in der Gegend von Damaskus, sind mit Patienten überfüllt und haben keine Beatmungsgeräte mehr (CGP 13.10.2020). Im April 2020 wurden die Kapazitäten der Intensivstationen in Damaskus als ausgeschöpft gemeldet (TG 29.4.2021).

Unterdessen sagen die unterbesetzten medizinischen Fachkräfte, dass sie ihre Aufgaben unter der Aufsicht der mächtigen Sicherheitsdienste erfüllen müssen, welche die staatlichen Gesundheitseinrichtungen überwachen. Dies soll abschreckend auf Patienten wirken, die bereits zögern, sich in einem Land behandeln zu lassen, in dem die Angst vor dem Staatsapparat groß ist und jede kritische Diskussion über den Umgang mit der Pandemie als Bedrohung für eine Regierung angesehen werden könnte, die entschlossen ist, eine Botschaft der Kontrolle zu vermitteln (AJ 5.10.2020). Menschenrechtsaktivisten zufolge verhaftete das Regime Gesundheitsdienstleister, die mit internationalen Medien über die COVID-19-Krise sprachen oder dem streng kontrollierten Narrativ über die Auswirkungen der Pandemie auf das Land widersprachen (USDOS 30.3.2021).

Unterdessen verschlechtert sich die wirtschaftliche Lage Syriens weiter. In Verbindung mit dem plötzlichen Zusammenbruch des syrischen Pfunds hat COVID-19 die rapide Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage Syriens im Sommer 2020 noch verschärft. Die aktuelle Wirtschaftslage, zusammen mit den beschädigten Lieferketten durch die Explosion in Beirut am 4.8.2020 (UNSC 30.9.2020) und dem Verlust von Arbeitsplätzen aufgrund der Auswirkungen von COVID-19, insbesondere bei Tagelöhnern oder der Saisonarbeit, in Verbindung mit dem Anstieg der Nahrungsmittelpreise (UNOCHA/WHO 29.9.2020) haben dazu geführt, dass jetzt geschätzte 12,4 Millionen Menschen in Syrien von Ernährungsunsicherheit betroffen sind, ein Anstieg um 4,5 Millionen innerhalb eines Jahres (UNOCHA/WHO 10.6.2021).

Ende September 2021 steht Syrien Berichten zufolge vor einem neuen Anstieg der COVID-19-Infektionen sowohl in den vom Regime kontrollierten Gebieten als auch in den Gebieten der Opposition. Der Anstieg der Krankheits- und Todesfälle war im dicht besiedelten, von der Opposition gehaltenen Nordwesten des Landes in der Nähe der türkischen Grenze besonders alarmierend, wo über vier Millionen Menschen leben, darunter fast eine halbe Million allein in Notzelten. Der jüngste Anstieg ist auf die Delta-Variante zurückzuführen, für die eine Welle von Besuchern aus dem Ausland im Sommer verantwortlich gemacht wird, heißt es (Reuters 22.9.2021).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.12.2020): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/684542/60 38295/22065632/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt,_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_i n_der_Arabischen_Republik_Syrien_(Stand_November_2020),_04.12.2020.pdf?nodeid=224799 18&vernum=-2, Zugriff 18.1.2021

 AJ - Al Jazeera (5.10.2020): In COVID-hit Syria, people 'prefer to die than come to hospital', https://www.aljazeera.com/features/2020/10/5/covid-19-syria-hospital , Zugriff 16.10.2020

 BBC - BBC News (13.10.2020): Coronavirus: Syria government 'prepares for virus second wave', https://www.bbc.com/news/world-middle-east-54522725 , Zugriff 16.10.2020

 CGP - Center for Global Policy (13.10.2020): How the Syrian Regime Undermines the Response to COVID-19, https://cgpolicy.org/articles/how-the-syrian-regime-undermines-the-response-to-covid-19/ , Zugriff 22.10.2020

 COAR - Center for Operational Analysis and Research (10.3.2021): Syrian Public Health after COVID-19: Entry Points and Lessons Learned from the Pandemic Response, https://coar-global.org/2021/03/10/syrian-public-health-after-covid-19-entry-points-and-lessons-learned-from-the-pandemic-response/ , Zugriff 11.6.2021

 ÖB - Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (29.9.2020): Asylländerbericht Syrien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038328/Asyländerbericht+2020+(Stand+29092020)+.pdf , Zugriff 12.10.2020

 Reuters (22.9.2021): Syria sees spike in COVID-19 cases as fears grow of new wave, https://www.reuters.com/world/middle-east/syria-sees-spike-covid-19-cases-fears-grow-new-wave-2021-09-22/ , Zugriff 30.9.2021

 Reuters (23.3.2020): Shattered by years of war, Syria braces for coronavirus spread, https://www.reuters.com/article/us-health-coronavirus-syria/shattered-by-years-of - war-syria-braces-for-coronavirus-spread-idUSKBN21A39M, Zugriff 16.10.2020

 TG - The Guardian (29.4.2021): Millions at risk from Covid surge in Syria amid test and oxygen shortages, https://www.theguardian.com/world/2021/apr/29/millions-at-risk-from-covid-surge-in-syria-amid-test-and-oxygen-shortages , Zugriff 11.6.2021

 UNOCHA/WHO - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs/World Health Organization (10.6.2021): SYRIAN ARAB REPUBLIC: COVID-19 Humanitarian Update No. 26, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Syrian%20Arab%20Republic%20-%20COVID-19%20Humanitarian%20Update%20No.%2026%20As%20of%2010%20June%202021.pdf , Zugriff 14.6.2021

 UNOCHA/WHO - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs/World Health Organization (29.9.2020): SYRIAN ARAB REPUBLIC: COVID-19 Humanitarian Update No. 19, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Syria_COVID-19_Humanitarian Update_No 19_29Sept2020_FINAL.pdf, Zugriff 16.10.2020

 UNSC - United Nations Security Council (30.9.2020): October 2020 Monthly Forecast - Middle East - Syria, https://www.securitycouncilreport.org/monthly-forecast/2020-10/syria-24.php , Zugriff 21.10.2020

 USDOS - United States Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048105.html , Zugriff 10.6.2021

Politische Lage

Letzte Änderung: 30.09.2021

Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit 1970, als Hafez al-Assad sich durch einen Staatsstreich zum Herrscher Syriens machte (SHRC 24.1.2019). Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad, diese Position (BBC 25.2.2019). Die beiden Assad-Regime hielten die Macht durch ein komplexes Gefüge aus ba'athistischer Ideologie, repressivem Zwang, Anreize für wirtschaftliche Eliten und der Kultivierung eines Gefühls des Schutzes für religiöse Minderheiten (USCIRF 4.2021). Obwohl das Regime oft als alawitisch und als Beschützer anderer religiöser Minderheiten bezeichnet wird, ist die Regierung kein wirkliches Instrument für die politischen Interessen der Minderheiten (FH 3.4.2020).

Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Baʿath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt (AA 13.11.2018). Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weit verbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (Spiegel 29.8.2016).

Die syrische Verfassung sieht die Baʿath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat (USDOS 30.3.2021). Die Verfassungsreform von 2012 lockerte die Regelungen bezüglich der politischen Partizipation anderer Parteien. In der Praxis unterhält die Regierung jedoch noch immer einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat zur Überwachung von Oppositionsbewegungen, die sich zu ernstzunehmenden Konkurrenten der Regierung Assads entwickeln könnten. Ausländische Akteure wie Russland, der Iran und die libanesische schiitische Miliz Hizbollah üben aufgrund ihrer Beteiligung am Krieg und ihrer materiellen Unterstützung für die Regierung ebenfalls großen Einfluss auf die Politik in den vom Regime kontrollierten Gebieten aus. In anderen Gebieten wird die zivile Politik häufig den von der Türkei unterstützten bewaffneten Gruppen untergeordnet. Die PYD dominierte politisch sowohl die Araber als auch die Kurden in den kurdischen Gebieten, während die USA dort militärisch präsent waren. Der Abzug der USA im Oktober 2019 und der anschließende Einmarsch der türkischen Streitkräfte hat der Türkei seitdem die Möglichkeit gegeben, stattdessen mehr Einfluss auszuüben (FH 4.3.2020).

Wahlen

Wahlen in Syrien dienen nicht dazu, Entscheidungsträger zu finden, sondern dem Staat den Anschein eines demokratischen Verfahrens zu geben, Normalität zu demonstrieren und die Fassade von demokratischen Prozessen aufrechtzuerhalten (BS 29.4.2020). Mitte September 2018 wurden in den von der syrischen Regierung kontrollierten Gebieten zum ersten Mal seit 2011 wieder Kommunalwahlen abgehalten (IFK 10.2018; vgl. WKO 11.2018). Der Sieg von Assads Baʿath Partei galt als wenig überraschend. Geflohene und Binnenvertriebene waren von der Wahl ausgeschlossen (WKO 11.2018).

Im Juli 2020 fanden nach zweimaligem Verschieben des Wahltermins aufgrund der COVID-19-Pandemie die dritten Parlamentswahlen seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs statt. Vom Urnengang ausgeschlossen waren Syrer, die außerhalb der von der Regierung kontrollierten Gebiete im Nordwesten und Nordosten Syriens leben (COAR 27.7.2020). Die herrschende Ba'ath-Partei von Präsident Bashar al-Assad gewann wie erwartet die Mehrheit. Die Baʿath-Partei und deren Verbündete schlossen sich zum Bündnis der "Nationalen Einheit" zusammen (DS 21.7.2020) und gewannen 70% der Parlamentssitze (Duclos 31.7.2020). Die übrigen Sitze gingen an Parteien, die mit der Baʿath-Partei verbunden sind, und nominell unabhängige Kandidaten mit Verbindungen zu Präsident Assad (COAR 27.7.2020). Es gab Vorwürfe des Betrugs, der Wahlfälschung und der politischen Einflussnahme. Kandidaten wurden in letzter Minute von den Wahllisten gestrichen und durch vom Regime bevorzugte Kandidaten ersetzt, darunter Kriegsprofiteure, Warlords und Schmuggler, die das Regime im Zuge des Konflikts unterstützten (TWP 22.7.2020). Der Wahlprozess soll so strukturiert sein, dass eine Manipulation des Regimes möglich ist. Syrische Bürger können überall innerhalb der vom Regime kontrollierten Gebiete wählen, und es gibt keine Liste der registrierten Wähler in Wahllokalen, somit gibt es keinen Mechanismus, um zu überprüfen, ob Personen an verschiedenen Wahllokalen mehrfach gewählt haben. Jede Partei oder jeder Kandidat, der kandidieren möchte, muss die Namen seiner Mitglieder nach denen der Baʿath-Partei auflisten, so dass jeder, der kandidiert, automatisch die Namen der Baʿath-Mitglieder in den Vordergrund rückt. Druckereien dürfen auf Anordnung des Geheimdienstes keine Listen ohne die Namen der Baʿath-Kandidaten drucken. Daher ist jeder, der kandidiert, standardmäßig nur ein Zusatz zu den Baʿath-Kandidaten (AAN/MEI 24.7.2020).

Im Mai 2021 wurden in den von der Regierung kontrollierten Gebieten und einigen syrischen Botschaften im Ausland Präsidentschaftswahlen abgehalten, bei denen Bashar al-Assad mit 95,1% gewann und damit für eine weitere Amtsperiode von sieben Jahren wiedergewählt wurde. Zwei kaum bekannte Personen sind als Gegenkandidaten angetreten und erhielten 1,5% und 3,3% der Stimmen (DS 28.5.2021; vgl. Reuters 28.5.2021). Politiker der Exilopposition waren von der Wahl ausgeschlossen. Die Europäische Union erkennt die Wahl nicht an, westliche Regierungen bezeichnen sie als "weder frei noch fair" und "betrügerisch" und die Opposition nannte sie eine "Farce" (DS 28.5.2021).

Territorien

Durch massive syrische und russische Luftangriffe und das Eingreifen Irans bzw. durch Iran unterstützter Milizen hat das syrische Regime mittlerweile alle Landesteile außer Teile des Nordwestens, Nordens und Nordostens von der bewaffneten Opposition zurückerobert. Die Anzahl der Kampfhandlungen ist nach Rückeroberung weiter Landesteile zurückgegangen, jedoch besteht die Absicht des syrischen Regimes, das gesamte Staatsgebiet zurückerobern und "terroristische" Kräfte vernichten zu wollen, unverändert fort. Zuletzt erklärte Assad im August 2020 bei einer Rede vor dem syrischen Parlament die "Befreiung" aller syrischen Gebiete zum prioritären Ziel. Trotz der großen Gebietsgewinne durch das Regime besteht die Fragmentierung des Landes in Gebiete, in denen die territoriale Kontrolle von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt wird, fort. Dies gilt insbesondere für den Nordwesten und Nordosten des Landes (AA 4.12.2020). [Anm.: Nähere Informationen finden sich im Kapitel "Sicherheitslage".] Die Präsenz ausländischer Streitkräfte, die ihren politischen Willen geltend machen, untergräbt weiterhin die staatliche Souveränität, und Zusammenstöße zwischen bewaffneten regimefreundlichen Gruppen deuten darauf hin, dass die Regierung nicht in der Lage ist, die Akteure vor Ort zu kontrollieren. Darüber hinaus hat eine aufstrebende Klasse wohlhabender Kriegsprofiteure begonnen, ihren wirtschaftlichen Einfluss und den Einfluss von ihnen finanzierter Milizen zu nutzen, und innerhalb der staatlichen Strukturen nach legitimen Positionen zu streben (BS 29.4.2020).

Durch die Eskalation des Syrien-Konfliktes verlagerte sich die Macht zu regieren in den von der syrischen Regierung kontrollierten Gebieten zunehmend auf die Sicherheitskräfte. In Gebieten außerhalb der Kontrolle der Regierung ist dies nicht anders. Extremistische Rebellengruppierungen, darunter vor allem Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS), haben die Vorherrschaft in Idlib. Lokalräte werden von militärischen Einheiten beherrscht, die momentan unter der Kontrolle von HTS stehen. In den kurdischen Gebieten in Nordsyrien dominiert die Partei der Demokratischen Union (PYD). Obwohl es Lippenbekenntnisse zur Integration arabischer Vertreter in Raqqa und Deir ez-Zour gibt, ist die Dominanz der PYD bei der Entscheidungsfindung offensichtlich. Die PYD hat zwar eine Reihe von Verwaltungsorganen auf verschiedenen Ebenen eingerichtet, es ist jedoch ein kompliziertes System mit sich überschneidenden Zuständigkeiten, das es für die Bürger schwierig macht, sich an der Politik zu beteiligen, wenn sie nicht bereits in die Parteikader integriert sind (BS 29.4.2020). Die PYD [ihrerseits nicht von EU oder USA verboten, Anm.] gilt als syrischer Ableger der verbotenen türkisch-kurdischen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) (KAS 4.12.2018a).

Der sogenannte IS wurde im März 2019 aus seinem Gebiet in Syrien zurückgedrängt, nachdem kurdische Kräfte seine letzte Hochburg erobert hatten. Seitdem haben IS-Kämpfer das ganze Jahr 2019 über mit Guerillataktiken Sicherheitskräfte und lokale zivile Führer angegriffen (FH 4.3.2020)

Nordost-Syrien

2011 soll es zu einem Übereinkommen zwischen der syrischen Regierung, der iranischen Regierung und der PKK, deren Mitglieder die PYD gründeten, gekommen sein. Die PYD, ausgestattet mit einem bewaffneten Flügel, den Volksverteidigungseinheiten (YPG), hielt die kurdische Bevölkerung in den Anfängen des Konfliktes davon ab, sich effektiv an der Revolution zu beteiligen. Demonstrationen wurden aufgelöst, Aktivisten festgenommen, Büros des Kurdischen Nationalrats in Syrien, einer Dachorganisation zahlreicher syrisch-kurdischer Parteien, angegriffen. Auf diese Weise musste die syrische Armee keine "zweite Front" in den kurdischen Gebieten eröffnen und konnte sich auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Baʿath-Regime Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen Gebieten zurück. In der zweiten Jahreshälfte 2012 wurden Afrin, Ain al-Arab (Kobane) und die Jazira von der PYD und der YPG übernommen, ohne dass es zu erwähnenswerten militärischen Auseinandersetzungen mit der syrischen Armee gekommen wäre (Savelsberg 8.2017). Im März 2016 wurde in dem Gebiet, das zuvor unter dem Namen "Rojava" bekannt war, die Democratic Federation of Northern Syria ausgerufen, die sich über Teile der Provinzen Hassakah, Raqqa und Aleppo und auch über Afrin erstreckte (SWP 7.2018; vgl. KAS 4.12.2018a). Afrin im Nordwesten Syriens wird von der Türkei und alliierten syrischen oppositionellen Milizen kontrolliert (BBC 28.4.2020).

Die syrischen Kurden unter Führung der PYD beanspruchen in den Selbstverwaltungskantonen ein Gesellschaftsprojekt aufzubauen, das von basisdemokratischen Ideen, von Geschlechtergerechtigkeit, Ökologie und Inklusion von Minderheiten geleitet ist. Während Befürworter das syrisch-kurdische Gesellschaftsprojekt als Chance für eine künftige demokratische Struktur Syriens sehen, betrachten Kritiker es als realitätsfremd und autoritär (KAS 4.12.2018a). Das Ziel der PYD ist nicht die Gründung eines kurdischen Staates in Syrien, sondern die Autonomie der kurdischen Kantone als Bestandteil eines neuen, demokratischen und dezentralen Syriens (KAS 4.12.2018a; vgl. BS 29.4.2020). Die PYD hat sich in den kurdisch kontrollierten Gebieten als die mächtigste politische Partei im sogenannten Kurdischen Nationalrat etabliert, ähnlich der hegemonialen Rolle der Baʿath-Partei in der Nationalen Front (BS 2018). Die PYD kontrollierte im Allgemeinen die politische und staatliche Landschaft in Nordostsyrien, während sie eine arabische Vertretung in den lokalen Regierungsräten zuließ. Die Partei behielt jedoch die Gesamtkontrolle über kritische Entscheidungen der lokalen Räte. Der PYD nahestehende interne Sicherheitskräfte haben Berichten zufolge zeitweise vermeintliche Gegner festgenommen und verschwinden lassen (USDOS 30.3.2021). Ihr militärischer Arm, die YPG sind zudem die dominierende Kraft innerhalb des Militärbündnisses Syrian Democratic Forces (SDF). Der Krieg gegen den IS forderte zahlreiche Opfer und löste eine Flüchtlingswelle in die kurdischen Selbstverwaltungsgebiete aus. Die syrischen Kurden stehen zwischen mehreren Fronten und können sich auf keinen stabilen strategischen Partner verlassen. Die erhoffte Kriegsdividende, für den Kampf gegen den IS mit einem autonomen Gebiet "belohnt" zu werden, ist bisher ausgeblieben (KAS 4.12.2018a).

Die syrische Regierung erkennt die kurdische Enklave oder Wahlen, die in diesem Gebiet durchgeführt werden, nicht an (USDOS 30.3.2021). Im Zuge einer türkischen Militäroffensive, die im Oktober 2019 gestartet wurde, kam es jedoch zu einer Einigung zwischen beiden Seiten, da die kurdischen Sicherheitskräfte die syrische Zentralregierung um Unterstützung in der Verteidigung der kurdisch kontrollierten Gebiete baten. Die syrische Regierung ist daraufhin in mehrere Grenzstädte eingerückt (DS 15.10.2019).

Quellen:

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 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.11.2018): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1451486/4598_1542722823_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-lage-in-der-arabischen-republik-syrien-stand-november-2018-13-11-2018.pdf , Zugriff 18.8.2020

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 DS - Der Standard (21.7.2020): Assads Baath-Partei gewinnt Mehrheit bei Parlamentswahl in Syrien, https://www.derstandard.at/story/2000118902082/assads-baath-partei-gewinnt-mehrheit-bei-parlamentswahl-in-syrien , Zugriff 18.8.2020

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 Savelsberg, Eva: Der Aufstieg der kurdischen PYD im syrischen Bürgerkrieg (2011 bis 2017). In STDOK - Staatendokumentation des BFA [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien - mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf , Zugriff 24.7.2020

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 SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (7.2018): Die Kurden im Irak und in Syrien nach dem Ende der Territorialherrschaft des "Islamischen Staates", https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S11_srt.pdf , Zugriff 18.8.2020

 TWP - The Washington Post (22.7.2020): Syria’s elections have always been fixed. This time, even candidates are complaining., https://www.washingtonpost.com/world/middle_east/syrias-elections-have-always-been-fixed-this-time-even-candidates-are-complaining/2020/07/22/76e0bb12-cb5f-11ea-99b0-8426e26d203b_story.html , Zugriff 18.8.2020

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 WKO - Wirtschaftskammer Österreich - Außenwirtschaftscenter Amman (11.2018): Außenwirtschaft: Update Syrien, Zugriff 1.3.2019, liegt in der Staatendokumentation auf

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 01.10.2021

Die folgende Karte zeigt Kontrollgebiete unterschiedlicher Akteure in Syrien mit Stand Oktober 2021:

Liveuamap 1.10.2021

Die militärische Intervention Russlands und die damit einhergehende Luftunterstützung für Assads Streitkräfte sowie die erheblich ausgeweitete indirekte Bodenintervention Irans in Form eines Einsatzes ausländischer Milizen konnten 2015 den Zusammenbruch des syrischen Regimes abwenden (KAS 4.12.2018b). Mitte des Jahres 2016 kontrollierte die syrische Regierung ca. ein Drittel des syrischen Staatsgebietes, inklusive der "wichtigsten" Städte im Westen, in denen der Großteil der Syrer lebt (Reuters 13.4.2016). Durch massive syrische und russische Luftangriffe und das Eingreifen Irans bzw. durch Iran unterstützter Milizen hat das syrische Regime mittlerweile alle Landesteile außer Teile des Nordwestens, Nordens und Nordostens von der bewaffneten Opposition zurückerobert. Trotz weitreichender militärischer Erfolge des syrischen Regimes und seiner Unterstützer sind Teile Syriens noch immer von Kampfhandlungen betroffen. Seit März 2020 sind Kampfhandlungen reduziert, dauern jedoch in mehreren Frontgebieten nach wie vor an (AA 4.12.2020). Das Wiederaufflammen der Kämpfe und die Rückkehr der Gewalt in den letzten Monaten geben laut UNHRC (UN Human Rights Council) Anlass zur Sorge. Kämpfe und Gewalt nahmen sowohl im Nordwesten als auch im Nordosten und Süden des Landes zu (UNHRC 14.9.2021)

Die faktische Ausübung der Kontrolle durch das syrische Regime unterscheidet sich stark von Gebiet zu Gebiet. Die verbleibenden Gebiete, die keiner oder nur teilweiser Kontrolle des syrischen Regimes unterliegen sind: Im Nordwesten werden Teile der Gouvernements Lattakia, Idlib und Aleppo durch die von den Vereinten Nationen als Terrororganisation eingestufte bewaffnete Oppositionsgruppe Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) sowie Türkei-nahe bewaffnete Gruppierungen kontrolliert. Gebiete im Norden und Nordosten entlang der Grenze zur Türkei werden durch die Türkei und ihr nahestehende bewaffnete Gruppierungen kontrolliert. Weitere Gebiete in Nord- und Nordost-Syrien werden durch die kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF) sowie punktuell durch das syrische Regime kontrolliert. Das Assad-Regime hat wiederholt öffentlich erklärt, dass die militärische Rückeroberung des gesamten Staatsgebietes weiterhin sein erklärtes Ziel sei (AA 4.12.2020).

Auch in Landesteilen, in denen Kampfhandlungen mittlerweile abgenommen haben, besteht weiterhin ein hohes Risiko, Opfer von Gewalt und Übergriffen zu werden (AA 4.12.2020). Dies gilt auch für vermeintlich friedlichere Landesteile im äußersten Westen Syriens sowie die Hauptstadt Damaskus (AA 19.5.2020).

43% der besiedelten Gebiete Syriens gelten als mit Minen und Fundmunition kontaminiert. Die Großstädte Aleppo, Raqqa, Homs, Dara‘a und Deir ez-Zour sowie zahlreiche Vororte von Damaskus sind hiervon nach wie vor besonders stark betroffen (AA 4.12.2020). Es kommt immer wieder zu Zwischenfällen mit derartigen Hinterlassenschaften des bewaffneten Konfliktes (DIS/DRC 2.2019). An Orten wie den Provinzen Aleppo, Dara'a, dem Umland von Damaskus, Idlib, Raqqa und Deir ez-Zour führt die Explosionsgefahr zu Verletzungen und Todesfällen, sie schränkt den sicheren Zugang zu Dienstleistungen ein und behindert die Bereitstellung humanitärer Hilfe. Mit Stand Juni 2020 leben 11,5 Millionen Menschen in den 2.562 Gemeinden, die in den letzten zwei Jahren von einer Kontamination durch Minen und explosive Hinterlassenschaften des Konflikts berichtet haben (UNMAS 6.2020).

Der sogenannte Islamische Staat (IS) kontrollierte im Sommer 2014 große Teile Syriens und des Irak (FAZ 10.3.2019). Ende März 2019 wurde mit Baghouz die letzte Bastion des IS von den oppositionellen Syrian Democratic Forces (SDF) erobert (DZ 24.3.2019). Im Oktober 2019 wurde der Gründer und Anführer des IS, Abu Bakr Al-Baghdadi, bei einem U.S.-Spezialkräfteeinsatz in Nordwest-Syrien getötet (AA 19.5.2020). Der IS ist zwar zerschlagen, verfügt aber noch immer über militärische Einheiten, die sich in den Wüstengebieten Syriens und des Irak versteckt halten (DZ 24.3.2019), und ist im Untergrund aktiv (AA 4.12.2020). Nach dem Verlust der territorialen Kontrolle verlagerte der IS seine Strategie hin zu aufständischen Methoden, wie gezielte Angriffe, u.a. Autobomben, Überfälle, und Attentate (DIS 29.6.2020). Schläferzellen des IS sind sowohl im Irak als auch in Syrien weiterhin aktiv (FAZ 10.3.2019), sowohl in syrischen Städten als auch in ländlichen Gebieten, besonders in den von der Regierung kontrollierten Gebieten (DIS 29.6.2020). Im Untergrund sollen mehr als 20.000 IS-Kämpfer auf eine Gelegenheit zur Rückkehr warten (FAZ 22.3.2019). Generell nimmt die Präsenz des IS in Syrien wieder zu, auch in Landesteilen unter Regimekontrolle. Es sind zuletzt Berichte über Anschläge in Damaskus, Idlib, Homs sowie dem Süden und Südwesten des Landes und der zentralsyrischen Wüste bekannt geworden. Der Schwerpunkt der Anschläge liegt im Nordosten des Landes (AA 4.12.2020). Mitte 2020 gehörten zu den Zielpersonen des IS vor allem lokale Behörden und Personen, die mit den Behörden, Kräften und Gruppen, die gegen den IS kämpfen, zusammenarbeiten oder als mit ihnen kooperierend wahrgenommen werden (DIS 29.6.2020). Der IS profitierte von einem Sicherheitsvakuum, das dadurch entstand, dass die verschiedenen militärischen Kräfte ihre Aktivitäten aufgrund der COVID-19-Pandemie reduzierten (USDOS 30.3.2021).

Nachdem der ehemalige US-Präsident Donald Trump Anfang Oktober 2019 erneut ankündigte, die US-amerikanischen Truppen aus der syrisch-türkischen Grenzregion abzuziehen, startete die Türkei am 9. Oktober 2019 eine Luft- und Bodenoffensive im Nordosten Syriens ("Operation Friedensquelle") (CNN 11.10.2019; vgl. AA 19.5.2020). Durch den Abzug der US-Streitkräfte aus Nordsyrien und die türkische Offensive und die damit einhergehende Schwächung der kurdischen Sicherheitskräfte wurde ein Wiedererstarken des IS befürchtet (DS 13.10.2019; vgl. DS 17.10.2019). Die USA patrouillieren seit dem 31.10.2019 weiterhin in weiten Teilen des Nordostens (AA 4.12.2020).

Die NGO Syrian Network for Human Rights (SNHR) versucht die Zahlen ziviler Todesopfer zu erfassen. Getötete Kämpfer werden in dem Bericht nicht berücksichtigt, außer in der Zahl der aufgrund von Folter getöteten Personen, welche Zivilisten und Kämpfer berücksichtigt. Betont wird außerdem, dass die Organisation in vielen Fällen Vorkommnisse nicht dokumentieren konnte, besonders im Fall von "Massakern", bei denen Städte und Dörfer komplett abgeriegelt wurden. Die hohe Zahl solcher Berichte lässt darauf schließen, dass die eigentlichen Zahlen ziviler Opfer weit höher als die unten angegebenen sind. Zudem sind die Möglichkeiten zur Dokumentation von zivilen Opfern auch von der jeweiligen Konfliktpartei, die ein Gebiet kontrolliert, abhängig (SNHR 1.1.2020; vgl. SNHR 1.1.2021).

Die folgende Grafik zeigt die von SNRH dokumentierte Zahl der zivilen Opfer, die von den Konfliktparteien in Syrien seit Beginn des Jahres 2021 getötet wurden:

SNHR 1.9.2021

Laut Daten des Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED) gab es im Jahr 2020 für die syrischen Provinzen folgende Zahlen an Vorfällen und Todesopfern:

ACLED/ACCORD 25.3.2021

Der Großteil der von ACLED gesammelten Daten basiert auf öffentlich zugänglichen Sekundärquellen. Die Daten können daher das Ausmaß an Vorfällen unterschätzen. Insbesondere Daten zur Anzahl an Todesopfern sind den Gefahren der Verzerrung und der ungenauen Berichterstattung ausgesetzt. ACLED gibt an, konservative Schätzungen zu verwenden (ACLED/ACCORD 25.3.2021).

Quellen:

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 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.5.2020): Fortschreibung des Berichts über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom November 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2031629/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Fortschreibung_des_Berichts_%C3%Bcber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_vom_November_2019_%28Stand_Mai_2020%29%2C_19.05.2020.pdf , Zugriff 7.9.2020

 ACLED/ACCORD - Armed Conflict Location & Event Data Project, zusammengestellt von ACCORD (25.3.2021): Syrien, Jahr 2020: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/2050734/2020ySyria_en.pdf , Zugriff 21.6.2021

 CNN (11.10.2019): Everything you need to know about Turkey‘s military offensive in Syria, https://edition.cnn.com/2019/10/07/middleeast/six-questions-syria-us-intl/index.html , Zugriff 9.10.2020

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 DIS - Danish Immigration Service [Dänemark] (29.6.2020): Islamic State in Syria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2032499/COI_brief_report_Islamic_State_in_Syria_June_2020.pdf , Zugriff 9.10.2020

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 FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (22.3.2019): Sieg über Terrormiliz - Warum der IS weiter gefährlich bleibt, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/warum-der-is-weiter-gefaehrlich-bleibt-16103411.html , Zugriff 9.10.2020

 FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (10.3.2019): Die letzte Schlacht gegen den „Islamischen Staat“ hat begonnen, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/kurden-beginnen-angriff-auf-letzte-is-bastion-in-syrien-16082097.html , Zugriff 9.10.2020

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 Reuters (13.4.2016): Assad holds parliamentary election as Syrian peace talks resume, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-syria-idUSKCN0XA2C5 , Zugriff 9.10.2020

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 SNHR - Syrian Network for Human Rights (1.1.2020): 3,364 Civilians Documented Killed in Syria in 2019, http://sn4hr.org/wp-content/pdf/english/3364_civilians_were_killed_in_Syria_in_2019_en.pdf , Zugriff 10.2.2020

 UNHRC - United Nations Human Rights Council (14.9.2021): UN Syria Commission: Increasing violence and fighting add to Syria’s woes, making it unsafe for return, https://www.ohchr.org/EN/HRBodies/HRC/Pages/NewsDetail.aspx?NewsID=27456&LangID=E , Zugriff 1.10.2021

 UNMAS - United Nations Mine Action Service (6.2020): Syria, Explosive Hazard Contamination, https://www.unmas.org/en/programmes/syria , Zugriff 9.10.2020

 USDOS - United States Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048105.html , Zugriff 10.6.2021

Versöhnungsabkommen

Letzte Änderung: 30.09.2021

Die sogenannten "Versöhnungsabkommen" sind Vereinbarungen, die Einzelpersonen, Männern und Frauen, die in ehemals von der Opposition kontrollierten Gebieten leben, die von der syrischen Regierung während militärischer Operationen zurückerobert wurden (NMFA 6.2021; vgl. STDOK 8.2017). Diese "Versöhnungsvereinbarungen" sind de facto Kapitulationsvereinbarungen. Die Regierung hat Mitglieder der bewaffneten Opposition und bestimmte Gruppen von Zivilisten gezwungen, diese Gebiete zu verlassen oder den "Versöhnungsprozess" als Bedingung für ihren Verbleib zu durchlaufen. Im letzteren Fall wird die Person aufgefordert, sich beim Sicherheitsdienst oder dem Sicherheitskomitee in dem Gebiet zu melden. Die Person wird dann festgenommen, befragt und gezwungen, eine Erklärung zu unterschreiben, in der sie sich verpflichtet den Sicherheitsdienst über jegliche Aktivitäten der Opposition in dem Gebiet, in dem sie oder er lebt, zu informieren. Männer, die sich dem Militärdienst entziehen wollen, werden nach Feststellung ihres Status an Militäreinheiten übergeben. Diejenigen, die freigelassen werden, erhalten ein Dokument. In vielen Fällen, meist kurz nach der Klärung ihres Status, werden diese Menschen wieder verhaftet, gefoltert und verschwinden gelassen (NMFA 6.2021).

Die Regierung bietet ein Versöhnungsabkommen in der Regel nach schwerem Beschuss oder Belagerung an, das an verschiedene Bedingungen geknüpft ist (STDOK 8.2017; vgl. ÖB 29.9.2020). Die Bedingungen dieser Abkommen unterscheiden sich von Fall zu Fall (STDOK 8.2017). Sie beinhalteten oft die Evakuierung von Rebellenkämpfern und deren Familien, die dann in andere Regionen des Landes (zumeist im Norden) verbracht werden. Sie werden also auch dazu benutzt, Bevölkerungsgruppen umzusiedeln (ÖB 29.9.2020). Die Wehrpflicht war bisher meist ein zentraler Bestandteil der Versöhnungsabkommen (AA 13.11.2018). Manche Vereinbarungen besagen, dass Männer nicht an die Front geschickt werden, sondern stattdessen bei der örtlichen Polizei eingesetzt werden (STDOK 8.2017). Im Rahmen von Versöhnungsvereinbarungen gemachte Garantien der Regierung gegenüber Individuen oder Gemeinschaften werden jedoch nicht eingehalten (EIP 6.2019; vgl. AA 4.12.2020, FIS 14.12.2018). In zuvor jahrelang von der bewaffneten Opposition kontrollierten Gebieten berichten syrische Menschenrechtsorganisationen weiterhin von einer Zunahme willkürlicher Befragungen und Verhaftungen durch das syrische Regime. Zuletzt wurde nach Ablauf einer in den sog. Versöhnungsabkommen ausgehandelten einjährigen Frist auch aus den ehemaligen Oppositionshochburgen Ost-Ghouta sowie Dara'a und Quneitra im Süden Syriens ein erneuter Anstieg von Verhaftungen als oppositionell geltender Personen oder humanitärer Helfer sowie Zwangsrekrutierungen berichtet. Während ein Versöhnungsabkommen in einer Region geachtet wird, kann dies bei Überquerung eines Checkpoints bereits missachtet werden, und es kann zu willkürlichen Verhaftungen kommen (AA 4.12.2020). Berichten zufolge sind Personen in Gebieten, die erst vor kurzer Zeit durch die Regierung wiedererobert wurden, aus Angst vor Repressalien zurückhaltend, über die Situation in diesen Gebieten zu berichten (USDOS 30.3.2021).

 

 

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.12.2020): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/684542/6038295/22065632/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt ,_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_(Stand_November_2020),_04.12.2020.pdf?nodeid=22479918&vernum=-2, Zugriff 18.1.2021

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.11.2018): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1451486/4598_1542722823_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-lage-in-der-arabischen-republik-syrien-stand-november-2018-13-11-2018.pdf , Zugriff 18.8.2020

 EIP - European Institute of Peace (6.2019): Refugee return in Syria: Dangers, security risks and information scarcity, https://www.ecoi.net/en/file/local/2018602/EIP+Report+-+Security+and+Refugee+Return+in+Syria+-+July.pdf , Zugriff 27.10.2020

 FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (14.12.2018): Syria: Fact-Finding Mission to Beirut and Damascus, April 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Syria_Fact-finding+mission+to+Beirut+and+Damascus%2C+April+2018.pdf , Zugriff 22.7.2020

 NMFA - Netherlands Ministry of Foreign Affairs [Niederlande] (6.2021): Country of origin information report Syria June 2021, https://www.government.nl/binaries/government/documents/reports/2021/06/14/country-of-origin-information-report-syria-june-2021/EN-AAB-Syrie-juni-2021.pdf , Zugriff 21.9.2021

 ÖB Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (29.9.2020): Asylländerbericht Syrien 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038328/Asyländerbericht+2020+(Stand+29092020)+.pdf , Zugriff 12.10.2020

 STDOK - Staatendokumentation of the BFA [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Bericht Syrien – mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf , Zugriff 24.7.2020

 USDOS - United States Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 – Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048105.html , Zugriff 10.6.2021

 , accessed 16.9.2021

Provinz Deir ez-Zour / Syrisch-Irakisches Grenzgebiet

Letzte Änderung: 01.10.2021

Dem sogenannten Islamischen Staat (IS) war es nach Kämpfen mit der Nusra-Front und gegnerischen arabischen Stämmen im Juli 2014 gelungen, die Provinz Deir ez-Zour fast vollständig einzunehmen. 2017 führte die syrische Armee mit Unterstützung Russlands und des Iran größere Militäroperationen durch, die zur Rückeroberung der Stadt Deir ez-Zour führten. Bis Ende 2017 verlor der IS den größten Teil seines Territoriums auf der Westseite des Euphrat. Auf der östlichen Seite des Flusses waren die Syrian Democratic Forces (SDF) bis Anfang 2019 in heftige Kämpfe mit dem IS verwickelt. Der IS kontrollierte damals noch ein kleines Stück Land nahe der syrisch-irakischen Grenze (EASO 5.2020). Im März 2019 wurde das letzte vom IS gehaltene Gebiet, das Dorf Baghouz, von den SDF eingenommen (EASO 5.2020; vgl. DZ 24.3.2019). In den Wochen davor hatten bereits Tausende IS-Kämpfer aufgegeben und sich den SDF-Truppen gestellt. Gleichzeitig sind mehr als 70.000 Flüchtlinge aus dem IS-Gebiet in dem von Kurden kontrollierten Lager Al-Hol untergekommen, wo Hilfsorganisationen von einer dramatischen humanitären Lage berichten (DZ 24.3.2019).

Der IS ist zwar zerschlagen, verfügt aber noch immer über militärische Einheiten, die sich in den Wüstengebieten Syriens und des Irak versteckt halten (DZ 24.3.2019; vgl. DIS 29.6.2020) und von denen nach wie vor eine Gefahr ausgeht (FAZ 22.3.2019; vgl. AA 4.12.2020). Schläferzellen des IS sind in Syrien weiterhin aktiv, sowohl in syrischen Städten als auch in ländlichen Gebieten, und besonders in den von der Regierung kontrollierten Gebieten (DIS 29.6.2020). Generell nimmt die Präsenz des IS in Syrien wieder zu (AA 4.12.2020).

Das Gebiet von Deir ez-Zour gilt als Kerngebiet der IS-Aktivität in Syrien, vor allem die Gebiete im Süden von Bosaira in Richtung Diban (BBC 27.10.2019). Im ersten Quartal 2020 fanden die meisten Anschläge des IS in der Region Deir ez-Zour statt, vor allem in Deir ez-Zour-Stadt und den umliegenden Gebieten (DIS 29.6.2020). Der sogenannte IS nutzt die Gebiete in der syrischen Wüste im Gouvernement Deir Ez-Zour als sicheren Zufluchtsort und als Basis für Angriffe auf die Streitkräfte der Regierung und die Syrian Democratic Forces (SDF) (UNSC 3.2.2021). Das Tal des Mittleren Euphrat und die Wüstengebiete im Gouvernement Deir Ez-Zour werden als IS-Unterstützungsgebiet beschrieben, das seine Mitglieder nutzen können, um Sicherheitsoperationen zu umgehen und Waffen, Ausrüstung und Personal über die syrisch-irakische Grenze zu bringen (USDOD 1.7.-30.9.2020).

