BVergG 2018 §2 Z15
BVergG 2018 §2 Z5
BVergG 2018 §327
BVergG 2018 §328 Abs1
BVergG 2018 §334 Abs2
BVergG 2018 §342 Abs1
BVergG 2018 §350 Abs1
BVergG 2018 §350 Abs2
BVergG 2018 §351 Abs1
BVergG 2018 §351 Abs3
BVergG 2018 §351 Abs4
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2021:W139.2248694.1.00
Spruch:
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Kristina HOFER über den Antrag der XXXX vertreten durch Mecenovic Rechtsanwalt GmbH, Burggasse 16/III, 8010 Graz, auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung betreffend das Vergabeverfahren „ÖBA VMIS 2.0 Los 1 – Ost und Los 2 – West“ der Auftraggeberin ASFINAG Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft, vertreten durch die ASFINAG Maut Service GmbH:
A)
Dem Antrag, „das Bundesverwaltungsgericht möge für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens den Lauf der Angebotsfrist aussetzen und der Antragsgegnerin die Öffnung der Angebote untersagen“, wird dahingehend stattgegeben, als im Vergabeverfahren „ÖBA VMIS 2.0 Los 1 – Ost und Los 2 – West“ für die Dauer des gegenständlichen Nachprüfungsverfahrens der Lauf der Angebotsfrist ausgesetzt wird.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Begründung:
I. Vorbringen der Parteien/Verfahrensgang:
1. Am 26.11.2021 stellte die Antragstellerin den gegenständlichen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung, verbunden mit einem Nachprüfungsantrag, eine mündliche Verhandlung durchzuführen sowie auf Gebührenersatz der von ihr entrichteten Pauschalgebühren.
Begründend führte die Antragstellerin zusammengefasst im Wesentlichen Folgendes aus:
Die Auftraggeberin führe ein offenes Verfahren zum Abschluss einer Rahmenvereinbarung mit einem einzigen Unternehmer im Oberschwellenbereich durch. Die Angebotsfrist ende am 01.12.2021. Ausgeschrieben seien Leistungen der örtlichen Bauaufsicht.
Die Antragstellerin habe sich bereits als Mitglied einer Bietergemeinschaft am vorangegangenen, allerdings widerrufenen Vergabeverfahren betreffend die verfahrensgegenständlichen Leistungen beteiligt. Die Antragstellerin beabsichtige, auch bei dieser Ausschreibung für eines der beiden Lose ein Angebot zu legen.
Am 17.11.2021 habe die Auftraggeberin die gegenständliche Ausschreibung abgeändert, indem im Ausschreibungsbestandteil D.1 (Allgemeine Ausschreibungsbestimmungen) unter Punkt 1.1.37 die folgende, vollkommen neue Regelung eingefügt worden sei:
Wahrung der Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse von Unternehmen
Unternehmen, die ÖBA-Leistungen erbringen, erhalten aufgrund ihrer Aufgaben einen umfassenden Einblick in schützenswerte Dokumente von ausführenden Unternehmen.
Zur Wahrung dieser Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse sind daher ausführende Unternehmen von der Erbringung von ÖBA-Leistungen ausgeschlossen (auch in Form von Bietergemeinschaften und als Subunternehmer), wenn diese in einer Konkurrenzsituation zu den sonstigen ausführenden Unternehmen stehen (das heißt, derselbe Bieterkreis vorliegt).
Ausführende Unternehmen (zB Unternehmen, die klassische Bauleistungen, einschlägige Lieferleistungen oder Software-Programmier-Dienstleistungen erbringen) verstehen sich im Gegensatz zu Unternehmen, die kontrollierende, prüfende, planende, steuernde oder koordinierende Leistungen erbringen. Diese Definition umfasst auch Tochterunternehmen sowie wirtschaftlich verbundene Unternehmen.
Ein Unternehmen, das sich entgegen dieser Regelung am Vergabeverfahren für die ÖBA- Leistungen beteiligt (sei es als Bieter, in einer Bietergemeinschaft oder als Subunternehmer), obwohl es ein ausführendes Unternehmen gemäß der obigen Definition ist, ist daher auszuscheiden, da sonst eine Beeinträchtigung des freien, fairen und lauteren Wettbewerbs vorliegt.
Die Antragstellerin werde für die Auftraggeberin als ausführendes Unternehmen im Sinne dieser Bestimmung tätig und sei aufgrund dieser Bestimmung von der Teilnahme an diesem Vergabeverfahren als alleinige Bieterin, als Mitglied einer Bietergemeinschaft und als Subunternehmer definitiv ausgeschlossen.