Das Gouvernement Deir Ez-Zour ist grob in zwei Kontrollbereiche unterteilt. Der westliche Teil des Gouvernements - d.h. vor allem die Gebiete westlich des Euphrat - wird von der syrischen Regierung und ihren iranischen und russischen Verbündeten kontrolliert. Dieses Gebiet umfasst die wichtigsten Städte (Deir Ez-Zour, Mayadin und Al-Bukamal) und die logistische Route, die die von der Regierung kontrollierten Gebiete mit der syrisch-irakischen Grenze verbindet. Der östliche Teil des Gouvernements - die meisten Gebiete östlich des Euphrat - wird von den kurdisch dominierten Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) und ihren Verbündeten in der US-geführten Koalition kontrolliert (JfS 6.1.2021). Im Jahr 2020 bis März 2021 wurde die Sicherheitslage in Deir Ez-Zour durch die Ausbreitung des sog. IS und die Intensivierung des Aufstands, die Stammesproteste in den von den SDF kontrollierten Teilen von Deir Ez-Zour und durch die mit dem Iran zusammenhängenden Sicherheitsvorfälle (hauptsächlich US-amerikanische und israelische Luftangriffe) in den von der Regierung Syriens kontrollierten Teilen des Gouvernements beeinträchtigt. Darüber hinaus befinden sich die wichtigsten Ölfelder Syriens in dem von den SDF kontrollierten östlichen Teil des Gouvernement Deir Ez-Zour, in dem hauptsächlich US-Truppen präsent sind. Die Bemühungen der Regierung Syriens, in den 2017 vom IS zurückeroberten Gebieten die Kontrolle zu übernehmen, sind begrenzt, was der lokalen regierungsfreundlichen Miliz National Defense Force (NDF) freie Hand ließ und zu Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen führte, darunter Plünderungen und die gewaltsame Aneignung von zivilem Eigentum. Nach März 2019 ist die Präsenz der Regierung von Syrien in den westlichen Teilen des Gouvernements Deir Ez-Zour begrenzt geblieben, was zu iranisch-russischer Konkurrenz um Ressourcen und Land geführt hat (WI 4.9.2020).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.12.2020): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/684542/6038295/22065632/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt ,_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_(Stand_November_2020),_04.12.2020.pdf?nodeid=22479918&vernum=-2, Zugriff 18.1.2021

 BBC - BBC News (27.10.2019): Abu Bakr al-Baghdadi: What his death means for IS in Syria, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-50199437 , Zugriff 12.10.2020

 DIS - Danish Immigration Service [Dänemark] (6.2020): Islamic State in Syria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2032499/COI_brief_report_Islamic_State_in_Syria_June_2020.pdf , Zugriff 9.10.2020

 DZ - Die Zeit (24.3.2019): Kurden warnen vor Wiederaufstieg des IS, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-03/syrien-islamischer-staat-terrormiliz-kalifat-wiederaufstieg , Zugriff 9.10.2020

 EASO - European Asylum Support Office (5.2020): Syria Security situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029305/05_2020_EASO_COI_Report_Syria_Security_situation.pdf , Zugriff 12.10.2020

 FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (22.3.2019): Sieg über Terrormiliz - Warum der IS weiter gefährlich bleibt, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/warum-der-is-weiter-gefaehrlich-bleibt-16103411.html , Zugriff 9.10.2020

 JfS - Jusoor for Studies (6.1.2021): Map of the military bases and posts of foreign forces in Syria [Map], https://www.jusoor.co/public/details/%D8%AE%D8%B1%D9%8A%D8%B7%D8%A9-%D9%82%D9%88%D8%A7%D8%B9%D8%AF-%D9%88%D9%86%D9%82%D8%A7%D8%B7-%D8%A7%D9%84%D9%82%D9%88%D9%89-%D8%A7%D9%84%D8%AE%D8%A7%D8%B1%D8%AC%D9%8A%D8%A9-%D9%81%D9%8A-%D8%B3%D9%88%D8%B1%D9%8A%D8%A9/826/en , Zugriff 29.9.2021

 UNSC - UN Security Council (3.2.2021): Twenty-seventh report of the Analytical Support and Sanctions Monitoring Team submitted pursuant to resolution 2368 (2017) concerning ISIL (Da’esh), Al-Qaida and associated individuals and entities [S/2021/68], https://www.ecoi.net/en/file/local/2045193/S_2021_68_E.pdf , Zugriff 29.9.2021

 USDOD - US Department of Defense [USA] (1.7.-30.9.2020): OPERATION INHERENT RESOLVE, https://media.defense.gov/2020/Nov/03/2002528608/-1/-1/1/LEAD%20INSPECTOR%20GENERAL%20FOR%20OPERATION%20INHERENT%20RESOLVE.PDF , Zugriff 29.9.2021

 WI - Washington Institute (4.9.2020): Russian-Iranian Tensions in Deir al-Zour, https://www.washingtoninstitute.org/policy-analysis/russian-iranian-tensions-deir-al-zour , Zugriff 29.9.2021

 WI - Washington Institute (1.7.2020): The Fragile Status Quo in Northeast Syria, https://www.washingtoninstitute.org/policy-analysis/fragile-status-quo-northeast-syria , Zugriff 29.9.2021

Rechtsschutz / Justizwesen

Gebiete unter der Kontrolle des syrischen Regimes

Letzte Änderung: 30.09.2021

Das Justizsystem Syriens besteht aus Zivil-, Straf-, Militär-, Sicherheits- und religiösen Gerichten sowie einem Kassationsgericht. Gerichte für Personenstandsangelegenheiten regeln das Familienrecht (SLJ 5.9.2016).

Die Verfassung sieht Demokratie (Art. 1, 8, 10, 12), Achtung der Grund- und Bürgerrechte (Art. 33-49), Rechtsstaatlichkeit (Art. 50-53), Gewaltenteilung sowie freie, allgemeine und geheime Wahlen zum Parlament (Art. 57) vor. Faktisch haben diese Prinzipien in Syrien jedoch nie ihre Wirkung entfaltet, da die Ba'ath-Partei durch einen von 1963 bis 2011 geltenden, extensiv angewandten Ausnahmezustand wichtige Verfassungsregeln außer Kraft setzte. Zwar wurde der Ausnahmezustand 2011 beendet, aber mit Ausbruch des bewaffneten Konflikts in Syrien umgehend im Jahr 2012 durch eine genauso umfassende und einschneidende „Anti-Terror-Gesetzgebung“ ersetzt. Sie führte zu einem Machtzuwachs der Sicherheitsdienste und massiver Repression, mit der das Regime auf die anfänglichen Demonstrationen und Proteste sowie den späteren bewaffneten Aufstand großer Teile der Bevölkerung antwortete. Justiz und Gerichtswesen sind von grassierender Korruption und Politisierung durch das Regime geprägt. Laut geltender Verfassung ist der Präsident auch Vorsitzender des Obersten Justizrates (AA 4.12.2020). Die Rechtsstaatlichkeit ist schwach ausgeprägt, wenn nicht mittlerweile gänzlich durch eine Situation der Straffreiheit untergraben, in der Angehörige von Sicherheitsdiensten ohne strafrechtliche Konsequenzen und ohne jegliche zivile Kontrolle operieren können (ÖB 29.9.2020; vgl. BS 29.4.2020). Richter und Staatsanwälte müssen im Grunde genommen der Ba'ath-Partei angehören und sind in der Praxis der politischen Führung verpflichtet (FH 4.3.2020).

Politische Gerichte: Anti-Terror-Gericht (CTC)

2012 wurde in Syrien ein Anti-Terror-Gericht (Counter Terrorism Court - CTC) eingerichtet. Dieses soll Verhandlungen aufgrund "terroristischer Taten" gegen Zivilisten und Militärpersonal führen, wobei die Definition von Terrorismus im entsprechenden Gesetz sehr weit gefasst ist (SJAC 9.2018). Anklagen gegen Individuen, die vor das CTC gebracht werden, beinhalten: das Finanzieren, Fördern und Unterstützen von Terrorismus; Teilnahme an Demonstrationen; Stellungsnahmen auf Facebook schreiben; Oppositionelle im Ausland kontaktieren; Waffenschmuggel an bewaffnete Oppositionelle; das Liefern von Nahrungsmitteln, Hilfsgütern und Medizin in von der Opposition kontrollierte Gebiete (NMFA 5.2020). Das Syrian Network for Human Rights (SN4HR) und andere Quellen betonen, dass sowohl der Gerichtsprozess im CTC als auch die Gesetzgebung, auf deren Basis dieser Gerichtshof agiert offenkundig internationales Menschenrecht und fundamentale rechtliche Standards verletzen. Diese Verletzungen beinhalten: willkürliche Verhaftungen, unter Folter erzwungene Geständnisse als Beweismittel, geschlossene Gerichtssitzungen unter Ausschluss der Medien, dass das Gericht über Zivilisten, Minderjährige und Militärangehörige gleichermaßen urteilt, dass die Richter vom Präsidenten ernannt werden, dass ZeugInnen der/des Angeklagten nicht zugelassen werden, usw. (NMFA 6.2021, vgl. USDOS 30.3.2021).

 

 

Politische Gerichte: Militär-Feldgerichte

Militär-Feldgerichte sind geheime Gerichte, deren Richter Miliärangehörige sind, die keinerlei Ausbildung oder juristischen Hintergrund haben müssen. Inhaftierte haben hierbei nicht die Möglichkeit, einen Anwalt zu beauftragen, Anwälte können den Sitzungen nicht beiwohnen. Es gibt keine Möglichkeit auf Einspruch (NMFA 6.2021). Formal existieren Einspruchsmöglichkeiten bei Entscheidungen von Zivilgerichten. De facto ist dies jedoch schwierig, bei sicherheitsrelevanten Anklagen - insbesondere Terrorismus- oder Spionagevorwürfen - sogar unmöglich (BS 29.4.2020). Berichten zufolge hielten die Behörden Tausende von Gefangenen monatelang oder jahrelang ohne Kontakt zur Außenwelt ("incommunicado") fest, bevor sie ohne Anklage oder Gerichtsverfahren freigelassen wurden, während viele andere im Gefängnis starben (USDOS 30.3.2021).

Andere Gerichte

Die Verwaltung in den von der Regierung kontrollierten Gebieten arbeitet in Routineangelegenheiten mit einer gewissen Zuverlässigkeit, vor allem in Personenstandsangelegenheiten (AA 4.12.2020). Die religiösen Gerichte behandeln das Familien- und Personenstandsrecht und regeln Angelegenheiten wie Eheschließungen, Scheidungen, Erb- und Sorgerecht (IA 7.2017). Hierbei sind Scharia-Gerichte für sunnitische und schiitische Muslime zuständig. Drusen, Christen und Juden haben ihre eigenen gerichtlichen Strukturen. Für diese Gerichte gibt es auch eigene Berufungsgerichte (SLJ 5.9.2016). Manche Personenstandsgesetze wenden die Scharia unabhängig von der Religionszugehörigkeit der Beteiligten an (USDOS 30.3.2021). Es gibt Möglichkeiten zur Rückforderung von Wohnungs-, Land- und Eigentumsrechten. Das syrische Regime erschwert die Inanspruchnahme von Rechtsbeistand und Beratung in diesem Bereich jedoch, indem es die hierfür zugelassenen Rechtsanwälte einer Sicherheitsüberprüfung unterzieht (BS 29.4.2020).

Siehe hierzu auch Kapitel "Korruption".

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.12.2020): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/684542/6038295/22065632/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt ,_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_(Stand_November_2020),_04.12.2020.pdf?nodeid=22479918&vernum=-2, Zugriff 26.8.2021

 BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report - Syria, Gütersloh: Bertelsmann Stiftung, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029497/country_report_2020_SYR.pdf , Zugriff 19.8.2020

 FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Syria, https://freedomhouse.org/country/syria/freedom-world/2020 , accessed 22.7.2020

 IA - International Alert (7.2017): 'Most of the Men want to leave': Armed groups, displacement and the gendered webs of vulnerability in Syria, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Gender_VulnerabilitySyria_EN_2017.pdf , Zugriff 20.8.2020

 NMFA - Netherlands Ministry of Foreign Affairs [Niederlande] (6.2021): Country of origin information report Syria, file:///tmp/EN-AAB-Syrie-juni-2021.pdf, Zugriff 26.8.2021

 NMFA - Netherlands Ministry of Foreign Affairs [Niederlande] (5.2020): Country of origin information report Syria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038451/2020_05_MinBZ_NLMFA_COI_Report_Syria_Algemeen_ambtsbericht_Syrie.pdf , Zugriff 13.8.2021

 ÖB - Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (29.9.2020): Asylländerbericht Syrien 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038328/Asyländerbericht+2020+(Stand+29092020)+.pdf , Zugriff 12.10.2020

 SJAC - The Syria Justice and Accountability Centre (9.2018): Return is a Dream - Options for Post-Conflict Property Restitution in Syria, http://syriaaccountability.org/wp-content/uploads/Property-Restitution.pdf , Zugriff 20.8.2020

 SLJ - Syrian Law Journal (5.9.2016): An Overview of the Syrian Court System, http://www.syrianlawjournal.com/index.php/overview-syrian-court-system/ , Zugriff 20.8.2020

 USDOS - United States Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048105.html , Zugriff 26.8.2021

Gebiete außerhalb der Kontrolle des Regimes

Letzte Änderung: 30.09.2021

In Gebieten außerhalb der Kontrolle des syrischen Regimes ist die Lage von Justiz und Verwaltung von Region zu Region und je nach den örtlichen Herrschaftsverhältnissen verschieden (AA 4.12.2020; vgl. USDOS 30.3.2021). In von oppositionellen Gruppen kontrollierten Gebieten wurden unterschiedlich konstituierte Gerichte und Haftanstalten aufgebaut, mit starken Unterschieden bei der Organisationsstruktur und beider Beachtung juristischer Normen (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 4.12.2020, USDOS 12.5.2021). Manche Gruppen folgen dem (syrischen) Strafgesetzbuch, andere folgen einem Entwurf eines Strafgesetzbuches auf Grundlage der Scharia, das von der Arabischen Liga aus dem Jahr 1996 stammt, während wiederum andere eine Mischung aus Gewohnheitsrecht und Scharia anwenden. Erfahrung, Expertise und Qualifikation der Richter in diesen Gebieten sind oft sehr unterschiedlich und häufig sind diese dem Einfluss der dominanten bewaffneten Gruppierungen unterworfen. Urteile von Scharia-Räten der Opposition resultieren manchmal in öffentlichen Hinrichtungen, ohne dass Angeklagte Berufung einlegen oder Besuch von ihren Familien erhalten könnten (USDOS 11.3.2020).

In Gebieten, die von bewaffneten Oppositionsgruppen oder der Syrian National Army (SNA) kontrolliert werden, finden Prozesse gegen Inhaftierte hauptsächlich vor Militärgerichten statt. In dieser Situation kann ein Häftling einen Anwalt hinzuziehen. Viele bewaffnete Oppositionsgruppen nehmen jedoch Verhaftungen ohne Haftbefehl vor; es gibt dann kein Gerichtsverfahren. Auf diese Weise Verhaftete werden verschwinden gelassen. Die Verwaltung des von der Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) kontrollierten Gebiets verfügt über eine Justizbehörde. Die HTS unterhält jedoch geheime Gefängnisse. Die HTS unterwirft ihre Gefangenen geheimen Verfahren, den so genannten "Scharia-Sitzungen", in denen Entscheidungen von den Scharia- und Sicherheitsbeamten (Geistliche in Führungspositionen der HTS, die befugt sind, Fatwas [Rechtsgutachten] und Urteile zu erlassen) getroffen werden. Die Gefangenen können keinen Anwalt zu ihrer Verteidigung hinzuziehen und sehen ihre Familien während ihrer Haft nicht (NMFA 6.2021).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.12.2020): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/684542/6038295/22065632/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt ,_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_(Stand_November_2020),_04.12.2020.pdf?nodeid=22479918&vernum=-2, Zugriff 18.1.2021

 NMFA - Netherland Ministry of Foreign Affairs [Niederlande] (6.2021): Country of origin information report Syria, file:///tmp/EN-AAB-Syrie-juni-2021.pdf, Zugriff 28.6.2021

 USDOS - United States Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom - Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2051586.html , Zugriff 10.6.2021

 USDOS - United States Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048105.html , Zugriff 10.6.2021

 USDOS - United States Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2026345.html , Zugriff 22.7.2020

Gebiete unter kurdischer Kontrolle

Letzte Änderung: 30.09.2021

In den Gebieten unter der Kontrolle der Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (engl. Abk.: AANES) - auch kurd. Rojava genannt, setzten die Behörden einen Rechtskodex, basierend auf einer "Sozialcharta", durch. Diese besteht aus einer Mischung aus syrischem Straf- und Zivilrecht und Gesetzen, die sich in Bezug auf Scheidung, Eheschließung, Waffenbesitz und Steuerhinterziehung an europäischem Recht orientieren. Allerdings fehlen gewisse europäische Standards für faire Verfahren, wie das Verbot willkürlicher Festnahmen, das Recht auf gerichtliche Überprüfung und das Recht auf einen Anwalt (USDOS 30.3.2021, vgl. NMFA 6.2021). Verfahren gegen politische Gefangene werden in der Regel vor Strafgerichten oder vor einem Gericht für Terrorismusbekämpfung verhandelt. In ersteren können Inhaftierte einen Anwalt beauftragen, in zweiteren laut International Center for Transitional Justice (ICTJ) nicht (NMFA 6.2021).

Das Justizsystem in den kurdisch kontrollierten Gebieten besteht aus Gerichten, Rechtskomitees und Ermittlungsbehörden (USDOS 30.3.2021). Es wurde eine von der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) geführte Verwaltung geschaffen, die neben diesen Rechtsinstitutionen auch eine eigene Polizei, Gefängnisse und Ministerien umfasst (AI 12.7.2017). Juristen, welche unter dem Justizsystem von Rojava agieren, werden von der syrischen Regierung beschuldigt, eine illegale Justiz geschaffen zu haben. Richter und Justizmitarbeiter sehen sich mit Haftbefehlen der syrischen Regierung konfrontiert, verfügen über keine Pässe und sind häufig Morddrohungen ausgesetzt (JS 28.10.2019).

Im März 2021 einigten sich Repräsentanten von kurdischen, jesidischen, arabischen und assyrischen Stämmen im Nordosten Syriens auf die Einrichtung eines Stammesgerichtssystems, bekannt als Madbata, für die Klärung von intertribalen Streitigkeiten, Raubüberfällen, Rache und Plünderungen in der Jazira Region in der Provinz Hassakah. Es besteht aus einer Reihe von Gesetzen und Bräuchen, die als Verfassung dienen, die die Stammesbeziehungen regeln und die Anwendung dieser Gesetze überwachen, auf die sich eine Gruppe von Stammesältesten geeinigt hat. Aufgrund von schlechten Sicherheitsbedingungen und dem Fehlen einer effektiven und unparteiischen Justiz wurde wieder auf dieses traditionelle Rechtssystem zurückgegriffen (Al-Monitor 4.4.2021).

Umgang mit ehemaligen IS-Kämpfern

Mit Stand Oktober 2020 wurden 64.000 Menschen, die mit dem IS in Verbindung stehen, allein im al-Hol Lager festgehalten. Mehr als 80% davon sind Frauen und Kinder, fast die Hälfte von ihnen Iraker, 37% Syrer, 15% anderer Nationalität. Viele europäische Länder sind weiterhin zurückhaltend, was die Zurückholung ihrer Staatsbürger betrifft, gleichzeitig wird die Verurteilung vor syrischen und irakischen Gerichten nicht als den Standards der internationalen Menschenrechte entsprechend angesehen und die Chancen, ein internationales Tribunal vor Ort zu etablieren sind gering. Dementsprechend hat die Autonome Administration ehemalige IS-Kämpfer vor provisorische Tribunale gestellt und angekündigt 2021 tausende nach lokalem Gesetz zu verurteilen (ICCT 16.3.2021).

Der sogenannte "Defense of the People Court" wird weder von den syrischen Behörden noch von der internationalen Gemeinschaft anerkannt. Durch den Fokus auf Konfliktlösung und milde Strafurteile versucht die AANES aber Zusammenarbeit bei der Verfolgung weiterer IS-Kämpfer zu erreichen, ihre Regierungskompetenz gegenüber der lokalen Bevölkerung hervorzuheben und internationale Legitimität zu gewinnen. Die Todesstrafe wurde abgeschafft; die Höchststrafe ist eine lebenslange Freiheitsstrafe, de facto eine zwanzigjährige Haftstrafe. Gerichtsurteile werden bei guter Führung, oder wenn sich der Angeklagte selbst den kurdischen Behörden gestellt hat, gemildert. 2017 gab es Versöhnungs- und Vermittlungsversuche mit großen arabischen Stämmen und es wurden über 80 IS-Kämpfer amnestiert, um gute Beziehungen zu schaffen und andere dazu zu bringen, sich zu stellen. Auch in diesem Gericht kann jedoch kein Anwalt beauftragt, oder Einspruch eingelegt werden (Ha'aretz 8.5.2018, vgl. AP 7.5.2018).

Quellen:

 AI - Amnesty International (12.7.2017): Zwei von drei Aktivisten wieder frei, https://www.amnesty.de/mitmachen/urgent-action/zwei-von-drei-aktivisten-wieder-frei , Zugriff 20.8.2020

 Al-Monitor (4.4.2021): Tribes in east Syria resort to their own judiciary over lack of trust in official courts, https://www.al-monitor.com/originals/2021/04/tribes-east-syria-resort-their-own-judiciary-over-lack-trust-official-courts , Zugriff 15.4.2021

 AP - The Associated Press (7.5.2018): Syria’s Kurds put IS on trial with focus on reconciliation, https://apnews.com/article/after-the-caliphate-islamic-state-group-syria-ap-top-news-international-news-d672105754434b738c8e5823233572c9 , Zugriff 27.8.2021

 Ha'aretz (8.5.2018): Syria’s Kurds Put ISIS on Trial With Focus on Reconciliation, https://www.haaretz.com/middle-east-news/syria/syria-s-kurds-put-isis-on-trial-with-focus-on-reconciliation-1.6071212 , Zugriff 20.8.2020

 ICCT - International Centre for Counter-Terrorism (16.3.2021): New Kid on the Block: prosecution of ISIS fighters by the Autonomous Administration of North and East Syria, https://icct.nl/publication/prosecution-of-isis-fighters-by-autonomous-administration-of-north-east-syria/ , Zugriff 27.8.2021

 JS - Just Security (28.10.2019): Northeastern Syria: Complex Criminal Law in a Complicated Battlespace, https://www.justsecurity.org/66725/northeastern-syria-complex-criminal-law-in-a-complicated-battlespace/ , Zugriff 20.8.2020

 NMFA - Netherlands Ministry of Foreign Affairs [Niederlande] (6.2021): Country of origin information report Syria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038451/2020_05_MinBZ_NLMFA_COI_Report_Syria_Algemeen_ambtsbericht_Syrie.pdf , Zugriff 30.8.2021

 USDOS - United States Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048105.html , Zugriff 10.6.2021

Sicherheitsbehörden und regierungstreue Milizen

Letzte Änderung: 25.06.2021

Die Regierung hat zwar die effektive Kontrolle über die uniformierten Polizei-, Militär- und Staatssicherheitskräfte, jedoch nur beschränkten Einfluss auf ausländische militärische oder paramilitärische Einheiten, z.B. russische Streitkräfte, die mit dem Iran verbündete Hizbollah und die iranischen Islamischen Revolutionsgarden (USDOS 30.3.2021). Der Präsident stützt seine Herrschaft auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen und zivilen Geheimdienste. Die Befugnisse dieser Dienste, die von engen Vertrauten des Präsidenten geleitet werden und sich auch gegenseitig kontrollieren, unterliegen keinen definierten Beschränkungen (AA 4.12.2020).

Straflosigkeit unter den Sicherheitsbehörden bleibt ein weit verbreitetes Problem (USDOS 30.3.2021; vgl. BS 29.4.2020). Das Generalkommando der Armee und der Streitkräfte kann im Fall von Verbrechen von Militäroffizieren, Mitgliedern der internen Sicherheitskräfte oder Zollpolizeioffizieren im Rahmen ihrer beruflichen Pflichten einen Haftbefehl ausstellen. Solche Fälle müssen vor einem Militärgericht verhandelt werden (USDOS 11.3.2020). In der Praxis sind keine Fälle von Strafverfolgung oder Verurteilung von Polizei- und Sicherheitskräften hinsichtlich Misshandlung bekannt. Es gibt auch keine Berichte von Maßnahmen der Regierung, um die Einhaltung der Menschenrechte durch die Sicherheitskräfte zu verbessern (USDOS 30.3.2021). Die Sicherheitskräfte operieren unabhängig und im Allgemeinen außerhalb der Kontrolle des Justizwesens (USDOS 11.3.2020). In keinem Teil des Landes besteht ein umfassender und langfristiger Schutz vor willkürlicher Verhaftung und Repression durch die zahlreichen Sicherheitsdienste, Milizen und sonstige regimenahe Institutionen (AA 19.5.2020).

Russland, Iran, die libanesische Hizbollah (KAS 4.12.2018a; vgl. DW 20.5.2020) und Einheiten mit irakischen Kämpfern unterstützen die syrische Regierung, unter anderem mit Einsätzen an der Seite der syrischen Streitkräfte (KAS 4.12.2018a).

Es ist schwierig Informationen über die Aktivitäten von spezifischen Regierungs- oder regierungstreuen Einheiten zu spezifischen Zeiten oder an spezifischen Orten zu finden, weil die Einheiten seit dem Beginn des Bürgerkrieges oft nach Einsätzen organisiert („task-organized“) sind oder aufgeteilt oder für spezielle Einsätze mit anderen Einheiten zusammengelegt werden. Berichte sprechen oft von einer speziellen Militäreinheit an einem bestimmten Einsatzort (z.B. einer Brigade), wobei die genannte Einheit aus Teilen mehrerer verschiedener Einheiten nur für diesen speziellen Einsatz oder eine gewisse Zeit zusammengesetzt wurde (Kozak 28.12.2017).

Kämpfe um die lokale Vorherrschaft unter den verschiedenen Sicherheitsakteuren (Offiziere, Soldaten, Miliz-Kämpfer und lokale Polizei) des Regimes sind eskaliert und haben zu gegenseitigen Verhaftungen von Personal, offenen Zusammenstößen und Gewalt geführt (TWP 30.7.2019).

Anm.: In den folgenden Unterkapiteln werden einige wichtige Gruppen, Einheiten, Milizen und Sicherheitsbehörden, die auf der Seite der Regierung zum Einsatz kommen, beschrieben. Dies stellt jedoch keine abschließende Aufstellung dar.

Quellen:

 AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.12.2020): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/684542/6038295/22065632/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt ,_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_(Stand_November_2020),_04.12.2020.pdf?nodeid=22479918&vernum=-2, Zugriff 18.1.2021

 AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.5.2020): Fortschreibung des Berichts über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom November 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2031629/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Fortschreibung_des_Berichts_%C3%Bcber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_vom_November_2019_%28Stand_Mai_2020%29%2C_19.05.2020.pdf , Zugriff 7.9.2020

 BS – Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report – Syria, Gütersloh: Bertelsmann Stiftung, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029497/country_report_2020_SYR.pdf , Zugriff 19.8.2020

 DW – Deutsche Welle (20.5.2020): Syrien: Wie mächtig ist Assad noch?, https://www.dw.com/de/syrien-wie-m%C3%A4chtig-ist-assad-noch/a-53495592 , Zugriff 14.9.2020

 KAS – Konrad Adenauer Stiftung [Gürbey, Gülistana] (4.12.2018a): Zwischen den Fronten – Die Kurden in Syrien, https://www.kas.de/web/die-politische-meinung/artikel/detail/-/content/zwischen-den-fronten-1 , Zugriff 18.8.2020

 Kozak, Christopher [Senior Research Analyst am Insitute for the Study of War] (28.12.2017): Auskunft, per E-Mail

 TWP – Washington Post (30.7.2019): Assad’s control over Syria’s security apparatus is limited, https://www.washingtonpost.com/politics/2019/07/30/assads-control-over-syrias-security-apparatus-is-limited/ , Zugriff 14.9.2020

 USDOS – United States Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 – Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048105.html , Zugriff 10.6.2021

 USDOS – United States Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2026345.html , Zugriff 22.7.2020

Streitkräfte

Letzte Änderung: 28.09.2021

Die syrischen Streitkräfte (Syrian armed forces - SAF) bestehen aus dem Heer, der Marine, der Luftwaffe, den Luftabwehrkräften und den National Defense Forces (NDF, regierungstreue Milizen und Hilfstruppen). Vor dem Konflikt sollen die SAF eine Mannstärke von geschätzt 300.000 Personen gehabt haben, mit Stand 2018 waren sie wohl auf weniger als 100.000 durch Verluste und Desertionen geschrumpft. Momentan versuchen die SAF sich wieder aufzubauen und alliierte Milizen und Hilfstruppen zu integrieren, während sie weiterhin an aktiven Militäroperationen teilnehmen (CIA 11.8.2020). Der Aufbau der SAF basiert auf dem sogenannten Qutaʿa-System [arab. Sektor, Landstück]. Hierbei wird jeder Division (firqa) ein bestimmtes Gebiet (qutaʿa) zugeteilt. Mit diesem System wurde in der Vergangenheit verhindert, dass Offiziere überlaufen. Gleichzeitig gaben die SAF dem Divisionskommandeur für den Fall eines Zusammenbruchs der Kommunikation oder für Notfälle freie Hand über dieses Gebiet. Dadurch kann der Präsident den Einfluss einzelner Divisionskommandeure einschränken, indem er sie gegeneinander ausspielt (CMEC 14.3.2016).

Die syrische Armee war der zentrale Faktor für das Überleben des Regimes während des Bürgerkriegs. Im Laufe des Krieges hat ihre Kampffähigkeit jedoch deutlich abgenommen (CMEC 26.3.2020a). Im Zuge des Konfliktes hat das Regime loyale Einheiten in größere Einheiten eingegliedert, um eine bessere Kontrolle ausüben und ihre Effektivität im Kampf verbessern zu können (ISW 8.3.2017). Die syrische Regierung arbeitet daran, Milizen zu demobilisieren oder sie in ihre regulären Streitkräfte zu integrieren (CIA 12.8.2020).

Quellen:

 CIA - Central Intelligence Agency [USA] (11.8.2021): The World Factbook: Syria – Military and Security, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/sy.html , Zugriff 18.8.2020

 CMEC - Carnegie Middle East Center (26.3.2020a): Russia and Syrian Military Reform: Challenges and Opportunities, https://carnegie-mec.org/2020/03/26/russia-and-syrian-military-reform-challenges-and-opportunities-pub-81154 , Zugriff 14.9.2020

 CMEC - Carnegie Middle East Center (14.3.2016): Strength in Weakness: The Syrian Army’s Accidental Resilience, http://carnegie-mec.org/2016/03/14/strength-in-weakness-syrian-army-s-accidental-resilience-pub-62968 , Zugriff 14.9.2020

 ISW - Institute for the Study of War [Kozak, Christopher] (8.3.2017): Iran’s Assad Regime, http://www.understandingwar.org/sites/default/files/Iran%27s%20Assad%20Regime.pdf , Zugriff 14.9.2020

Zivile und militärische Sicherheits- und Nachrichtendienste, Polizei

Letzte Änderung: 30.09.2021

Die zahlreichen syrischen Sicherheitsbehörden arbeiten autonom und ohne klar definierte Grenzen zwischen ihren Aufgabenbereichen (USDOS 30.3.2021).

Es gibt vier Hauptzweige der Sicherheits- und Nachrichtendienste: den Militärischen Nachrichtendienst, den Luftwaffennachrichtendienst, das Direktorat für Politische Sicherheit und das Allgemeine Nachrichtendienstdirektorat (USDOS 30.3.2021; vgl. EIP 6.2019). Diese vier Dienste arbeiten unabhängig voneinander und größtenteils außerhalb des Justizsystems, überwachen einzelne Staatsbürger und unterdrücken oppositionelle Stimmen innerhalb Syriens (GS 11.2.2017). Jeder Geheimdienst unterhält eigene Gefängnisse und Verhöreinrichtungen, bei denen es sich de facto um weitgehend rechtsfreie Räume handelt. Die Geheimdienste haben ihre traditionell starke Rolle im Zuge des Konfliktes verteidigt oder sogar weiter ausgebaut (AA 4.12.2020). Innerhalb der Sicherheitsdienste ist bekannt, dass die Nachrichtendienste der Luftwaffe am wenigsten einer Kontrolle unterliegen und mit der geringsten Zurückhaltung agieren (BS 29.4.2020). Vor 2011 war die vorrangige Aufgabe der Nachrichtendienste die syrische Bevölkerung zu überwachen. Seit dem Beginn des Konfliktes nutzt Assad den Sicherheitssektor, um die Kontrolle zu behalten. Diese Einheiten überwachten, verhafteten, folterten und exekutierten politische Gegner sowie friedliche Demonstranten. Um seine Kontrolle über die Sicherheitsdienste zu stärken, sorgte Assad künstlich für Feindschaft und Konkurrenz zwischen ihnen. Um die Loyalität zu sichern, wurde einzelnen Behörden bzw. Beamten die Kontrolle über alle Bereiche des Staatswesens in einem bestimmten Gebiet überlassen, was für diese eine enorme Geldquelle darstellt (EIP 6.2019).

Die Sicherheitskräfte nutzen eine Reihe an Techniken, um Bürger einzuschüchtern oder zur Kooperation zu bringen. Diese Techniken beinhalten im besten Fall Belohnungen, andererseits jedoch auch Zwangsmaßnahmen wie Reiseverbote, Überwachung, Schikanen von Individuen und/oder deren Familienmitgliedern, Verhaftungen, Verhöre oder die Androhung von Inhaftierung. Die Zivilgesellschaft und die Opposition in Syrien erhalten spezielle Aufmerksamkeit von den Sicherheitskräften, aber auch ganz im Allgemeinen müssen Gruppen und Individuen mit dem Druck der Sicherheitsbehörden umgehen (GS 11.2.2017; vgl. USDOS 30.3.2021).

Der Sicherheitssektor übt eine allgegenwärtige Kontrolle über die Gesellschaft (sowohl informell als auch formell) aus. Festnahmen und Inhaftierungen werden genutzt, um Informationen zu erhalten, jene, die als illoyal gesehen werden, zu bestrafen, und um Geld für die Freilassung der Inhaftierten zu erpressen (EIP 6.2019).

In jüngster Zeit hat das syrische Regime seine Sicherheitsdienste umgebaut, indem es neue "Loyalisten" in leitende Sicherheitspositionen berufen hat. Es handelt sich um bisher unbekannte Personen, die sich durch ihre Rolle bei der Eskalation der Gewalt nach 2011 einen Namen machten, und gegen die das Regime in Form von Korruptionsakten erhebliche Druckmittel besitzt. Es zeigt sich außerdem grundsätzlich eine breitere Dynamik der russisch-iranischen Konkurrenz um die Gestaltung der syrischen Sicherheitslandschaft (Clingendael 5.2020). Die Führung der Sicherheitsdienste hat oft enge familiäre und persönliche Beziehungen zum Präsidenten, der Alawit ist. Im Allgemeinen sind diese Behörden weitgehend mit Personen aus Communities besetzt, die historisch der herrschenden Familie gegenüber loyal sind. Das klarste Beispiel hierfür ist die verhältnismäßig große Anzahl an Alawiten, die im Sicherheitssektor arbeiten (NMFA 5.2020).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.12.2020): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/684542/6038295/22065632/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt ,_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_(Stand_November_2020),_04.12.2020.pdf?nodeid=22479918&vernum=-2, Zugriff 18.1.2021

 BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report - Syria, Gütersloh: Bertelsmann Stiftung, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029497/country_report_2020_SYR.pdf , Zugriff 19.8.2020

 Clingendael (5.2020): The nature of the Syrian regime, Chapter 1, CRU Report, https://www.clingendael.org/pub/2020/pandoras-box-in-syria/1-the-nature-of-the-syrian-regime/ , Zugriff 14.9.2020

 EIP - European Institute of Peace (6.2019): Refugee return in Syria: Dangers, security risks and information scarcity, https://www.ecoi.net/en/file/local/2018602/EIP+Report+-+Security+and+Refugee+Return+in+Syria+-+July.pdf , Zugriff 27.10.2020

 GS - Global Security (11.2.2017): Syria Intelligence & Security Agencies, http://www.globalsecurity.org/intell/world/syria/intro.htm , Zugriff 14.9.2020

 NMFA - Netherlands Ministry of Foreign Affairs [Niederlande] (5.2020): Country of Origin Information Report Syria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038451/2020_05_MinBZ_NLMFA_COI_Report_Syria_Algemeen_ambtsbericht_Syrie.pdf , Zugriff 17.8.2021

 USDOS - United States Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048105.html , Zugriff 10.6.2021

Regierungstreue Einheiten, ausländische Kämpfer, russischer und iranischer Einfluss

Letzte Änderung: 01.10.2021

Die National Defence Forces (NDF) sind eine Dachorganisation für verschiedene Pro-Regime-Milizen und wurden aus sogenannten Volkskomitees gegründet (FIS 14.12.2018). Der Iran und die libanesische Hizbollah spielten eine wichtige Rolle bei der Gründung der NDF nach dem Vorbild der iranischen paramilitärischen Basij-Einheiten (ISW 8.3.2017; vgl. JTF 24.3.2017, CMEC 26.3.2020a). Die NDF sind nicht Teil der syrischen Armee, aber offiziell als "Verbündete", als legitime Institutionen anerkannt, die Waffen tragen dürfen und zudem operative und logistische Unterstützung durch die syrische Armee erhalten. Die regierungstreuen Milizen stellen für die Regierung jedoch auch eine Konkurrenz dar, z.B. im Zusammenhang mit der Rekrutierung, da die Milizen teilweise über bessere Finanzierung verfügen und somit höheren Sold bezahlen können. Manche der bewaffneten Gruppen kritisieren die syrische Regierung und ihre Geheimdienste auch vergleichsweise offen (FIS 14.12.2018). Die regierungsnahen Milizen stellen mittlerweile selbst eine Bedrohung der staatlichen Souveränität dar, da sie an Größe, Anzahl und Einfluss gewonnen haben (CMEC 26.3.2020a).

Pro-Regime Milizen wie die NDF üben ähnliche Aufgaben wie andere regimenahe Kräfte aus, wobei ihre Kompetenzen nicht klar definiert sind (USDOS 30.3.2021). Milizen, die von der libanesischen Hizbollah und den iranischen Quds-Brigaden eingerichtet wurden, treten als nahezu unabhängige Einheiten auf (JTF 26.6.2020; vgl. CMEC 26.3.2020a).

Die militärische Intervention Russlands und die damit einhergehende Unterstützung mit fortschrittlichen Waffentechnologien, Spezial- und Lufteinheiten, sowie die ausgeweitete Bodenintervention Irans konnten 2015 den Zusammenbruch des syrischen Regimes abwenden (KAS 4.12.2018b). Das Eingreifen Russlands, Irans und der Hizbollah sind seit 2011 jedoch auch die wichtigste Quelle für die Erosion von Autonomie und Souveränität des syrischen Regimes, und dieses ist weiterhin abhängig von der politischen und militärischen Unterstützung Russlands und Irans (Clingendael 5.2020).

Iran und Russland unterstützen jeweils unterschiedliche Einheiten bzw. Akteure des syrischen Sicherheitssektors (TWP 30.7.2019). Russland fokussiert vor allem auf den Aufbau von staatlichen Institutionen, während der Iran auch Einfluss außerhalb syrischer staatlicher Institutionen ausübt (Clingendael 5.2020; vgl. CMEC 26.3.2020a).

Russland ist besonders in die Reform der syrischen Streitkräfte involviert (CMEC 26.3.2020c). Im Oktober 2015 wurde das sogenannte Vierte Korps (Fourth Storming Corps/Fourth Assault Corps) und im November 2016 das Fünfte Korps (Fifth Storming Corps/Fifth Assault Corps) gegründet (Kozak 3.2018). Ähnlich wie die NDF sollten auch diese beiden Einheiten Strukturen bieten, in denen regierungstreue Milizen integriert und so unter die Kontrolle der Regierung gebracht werden können (CEIP 12.12.2018; vgl. TWP 30.7.2019). Das Vierte und das Fünfte Korps wurden jeweils mit russischer Unterstützung gegründet (CMEC 26.3.2020a). In das Vierte Korps wurden neben Einheiten aus den syrischen Streitkräften auch irreguläre Einheiten aus NDF-Mitgliedern und Wehrpflichtigen aus Lattakia aufgenommen (CMEC 26.3.2020b). Das Fünfte Korps besteht ausschließlich aus Freiwilligen, einerseits aus verschiedenen Einheiten der syrischen Armee, andererseits vor allem aber aus irregulären Einheiten wie den NDF oder loyalen Ba'ath-Bataillonen. Rekrutiert wurde in ganz Syrien. 2018 wurden auch ehemalige Rebellen aus der Provinz Dara’a in das Fünfte Korps integriert. Zu Beginn oblag das Kommando vollständig dem russischen Militär, mittlerweile haben russische Berater weniger Einfluss (CMEC 26.3.2020b).

Von Russland gestützte Milizen stellen eine große Bedrohung für die Bevölkerung dar, da sie an keine Gesetze oder Regeln gebunden sind (DIYARUNA 20.8.2020). Angesichts der Sensibilität der russischen öffentlichen Meinung in Bezug auf militärische Verluste, sind viele der in Syrien kämpfenden Russen Söldner, offiziell auf Eigeninitiative, aber in Wirklichkeit von privaten Militärunternehmen mit vermeintlichen Verbindungen zum Kreml, wie der Wagner-Gruppe, eingesetzt (EPRS 11.2018). Es gibt zahlreiche Berichte über schwere Menschenrechtsverletzungen der Wagner-Gruppe gegen Zivilisten, oftmals mit extremer Brutalität. Im März 2021, beispielsweise, erhob ein Familienmitglied eines syrischen Staatsbürgers, der 2017 von sechs Mitgliedern der Wagner-Gruppe im Governorat Homs gefoltert, getötet und dessen Leichnam verstümmelt wurde, eine Anklage in Moskau (FIDH 22.3.2021, vgl. RFE/RL 15.3.2021).

Die traditionelle Strategie Teherans besteht darin, parallele nichtstaatliche Militärstrukturen zu schaffen und zu entwickeln, die dem syrischen Staat nicht direkt unterstellt und dem Iran gegenüber loyaler sind als dem syrischen Zentralkommando (CMEC 26.3.2020a). Das syrische Regime hat während des Konflikts ausländische schiitische Milizen eingesetzt, die vor allem vom Iran getragen werden (CMEC 26.3.2020a). Die iranische Koalition besteht aus iranischen Kämpfern (Teileinheiten aus dem Islamic Revolutionary Guard Corps und Mitgliedern der regulären iranischen Streitkräfte - sogenannte "Artesh"-Kämpfer) und ausländischen Kämpfern (ISW 8.3.2017), darunter Pakistanis und Afghanen (KAS 4.12.2018b; vgl. CMEC 26.3.2020a). Iranische Offiziere unterstützen Einheiten der syrischen Armee, regierungstreue Milizen, die Hizbollah und irakische schiitische Milizen bei der Planung und Koordination von Einsätzen. Die afghanischen und pakistanischen Kämpfer werden von den iranischen Einheiten rekrutiert, ausgebildet, versorgt und ihre Führung im Kampf wird von iranischer Seite organisiert (KAS 4.12.2018b; vgl. CMEC 26.3.2020a).

Hochrangige syrische Funktionäre erlebten durch die iranische und russische Dominanz einen Machtverlust, der wiederholt zu Spannungen in der iranisch-russisch-syrischen Militärkooperation führte (KAS 4.12.2018b). Im Zuge dessen kam es auch zu Säuberungen, Exekutionen und Versetzungen von niederrangigen oder auch höherrangigen syrischen Offizieren, die sich gegen die Ausweitung des iranischen Einflusses wehrten (ISW 8.3.2017). 2017 und vor allem 2018 standen sich die verschiedenen Unterstützer des syrischen Regimes immer stärker konfrontativ gegenüber. Im Juni 2018 kam es beispielsweise zu einer offenen Konfrontation zwischen Hizbollah und syrischen Truppen unter russischer Führung, im Januar 2019 zu Kämpfen zwischen dem Vierten und dem Fünften Korps der syrischen Armee in der Provinz Hama (BS 29.4.2020; vgl. TWP 30.7.2019).

Quellen:

 BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report - Syria, Gütersloh: Bertelsmann Stiftung, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029497/country_report_2020_SYR.pdf , Zugriff 19.8.2020

 CEIP - Carnegie Endowment for International Peace (12.12.2018): Reintegrating Syrian Militias: Mechanisms, Actors, and Shortfalls, https://carnegieendowment.org/publications/?fa=77932 , Zugriff 22.9.2020

 CMEC - Carnegie Middle East Center (26.3.2020a): Russia and Syrian Military Reform: Challenges and Opportunities, https://carnegie-mec.org/2020/03/26/russia-and-syrian-military-reform-challenges-and-opportunities-pub-81154 , Zugriff 14.9.2020

 CMEC - Carnegie Middle East Center (26.3.2020b): The Efficiency of the Syrian Armed Forces: An Analysis of Russian Assistance, https://carnegie-mec.org/2020/03/26/efficiency-of-syrian-armed-forces-analysis-of-russian-assistance-pub-81150 , Zugriff 22.9.2020

 CMEC - Carnegie Middle East Center (26.3.2020c): Russia’s Role in Reforming Syrian Special Services, https://carnegie-mec.org/2020/03/26/russia-s-role-in-reforming-syrian-special-services-pub-81151 , Zugriff 22.9.2020

 Clingendael (5.2020): The nature of the Syrian regime, Chapter 1, CRU Report, https://www.clingendael.org/pub/2020/pandoras-box-in-syria/1-the-nature-of-the-syrian-regime/ , Zugriff 14.9.2020

 DIYARUNA (20.8.2020): Russian private military companies pose grave threat to Syria: experts, https://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2020/08/20/feature-01 , Zugriff 20.8.2021

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 JTF - Jamestown Foundation (26.6.2020): Could Russia Lose the Syrian Arab Army to Iran or General Maher al-Assad?, https://jamestown.org/program/could-russia-lose-the-syrian-arab-army-to-iran-or-general-maher-al-assad/ , Zugriff 22.9.2020

 JTF - Jamestown Foundation (24.3.2017): Institutionalized 'Warlordism': Syria’s National Defense Force; Terrorism Monitor Volume: 15 Issue: 6, https://www.ecoi.net/local_link/338196/481168_de.html , Zugriff 22.9.2020

 KAS - Konrad Adenauer Stiftung [Wörmer, Nils] (4.12.2018b): Assads afghanische Söldner, www.kas.de/web/die-politische-meinung/artikel/detail/-/content/assads-afghanische-soldner , Zugriff 22.9.2020

 Kozak, Christopher (3.2018): 'Pro-Assad Forces'. In EASO - European Asylum Support Office: EASO COI Meeting Report - Syria, https://www.ecoi.net/en/file/local/1427709/1226_1522073171_syria-coi-meeting-report-nov-dec-2017-published-march-2018.pdf , Zugriff 22.9.2020

 RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (15.3.2021): Complaint Filed In Moscow Against Vagner Mercenary Group Over Torture Of Syrian Detainee, https://www.ecoi.net/en/document/2047249.html , Zugriff 17.8.2021

 TMT - The Moscow Times (9.1.2020): Russia’s Role in Syria is Changing, https://www.themoscowtimes.com/2020/01/09/russias-role-syria-changing-a68823 , Zugriff 22.9.2020

 TWP - Washington Post (30.7.2019): Assad’s control over Syria’s security apparatus is limited, https://www.washingtonpost.com/politics/2019/07/30/assads-control-over-syrias-security-apparatus-is-limited/ , Zugriff 14.9.2020

 USDOS - United States Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048105.html , Zugriff 10.6.2021

Wehr- und Reservedienst und Rekrutierungen

Letzte Änderung: 16.12.2020

Anm.: In den folgenden Kapiteln kann aufgrund der Vielzahl an bewaffneten Gruppen nur auf die Rekrutierungspraxis eines Teils der Organisationen eingegangen werden.

Darin wird der Begriff „Militärdienst“ als Überbegriff für Wehr- und Reservedienst verwendet. Wo es die Quellen zulassen, wird versucht klar zwischen Wehr- und Reservedienst bzw. zwischen Desertion und Wehrdienstverweigerung zu unterscheiden.

Rekrutierung von Minderjährigen durch verschiedenste Organisationen

Letzte Änderung: 01.10.2021

Der UN-Sicherheitsrat konnte die Rekrutierung von insgesamt 1.423 Kindern zwischen 1.7.2018 und 30.6.2020 in 11 von 14 Gouvernements verifizieren, 73% der Fälle wurden im Nordwesten Syriens (Idlib, Aleppo und Hama) bestätigt und 26% im Nordosten (Raqqa, Hassakah und Der az-Zour). Zum Zeitpunkt der Rekrutierung waren 250 Kinder (18%) unter 15 Jahre alt (UNSC 23.4.2021).

In ihrem 2021 Bericht über Kinder und bewaffneten Konflikt verifizierten die UN die Rekrutierung und den Einsatz von 813 Kindern (777 Buben, 36 Mädchen) von Jänner bis Dezember 2020 durch: Hay’at Tahrir ash-Sham (390); Syrische bewaffnete oppositionelle Gruppen früher als Freie Syrische Armee (FSA) bekannt (170); die Kurdischen Volksverteidigungseinheiten und Frauenverteidigungseinheiten (YPG/YPJ) (119) unter dem Schirm der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF); regierungstreue Milizen (42); Ahrar ash-Sham (31), Nur ad-Din az-Zanki (3) und die Armee des Islam (Jaysh al-Islam) (3), alle dem Namen nach unter dem Schirm der oppositionellen Syrischen Nationalen Armee (SNA) operierend; die Patriotische Revolutionäre Jugendbewegung (YDG-H) (30); die Internen Sicherheitskräfte (13); Hurras ad-Din (6); ISIL (4); und syrische Regierungskräfte (2). Fälle wurden vor allem in Idlib (477) und Aleppo (119) verifiziert. Von jenen wurden 99% (805) in Kampfhandlugen eingesetzt (UNGASC 6.5.2021).

Es ist Teil der Regierunsgpolitik,Kindersoldaten zu rekrutieren und einzusetzen. Manche bewaffneten Gruppen, die für die syrische Regierung kämpfen, wie die Hizbollah und regierungstreue Milizen, die als National Defense Forces oder „Shabiha“ bekannt sind, rekrutieren Kinder im Alter von sechs Jahren zwangsweise. Die Regierung und regimenahe Milizen führten weiterhin Zwangsrekrutierungen von Kindersoldaten und deren Einsatz durch, was dazu führte, dass Kinder extremer Gewalt und Vergeltungsschlägen durch oppositionelle Kräfte ausgesetzt waren. Die Regierung schützte Kinder auch nicht vor der Rekrutierung und dem Einsatz durch bewaffnete Oppositionsgruppen und Terrororganisationen. Jabhat an-Nusra und der sogenannte IS haben Kinder auch als menschliche Schutzschilder, Selbstmordattentäter, Scharfschützen und Henker eingesetzt. Kämpfer haben auch Kinder für Zwangsarbeit oder als Informanten eingesetzt, wodurch diese Vergeltungsschlägen und extremer Bestrafung ausgesetzt waren. Die Regierung führt weiterhin Verhaftungen, Inhaftierungen und schweren Missbrauch von Opfern von Menschenhandel durch, inklusive Kindersoldaten, und bestrafte diese für illegale Taten, zu denen sie von Menschenhändler gezwungen wurden. Das Gesetz N. 11/2013 kriminalisiert alle Formen von Rekrutierung und Einsatz von Kindern unter 18 Jahren durch die Syrischen Streitkräfte und bewaffnete Oppositionsgruppen. Allerdings hat die Regierung keine Bemühungen gezeigt, den Einsatz von Kindersoldaten durch Regierungs- und regierungstreue Milizen, bewaffnete Oppositionsgruppen und terroristische Organisationen zu verfolgen. Die Regierung berichtete nicht von der Untersuchung, Verfolgung oder Verurteilung von verdächtigten Menschenhändlern, noch wurden Regierungsoffiziere, die an Menschenhandel, inklusive der Rekrutierung von Kindern, beteiligt waren untersucht, verfolgt oder verurteilt. Die Regierung hat regelmäßig Kinder für die vermeintliche Verbindung zu bewaffneten Gruppen inhaftiert, vergewaltigt, gefoltert und exekutiert. Sie hat keine Bemühungen gezeigt, diesen Kindern irgendwelche Schutzdienste zur Verfügung zu stellen (USDOS 1.7.2021).

2014 haben die Volksverteidigungseinheiten (YPG) und die Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) – Kernbestandteile der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) - die Geneva Call Verpflichtungserklärung zum Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten und der Vermeidung ihrer Rekrutierung unterzeichnet. Im Juni 2019 gelobten die SDF wieder, Kinderrekrutierung zu stoppen, indem sie einen Aktionsplan mit den UN zur Beendigung und Vorbeugung der Rekrutierung und Einsatz von Kindern unter 18 unterschrieben (STJ 2.6.2021). Im September 2018 erließen die SDF einen Befehl, der die Rekrutierung von Minderjährigen verbietet und für Alterskontrollen der aktuellen Mitglieder der SDF sorgt (HRW 11.9.2018; cf. EB 7.12.2019). 2019 wurden 30 rekrutierte Kinder vom Dienst bei den SDF entlassen. Mit Stand Juni 2020 wurde die Entlassung von 51 Mädchen berichtet (UNGASC 9.6.2020). Trotz dieser Schritte gab es Berichte von breiten Rekrutierungskampagnen durch die SDF und die Inhaftierung und zwangsweise Einziehung von Jugendlichen, sowie die Rekrutierung von Kindern zwischen 13 und 16 Jahren vom al-Hol Camp, darunter viele Waise (EMHRM 18.9.2019). Obwohl die Auflistung von Kindersoldaten in Nordost-Syrien im Vergleich zu den Vorjahren zurückgegangen ist, listen bewaffnete Einehiten weiterhin Minderjährige, die gerade mal 16 Jahre alt sind (STJ 2.6.2021) – laut Berichten sind 40% von diesen Mädchen (AA 4.12.2020).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.12.2020): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/684542/6038295/22065632/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt ,_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_(Stand_November_2020),_04.12.2020.pdf?nodeid=22479918&vernum=-2, Zugriff 19.8.2021

 EB - Enab Baladi (7.12.2019): Compulsory military recruitment in Jazira Region: SDF imposing their authority, https://english.enabbaladi.net/archives/2019/07/compulsory-military-recruitment-in-jazira-region-sdf-imposing-their-authority/# , Zugriff 19.8.2021

 EMHRM - Euro-Mediterranean Human Rights Monitor (18.9.2019): SDF kidnaps dozens of children and youths in eastern Syria, https://euromedmonitor.org/en/article/3136/SDF-kidnaps-dozens-of-children-and-youths-in-eastern-Syria , Zugriff 19.8.2021

 HRW - Human Rights Watch (11.9.2018): Key Steps Taken to End Use of Child Soldiers in Syria, https://www.ecoi.net/en/document/1443322.html , Zugriff 19.8.2021

 STJ - Syrians for Truth and Justice (2.6.2021): Northeastern Syria: 50 Child Soldiers Demobilized, 19 Others Still Commissioned, https://www.ecoi.netstj-sy.org/en/file/local/2038328/Asyländerbericht+2020+(Stand+29092020)+.pdfnortheastern-syria-50-child-soldiers-demobilized/ , Zugriff 19.8.2021

 UNGASC - United Nations General Assembly Security Council (6.5.2021): Children and Armed Conflict, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/N2111309.pdf , Zugriff 19.8.2021

 UNGASC - United Nations General Assembly Security Council (9.6.2020): Children and Armed Conflict, https://www.ecoi.net/en/file/local/2031779/15-June-2020_Secretary-General_Report_on_CAAC_Eng.pdf , Zugriff 19.8.2021

 UNSC - United Nations Security Council (23.4.2021): Children and armed conflict in the Syrian Arab Republic - Report of the Secretary-General, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/N2110167.pdf , Zugriff 10.6.2021

 USDOS - United States Department of State [USA] (1.6.2021): 2021 Trafficking in Persons Report: Syria, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/06/2020-TIP-Report-Complete-062420-FINAL.pdf , Zugriff 19.8.2021

Die syrischen Streitkräfte - Wehr- und Reservedienst

Letzte Änderung: 30.09.2021

Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von zwei Jahren gesetzlich verpflichtend (ÖB 29.9.2020). Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Art. 4 lit b gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren (PAR 12.5.2007). Zusätzlich gibt es die Möglichkeit eines freiwilligen Militärdienstes. Frauen können ebenfalls freiwillig Militärdienst leisten (CIA 17.8.2021; vgl. FIS 14.12.2018). Palästinensische Flüchtlinge mit dauerhaftem Aufenthalt in Syrien unterliegen ebenfalls der Wehrpflicht, dienen jedoch in der Regel in der Palestinian Liberation Army (PLA) unter palästinensischen Offizieren. Diese ist jedoch de facto ein Teil der syrischen Armee (AA 13.11.2018; vgl. FIS 14.12.2018). Auch Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert (FIS 14.12.2018). Die syrische Regierung arbeitet daran, Milizen zu demobilisieren oder sie in ihre regulären Streitkräfte zu integrieren, während sie gleichzeitig aktive militärische Operationen durchführt (CIA 17.8.2021).

Wehrpflicht

Bei der Einberufung neuer Rekruten sendet die Regierung Wehrdienstbescheide mit der Aufforderung, sich zum Militärdienst anzumelden, an Männer, die das wehrfähige Alter erreicht haben. Die Namen der einberufenen Männer werden in einer zentralen Datenbank erfasst. Männer, die sich beispielsweise im Libanon aufhalten, können mittels Bezahlung von Bestechungsgeldern vor ihrer Rückkehr nach Syrien überprüfen, ob sich ihr Name in der Datenbank befindet (DIS 5.2020). Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Wehrbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn bei der medizinischen Untersuchung ein gesundheitliches Problem festgestellt wird, wird man entweder vom Wehrdienst befreit, oder muss diesen durch Tätigkeiten, die nicht mit einer Teilnahme an einer Kampfausbildung bzw. -einsätzen verbunden sind, ableisten. Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen (STDOK 8.2017).

Vor 2011 lag die Dauer der Wehrpflicht zwischen eineinhalb und zweieinhalb Jahren. Seit 2011 leisten die meisten Reservisten und Militärangehörigen ihren Dienst auf unbestimmte Zeit (NMFA 6.2021), nachdem die syrische Regierung die Abrüstung von Rekruten einstellte (DIS 5.2020; vgl. ÖB 7.2019). Nachdem die Regierung große Teile des Gebiets von bewaffneten Oppositionellen zurückerobert hatte, wurde mit der Entlassung der ältesten Rekrutenklassen begonnen, welche seit 2011 im Dienst waren. Zahlreiche Männer leisten ihren Wehrdienst jedoch weiterhin über den verpflichtenden Zeitraum hinaus ab (DIS 5.2020, vgl. NMFA 6.2021)

Reservedienst

Gemäß Artikel 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 bleibt ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes, wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Alter von 42 Jahren in den aktiven Dienst einberufen werden (TIMEP 22.8.2019; vgl. STDOK 8.2017). Es liegen einzelne Berichte vor, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen hat (das gilt z.B. für Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung). Die Behörden ziehen vornehmlich Männer bis zu einem Alter von 27 Jahren ein, während Ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können. Dennoch wurden die Altersgrenzen fallweise angehoben und auch Männer bis zu einem Alter von 55 oder sogar 62 Jahren, abhängig vom Rang, eingezogen, bzw. konnten Männer nach Erreichen des 42. Lebensjahres die Armee nicht verlassen (ÖB 29.9.2020; vgl. FIS 14.12.2018, vgl. NMFA 5.2020). Die Altersgrenze hängt laut Experten eher von lokalen Entwicklungen und den Mobilisierungsbemühungen der Regierung ab, als von allgemeinen Einberufungsregelungen. Generell hat sich das Maß der Willkür in Syrien im Zuge des Konfliktes erhöht (FIS 14.12.2018). Manche Quellen berichten, dass ihnen keine Fälle von Rekrutierungen über-42-Jähriger nach 2016 bzw. 2018 bekannt seien. Gemäß anderen Quellen soll es jedoch zu Einberufungen von über-42-jährigen Rückkehrern aus dem Libanon und Jordanien als Reservisten gekommen sein, wobei es sich nicht um Zwangsrekrutierungen handelte (DIS 5.2020).

Die syrische Armee hat durch Verluste, Desertion und Überlaufen zu den Rebellen einen schweren Mangel an Soldaten zu verzeichnen (TIMEP 6.12.2018). Die syrische Regierung hat das syrische Militärdienstgesetz während des Konflikts mehrfach geändert, um die Zahl der Rekruten zu erhöhen (DIS 10.2019). Glaubhaften Berichten zufolge gibt es Zwangsrekrutierungen junger Männer durch syrische Streitkräfte auch unmittelbar im Kampfgebiet. Der Personalbedarf des syrischen Militärs bleibt unverändert hoch, und seit Dezember 2018 haben sich die Rekrutierungsbemühungen aufgrund dessen sogar noch verstärkt (AA 4.12.2020). Während ein Abkommen zwischen den überwiegend kurdischen Syrian Democratic Forces (SDF) und der syrischen Regierung vom November 2019 die Stationierung von Truppen der syrischen Streitkräfte in vormals kurdisch kontrollierten Gebieten vorsieht, hat die syrische Regierung aufgrund von mangelnder Verwaltungskompetenz bislang keinen verpflichtenden Wehrdienst in diesen Gebieten wiedereingeführt (DIS 5.2020) [Anm.: zum Wehrdienst bei Einheiten der SDF siehe Kapitel Wehr- und Reservedienst und Rekrutierungen - „Nordost-Syrien“.]

Rekrutierung und Verfolgung

Die Regierung hat in vormals unter der Kontrolle der Oppositionskräfte stehenden Gebieten, wie zum Beispiel Ost-Ghouta, Zweigstellen zur Rekrutierung geschaffen. Wehrdienstverweigerer und Deserteure können sich in diesen Rekrutierungszentren melden, um nicht länger von den Sicherheitskräften gesucht zu werden. In vormaligen Oppositionsgebieten werden Listen mit Namen von Personen, welche zur Rekrutierung gesucht werden, an lokale Behörden und Sicherheitskräfte an Checkpoints verteilt (DIS 5.2020).

Unbestätigten Berichten zufolge wird der Geheimdienst innerhalb kurzer Zeit informiert, wenn die Gründe für einen Aufschub nicht mehr gegeben sind, und diese werden auch digital überprüft. Früher mussten die Studenten den Status ihres Studiums selbst an das Militär melden, doch jetzt wird der Status der Studenten aktiv überwacht. Generell werden die Universitäten nun strenger überwacht und sind verpflichtet, das Militär über die An- oder Abwesenheit von Studenten zu informieren (STDOK 8.2017). Berichten zufolge wurden Studenten trotz einer Ausnahmegenehmigung gelegentlich an Kontrollpunkten rekrutiert (FIS 14.12.2018).

Ein „Herausfiltern“ von Militärdienstpflichtigen im Rahmen von Straßenkontrollen oder an einem der zahlreichen Checkpoints ist weit verbreitet (FIS 14.12.2018). In Homs führt die Militärpolizei beispielsweise stichprobenartig unvorhersehbare Straßenkontrollen durch. Die intensiven Kontrollen erhöhen das Risiko für Militärdienstverweigerer, verhaftet zu werden (EB 3.6.2020). Rekrutierungen finden auch in Ämtern statt, beispielsweise wenn junge Männer Dokumente erneuern wollen, sowie an Universitäten, in Spitälern und an Grenzübergängen, wo die Beamten Zugang zur zentralen Datenbank mit den Namen der für den Wehrdienst gesuchten Männer haben. Nach Angaben einer Quelle fürchten auch Männer im wehrfähigen Alter, welche vom Militärdienst laut Gesetz ausgenommen sind oder von einer zeitweisen Amnestie vom Wehrdienst Gebrauch machen wollen, an der Grenze eingezogen zu werden (DIS 5.2020). Während manche Quellen davon ausgehen, dass insbesondere in vormaligen Oppositionsgebieten (z.B. dem Umland von Damaskus, Aleppo, Dara‘a und Homs) immer noch Rekrutierungen mittels Hausdurchsuchungen stattfinden (DIS 5.2020; vgl. EB 3.6.2020), berichten andere Quellen, dass die Regierung nun weitgehend davon absieht, um erneute Aufstände zu vermeiden. Weiters rekrutieren die syrischen Streitkräfte in Lagern für Binnenvertriebene (DIS 5.2020).

Mitte Oktober 2018 berichteten regierungsnahe Medien, dass etwa 800.000 Männer nicht mehr für den Reservedienst benötigt werden. Eine Reihe Syrer kehrten daraufhin nach Syrien zurück, wobei manche über Beziehungen in der Heimat ihren Wehrdienststatus überprüfen ließen und sich versicherten, dass sie tatsächlich nicht mehr gesucht werden. Zumindest manche der Rückkehrer wurden wenige Wochen später eingezogen, nachdem das Verteidigungsministerium im Dezember 2018 neue Einberufungslisten für den Reservedienst veröffentlichte und so die vorherige Entscheidung aufhob. Die Gründe für diese Verkettung von Ereignissen ist jedoch laut International Crisis Group schwer zu ermitteln (ICG 13.2.2020).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.12.2020): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/684542/6038295/22065632/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt ,_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_(Stand_November_2020),_04.12.2020.pdf?nodeid=22479918&vernum=-2, Zugriff 18.1.2021

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.11.2018): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1451486/4598_1542722823_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-lage-in-der-arabischen-republik-syrien-stand-november-2018-13-11-2018.pdf , Zugriff 18.8.2020

 CIA - Central Intelligence Agency [USA] (17.8.2021): The World Factbook: Syria - Military and Security, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/syria/#military-and-security , Zugriff 23.8.2021

 DIS - Danish Immigration Service [Dänemark] (5.2020): Syria - Military Service, Report based on a fact-finding mission to Istanbul and Beirut (17-25 February 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2031493/Report_Syria_Military_Service_may_2020.pdf , Zugriff 22.7.2020

 DIS - Danish Immigration Service [Dänemark] (10.2019): Syria - Issues Regarding Military Service, COI report based on written sources, https://www.ecoi.net/en/file/local/2018870/COI_syria_report_military_service_oct_2019.pdf , Zugriff 24.8.2020

 EB - Enab Baladi (3.6.2020): Fear of forced military conscription looms over northern rural Homs again, https://english.enabbaladi.net/archives/2020/03/fear-of-forced-military-conscription-looms-over-northern-rural-homs-again/ , Zugriff 24.8.2020

 FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (14.12.2018): Syria: Fact-Finding Mission to Beirut and Damascus, April 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Syria_Fact-finding+mission+to+Beirut+and+Damascus%2C+April+2018.pdf , Zugriff 22.7.2020

 ICG - International Crisis Group (13.2.2020): Easing Syrian Refugees‘ Plight in Lebanon, https://d2071andvip0wj.cloudfront.net/211-easing-syrian-refugees-plight-in-lebanon.pdf , Zugriff 24.8.2020

 NMFA - Netherlands Ministry of Foreign Affairs [Niederlande] (6.2021): Country of origin information report Syria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038451/2020_05_MinBZ_NLMFA_COI_Report_Syria_Algemeen_ambtsbericht_Syrie.pdf , Zugriff 30.8.2021

 NMFA - Netherlands Ministry of Foreign Affairs [Niederlande] (5.2020): Country of origin information report Syria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038451/2020_05_MinBZ_NLMFA_COI_Report_Syria_Algemeen_ambtsbericht_Syrie.pdf , Zugriff 17.8.2021

 ÖB - Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (29.9.2020): Asylländerbericht Syrien 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038328/Asyländerbericht+2020+(Stand+29092020)+.pdf , Zugriff 12.10.2020

 ÖB - Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (7.2019): Asylländerbericht Syrien 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2014213/SYRI_ÖB+Report_2019_07.pdf , Zugriff 17.8.2020

 PAR - Webseite des Parlaments [Syrien] (12.5.2007): المرسوم التشريعي 30 لعام 2007 قانون خدمة العلم [Legislativdekret Nr. 30 von 2007 Militärdienstgesetz], http://parliament.gov.sy/arabic/index.php?node=201&nid=4921& , Zugriff 24.8.2020

 STDOK - Staatendokumentation des BFA [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien - mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf , Zugriff 24.7.2020

 TIMEP - The Tahrir Institute for Middle East Policy (22.8.2019): TIMEP Brief: Conscription Law, https://timep.org/reports-briefings/timep-brief-conscription-law/ , Zugriff 24.8.2020

 TIMEP - The Tahrir Institute for Middle East Policy (6.12.2018): TIMEP Brief: Legislative Decree No. 18: Military Service Amnesty, https://timep.org/wp-content/uploads/2018/12/LegislativeDecree18SyriaLawBrief2018-FINAL12-6-18a.pdf , Zugriff 24.8.2020

Befreiung, Aufschub und Reservisten

Letzte Änderung: 30.09.2021

Das syrische Wehrdienstgesetz sieht vor, dass bestimmte Personengruppen, wie zum Beispiel der einzige Sohn einer Familie, aus medizinischen Gründen Untaugliche (DIS 5.2020; vgl. FIS 14.12.2018), manche Regierungsangestellte (FIS 14.12.2018) und Personen, welche eine Befreiungsgebühr bezahlen, vom Wehrdienst ausgenommen sind. Manche Studenten und Personen mit bestimmten Abschlüssen, wie auch Personen mit vorübergehenden Erkrankungen können den Wehrdienst aufschieben, wobei die Rückstellungen jedes Jahr erneuert werden müssen (DIS 5.2020). Diese Ausnahmen sind theoretisch immer noch als solche definiert, in der Praxis gibt es jedoch mittlerweile mehr Beschränkungen und es ist unklar, wie die entsprechenden Gesetze derzeit umgesetzt werden (FIS 14.12.2018). Es scheint, dass es schwieriger wird, einen Aufschub zu erlangen, je länger der Konflikt andauert (STDOK 8.2017; vgl. FIS 14.12.2018). Das Risiko der Willkür ist immer gegeben (STDOK 8.2017; vgl. DRC/DIS 8.2017).

Rechtliche Situation

Das syrische Militärdienstgesetz erlaubt es syrischen Männern und registrierten Palästinensern aus Syrien im Militärdienstalter (18-42 Jahre) und mit Wohnsitz im Ausland, eine Gebühr ("badal an-naqdi") zu entrichten, um von der Wehrpflicht befreit und nicht wieder einberufen zu werden. Bis 2020 konnten Männer, die sich mindestens vier aufeinanderfolgende Jahre außerhalb Syriens aufgehalten haben, einen Betrag von 8.000 US-Dollar zahlen, um vom Militärdienst befreit zu werden (NMFA 6.2021 vgl. DIS 5.2020, vgl. EB 9.2.2019), wobei noch weitere Konsulargebühren anfallen (EB 9.2.2019). Im November 2020 wurde die Dauer des erforderlichen Auslandaufenthalts auf ein Jahr reduziert und die Gebühr auf 10.000 USD erhöht. Wer zwei, drei, vier oder mehr Jahre im Ausland wohnhaft ist muss 9.000, 8.000 bzw. 7.000 USD bezahlen, um befreit zu werden. Wer außerhalb Syriens lebt und als Reservist einberufen wird, kann eine Befreiung erhalten, indem er 5.000 USD bezahlt (NMFA 6.2021). Für außerhalb Syriens geborene Syrer im wehrpflichtigen Alter, welche bis zum 19. Lebensjahr im Ausland lebten, gilt bis zum Alter von 25 Jahren eine Befreiungsgebühr von 2.500 USD (DIS 5.2020; vgl. AA 13.11.2018). Ein Besuch von bis zu drei Monaten in Syrien wird dabei nicht als Unterbrechung des Aufenthalts einer Person in dem fremden Land gewertet. Für jedes Jahr, in welchem ein Wehrpflichtiger weder eine Befreiungsgebühr bezahlt, noch den Wehrdienst aufschiebt oder sich zu diesem meldet, fallen zusätzliche Gebühren an. Eine Quelle berichtet, dass auch Männer, die Syrien illegal verlassen haben, durch die Zahlung der Gebühr von 8.000 USD vom Militärdienst befreit werden können (DIS 5.2020). Diese müssen ihren rechtlichen Status allerdings zuvor bei einer syrischen Auslandsvertretung bereinigen (DIS 10.2019). Das deutsche Auswärtige Amt berichtet dagegen, dass nicht bekannt sei, ob diese Regelung auch für syrische Männer gilt, die seit Beginn des Bürgerkriegs ins Ausland geflüchtet sind (AA 13.11.2018). Informationen über den Prozess der Kompensationszahlung können auf den Webseiten der syrischen Botschaften in Ländern wie Deutschland, Ägypten, Libanon und der Russischen Föderation aufgerufen werden. Bevor die Zahlung durchgeführt wird, kontaktiert die Botschaft das syrische Verteidigungsministerium, um eine Genehmigung zu erhalten. Dabei wird ermittelt, ob die antragstellende Person sich vom Wehrdienst freikaufen kann (NMFA 5.2020).

Minderheiten

Christliche und muslimische religiöse Führer können weiterhin aus Gewissensgründen vom Militärdienst befreit werden, wobei muslimische Führer dafür eine Abgabe bezahlen müssen (USDOS 12.5.2021). Es gibt Berichte, dass in einigen ländlichen Gebieten Mitgliedern von religiösen Minderheiten die Möglichkeit geboten wurde, sich lokalen regierungsnahen Milizen anzuschließen anstatt ihren Wehrdienst abzuleisten. In den Städten gab es diese Möglichkeit im Allgemeinen jedoch nicht und Mitglieder von Minderheiten wurden unabhängig von ihrem religiösen Hintergrund zum Militärdienst eingezogen (FIS 14.12.2018). Obwohl die Wehrpflicht laut Verfassung auch für die drusische Gemeinschaft gilt, wurde sie von der Regierung im Gegenzug für die Unterstützung durch die Gemeinschaft weitgehend ausgeklammert. Seit Mai 2020 waren die syrischen Sicherheitskräfte jedoch bestrebt, diejenigen zu verfolgen, die vor dem Militärdienst geflohen waren. Im Februar 2021 wurden in Sweida schätzungsweise 20.000 Personen zum Militärdienst gesucht, die unter dem Schutz bewaffneter Gruppierungen standen (COAR 24.11.2020).

Gesetzliche Änderungen der letzten Jahre

Im November 2017 beschloss das syrische Parlament eine Gesetzesnovelle der Artikel 74 und 97 des Militärdienstgesetzes. Die Novelle besagt, dass jene, die das Höchstalter für die Ableistung des Militärdienstes überschritten und den Militärdienst nicht abgeleistet haben, aber auch nicht aus etwaigen gesetzlich vorgesehenen Gründen vom Wehrdienst befreit sind, eine Kompensationszahlung von 8.000 USD oder dem Äquivalent in SYP leisten müssen. Diese Zahlung muss innerhalb von drei Monaten nach Erreichen des Alterslimits geleistet werden. Wenn diese Zahlung nicht geleistet wird, ist die Folge eine einjährige Haftstrafe und die Zahlung von 200 USD für jedes Jahr, um welches sich die Zahlung verzögert, wobei der Betrag 2.000 USD oder das Äquivalent in SYP nicht übersteigen soll. Jedes begonnene Jahr der Verzögerung wird als ganzes Jahr gerechnet. Außerdem kann das bewegliche und unbewegliche Vermögen der Person, die sich weigert den Betrag zu bezahlen, konfisziert werden (SANA 8.11.2017; vgl. SLJ 10.11.2017, PAR 15.11.2017).

Seit einer Änderung des Wehrpflichtgesetzes im Juli 2019 ist die Aufschiebung des Militärdienstes jedenfalls nur bis zum Alter von 37 Jahren möglich und kann durch Befehl des Oberbefehlshabers beendet werden (ÖB 29.9.2020). Es gibt Beispiele, wo Männer sich durch die Bezahlung von Bestechungsgeldern vom Wehrdienst freigekauft haben, was jedoch keineswegs als einheitliche Praxis betrachtet werden kann. So war es vor dem Konflikt gängige Praxis, sich vom Wehrdienst freizukaufen, was einen aber nicht davor schützt – manchmal sogar Jahre danach – trotzdem eingezogen zu werden (STDOK 8.2017). Auch berichtet eine Quelle, dass Grenzbeamte von Rückkehrern trotz entrichteter Befreiungsgebühr Bestechungsgelder verlangen könnten (DIS 5.2020).

Im November 2020 erließ die Armeeführung der syrischen Regierung zwei Verwaltungserlässe, mit denen der Militärdienst für bestimmte Kategorien von Offizieren und Ärzten, die bis Januar 2021 zwei bzw. siebeneinhalb Jahre als Reservisten gedient haben, faktisch beendet wird. Nur wenige Reservisten werden von den Erlassen profitieren, die wahrscheinlich in erster Linie dazu dienen, das Image des Regimes aufzupolieren, um Anreize für eine Rückkehr zu schaffen. Die Demobilisierung wird keine nennenswerte Wirkung erzielen (COAR 24.11.2020).

Quellen:

 AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.11.2018): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1451486/4598_1542722823_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-lage-in-der-arabischen-republik-syrien-stand-november-2018-13-11-2018.pdf , Zugriff 18.8.2020

 COAR - Center for Operational Analysis and Research (24.11.2020): Changes to military service reflect Damascus’s unrealistic aims, growing socio-economic divide, https://coar-global.org/2020/11/24/changes-to-military-service-reflect-damascuss-unrealistic-aims-growing-socio-economic-divide/ , Zugriff 24.8.2021

 DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (10.2019): Syria – Issues Regarding Military Service, COI report based on written sources, https://www.ecoi.net/en/file/local/2018870/COI_syria_report_military_service_oct_2019.pdf , Zugriff 24.8.2020

 DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (5.2020): Syria – Military Service, Report based on a fact-finding mission to Istanbul and Beirut (17-25 February 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2031493/Report_Syria_Military_Service_may_2020.pdf , Zugriff 22.7.2021

 DRC/DIS – Danish Refugee Council [Dänemark]/ The Danish Immigration Service (8.2017): Syria, Recruitment Practices in Government-controlled Areas and in Areas under Opposition Control, Involvement of Public Servants and Civilians in the Armed Conflict and Issues Related to Exiting Syria, https://www.nyidanmark.dk/-/media/Files/US/Landerapporter/SyrienFFMrapportaugust2017.pdf?la=da&hash=D5C8D2AB61039CB67C560C07AE47C7F02F16708D , Zugriff 25.8.2020

 EB – Enab Baladi (9.2.2019): Military Service Exemption Fee: Expensive Return Ticket To Homeland, https://english.enabbaladi.net/archives/2019/09/military-service-exemption-fee-expensive-return-ticket-to-homeland/ , Zugriff 25.8.2020

 FIS – Finnish Immigration Service [Finnland] (14.12.2018): Syria: Fact-Finding Mission to Beirut and Damascus, April 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Syria_Fact-finding+mission+to+Beirut+and+Damascus%2C+April+2018.pdf , Zugriff 22.7.2020

 NMFA - Netherlands Ministry of Foreign Affairs [Niederlande] (5.2020): Country of origin information report Syria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038451/2020_05_MinBZ_NLMFA_COI_Report_Syria_Algemeen_ambtsbericht_Syrie.pdf , Zugriff 17.8.2021

 NMFA - Netherlands Ministry of Foreign Affairs [Niederlande] (6.2021): Country of origin information report Syria, file:///tmp/EN-AAB-Syrie-juni-2021.pdf, Zugriff 27.8.2021

 ÖB – Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (29.9.2020): Asylländerbericht Syrien 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038328/Asyländerbericht+2020+(Stand+29092020)+.pdf , Zugriff 12.10.2020

 PAR – Website of the Parliament [Syria] (15.11.2017): القانون رقم /35/ لعام 2017 القاضي بتعديل قانون خدمة العلم الصادر بالمرسوم التشريعي رقم /30/ لعام /2007/ [Law No. 35 of 2017 amending the Military Service Law issued by Legislative Decree No. 30 of 2007], http://parliament.gov.sy/arabic/index.php?node=201&nid=18681&RID=-1&Last=10262&First=0&CurrentPage=0&Vld=-1&Mode=&Service=-1&Loc1=&Key1=&SDate=&EDate=&Year=&Country=&Num=&Dep=-1& , Zugriff 24.8.2020

 SANA – Syrian Arab News Agency (8.11.2017): مجلس الشعب يقر مشروع قانون يتعلق بمن تجاوز سن التكليف للخدمة ربط الإلزامية وآخر حول السجل العام للعاملين في الدولة بوزارة التنمية الإدارية [The People's Assembly passes a draft law related to those who have passed the age of mandatory service and another about linking the public registry of workers in the country to the Ministry of Administrative Development], http://www.sana.sy/?p=656572 , Zugriff 24.8.2020

 SLJ – Syrian Law Journal [Twitter] (10.11.2017): Newsflash of 10.11.2017 08:37, https://twitter.com/syrian_law/status/929025146429624320 , Zugriff 24.8.2020

 STDOK – Staatendokumentation des BFA [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien – mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf , Zugriff 24.7.2020

 USDOS – United States Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom – Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2051586.html , Zugriff 10.6.2021

Wehrdienstverweigerung / Desertion

Letzte Änderung: 28.09.2021

Als der syrische Bürgerkrieg 2011 begann, hatte die syrische Regierung Probleme Truppen bereitzustellen, um bewaffneten Rebellengruppen entgegentreten zu können. Die Zahl der Männer, die den Wehr- oder Reservedienst verweigerten, nahm deutlich zu. Eine große Zahl von Männern im wehrfähigen Alter floh entweder aus dem Land, schloss sich der bewaffneten Opposition an, oder tauchte unter (DIS 5.2020). Zwischen der letzten Hälfte des Jahres 2011 bis zum Beginn des Jahres 2013 desertierten zehntausende Soldaten und Offiziere, flohen oder schlossen sich bewaffneten aufständischen Einheiten an. Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2013 sind jedoch nur wenige Fälle von Desertion bekannt und relativ wenige werden derzeit deswegen verhaftet (Landinfo 3.1.2018).

Im Dezember 2019 trat eine Bestimmung in Kraft, wonach wehrfähige Männer, welche den Wehrdienst bis zu einem Alter von 42 Jahren nicht abgeleistet haben, eine Befreiungsgebühr von 8.000 USD bezahlen müssen, um einer Beschlagnahmung ihres Vermögens, bzw. des Vermögens ihrer Ehefrauen oder Kinder zu entgehen (DIS 5.2020).

Gesetzliche Lage

Wehrdienstverweigerer werden laut Gesetz in Friedenszeiten mit ein bis sechs Monaten Haft bestraft [Anm.: die Wehrpflicht besteht dabei weiterhin fort]. In Kriegszeiten wird Wehrdienstverweigerung laut Gesetz mit Gefängnisstrafen von bis zu fünf Jahren bestraft (AA 4.12.2020). Deserteure, die zusätzlich außer Landes geflohen sind (sogenannte „externe Desertion“), unterliegen Artikel 101 des Militärstrafgesetzbuchs, der eine Strafe von fünf bis zehn Jahren Haft in Friedenszeiten und 15 Jahre Haft in Kriegszeiten vorschreibt. Desertion im Angesicht des Feindes kann mit lebenslanger Haftstrafe bestraft werden und in schwerwiegenden Fällen wird die Todesstrafe verhängt (STDOK 8.2017).

Konkrete Strafen

Bezüglich der Konsequenzen einer Wehrdienstverweigerung gehen die Meinungen der Quellen auseinander. Eine Quelle berichtet, dass Deserteure zwar in früheren Phasen des Krieges exekutiert wurden, jedoch habe die syrische Regierung ihre Vorgehensweise in den vergangenen Jahren geändert und aufgrund des vorherrschenden Bedarfs an der Front festgenommene Deserteure zum Teil zu kurzen Haftstrafen verurteilt (DIS 5.2020). Während manche die Ergreifung eines Wehrdienstverweigerers mit Foltergarantie und Todesurteil gleichsetzen (Landinfo 3.1.2018), sagen andere, dass Betroffene sofort eingezogen würden (DIS 5.2020; vgl. Landinfo 3.1.2018). Quellen berichten jedoch auch, dass gefasste Wehrdienstverweigerer riskieren, von den syrischen Behörden vor der Einberufung inhaftiert zu werden (DIS 5.2020). Die Konsequenzen hängen offenbar vom Einzelfall ab (Landinfo 3.1.2018; vgl. DIS 5.2020). Berichten zufolge betrachtet die Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen „terroristische“ Bedrohungen zu schützen (STDOK 8.2017). Neben anderen Personengruppen sind regelmäßig auch Deserteure (DIS 5.2020) und Wehrdienstverweigerer Ziel des umfassenden Anti-Terror-Gesetzes (Dekret Nr. 19/2012) der syrischen Regierung (AA 4.12.2020; vgl. DIS 5.2020).

Repressalien gegenüber Familienmitgliedern können insbesondere bei Familien von "high profile"-Deserteuren der Fall sein, also z.B. solche Deserteure, die Soldaten oder Offiziere getötet oder sich der bewaffneten Opposition angeschlossen haben (Landinfo 3.1.2018; vgl. DIS 5.2020). Weitere Einflussfaktoren sind der Rang des Deserteurs, Wohnort der Familie, der für dieses Gebiet zuständige Geheimdienst und zuständige Offizier sowie die Religionszugehörigkeit der Familie (DIS 5.2020).

In Gebieten, welche durch sogenannte Versöhnungsabkommen wieder unter die Kontrolle der syrischen Regierung gebracht wurden, werden häufig Vereinbarungen bezüglich des Wehrdienstes getroffen (STDOK 8.2017; vgl. DIS 5.2020). Berichten zufolge wurden solche Zusagen von der Regierung aber bisweilen auch gebrochen (AA 4.12.2020; vgl. FIS 14.12.2018, DIS 5.2020). Auch in den "versöhnten Gebieten" sind Männer im entsprechenden Alter mit der Wehrpflicht oder mit der Rekrutierung durch regimetreue bewaffnete Gruppen konfrontiert. In manchen dieser Gebiete drohte die Regierung auch, dass die Bevölkerung keinen Zugang zu humanitärer Hilfe erhält, wenn diese nicht den Regierungseinheiten beitreten (FIS 14.12.2018). In ehemals von der Opposition kontrollierten Gebieten landeten zudem einer Quelle zufolge viele Deserteure und Überläufer, denen durch die Versöhnungsabkommen Amnestie gewährt werden sollte, in Haftanstalten oder sie starben in der Haft (DIS 5.2020).