Diese Entscheidung widerspreche den fundamentalen Grundsätzen des § 20 Abs 1 BVergG 2018 und lasse sich auch nicht mit der Regelung des § 25 Abs 1 BVergG 2018 betreffend Vorarbeiten begründen. Selbst diese Vorschrift wolle nicht verhindern, dass sich Bewerber oder Bieter an einem Vergabeverfahren beteiligen, die an der Vorbereitung des Vergabeverfahrens beteiligt gewesen seien, sondern verpflichte den öffentlichen Auftraggeber nur dazu, die erforderlichen Maßnahmen zu setzen, um sicher zu stellen, dass der Wettbewerb durch die Teilnahme solcher Bewerber oder Bieter nicht verzerrt werde. Diese Entscheidung lasse sich auch nicht mit § 26 BVergG 2018 (Vermeidung von Interessenkonflikten) rechtfertigen, wonach der öffentliche Auftraggeber geeignete Maßnahmen zur wirksamen Verhinderung, Aufdeckung und Behebung von sich bei der Durchführung von Vergabeverfahren ergebenden Interessenkonflikten zu treffen habe, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden und eine Gleichbehandlung aller Unternehmer zu gewährleisten. Auch diese Bestimmung wolle nur Interessenkonflikte bei der Durchführung des Vergabeverfahrens verhindern. Und schließlich verfolge auch § 27 BVergG 2018 (Schutz der Vertraulichkeit, Verwertungsrechte) nur den Schutz der bei der Durchführung eines Vergabeverfahrens ausgetauschten Informationen.
Dem BVergG sei nicht zu entnehmen, dass Bieter oder Bewerber deshalb vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden dürfen, weil sie bereits erteilte Aufträge für den öffentlichen Auftraggeber erfüllen.
Im konkreten Fall sei zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin bereits als ausführendes Unternehmen für die Antragsgegnerin tätig sei. Es erschließe sich nicht, welche Informationen sie dadurch erhalten soll, die ihre Beteiligung an einem Vergabeverfahren betreffend Leistungen der ÖBA in Frage stellen. Es sei jedenfalls unzulässig, Leistungen eines ausführenden Unternehmens grundsätzlich als informationsstiftend anzusehen. Ob Leistungen der ÖBA als informationsstiftend anzusehen seien, könne an dieser Stelle dahingestellt bleiben, weil es im konkreten Fall nicht darum gehe, ausführende Leistungen zu vergeben.
Die Antragstellerin könne sich die Aufnahme der oben zitierten Bestimmung in die Ausschreibung nur damit erklären, dass ihre Beteiligung als Bieterin im Vergabeverfahren verhindert werden soll. Dies sei krass rechtswidrig.
Die Antragstellerin bezeichnete ihr Interesse am Vertragsabschluss, den ihr drohenden Schaden und die Rechte, in denen sie sich verletzt erachte.
Die Antragstellerin erkläre ihr Vorbringen im Nachprüfungsantrag ausdrücklich auch zum Vorbringen auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung. Da dem Antrag auf Nachprüfung und Nichtigerklärung keine aufschiebende Wirkung zukomme, wäre die Antragstellerin durch die Fortsetzung des Vergabeverfahrens vor vollendete Tatsachen gestellt. Die Auftraggeberin könnte nach Ablauf der Angebotsfrist die Angebote öffnen und den Zuschlag erteilen, ohne dass die Antragstellerin die Möglichkeit hätte, ein erfolgversprechendes Angebot zu legen. Der Antragstellerin drohe das Entstehen des oben dargestellten Schadens. Die Aussetzung des Laufes der Angebotsfrist für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens samt Untersagung der Öffnung der Angebote sei für die Antragstellerin ein notwendiges und geeignetes Mittel zur Verhinderung der durch die aufgezeigten Rechtswidrigkeiten drohenden Schäden und erforderlich, um wirksamen Rechtschutz zu erlangen. Es könne von der Antragstellerin nicht verlangt werden, sich unter Zugrundelegung von Ausschreibungsbestimmungen am Vergabeverfahren zu beteiligen, die inhaltlich gegen zwingende Bestimmungen des BVergG 2018 verstoßen, zumal ihr aufgrund der rechtswidrigen bekämpften Festlegung die Abgabe eines erfolgversprechenden für die Zuschlagserteilung in Betracht kommenden Angebots von vorne herein unmöglich sei. Der Erlassung der begehrten einstweiligen Verfügung würden keine besonderen Interessen der Antragsgegnerin entgegenstehen. Die Antragstellerin hätte allfällige Verzögerungen des Verfahrens durch Nachprüfungsanträge bereits in die zeitliche Kalkulation einzubeziehen gehabt. Dem provisorischen Rechtschutz sei Vorrang einzuräumen. Bei der Interessenabwägung sei das öffentliche Interesse an der Sicherstellung der Auftragserteilung an den tatsächlichen Bestbieter zu berücksichtigen, was eine rechtskonforme Ausschreibungsgestaltung voraussetze. Ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Fortführung des Vergabeverfahrens bestehe nicht.