Quellen:

 AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.12.2020): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/684542/6038295/22065632/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt ,_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_(Stand_November_2020),_04.12.2020.pdf?nodeid=22479918&vernum=-2, Zugriff 18.1.2021

 DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (5.2020): Syria – Military Service, Report based on a fact-finding mission to Istanbul and Beirut (17-25 February 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2031493/Report_Syria_Military_Service_may_2020.pdf , Zugriff 22.7.2020

 FIS – Finnish Immigration Service [Finnland] (14.12.2018): Syria: Fact-Finding Mission to Beirut and Damascus, April 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Syria_Fact-finding+mission+to+Beirut+and+Damascus%2C+April+2018.pdf , Zugriff 22.7.2020

 Landinfo [Norwegen] (3.1.2018): Syria: Reactions against deserters and draft evaders, https://www.ecoi.net/en/file/local/1441219/1226_1534943446_landinfo-report-syria-reactions-against-deserters-and-draft-evaders.pdf , Zugriff 7.9.2020

 STDOK – Staatendokumentation des BFA [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien – mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf , Zugriff 24.7.2020

Amnestien

Letzte Änderung: 30.09.2021

Seit 2011 hat der syrische Präsident für Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen, Wehrdienstverweigerer und Deserteure eine Reihe von Amnestien erlassen, die Straffreiheit vorsahen, wenn sie sich innerhalb einer bestimmten Frist zum Militärdienst melden (STDOK 8.2017; vgl. TIMEP 6.12.2018, SHRC 24.1.2019, AA 4.12.2020, DIS 5.2020).

Über die Umsetzung und den Umfang der Amnestien für Wehrdienstverweigerer und Deserteure ist nur sehr wenig bekannt (DIS 5.2020). Menschenrechtsorganisationen und Beobachter haben die Amnestien wiederholt als intransparent und unzureichend kritisiert (STDOK 8.2017; vgl. EB 3.4.2020), sowie als bisher wirkungslos (AA 4.12.2020; vgl. DIS 5.2020) und als ein Propagandainstrument der Regierung (DIS 5.2020; vgl. EB 3.4.2020). Im Laufe des Jahres 2019 häuften sich Berichte über Regimekräfte, die gegen frühere Amnestievereinbarungen verstießen, indem sie Razzien und Verhaftungskampagnen durchführten, die sich auf Zivilisten und ehemalige Angehörige bewaffneter Oppositionsfraktionen in Gebieten konzentrierten, die zuvor Versöhnungsvereinbarungen mit dem Regime unterzeichnet hatten (USDOS 11.3.2020; vgl. DIS 5.2020). Es gibt auch Hinweise darauf, dass die Namen von Personen, die sich im Rahmen einer Amnestie gemeldet haben, fast sofort auf Listen gesetzt werden, um zum Militärdienst einberufen zu werden (DIS 5.2020, vgl. NMFA 6.2021). Einer Quelle zufolge respektiere die syrische Regierung Amnestien nun eher als früher (DIS 5.2020).

Am 2.5.2021 erließ Präsident Assad mit Gesetzesdekret Nr. 13/2021 erneut eine Generalamnestie, die für Verbrechen, die vor diesem Datum begangen wurden, gilt (SANA 2.5.2021a). Dabei handelt es sich bereits um die 18. Amnestie seit Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs im Frühjahr 2011 (SD 10.5.2021). Sie wurde kurz vor den syrischen Präsidentschaftswahlen Ende Mai 2021 erlassen (SD 10.5.2021; vgl. Reuters 11.5.2021). Das Dekret betrifft unterschiedliche Straftaten, darunter Straftaten in Zusammenhang mit der Anti-Terrorismus-Gesetzgebung von 2012, aber nicht jene "terroristische" Straftaten, die Tote zur Folge hatten (MEE 2.5.2021; vgl. SANA 2.5.2021b). "Terrorismus" ist ein Begriff, mit dem die Regierung die Aktivitäten von Rebellen und oppositionellen Aktivisten beschreibt (MEE 2.5.2021). Straftäter im Bereich Drogenhandel und Schmuggel sowie Steuerhinterziehung können ebenfalls von der Amnestie profitieren. Auch Deserteure können die Amnestie nutzen, wenn sie sich innerhalb von drei Monaten bei Aufenthalt in Syrien und innerhalb von sechs Monaten bei Aufenthalt im Ausland stellen (MEE 2.5.2021; vgl. SANA 2.5.2021b). Durch das Dekret werden Strafen gänzlich oder teilweise erlassen, oder auch Haftstrafen durch eine Strafzahlung ersetzt (SD 10.5.2021). [Anm: Wehrdienstverweigerung und Überlaufen zum Feind werden von dem Dekret nicht erfasst. Die Verpflichtung zum Wehrdienst wird durch das Dekret nicht aufgehoben.]

Am 10.10.2020 erließ die sog. „Selbstverwaltung“ in Nordost-Syrien eine „Generalamnestie“ für Strafgefangene. Bereits am 15.10.2020 sollen 631 Häftlinge auf Grundlage des Dekrets entlassen worden sein, darunter auch mutmaßliche IS-Sympathisanten. Strafen für bestimmte Vergehen sollen zudem halbiert werden (AA 4.12.2020).

[Anm. zu Amnestien der syrischen Regierung für Reservepflichtige siehe Kapitel "Die syrischen Streitkräfte - Wehr- und Reservedienst"]

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.12.2020): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/684542/6038295/22065632/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt ,_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_(Stand_November_2020),_04.12.2020.pdf?nodeid=22479918&vernum=-2, Zugriff 18.1.2021

 DIS - Danish Immigration Service [Dänemark] (5.2020): Syria - Military Service, Report based on a fact-finding mission to Istanbul and Beirut (17-25 February 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2031493/Report_Syria_Military_Service_may_2020.pdf , Zugriff 22.7.2020

 EB - Enab Baladi (3.4.2020): Decrees for detainees .. without including them Syrian detainees off legislators’ table, https://english.enabbaladi.net/archives/2020/04/decrees-for-detainees-without-including-them-syrian-detainees-off-legislators-table/ , Zugriff 19.8.2020

 MEE - Middle East Eye (2.5.2021): Syria: Amnesty announced ahead of presidential elections, https://www.middleeasteye.net/news/syria-amnesty-offered-ahead-presidential-elections , Zugriff 21.5.2021

 NMFA - Netherlands Ministry of Foreign Affairs [Niederlande] (6.2021): Country of origin information report Syria, file:///tmp/EN-AAB-Syrie-juni-2021.pdf, Zugriff 30.8.2021

 Reuters (11.5.2021): Syria releases hundreds of social media critics ahead of election, https://www.reuters.com/world/middle-east/syria-releases-hundreds-social-media-critics-ahead-election-2021-05-11/ , Zugriff 10.6.2021

 SANA - Syrian Arab News Agency (2.5.2021a): President al-Assad grants general amnesty for crimes committed before May 2nd, https://sana.sy/en/?p=231570 , Zugriff 20.5.2021

 SANA - Syrian Arab News Agency (2.5.2021b): الرئيس الأسد يصدر مرسوماً بمنح عفو عام عن الجرائم المرتكبة قبل تاريخ 2 أيار-فيديو [Präsident Assad erlässt ein Dekret zur Gewährung einer Amnestie für Verbrechen, die vor dem 2. Mai begangen wurden - Video], http://www.sana.sy/?p=1373048 , Zugriff 21.5.2021

 SD - Syria Direct (10.5.2021): Bashar al-Assad issues general amnesty excluding prisoners of conscience: Who benefits and why now?, https://syriadirect.org/bashar-al-assad-issues-general-amnesty-excluding-prisoners-of-conscience-who-benefits-and-why-now/ , Zugriff 20.5.2021

 SHRC - Syrian Human Rights Committee (24.1.2019): The 17th Annual Report on Human Rights in Syria 2018, http://www.shrc.org/en/wp-content/uploads/2019/01/English_Web.pdf , Zugriff 22.7.2020

 STDOK - Staatendokumentation des BFA [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien - mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf , Zugriff 24.7.2020

 TIMEP - The Tahrir Institute for Middle East Policy (6.12.2018): TIMEP Brief: Legislative Decree No. 18: Military Service Amnesty, https://timep.org/wp-content/uploads/2018/12/LegislativeDecree18SyriaLawBrief2018-FINAL12-6-18a.pdf , Zugriff 24.8.2020

 USDOS - United States Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2026345.html , Zugriff 22.7.2020

Nicht-staatliche bewaffnete Gruppierungen (regierungsfreundlich und regierungsfeindlich)

Letzte Änderung: 01.10.2021

Manche Quellen berichten, dass die Rekrutierung durch regierungsfreundliche Milizen im Allgemeinen auf freiwilliger Basis geschieht. Personen schließen sich häufig auch aus finanziellen Gründen den National Defense Forces (NDF) oder anderen regierungstreuen Gruppierungen an (FIS 14.12.2018; vgl. DRC/DIS 8.2017). Andere Quellen berichten von der Zwangsrekrutierung von Kindern im Alter von sechs Jahren durch Milizen, die für die Regierung kämpfen, wie die Hizbollah und die NDF (auch als "shabiha" bekannt) (USDOS 1.7.2021). In vielen Fällen sind bewaffnete regierungstreue Gruppen lokal organisiert, wobei Werte der Gemeinschaft wie Ehre und Verteidigung der Gemeinschaft eine zentrale Bedeutung haben. Dieser soziale Druck basiert häufig auf der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft. Ein weiterer Hauptgrund für das Eintreten in diese Gruppierungen ist, dass damit der Wehrdienst in der Armee umgangen werden kann. Die Mitglieder können so in ihren oder in der Nähe ihrer lokalen Gemeinden ihren Einsatz verrichten und nicht in Gebieten mit direkten Kampfhandlungen. Die syrische Armee hat jedoch begonnen, diese Milizen in ihre eigenen Strukturen zu integrieren (FIS 14.12.2018), indem sie Mitglieder der Milizen, welche im wehrfähigen Alter sind, zum Beitritt in die syrische Armee zwingt (MEI 18.7.2019). Dadurch ist es unter Umständen nicht mehr möglich, durch den Dienst in einer lokalen Miliz die Rekrutierung durch die Armee oder den Einsatz an einer weit entfernten Front zu vermeiden (FIS 14.12.2018). Auch aufgrund der deutlich höheren Bezahlung der Milizmitglieder stießen die laufenden Bemühungen, Milizen in die syrische Armee zu integrieren, auf erheblichen Widerstand (MEI 18.7.2019). Regierungstreue Milizen haben sich außerdem an Zwangsrekrutierungen von gesuchten Wehrdienstverweigerern beteiligt (FIS 14.12.2018).

Was die oppositionellen Milizen in Syrien betrifft, so ist die Grenze zur Zwangsrekrutierung ebenfalls nicht klar. Nötigung und sozialer Druck, sich den Milizen anzuschließen, sind in von oppositionellen Gruppen gehaltenen Gebieten hoch. So herrscht z.B. in Idlib, wo es zahlreiche Gruppierungen gibt, großer Druck sich einer bewaffneten Gruppierung anzuschließen, wobei auch die Bezahlung eine Motivation darstellen kann (STDOK 8.2017). Anders als die Regierung und die Syrian Democratic Forces (SDF), erlegen bewaffnete oppositionelle Gruppen wie SNA (Syrian National Army) und HTS (Hay'at Tahrir ash-Sham) Zivilisten in von ihnen kontrollierten Gebieten keine Wehrdienstpflicht auf (NMFA 6.2021).

Quellen:

 DRC/DIS - Danish Refugee Council / The Danish Immigration Service [Dänemark] (8.2017): Syria, Recruitment Practices in Government-controlled Areas and in Areas under Opposition Control, Involvement of Public Servants and Civilians in the Armed Conflict and Issues Related to Exiting Syria, https://www.nyidanmark.dk/-/media/Files/US/Landerapporter/SyrienFFMrapportaugust2017.pdf?la=da&hash=D5C8D2AB61039CB67C560C07AE47C7F02F16708D , Zugriff 25.8.2020

 FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (14.12.2018): Syria: Fact-Finding Mission to Beirut and Damascus, April 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Syria_Fact-finding+mission+to+Beirut+and+Damascus%2C+April+2018.pdf , Zugriff 22.7.2020

 MEI - Middle East Institute (18.7.2019): The Lion and The Eagle: The Syrian Arab Army’s Destruction and Rebirth, https://www.mei.edu/publications/lion-and-eagle-syrian-arab-armys-destruction-and-rebirth#pt5 , Zugriff 19.8.2020

 NMFA - Netherlands Ministry of Foreign Affairs [Niederlande] (6.2021) - Country of origin information report Syria, file:///tmp/EN-AAB-Syrie-juni-2021.pdf, Zugriff 27.8.2021

 STDOK - Staatendokumentation des BFA [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien - mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf , Zugriff 24.7.2020

 USDOS - US Department of State [USA] (1.7.2021): 2021 Trafficking in Persons Report: Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2055129.html , Zugriff 25.8.2021

Nordost-Syrien

Letzte Änderung: 01.10.2021

Wehrpflichtsgesetz

Die Autonome Verwaltung Nord- und Ostsyriens, die von der kurdischen PYD dominiert wird, verabschiedete 2014 das sogenannte "Selbstverteidigungspflicht"-Gesetz, das vorsieht, dass jede Familie einen "Freiwilligen" zwischen 18 und 30 Jahren stellen muss, der sechs Monate lang in der YPG dient (NMFA 7.2019; cf. EB 12.7.2019). Dieser Zeitraum wurde später im Rahmen der im Januar 2016 verabschiedeten Änderungen auf neun Monate geändert. Nach Angaben verschiedener Menschenrechtsorganisationen wird dieses Gesetz auch mit Gewalt durchgesetzt. Seit 2019 hat es eine ähnliche Form angenommen wie die Wehrpflicht der syrischen Regierung. Auch die Zwangsrekrutierung von Jungen und Mädchen kommt Berichten zufolge vor (AA 4.12.2021, vgl. EB 7.12.2019).

Es wurden auch mehrere Fälle von willkürlichen Verhaftungen zum Zwecke der Rekrutierung dokumentiert, obwohl die Wehrpflicht aufgrund der Ausbildung aufgeschoben wurde oder einige Jugendliche aus medizinischen oder anderen Gründen vom Wehrdienst befreit wurden. Selbst einige Beschäftigte im Bildungssektor sind von diesen Verhaftungen und Zwangsrekrutierungen nicht ausgenommen, obwohl sie im Besitz von Dokumenten für eine Befreiung sind (EB 12.7.2019).

Die Sanktionen für die Wehrdienstverweigerung ähneln denen im von der Regierung kontrollierten Teil und umfassen Haftstrafen sowie eine Verlängerung des Wehrdienstes. Es kommt zu Überprüfungen von möglichen Wehrpflichtigen an Checkpoints und auch zu Ausforschungen. Die Autonomiebehörden dürften laut der Österreichischen Botschaft Damaskus eine Verweigerung aber nicht als Ausdruck einer bestimmten politischen Gesinnung sehen (ÖB 29.9.2020). Laut UNHCR kann die Weigerung, den YPG beizutreten, Berichten zufolge schwerwiegende Konsequenzen haben, einschließlich Entführung, Inhaftierung und Misshandlung der inhaftierten Personen sowie Zwangsrekrutierung, da die Verweigerung des Kampfes als Ausdruck der Unterstützung des sogenannten Islamischen Staates oder als Opposition zu PYD/YPG interpretiert werden kann (UNHCR 3.11.2017).

Frauen und Altersgrenzen

Mehrfach ist es dazu gekommen, dass Männer von der YPG rekrutiert wurden, die älter als 30 Jahre waren. Dabei handelte es sich um Personen, die PYD-kritisch politisch aktiv waren, und die mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die Rekrutierung abgestraft werden sollten (Savelsberg 3.11.2017).

Frauen können freiwilligen Militärdienst in den kurdischen Einheiten [YPJ - Frauenverteidigungseinheiten] leisten (AA 4.12.2020), wobei es gleichzeitig Berichte von Zwangsrekrutierungen von Frauen (AA 4.12.2020; vgl. SNHR 26.1.2021) und minderjährigen Mädchen gibt (Savelsberg 3.11.2017; vgl. HRW 11.10.2019, UNGASC 20.6.2019). Darüber hinaus sind Fälle bekannt, in denen kurdische Frauen, die der YPG zunächst freiwillig beitraten, daran gehindert wurden, diese wieder zu verlassen (IWPR 29.3.2018; vgl. Savelsberg 3.11.2017).

Proteste gegen die Wehrpflicht

Das Gesetz stößt bei den Bürgern in den von den SDF kontrollierten Gebieten auf heftige Ablehnung. Sie haben mehrfach gegen die Zwangsrekrutierungen demonstriert, insbesondere viele junge Männer, die die vom Regime kontrollierten Gebiete verlassen hatten, um dem Militärdienst zu entgehen (EB 12.7.2021).

Im Jahr 2021 hat die Wehrpflicht besonders in den östlichen ländlichen Gouvernements Deir ez-Zour und Raqqa Proteste ausgelöst. Lehrer haben sich besonders gegen die Einberufungskampagnen der Syrian Democratic Forces (SDF) gewehrt. Proteste im Mai 2021 richteten sich außerdem gegen die unzureichende Bereitstellung von Dienstleistungen und die Korruption oder Unfähigkeit der autonomen Verwaltungseinheiten. Sechs bis acht Menschen wurden am 1.6.2021 in Menbij bei einem Protest getötet, dessen Auslöser eine Reihe von Razzien der SDF auf der Suche nach wehrpflichtigen Männern war. Am 2. Juni einigten sich die SDF, der Militärrat von Menbij und der Zivilrat von Menbij mit Stammesvertretern und lokalen Persönlichkeiten auf eine deeskalierende Vereinbarung, die vorsieht, die Rekrutierungskampagne einzustellen, während der Proteste festgenommene Personen freizulassen und eine Untersuchungskommission zu bilden, um diejenigen, die auf Demonstranten geschossen hatten, zur Rechenschaft zu ziehen (COAR 7.6.2021).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.12.2020): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/684542/6038295/22065632/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt ,_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_(Stand_November_2020),_04.12.2020.pdf?nodeid=22479918&vernum=-2, Zugriff 26.8.2021

 COAR - Center for Operational Analysis and Research (7.6.2021): Deadly SDF Crackdown as Conscription Sparks Menbij Unrest, https://coar-global.org/2021/06/07/deadly-sdf-crackdown-as-conscription-sparks-menbij-unrest/ , Zugriff 26.8.2021

 EB - Enab Baladi (12.7.2019): Compulsory military recruitment in Jazira Region: SDF imposing their authority, https://english.enabbaladi.net/archives/2019/07/compulsory-military-recruitment-in-jazira-region-sdf-imposing-their-authority/# , Zugriff 26.8.2021

 HRW - Human Rights Watch (11.10.2019): Turkey/Syria: Civilians at Risk in Syria Operation, https://www.hrw.org/news/2019/10/11/turkey/syria-civilians-risk-syria-operation , Zugriff 7.9.2020

 IWPR - Institute for War and Peace Reporting (29.3.2018): Underage Girls Recruited to Kurdish Forces, https://iwpr.net/global-voices/underage-girls-recruited-kurdish-forces , Zugriff 7.9.2020

 NMFA - Ministry of Foreign Affairs of the Netherlands - Department for Country of Origin Information Reports [Niederlande] (7.2019): Country of Origin Information Report Syria - The security situation, per E-Mail am 27.8.2019

 ÖB - Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (29.9.2020): Asylländerbericht Syrien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038328/Asyländerbericht+2020+(Stand+29092020)+.pdf , Zugriff 12.10.2020

 Savelsberg, Eva [Vorsitzende des Europäischen Zentrum für Kurdische Studien] (3.11.2017): Informationen per E-Mail

 SNHR - Syrian Network for Human Rights (26.1.2021): The Bleeding Decade - Tenth Annual Report: The Most Notable Human Rights Violations in Syria in 2020, https://sn4hr.org/wp-content/pdf/english/Tenth_Annual_Report_The_Most_Notable_Human_Rights_Violations_in_Syria_in_2020_en.pdf , Zugriff 3.2.2021

 UNGASC - United Nations General Assembly (20.6.2019): Report of the Secretary-General [A/73/907-S/2019/509], https://www.ecoi.net/en/file/local/2013574/A_73_907_E.pdf , Zugriff 7.9.2020

 UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (3.11.2017): International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Syrian Arab Republic; Update V, https://english.alaraby.co.uk/english/news/2020/6/17/turkey-bolsters-reinforcements-in-northern-syria , Zugriff 26.8.2021

Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung: 01.10.2021

Die Menschenrechtslage in Syrien hat sich trotz eines messbaren Rückgangs der gewaltsamen Auseinandersetzungen im Jahr 2020 nicht verbessert. Willkürliche Inhaftierungen, gewaltsames Verschwindenlassen, Folter, sexuelle Gewalt und schwerwiegende Einschränkungen der bürgerlichen und politischen Rechte waren weiterhin weit verbreitet. Das syrische Regime war der Hauptverantwortliche für diese Verstöße, aber auch verbotene terroristische Organisationen und andere bewaffnete Gruppen haben Verstöße begangen (FCO 8.7.2021).

In dem seit mehr als neun Jahren andauernden Bürgerkrieg gab es nach Schätzungen bereits rund eine halbe Million Tote (Welt 30.6.2020; vgl. BBC 12.7.2020). Das Regime wurde durch den Erfolg seiner von Russland und Iran unterstützten Kampagnen so gefestigt, dass es keinen Willen zeigt, integrative oder versöhnende demokratische Prozesse einzuleiten. Dies zeigt sich in der Abwesenheit freier und fairer Wahlen sowie in den gewaltsamen Maßnahmen zur Unterdrückung der Rede- und Versammlungsfreiheit. Bewaffnete Akteure aller Fraktionen, darunter auch die Regierung, versuchen ihre Herrschaft mit Gewalt durchzusetzen und zu legitimieren (BS 29.4.2020).

Es gibt krasse Ungleichheiten zwischen Arm und Reich, eine schwache Unterscheidung zwischen Staat und Wirtschaftseliten und einen geschlossenen Kreis wirtschaftlicher Möglichkeiten. Die Bürger werden ungleich behandelt. Ihnen werden aufgrund konfessioneller Zugehörigkeit, des Herkunftsortes, ethnischer Zugehörigkeit und des familiären Hintergrundes grundlegende staatsbürgerliche Rechte vorenthalten bzw. Privilegien gewährt oder verweigert. Grundlegende Aspekte der Staatsbürgerschaft werden großen Teilen der Bevölkerung verwehrt. Diese ungerechte Behandlung hat sich im Laufe der Konfliktjahre vertieft (BS 29.4.2020).

Das Regime bezeichnete Meinungsäußerungen routinemäßig als illegal, und Einzelpersonen konnten das Regime weder öffentlich noch privat kritisieren, ohne Repressalien befürchten zu müssen. Das Regime übt strikte Kontrolle über die Verbreitung von Informationen, auch über die Entwicklung der Kämpfe zwischen dem Regime und der bewaffneten Opposition und die Verbreitung des COVID-19-Virus, aus und verbietet die meiste Kritik am Regime und die Diskussion über konfessionelle Probleme, einschließlich der Rechte von und Spannungen zwischen religiösen und ethnischen Minderheiten (USDOS 30.3.2021).

Die Verfassung bestimmt die Ba'ath-Partei als die herrschende Partei und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat. Das Gesetz erlaubt die Bildung anderer politischer Parteien, jedoch nicht auf Basis von Religion, Stammeszugehörigkeit oder regionalen Interessen. Die Regierung erlaubt nur regierungsnahen Gruppen offizielle Parteien zu gründen und zeigt wenig Toleranz gegenüber anderen politischen Parteien, auch jenen, die mit der Ba'ath-Partei in der National Progressive Front verbündet sind. Parteien wie die Communist Union Movement, die Communist Action Party und die Arab Social Union werden schikaniert. Gesetze, welche die Mitgliedschaft in illegalen Organisationen verbieten, wurden auch verwendet, um Mitglieder von Menschenrechts- und Studentenorganisationen zu verhaften (USDOS 30.3.2021).

Weiterhin besteht in keinem Teil des Landes ein umfassender und langfristiger Schutz vor willkürlicher Verhaftung und Repression durch die zahlreichen Sicherheitsdienste, Milizen und sonstige regimenahe Institutionen. Dies gilt auch für Landesteile, insbesondere im äußersten Westen des Landes sowie der Hauptstadt Damaskus, in denen traditionell Bevölkerungsteile leben, die dem Regime näher stehen. Selbst bis dahin als regimenah geltende Personen können aufgrund allgegenwärtiger staatlicher Willkür grundsätzlich Opfer von Repressionen werden (AA 19.5.2020).

In Gebieten, die von der Regierung zurückerobert werden, kommt es zu Beschlagnahmungen von Eigentum, großflächigen Zerstörungen von Häusern und willkürlichen Verhaftungen (SNHR 26.1.2021; vgl. SHRC 24.1.2019, HRW 13.1.2021). Diejenigen, die sich mit der Regierung "versöhnt" haben, werden weiterhin durch die Regierungstruppen misshandelt (HRW 14.1.2020; vgl. AA 4.12.2020, SNHR 26.1.2021). Auch nichtstaatliche bewaffnete Oppositionsgruppen begehen schwere Übergriffe. Das Schicksal von Tausenden, die vom sogenannten Islamischen Staat (IS) entführt wurden, bleibt unbekannt. Auch die kurdischen Behörden, die von den USA geführte Koalition oder die syrische Regierung unternehmen keine Schritte, deren Verbleib zu ermitteln (HRW 13.1.2021).

Es sind zahllose Fälle bekannt, bei denen Personen für als regierungsfeindlich angesehene Tätigkeiten ihrer Verwandten inhaftiert und gefoltert werden, darunter sollen auch Fälle sein, bei denen die gesuchten Personen ins Ausland geflüchtet sind (AA 4.12.2020). Frauen mit familiären Verbindungen zu Oppositionskämpfern oder Abtrünnigen werden z.B. als Vergeltung oder zur Informationsgewinnung festgenommen (UNHRC 31.1.2019). Außerdem werden Personen festgenommen, die Kontakte zu Verwandten oder Freunden unterhalten, die in von der Opposition kontrollierten Gebieten leben (UNHRC 31.1.2019; vgl. UNHCR 7.5.2020, SNHR 26.1.2021).

Tausende Menschen starben seit 2011 im Gewahrsam der syrischen Regierung an Folter und entsetzlichen Haftbedingungen (HRW 14.1.2020). Die Methoden der Folter, des Verschwindenlassens und der schlechten Bedingungen in den Haftanstalten sind keine Neuerung der letzten Jahre seit Ausbruch des Konfliktes, sondern waren bereits zuvor gängige Praxis der unterschiedlichen Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden in Syrien (SHRC 24.1.2019). Die syrischen Regimekräfte und ihre Sicherheitsapparate setzen ihre systematische Politik der Inhaftierung und des Verschwindenlassens von Zehntausenden von Syrern fort. Trotz der Verringerung des Tempos der Inhaftierungen und des gewaltsamen Verschwindenlassens im Jahr 2020 konnte keine wirkliche Veränderung im Verhalten des Regimes beobachtet werden, sei es in Bezug auf die Freilassung der Inhaftierten oder die Aufdeckung des Schicksals der Verschwundenen (SHRC 1.2021).

Weitere schwere Menschenrechtsverletzungen, derer das Regime und seine Verbündeten beschuldigt werden, sind willkürliche und absichtliche Angriffe auf Zivilisten, darunter auch der Einsatz von chemischen Waffen; Massaker und Vergewaltigungen als Kriegstaktik; Einsatz von Kindersoldaten sowie übermäßige Einschränkungen der Bewegungs-, Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit, inklusive Zensur. Die Regierung überwacht die Kommunikation im Internet, inklusive E-Mails, greift in Internet- und Telefondienste ein und blockiert diese. Die Regierung setzt ausgereifte Technologien und Hunderte von Computerspezialisten für Überwachungszwecke ein (USDOS 30.3.2021).

Berichten zufolge sind Personen in Gebieten, die erst vor kurzer Zeit durch die Regierung wiedererobert wurden, aus Angst vor Repressalien oft zögerlich dabei, über die Situation in diesen Gebieten zu berichten (USDOS 11.3.2020). Zwangsdeportationen von Hunderttausenden Bürgern haben ganze Städte und Dörfer entvölkert (BS 29.4.2020).

Bewaffnete terroristische Gruppierungen, wie die mit al-Qaida in Verbindung stehende Gruppe Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS), sind für weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen, darunter rechtswidrige Tötungen und Entführungen, rechtswidrige Inhaftierungen, extreme körperliche Misshandlungen, Tötungen von Zivilisten bei Angriffen, die als wahllos beschrieben wurden, und Zwangsräumungen von Häusern auf der Grundlage der konfessionellen Identität, verantwortlich (USDOS 30.3.2021).

Elemente der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), einer Koalition aus syrischen Kurden, Arabern, Turkmenen und anderen Minderheiten, zu der auch Mitglieder der Kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) gehören, sollen für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sein, darunter willkürliche Inhaftierungen, Folter, Korruption und Einschränkungen der Versammlungsfreiheit (USDOS 30.3.2021). Es gibt vereinzelte Berichte über Festnahmen von Journalisten, Mitgliedern von Menschenrechtsorganisationen und Oppositionsparteien und Personen, die sich weigerten mit den kurdischen Gruppen zu kooperieren (USDOS 11.3.2020; vgl. HRW 10.9.2018, SNHR 26.1.2021).

Die menschenrechtliche Situation in den kurdisch kontrollierten Gebieten stellt sich insgesamt erkennbar weniger gravierend dar als in den Gebieten, die sich unter Kontrolle des syrischen Regimes oder islamistischer und jihadistischer Gruppen befinden (AA 4.12.2020).

Ein besonderes Merkmal des Konflikts in Syrien ist, dass verschiedene Konfliktparteien häufig größeren Gruppen von Menschen, einschließlich Familien, Stämmen, religiösen oder ethnischen Gruppen oder ganzen Städten, Dörfern oder Nachbarschaften, durch Assoziation eine politische Meinung zuschreiben. Als solche können Mitglieder einer größeren Einheit, ohne individuell herausgegriffen zu werden, zum Ziel von Repressalien durch verschiedene Akteure aufgrund von tatsächlicher oder vermeintlicher Unterstützung einer anderen Konfliktpartei werden. Die Wahrnehmung einer politischen Meinung oder Zugehörigkeit zu einer Konfliktpartei basiert oft auf wenig mehr als der physischen Präsenz einer Person in einem bestimmten Gebiet (oder der Tatsache, dass sie aus einem bestimmten Gebiet stammt) oder ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund (UNHCR 3.2021).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.12.2020): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/684542/6038295/22065632/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt ,_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_(Stand_November_2020),_04.12.2020.pdf?nodeid=22479918&vernum=-2, Zugriff 18.1.2021

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.5.2020): Fortschreibung des Berichts über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom November 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2031629/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Fortschreibung_des_Berichts_%C3%Bcber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_vom_November_2019_%28Stand_Mai_2020%29%2C_19.05.2020.pdf , Zugriff 7.9.2020

 BBC - BBC News Russkaya Sluzhba [Russian Service] (12.7.2020): "Уступка давлению России": Вся гуманитарная помощь ООН в Сирию будет идти через Асада ["Dem russischen Druck nachgeben." Die gesamte humanitäre Hilfe der UNO für Syrien wird über Assad abgewickelt], https://www.bbc.com/russian/news-53353049 , Zugriff 7.9.2020

 BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report - Syria, Gütersloh: Bertelsmann Stiftung, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029497/country_report_2020_SYR.pdf , Zugriff 22.7.2020

 FCO - UK Foreign, Commonwealth and Development Office (formerly FCO) (8.7.2021): Human Rights and Democracy: 2020 Foreign, Commonwealth & Development Office report, https://www.ecoi.net/en/document/2056823.html , Zugriff 30.9.2021

 HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2043510.html , Zugriff 26.1.2021

 HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2022683.html , Zugriff 22.7.2020

 HRW - Human Rights Watch (10.9.2018): Syria: Kurdish-led Administration Jails Rivals, https://www.hrw.org/news/2018/09/10/syria-kurdish-led-administration-jails-rivals , Zugriff 7.9.2020

 SHRC - Syrian Human Rights Committee (1.2021): The 19th Annual Report on Human Rights in Syria 2020, https://www.shrc.org/en/wp-content/uploads/2021/01/SHRC-English-report_20210112.pdf , Zugriff 29.1.2021

 SHRC - Syrian Human Rights Committee (7.1.2020): The 18th Annual Report on Human Rights in Syria 2019, https://www.shrc.org/en/wp-content/uploads/2020/01/20200106-English_web.pdf , Zugriff 8.9.2020

 SHRC - Syrian Human Rights Committee (24.1.2019): The 17th Annual Report on Human Rights in Syria 2018, http://www.shrc.org/en/wp-content/uploads/2019/01/English_Web.pdf , Zugriff 22.7.2020

 SNHR - Syrian Network for Human Rights (26.1.2021): The Bleeding Decade - Tenth Annual Report: The Most Notable Human Rights Violations in Syria in 2020, https://sn4hr.org/wp-content/pdf/english/Tenth_Annual_Report_The_Most_Notable_Human_Rights_Violations_in_Syria_in_2020_en.pdf , Zugriff 3.2.2021

 UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (3.2021): International Protection Considerations with regard to people fleeing the Syrian Arab Republic - Update VI, https://www.ecoi.net/en/file/local/2049565/606427d97.pdf , Zugriff 14.6.2021

 UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (7.5.2020): Relevant Country of Origin Information to Assist with the Application of UNHCR's Country Guidance on Syria; Participation in Anti-Government Protests; Draft Evasion; Issuance and Application of Partial Amnesty Decrees; Residency in (Formerly) Opposition-Held Areas; Issuance of Passports Abroad; Return and "Settling One's Status", https://www.ecoi.net/en/file/local/2030290/5ec4fcff4.pdf , Zugriff 7.9.2020

 UNHRC - United Nations Human Rights Council (31.1.2019): Report of the Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic [A/HRC/40/70], https://www.ohchr.org/Documents/HRBodies/HRCouncil/CoISyria/A_HRC_40_70.pdf , Zugriff 8.9.2020

 USDOS - United States Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048105.html , Zugriff 10.6.2021

 USDOS - United States Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2026345.html , Zugriff 22.7.2020

 Welt (30.6.2020): Deutschland sagt Opfern des Syrienkrieges Milliarden-Hilfe zu, https://www.welt.de/politik/ausland/article210741853/Syrienkrieg-Deutschland-sagt-Opfern-Milliarden-Hilfe-zu.html , Zugriff 21.8.2020

 

Todesstrafe und außergerichtliche Tötungen

Letzte Änderung: 30.09.2021

Die syrische Strafgesetzgebung sieht für Mord, schwere Drogendelikte, Terrorismus, Hochverrat und weitere Delikte die Todesstrafe vor. Vor allem die durch das Regime betriebene unterschiedslose Diffamierung von politischen Gegnern, bewaffneten Rebellen und selbst den syrischen "Weißhelmen" als Terroristen, oder die sehr weite Fassung des Begriffs Hochverrat, ermöglicht den Missbrauch der Todesstrafe zu politischen Zwecken. Verurteilungen wegen Mitgliedschaft in der Muslimbruderschaft, worauf ebenfalls die Todesstrafe steht, werden seit einigen Jahren in der Regel in zwölfjährige Freiheitsstrafen umgewandelt. Im Jahr 2010 wurden 17 Hinrichtungen bekannt. Seit Beginn des bewaffneten Konflikts liegen jedoch keine offiziellen Zahlen mehr vor. Im Rahmen der Kampfhandlungen seit 2011 kam es zu einer Vielzahl von außergerichtlichen Tötungen und Hinrichtungen, über die keine belastbaren Zahlen vorliegen. Nach Aussagen von freigelassenen Häftlingen gegenüber Amnesty International (AI) finden regelmäßig Exekutionen in Gefängnissen statt (AA 4.12.2020).

AI konnte für das Jahr 2020 erneut bestätigen, dass Todesurteile verhängt wurden, verfügte aber nicht über ausreichende Informationen, um eine glaubwürdige Mindestzahl zu nennen (AI 4.2021). Zwischen 2011 und 2015 wurden etwa 13.000 Gefangene, überwiegend Zivilpersonen, die als Regierungskritiker angesehen wurden, Opfer massenhafter außergerichtlicher Hinrichtungen. Die Gerichtsverfahren vor einem militärischen Feldgericht erfüllten die internationalen Mindeststandards für faire Gerichtsverfahren bei weitem nicht (AI 22.2.2018). Im Verlauf des Jahres 2018 wurde eine steigende Zahl von Todesurteilen, unter anderem vor Feldgerichten in Damaskus ausgesprochen, um die Zahl der politischen Gegner zu verringern (TWP 23.12.2018). Häftlinge haben 2019 Warnungen aus dem Gefängnis geschmuggelt, dass Hunderte zu einer Hinrichtungsstätte, das Saydnaya-Gefängnis, gebracht werden, und frisch entlassene Häftlinge berichteten, dass sich die Hinrichtungen dort beschleunigen (TNYT 11.5.2019). Die Unabhängige Untersuchungskommission der Vereinten Nationen (VN) für Syrien berichtete ebenfalls von außergerichtlichen Hinrichtungen in Gebieten unter Regierungskontrolle. Die "Generalamnestie" vom 22.3.2020 verringert die Todesstrafe bei einer Vielzahl von Vergehen auf lebenslange harte Strafarbeit, bei anderen Vergehen, z.B. im Rahmen des Anti-Terror-Gesetzes von 2012, besteht die Todesstrafe fort (AA 4.12.2020).

Im Laufe des bewaffneten Konflikts kam es ebenfalls zu Hinrichtungen von gefangengenommenen Angehörigen der syrischen Sicherheitskräfte durch zumeist radikalislamische bewaffnete Oppositionsgruppen (AA 4.12.2020). Bis zu seiner territorialen Niederlage im April 2019 tötete der sogenannte Islamische Staat (IS) Hunderte von Zivilisten, Männer, Frauen und Kinder, durch öffentliche Hinrichtungen, wie Kreuzigungen und Enthauptungen unter dem Vorwurf des Glaubensabfalls, der Blasphemie und der Homosexualität (USDOS 10.6.2020). In seinem Bericht für das Jahr 2020 stellte Human Rights Watch fest, dass türkische Truppen und die Syrian National Army (SNA) wahllos zivile Einrichtungen beschossen und systematisch Privateigentum geplündert, Hunderte von Personen verhaftet und mindestens sieben standrechtliche Hinrichtungen in den von ihnen besetzten Gebieten im Nordosten Syriens durchgeführt haben. Auch Hay'at Tahrir al-Sham, die überwiegend mehrere Regionen in Idlib kontrolliert, hat Berichten zufolge standrechtliche Hinrichtungen durchgeführt (HRW 13.1.2021).

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.12.2020): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/684542/6038295/22065632/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt ,_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_(Stand_November_2020),_04.12.2020.pdf?nodeid=22479918&vernum=-2, Zugriff 18.1.2021

 AI - Amnesty International (4.2021): Death sentences and executions 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2049793/ACT5037602021ENGLISH.PDF , Zugriff 10.6.2021

 AI - Amnesty International (22.2.2018): Jahresbericht Syrien 2017/2018, https://www.amnesty.de/jahresbericht/2018/syrien , Zugriff 22.7.2020

 HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021, https://www.hrw.org/world-report/2021/country-chapters/syria , Zugriff 28.9.2021

 SNHR - Syrian Network for Human Rights (1.1.2021): Extrajudicial Killing Claims the Lives of 1,734 Civilians in Syria in 2020, Including 99 in December, https://www.hrw.org/world-report/2021/country-chapters/syria , Zugriff 28.9.2021

 TNYT - The New York Times (11.5.2019): Inside Syria’s Secret Torture Prisons: How Bashar al-Assad Crushed Dissent, https://www.nytimes.com/2019/05/11/world/middleeast/syria-torture-prisons.html , Zugriff 22.7.2020

 TWP - The Washington Post (23.12.2018): Syria’s once teeming prison cells being emptied by mass murder, https://www.washingtonpost.com/graphics/2018/world/syria-bodies/?noredirect=on&utm_term=.6a8815bb3721 , Zugriff 22.7.2020

 USDOS - United States Department of State [USA] (11.6.2020): 2019 Report on International Religious Freedom - Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2031230.html , Zugriff 22.7.2020

Ethnische und religiöse Minderheiten

Letzte Änderung: 30.06.2021

Anm.: Viele der angeführten Minderheiten sind ethno-religiöse Minderheiten (z.B. armenische Christen, kurdische Jeziden) oder sie verfügen über kulturell bedingte eigene Interpretationen des Islams im Alltag (z.B. viele sunnitische Kurden). Nähere Informationen zu einzelnen Minderheiten können nach Bedarf im Rahmen von Anfragebeantwortungen geboten werden.

Die anhaltende Vertreibung der syrischen Bevölkerung führt zu einem gewissen Grad an Unsicherheit in den demographischen Daten. Schätzungen der US-Regierung zufolge dürften die Sunniten 74% der Bevölkerung stellen, wobei diese sich unter anderem aus arabischen, kurdischen, tscherkessischen, tschetschenischen und turkmenischen Bevölkerungsanteilen zusammensetzen. Andere muslimische Gruppen, einschließlich Alawiten, Ismailiten und Zwölfer Schiiten machen zusammen 13% aus, die Drusen 3%. Verschiedene christliche Gruppen bilden die verbleibenden 10% (USDOS 10.6.2020; vgl. MRG 5.2018a, CIA 12.8.2020), wobei laut Berichten davon auszugehen ist, dass ihre Zahl mit geschätzten 2.5% nun bedeutend geringer ist. Vor dem Bürgerkrieg gab es in Syrien ungefähr 80.000 Jeziden (USDOS 12.5.2021).

Die alawitische Gemeinde, zu der Bashar al-Assad gehört, genießt einen privilegierten Status in der Regierung und dominiert auch den staatlichen Sicherheitsapparat und das Militär (USDOS 30.3.2021).

In Bezug auf die ethnische Zugehörigkeit besteht die syrische Bevölkerung zum Großteil aus Arabern (Syrer, Palästinenser, Iraker). Ethnische Minderheiten sind Kurden, Armenier, Turkmenen und Tscherkessen (MRG 5.2018a).

Religiöse bzw. interkonfessionelle Faktoren spielen auf allen Seiten des Konfliktes eine Rolle, doch fließen auch andere Faktoren im Kampf um die politische Vormachtstellung mit ein. Die Gewalt von Seiten der Regierung gegen Oppositionsgruppen aber auch Zivilisten weist sowohl konfessionelle Elemente als auch Elemente ohne konfessionellen Bezug auf. Beobachtern zufolge ist die Vorgehensweise der Regierung gegen Oppositionsgruppen, welche die Vormachtstellung der Regierung bedrohen, nicht in erster Linie konfessionell motiviert, doch zeige sie konfessionelle Auswirkungen (USDOS 10.6.2020). So versucht die syrische Regierung konfessionell motivierte Unterstützung zu gewinnen, indem sie sich als Beschützerin der religiösen Minderheiten vor Angriffen von gewalttätigen sunnitisch-extremistischen Gruppen darstellt. Manche Rebellengruppen bezeichnen sich in Statements und Veröffentlichungen explizit als sunnitische Araber oder sunnitische Muslime und haben Beobachtern zufolge eine fast ausschließlich sunnitische Unterstützerbasis (USDOS 12.5.2021). Dies gibt dem Vorgehen der Regierung gegen oppositionelle Gruppen auch ein konfessionelles Element. Der Einsatz von schiitischen Kämpfern, z.B. aus Afghanistan, um gegen die mehrheitlich sunnitische Opposition vorzugehen, verstärkt zusätzlich die konfessionellen Spannungen. Laut Experten stellt die Regierung die bewaffnete Opposition auch als religiös motiviert dar, indem sie diese mit extremistischen islamistischen Gruppen und Terroristen in Zusammenhang setzt, welche die religiösen Minderheiten sowie die säkulare Regierung eliminieren wollen (USDOS 10.6.2020).

Dies führt dazu, dass manche Führer religiöser Minderheitengruppen der Regierung Präsident Assads ihre Unterstützung aussprechen, da sie diese als ihren Beschützer gegen gewalttätige sunnitisch-arabische Extremisten sehen (USDOS 10.6.2020; vgl. USCIRF 4.2019, FA 27.7.2017). Die Minderheiten sind in ihrer Einstellung der syrischen Regierung gegenüber allerdings gespalten. Auch die Alawiten sind in ihrer Unterstützung bzw. Ablehnung der syrischen Regierung nicht geeint. Manche Mitglieder der Minderheiten sehen die Regierung als Beschützer, andere sehen einen Versuch der Regierung die Minderheiten auszunutzen, um die eigene Legitimität zu stärken, indem zum Beispiel konfessionell motivierte Propaganda verbreitet, und so die Ängste der Minderheiten geschürt und deren empfundene Vulnerabilität vertieft wird (MRG 5.2018b). So werden Berichten zufolge auch alawitische oppositionelle Aktivisten Opfer von willkürlichen Verhaftungen, Folter und Mord durch die Regierung (USDOS 30.3.2021).

Alawiten werden aufgrund ihrer wahrgenommenen Unterstützung des Regimes außerdem zu Opfern von Angriffen durch aufständische extremistische Gruppen (USDOS 30.3.2021).

Die Situation von Angehörigen religiöser und ethnischer Minderheitengruppen ist von Gebiet zu Gebiet unterschiedlich und hängt insbesondere von den Akteuren ab, die das Gebiet kontrollieren, von den Ansichten und Wahrnehmungen dieser Akteure gegenüber Angehörigen anderer religiöser und ethnischer Minderheitengruppen sowie von den spezifischen Konfliktentwicklungen in diesen Gebieten (UNHCR 3.2021).

In den unter Kontrolle des sogenannten Islamischen Staates (IS) oder der islamistischen Gruppierung Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) stehenden Gebieten wurden Schiiten, Alawiten, Christen und andere Minderheiten sowie auch Sunniten, inklusive Kurden, Ziele von Tötung, Entführung, Verhaftung oder Misshandlung. Christen wurden gezwungen eine Schutzsteuer zu zahlen, zu konvertieren oder liefen Gefahr getötet zu werden (USDOS 12.5.2021). In seit 2018 bzw. 2019 türkisch kontrollierten Gebieten im Norden Syriens ist es zu Vertreibungen und Drohungen gegen Minderheiten gekommen (JP 13.6.2020; vgl. Wilson Center 7.2020).

Der sogenannte IS entführte tausende großteils jezidische aber auch christliche und turkmenische Frauen und Mädchen im Irak und verschleppte sie nach Syrien, wo sie als Sexsklavinnen verkauft und als Kriegsbeute an IS-Kämpfer verteilt wurden. Durch die Zurückdrängung des IS wurde dessen Herrschaft über Teile der Bevölkerung beendet und seine Möglichkeit religiöse Minderheiten zu unterdrücken und Gewalt auszusetzen, eingedämmt (USDOS 21.6.2019). Trotz der territorialen Niederlage des IS berichteten Medien und NGOs, dass seine extremistische Ideologie weiterhin stark im Land präsent ist (USDOS 12.5.2021).

Quellen:

 AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.12.2020): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/684542/6038295/22065632/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt ,_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_(Stand_November_2020),_04.12.2020.pdf?nodeid=22479918&vernum=-2, Zugriff 18.1.2021

 AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.5.2020): Fortschreibung des Berichts über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom November 2019 [Report about the situation in the Syrian Arab Republic], https://www.ecoi.net/en/file/local/2031629/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Fortschreibung_des_Berichts_%C3%Bcber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_vom_November_2019_%28Stand_Mai_2020%29%2C_19.05.2020.pdf , Zugriff 7.9.2020

 CIA – Central Intelligence Agency [USA] (12.8.2020): The World Factbook: Syria – Military and Security, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/sy.html , Zugriff 21.8.2020

 DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (29.6.2020): Islamic State in Syria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2032499/COI_brief_report_Islamic_State_in_Syria_June_2020.pdf , Zugriff 8.9.2020

 FA – Foreign Affairs (27.7.2017): The Problem With Syria’s Demographics, https://www.foreignaffairs.com/articles/syria/2017-07-27/problem-syrias-demographics , Zugriff 8.9.2020

 JP – The Jerusalem Post (13.6.2020): Turkey’s occupation of Syria slammed for ethnic cleansing, https://www.jpost.com/middle-east/turkeys-occupation-of-syria-slammed-for-ethnic-cleansing-631255 , Zugriff 8.9.2020

 MRG – Minority Rights Group International (5.2018a): Syria – Minorities and indigenous peoples, https://minorityrights.org/country/syria/ , Zugriff 8.9.2020

 MRG – Minority Rights Group International (5.2018b): Syria – Current Issues, https://minorityrights.org/country/syria/ , Zugriff 17.8.2020

 UNHCR – United Nations High Commissioner for Refugees (3.2021): International Protection Considerations with regard to people fleeing the Syrian Arab Republic - Update VI, https://www.ecoi.net/en/file/local/2049565/606427d97.pdf , Zugriff 14.6.2021

 USCIRF – United States Commission on International Religious Freedom [USA] (4.2019): United States Commission on International Religious Freedom 2019 Annual Report; Country Reports: USCIRF Recommended Countries of Particular Concern (CPC): Syria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008202/Tier1_SYRIA_2019.pdf , Zugriff 8.9.2020

 USDOS – United States Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom – Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2051586.html , Zugriff 10.6.2021

 USDOS – United States Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 – Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048105.html , Zugriff 10.6.2021

 USDOS – United States Department of State [USA] (10.6.2020): 2019 Report on International Religious Freedom – Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2031230.html , Zugriff 23.7.2020

 USDOS – United States Department of State [USA] (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom – Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2011033.html , Zugriff 8.9.2020

 Wilson Center (7.2020): Syrian Yezidis under Four Regimes: Assad, Erdogan, ISIS and the YPG , https://www.wilsoncenter.org/sites/default/files/media/uploads/documents/MEP_200710_OCC%2037_FINAL.pdf , Zugriff 8.9.2020

Religionsfreiheit

Letzte Änderung: 01.10.2021

In Syrien gibt es keine offizielle Staatsreligion, wobei die Verfassung jedoch vorsieht, dass der syrische Präsident Muslim sein muss, und dass die islamische Rechtsprechung eine Hauptquelle der Gesetzgebung darstellt. In Angelegenheiten des Personenstandsrechtes fallen alle Bürger unter die Gesetzgebung ihrer jeweiligen religiösen Gruppe (Christentum, Islam oder Judentum). Zur Klärung von Fragen des Familienstandes verlangt die Regierung daher von ihren Bürgern, ihre Glaubenszugehörigkeit zu einer dieser drei Religionen registrieren zu lassen. Die Religionszugehörigkeit, abgesehen von der jüdischen Religionszugehörigkeit, wird nicht im Pass und auf der Identitätskarte vermerkt (USDOS 12.5.2021). Es ist nicht möglich, "keine Religion" zu registrieren (Eijk 2013). Das Gesetz schränkt Missionierung und Konversionen ein. Es verbietet die Konversion vom Islam zu anderen Religionen, erkennt die Konversion zum Islam jedoch an. Das Strafgesetz verbietet "das Verursachen von Spannungen zwischen religiösen Gemeinschaften" (USDOS 12.5.2021).

Bereits vor dem Konflikt wuchs die Bedeutung von religiösen Stiftungen, um fehlende staatliche soziale und wirtschaftliche Leistungen auszugleichen. Im Zuge des Konfliktes verstärkte sich diese Rolle abermals. Religiöse Netzwerke in oppositionellen Gebieten, die in Verbindung mit bewaffneten Fraktionen stehen, wurden zu Pseudo-Organen der Lokalverwaltung und übernahmen Aufgaben wie z.B. die Verteilung von Hilfsgütern, Sozialleistungen, Bildung, Verwaltung von Bäckereien und die Verwaltung von Flüchtlingslagern. Begleitend zu diesen sozialen Diensten gab es klare Bemühungen um religiöse Indoktrination, z.B. die Vereinheitlichung der Verschleierung, die Verbreitung des Korans und den Betrieb von Waisenhäusern (in denen sich das Leben um religiöse Lehren und das Auswendiglernen des Korans dreht). Auch in den von der Regierung kontrollierten Gebieten wurden religiösen Akteuren, die vom Staat als vertrauenswürdig erachtet wurden, beispiellose Vorrechte innerhalb ihrer Gemeinschaften eingeräumt. Sie übernahmen kommunale Aufgaben, um den Zerfall staatlicher Strukturen und Leistungen auszugleichen, wie beispielsweise die Stromversorgung durch privat betriebene und in Privatbesitz befindliche Stromgeneratoren (CMEC 19.3.2019).

Gesetz Nr. 31 vom Oktober 2018 verleiht dem syrischen Ministerium für Religiöse Stiftungen („Ministry of Awqaf“) zusätzliche Befugnisse (CEIP 14.11.2018; vgl. CMEC 19.3.2019). So beinhaltet das Gesetz die Einrichtung eines "Rechtswissenschaftlichen und Gelehrten Rates" mit der Entscheidungshoheit über die Definition, welche Inhalte im religiösen Diskurs angemessen sind. Der Minister wird mit der Kompetenz ausgestattet religiöse Persönlichkeiten zu bestrafen, wenn diese "extremistische" oder auch "abweichende" religiöse Lehren verbreiten, indem ihnen die Lizenz entzogen oder gegen sie ein Gerichtsverfahren eingeleitet wird. Der Rat soll außerdem jede Fatwa, die in Syrien veröffentlicht wird, überwachen, um die Verbreitung wahhabitischen oder mit der Muslimbruderschaft in Verbindung stehenden Gedankenguts zu verhindern (CEIP 14.11.2018). Einem syrischen Anwalt zufolge kann der Minister durch diese Gesetzesänderung auch in Bereichen, die nicht direkt mit der Verwaltung dieses Ministeriums in Zusammenhang stehen, Einfluss ausüben, so z.B. auf religiöse Literatur (France24 14.10.2018).

Das syrische Eherecht kennt das Ehehindernis der Religionsverschiedenheit. So ist die Ehe einer muslimischen Frau mit einem nichtmuslimischen Mann nichtig (MPG o.D.a). Sie wäre laut Gesetz nicht-existent, selbst wenn sie bereits vollzogen wurde (Eijk 2013). Nach dem Konsens der islamischen Juristen ist eine Ehe zwischen einem Muslim und einer nichtmuslimischen Frau wirksam, sofern diese einer der zwei anderen Buchreligionen - also Christentum und Judentum - angehört (MPG o.D.a). Eine christliche Ehefrau eines muslimischen Mannes kann jedoch nichts von ihrem Mann erben, selbst wenn sie zum Islam konvertiert, und sie kann nur auf einem islamischen Friedhof begraben werden, wenn sie konvertiert (USDOS 12.5.2021). Ihre Kinder werden automatisch Muslime (Eijk 2013).

[Anm.: Siehe auch Kapitel „Ethnische und religiöse Minderheiten“.]

Quellen:

 CEIP - Carnegie Endowment for International Peace (14.11.2018): Formalizing Regime Control over Syrian Religious Affairs, https://carnegieendowment.org/sada/77712 , Zugriff 24.7.2020

 CMEC - Carnegie Middle East Center (19.3.2019): The Religious Domain Continues to Expand in Syria, https://carnegie-mec.org/2019/03/19/religious-domain-continues-to-expand-in-syria-pub-78624 , Zugriff 24.7.2020

 Eijk - Esther van Eijk (2013): Family law in Syria: a plurality of laws, norms, and legal practices. Dissertation, Universität Leiden, https://openaccess.leidenuniv.nl/bitstream/handle/1887/21765/Binnenwerk%20Proefschrift_EvanEijk_26July%202013%20corr.pdf?sequence=20 , Zugriff 24.7.2020

 France24 (14.10.2018): Syria ‘expands state control’ with strict new laws governing religious affairs, https://www.france24.com/en/20181014-syria-adopts-law-expanding-government-control-over-religious-affairs-assad-muslim , Zugriff 24.7.2020

 MPG - Max-Planck-Gesellschaft (o.D.a): Kommentar zum staatlichen Familienrecht: Die Ehe, https://www.familienrecht-in-nahost.de/8555/Syrien-Kommentar-Ehe , Zugriff 24.7.2020

 USDOS - United States Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom - Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2051586.html , Zugriff 10.6.2021

Relevante Bevölkerungsgruppen

Kinder

Letzte Änderung: 01.10.2021

Staatsbürgerschaft und Geburtsregistrierung

Kinder leiten die Staatsbürgerschaft ausschließlich von ihrem Vater ab. In weiten Teilen des Landes, in denen die Standesämter nicht funktionierten, haben die Behörden Geburten oft nicht registriert. Das Regime registrierte die Geburten kurdischer Einwohner, die nicht die Staatsbürgerschaft besitzen, einschließlich staatenloser Kurden, nicht. Die Nichtregistrierung führte zum Entzug von Leistungen wie Schulabschlüssen, Zugang zu Universitäten, Zugang zu formeller Beschäftigung sowie zu zivilen Dokumenten und Schutz (USDOS 30.3.2021).

Bildung und Schulen

Für alle Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren besteht eine Schulpflicht. Wiederholte Angriffe auf Schulen durch Kämpfer aller Konfliktparteien, die Umwidmung von Bildungseinrichtungen für militärische Zwecke sowie die Tötung und Vertreibung qualifizierter Lehrkräfte behinderten jedoch weiterhin die Möglichkeiten der Kinder, eine Ausbildung zu erhalten, und hatten unverhältnismäßig starke Auswirkungen auf Mädchen sowie auf vertriebene Kinder und auf Kinder mit Behinderungen (USDOS 30. 3.2021). Für Mädchen besteht auf dem Weg zur oder von der Schule ein besonderes Risiko sexueller Gewalt, die häufig der Hauptgrund dafür ist, dass Mädchen die Schule abbrechen oder von ihren Eltern aus der Schule genommen werden (UNPFA 11.2017). Ungefähr 2,1 Millionen Kinder waren nicht in der Schule (unter den mehr als 2,6 Millionen intern vertriebenen syrischen Kindern, einschließlich Flüchtlingen und anderen in der Diaspora lebenden Kindern); weitere 1,3 Millionen waren gefährdet, die Schule zu verlassen. Im Oktober 2020 waren 4,7 Millionen Kinder auf humanitäre Hilfe angewiesen (USDOS 30.3.2021).

Nordwestsyrien

Berichten zufolge hat die Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) in den von ihr kontrollierten Gebieten Schulen ihre Auslegung der Scharia aufgezwungen und Mädchen diskriminiert. Die Gruppe schrieb Lehrerinnen und Schülerinnen eine Kleiderordnung vor und drohte allen Frauen, die sich nicht an die Kleiderordnung hielten, mit Entlassung. Berichten zufolge hinderten sie auch eine große Zahl von Mädchen am Schulbesuch. Es wird berichtet, dass Familien im Nordwesten Syriens ihre Töchter zunehmend wiederholt für kurze Zeit gegen Geld verheiraten. Früh- und Zwangsverheiratungen waren in den von der HTS kontrollierten Gebieten weit verbreitet. Es wurde von Fällen berichtet, in denen SNA-Mitglieder der Sultan-Murad-Brigade kurdische Frauen in Afrin und Ra's al-Ayn zwangsverheiratet haben (USDOS 30.3.2021).

Kinder-, Früh- und Zwangsehe

Das gesetzliche Heiratsalter beträgt 18 Jahre für Männer und 17 Jahre für Frauen. Jungen im Alter von 15 Jahren oder Mädchen im Alter von 13 Jahren können heiraten, wenn ein Richter beide Parteien für willig und "körperlich reif" erklärt und die Väter oder Großväter beider Parteien zustimmen. Früh- und Zwangsehen sind immer häufiger anzutreffen, insbesondere in Idlib. Kinder sind aufgrund der extremen finanziellen Not, die der Konflikt den Familien auferlegt, sowie aufgrund von COVID-19 und des gesellschaftlichen Drucks zunehmend von Früh- und Zwangsehen bedroht. Berichten zufolge arrangierten viele Familien die Verheiratung von Mädchen in jüngerem Alter, als dies vor Ausbruch des Konflikts üblich war, in dem Glauben, dass dies sie schützen und die finanzielle Belastung der Familie verringern würde. Es gab Fälle von Früh- und Zwangsverheiratung von Mädchen mit Mitgliedern des Regimes, der regimenahen Kräfte und der bewaffneten Opposition (USDOS 30. 3.2021).

[Anmerkung: weitere Informationen über Kinderheirat siehe Kapitel "Familienrecht, Personenstandsrecht, Ehe, Scheidung, Sorgerecht"].

Nordost-Syrien

Die SDF halten seit mindestens 2019 weiterhin mehr als 10.000 mutmaßliche ehemalige IS-Kämpfer in Gefängnissen in ganz Ostsyrien fest. Darunter sind rund 750 Jungen, die in mindestens zehn Gefängnissen festgehalten werden. Auch Jahre nach der territorialen Niederlage des sog. Islamischen Staates sind noch immer Tausende von Frauen und Kindern in Lagern im Nordosten Syriens in dem von der kurdisch geführten SDF-Koalition kontrollierten Gebiet unrechtmäßig interniert. In al-Hol und anderen Lagern nahe der irakischen Grenze im Nordosten Syriens werden schätzungsweise 40.000 Kinder festgehalten. Fast die Hälfte davon sind Iraker; 7.800 kommen aus fast 60 anderen Ländern. Seit Mitte 2019 wurden fast 5.000 syrische Kinder im Rahmen sogenannter "Stammespatenschaften" aus den Lagern in Gemeinden im Nordosten entlassen. Etwa 1.000 ausländische Kinder wurden ebenfalls freigelassen und nach Hause gebracht. Die meisten ausländischen Kinder sind jedoch weiterhin ihrer Freiheit beraubt, da sich ihre Heimatländer weigern, sie zurückzuschicken. Die meisten sind unter zwölf Jahre alt. Niemand beschuldigt sie eines Verbrechens, doch werden sie seit über drei Jahren unter entsetzlichen Bedingungen festgehalten und ihres Rechts auf Bildung, Spiel und angemessene medizinische Versorgung beraubt (UNHRC 14.9.2021).

Seit 2014 begann der IS, Frauen und Mädchen im Alter von zwölf bis 16 Jahren in den von ihm kontrollierten Gebieten zwangszuverheiraten. In den Jahren zuvor hatte der sog. IS jesidische Mädchen im Irak entführt und sexuell ausgebeutet und sie zur Vergewaltigung und Zwangsverheiratung nach Syrien gebracht. Die Free Yezidi Foundation berichtete, dass jesidische Frauen und Kinder aufgrund des schweren Traumas, das sie durch die Behandlung unter dem ISIS erlitten haben, und aus Angst bei IS-nahen Familien in Internierungslagern bleiben. Der Oberste Geistliche Rat der Jesiden hat angekündigt, dass jedes Kind eines muslimischen oder "unbekannten" Vaters als muslimisch registriert werden muss, wodurch jesidischen Kindern, die unter dem IS geboren wurden, ein Platz in der jesidischen Gemeinschaft verwehrt wird, und ein weiteres Hindernis für die Rückkehr jesidischer Frauen in ihre Heimatgemeinden entsteht (USDOS 30.3.2021) Der Zugang zu Bildung im Lager für Binnenvertriebene in al-Hol ist Berichten zufolge weiterhin unzureichend. Die SDF beendeten die Nutzung von zwölf Schulen, die zuvor für militärische Zwecke umgewandelt worden waren, und übergaben sie an die lokalen Räte, um den Zugang der Kinder zu Bildung zu verbessern. Trotz wiederholter Vereinbarungen, die Rekrutierung von Minderjährigen zu stoppen, gab es Berichte über groß angelegte Rekrutierungskampagnen der SDF, bei denen Jugendliche verhaftet und zwangsrekrutiert wurden, sowie über die Rekrutierung von Kindern zwischen 13 und 16 Jahren aus dem Lager al-Hol, von denen viele Waisen waren (EMHRM 18.9.2019). Alle Konfliktparteien haben Minderjährige rekrutiert (UNGASC 6.5.2021).

[Anmerkung: weitere Informationen zur Rekrutierung von Minderjährigen siehe Kapitel "Rekrutierung von Minderjährigen durch verschiedene Organisationen"]

Kindesmissbrauch

Das Gesetz verbietet Kindesmissbrauch nicht ausdrücklich, sieht aber vor, dass Eltern ihre Kinder in einer Form disziplinieren können, die nach allgemeinem Brauch zulässig ist. NGOs berichteten ausführlich über Regime- und regimefreundliche Kräfte sowie der HTS, die Kinder sexuell missbrauchen, foltern, festhalten, töten und anderweitig misshandeln. Die HTS hat Kinder in den von ihr kontrollierten Gebieten extrem hart bestraft und sogar hingerichtet (USDOS 30.3.2021). Das gesetzliche Alter für die sexuelle Mündigkeit liegt bei 15 Jahren, wobei es keine Ausnahmeregelung für Minderjährige gibt. Vorehelicher Sex ist illegal, aber Beobachter berichteten, dass die Behörden das Gesetz nicht durchsetzen. Die Vergewaltigung eines Kindes unter 15 Jahren wird mit einer Freiheitsstrafe von mindestens 21 Jahren und Zwangsarbeit bestraft. Es gab keine Berichte über die strafrechtliche Verfolgung von Fällen von Vergewaltigung von Kindern durch das Regime (USDOS 30.3.2021). Regierungstruppen setzten die Vergewaltigung von Kindern als "Kriegswaffe" ein und missbrauchten die Kinder von Oppositionellen in den Gefängnissen der Regierung, an Kontrollpunkten und bei Hausdurchsuchungen systematisch und völlig ungestraft. Einem befragten Offizier zufolge machten sie in der Haft keinen Unterschied zwischen Erwachsenen und Minderjährigen, selbst in Fällen, in denen Folter im Spiel war (ZI 2.7.2017). Zwischen März 2011 und Juni 2021 dokumentierte das Syrian Network for Human Rights (SNHR) den Tod von mindestens 14.565 Personen durch Folter, darunter 174 Kinder und 74 (erwachsenen) Frauen, durch die Konfliktparteien und die kontrollierenden Kräfte in Syrien, wobei das syrische Regime für 98,6 % dieser Todesfälle verantwortlich ist (SNHR 14.6.2021).

[Hinweis: Weitere Informationen zu sexueller Gewalt gegen Mädchen und Frauen siehe "Sexuelle Gewalt gegen Frauen und Ehrenverbrechen"]

Quellen:

 EMHRM - Euro-Mediterranean Human Rights Monitor (18.9.2019): SDF kidnaps dozens of children and youths in eastern Syria, https://euromedmonitor.org/en/article/3136/SDF-kidnaps-dozens-of-children-and-youths-in-eastern-Syria , Zugriff 1.10.2021

 SNHR - Syrian Network for Human Rights (14.6.2021): Death Toll due to Torture, https://sn4hr.org/blog/2021/06/14/death-toll-due-to-torture/ , Zugriff 30.9.2021

 UNGASC - United Nations General Assembly Security Council (6.5.2021): Children and armed conflict - Report of the Secretary-General, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/N2111309.pdf , Zugriff 19.8.2021

 UNHRC - UN Human Rights Council (14.9.2021): UN Syria Commission: Increasing violence and fighting add to Syria’s woes, making it unsafe for return, https://www.ohchr.org/EN/HRBodies/HRC/Pages/NewsDetail.aspx?NewsID=27456&LangID=E , Zugriff 30.9.2021

 UNPFA - United Nations Population Fund (11.2017): UNPFA, Voices from Syria 2018, https://www.humanitarianresponse.info/sites/www.humanitarianresponse.info/files/documents/files/2017-12_voices_from_syria_2nd_edition.pdf , Zugriff 1.9.2021

 USDOS - US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: Syria EXECUTIVE SUMMARY, https://www.ecoi.net/en/document/2048105.html , Zugriff 30.9.2021

 ZI - Zero Impunity (2.7.2017): How the Assad Regime Uses Child Rape as a Weapon of War, https://zeroimpunity.com/how-the-assad-regime-used-child-rape-as-a-weapon-of-war/?lang=en , Zugriff 1.9.2021Familienrecht, Personenstandsrecht, Ehe, Scheidung, Obsorge

Letzte Änderung: 01.10.2021

Die rechtliche Stellung der Frauen, wie sie im Familienrecht und in anderen Gesetzen festgelegt ist, ist schwächer als die von Männern (NMFA 5.2020). Zu den Gesetzen, die Frauen diskriminieren, gehören Straf-, Familien-, Religions-, Personenstands-, Arbeits-, Staatsangehörigkeits-, Erbschafts-, Renten- und Sozialversicherungsgesetze. Außerdem wird festgestellt, dass Verfahrensrechte wie das Recht auf ein faires Verfahren, die Unschuldsvermutung und das Erfordernis eines ordnungsgemäßen Prozesses nicht allen syrischen Bürgern gleichermaßen zustehen, zum Teil, weil Auslegungen des religiösen Rechts die Grundlage für Elemente des Familien- und Strafrechts bilden und Frauen diskriminieren (USDOS 30.3.2019).

Personenstandsgesetz von 1953

Im muslimisch dominierten multireligiösen und multiethnischen Syrien haben die unterschiedlichen religiösen Gemeinschaften seit Langem das Recht, bestimmte Angelegenheiten des Familienrechts entsprechend ihren jeweiligen religiösen Vorschriften zu regeln (Eijk 2013; vgl. SLJ 3.10.2019). Im Allgemeinen wird das Familienrecht durch das Personenstandsgesetz (qanun al-ahwal al-shakhsiyya) von 1953 geregelt, eine Kodifizierung islamischen Rechts. Das Gesetz gilt für alle Syrer, aber bestimmte Ausnahmen gelten für Drusen, Christen und Juden, die ihre eigenen religiösen Gesetze in Bezug auf Heirat, Scheidung, Kindesunterhalt, Mitgift, Testamente und Erbschaft anwenden können. Andere Angelegenheiten, wie Vormundschaft und Vaterschaft, gelten jedoch für alle Syrer, unabhängig von ihrer Religion (Landinfo 22.8.2018). Allerdings haben das Personenstandsrecht und die Scharia-Gerichte, die dieses Recht anwenden klaren Vorrang gegenüber den nicht-muslimischen Gerichten. Nicht nur die verschiedenen Religionsgruppen, auch die unterschiedlichen Konfessionen haben eine eigene Gesetzgebung in bestimmten rechtlichen Angelegenheiten den Personenstand betreffend (Eijk 2013). So existiert kodifiziertes Familienrecht für Katholiken, Protestanten sowie für die Armenisch-, Griechisch- sowie Syrisch-Orthodoxe Kirche u.a. in verschiedenen Personenstandsgesetzen (MPG 2018). Das Gesetz unterscheidet hingegen nicht zwischen den verschiedenen islamischen Konfessionen und gilt für Sunniten, Alawiten und andere schiitische Gruppen gleichermaßen (ausgenommen sind hiervon Drusen, wenn man diese als muslimische Gruppe ansieht) (Landinfo 22.8.2018, vgl. van Eijk 2016).

Formell besteht die Gesetzeslage von vor 2011 fort, inklusive Familienrecht. Der militärische und politische Zerfall Syriens hat allerdings auch Auswirkungen auf das Familienrecht, da die einzelnen politischen Gruppen in ihren Herrschaftszonen zum Teil eigene Normensysteme gebildet haben und anwenden (MPG 2018).

Eheschließung

Religionsverschiedenheit ist ein Hindernis für die Eheschließung in Syrien. So ist die Ehe einer muslimischen Frau mit einem nicht-muslimischen Mann nichtig. Eine Ehe zwischen einem muslimischen Mann und einer nichtmuslimischen Frau, sofern diese dem Christentum oder Judentum angehört, ist gültig (MPG 2018; vgl. USDOS 12.5.2021). Die Zivilehe ist nach wie vor verboten. Darüber hinaus ist das Recht der Frauen auf Erbschaft nach wie vor eingeschränkt und die Polygynie bleibt legal (LOG 2019) [Anm.: Details siehe Kapitel "Religionsfreiheit"].

Die Mitwirkung des Staates ist für die Wirksamkeit der Eheschließung nicht erforderlich. Vielmehr stellen die Eheschließung an sich und die Mitteilung bzw. Registrierung der Eheschließung bei Gericht oder einer anderen Behörde getrennte Vorgänge dar. Die Registrierung ist verpflichtend und kann entweder vor oder nach der Eheschließung erfolgen. Da eine Ehe auch formlos zustande kommen kann, gibt es oft keine vorherige Anzeige der Eheabsicht bei Gericht. Zudem können die Brautleute in vielen Fällen die erforderlichen Dokumente nicht beibringen. Der Bedarf, die informell geschlossene Ehe zu registrieren, entsteht immer dann, wenn für ein Kind aus dieser Ehe Dokumente (z.B. eine Geburtsurkunde oder die Staatsbürgerschaftsurkunde) ausgestellt werden sollen. Das Gesetz bestimmt, dass eine Registrierung der bereits geschlossenen Ehe im Nachhinein erfolgen darf, wenn festgelegte Anforderungen erfüllt sind. Im Fall einer Schwangerschaft der Ehefrau oder des Vorhandenseins von Kindern aus dieser Ehe ist diese leichter nachweisbar. Können bestimmte Unterlagen zur Gültigkeit der außergerichtlichen Eheschließung nicht vorgelegt werden, besteht die Möglichkeit, eine einvernehmliche Feststellungsklage über das Bestehen der Ehe zu erheben. Bei der Feststellungsklage werden lediglich Tatsachen festgehalten, die von den Parteien selbst vorgebracht werden. Das Gericht überprüft die vorgebrachten Behauptungen nicht (MPG o.D.a).

Nicht registrierte Ehen werden oft als „traditionelle Ehen“ oder „'Urfi-Ehen“ bezeichnet. Gründe für eine traditionelle Ehe können sein, dass das Paar unterschiedlichen islamischen Konfessionen angehört, dass es gegen die Wünsche der Familie heiratet, oder es sich um eine polygame Ehe handelt (mit oder ohne Wissen der ersten Ehefrau), die grundsätzlich im syrischen Personenstandsrecht erlaubt, jedoch strukturell beschränkt ist. Ein weiterer Grund ist, dass Männer, die in der Armee dienen, eine Genehmigung der Armee für eine Eheschließung benötigen. Ein Mann kann einer solchen Ehe auch zustimmen, um dem unehelichen Kind seiner Frau einen Vater und somit einen Familiennamen zu geben (Eijk 2013). Neben Männern, die in der Armee dienen und eine Genehmigung der Armee zur Eheschließung benötigen, brauchen auch Paare, bei denen ein Partner ausländischer Staatsbürger ist, eine Genehmigung, in diesem Fall von den Sicherheitsbehörden (MPG o.D.a; vgl. SLJ 3.10.2019). Zwei Quellen schließen die Möglichkeit einer traditionellen Eheschließung ohne Personalausweis nicht aus. Eine dieser Quellen hält es in der Praxis für unwahrscheinlich. Die Person, die die Eheschließung vornimmt, verlangt in der Regel von den Ehepartnern Dokumente, mit denen ihre Identität nachgewiesen werden kann, z. B. einen individuellen Standesamtsauszug. In der anderen Quelle heißt es, dass dies manchmal ein wichtiger Grund dafür ist, dass eine traditionelle Eheschließung außergerichtlich stattfindet, weil die Ehepartner keine Ausweispapiere haben oder sich diese nicht beschaffen können. Theoretisch braucht eine erwachsene Frau nicht die ausdrückliche Zustimmung ihres Vaters oder Vormunds, um eine traditionelle Ehe eingehen zu können. Auf die Anwesenheit des Vormunds der Frau wird jedoch großer Wert gelegt, da von ihm erwartet wird, dass er die Interessen der Familie und der Braut schützt (NMFA 6.2021).

Das Datum der Eheschließung wird bei einer nachträglichen Registrierung vom Gericht bestimmt. Wenn das Gericht die traditionelle Eheschließung als gültig anerkennt, ist das Datum der traditionellen Eheschließung das Datum der Eheschließung, nicht das Datum der Registrierung. Da es auch möglich ist Kinder ex post facto zu registrieren (oftmals gleichzeitig mit der Registrierung der Ehe), und Kinder im Kontext einer Ehe geboren werden sollten, sollte das Hochzeitsdatum hierbei jedenfalls vor dem Geburtsdatum der Kinder liegen. Daher würde es laut der Einschätzung einer Expertin für syrisches Ehe- und Familienrecht Sinn machen, dass das Gericht das Datum der traditionellen Eheschließung als das „echte Hochzeitsdatum“ festlegt (Eijk 4.1.2018). Stellvertreterehen und die Registrierung einer Ehe durch einen Stellvertreter sind möglich, selbst wenn beide Ehepartner von einem Stellvertreter repräsentiert werden (Eijk 2.1.2018).

Kinderehe und Zwangsehe

Durch eine Gesetzesänderung im Februar 2019 wurde das Ehemündigkeitsalter für Männer und Frauen mit Vollendung des 18. Lebensjahres festgelegt (LoC 8.4.2019; vgl. SLJ 3.10.2019). Es ist möglich, vor Erreichen der Altersgrenze mit Genehmigung des Familiengerichts zu heiraten. Voraussetzungen dafür sind, dass ein Junge das 15. Lebensjahr und ein Mädchen das 13. Lebensjahr vollendet hat, sie die nötige körperliche Verfassung für einen Vollzug der Ehe aufweisen und der Vormund der Eheschließung zustimmt. Ein erwachsener Mann kann seine Ehe ohne einen Ehevormund schließen. In den unterschiedlichen Strömungen des islamischen Rechts ist es jedoch umstritten, ob eine erwachsene, voll geschäftsfähige Frau ihre Ehe ohne ihren Ehevormund schließen kann (MPG o.D.a). Außerdem hat eine Frau das Recht, eine von ihrem Vormund auferlegte Ehe ohne ihre ausdrückliche Zustimmung für ungültig zu erklären. Ebenso sehen die neuen Änderungen vor, dass Frauen das Recht haben, ohne die Zustimmung ihres Vormunds zu heiraten, wenn sie 18 Jahre alt sind (LOC 8.4.2019).

Scheidung

Das syrische Personenstandsrecht erkennt auf Basis des islamischen Rechts drei Arten der Scheidung an: einseitige Scheidung oder Verstoßung durch den Ehemann (talaq), Scheidung mit gegenseitigem Einverständnis (mukhala‘a) und gerichtliche Scheidung (tafriq) (Eijk 2013). Das Scheidungsrecht steht grundsätzlich dem Ehemann zu und dieser kann ohne Angabe von Gründen die Scheidung verlangen bzw. seine Frau verstoßen (MPG o.D.a). Die einseitige Verstoßung der Ehefrau durch den Ehemann gilt als die gängige Version der Scheidung, wobei der Ehemann die Scheidung verbal oder schriftlich aussprechen kann. Die Scheidung kann vor einem Richter oder außerhalb des Gerichtes ausgesprochen und im Nachhinein beim Gericht registriert werden. Diese relativ verbreitete Art der Scheidung führt jedoch zu Fällen, in denen Frauen das Gericht aufsuchen müssen, um zu erfahren, ob sich ihre Ehemänner von ihnen scheiden haben lassen. In einer Wartezeit von etwa drei Monaten kann der Ehemann eine Frau noch zurücknehmen (Eijk 2013). Ist die Ehe zwischen denselben Personen dreimal durch Verstoßung aufgelöst worden, wie es bei talaq notwendig ist, dann entsteht ein Eheverbot zwischen den Geschiedenen. Eine Wiederheirat zwischen diesen Personen ist nur dann möglich, wenn die Ehefrau zuerst einen anderen Mann ehelicht und sich von diesem wieder scheiden lässt (MPG o.D.a).

Die Scheidung in gegenseitigem Einverständnis wird häufig von der Frau initiiert. Sie beinhaltet oftmals eine Vereinbarung, laut der der Ehemann sein Einverständnis für die Scheidung gibt, und die Ehefrau im Gegenzug teilweise oder gänzlich auf Unterhalt verzichtet. Der entsprechende Vertrag kann im Gericht oder außerhalb des Gerichtes geschlossen und ex post facto registriert werden. Jedenfalls muss die Ehefrau bei Gericht erscheinen und ihren Verzicht auf Unterhalt bekannt geben (Eijk 2013). Frauen verzichten mitunter somit für die Einwilligung ihres Ehemannes in die Scheidung auf ihren Anspruch auf Unterhalt (USDOS 12.5.2021). Eine Frau kann aus bestimmten, festgelegten Gründen auch eine gerichtliche Scheidung beantragen. So gibt es die Scheidung aufgrund von Krankheit oder Mangel („defect“) des Ehemannes, Abwesenheit oder Verschwinden des Ehemannes, Unterlassen der Unterhaltszahlungen des Ehemannes oder aufgrund von Eheproblemen. Bei dieser Art der Scheidung müssen jedoch bestimmte Beweise vorgelegt werden. Wenn beispielsweise eine Ehefrau aufgrund von Abwesenheit ihres Ehemannes die Scheidung einreichen will, muss sie diesbezüglich zweimal in drei verschiedenen nationalen Zeitungen eine Anzeige aufgeben (Eijk 2013; vgl. Emory o.D.). Es ist auch möglich ehevertragliche Vereinbarungen vor der Ehe zu treffen, aus deren Verletzung sich für die Frau ein Scheidungsrecht ergibt. Dabei kann der zukünftige Ehemann auch im Vertrag selbst der Frau eine Vollmacht zur Scheidung erteilen (MPG o.D.a).

In Bezug auf christliche Ehen werden vom Staat Ehen, die in einer Kirche geschlossen werden, als gültige Ehen anerkannt. Nach der Zeremonie sendet die Kirche die Unterlagen an das Zivilregisterbüro. Laut christlichem Familienrecht ist die Ehe ein Sakrament und es ist daher sehr schwierig sich scheiden zu lassen. Die katholische Kirche erkennt Scheidung nicht an, lediglich die Annullierung ist unter bestimmten Bedingungen möglich. Dies führt teilweise zu drastischen Maßnahmen wie einer Konversion zum Islam eines Ehepartners, um eine Scheidung zu erwirken (Eijk 2013; vgl. STDOK 8.2017).

Anerkennung von Kindern, Sorgerecht und Staatsbürgerschaft

Das in wirksamer Ehe geborene Kind gilt als vom Ehemann abstammend, wenn seit der Eheschließung die Mindestdauer einer Schwangerschaft verstrichen ist und der körperliche Kontakt der Ehegatten nicht unmöglich gewesen ist, also wenn nicht etwa einer der Ehepartner über die Dauer der Schwangerschaft hinaus abwesend war (z.B. Gefängnis). Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, so gilt das Kind dann als vom Ehemann abstammend, wenn er das Kind anerkennt oder seine Vaterschaft gerichtlich geltend macht (MPG o.D.b).

Das Islamische Recht sieht zwei Konzepte des Sorgerechtes für Kinder vor: Erstens die Vormundschaft (wilāya), welche immer der Vater bzw. dessen Seite der Familie innehat, und zweitens die physische Obsorge (ḥiḍāna), welche bei der Mutter bzw. bei ihrer Seite der Familie liegt. Für die Obsorge steht eine Vergütung durch den Vormund zu, abhängig von dessen finanziellen Verhältnissen. Mit Vollendung des 15. Lebensjahres erlischt bei Mädchen und bei Buben mit 13 Jahren das Recht auf Personenobsorge mütterlicherseits (MPG o.D.b; vgl. STDOK 8.2017). Im Falle einer Scheidung kann die Mutter die physische Obsorge über die Kinder bis zu dieser Altersgrenze erhalten (USDOS 12.5.2021), wobei die Altersgrenze hierbei von der Konfession abhängt (STDOK 8.2017). Die Gesetze bezüglich Vormundschaft (wilāya) sind laut syrischem Personenstandsrecht für alle Religionen/Konfessionen anzuwenden, zur Obsorge (ḥiḍāna) haben jedoch die jüdischen und christlichen Gemeinden eigene Regelungen (Eijk 2013).

Frauen können das Obsorgerecht auch verlieren. Etwa wenn die Mutter Christin, der Vater aber Muslim ist, könnte der Vater im Falle einer Scheidung argumentieren, dass die Mutter die Kinder nicht richtig erziehen kann (STDOK 8.2017). Es gibt auch Fälle, in denen christliche Männer zum Islam konvertiert sind und vor Scharia-Gerichten das volle Sorgerecht, also Obsorge und Vormundschaft, für ihre Kinder eingefordert haben (Eijk 2013). Geht die Mutter eine neue Ehe ein, verliert sie ebenfalls das Recht auf Obsorge (MPG o.D.b). Selbst wenn die Mutter die Obsorge innehat, besitzt der Vater stets die Vormundschaft über die Kinder und somit Entscheidungsgewalt über ihre Ausbildung oder Reisebewegungen der Kinder. Minderjährige Kinder können nicht ohne schriftliche Genehmigung ihres Vaters ins Ausland reisen, selbst wenn sie sich in Begleitung ihrer Mutter befinden. Auch nach dem Tod des Vaters geht die Vormundschaft nicht auf die Mutter, sondern auf die Familie des Vaters über (STDOK 8.2017; vgl. MPG o.D.b). Kinder können so als Druckmittel benutzt werden, um die Frau dazu zu bringen, sich nicht scheiden zu lassen oder auf Unterhaltszahlungen zu verzichten. Im Falle einer Scheidung zeigen die Gerichtsdokumente der Scheidungsverhandlung, wem das Obsorgerecht zugesprochen wurde. Ein gesondertes Dokument über den Zuspruch der Obsorge ist nicht bekannt (STDOK 8.2017).