2. Am 30.11.2021 erteilte die Auftraggeberin allgemeine Auskünfte zum Vergabeverfahren. Zum Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung wurde kein Vorbringen erstattet.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt:
Aufgrund der vorgelegten Stellungnahmen sowie der Bezug nehmenden Beilagen und Unterlagen des Vergabeverfahrens wird vorerst im Rahmen des Provisorialverfahrens folgender entscheidungserheblicher Sachverhalt festgestellt:
Auftraggeberin ist die Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-AG (ASFINAG), vergebende Stelle die ASFINAG Maut Service GmbH. Im Oktober 2021 schrieb sie den verfahrensgegenständlichen Auftrag „ÖBA VMIS 2.0 Los 1 – Ost und Los 2 – West“ in einem offenen Verfahren im Oberschwellenbereich nach dem Bestbieterprinzip mit dem Ziel des Abschlusses einer Rahmenvereinbarung mit einem einzigen Unternehmer aus. Das Projekt VMIS 2.0 umfasst die Modernisierung des Verkehrsmanagement- und Informationssystems sowie die Errichtung einer gemeinsamen Bedienoberfläche für die Betriebsmittel in den Bereichen Freiland und Tunnel. Im Rahmen dieser Vergabe soll verfahrensgegenständlich eine ÖBA für die Teil-Projekte VMIS 2.0 Basisrollout und VMIS 2.0 Vollausbau beschafft werden. Die Angebotsfrist endete ursprünglich am 01.12.2021, 14.00 Uhr, und wurde unterdessen auf den 15.12.2021, 9.00 Uhr, verlängert.
Am 17.11.2021 wurde folgende Änderung der Ausschreibung in Teil D.1, Allgemeine Ausschreibungsbestimmungen, unter Punkt 1.1.37 über die ProVia-Plattform bekannt gegeben. Dabei handelt es sich um eine zuvor in der Ausschreibung nicht enthaltene Festlegung:
Wahrung der Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse von Unternehmen
Unternehmen, die ÖBA-Leistungen erbringen, erhalten aufgrund ihrer Aufgaben einen umfassenden Einblick in schützenswerte Dokumente von ausführenden Unternehmen.
Zur Wahrung dieser Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse sind daher ausführende Unternehmen von der Erbringung von ÖBA-Leistungen ausgeschlossen (auch in Form von Bietergemeinschaften und als Subunternehmer), wenn diese in einer Konkurrenzsituation zu den sonstigen ausführenden Unternehmen stehen (das heißt, derselbe Bieterkreis vorliegt).
Ausführende Unternehmen (zB Unternehmen, die klassische Bauleistungen, einschlägige Lieferleistungen oder Software-Programmier-Dienstleistungen erbringen) verstehen sich im Gegensatz zu Unternehmen, die kontrollierende, prüfende, planende, steuernde oder koordinierende Leistungen erbringen. Diese Definition umfasst auch Tochterunternehmen sowie wirtschaftlich verbundene Unternehmen.
Ein Unternehmen, das sich entgegen dieser Regelung am Vergabeverfahren für die ÖBA- Leistungen beteiligt (sei es als Bieter, in einer Bietergemeinschaft oder als Subunternehmer), obwohl es ein ausführendes Unternehmen gemäß der obigen Definition ist, ist daher auszuscheiden, da sonst eine Beeinträchtigung des freien, fairen und lauteren Wettbewerbs vorliegt.
Mit Schriftsatz vom 25.11.2021, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 26.11.2021, brachte die Antragstellerin den gegenständlichen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung verbunden mit einem Nachprüfungsantrag auf Nichtigerklärung der Entscheidung vom 17.11.2021 ein. Die Antragstellerin entrichtete die Pauschalgebühr in entsprechender Höhe.