Das Gesetz erlaubt die Weitergabe der Staatsbürgerschaft durch die Mutter nur, wenn das Kind in Syrien geboren wurde und der Vater „unbekannt“ ist. In der Praxis wird betroffenen Kindern die Staatsbürgerschaft jedoch nicht immer zuerkannt (STDOK 8.2017). Wenn ein Kind im Ausland geboren wurde, kann es die syrische Staatsbürgerschaft nur erlangen, wenn der Vater syrischer Staatsbürger ist. Die Mutter kann ihre syrische Staatsbürgerschaft nicht an ein im Ausland geborenes Kind weitergeben (SDTOK 8.2017; vgl. USDOS 30.3.2021). Wenn eine Geburt nicht registriert wird, führt dies für das Kind zu bestimmten Einschränkungen im Zugang zu Leistungen, wie Abschlusszeugnissen, Zugang zu Universitäten, Zugang zu formaler Beschäftigung oder Dokumenten (STDOK 8.2017).

Heiratsdokumente

Ein bayān zawāj ist ein Auszug aus einer Heiratsurkunde und enthält eine Reihe von Feldern oder Abschnitten. Die raqm al-wathīqa (Dokumentennummer) ist eine kodierte Nummer, die sich auf die Provinz, das zuständige Standesamt und die Seriennummer des Dokuments bezieht. Die raqm al-wathīqa ist die Nummer des Heiratsdokuments und wird vom Scharia-Gericht oder im Falle von Christen oder Drusen von einem anderen Familiengericht vergeben. Die raqm al-wāqiʿa (Vorgangsnummer) bezieht sich auf die Nummer des registrierten Vorfalls (wie Geburt, Tod, Heirat, Scheidung und damit zusammenhängende Vorfälle) und den Ort, an dem der Vorfall registriert wurde. Die raqm al-wāqiʿa wird von den Standesämtern vergeben. Das (tārīḫ) al-ʿ aqd (wörtlich das Datum des Vertrags) bezieht sich auf das Datum der Eheschließung, entweder das Datum, an dem die Ehe vor einem oder durch einen Eheschließungsbeamten des Gerichts geschlossen wurde, oder das Datum der Eheschließung, das durch rückwirkende Ratifizierung einer traditionellen Ehe durch das Gericht bestimmt wurde. Im Falle einer rückwirkenden Ratifizierung einer traditionellen oder "Urfi-Ehe" entspricht dieses Datum - wenn es korrekt ist, wie die Quelle hinzufügt - dem Datum der Eheschließung, das in der Gerichtsentscheidung zu finden ist (NMFA 6.2021).

Quellen:

 Eijk - Ester van Eijk (4.1.2018): Auskunft, per E-Mail

 Eijk - Ester van Eijk (2.1.2018): Auskunft, per E-Mail

 Eijk - Esther van Eijk (2016): Family Law in Syria. Patriarchy, Pluralism and Personal Status Laws. London: Taurus; in: Landinfo (22.8.2018)

 Eijk - Esther van Eijk (2013): Family law in Syria: a plurality of laws, norms, and legal practices. Dissertation, Universität Leiden, https://openaccess.leidenuniv.nl/bitstream/handle/1887/21765/Binnenwerk%20Proefschrift_EvanEijk_26July%202013%20corr.pdf?sequence=20 , Zugriff 24.7.2020

 Emory - Universität Emory (o.D.): Islamic Family Law - Syria (Syrian Arab Republic), https://scholarblogs.emory.edu/islamic-family-law/home/research/legal-profiles/syria-syrian-arab-republic/ , Zugriff 17.8.2020

 Landinfo - Norwegian Country of Origin Information Centre [Norwegen] (22.8.2018): Syria: Marriage legislation and traditions, https://www.ecoi.net/en/file/local/1454015/1788_1544606711_2208.pdf , Zugriff 13.9.2021

 LoC - Library of Congress [USA] (8.4.2019): Syria: Women’s Rights in Light of New Amendments to Syrian Personal Status Law, https://www.loc.gov/law/foreign-news/article/syria-womens-rights-in-light-of-new-amendments-to-syrian-personal-status-law/ , Zugriff 17.8.2020

 MPG - Max-Planck-Gesellschaft (2018): Familienrecht im Nahen Osten - Zum gegenwärtigen Stand der Rechtsordnung und des Familienrechts in Syrien [Stand Herbst 2018], https://www.familienrecht-in-nahost.de/11318/Syrien-Rechtslage , Zugriff 17.8.2020

 MPG - Max-Planck-Gesellschaft (o.D.a): Kommentar zum staatlichen Familienrecht: Die Ehe, https://www.familienrecht-in-nahost.de/8555/Syrien-Kommentar-Ehe , Zugriff 24.7.2020

 MPG - Max-Planck-Gesellschaft (o.D.b): Familienrecht im Nahen Osten - Kindschaftsrecht: Die Geburt und ihre Wirkungen im syrischen Personalstatutsgesetz v. 1953 (PSG), https://www.familienrecht-in-nahost.de/8409/Syrien-Personalstatutsgesetz_Geburt , Zugriff 17.8.2020

 NMFA - Netherlands Ministry of Foreign Affairs [Niederlande] (6.2021): Country of Origin Information Report Syria, file:///tmp/EN-AAB-Syrie-juni-2021.pdf, Zugriff 3.9.2021

 ÖB - Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (29.9.2020): Asylländerbericht Syrien 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038328/Asyländerbericht+2020+(Stand+29092020)+.pdf , Zugriff 12.10.2020

 SLJ - Syrian Law Journal (3.10.2019): A Comprehensive Insight into Syrian Family Law, http://www.syria.law/index.php/comprehensive-insight-syrian-family-law/ , Zugriff 17.8.2020

 STDOK - Staatendokumentation des BFA [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien - mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf , Zugriff 24.7.2020

 UNHRC - United Nations Human Rigths Council (15.8.2019): Report of the Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic [A/HRC/42/51], https://www.state.gov/wp-content/uploads/2019/03/SYRIA-2018.pdf , Zugriff 24.7.2020

 USDOS - United States Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom - Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2051586.html , Zugriff 10.6.2021

 USDOS - United States Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048105.html , Zugriff 10.6.2021

 WB - World Bank (6.2.2019): The Mobility of Displaced Syrians - An Economic and Social Analysis, https://openknowledge.worldbank.org/bitstream/handle/10986/31205/9781464814013.pdf , Zugriff 17.8.2020

Bewegungsfreiheit

Bewegungsfreiheit innerhalb Syriens

Letzte Änderung: 01.10.2021

Die Regierung, Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) und andere bewaffnete Gruppen beschränken die Bewegungsfreiheit in Syrien und richteten Checkpoints zur Überwachung der Reisebewegungen in den von ihnen kontrollierten Gebieten ein (USDOS 30.3.2021).

Die Bewegungsfreiheit der syrischen Bevölkerung wird auch durch aktive Kampfhandlungen eingeschränkt (UNSC 23.10.2018), etwa durch Belagerungen, die auch zur Einschränkung der Versorgung der betroffenen Gebiete und damit zu Mangelernährung, Hunger und Todesfällen führen (USDOS 30.3.2021). Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2018 befinden sich jedoch weit weniger Gebiete unter Belagerung, nachdem die Regierung und sie unterstützende ausländische Einheiten die meisten Gebiete im Süden und Zentrum des Landes wieder unter ihre Kontrolle gebracht haben (SHRC 24.1.2019). Vom 24.6. bis zum 9.9.2021 wurde Dara'a al-Balad von der syrischen Regierung und russischen Streitkräften belagert. Die Hauptverbindungsstraßen zwischen Dara'a al-Balad, dem Teil von Dara'a, der noch unter der teilweisen Kontrolle der versöhnten Oppositionellen stand, und anderen Teilen der Stadt sowie zu den Außenbezirken wurden abgeschnitten (COAR 5.7.2021).

Durch die Wiedereroberung vormals von Rebellen gehaltener Gebiete durch die Regierung konnten manche wichtige Verkehrswege wieder eröffnet werden. Dies verbessert den Personen- und Warenverkehr in von der Regierung gehaltenen Gebieten. Die Bedingungen sind immer noch schwierig (Reuters 27.9.2018). Die Infrastruktur im Land hat unter den Kriegswirren erheblich gelitten. In den Städten und auf den Hauptverbindungsstraßen Syriens gibt es eine Vielzahl militärischer Kontrollposten der syrischen Sicherheitsbehörden und bewaffneter Milizen, die umfassende und häufig willkürliche Kontrollen durchführen, teils verbunden mit Forderungen nach Geldzahlungen. Überlandstraßen und Autobahnen sind zeitweise gesperrt. Reisen im Land ist durch Kampfhandlungen vielerorts weiterhin sehr gefährlich. Die komplexen militärischen Auseinandersetzungen betreffen weiterhin zahlreiche Städte und Regionen (AA 1.8.2021)

Die Fortbewegung in der Stadt Damaskus hat sich Berichten zufolge seit Mai 2018 und der damaligen Wiedereroberung von oppositionellen Gebieten durch die Regierung verbessert, da z.B. seither weniger Checkpoints in der Stadt betrieben werden. Die Checkpoints werden von den unterschiedlichen Sicherheitsbehörden bemannt. Personen können beim Passieren von Checkpoints genaueren Kontrollen unterliegen, wenn sie aus oppositionell-kontrollierten Gebieten stammen oder dort wohnen, oder auch wenn sie Verbindungen zu oppositionellen Gruppierungen haben. Männer im wehrfähigen Alter werden auch hinsichtlich des Status ihres Wehrdienstes gesondert überprüft. Auch eine Namensgleichheit mit einer gesuchten Person kann zu Problemen an Checkpoints führen (DIS/DRC 2.2019). Die Behandlung von Personen an einem Checkpoint kann sehr unterschiedlich (DIS 9.2019) bzw. recht willkürlich sein. Die fehlende Rechtssicherheit und die in Syrien im Verlauf des Konfliktes generell gestiegene Willkür verursacht auch Probleme an Checkpoints (FIS 14.12.2018). Laut Human Rights Watch wird Personen, die aus vom IS gehaltenen Gebieten flüchten, der Zutritt in kurdisch kontrollierte Gebiete verweigert, wenn diese keinen kurdischen Fürsprecher (Sponsor) vorweisen können (HRW 1.8.2018).

Teilen der syrischen Bevölkerung, speziell Rückkehrern und Menschen in Gebieten, die vom Regime zurückerobert wurden, fehlt weiterhin der Zugang zu für den persönlichen Alltag, Dienstleistungen und ihre Bewegungsfreiheit notwendigen Personal-und Personenstandsdokumenten (AA 19.5.2020).

Die vorherrschende Gewalt und starke kulturelle Zwänge schränken die Bewegungsfreiheit von Frauen in vielen Gebieten stark ein. In Gebieten, die von bewaffneten Oppositionsgruppen und terroristischen Gruppen wie der islamistischen Miliz Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) kontrolliert werden, schränken diese ebenfalls die Bewegungsfreiheit ein. HTS griff systematisch in die Bewegungsfreiheit von Frauen ein, belästigte unbegleitete Frauen und verwehrte ihnen unter Androhung von Haft den Zugang zu öffentlichen Veranstaltungen (USDOS 30.3.2021).

Anm.: Informationen zu Zugangsbeschränkungen zu Herkunftsgebieten siehe Kapitel „Rückkehr“.

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (1.8.2021): Syrien: Reisewarnung: Reisewarnung, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/syrien-node/syriensicherheit/204278 , Zugriff 28.9.2021

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.5.2020): Fortschreibung des Berichts über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom November 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2031629/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Fortschreibung_des_Berichts_%C3%Bcber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_vom_November_2019_%28Stand_Mai_2020%29%2C_19.05.2020.pdf , Zugriff 7.9.2020

 COAR - Center for Operational Analysis and Research (5.7.2021): Dar’a Siege: Russia Abouts Face, Amps up Pressure, https://coar-global.org/2021/07/05/dara-siege-russia-abouts-face-amps-up-pressure/ , accessed 27.9.2021

 DIS - Danish Immigration Service [Dänemark] (9.2019): Syria - Access to Damascus Province for Individuals from Former Rebel-held Areas, https://www.ecoi.net/en/file/local/2017468/COI_report_Syria_Access+to+Damascus+Province_sept_2019.pdf , Zugriff 8.9.2020

 DIS/DRC - Danish Immigration Service [Dänemark] / Danish Refugee Council (2.2019): Security Situation in Damascus Province and Issues Regarding Return to Syria, https://nyidanmark.dk/-/media/Files/US/Landerapporter/Syrien_FFM_rapport_2019_Final_31012019.pdf?la=da&hash=A4D0089B4FB64FC6E812AF6240757FC0097849AC , Zugriff 8.9.2020

 FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (14.12.2018): Syria: Fact-Finding Mission to Beirut and Damascus, April 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Syria_Fact-finding+mission+to+Beirut+and+Damascus%2C+April+2018.pdf , Zugriff 22.7.2020

 HRW - Human Rights Watch (1.8.2018): Syria: Thousands of Displaced Confined to Camps, https://www.ecoi.net/en/document/1439887.html , Zugriff 8.9.2020

 Reuters (27.9.2018): Easier movement in Assad’s Syria brings some economic reward, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-syria-economy-transpor/easier-movement-in-assads-syria-brings-some-economic-reward-idUSKCN1M71YD , Zugriff 8.9.2020

 SHRC - Syrian Human Rights Committee (24.1.2019): The 17th Annual Report on Human Rights in Syria 2018, http://www.shrc.org/en/wp-content/uploads/2019/01/English_Web.pdf , Zugriff 22.7.2020

 UNSC - United Nations Security Council (23.10.2018): Implementation of Security Council resolutions 2139 (2014), 2165 (2014), 2191 (2014), 2258 (2015), 2332 (2016), 2393 (2017) and 2401 (2018) [S/2018/947], https://www.ecoi.net/en/file/local/1450109/1226_1542035101_n1833353.pdf , Zugriff 8.9.2020

 USDOS - United States Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048105.html , Zugriff 10.6.2021

Ein- und Ausreise, Situation an Grenzübergängen

Letzte Änderung: 01.10.2021

Die syrische Regierung kann die Ausstellung von Reisepässen oder anderen wichtigen Dokumenten aufgrund der politischen Einstellung einer Person, deren Verbindung zu oppositionellen Gruppen oder der Verbindung zu einem von der Opposition dominierten geographischen Gebiet, verweigern. Das syrische Regime verlangt außerdem ein Ausreisevisum und schließt regelmäßig den Flughafen Damaskus und Grenzübergänge, angeblich aus Sicherheitsgründen (USDOS 30.3.2021).

Insbesondere in der Provinz Idlib ist die Lage weiterhin volatil und es kommt nach wie vor zu teils intensiven Kampfhandlungen. Flüchtlingsbewegungen finden in die angrenzenden Nachbarländer statt. Grenzen sind zum Teil für den Personenverkehr geschlossen bzw. können ohne Vorankündigung kurzfristig geschlossen werden und eine Ausreise aus Syrien unmöglich machen (AA 1.8.2021). Die Regierung verbietet durchgängig die Ausreise von Mitgliedern der Opposition. Viele Personen erfahren erst von einem Ausreiseverbot, wenn ihnen die Ausreise verweigert wird. Berichten zufolge verhängt das Regime Reiseverbote ohne Erklärung oder explizite Nennung der Dauer (USDOS 30.3.2021).

Minderjährige Kinder können nicht ohne schriftliche Genehmigung ihres Vaters ins Ausland reisen, selbst wenn sie sich in Begleitung ihrer Mutter befinden (STDOK 8.2017). Außerdem gibt es ein Gesetz, das Ehemännern erlaubt, ihren Ehefrauen das Reisen zu verbieten (USDOS 30.3.2021).

Einige in Syrien aufhältige Palästinenser brauchen für eine legale Ausreise aus Syrien eine Genehmigung und müssen sich zusätzlich einer weiteren Sicherheitskontrolle unterziehen, dies hängt jedoch von ihrem rechtlichen Status in Syrien ab (STDOK 8.2017).

Infolge der COVID-19-Pandemie wurden sowohl der Flughafen Damaskus als auch die Grenzen zu den Nachbarländern geschlossen. Innerhalb des Landes wurden mehrere Maßnahmen zur Begrenzung der Ausbreitung umgesetzt, darunter Ausgangssperren. Reisen zwischen den Provinzen wurde weitestgehend untersagt (AA 19.5.2020). Es gab jedoch bereits wieder Lockerungen, sowohl für Reisen in das Ausland, als auch bei der Einreise nach Syrien. Der Flugbetrieb am internationalen Flughafen in Damaskus wurde wieder aufgenommen (BMEIA 19.8.2020). Es kommt jedoch zu verstärkten Einreisekontrollen, Gesundheitsprüfungen und Einreisesperren (AA 19.8.2020). Die Reisebeschränkungen zwischen Städten und Umland wurden wieder aufgehoben (FES 7.2020).

Quellen:

 AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (1.8.2021): Syrien: Reisewarnung: Reisewarnung, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/syrien-node/syriensicherheit/204278 , Zugriff 28.9.2021

 AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.5.2020): Fortschreibung des Berichts über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom November 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2031629/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Fortschreibung_des_Berichts_%C3%Bcber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_vom_November_2019_%28Stand_Mai_2020%29%2C_19.05.2020.pdf , Zugriff 7.9.2020

 BMEIA – Bundesministerium für Europäische und internationale Angelegenheiten [Österreich] (14.9.2020): Syrien - Aktuelle Hinweise, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/syrien/ , Zugriff 14.9.2020

 FES – Friedrich-Ebert-Stiftung (7.2020): COVID-19 and the Syrian Regime, An Opportunity to tighten its authoriarian control over society, http://library.fes.de/pdf-files/bueros/beirut/16329-20200708.pdf , Zugriff 14.9.2020

 STDOK – Staatendokumentation des BFA [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien - mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf , Zugriff 24.7.2020

 USDOS – United States Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 – Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048105.html , Zugriff 10.6.2021

Binnenvertriebene (IDPs) und Flüchtlinge

Letzte Änderung: 01.10.2021

Binnenvertriebene (IDPs)

Im Jahr 2020 registrierte UNOCHA in Syrien rund 1,8 Millionen Binnenvertriebene. Ca. 450.000 Binnenvertriebene kehrten in diesem Jahr dagegen zurück (UNOCHA 8.2.2021). Insgesamt beläuft sich die Zahl der Binnenvertriebenen mit Stand 2020 auf 6,6 Millionen (CIA 22.9.2021). 1,8 Millionen Vertreibungen wurden im Jahr 2020 durch Konflikt und Gewalt verzeichnet (IDMC o.D.). Die meisten Binnenflüchtlinge suchen in Gastgemeinden, Sammelzentren, verlassenen Gebäuden oder informellen Lagern Schutz (USDOS 30.3.2021).

Die Verschiebung der Frontlinien und die daraus folgenden Veränderungen der Sicherheitslage führten zu mehrmaliger Vertreibung von Personen. IDPs verließen bei einem Rückgang der Gewalt [in einem Gebiet] ihre Unterkünfte und kehrten in ihre Heimat zurück, nur um dann erneut zu fliehen, nachdem die Kämpfe wieder eskalierten (IDMC o.D.).

Die Regierung verwendete weiterhin Gesetz Nr. 10, um regierungstreue Personen zu belohnen und Flüchtlinge und IDPs daran zu hindern, ihr Eigentum einzufordern oder in ihre Heimat zurückzukehren (USDOS 12.5.2021).

Flüchtlinge

Das syrische Gesetz bietet die Möglichkeit den Flüchtlingsstatus zu gewähren. Das Gesetz garantiert Flüchtlingen nicht explizit das Recht auf Arbeit, außer Palästinensern mit einem bestimmten rechtlichen Status. Die Regierung gewährt Nicht-Palästinensern selten Arbeitsgenehmigungen, und viele Geflüchtete finden im informellen Sektor Arbeit, z.B. als Wachpersonal, Bauarbeiter, Straßenhändler oder in anderen manuellen Berufen (USDOS 30.3.2021).

Die Regierung gewährt irakischen Flüchtlingen Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen, wie Gesundheitsversorgung und Bildung, doch Aufenthaltsgenehmigungen sind nur für jene erhältlich, die legal einreisen und einen gültigen Pass haben. Diese Kriterien erfüllten nicht alle Flüchtlinge. Es wird geschätzt, dass sich 23.600 nicht-palästinensische Flüchtlinge in Syrien aufhalten. Diese sind mit wachsenden Risiken und verstärkten Sicherheitsmaßnahmen bei Checkpoints konfrontiert (USDOS 30.3.2021).

[Anm.: Weitere Informationen zur Rückkehr von Binnenvertriebenen und Flüchtlingen siehe Kapitel „Rückkehr“. Für weitere Informationen zu palästinensischen Flüchtlingen in Syrien siehe Kapitel „Palästinensische Flüchtlinge“]

Quellen:

 CIA - Central Intelligence Agency [USA] (22.9.2021): The World Factbook: Syria - Transnational Issues, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/syria/#transnational-issues , Zugriff 1.10.2021

 IDMC - Internal Displacement Monitoring Centre (o.D.): Countries - Syria, http://www.internal-displacement.org/countries/syria , Zugriff 30.9.2021

 UNOCHA Turkey - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs Turkey (8.2.2021): Syrian Arab Republic: IDP movements and IDP spontaneous return movements Data, https://data.humdata.org/dataset/daa955d0-fb67-402b-ae3a-4552a889b5bb/resource/a5560639-fced-4198-a727-8e456a3391bf/download/idp-movements-and-idp-spontaneous-return-movements-data-dec-2020-toshare.xlsx , Zugriff 9.2.2021

 USDOS - United States Department of State [USA] (12.5.2021): 2020 Report on International Religious Freedom - Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2051586.html , Zugriff 10.6.2021

 USDOS - United States Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048105.html , Zugriff 10.6.2021Grundversorgung und Wirtschaft

Letzte Änderung: 01.10.2021

Der seit 2011 andauernde Krieg in Syrien hat massive Auswirkungen auf die Wirtschaftsleistung, die Sicherheitslage und die humanitäre Lage im Land. Die Regierung Syriens sieht sich mit internationalen Sanktionen, einer breiten Zerstörung der Infrastruktur, geringen Devisenreserven, der weiterhin nicht vollständigen territorialen Kontrolle aller Landesteile, einer hohen Anzahl an Binnenflüchtlingen sowie der Präsenz kleinerer terroristischer Gruppen konfrontiert. Die im November 2018 und März 2019 erfolgte Verschärfung der US-Sanktionen und das Auslaufen der iranischen Kredite für Ölimporte 2018 führten zu einem massiven Versorgungsengpass an Öl (WKO 17.10.2019).

Landesweite Wirtschaftsindikatoren zeigen die Lage in Syrien jedoch nur unvollständig, da die Situation regional unterschiedlich ist und davon abhängt, unter wessen Kontrolle das jeweilige Gebiet steht (BS 29.4.2020). Auch basiert das Zahlenmaterial teils auf Schätzungen oder Statistiken, die regionale Unterschiede missachten, nicht flächendeckend sind oder zu Propagandazwecken veröffentlicht werden (WKO 10.2019). Die syrische Regierung kontrolliert den Zugang zu humanitärer Hilfe und die Sammlung von Daten (EIP 6.2019).

Währung und Inflation

Syriens Wirtschaftsleistung hat sich stark verschlechtert während des Konflikts und ist um mehr als 70% von 2010 bis 2017 gesunken (CIA 22.9.2021). Das Jahr 2020 erlebte einen besonders rapiden wirtschaftlichen Niedergang, vor allem in den vom Regime kontrollierten Gebieten. Auf den Märkten kam es zu Einschränkungen bei lebenswichtigen Produkten und einer enormen Preisinflation. Der Wert der syrischen Lira [auch "Pfund"] sank auf ein während des gesamten Krieges noch nie da gewesenes Niveau (SHRC 1.2021). Sie hatte seit Konfliktbeginn bis Ende 2020 bereits 97% ihres Wertes verloren – und allein von 2019 bis 2021 sogar 78% (TNH 28.6.2021, vgl. WB 9.3.2021).

Lebensmittelpreise in Syrien haben 2021 einen Rekordwert erreicht, mit Preisen für Grundnahrungsmittel, die alleine im letzten Jahr um 251% gestiegen sind. Familien haben Schwierigkeiten, ihre Grundbedürfnisse nach Jahren des Konflikts zu stillen und ringen um ausreichend Nahrung (RW 17.2.2021). Der Nachrichtendienst des syrischen Regimes SANA gab an, dass sich der Preis für Dieselkraftstoff am 10.7.2021 verdreifacht und der Preis für Brot verdoppelt hat, ein paar Tage nachdem Damaskus eine 25%-ige Erhöhung des Benzinpreises ankündigte (DS 11.7.2021, vgl SO 12.7.2021, AJ 11.7.2021). Dieser Schritt ging einher mit einem von al-Assad erlassenen Dekret, das die Gehälter im öffentlichen Dienst um 50%, sowie das Mindesteinkommen von 19 auf 28 US-$ erhöht (SO 12.7.2021). Versorgungsengpässe halten an oder verschlimmern sich. Mit Stand Ende 2020 sind subventionierte Basisgüter nur in begrenztem Umfang über eine elektronische Karte zu beziehen, zuerst Benzin und Heizöl, dann Reis, Zucker, Tee und Speiseöl, zuletzt sogar Brot. Rücküberweisungen der syrischen Diaspora, die bisher eine wichtige Einnahmequelle darstellen, sinken. Die andauernde politische und wirtschaftliche Krise im benachbarten Libanon hemmt die Aussichten auf wirtschaftliche Erholung in Syrien zusätzlich, da auf umfangreiche syrische Vermögenswerte in libanesischen Banken nicht mehr zugegriffen werden kann und die Abwicklung von Importen nach Syrien über den Hafen und Finanzplatz Beirut auch weiterhin nur in begrenztem Maße möglich ist. Mitte 2020 führten die türkisch-kontrollierten Gebiete in Nordsyrien die türkische Lira als Währung ein, um das volatile syrische Pfund zu umgehen (AA 4.12.2020).

Die generelle Armut wird von UNOCHA auf etwa 90% geschätzt, mit einer Steigerung um 3-4 Prozentpunkte im Vergleich zu 2019. Extreme Armut wird auf 55-65% geschätzt (UNOCHA 3.2021b).

Wasser- und Stromversorgung

Die Trinkwasser- und Stromversorgung ist vor allem in den umgekämpften Gebieten infolge gezielter Zerstörung vor allem in umkämpften Gebieten eingeschränkt. 15,5 Millionen Menschen benötigten 2019 dringend Zugang zu (Trink-)Wasser, Sanitär- und Hygieneeinrichtungen (2018: 12,1 Mio.). Insbesondere im Süden (Dara‘a, Quneitra) sowie im Norden (Idlib, Aleppo) ist die Bevölkerung in hohem Maße auf durch Lastwagen im Rahmen der humanitären Hilfe geliefertes Wasser angewiesen (AA 4.12.2020). Laut UNDP haben 70% der syrischen Bevölkerung keinen regulären Zugang zu sicherem Trinkwasser aufgrund von Wasserausfällen und der Zerstörung grundlegender Infrastruktur (UNDP o.D.).

In Gebieten im Nordwesten und Nordosten Syriens sowie Landesteilen mit einem hohen Anteil an Binnenvertriebenen ist die humanitäre Lage besonders angespannt. Die kritische Versorgungslage hat in Regionen mit einem besonders hohen Anteil Binnenvertriebener (z.B. Provinz Idlib, aber auch Zufluchtsorte in den Provinzen Homs, Damaskus, Lattakia und Tartous) darüber hinaus vereinzelt zu Ablehnung und Abweisung von Neuankömmlingen geführt, die als Konkurrenten in Bezug auf die ohnehin sehr knappen Ressourcen gesehen werden. Nach wie vor verhindert das Regime Hilfslieferungen über die Konfliktlinien in Oppositionsgebiete. Laut Angaben der Vereinten Nationen vom März 2021 benötigen 13,4 Mio. Menschen in Syrien humanitäre Hilfe. Dies stellt eine Steigerung von 21% gegenüber dem Jahr 2020 dar. Mehr als 90% der Bevölkerung leben Schätzungen zufolge unterhalb der Armutsgrenze (UNOCHA 3.2021b). Ausreichender humanitärer Zugang und Schutz der Zivilbevölkerung stellen weiter die größte Herausforderung dar. Das syrische Regime gewährt weiterhin keinen ausreichenden Zugang zu den zurückeroberten Gebieten. Insgesamt wurden im Februar und März 2020 nur 44% der humanitären Missionen, die einer Genehmigung des Regimes bedürfen, genehmigt (AA 19.5.2020).

Aufgrund der häufigen Ausfälle der Wasserstation Alouk, zuletzt Mitte Juli 2021 im türkisch kontrollierten Ras al-Ain im Norden Syriens, ist der Zugang zu Wasser in der Provinz al-Hassakah für bis zu einer Millionen Menschen sehr eingeschränkt, auch viele der vulnerabelsten vertriebenen Familien in Camps und informellen Siedlungen sind betroffen (RW 15.7.2021). Medienberichten zufolge erreicht außerdem die Verschmutzung wichtiger Gewässer ein kritisches Niveau. In vielen Gebieten ist das verschmutzte Wasser nicht mehr für den Konsum geeignet (COAR 31.5.2021).

In den letzten Monaten wurde im Nordosten auch die Stromversorgung beeinträchtigt unter anderem in Ras al-Ain, al-Hassakah, ar-Raqqa und Deir ez-Zour Stadt. Stromunterbrechungen sind für lebenswichtige zivile Infrastruktur, wie Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen essentiell (UNOCHA 15.7.2021). Regime-kontrollierte Gebiete erhalten nur zwei Stunden täglich Strom. In manchen Gebieten halten die Stromausfälle bis zu 48 Stunden an (COAR 5.7.2021). Die regenarme Saison, die zu Wasserknappheit und dürftiger Ernte geführt hat, hat in Nordsyrien bereits zu Spannungen geführt. Die Wasserknappheit verschlimmert sich durch den Einsatz von Wasserversorgung als Waffe durch die Konfliktparteien, besonders durch das Regime, die Autonome Administration und die Türkei, sowie durch das Missmanagement und die Überausbeutung des Grundwassers (COAR 5.7.2021).

Lebensmittelversorgung

Das Welternährungsprogramm gab im März 2021 bekannt, dass 12.4 Mio. Syrer, doppelt so viele wie noch im Jahr 2018, von Lebensmittelknappheit oder Hunger betroffen seien (BAMF 28.6.2021). 1,27 Millionen Syrer sind von „schwerer“ Ernährungsunsicherheit betroffen oder können nicht ohne Nahrungsmittelhilfe überleben, 600.000 Kinder sind chronisch unterernährt und 90.000 Kinder sind akut unterernährt (UNOCHA 3.2021a, vgl. COAR 5.7.2021). Im Juli 2020 setzte die Russische Föderation für ihren Verbündeten Syrien durch, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen humanitäre Hilfslieferungen in den hauptsächlich von Rebellen kontrollierten Nordwesten des Landes nur mehr über einen Grenzübergang von der Türkei aus zu liefern (EN 12.7.2020). Der UN Sicherheitsrat beschloss am 9.7.2021 das Mandat für diesen Grenzübergang (Bab al-Hawa) von der Türkei nach Syrien zu verlängern, nachdem Russland in letzter Minute zugestimmt hatte. Dadurch wird der Zugang zu UN-Hilfsgütern für Millionen von Syrern weitere 12 Monate gewährleistet (DS 9.7.2021).

Die lange andauernden kriegerischen Handlungen führten auch zu einer Zerstörung der landwirtschaftlichen Infrastruktur. Die COVID-19-Krise hat dies noch weiter verschärft. Im Jahresverlauf 2020 ist die Zahl der Menschen, deren Ernährung nicht gesichert ist, dramatisch gestiegen. Zu den Gebieten mit der größten Ernährungsunsicherheit gehören Lattakia, Raqqa und Aleppo (UNFAO 13.8.2020). Anfang 2021 sind 12,4 Mio. Menschen in Syrien von Ernährungsunsicherheit betroffen (WFP 3.2021), eine Steigerung um 56% von 7.9 Millionen 2019 (UNOCHA 3.2021a). Vulnerable Bevölkerungsgruppen, darunter Vertriebene und Haushalte mit weiblichem Haushaltsvorstand, sind einem größeren Risiko der Ernährungsunsicherheit ausgesetzt. Die Transportkosten sind im Allgemeinen um etwa 30% gestiegen, in abgelegenen Gebieten sogar noch stärker, was die Warenlieferungen an die Märkte beeinflusst (UNFAO 13.8.2020). Trotz der Brotkrise weigerte sich das Regime im Jahr 2020 oft, private Bäcker in Gebieten, die zuvor von der Opposition kontrolliert wurden, zuzulassen (USDOS 30.3.2021).

Die Syrische Regierung hat immer wieder humanitäre Hilfe als strategische Waffe eingesetzt um ihre Konfliktziele zu erreichen, wie zuletzt in der Belagerung von Dara’a Stadt zwischen 24.6. und 26.7.2021 (COAR 19.7.2021).

Infrastruktur

Vor dem Krieg betrug das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Syriens 60 Milliarden US-Dollar (TE 28.6.2018). In Relation zum Vorkriegsniveau ist das BIP um etwa 65% zurückgegangen (CHH 26.9.2019). Unterschiedlichen Schätzungen zufolge könnten die Kosten des Wiederaufbaus bei 250 bis 400 Milliarden oder sogar einer Billion US-Dollar liegen (SWP 20.7.2020). Im Verlauf der bewaffneten Auseinandersetzungen ist Syriens Infrastruktur weitgehend zerstört worden. Dies betrifft vor allem den Energiesektor inklusive Öl- und Gasförderung sowie Elektrizitätswerke, Straßen und Transportwege sowie Wasser- und Abwasserversorgung. Zu massiven Schäden kam es ebenso beim Wohnungsbestand, bei Gesundheits- und Bildungseinrichtungen sowie in der Landwirtschaft. Dabei sind die Kriegsschäden sehr ungleich verteilt. Schwere Zerstörungen gibt es vor allem in jenen Gebieten, die teils jahrelang umkämpft waren und die durch das Regime und seine Verbündeten von den Rebellen oder dem sogenannten Islamischen Staat (IS) zurückerobert wurden. Insbesondere gilt das für die östlichen Vororte von Damaskus, für Yarmouk, ein Flüchtlingscamp am Südrand der Hauptstadt, ebenso für Ost-Aleppo, Raqqa, Homs und Hama. Vor allem in den (vormals) umkämpften Orten ist die Versorgung mit Gesundheitsdienstleistungen, Schulbildung, Trinkwasser und Elektrizität erheblich eingeschränkt (SWP 7.4.2020).

Die syrische Regierung bemüht sich den Wiederaufbau voranzutreiben, doch kann dieser im Hinblick auf die Dimension der Zerstörung im Land im Moment nur als sehr eingeschränkt und sehr punktuell bezeichnet werden. Die Ankündigung von Projekten dient demnach eher der internen Propaganda bzw. dem Versuch, vor allem in Gebieten, in denen die syrische Regierung erst seit Kurzem wieder die Kontrolle erlangt hat, ein politisches Signal zu senden und die Präsenz des Staates zu bekräftigen (WKO 10.2019). Erhebliche Teile bestimmter Städte wurden durch den Konflikt teils stark zerstört und sind auch mittel- bis langfristig nicht bewohnbar, wie z.B. Teile von Homs, Ost-Aleppo, Raqqa, die Vororte von Damaskus, Deir ez-Zour, Dara‘a und Idlib. Im vom sogenannten IS befreiten Raqqa ist das Ausmaß der Zerstörung sehr hoch, hinzu kommt die immense Kontaminierung durch nicht explodierte Munition und IS-Sprengfallen. Am wenigsten vom Konflikt betroffen sind neben dem Stadtzentrum der Hauptstadt Damaskus die Hafenstädte Tartous und Lattakia (AA 4.12.2020). Vor allem im westlichen Teil des Landes ist aufgrund der weiterhin vorhandenen Strukturen und neu angesiedelter Industriebetriebe eine stärkere wirtschaftliche Entwicklung zu beobachten. Von einer Normalisierung der Wirtschaft ist man nach wie vor jedoch weit entfernt (WKO 10.2019).

Die Stadt Damaskus erstreckt sich über eine große Fläche und der Beschädigungsgrad variiert stark. Es gibt Stadtteile, die dem Erdboden gleichgemacht wurden, andere weisen klare Spuren des Krieges auf und wiederum andere sehen mit Ausnahme der Checkpoints und der starken Militärpräsenz so aus wie vor dem Krieg (WKO 11.2018).

Einkommen und Arbeitslosigkeit

Durch den Bürgerkrieg haben sich bestehende Einkommens- und Vermögensungleichheiten verschärft, indem gleichzeitig große Teile der Bevölkerung in die Armut getrieben und die Konsolidierung einer wohlhabenden Wirtschaftselite in den von der Regierung kontrollierten Gebieten ermöglicht wurde. Die Mittelschicht ist landesweit verschwunden. Es zeichnet sich ein Muster der Ungleichheit innerhalb der von der Regierung kontrollierten Gebiete ab: Ehemals von der Opposition kontrollierte Gebiete sind anfälliger für die Verletzung ihrer wirtschaftlichen Freiheiten (durch Plünderungen und Einschüchterungen) und haben weniger Chancen, von Wiederaufbaugeldern zu profitieren. Die Entwicklungsungleichheit folgt zunehmend der historischen Loyalität einer Region gegenüber dem Regime Assads und nicht mehr dem ethnischen oder religiösen Status (BS 29.4.2020).

Der Zugang zu Sozialleistungen wird häufig durch die geografische Lage und die politische Kontrolle bestimmt. In den von der Regierung kontrollierten Gebieten waren bestimmte Sozialleistungen eine wichtige Stütze für die "Leistungsfähigkeit des Staates", vor allem der fortgesetzte Zugang zu subventioniertem Brot. Das Regime versucht jedoch auch, den Zugang zu Sozialleistungen in Rebellengebieten zu verhindern. Dies geschieht häufig durch die Ausbeutung von Hilfslieferungen an Checkpoints durch Regimekräfte sowie durch andere bewaffnete Gruppen. Mangelnde Überwachung bedingt außerdem, dass die Hilfe, selbst wenn sie die betroffenen Gebiete erreicht, oft nach politischen Loyalitäten oder familiären Bindungen verteilt wird. Die Regierung verlässt sich zunehmend auf Wohltätigkeitsverbände bei der Vergabe von Sozialleistungen und Unterstützungen (BS 29.4.2020).

Mit dem Abflauen des Konflikts dominiert die katastrophale wirtschaftliche Lage und die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten die öffentliche Wahrnehmung und Kritik, auch seitens bisher regierungsloyaler Bevölkerungsgruppen (ÖB 29.9.2020). Wirtschaftliche Verluste führten zum Verlust von Arbeitsplätzen. Inzwischen gehen laut GIZ drei von vier Erwachsenen keiner beruflichen Tätigkeit mehr nach (GIZ 9.2020). Das deutsche Auswärtige Amt berichtet hingegen, dass 50% der arbeitsfähigen Bevölkerung arbeitslos sind (AA 4.12.2020). Der Think Tank Middle East Institute berichtete schon 2018, dass es in Damaskus immer schwieriger wird ohne Beziehungen (wasta) eine Arbeitsmöglichkeit zu finden (MEI 6.11.2018). Aufgrund von Treibstoffknappheit verteuern sich auch viele Grundprodukte, und die Preise öffentlicher Verkehrsmittel erhöhten sich teilweise um bis zu 200%, sodass für viele Menschen der Weg zur Arbeit inzwischen teurer ist als ihr Gehalt (AA 4.12.2020).

Internationale Sanktionen, große strukturelle Schäden, der verringerte Konsum und die geminderte Produktion, reduzierte Subventionen und die hohe Inflation senken unter anderem den Wert des syrischen Pfunds und die Kaufkraft privater Haushalte (CIA 16.7.2021; vgl. TS 22.1.2020). Im Jänner 2020 erließ Assad ein Dekret, wonach das syrische Pfund bei geschäftlichen Transaktionen als Währung zwingend vorgeschrieben ist. Geschäfte mit ausländischen Währungen werden mit bis zu sieben Jahren Zwangsarbeit bestraft (TS 22.1.2020).

Das Operations and Policy Center veröffentlichte Daten, die daraufhin deuten, dass obwohl Menschen in Damaskus eine der längsten Arbeitswochen der Welt haben, ihre Ausgaben unter die globale Armutsgrenze fallen. Ein großer Teil der Menschen in Damaskus (und in Wirklichkeit ganz Syriens) sind auf externe Einkommensquellen angewiesen, um sich zu versorgen. Ein Viertel der im Rahmen des OPC Bericht Befragten gaben an, dass Überweisungen aus dem Ausland eine Haupteinkommensquelle sind, während 41% auf Bargeldzahlungen von Hilfsorganisationen angewiesen sind (OPC 22.6.2021).

Außerhalb von Damaskus übersteigt der durchschnittliche Lebensmittelpreis die Preise in der Hauptstadt um ein Vielfaches, aber auch in Damaskus und den Gouvernements Lattakia und Tartous hat sich die Versorgungslage aufgrund der Wirtschaftskrise wieder deutlich verschlechtert. Der Zugang zu Wasser, Elektrizität, Bildung und gesundheitlicher Versorgung ist dort grundlegend gewährleistet. Doch auch dort sind Teile der Bevölkerung, vor allem Binnenvertriebene und vulnerable Aufnahmegemeinden in den ländlichen Gegenden, weiterhin von Lebensmittelhilfe abhängig (AA 4.12.2020).

In Damaskus haben sich fast eine Million Binnenvertriebene vorübergehend oder dauerhaft niedergelassen, während ein großer Teil der Wohnhäuser am ehemals von den Rebellen gehaltenen östlichen und südlichen Stadtrand zerstört ist (Wind/Ibrahim 2.2020). Die Nachfrage nach Wohnraum ist enorm, während das Angebot auf dem Wohnungsmarkt begrenzt ist. Neue Stadtentwicklungsprojekte sind luxuriös und unerschwinglich für Familien, die ihr Zuhause aufgrund des Krieges verloren haben. Daher hat der informelle Wohnungsbau am südlichen und nördlichen Rand der Stadt stark zugenommen (Wind/Ibrahim 2.2020; vgl. ST 21.6.2020). Aufgrund der Abwertung des syrischen Pfunds sind die Wohnungspreise im Laufe des Jahres 2020 stark gestiegen (ST 21.6.2020).