Es wurde weder der Zuschlag erteilt noch wurde eine Widerrufsentscheidung bekanntgegeben oder der Widerruf erklärt.
2. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung
1. Zur Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts und zur Zulässigkeit des Antrages
Gemäß Art 135 Abs 1 B-VG iVm § 2 VwGVG und § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gemäß § 328 Abs 1 BVergG 2018 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht in den Angelegenheiten des § 327, soweit es sich nicht um die Entscheidung über einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe für die Einbringung eines Feststellungsantrags, die Entscheidung über einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung, die Entscheidung über den Gebührenersatz oder die Entscheidung über einen Verfahrenseinstellung nach Zurückziehung eines Nachprüfungs- oder Feststellungsantrages handelt, in Senaten. Vorliegend hat das Bundesverwaltungsgericht über einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung zu entscheiden. Somit liegt gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit vor.
Auftraggeberin im Sinne des § 2 Z 5 BVergG 2018 ist die Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-AG (ASFINAG).
Bei der gegenständlichen Vergabe handelt es sich gemäß § 7 BVergG 2018 um einen Dienstleistungsauftrag. Der geschätzte Auftragswert liegt gemäß den Angaben der Auftraggeberin über dem relevanten Schwellenwert des § 12 Abs 1 Z 2 BVergG 2018, sodass es sich um ein Vergabeverfahren im Oberschwellenbereich handelt.
Der gegenständliche Beschaffungsvorgang liegt somit im sachlichen und persönlichen Geltungsbereich des BVergG. Die allgemeine Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts zur Überprüfung des Vergabeverfahrens und damit zur Erlassung einstweiliger Verfügungen und zur Durchführung von Nachprüfungsverfahren entsprechend § 334 Abs 2 BVergG 2018 iVm Art 14b Abs 2 Z 1 B-VG ist sohin gegeben.
Da darüber hinaus laut Stellungnahme der Auftraggeberin das Vergabeverfahren nicht widerrufen und der Zuschlag noch nicht erteilt wurde, ist das Bundesverwaltungsgericht damit gemäß § 334 Abs 2 BVergG zur Nichtigerklärung rechtswidriger Entscheidungen eines Auftraggebers und zur Erlassung einstweiliger Verfügungen zuständig.
Schließlich geht das Bundesverwaltungsgericht vorläufig davon aus, dass der Antragstellerin die Antragsvoraussetzungen nach § 350 BVergG 2018 nicht offensichtlich fehlen.
Im Ergebnis ist daher davon auszugehen, dass der Antrag auf Erlassung der begehrten einstweiligen Verfügung gemäß § 350 Abs 1 BVergG 2018 zulässig ist, wobei auch die Voraussetzungen des § 350 Abs 2 BVergG 2018 vorliegen. Die Pauschalgebühr wurde in entsprechender Höhe bezahlt (§ 318 Abs 1 Z 1 und 4 BVergG 2018 iVm §§ 1, 2 Abs 1 und 3 Abs 1 BVwG-PauschGebV Vergabe; vgl. auch VwGH 16.12.2014, Ra 2014/04/0045). Der Nachprüfungsantrag richtet sich gegen die Entscheidung der Auftraggeberin vom 17.11.2021, die Ausschreibung in Teil D.1 (Allgemeine Ausschreibungsbestimmungen) um Punkt 1.1.37 (Wahrung der Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse von Unternehmen) zu ergänzen. Dabei handelt es sich um eine gesondert anfechtbare Entscheidung gemäß § 2 Z 15 lit a sublit aa BVergG 2018 (sonstige Entscheidung während der Angebotsfrist).
2. Inhaltliche Beurteilung des Antrages
Gemäß § 350 Abs 1 BVergG 2018 hat das Bundesverwaltungsgericht auf Antrag eines Unternehmers, dem die Antragsvoraussetzungen nach § 342 Abs 1 BVergG 2018 nicht offensichtlich fehlen, durch einstweilige Verfügung unverzüglich vorläufige Maßnahmen anzuordnen, die nötig und geeignet erscheinen, um eine durch die behauptete Rechtswidrigkeit einer gesondert anfechtbaren Entscheidung entstandene oder unmittelbar drohende Schädigung von Interessen des Antragstellers zu beseitigen oder zu verhindern.
Gemäß § 351 Abs 1 BVergG 2018 hat das Bundesverwaltungsgericht vor der Erlassung einer einstweiligen Verfügung die voraussehbaren Folgen der zu treffenden Maßnahme für alle möglicherweise geschädigten Interessen des Antragstellers, der sonstigen Bewerber oder Bieter und des Auftraggebers sowie ein allfälliges besonderes öffentliches Interesse an der Fortführung des Vergabeverfahrens gegeneinander abzuwägen. Ergibt diese Abwägung ein Überwiegen der nachteiligen Folgen einer einstweiligen Verfügung, ist der Antrag auf Erlassung der einstweiligen Verfügung abzuweisen.
Gemäß § 351 Abs 3 BVergG 2018 können mit einer einstweiligen Verfügung das gesamte Vergabeverfahren oder einzelne Entscheidungen des Auftraggebers bis zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über eine allfällige Nichtigerklärung vorübergehend ausgesetzt oder sonstige geeignete Maßnahmen angeordnet werden. Dabei ist die jeweils gelindeste noch zum Ziel führende vorläufige Maßnahme zu verfügen.
Gemäß § 351 Abs 4 BVergG 2018 ist in einer einstweiligen Verfügung die Zeit, für welche diese Verfügung getroffen wird, zu bestimmen. Die einstweilige Verfügung tritt nach Ablauf der bestimmten Zeit, spätestens jedoch mit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über den Antrag auf Nichtigerklärung außer Kraft, in dem die betreffende Rechtswidrigkeit geltend gemacht wird. Das Bundesverwaltungsgericht hat die einstweilige Verfügung unverzüglich auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, sobald die Voraussetzungen, die zu ihrer Erlassung geführt haben, weggefallen sind. Das Bundesverwaltungsgericht hat die einstweilige Verfügung unverzüglich auf Antrag oder von Amts wegen zu erstrecken, wenn die Voraussetzungen, die zu ihrer Erlassung geführt haben, nach Ablauf der bestimmten Zeit fortbestehen.
Die Antragstellerin behauptet die Rechtswidrigkeit der Entscheidung der Auftraggeberin vom 17.11.2021, Teil D.1 (Allgemeine Ausschreibungsbestimmungen) der Ausschreibungsunterlagen um Punkt 1.1.37 (Wahrung der Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse von Unternehmen) zu ergänzen. Diese Behauptung erscheint zumindest nicht denkunmöglich. Über die inhaltliche Begründetheit ist im Provisorialverfahren schon angesichts der kurzen Entscheidungsfrist nicht abzusprechen (siehe etwa VwGH 04.11.2013, AW 2013/04/0045). Diese wird im Hauptverfahren durch den zuständigen Senat zu beurteilen sein.
Da zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann, dass die von der Antragstellerin geltend gemachte Rechtswidrigkeit (zumindest teilweise) zutrifft und hierdurch eine erfolgreiche Beteiligung erschwert wird, droht der Antragstellerin durch die Fortsetzung des Vergabeverfahrens der Entgang des Auftrags mit allen daraus erwachsenden Nachteilen. Um derartigen Schaden abzuwenden, ist es erforderlich, das Vergabeverfahren bis zur Entscheidung in der Hauptsache durch das Bundesverwaltungsgericht in einem Stand zu halten, der die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes nicht ins Leere laufen lässt und der die Teilnahme an einem vergaberechtskonformen Vergabeverfahren und damit die grundsätzliche Möglichkeit der Auftragserteilung im Rahmen eines rechtskonformen Vergabeverfahrens über die hier verfahrensgegenständlichen Leistungen an die Antragstellerin wahrt (siehe zum Zweck einer einstweiligen Verfügung auch EBRV 69 BlgNr XXVI. GP 203).
Zur gebotenen Interessenabwägung ist auszuführen, dass bei Abwägung aller möglicherweise geschädigten Interessen der Antragstellerin, der sonstigen Bieter und der Auftraggeberin, eines allfälligen besonderen öffentlichen Interesses an der Fortführung des Vergabeverfahrens sowie des öffentlichen Interesses an der Sicherstellung der Auftragserteilung an den tatsächlichen Bestbieter (VfGH 15.10.2001, B 1369/01) sowie unter Zugrundlegung insbesondere des auch im gegenständlichen Vergabeverfahren maßgeblichen Gemeinschaftsrechts, wonach im Zweifel dem provisorischen Rechtsschutz Vorrang einzuräumen ist, ein Überwiegen der nachteiligen Folgen einer einstweiligen Verfügung nicht gegeben erscheint.