Wohnen und Bildung

Das umstrittene Gesetz Nr. 10, das im April 2018 in Kraft trat, sieht vor, dass örtliche Behörden die Kontrolle über ausgewiesene Gebiete für den Wiederaufbau übernehmen und auch Enteignungen vornehmen können. Die Eigentümer werden innerhalb einer einmonatigen Ankündigungsfrist verständigt und haben dann ein Jahr Zeit, ihre Eigentumsansprüche einzubringen, damit sie Anspruch auf Kompensation (auch Eigentumsansprüche auf neu errichtete Wohneinheiten auf ihren Grundstücken) erheben können. Anvisierte Bezirke oder Gebiete waren mehrheitlich in der Hand der Rebellen. De facto stellt dies auch eine Enteignung jener Flüchtlinge dar, die wegen der Angst vor politischer Verfolgung oder anderer Gründe, nicht nach Syrien zurückkehren können, um ihre Ansprüche anzumelden (WKO 10.2019). Informelle Siedler werden verdrängt und erhalten nur begrenzte Entschädigungen, während die ehemaligen formellen Grundeigentümer nur begrenzte Möglichkeiten haben, von der Wertsteigerung zu profitieren (Wind/Ibrahim 2.2020).

Besonders gravierende Langzeitfolgen hat der Konflikt unter anderem im Bildungsbereich. Durch Flucht und Vertreibung ist ein dramatischer Verlust an Lehrkräften entstanden (SWP 7.4.2020). In Etwa drei Millionen Kinder in Syrien haben keinen Zugang zu Schulbildung und etwa ein Drittel der Schulgebäude sind nicht in Betrieb (SHRC 1.2021). In Gebieten, die zuvor unter Kontrolle des sogenannten Islamischen Staates (IS) standen und von den Syrian Democratic Forces (SDF) wiedererobert wurden, konnten Schulen wiedereröffnet werden. Viele der Schulen benötigen jedoch noch umfangreiche Reparaturen und müssen von explosiven Kampfmittelrückständen gesäubert werden (USDOS 30.3.2021).

Anm.: Zur wachsenden Bedeutung religiöser Stiftungen für die Grundversorgung siehe Kapitel "Religionsfreiheit".

Quellen:

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.12.2020): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/684542/6038295/22065632/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt ,_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_(Stand_November_2020),_04.12.2020.pdf?nodeid=22479918&vernum=-2, Zugriff 18.1.2021

 AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.5.2020): Fortschreibung des Berichts über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom November 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2031629/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Fortschreibung_des_Berichts_%C3%Bcber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_vom_November_2019_%28Stand_Mai_2020%29%2C_19.05.2020.pdf , Zugriff 7.9.2020

 AJ - Al Jazeera (11.7.2021): Syrian government announces steep rise in bread, diesel prices, https://www.aljazeera.com/news/2021/7/11/syria-government-raises-bread-diesel-prices-as-crisis-deepens , Zugriff 27.7.2021

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 WKO - Wirtschaftskammer Österreich – Außenwirtschaftscenter Amman (10.2019): Wirtschaftsbericht Syrien, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/syrien-wirtschaftsbericht.pdf , Zugriff 7.10.2020

 WKO - Wirtschaftskammer Österreich – Außenwirtschaftscenter Amman (11.2018): Außenwirtschaft: Update Syrien, Zugriff 1.3.2019, verfügbar bei der Staatendokumentation

Medizinische Versorgung

Letzte Änderung: 01.10.2021

Der Gesundheitsbedarf in Syrien ist bereits jetzt erheblich. Tausende von Kindern leiden an schwerer Unterernährung. Tausende weitere leiden an Krebs, Diabetes und anderen chronischen Erkrankungen, für die es nur begrenzte Behandlungsmöglichkeiten gibt. Im Jahr 2021 benötigen mehr als 12,4 Millionen Menschen (bei einer geschätzten Gesamtbevölkerung von 20 Millionen) medizinische Hilfe (WHO 2.2021). Einer Studie zufolge leiden 60% der syrischen Bevölkerung an Symptomen, die auf eine mittelschwere bis schwere psychische Störung hindeuten. Schätzungen zufolge leiden 1 Million Syrer an schweren psychiatrischen Störungen, wobei 2018 nur 80 Psychiater in syrischen Gebieten tätig waren (1 pro 100.000 Einwohner) (BJPSYCH 8.2021).

Die verfügbaren Daten für nicht-COVID-bezogene Krankheiten zeigen, dass grippeähnliche Erkrankungen, akute Diarrhöe, Leishmaniose und Verdacht auf Hepatitis in allen Altersgruppen die Hauptursachen für Morbidität sind. Dies gilt insbesondere für Vertriebenenlager, in denen die Indikatoren für den Zugang zu sauberem Wasser, sanitären Einrichtungen und Hygienediensten durchweg schlechter sind als in den einheimischen und aufnehmenden Gemeinden. Vertriebene sind aufgrund des eingeschränkten Zugangs zu sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen, Überbevölkerung und anderen Risikofaktoren einem erhöhten Risiko von Infektionskrankheiten ausgesetzt. Menschen mit Behinderungen (27% alle Arten) benötigen Rehabilitations- und Hilfsdienste. Die grundlegende Infrastruktur des Gesundheitswesens, wie Krankenhäuser und Gesundheitszentren, ist in einem baufälligen Zustand und erfordert umfangreiche Instandhaltungs- und Sanierungsarbeiten, um ein Mindestmaß an Dienstleistungen zu gewährleisten (WHO 3.2021).

Die medizinische Infrastruktur Syriens ist in den vergangenen Jahren größtenteils von Luftangriffen der eigenen Regierung und Russlands zerstört worden (bpb 18.6.2020; vgl. SWP 7.4.2020). Das syrische Regime und seine Verbündeten zielten im Verlauf des Konfliktes klar und bewusst auf den medizinischen Sektor und die Notfallrettung ab und zogen es sogar vor, diese anstelle von Hauptquartieren bewaffneter Gruppierungen, einschließlich der als terroristisch eingestuften, ins Visier zu nehmen. Solche Angriffe stellen eine der wichtigsten militärischen Strategien des syrischen Regimes und seiner Anhänger dar (SHRC 1.2020; vgl. AI 11.5.2020, NYT 3.6.2019, BS 29.4.2020). Im Jahr 2020 wurde von der Menschenrechtsorganisation Syrian Human Rights Committee verglichen mit früheren Jahren ein merkbarer Rückgang der Angriffe auf den medizinischen Sektor und die Notfallrettung dokumentiert (SHRC 1.2021). Jedoch beschädigten und zerstörten die syrische Regierung und die verbündeten russischen Streitkräfte während der Militäroffensive zur Rückeroberung von Idlib zwischen April 2019 und März 2020 mindestens 77 Gesundheitseinrichtungen bei Luftangriffen, die von der UN-Untersuchungskommission für Syrien als wahllos bezeichnet wurden und zu einer weitreichenden Zerstörung der zivilen Infrastruktur führten (SHCC 5.2021, vgl. USDOS 3.2021). Diese Luftangriffe zerstörten Krankenhäuser, Unterkünfte, Märkte, Wohnhäuser und andere wichtige zivile Einrichtungen, beschädigten medizinische Vorräte und Ausrüstung und legten lebenswichtige Gesundheitsnetzwerke lahm; sie folgten einem gut dokumentierten Muster von Angriffen mit schwerwiegenden humanitären und zivilen Auswirkungen (USDOS 3.2021).

Physicians for Human Rights (PHR) hat während des Konflikts in Syrien Angriffe auf medizinische Einrichtungen und medizinisches Personal dokumentiert und 600 Angriffe auf medizinische Einrichtungen verifiziert. Syrische Regierungstruppen und ihre Verbündeten haben 90 Prozent der Angriffe verübt. Diese Angriffe haben medizinische Einrichtungen in tödliche Orte verwandelt, sowohl für das medizinische Personal als auch für die Patienten, und den Gesundheitssektor im ganzen Land dezimiert (PHR 1.7.2021). In den von der Regierung kontrollierten Gebieten wurden Mitarbeiter des Gesundheitswesens von den Kräften des syrischen Regimes systematisch inhaftiert und gefoltert, häufig wegen ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Bereitstellung von Gesundheitsdiensten für Menschen in von der Opposition kontrollierten Gebieten (USDOS 3.2021). Die syrische Regierung betrachtet medizinisches Personal als Staatsfeinde, wenn dieses diskriminierungsfrei medizinische Versorgung in Gebieten, die außerhalb der Regierungskontrolle liegen anbieten (NMFA 5.2020). Nach Angaben des Syrischen Netzwerks für Menschenrechte wurden zwischen März 2011 und Februar 2021 mindestens 3.364 Beschäftigte des Gesundheitswesens festgenommen, inhaftiert oder verschwanden gewaltsam, wobei die syrischen Regimekräfte für 99% dieser Festnahmen und des gewaltsamen Verschwindenlassens verantwortlich waren (USDOS 3.2021).

Laut der Weltgesundheitsorganisation wurden mit Dezember 2020 von den 1.790 bewerteten öffentlichen Gesundheitszentren 47% (842) als voll funktionsfähig, 21% (373) als teilweise funktionsfähig und 32% (575) als nicht funktionsfähig (völlig außer Betrieb) gemeldet (WHO 3.2021). Notfalltransporte sind durch einen Mangel an Krankenwagen stark beeinträchtigt, circa 40% der Ambulanzfahrzeuge sind beschädigt oder zerstört. Laut WHO können komplexere Operationen und spezialisierte Behandlungen chronischer Krankheiten derzeit ausschließlich in Damaskus oder den Küstenorten Tartous und Lattakia durchgeführt werden. In Raqqa kann derzeit lediglich ein von Ärzte ohne Grenzen betriebenes Feldkrankenhaus außerhalb der Stadt genutzt werden. Die medizinische Versorgung in von der Opposition gehaltenen Gebieten wird weitestgehend von NGOs geleistet. Humanitäre Maßnahmen der internationalen Gemeinschaft zur Sicherstellung einer Basisgesundheitsversorgung der Menschen, die in nicht vom syrischen Regime kontrollierten Gebieten leben, werden von diesem gezielt behindert bzw. verhindert (AA 4.12.2020). Neun von zehn Patienten in Damaskus kommen aus anderen Provinzen, um Gesundheitsversorgung zu erhalten. Aufgrund des hohen Bedarfs ist das Gesundheitswesen überlastet. Zum Beispiel müssen sich Verwandte an der Pflege von Kindern in der Notfallversorgung beteiligen, da das medizinische Personal nicht über ausreichende Ressourcen verfügt und die Krankenhäuser überbelegt sind. Eine Mitarbeiterin einer internationalen Organisation in Damaskus berichtete, dass in der Kinder-Notbetreuung fünf Kinder in einem Bett liegen (IO C 2.4.2019). Ansteckende Krankheiten wie Polio treten wieder auf (AA 4.12.2020).

25% der Über-12-Jährigen in Syrien haben eine Beeinträchtigung und 36% der Binnenvertriebenen. 50% der Binnenvertriebenen zwischen zwölf und 23 Jahren mit Beeinträchtigung besuchen die Schule im Vergleich zu 69% der Binnenvertriebenen ohne Beeinträchtigung (HNAP 7.4.2021). Frauen und Menschen mit Beeinträchtigung scheinen im Nordwesten stärker betroffen zu sein, wo mehr als die Hälfte der Frauen und mehr als 40% der Menschen mit Beeinträchtigung von einem Mangel an Beschäftigungsmöglichkeiten sprechen, im Vergleich zu etwas mehr als 35% der Frauen und fast 20% der Menschen mit Beeinträchtigung im Nordosten (USAID 16.04.2021).

 

 

Die folgende Grafik der WHO mit Stand Ende Juni 2020 zeigt die Verteilung und den Funktionalitätsstatus öffentlicher Gesundheitszentren:

WHO 2020c

Die folgende Grafik der WHO mit Stand Ende Juni 2020 zeigt die Verteilung und den Funktionalitätsstatus öffentlicher Krankenhäuser:

WHO 2020d

Zur komplexen Lage kam im Frühjahr 2020 die Herausforderung durch COVID-19. Die wenigen verbliebenen funktionsfähigen Krankenhäuser verfügen über eine mangelnde Ausstattung an Geräten, Medizin und Personal (bpb 18.6.2020).

Siehe hierzu auch Kapitel „COVID-19“

Quellen:

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 bpb - Bundeszentrale für Politische Bildung [Wieland, Carsten] (18.6.2020): Dossier Innerstaatliche Konflikte - Syrien, https://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54705/syrien , Zugriff 20.8.2021

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 BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report - Syria, Gütersloh: Bertelsmann Stiftung, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029497/country_report_2020_SYR.pdf , Zugriff 19.8.2020

 HNAP - Humanitarian Needs Assessment Programme, veröffentlicht von UNHCR - UN High Commissioner for Refugees: Humanitarian Needs Assessment Programme (HNAP) (7.4.2021): Syrian Arab Republic: Disability Prevalence and Impact - IDP Report Series Fall 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2048771/DISABILITY+PREVALENCE+AND+IMPACT+-+IDP+Report+Series+Fall+2020.pdf , Zugriff 25.8.2021

 WHO - World Health Organization, Health Cluster (2.2021): HEALTH SECTOR BULLETIN, https://www.who.int/health-cluster/countries/syria/Syria-HS-Bulletin-Feb-2021.pdf?ua=1 , Zugriff 20.8.2021

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 NYT - New York Times (3.6.2019): In Syria, Even the Hospitals Are Not Safe, https://www.nytimes.com/2019/06/03/opinion/syria-assad-hospitals.html , Zugriff 7.10.2020

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Rückkehr

Letzte Änderung: 01.10.2021

In den letzten drei Jahren sind die Kämpfe in Syrien insgesamt zurückgegangen, wobei die Regierung ihre Gewinne konsolidiert hat und 2021 mehr als 70 % des Gebiets kontrolliert. Die syrische Regierung hat daher Flüchtlinge öffentlich zur Rückkehr ermutigt. Nach Angaben des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR), der Internationalen Organisation für Migration (IOM) und des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) sind die Voraussetzungen für eine umfassende Rückkehr der Flüchtlinge nach Syrien in Sicherheit und Würde jedoch nach wie vor nicht erfüllt, da in ganz Syrien weiterhin erhebliche Sicherheitsrisiken für die Zivilbevölkerung bestehen (AA 4.12.2020, UNHCR 3.2021).

Der Bericht der UN-Untersuchungskommission für Syrien betonte vor Kurzem, dass das Wiederaufflammen der Kämpfe und die Rückkehr zur Gewalt Anlass zur Sorge sind. Die willkürliche Inhaftierung und die Inhaftierung in Isolationshaft durch die Regierungstruppen halten unvermindert an. Die Kommission hat weiterhin nicht nur Folter und sexuelle Gewalt in der Haft, sondern auch Todesfälle in der Haft und das Verschwindenlassen von Personen dokumentiert. Darüber hinaus hat sich die wirtschaftliche Lage in Syrien rapide verschlechtert, so dass die Brotpreise in die Höhe geschnellt sind und die Ernährungsunsicherheit im Vergleich zum letzten Jahr um mehr als 50% zugenommen hat. In den letzten Monaten haben die Kämpfe und die Gewalt sowohl im Nordwesten als auch im Nordosten und Süden des Landes zugenommen (UNHRC 14.9.2021).

Einem 2021 veröffentlichten Bericht von Amnesty International zufolge betrachten die syrischen Behörden Personen, die das Land verlassen haben, als illoyal gegenüber ihrem Land und als Unterstützer der Opposition und/oder bewaffneter Gruppen. Syrische Geheimdienstmitarbeiter haben Frauen, Kinder und Männer, die nach Syrien zurückkehrten, unrechtmäßig oder willkürlich inhaftiert, gefoltert und anderweitig misshandelt, einschließlich Vergewaltigung und sexueller Gewalt, und verschwinden gelassen. Ausgehend von diesen Erkenntnissen ist kein Teil Syriens für Rückkehrer sicher, und Menschen, die Syrien seit Beginn des Konflikts verlassen haben, sind bei ihrer Rückkehr der realen Gefahr ausgesetzt, verfolgt zu werden. Jede erzwungene Rückkehr nach Syrien zum jetzigen Zeitpunkt würde gegen den internationalen Grundsatz der Nichtzurückweisung verstoßen, die in Artikel 33 der Flüchtlingskonvention von 1951 verankert ist und die es Staaten untersagt, Menschen an einen Ort zu überstellen, an dem sie der Gefahr von Verfolgung oder anderen schweren Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind (AI 9.2021). Rückkehrüberlegungen syrischer Männer werden auch durch ihren Militärdienststatus beeinflusst (DIS/DRC 2.2019). Laut einer Erhebung der Syrian Association for Citizen's Dignity (SACD) ist für 58 % aller befragten Flüchtlinge die Abschaffung der Zwangsrekrutierung die wichtigste Bedingung für die Rückkehr in ihre Heimat (AA 4.12.2021).

Inhaftierung, Folter, Vergewaltigung und Verschwindenlassen von Rückkehrern

Es ist schwierig, Informationen über die Situation von Rückkehrern in Syrien zu erhalten. Regierungsfreundliche Medien berichten über die Freude der Rückkehrer (TN 10.12.2018), pro-oppositionelle Medien berichten über Inhaftierungen und willkürliche Tötungen von Rückkehrern (TN 10.12.2018; vgl. TWP 2.6.2019, FP 6.2.2019). Zudem wollen viele Flüchtlinge aus Angst vor Repressionen durch die Regierung nach ihrer Rückkehr nach Syrien nicht mehr mit Journalisten (TN 10.12.2018) oder gar mit Angehörigen sprechen (SD 16.1.2019; vgl. TN 10.12.2018). Auch im Jahr 2020 gewährte das Regime dem UNHCR weiterhin nur stark eingeschränkten Zugang nach Syrien. UNHCR war daher weder in der Lage, eine umfassende Überwachung der Situation von zurückgekehrten Binnenvertriebenen und Flüchtlingen sicherzustellen, noch den Schutz ihrer Rechte zu gewährleisten (AA 4.12.2020).

Die syrische Regierung führt Listen mit Personen, die ihrer Meinung nach auf die eine oder andere Weise oppositionell sind. Alles in allem kann eine Person, die von der Regierung gesucht wird, aus einer Vielzahl von Gründen oder völlig willkürlich gesucht werden. So kann die Behandlung einer Person an einem Checkpoint von verschiedenen Faktoren abhängen, darunter die Willkür des Kontrollpersonals oder praktische Probleme eine Namensähnlichkeit mit einer gesuchten Person. Personen, die als regierungsfeindlich angesehen werden, müssen mit verschiedenen Konsequenzen seitens der Regierung rechnen, z.B. mit Verhaftung und im Zuge dessen auch mit Folter. Einigen Quellen zufolge gehören zu den Personen, die als oppositionell oder regierungsfeindlich gelten, medizinisches Personal, insbesondere wenn sie in einem von der Regierung belagerten Oppositionsgebiet gearbeitet haben, Aktivisten und Journalisten, die die Regierung offen kritisiert oder Informationen oder Fotos von Ereignissen wie Angriffen der Regierung verbreitet haben, sowie generell Personen, die die Regierung offen kritisieren. Einer Quelle zufolge kann es vorkommen, dass die Regierung eine Person wegen eines als geringfügig eingestuften Vergehens nicht sofort verhaftet, sondern erst nach einer gewissen Zeit (FIS 14.12.2018). Jeder Nachrichtendienst führt seine eigenen Fahndungslisten und es gibt keine Koordination oder Zentralisierung. Daher kann es trotz einer positiven Sicherheitsüberprüfung durch einen Dienst jederzeit zu einer Verhaftung durch einen anderen kommen (AA 4.12.2020). Ein weiterer Faktor, der die Behandlung an einem Kontrollpunkt beeinflussen kann, ist das Herkunftsgebiet oder der Wohnort einer Person. Wenn eine Person an einem Ort lebt oder aus einem Ort kommt, der von der Opposition kontrolliert wird oder wurde, kann dies das Misstrauen des Kontrollpersonals wecken (FIS 14.12.2018). Nach Angaben der Regierungskonferenz ist das Konzept des Regimes, wer ein Oppositioneller ist, nicht immer klar oder kann sich im Laufe der Zeit ändern; es gibt keine Gewissheit darüber, wer vor Verhaftungen sicher ist. In Gesprächen mit der ICG berichteten viele Flüchtlinge, dass der Verzicht auf regimefeindliche Aktivitäten keine sichere Rückkehr garantiert (ICG 13.2.2020). Es gab regelmäßig Berichte über Verhaftungen und Anklagen gegen Rückkehrer, denen vorgeworfen wurde, gegen die Regierung zu opponieren, im Rahmen der Anti-Terror-Gesetzgebung. Nach Angaben des Auswärtigen Amts erscheinen diese Berichte glaubwürdig, konnten aber nicht im Einzelfall überprüft werden (AA 13.11.2018).

Es gibt Berichte über Menschenrechtsverletzungen gegen Personen, die nach Syrien zurückgekehrt sind (IT 17.3.2018). Hunderte syrische Flüchtlinge wurden nach ihrer Rückkehr verhaftet und verhört, darunter Flüchtlinge, die aus dem Ausland nach Syrien zurückgekehrt sind, Binnenvertriebene aus von der Opposition kontrollierten Gebieten und Personen, die in von der Regierung zurückeroberten Gebieten ein Versöhnungsabkommen mit der Regierung unterzeichnet haben. Sie wurden gezwungen, Aussagen über Familienmitglieder zu machen, und in einigen Fällen wurden sie gefoltert (TWP 2.6.2019; vgl. EIP 6.2019). Aus Daten, die im Rahmen des UN-Systems erhoben wurden, geht hervor, dass 14 % der mehr als 17.000 befragten Binnenvertriebenen- und Flüchtlingsrückkehrerhaushalte während ihrer Rückkehr im Jahr 2018 angehalten oder inhaftiert wurden. Von dieser Gruppe wurden 4 % für mehr als 24 Stunden festgehalten. In der Gruppe der Flüchtlinge (die ins Ausland geflohen sind) wurden 19 % festgehalten. Diese Zahlen beziehen sich speziell auf die Heimreise und nicht auf Inhaftierungen in den Wochen und Monaten danach (EIP 6.2019).

Amnesty International hat in seinem Bericht aus dem Jahr 2021 Informationen über 66 Personen vorgelegt, die bei ihrer Rückkehr aus dem Ausland Opfer von Verstößen wurden. Unter ihnen wurden 59 Fälle von unrechtmäßiger oder willkürlicher Inhaftierung von Männern, Frauen und Kindern dokumentiert. Unter den Inhaftierten befanden sich zwei schwangere Frauen und zehn Kinder im Alter zwischen drei Wochen und 16 Jahren, von denen sieben vier Jahre alt oder jünger waren. Außerdem wurden 27 Fälle von gewaltsamem Verschwindenlassen dokumentiert, darunter vier Kinder, die mindestens eine Woche und bis zu vier Jahre lang festgehalten wurden, wobei 17 Fälle noch andauern. Die Sicherheitsbeamten verhafteten die Rückkehrer zumeist unter dem pauschalen Vorwurf des "Terrorismus", da sie häufig davon ausgingen, dass einer ihrer Verwandten der politischen oder bewaffneten Opposition angehörte, oder weil die Rückkehrer aus einem Gebiet kamen, das zuvor von der Opposition kontrolliert wurde. Darüber hinaus wurden 14 Fälle gemeldet, in denen Sicherheitsbeamte sexuelle Gewalt gegen Kinder, Frauen und männliche Rückkehrer ausübten, darunter Vergewaltigungen an fünf Frauen, einem 13-jährigen Jungen und einem fünfjährigen Mädchen. Die sexuelle Gewalt fand an Grenzübergängen oder in Haftanstalten während der Befragung am Tag der Rückkehr oder kurz danach statt. Berichten zufolge setzten Geheimdienstmitarbeiter 33 Rückkehrer, darunter Männer, Frauen und fünf Kinder, während ihrer Inhaftierung und Verhöre in Geheimdiensteinrichtungen Praktiken aus, die Folter oder anderen Misshandlungen gleichkommen (AI 9.2021).

Rückkehr an den Herkunftsort

Wenn eine Person in ihre Heimat zurückkehren möchte, können viele Faktoren die Möglichkeit dazu beeinflussen. Ethnisch-sektiererische, wirtschaftliche und politische Aspekte spielen ebenso eine Rolle wie Fragen des Wiederaufbaus und die Haltung der Regierung gegenüber den der Opposition nahestehenden Gemeinschaften. Für Personen aus bestimmten Gebieten Syriens lässt die Regierung derzeit keinen Wohnsitzwechsel zu. Wenn es darum geht, wer in seine Heimatstadt zurückkehren darf, können laut einem Experten ethnische und religiöse, aber auch praktische Motive eine Rolle spielen (FIS 14.12.2018). Die Sicherheit von Rückkehrern wird nicht in erster Linie von der Region bestimmt, in die sie zurückkehren, sondern davon, wie die Rückkehrer von den Akteuren, die die jeweiligen Region kontrollieren, wahrgenommen werden (AA 4.12.2020).

Es hat sich gezeigt, dass Flüchtlinge seltener in Bezirke zurückkehren, die in der Vergangenheit von intensiven Konflikten geprägt waren. Das geringe Angebot an Bildungs-, Gesundheits- und Grundversorgungsleistungen in Syrien wirken abschreckend auf potentielle Rückkehrer. Eine geringere Lebensqualität im Exil erhöht nicht immer die Rückkehrbereitschaft (WB 2020). Trotz der Behauptung, Damaskus und seine Vororte seien sicher, um dorthin zurückzukehren, fand ein Drittel der im Bericht von Amnesty International aus dem Jahr 2021 dokumentierten Fälle von Menschenrechtsverletzungen in Damaskus selbst oder in der Umgebung von Damaskus statt, was darauf hindeutet, dass selbst dann, wenn die willkürliche Gewalt im Zusammenhang mit miliauf einem niedrigen Niveau liegt und/oder die Regierung ein bestimmtes Gebiet unter Kontrolle hat, die Risiken bestehen bleiben (AI 9.2021). Neben der allgemein instabilen Sicherheitslage bleibt die mangelnde persönliche Sicherheit in Verbindung mit der Angst vor staatlicher Repression das wichtigste Hindernis für die Rückkehr (AA 19.5.2020; vgl. SACD 21.7.2020, ICG 13.2.2020).

Auch Jahre nach der Rückeroberung von Homs durch die Regierung benötigen die Bewohner immer noch eine Sicherheitsgenehmigung für die Rückkehr und den Wiederaufbau ihrer Häuser (TE 28.6.2018; vgl. CMEC 15.5.2020). Syrer, die nach Syrien zurückkehren, können sich nicht einfach an einem beliebigen Ort unter staatlicher Kontrolle niederlassen. Die Einrichtung eines Wohnsitzes ist nur mit Genehmigung der Behörden möglich (ÖB 21.8.2019). Anfang 2019 kündigte das syrische Innenministerium an, keine Sicherheitsüberprüfung mehr als Voraussetzung für die Registrierung eines Mietvertrags bei der Gemeinde zu verlangen (SLJ 29.1.2019; ÖB 10.5.2019), sondern einen Mietvertrag bei der Gemeinde zu registrieren und die Daten dann an die Sicherheitsbehörden weiterzuleiten (ÖB 10.5.2019), so dass die Sicherheitsbehörden erst im Nachhinein Einwände erheben können. Außerhalb von Damaskus ist dies noch nicht umgesetzt worden (ÖB 21.8.2019), dort muss weiterhin eine Genehmigung eingeholt werden. Auch über Damaskus wurde berichtet, dass Syrer aus anderen Gebieten sich dort nicht niederlassen dürfen. Demnach ist die Ansiedlung - in allen Gebieten unter staatlicher Kontrolle - von der Genehmigung der Sicherheitsbehörden abhängig (ÖB 29.9.2020).

Einem Syrien-Experten zufolge dient eine von einer syrischen Botschaft oder einem Konsulat erteilte Sicherheitsgenehmigung lediglich dazu, dem Inhaber die Einreise nach Syrien zu ermöglichen. Sie garantiert dem Rückkehrer nicht, dass er seinen Herkunftsort in den von der Regierung kontrollierten Gebieten auch tatsächlich erreichen kann. Die Rückkehr an den Herkunftsort innerhalb der von der Regierung kontrollierten Gebiete erfordert einen anderen Weg, der von lokalen Machthabern wie den Gemeindebehörden oder den die Regierung unterstützenden Milizen gesteuert wird. Die Verfahren, um eine Genehmigung für die Einreise in den Herkunftsort zu erhalten, variieren von Ort zu Ort und von Akteur zu Akteur. Da sich die lokale Machtdynamik im Laufe der Zeit verschiebt, sind auch die unterschiedlichen Verfahren Veränderungen unterworfen (EASO 6.2021).

Einige ehemals von der Opposition kontrollierte Gebiete sind für alle, die in ihre ursprünglichen Häuser zurückkehren wollen, praktisch abgeriegelt. In anderen versucht das Regime, die Rückkehr der ursprünglichen Bevölkerung einzuschränken, um eine Wiederherstellung des sozialen Umfelds, das den Aufstand unterstützt hat, zu vermeiden. Einige nominell vom Regime kontrollierte Gebiete wie Dara'a, die Stadt Deir ez-Zour und Teile von Aleppo und Homs sind für Rückkehrer aufgrund schwerer Zerstörungen, der Herrschaft missbräuchlicher regimetreuer Milizen, Sicherheitsproblemen wie ISIS-Angriffen oder einer Kombination aus allen drei Faktoren unwirtlich (ICG 13.2.2020). Eine Reihe von Stadtvierteln in Damaskus sind nach wie vor teilweise oder vollständig gesperrt, selbst für Zivilisten, die kurz nach ihren ehemaligen Häusern sehen wollen (SD 19.11.2018). So durften die Bewohner des palästinensischen Camps Yarmouk in Damaskus auch zwei Jahre nach der Wiedererlangung der Kontrolle durch das Regime weitgehend nicht zurückkehren (EB 8.7.2020; vgl. AI 9.2021). Nach Angaben von Aktivisten durften bisher nur wenige Familien mit Verbindungen zu regierungsnahen Milizen und ältere Bewohner zurückkehren (MEI 6.5.2020).

Sowohl Menschenrechtsorganisationen als auch die Vereinten Nationen prangern umstrittene Wohnungs- und Eigentumsgesetze des Regimes an, die, wie das Dekret Nr. 42/2018 oder das Gesetz Nr. 10, zur Enteignung von Binnenvertriebenen und Flüchtlingen genützt werden können. Der Wiederaufbau kommt nur langsam voran; insbesondere große Teile der syrischen Städte sind im Zuge des Konflikts zerstört worden und werden auch mittel- bis langfristig nicht bewohnbar sein. Nach Berichten von Menschenrechtsorganisationen reißt das Regime beschädigte Häuser und Wohnungen in ehemaligen Oppositionsgebieten ab (AA 19.5.2020; vgl. BS 29.4.2020).

Es ist wichtig, dass die Rückkehrer an ihren Herkunftsort zurückkehren, weil sie dann Zugang zu einem sozialen Netzwerk und/oder ihrem Stamm haben. Diejenigen, die aus dem Ausland in ein Gebiet ziehen, aus dem sie nicht stammen, verfügen nicht über ein solches Sicherheitsnetz (MOFANL 7.2019).

Bedingungen der Rückkehr

Die Bedingungen, unter denen die Flüchtlinge zurückkehren, und die Mechanismen dieses Prozesses sind nur unzureichend bekannt, auch bei den Flüchtlingen selbst. Da Assad die Kontrolle über immer größere Gebiete festigt, sind immer weniger Informationen verfügbar (EIP 6.2019). Die Behandlung von Menschen, die nach Syrien einreisen, hängt stark vom Einzelfall ab, und es gibt keine zuverlässigen Informationen über den Kenntnisstand der syrischen Behörden über einzelne Rückkehrer (ÖB 29.9.2020).

Es gibt widersprüchliche Informationen darüber, ob sich Personen, die nach Syrien zurückkehren wollen, einer Sicherheitsüberprüfung unterziehen müssen oder nicht. Nach Angaben des deutschen Auswärtigen Amtes müssen sich syrische Flüchtlinge, unabhängig von ihrer politischen Orientierung, vor ihrer Rückkehr weiterhin einer Sicherheitsüberprüfung durch die syrischen Sicherheitsbehörden unterziehen (AA 19.5.2020). Auch nach Angaben der International Crisis Group (ICG) stellt die Sicherheitsüberprüfung durch den zentralen Geheimdienst in Damaskus (oder die Verweigerung einer solchen) die endgültige Entscheidung darüber dar, ob ein Flüchtling sicher nach Hause zurückkehren kann, unabhängig davon, welchen administrativen Weg ein Flüchtling, der zurückkehren möchte, einschlägt (ICG 13.2.2020). Im Gegensatz dazu berichtete die dänische Einwanderungsbehörde (DIS) auf der Grundlage von Befragungen, dass Syrer, die sich außerhalb Syriens aufhalten und nicht von der syrischen Regierung gesucht werden, keine Sicherheitsgenehmigung für die Rückkehr nach Syrien benötigen. Syria Direct berichtete der DIS, dass nur Syrer im Libanon, die über eine "organisierte Gruppenrückkehr" nach Syrien zurückkehren wollen, eine Sicherheitsüberprüfung für die Einreise nach Syrien benötigen (DIS 12.2020). Die Kriterien und Anforderungen für ein positives Ergebnis sind nicht bekannt (AA 19.5.2020). Berichten zufolge gab es Fälle, in denen Rückkehrer trotz positiver Sicherheitsüberprüfung Opfer von willkürlicher Verhaftung, Folter oder gewaltsamem Verschwindenlassen wurden, und vereinzelte Fälle von Tod in Haft (AA 19.5.2020; vgl. EASO 6.2021).

Der Prozentsatz der Antragsteller, die nicht zur Rückkehr zugelassen werden, ist nach wie vor schwer zu ermitteln (ICG 13.2.2020). Ihr Anteil wird von verschiedenen Quellen auf 5% (SD 16.1.2019), 10% (Reuters 25.9.2018), bis zu 30% (ABC 6.10.2018) geschätzt. In einigen Fällen ist es Binnenvertriebenen nicht gestattet, in ihre Heimatgebiete zurückzukehren (USDOS 30.3.2021). Einige Beobachter und humanitäre Helfer behaupten, dass die Bewilligungsquote für Antragsteller aus Gebieten, die als regierungsfeindliche Hochburgen identifiziert wurden, fast bei null liegt (ICG 13.2.2020). Gründe für die Ablehnung können (vermeintliche) politische Aktivitäten gegen die Regierung, Verbindungen zur Opposition oder die Nichterfüllung der Wehrpflicht sein (Reuters 25.9.2018; vgl. ABC 6.10.2018; SD 16.1.2019).

Personen, die von der syrischen Regierung gesucht werden und deshalb keine Erlaubnis zur Rückkehr erhalten, werden aufgefordert, ihren Status zu "regularisieren", bevor sie zurückkehren können (Reuters 25.9.2018; vgl. SD 16.1.2019). Nach Angaben eines syrischen Generals müssen Personen, die aus dem Ausland zurückkehren wollen, bei der zuständigen syrischen Vertretung einen Antrag auf "Versöhnung" stellen und unter anderem angeben, wie und warum sie das Land verlassen haben, und Informationen über Aktivitäten während ihres Auslandsaufenthalts vorlegen. Diese Informationen werden an das syrische Außenministerium weitergeleitet, wo eine Sicherheitsprüfung durchgeführt wird. Syrer, die über die Landgrenzen einreisen, müssen nach Angaben des Generals einen "Versöhnungsantrag" ausfüllen (DIS 6.2019). Um eine Verhaftung bei der Rückkehr zu vermeiden, versuchen Syrer, Informationen über ihre Sicherheitsakte zu erhalten und diese, wenn möglich, zu löschen. Persönliche Kontakte und Bestechungsgelder sind die gebräuchlichsten Kanäle und Mittel zu diesem Zweck (ICG 13.2.2020; vgl. EASO 6.2021), doch aufgrund ihrer Informalität und des undurchsichtigen Charakters des syrischen Sicherheitssektors sind solche Informationen und Freigaben nicht immer zuverlässig, und nicht jeder kann sie erhalten (ICG 13.2.2020). Zwei Quellen berichteten dem EASO, dass, wenn ein Rückkehrer durch informelle Netzwerke oder Beziehungen (arab. wasta) herausfindet, dass er oder sie nicht von den syrischen Behörden gesucht wird, es dennoch keine Garantie dafür gibt, dass er oder sie bei der Rückkehr nicht verhaftet wird (EASO 6.2021).

Syrerinnen und Syrer benötigen in verschiedenen Lebensbereichen eine behördliche Sicherheitsfreigabe, z.B. auch für die Eröffnung eines Geschäfts, eine Heirat und die Organisation einer Hochzeitsfeier, um den Wohnort zu wechseln, für Wiederaufbaumaßnahmen oder auch für den Erwerb von Eigentum (FIS 14.12.2018; vgl. EIP 6.2019). Die Sicherheitsüberprüfung könnte Fragen wie den Aufenthaltsort der Person während ihrer Abwesenheit aus einem Gebiet umfassen. Für eine Person, die die Zeit in Damaskus verbracht hat, könnte die Sicherheitsüberprüfung einfacher sein, aber Orte wie Deir ez-Zour könnten zusätzliche Kontrollen oder Befragungen nach sich ziehen. Während des Sicherheitsüberprüfungsverfahrens wird eine Person befragt, ob es in ihrer Großfamilie Personen gibt, die von der Regierung gesucht werden (FIS 14.12.2018).

Erschwerend kommt hinzu, dass eine von einer regierungsnahen Stelle innerhalb Syriens ausgestellte Sicherheitsgenehmigung in Gebieten, die von anderen regierungsnahen Stellen kontrolliert werden, als ungültig angesehen werden kann. Dies ist auf die Fragmentierung des Sicherheitsapparats der Regierung zurückzuführen, die die Mobilität auf Gebiete beschränkt, die von bestimmten regierungsnahen Sicherheitsbehörden kontrolliert werden (EASO 6.2021).

Syrische Flüchtlinge benötigen in der Regel eine Genehmigung der Regierung und müssen bereit sein, der Regierung gegenüber vollständig Rechenschaft über ihre Beziehungen zur Opposition abzulegen, um nach Hause zurückkehren zu können. In vielen Fällen hält sich die Regierung nicht an die in den "Versöhnungsabkommen" vereinbarten Garantien, und die Rückkehrer sind Schikanen oder Erpressungen durch die Sicherheitsbehörden sowie Inhaftierung und Folter ausgesetzt, um Informationen über die Aktivitäten der Flüchtlinge im Ausland zu erhalten (TWP 2.6.2019).

Es muss davon ausgegangen werden, dass syrische Sicherheitsdienste in der Lage sind, politische Aktivitäten im Exil auszuspionieren und darüber zu berichten (ÖB 29.9.2020; vgl. TWP 2.6.2019, EASO 6.2021). Es gab Berichte, dass syrische Sicherheitsdienste Drohungen gegen in Syrien lebende Familienmitglieder einsetzten, um Druck auf Verwandte auszuüben, die z.B. in Deutschland leben (AA 13.11.2018). Die syrische Regierung ist an den politischen Aktivitäten von Syrern im Ausland interessiert. Die Gefährdung eines Rückkehrers im Falle politischer Aktivitäten im Exil hängt jedoch von den Aktivitäten selbst, dem Profil der Person und vielen anderen Faktoren ab, wie dem Hintergrund der Familie und den der Regierung zur Verfügung stehenden Ressourcen (STDOK 8.2017). Einem Syrien-Experten des Europäischen Friedensinstituts zufolge werden Syrer in der Diaspora auf zwei Arten überwacht: informell und formell. Bei der informellen Überwachung melden Einzelpersonen andere Personen an die syrischen Behörden. Diese Informanten sind nicht offiziell bei den Sicherheitsbehörden angestellt, melden aber andere Personen, um der Regierung gegenüber loyal zu erscheinen. Auf diese Weise versuchen sie, mögliche negative Aufmerksamkeit von sich abzuwenden. Die formelle Art der Überwachung besteht darin, dass staatliche Einrichtungen wie Botschaften und Sicherheitsdienste Informationen über im Ausland lebende Dissidenten sammeln (EASO 6.2021).

Der Sicherheitssektor nutzt den Rückkehr- und Versöhnungsprozess, um seinen historischen Einsatz lokaler Informanten zur Sammlung von Informationen und zur Kontrolle der Bevölkerung wieder zu verstärken und zu institutionalisieren. Die Regierung baut weiterhin eine umfangreiche Datenbank mit Informationen über alle Personen auf, die ins Land zurückkehren oder im Land bleiben. In der Vergangenheit wurde diese Art von Informationen genutzt, um Personen zu erpressen oder zu verhaften, die aus irgendeinem Grund als Bedrohung oder Problem wahrgenommen wurden (EIP 6.2019). Das Verfassen eines Taqrir (eines "Berichts", d. h. die Meldung von Personen an die Sicherheitsbehörden) war im baathistischen Syrien jahrzehntelang gang und gäbe und wird laut ICG auch unter Flüchtlingen im Libanon praktiziert. Die Motive können persönlicher Gewinn oder die Beilegung von Streitigkeiten sein, oder die Menschen schreiben "Berichte", um nicht selbst zur Zielscheibe zu werden. Selbst Regimevertreter geben zu, dass es aufgrund unbegründeter Denunziationen zu Verhaftungen kommt (ICG 13.2.2020).

Syrische Flüchtlinge in Libanon, Jordanien und der TürkeiIm Juli 2021 wurde die syrische Bevölkerung auf 20,4 Millionen Menschen geschätzt (CIA 22.9.2021). Im Jahr 2020 registrierte UNOCHA etwa 1,8 Millionen Binnenvertriebene in Syrien. Demgegenüber kehrten in diesem Jahr rund 450.000 Binnenvertriebene zurück (UNOCHA 8.2.2021). Ende September 2020 waren 5.565.954 Personen als syrische Flüchtlinge in den Nachbarländern Syriens und Nordafrikas registriert. Nach Angaben des UNHCR kehrten im Jahr 2019 insgesamt rund 95.000 Flüchtlinge nach Syrien zurück (UNHCR 23.9.2020), im Jahr 2020 waren es 38.200 (UNOCHA 3.2021). Weder Binnenvertriebene noch Flüchtlinge sind unbedingt in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt (UNHCR 18.3.2019).