Bei der verfügten Aussetzung des Laufs der Angebotsfrist handelt es sich nach ständiger Rechtsprechung der Vergabekontrolle um eine notwendige und geeignete Maßnahme, um den aufgezeigten Schaden hintanzuhalten und der Antragstellerin die Möglichkeit zur Teilnahme an einem vergaberechtskonformen Vergabeverfahren zu bewahren (siehe ua 12.11.2018, W187 2208747-1/4E mwN; BVwG 07.08.2017, W187 2165912-1/2E; BVwG 15.12.2016, W138 2141684-1/2E; BVwG 30.05.2014, W139 2008219-1/11E; zur Fortlaufhemmung bereits BVA 11.12.2012, N/0113-BVA/12/2012-EV7). Dabei handelt es sich auch um die gelindeste noch zum Ziel führende Maßnahme iSd § 351 Abs 3 BVergG 2018, welche auch im Interesse der Auftraggeberin eine allfällige Fortführung des Vergabeverfahrens unter allenfalls geänderten Ausschreibungsbestimmungen gewährleisten würde. Eine Öffnung allfälliger Angebote kommt bereits insofern nicht in Betracht, zumal sich aus § 133 Abs 1 BVergG 2018 ergibt, dass Angebote erst nach Ablauf der Angebotsfrist, welche gegenständlich ausgesetzt wird, geöffnet werden dürfen.
Zur Dauer der Provisorialmaßnahme ist auszuführen, dass nach nunmehr ständiger Rechtsprechung eine einstweilige Verfügung mit der Dauer des Nachprüfungsverfahrens gemäß § 351 Abs 4 BVergG 2018 als hinreichend befristet zu bewerten ist (ua BVwG 10.01.2014, W187 2000170-1/11; BVwG 20.03.2014, W139 2003185-1/11E; BVwG 23.10.2014, W114 2013254-1/6E; BVA 10.02.2011, N/0011-BVA/10/2011-9, BVA 10.05.2011, N/0035-BVA/08/2011-12 mwN; siehe auch VwGH 10.12.2007, AW 2007/04/0054). Durch die Begrenzung der einstweiligen Verfügung mit der Dauer des abzusichernden Nachprüfungsverfahrens wird die Dauer der einstweiligen Verfügung bestimmbar gemacht (Kodek in Angst/Oberhammer, Kommentar zur Exekutionsordnung³ [2015], § 391 Rz 2). § 351 Abs 4 BVergG 2018 verlangt lediglich die Festsetzung einer Zeit und legt keine Höchstfrist fest. Aus dem Zweck der einstweiligen Verfügung, und zwar der Absicherung eines effektiven Nachprüfungsverfahrens, ergibt sich, dass die einstweilige Verfügung für die gesamte Dauer des Nachprüfungsverfahrens erlassen werden soll und mit dieser Dauer durch das Gesetz überdies begrenzt ist. Die Auftraggeberin ist durch eine derartige Bestimmung der Dauer nicht belastet, da die Entscheidungsfrist des Bundesverwaltungsgerichtes davon nicht verlängert wird, bei Wegfall der Voraussetzungen für die Erlassung der einstweiligen Verfügung jederzeit deren Aufhebung beantragt werden kann und die einstweilige Verfügung mit der Entscheidung über den Nachprüfungsantrag außer Kraft tritt. Von der Bestimmung einer nach einem bestimmten Datum festgesetzten Frist konnte daher abgesehen werden (ua BVwG 04.05.2015, W187 2106525-1/2E; siehe auch VwGH 10.12.2007, AW 2007/04/0054).
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Über den Antrag auf Gebührenersatz wird gesondert entschieden werden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (siehe dazu VwGH 06.11.2002, 2002/04/0138; 30.06.2004, 2004/04/0028; 01.02.2005, 2005/04/0004; 29.06.2005, 2005/04/0024; 24.02.2006, 2004/04/0127; 01.03.2007, 2005/04/0239; 27.06.2007, 2005/04/0254; 29.02.2008, 2008/04/0019; 14.01.2009, 2008/04/0143; 14.04.2011, 2008/04/0065; 22.06.2011, 2009/04/0128; 29.09.2011, 2011/04/0153; 10.12.2007, AW 2007/04/0054) ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ist die Rechtslage klar und eindeutig, liegt keine die Zulässigkeit einer Revision begründende Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor (siehe VwGH 12.11.2020, Ra 2020/16/0159). Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
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