Im Jahr 2017 forderten die libanesischen Behörden syrische Flüchtlinge trotz des anhaltenden Konflikts und begründeter Ängste vor Verfolgung verstärkt zur Rückkehr auf. Eine kleine Zahl von Flüchtlingen ist im Rahmen lokaler Vereinbarungen nach Syrien zurückgekehrt, die jedoch nicht vom UNHCR überwacht werden. Einige Flüchtlinge erklärten, sie kehrten wegen der strengen Politik und der sich verschlechternden Bedingungen im Libanon zurück, nicht weil sie Syrien für sicher hielten. Gemeinden im Libanon haben Tausende von Flüchtlingen ohne Rechtsgrundlage und ohne ordnungsgemäßes Verfahren gewaltsam vertrieben. Zehntausende sind weiterhin von Vertreibung bedroht (HRW 17.1.2019). Obwohl die wirtschaftliche Lage vieler syrischer Flüchtlinge in Jordanien schwierig ist (TN 1.10.2019; SD 6.5.2020), ist aufgrund der Sicherheits- und Wirtschaftslage in Syrien bisher nur eine geringe Zahl von Syrern nach Syrien zurückgekehrt (SD 6.5.2020).

Die Türkei beherbergt fast 3,65 Millionen syrische Flüchtlinge (DGMM 3.2.2021). Im Juli 2019 änderte sich die Haltung der türkischen Regierung ihnen gegenüber. Nach erheblichen Verlusten bei den Kommunalwahlen und in dem Bestreben, die Kontrolle der Regierung über die Situation zu demonstrieren, begannen die türkischen Sicherheitskräfte, syrische Flüchtlinge zusammenzutreiben und sie in die türkischen Provinzen zurückzuschicken, in denen sie registriert waren, einige von ihnen abzuschieben und andere zu ermutigen, in die von der Türkei kontrollierten Gebiete in Nordsyrien, einschließlich der Konfliktzone Idlib, zu ziehen (SWP 5.2.2020). NGO-Berichten zufolge haben die türkischen Behörden immer wieder Flüchtlinge inhaftiert und sie gezwungen, "freiwillige" Rückkehrdokumente zu unterschreiben, manchmal durch Schläge und Drohungen (SJAC 8.10.2020).

Quellen:

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 ÖB - Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (10.5.2019): Auskunft, via E-mail

 Reuters (25.9.2018): Fifty thousand Syrians returned to Syria from Lebanon this year: official, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-syria-lebanon-refugees/fifty-thousand-syrians-returned-to-syria-from-lebanon-this-year-official-idUSKCN1M51OM , Zugriff 8.10.2020

 SACD - Syrian Association for Citizen´s Dignity (21.7.2020): We are Syria, https://syacd.org/wp-content/uploads/2020/07/SACD_WE_ARE_SYRIA_EN.pdf , Zugriff 8.10.2020

 SD - Syria Direct (6.5.2020): Ineligible for government aid, Syrians in Jordan struggle amidst COVID-19 lockdowns, https://syriadirect.org/news/ineligible-for-government-aid-syrians-struggle-amidst-covid-19-lockdowns/ , Zugriff 8.10.2020

 SD - Syria Direct (16.1.2019): In first ‘organized’ refugee returns from Jordan, dozens of Syrians head back to Damascus suburb, https://syriadirect.org/news/in-first-%E2%80%98organized%E2%80%99-refugee-returns-from-jordan-dozens-of-syrians-head-back-to-damascus-suburb/ , Zugriff 9.10.2020

 SD - Syria Direct (19.11.2018): A new Syria’: Law 10 reconstruction projects to commence in Damascus, backed by arsenal of demolition, expropriation legislation, https://syriadirect.org/news/%E2%80%98a-new-syria%E2%80%99-law-10-reconstruction-projects-to-commence-in-damascus-backed-by-arsenal-of-demolition-expropriation-legislation/ , Zugriff 9.10.2020

 SJAC - Syria Justice and Accountability Centre (8.10.2020): Turkey continues to deport Syrians to Idlim, violating international law, https://syriaaccountability.org/updates/2020/10/08/turkey-continues-to-deport-syrians-to-idlib-violating-international-law/ , Zugriff 27.10.2020

 SLJ - Syrian Law Journal via Twitter (29.1.2019): Short message from 29.1.2019, https://twitter.com/syrian_law/status/1090257282170990597 , Zugriff 9.10.2020

 STDOK - Staatendokumentation des BFA [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien - mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf , Zugriff 24.7.2020

 SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (5.2.2020): Syrian Refugees in Turkey: Changing Attitudes and Fortunes, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/comments/2020C05_Kiniklioglu.pdf , Zugriff 27.10.2020

 TE - The Economist (28.6.2018): The Future of Syria - How a victorious Bashar al-Assad is changing Syria, verfügbar über Abonnement über https://www.economist.com/middle-east-and-africa/2018/06/28/how-a-victorious-bashar-al-assad-is-changing-syria , Zugriff 9.10.2020

 TN - The National (1.10.2019): Syrians struggling to survive in Jordan face difficult decision, https://www.thenational.ae/world/mena/syrians-struggling-to-survive-in-jordan-face-difficult-decision-1.917568 , Zugriff 8.10.2020

 TN - The National (10.12.2018): Uncertainty over fate of Syrian refugees who return home, https://www.thenational.ae/world/mena/uncertainty-over-fate-of-syrian-refugees-who-return-home-1.801269 , Zugriff 8.10.2020

 TWP - The Washington Post (2.6.2019): Assad urged Syrian refugees to come home. Many are being welcomed with arrest and interrogation, https://www.washingtonpost.com/world/assad-urged-syrian-refugees-to-come-home-many-are-being-welcomed-with-arrest-and-interrogation/2019/06/02/54bd696a-7bea-11e9-b1f3-b233fe5811ef_story.html?utm_term=.e0a2c27a072f , Zugriff 8.10.2020

 UNHRC - United Nations Human Rights Commission (14.9.2021): UN Syria Commission Increasing violence and fighting add to Syria's woes, making it unsafe for return, https://www.ohchr.org/EN/HRBodies/HRC/Pages/NewsDetail.aspx?NewsID=27456&LangID=E , Zugriff 29.9.2021

 UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (3.2021): International Protection Considerations with regard to people fleeing the Syrian Arab Republic - Update VI, https://www.refworld.org/docid/606427d97.html , Zugriff 28.9.2021

 UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees und die Republik Türkei (23.9.2020): Syria Regional Refugee Response - Durable Solutions, https://data2.unhcr.org/en/situations/syria_durable_solutions , Zugriff 8.10.2020

 UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (18.3.2019): Auskunft, per E-Mail

 UNOCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (3.2021): Humanitarian Needs Overview - Syrian Arab Republic, https://www.humanitarianresponse.info/sites/www.humanitarianresponse.info/files/documents/files/syria_2021_humanitarian_needs_overview.pdf , Zugriff 11.6.2021

 UNOCHA Turkey - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs Turkey (8.2.2021): Syrian Arab Republic: IDP movements and IDP spontaneous return movements Data, https://data.humdata.org/dataset/daa955d0-fb67-402b-ae3a-4552a889b5bb/resource/a5560639-fced-4198-a727-8e456a3391bf/download/idp-movements-and-idp-spontaneous-return-movements-data-dec-2020-toshare.xlsx , Zugriff 9.2.2021

 USDOS - United States Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 - Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048105.html , Zugriff 10.6.2021

 WB - World Bank (2020): The Mobility of Displaced Syrians, https://openknowledge.worldbank.org/bitstream/handle/10986/31205/9781464814013.pdf , Zugriff 8.10.20202. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Person des BF:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und Herkunft, insbesondere zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit stützen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben des BF im Verfahren vor dem BFA.

2.2. Zum Fluchtgrund:

Die Feststellung, dass der BF in Syrien im Falle einer Rückkehr nach Syrien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine ihn konkret persönlich betreffende, aktuelle und asylrelevante Verfolgung oder Bedrohung gem. §3 AsylG zu befürchten hätte, ergibt sich aus seinem diesbezüglichen Vorbringen bei der niederschriftlichen Einvernahme am 13.10.2021 in Zusammenschau mit den Länderfeststellungen und sämtlichen Ausführungen der Beschwerdeschrift.

Das BFA hat diesbezüglich richtig erkannt, dass der BF in seiner Einvernahme vor dem BFA eine unmittelbar konkrete und unmittelbar aktuelle asylrelevante Bedrohung oder Verfolgung seiner Person in Syrien nachvollziehbar und schlüssig insgesamt ausreichend konkret nicht darzulegen vermochte.

BF hielt sich seinen eigenen Angaben zufolge bereits seit rund 10 Jahren nicht mehr in Syrien auf. Der BF hat selbst angegeben, dass er Syrien im Jahr 2012 aufgrund einer Pilgerfahrt nach Saudi-Arabien verlassen habe und anschließend nach Jordanien bzw. die VAE gereist wäre, bzw. dieser seit dieser Zeit nicht mehr in Syrien gewesen wäre. (AS. 228)

Der BF ist unmittelbar aus Jordanien kommend, wo er sich seit mehreren Jahren mitsamt seiner Frau aufgehalten hat, unter bewusster Zuhilfenahme eines Schleppers, sowie unter Aufwendung überaus hoher Geldmittel (USD 13.000) für die schlepperunterstützte Reise nach Mitteleuropa, bzw. Österreich. Der BF hat mehrere für ihn bereits sichere Länder durchquert, um gerade in einem von ihm selbst beliebig bestimmten Land gegenständlichen Asylantrag zu stellen.

Wie das BFA zutreffend festhält, konnte der BF insgesamt im Rahmen seiner Einvernahme vor dem BFA eine ihn aktuell, persönlich, unmittelbar und aktuell betreffende asylrelevante Bedrohungssituation seiner Person insgesamt nicht ausreichend nachvollziehbar und konkret darlegen. So erkläre der BF zunächst, dass 2 seiner Söhne vor rund 10 Jahren desertiert seien und er deswegen eine Bedrohung fürchten würde. Auf weitere Nachfrage ergänzte bzw. gestand der BF vor der belangten Behörde jedoch ein, dass bereits einer seiner Söhne, nach Angaben des BF ein Colonel der syrischen Armee, 2012 im Dienst ums Leben gekommen sei, bzw. der andere Sohn, der aus Syrien geflohen wäre, nur ein Reservist gewesen sei. Daher bestehen keine Gründe für die Annahme, dass die beiden Söhne des BF wegen einer Wehrdienstverweigerung gesucht worden seien. Dass der BF selbst lediglich als Familienangehöriger eines Reservisten der allfällig vor rund 10 Jahren seinen Wehrdienst nicht geleistet hat, aktuell und konkret von einer unmittelbar asylrelevanten Bedrohung betroffen wäre ist somit nicht anzunehmen, bzw. hat dieser ausreichend konkret ein solches Vorbringen im gesamten Verfahren nicht darlegen können. Das Vorliegen einer diesbezüglich unmittelbar und konkreten asylrelevanten Gefährdung erscheint daher unter Würdigung der konkreten Gegebenheiten des gegenständlichen Einzelfalles als nicht verfahrensrelevant wahrscheinlich bzw. nicht nachvollziehbar. Dies insbesondere auch deshalb, wie auch vom BFA richtig erkannt, da der BF seinen eigenen Angaben zufolge Syrien bereits im Jahr 2012 verlassen hat, dennoch weiterhin eine staatliche Pension von Syrien erhält, 2 Söhne sich weiterhin in Syrien in gehobenen Berufen in Staatsnähe aufhalten können und es diesen wie der BF ausführt in Syrien gut geht.

Ausreichend aktuelle und valide Berichte wonach mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Familienangehörige bzw. Eltern von Personen, die einer Desertion beschuldigt würden, willkürlich, insbesondere auch nach überlanger Zeiträumen im Ausland, unmittelbar und konkret eine asylrelevante persönliche Verfolgung im Herkunftsstaat ausgesetzt wären, wurden im gesamten Verfahren, so auch im Beschwerdeverfahren, nicht in Vorlage gebracht. Auch, wenn Berichte hinsichtlich einzelner Übergriffe des syrischen Regimes aus den vergangenen Jahren vorliegen, so kann aktuell jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass jedwede aus dem Ausland zurückkehrende Person, oder ein Familienangehöriger eines solchen generell aus asylrelevanten Gründen bzw. mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit diesbezüglich relevanten Übergriffen ausgesetzt wäre. Der Grad des Vorliegens einer diesbezüglichen Gefährdung kann nicht als derart mit verfahrensrelevanter Wahrscheinlichkeit vorliegend erachtet werden, sodass alleine hierauf bezogen ein asylrelevanter Schutz gem. §3 AsylG zu gewähren wäre. Sämtliche auf dieserart Gefährdungen bezogene Ausführungen beruhen auf allgemeinen Vermutungen und unbelegten allgemeinen Spekulationen, bzw. Annahmen des Bestehens einer diesbezüglichen Gefährdung.

Insoweit der BF im Rahmen insbesondere der Beschwerde auch eine Verfolgung aufgrund seiner Flucht vor dem Regime, bzw. einer ihm hierdurch allfällig unterstellten oppositionellen Haltung anführte, ist zudem festzuhalten, dass nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes eine Sanktionierung einer illegalen Ausreise als Nachfluchtgrund nur dann asylrelevant ist, wenn der für die unerlaubte Ausreise drohenden Sanktion jede Verhältnismäßigkeit fehle, weil dies dann zumindest auch auf der – generellen – Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung beruhen könne (VwGH 21.11.2002, 99/20/0160 mwN).

Das eine solche konkrete Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung im konkreten Einzelfall durch das syrische Regime angenommen werden kann, wurde aus reichend konkret im gegenständlichen Verfahren nicht aufgezeigt.

Das BFA hat somit hierauf bezogen insgesamt zutreffend erkannt, dass der BF aufgrund der angeführten, jedoch im weiteren Verfahren relativierten Desertation von 2 seiner Söhne, bzw. einer ihn allfällig deshalb unterstellten oppositionellen Haltung unmittelbar und konkret bei einer Rückkehr einer asylrelevanten Bedrohung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre, hat dieser mit sämtlichen Ausführungen somit ausreichend substantiiert nicht glaubhaft machen. So hat der BF etwa nicht dargelegt, dass aktuell nach diesem tatsächlich gesucht werden würde, bzw. dieser deswegen bei einer hypothetischen Rückkehr unmittelbar eine asylrelevante Verfolgung zu vergegenwärtigen hätte.

Weitere konkrete Gründe oder etwaige Rückkehrbefürchtungen brachte der BF im gesamten Verfahren nicht vor.

Dass der BF im Falle einer Rückkehr Gefahr laufen würde, zum Militärdienst eingezogen zu werden, kann aber bereits aufgrund der herangezogenen Länderfeststellungen, wonach für männliche syrische Staatsbürger im Alter von 18 bis 42 Jahren in die Ableistung eines Wehrdienstes von zwei Jahren gesetzlich verpflichtend ist, verneint werden.

Der Beschwerdeführer ist gegenwärtig 77 Jahre alt und überschreitet somit das Alter, bis zu welchem Männer zum Reservedienst einberufen werden dürfen deutlich.

Zwar wurden in der Vergangenheit nach den Länderfeststellungen auch Männer im Alter bis zu 50, 60 Jahren in Einzelfällen eingezogen, doch hat der BF auch dieses Alter bereits wesentlich überschritten, bzw. haben diese Personen zuweilen über ein militärisch verwertbares und nützliches Spezialwissen verfügt. Es ist im gegenständlichen Verfahren insgesamt nicht hervorgekommen, dass der BF über diesbezüglich besondere Kenntnisse oder Qualifikationen verfügen würde, die ihn trotz seines fortgeschrittenen Alters, bzw. seines altersbedingten Gesundheitszustandes, der BF leidet unter Bluthochdruck und Diabetes, dennoch für eine aktuelle Rekrutierung durch die syrische Armee mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit geeignet oder interessant erscheinen lassen könnten.

Zudem ist darauf hinzuweisen, dass im Zeitraum 2011 bis etwa 2019 großflächige und sich über das gesamte Staatsgebiet von Syrien erstreckende Militäraktionen insbesondere im Kampf gegen den IS stattgefunden haben im Zuge derer es zu diesen Rekrutierungen von sich außerhalb des Wehrpflichten Alters befindlichen Personen gekommen ist.

Valide aktuelle Berichte wonach gegenwärtig Personen, die sich deutlich außerhalb des wehrpflichtigen Altes befinden mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer solchen Gefahr ausgesetzt sind, wurden insgesamt nicht in Vorlage gebracht, bzw. gibt es keine ausreichenden Berichte die eine diesbezügliche Gefahr für den BF mit verfahrensmaßgeblicher Wahrscheinlichkeit aufzeigen würden.

Zudem ist festzuhalten, dass der BF seinen eigenen Angaben zufolge bereits im Jahr 1968 für vier Jahre Wehrdienst geleistet und diesen damit jedenfalls abgeleistet hat.

Auch ergaben sich im Verfahren keine Hinweise auf sonstige diesbezüglich gefahrenerhöhende Umstände, aufgrund derer der BF in Syrien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in Gefahr laufen könnte, von der syrischen Regierung dennoch zum Militärdienst eingezogen oder bestraft zu werden.

Aktuell und gegenwärtig liegt in Bezug auf den BF somit insgesamt mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine unmittelbar konkrete und damit asylrelevante Gefährdungssituation des BF vor, in Syrien gegenwärtig zum Wehrdienst eingezogen zu werden oder einer Zwangsrekrutierung seiner Person durch das syrische Militär ausgesetzt zu sein. Der BF hat durch sämtliches Vorbringen das Vorliegen einer solchen Gefährdung durch sämtliche Ausführungen insgesamt nicht glaubhaft machen können, bzw. beruhen dieserart Ausführungen des BF aus unbelegten Spekulationen.

Ferner ist in diesem Zusammenhang ist auf die zutreffend richtigen Ausführungen des BFA zu verweisen, wonach der BF zudem einen langen Zeitraum im syrischen Staatsdienst tätig gewesen ist, eine monatliche Rente bezieht, bzw. weiterhin zwei Söhne des BF auch aktuell in höheren Positionen (Rechtsanwalt, Universitätsbediensteter) für den syrischen Staat tätig sind und diese keine Probleme haben auch weiterhin unbehelligt in Syrien zu leben. Der BF hat für diese Personen weder etwaige asylrelevante Gefährdungen noch Verfolgungen vorgebracht.

Eine ausreichende Begründung, warum der syrische Staat den BF eine monatliche Rente auszahlen und seinen Söhnen weiterhin Beschäftigungen ermöglichen sollte, bzw. diesen ein Leben in Syrien möglich ist, obwohl der BF allfällig von der Regierung gesucht werden würde, bzw. bei einer Rückkehr asylrelevant bedroht wäre, vermochte der BF insgesamt plausibel nicht darzulegen oder aufzuklären.

Sämtliche zu Protokoll gegebenen Rückkehrbefürchtungen des BF beruhen auf insgesamt gänzlich unbelegten reinen Vermutungen oder Spekulationen hinsichtlich des Bestehens einer möglichen bestehenden asylrelevanten Gefährdung für diesen in seinem Herkunftsstaat.

Durch sämtliche Ausführungen des BF, als auch durch sämtliche Ausführungen in der Beschwerdeschrift, konnte der BF das aktuelle Bestehen einer ihn unmittelbar und konkret betreffende asylrelevante Bedrohung bei einer Rückkehr nach Syrien ausreichend nachvollziehbar nicht darlegen, bzw. das Vorliegen einer solchen ausreichend substantiiert nicht glaubhaft machen.

Das BFA hat somit insgesamt zutreffend erkannt, dass der BF nicht ausreichend glaubhaft machen konnte, bzw. sind im gesamten Verfahren auch keine weiteren konkreten Anhaltspunkte hervorgekommen, wonach der BF aktuell, sowie unmittelbar konkret im Fokus der syrischen Behörden stehen würde und deshalb gegenwärtig bzw. bei einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer asylrelevanten Gefährdung ausgesetzt ist.

Eine Asylantragstellung in Österreich reicht für sich alleine für eine Asylzuerkennung nicht aus, weil die Antragstellung den syrischen Behörden nicht bekannt ist, da es den österreichischen Behörden gemäß § 33 BFA-VG untersagt ist, diesbezügliche Daten an die syrischen Behörden weiterzugeben.

Das BFA hat zudem richtig erkannt, dass dem BF allein aufgrund seiner Ausreise keine Sanktionen drohen, denen jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Es gibt zudem auch keine Gründe anzunehmen, bzw. hat der BF es nicht ausreichend konkret dargelegt, dass der pensionierte BF als oppositionell zum syrischen Regime eingestuft wird. Schon vor dem Hintergrund der Ausstellung eines syrischen Reisedokumentes sowie der Auszahlung einer Rente liegt es nicht nahe, dass die syrische Regierung den Umstand, dass der BF Syrien in der Folge verlassen hat, als illoyalen oder regimekritischen Akt auffassen könnte. Es bestehen unabhängig davon keine begründeten Anhaltspunkte dafür, dass der BF bloß aufgrund seiner Ausreise im Rahmen der Einreiseformalitäten am Flughafen von Damaskus festgenommen werden könnte und eine mit Folter verbundenen Anhaltung zu erleiden hat, da sich seine beiden Söhne nach wie vor in Syrien befinden und er zu diesen zurückkehren könnte. Zwar kommt es vor, dass Personen ohne Grund bei der Einreise verhaftet werden, ein reales Risiko ist im gegenständlichen Fall diesbezüglich nicht zu erkennen. Vor diesem Hintergrund kann die Möglichkeit, dass der BF bei der Einreise, festgenommen, angehalten und gefoltert/getötet wird, nicht gänzlich ausgeschlossen werden, es kann allerdings unter Berücksichtigung aller Umstände dieses Einzelfalles nicht davon ausgegangen werden, dass dies wahrscheinlich eintreten wird.

Überdies kann im Fall des BF nicht davon ausgegangen werden, dass die Stellung des Antrages auf internationalen Schutz dem syrischen Staat bekanntgeworden ist, zumal es den österreichischen Behörden verboten ist, Daten über Asylwerber an Behörden aus deren Herkunftsstaat zu übermitteln. Es ist auch nicht hervorgekommen, dass dem syrischen Staat die Antragstellung/Asylzuerkennung entgegen dem Verbot oder durch sonstige Umstände tatsächlich bekanntgeworden ist.

Das Gericht verkennt nicht, dass die Schwelle, von Seiten des syrischen Regimes als oppositionell betrachtet zu werden, niedrig ist sowie, dass Personen aus unterschiedlichen Gründen und teilweise willkürlich als regierungsfeindlich angesehen werden. Es übersieht auch nicht, dass in ganz Syrien bestimmte Personen aufgrund ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen bzw. zugeschriebenen politischen Meinung oder Zugehörigkeit direkt angegriffen werden oder ihnen auf andere Weise Schaden zugefügt wird. In Bezug auf den BF ergaben sich jedoch im Verfahren keine Hinweise darauf, dass allgemeinen Berichte und die darauf basierenden Gefährdungsmomente im gegenständlichen Falle auf die konkrete Situation des BF anzuwenden sind.

Nach den somit insgesamt fallbezogen zutreffenden Ausführungen des BFA finden sich insgesamt keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der betagte BF unmittelbar und konkret persönlich gefährdet ist, in Syrien unmittelbar und konkret in das Blickfeld insbesondere der syrischen Regierung zu geraten und von dieser etwa wegen einer ihn zugeschriebenen oppositionellen Gesinnung asylrelevant verfolgt zu werden. Auch sämtliche hierauf bezogenen Ausführungen beruhen auf allgemeinen Annahmen des Bestehens einer möglichen Gefährdung. Das konkrete und unmittelbare aktuelle Vorliegen einer solchen Gefährdung konnte der BF insgesamt ausreichend konkret nicht darlegen, bzw. insgesamt nicht glaubhaft machen.

Hinsichtlich der Einreise (am Flughafen von Damaskus) sprechen keine überzeugenden Umstände dafür, dass der BF mit verfahrensmaßgeblicher Wahrscheinlichkeit Opfer von Festnahme und Folter wird. Auch, wenn solcherart Vorkommnisse im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Situation in Syrien niemals gänzlich ausgeschlossen werden könnten, so sind diese jedoch nicht derart mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, sodass dem BF alleine hierauf beruhen der Status eins Asylberechtigten gem. §3 AsylG zuzuerkennen wäre.

Werden auch hierzu Berichte hinsichtlich einzelner Übergriffe auf Personen bei einer Rückkehr angeführt, so ist hierdurch das Vorliegen einer allgemeinen Gefährdung aufgezeigt worden. Dem Bestehen dieser allgemeinen Gefährdung ist bereits durch die Zuerkennung eines Schutzes gem. §8 AsylG durch das BFA Rechnung getragen worden. Durch dieses Vorbringen ist jedoch das aktuelle, bzw. konkrete Vorliegen einer den BF persönlich aus asylrelevanten Gründen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bestehenden unmittelbaren Gefährdung nicht aufgezeigt worden, wonach dem BF ein asylrechtlicher Schutz gem. §3 zu gewähren.

Aus den Länderberichten ergibt sich auch nicht, dass jedem Rückkehrer, der unrechtmäßig ausgereist ist und / oder der im Ausland einen Asylantrag gestellt hat, eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird, bzw. dieser eine allgemein asylrelevante Verfolgung bei einer Rückkehr zu befürchten hätte (VwGH 11.11.2020, Ra 2020/18/0147).

Auf die weiteren Ausführungen in der rechtlichen Beurteilung hinsichtlich der rechtlichen Einordung solcherart Sachverhalte ist zu verweisen.

Somit bleibt zusammenfassend festzuhalten, dass fallbezogen insbesondere die Ausführungen des BF hinsichtlich einer möglichen Bedrohung aufgrund einer den BF aufgrund seines hohen Alters nicht konkret betreffenden Wehrdienstverweigerung, einer möglichen Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung, dies auch aufgrund der Angaben hinsichtlich der angegebenen Wehrdienstverweigerung von 2 Söhnen, einer allfälligen Illegalität der Ausreise aus Syrien, eines längeren Auslandsaufenthaltes, eines Antrag auf internationalen Schutz im Ausland, noch aufgrund der Herkunft aus einer allfällig von der Regierung als oppositionsgeprägt erachteten Region für sich alleine genommen genügen, um fallgegenständlich bei einer hypothetischen Rückkehr des BF nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine aktuell bestehende, bzw. individuell konkrete Verfolgung des BF gem. §3 AsylG anzunehmen.

Besondere Gründe, die eine individuell erhöhte Gefährdung des BF nachvollziehbar konkret aufzeigen würden, bzw. ein sonstiges allfällig im gegenständlichen Verfahren relevantes Vorbringen, wurden fallgegenständlich nicht, bzw. nicht ausreichend konkret ausgeführt.

In einem Verfahren auf internationalen Schutz obliegt es dem Antragsteller das Vorliegen von asylrelevanten Bedrohungen ausreichend glaubhaft zu machen.

Diese Glaubhaftmachung einer aktuellen asylrelevanten Gefährdung des BF gem. §3 AsylG ist dem BF im gegenständlichen Verfahren insgesamt nicht gelungen.

Ein nicht an ein verfahrensrelevant hinreichendes Risiko heranreichendes Aufzeigen des Bestehens einer bloßen Möglichkeit einer Bedrohung oder Verfolgung kann für sich alleine nicht zur Zuerkennung des Asylstatus gem. §3 AsylG führen, da es hinsichtlich der Zuerkennung eines diesbezüglichen Schutzes verfahrensgegenständlich an der Voraussetzung des Vorliegens einer ausreichend konkreten und unmittelbar den BF persönlich betreffenden aktuellen bzw. maßgeblich relevanten Verfolgungswahrscheinlichkeit aus asylrelevanten Gründen mangelt.

Das BFA hat somit insgesamt zutreffend und richtig erkannt, dass der BF im gegenständlichen Verfahren, dies unter Berücksichtigung sämtlicher Gegebenheiten des gegenständlichen Einzelfalles, verfahrensgegenständlich nicht ausreichend belegt und konkret aufzeigen konnte, bzw. dieser es nicht glaubhaft gemacht hat, dass dieser gegenwärtig oder zukünftig in Syrien einer aktuellen, ihn persönlich betreffenden, unmittelbar konkreten asylrelevanten Gefährdung, so etwa durch syrische Regierung/Armee, die kurdischen Machthaber/die kurdischen Milizen, die türkische Armee oder islamistische Gruppierungen mit maßgeblicher ausgesetzt zu sein, wonach ihm gem. §3 AsylG Schutz zu gewähren wäre. Auch sind im Verfahren keine sonstigen ergänzenden Anhaltspunkte hervorgekommen, die eine solcherart konkrete asylrelevante Verfolgung des BF im Herkunftsstaat aus Gründen der Rasse, Geschlechts, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung für verfahrensrelevant wahrscheinlich erscheinen lassen hätten.

Dem BF wurde durch das BFA aus diesen Gründen zutreffend aufgrund der allgemein schlechten Sicherheits – und Versorgungslage im Herkunftsstaat des BF, Syrien der Status eines subsidiär Schutzberechtigten gem. §8 AsylG zuerkannt, jedoch der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gem. §3 AsylG abgewiesen.

Der gegenständlich angefochtene Bescheid des BFA war aus diesen Gründen zu bestätigen und die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt A):

3.1. Zur Abweisung der Beschwerde gegen Spruchpunkt I.:

3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht. Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG) gesetzt hat.

Flüchtling iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.“

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (vgl. VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

Gemäß § 3 Abs. 3 Z 1 und § 11 Abs. 1 AsylG ist der Asylantrag abzuweisen, wenn dem Asylwerber in einem Teil seines Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihm der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann („innerstaatliche Fluchtalternative“). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vorliegen kann. Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen – mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates – im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (vgl. VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer „inländischen Flucht- oder Schutzalternative“ (vgl. VwGH 09.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal wirtschaftliche Benachteiligungen auch dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (vgl. etwa VwGH 08.09.1999, 98/01/0614; 29.03.2001, 2000/20/0539).

Die Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung kann asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen – wie etwa der Anwendung von Folter – jede Verhältnismäßigkeit fehlt (vgl. VwGH 27.04.2011, 2008/23/0124; 23.01.2019, Ra 2019/19/0009; vgl. auch VwGH 19.06.2019, Ra 2018/18/0548 sowie jüngst VwGH 13.11.2019, Ra 2019/18/0274). Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann auch eine „bloße“ Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein (vgl. VwGH 25.03.2003, 2001/01/0009 m.w.N.; Putzer, Leitfaden, Asylrecht, 2. Auflage [2011], Rz 97; EuGH 26.02.2015, C-472/13, Shepherd). Auch dem Zwang zum Vorgehen gegen Mitglieder der eigenen Volksgruppe kann Asylrelevanz zukommen (vgl. VwGH 27.04.2011, 2008/23/0124 m.w.N.).

In diesem Zusammenhang kann zudem auf Entscheidungen deutscher als auch schweizer Verwaltungsgerichte verwiesen werden, die in vergleichbaren Verfahrenskonstellationen zu dem Verfahrensergebnis gelangen, dass weder alleine die Wehrdienstverweigerung, die Illegalität der Ausreise aus Syrien, ein längerer Auslandsaufenthalt, ein Antrag auf internationalen Schutz im Ausland, noch die Herkunft aus einer von der Regierung als oppositionsgeprägt erachteten Region für sich alleine genommen genügen, um losgelöst von den individuellen Umständen des Einzelfalls bei einer hypothetischen Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung wegen zugeschriebener politischer Einstellung anzunehmen (so etwa. DE: VGH München, Urteil vom 21. September 2020 - 21 B 19.32725 -, juris; OVG Lüneburg, Beschluss vom 31. August 2020 - 2 LB 674/18 -, juris; OVG Münster, Urteil vom 13. März 2020 - 14 A 2778/17.A -, juris.(Rn.30) , VG Trier 1. Kammer, 20.04.2021, 1 K 3528/20.TR, als auch beispielsweise CH: BVGer E-5262/2018 vom 19. Dezember 2018, E. 6.1; E-3366/2018 vom 4. Juni 2019 E. 6.3.1; D-3914/2018 vom 19. August 2019 E. 4.2.4; D-2391/2019 vom 9. März 2020 E. 7.1)

3.1.2. Auf Grund des durch das BFA umfassend und korrekt, sowie bezogen auf den konkreten Einzelfall abschließend durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht des BF, in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen unmittelbar persönlich und konkret asylrelevant verfolgt zu werden, verfahrensgegenständlich nicht begründet ist:

Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.

Unter Berücksichtigung sämtlicher Ausführungen des BF, so auch unter Berücksichtigung sämtlicher Ausführungen der Beschwerdeschrift, ist festzuhalten, dass es diesen insgesamt nicht gelungen ist, eine aktuelle, konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung mit maßgeblicher Intensität und Wahrscheinlichkeit, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, ausreichend glaubhaft zu machen. So hat der BF die behaupteten Fluchtgründe, nämlich eine asylrelevante Verfolgung durch das syrische Regime auf Grund der Desertation zweier Söhne, nicht glaubhaft machen können, bzw. hat dieser hierauf bezogen ausreichend nicht glaubhaft machen können, dass dieser deswegen aktuell asylrelevant unmittelbar persönlich mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bedroht wäre.

Vor dem Hintergrund der Feststellungen zur Lage in Syrien und sämtlicher Ausführungen des BF selbst, als auch der unter Berücksichtigung sämtlicher Beschwerdeausführungen, kann daher verfahrensgegenständlich nicht erkannt werden, dass dem BF im Herkunftsstaat eine ihn persönlich betreffende unmittelbar konkrete asylrelevante Verfolgung gem. §3 AsylG droht.

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides war daher gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abzuweisen.

Abschließend ist auch an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass der allgemeinen Gefährdung des BF durch die derzeitige und aktuelle Sicherheits- als auch Versorgunglage in Syrien im konkreten Fall bereits mit der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gem. §8 AsylG durch das BFA zutreffend Rechnung getragen wurde.

3.2. Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung:

§ 24 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 24/2017 lautet:

Verhandlung

§ 24. (1) Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

(2) Die Verhandlung kann entfallen, wenn

1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

(3) Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

(4) Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

(5) Das Verwaltungsgericht kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden."

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG, BGBl I Nr. 68/2013 idgF kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn

- der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint

oder

- sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Der Verwaltungsgerichtshof (vgl. das Erk. vom 28.05.2014, Zl. Ra 2014/20/0017 und 0018) erörterte, dass sich die bisher zu § 67d AVG ergangene Rechtsprechung auf das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten erster Instanz insoweit übertragen lässt, als sich die diesbezüglichen Vorschriften weder geändert haben noch aus systematischen Gründen sich eine geänderte Betrachtungsweise als geboten darstellt. Die in § 24 Abs. 4 VwGVG getroffene Anordnung kann nach dessen Wortlaut nur zur Anwendung gelangen, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist. Schon deswegen kann - entgegen den Materialien - nicht davon ausgegangen werden, diese Bestimmung entspräche (zur Gänze) der Vorgängerbestimmung des § 67d Abs. 4 AVG. Zudem war letztgenannte Norm nur auf jene Fälle anwendbar, in denen ein verfahrensrechtlicher Bescheid zu erlassen war. Eine derartige Einschränkung enthält § 24 Abs. 4 VwGVG nicht (mehr).

Für den Anwendungsbereich der vom BFA-VG 2014 erfassten Verfahren enthält § 21 Abs. 7 BFA-VG 2014 eigene Regelungen, wann – auch trotz Vorliegens eines Antrages - von der Durchführung einer Verhandlung abgesehen werden kann. Lediglich "im Übrigen" sollen die Regelungen des § 24 VwGVG anwendbar bleiben. Somit ist bei der Beurteilung, ob in vom BFA-VG erfassten Verfahren von der Durchführung einer Verhandlung abgesehen werden kann, neben § 24 Abs. 1 bis 3 und 5 VwGVG in seinem Anwendungsbereich allein die Bestimmung des § 21 Abs. 7 BFA-VG 2014, nicht aber die bloß als subsidiär anwendbar ausgestaltete Norm des § 24 Abs 4 VwGVG (vgl. Lukan, Die Abweichung von einheitlichen Verfahrensvorschriften im verwaltungsbehördlichen Verfahren und im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten erster Instanz, ZfV 2014/2,23) , als maßgeblich heranzuziehen.

Der Wortlaut des § 21 Abs 7 BFA-VG entspricht jenem, der in (bis 31.12.2013 geltenden) § 41 Abs 7 AsylG 2005 enthalten war. Mit Ausnahme der Wendung "oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht" besteht auch - im Wesentlichen - Übereinstimmung mit der (bis 30.6.2008 geltenden) in Art II Abs 2 Z 43a EGVG gestandenen Anordnung.

Der VwGH erachtet daraus resultierend nunmehr für die Auslegung des § 21 Abs. 7 BFA- VG folgende Kriterien als maßgeblich (vgl. VwGH vom 18.6.2014, Zl. Ra 2014/20/0002):

• der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und

• bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen,

• die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und

• das BVwG diese tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen und darf in der Beschwerde kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüberhinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht bleibt wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt.

Auf gegenständlichen Verfahren bezogen sind folgende Ausführungen hierzu zu erstatten:

Im gegenständlichen Verfahren war durch das Bundesverwaltungsgericht das Vorliegen eines ordnungsgemäßen, mängelfreien und vollständigen Ermittlungsverfahrens durch das BFA festzustellen. Die Entscheidung der Verwaltungsbehörde weist bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit auf. Die Verwaltungsbehörde hat die entscheidungsmaßgelblichen Feststellungen tragenden Feststellungen in gesetzmäßiger Weise offengelegt und das erkennende Gericht hat dieses tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung vollinhaltlich geteilt. Auch ist festzuhalten, dass in der gegenständlichen Beschwerde kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens substantiell entgegenstehender oder darüberhinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt dargelegt worden ist, der weitere Ermittlungen oder Befragungen als erforderlich erscheinen lassen könnte.

Der Beschwerdeschrift ist ein insbesondere allgemein gehaltenes, insgesamt unsubstantiiertes Bestreiten der Richtigkeit insbesondere der juristischen Einordnung des Vorbringens des BF in Bezug auf die Gewährung eines Asylschutzes gem. §3 AsylG, bzw. der Entscheidung der Verwaltungsbehörde zu entnehmen.

Verfahrenswesentlich neue entscheidungsrelevant zu berücksichtigende Sachverhalte, die sich unmittelbar und konkret auf den BF beziehen, nicht aufgeworfen.

Auch durch die Erhebung der gegenständlichen Beschwerde und der darin enthaltenen allgemeinen Ausführungen ist es dem BF nicht gelungen ausreichend begründet eine verfahrensrelevante Mangelhaftigkeit des Verfahrens aufzuzeigen.

Ebenso wurde durch sämtliche Ausführungen insgesamt kein Vorbringen erstattet, welches einer weiteren Erörterung vor dem BVwG im Zuge einer mündlichen Verhandlung bedürfen würde oder insgesamt ein anderes Verfahrensergebnis als möglich erscheinen lassen würde.

Sämtliche in der Beschwerdeschrift angeführten Gefährdungsbefürchtungen konnten im gegenständlichen Verfahren abschließend schriftlich erörtert und behandelt werden.

Dem BF wurde im erstinstanzlichen Verfahren, wie es sich aus dem Einvernahmeprotokoll nachweislich ergibt, ausreichend Gelegenheit eingeräumt sämtliche für ihn wesentliche Ausführungen zu erstatten und der BF hat selbst im Einvernahmeprotokoll des BFA bestätigt, sämtliche für ihn wesentlichen Ausführungen erstattet zu haben.

Der BF hat zudem ausreichend begründet nicht dargelegt, aus welchen Gründen eine neuerliche Erörterung seines bereits abschließend vor dem BFA erstatteten Vorbringens im gegenständlichen Verfahren erforderlich sein sollte.

Ebenso hat der BF nicht dargelegt, welches, bzw. warum ein allenfalls weiter zu erstattendes Vorbringen nicht bereits in der Beschwerdeschrift ausreichend substantiiert dargelegt hätte werden können.

Eine Abklärung der persönlichen Glaubwürdigkeit des BF ist zur rechtlichen Einordnung des durch den BF erstatteten Vorbringens und der angegebenen Gefährdungsannahmen verfahrensgegenständlich nicht erforderlich.

Dies, insbesondere auch unter Zugrundelegung der Ausführungen des BF, wonach dieser Syrien bereits im Jahre 2012 verlassen hat, sich seit diesem Zeitpunkt sich seinen eigenen Angaben zufolge niemals mehr in Syrien aufgehalten hat und dieser insgesamt das Vorliegen einer danach erfolgten Bedrohung, bzw. das unmittelbare Vorliegen einer ihn aktuell, konkret, unmittelbar und persönlich betreffenden asylrelevanten Verfolgungshandlung insgesamt nicht angegeben hat. Auf die diesbezüglichen Ausführungen bei der Beweiswürdigung ist zu verweisen.

Sämtliche Ausführungen des BF in Bezug auf allfällige Rückkehrbefürchtungen beruhen auf allgemeinen und unbelegten Annahmen des Vorliegens einer diesbezüglich aktuellen Gefährdung. Eine verfahrensrechtliche Erörterung und Einordung solcherart Ausführungen betreffend dieser allgemeiner Bedrohungsvermutungen konnte im gegenständlichen Verfahren durch das BVwG abschließend, wie oben ausgeführt, schriftlich erfolgen.

Durch eine nochmalige Erörterung der bereits vollständig und abschließend durch den BF vor dem BFA erstatteten Angaben im Zuge einer mündlichen Verhandlung vor dem BVwG kann nicht angenommen werden, dass es hinsichtlich der rechtlichen Einordnung des erstatteten Vorbringens, welche auch schriftlich erfolgen kann, zu einer verfahrenswesentlichen Änderung der Entscheidung kommen könnte.

Das erkennende Gericht hat die gegenständliche Entscheidung im unmittelbar zeitlichen Nahebereich zur erstinstanzlichen Entscheidung vorgenommen-

Das BVwG teilt vollinhaltlich die Beweiswürdigung der belangten Behörde, hat keine ergänzende Beweiswürdigung vorgenommen, sondern stützt die gegenständliche Entscheidung auf die von der belangten Behörde vollständig und zutreffend vorgenommene Beweiswürdigung des BFA und deren tragenden Gründe.

Aus diesen Gründen konnte von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung im gegenständlichen Verfahren Abstand genommen werden.

 

 

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A) wiedergegeben.

Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

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