AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2021:W215.2207187.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. STARK über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.09.2018, Zahl 1146600105-170806398, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. wird gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG), in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, als unbegründet abgewiesen.
II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. wird stattgegeben und gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG wird XXXX der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation zuerkannt.
III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 68/2013, wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für ein Jahr erteilt.
IV. Die Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl Nr. 1/1930 (B-VG), in der Fassung BGBl. I Nr. 51/2012, nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Anmerkung: Die Beschwerdeführerin stellte gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz als Mann, beschrieb sich in der Beschwerdeverhandlung als Transgender und wird - auf Grund des in der Beschwerdeverhandlung ausdrücklich geäußerten Wunsches (Verhandlungsschrift Seiten 07 und 11) - in diesem Erkenntnis als Beschwerdeführerin bezeichnet.
1. Die Beschwerdeführerin stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz, nachdem sie im Transitbereich des Flughafens Schwechat aufgegriffen worden war. Die Beschwerdeführerin gab dazu an: „Aufgrund meiner Homosexualität habe ich viele Probleme und werden in meinem Heimatland verfolgt“.
In der niederschriftlichen Erstbefragung am XXXX gab die Beschwerdeführerin zusammengefasst an, dass sie Homosexuell und Transgender sei und oft vergewaltigt worden wäre. Sie habe viele schreckliche emotionale Momente erlebt, sei auf der Straße geschlagen worden, und da in Russland homosexuelle Menschen nicht erwünscht seien, habe sie keine andere Möglichkeit mehr gesehen als zu flüchten. Bei der Polizei in Russland hätten homosexuelle Menschen keine Rechte. Seit dem achtzehnten Lebensjahr XXXX . Mit dem Arzt habe die Beschwerdeführerin nicht über ihre Homosexualität gesprochen, aus Angst, nicht mehr behandelt zu werden. Die Beschwerdeführerin habe Angstzustände und Selbstmordgedanken gehabt. Bei einer Rückkehr habe sie Angst und befürchte eine Verschlechterung ihres psychischen Zustandes. Sie habe Angst, wieder geschlagen und vergewaltigt zu werden, in Russland erhalte sie keine Hilfe. Die Beschwerdeführerin legte im Rahmen der Antragstellung unter anderem ihren russischen Auslandsreisepass Nr. XXXX vor.
Mit Schreiben der Österreichischen Botschaft Moskau vom XXXX wurde der Visumsantrag der Beschwerdeführerin sowie die von der XXXX abgegebene Verpflichtungserklärung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl übermittelt.
Am 28.02.2018 wurden der Beschwerdeführerin aktuelle Länderfeststellungen zur Situation in der Russischen Föderation übermittelt.
Eine schriftliche Stellungnahme der Beschwerdeführerin langte am 18.03.2018 im Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein.
Weiters folgten eine Therapiebestätigung datiert mit XXXX XXXX
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zog im Verfahren eine Anfragebeantwortung zur Russischen Föderation über XXXX , welche im erstinstanzlichen Akt einliegt.
Am 19.03.2018 folgte eine ausführliche niederschriftliche Befragung der Beschwerdeführerin im Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, worin die Beschwerdeführerin zusammengefasst angab, sie habe in der Russischen Föderation die Schule bis zur Matura abgeschlossen, anschließend als XXXX gearbeitet, sei unbescholten und habe in XXXX gelebt. Die Beschwerdeführerin sei ledig und habe nur noch ihre Eltern, welche zwei Wohnungen in der Russischen Föderation besitzen, wobei sie nur mit ihrer Mutter circa einmal pro Monat telefonischen Kontakt habe. Ihren Lebensunterhalt habe die Beschwerdeführerin als XXXX bestritten, wegen ihrer in der Russischen Föderation diagnostizierten Krankheit XXXX , habe sie eine XXXX erhalten. In Österreich erhalte die Beschwerdeführerin ca. EUR 360.- Unterstützung, davon miete sie ein Zimmer. Derzeit sei die Beschwerdeführerin nicht arbeitsfähig, wolle aber Schulungen machen und eine Lehre absolvieren. Die Beschwerdeführerin sei Mitglied im XXXX , Deutsch könne sie noch nicht, besuche aber einen Deutschkurs. Die Beschwerdeführerin habe keine Familienangehörigen oder Verwandten in Österreich. Die Beschwerdeführerin gab an, sie sei vom XXXX XXXX XXXX über das Thema XXXX in Österreich gewesen, sei danach, weil das Visum abgelaufen war, in XXXX bei einer Bekannten gewesen, anschließend im XXXX nach Österreich zurückgekehrt und habe erst dann einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Zuvor hätte die Beschwerdeführerin Angst gehabt einen Antrag zu stellen. Anschließend schilderte die Beschwerdeführerin ausführlich und detailliert, dass sie Transgender sei und was sie vor ihrer Ausreise aus in der Russischen Föderation erlebt habe.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.09.2018, Zahl 1146600105-170806398, wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz vom XXXX hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.), und hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin „nach“ Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).
Mit Verfahrensanordnung vom 05.09.2018 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater zur Seite gestellt.
Gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.09.2018, Zahl 1146600105-170806398, zugestellt am 04.09.2018, erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht am 01.10.2018 Beschwerde und rügte im Wesentlichen ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren, insbesondere die Nicht-Berücksichtigung der eingebrachten Stellungnahme und ergänzungsbedürftige Länderberichte, weiters eine mangelhafte Beweiswürdigung sowie daraus folgend die inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides. Der Beschwerde beigelegt wurde ein Deutschprüfungszeugnis A1 datiert mit XXXX , eine Deutschkursbestätigung A2 datiert mit XXXX , sowie eine Vollmacht.
2. Die Beschwerdevorlage vom 04.10.2018 langte am 08.10.2018 im Bundesverwaltungsgericht ein. Nach einer Unzuständigkeitseinrede wurde das Verfahren zwei Tage später der nunmehr zur Entscheidung berufenen Gerichtsabteilung zugewiesen.
Mit Schriftsatz vom 08.08.2019 übermittelte die Beschwerdeführerin eine Stellungnahme zur aktuellen Situation homosexueller Personen in ihrem Herkunftsstaat und führte in Ergänzung zu ihren bisherigen Fluchtgründen an, dass sie bei einer etwaigen Rückkehr zusätzlich zu ihrer XXXX ausgesetzt sei; beigefügt, wurden nochmals bereits zuvor, im erstinstanzlichen Verfahren, vorgelegte Unterlagen.
Am 28.11.2019 übermittelte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine Stellungnahme einer unbekannten Person betreffend des XXXX der Beschwerdeführerin.
Mit Schriftsatz vom 19.11.2020 legte die Beschwerdeführerin unter anderem einen Psychotherapeutischen Befundbericht datiert mit XXXX , einen Fachärztlichen Befund datiert mit XXXX , sowie ein Schreiben von XXXX datiert mit XXXX vor. Darüber hinaus vorgelegt wurden Zeugnisse datiert mit XXXX über eine bestandene Integrationsprüfung auf dem Niveau A1 sowie datiert mit XXXX über eine bestandene Integrationsprüfung auf dem Niveau B1, zudem ein Zertifikat über die bestandene Deutschprüfung B1.
Für den 23.11.2020 wurde zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes eine öffentliche mündliche Verhandlung im Bundesverwaltungsgericht anberaumt, zu welcher die Beschwerdeführerin, in Begleitung ihres zur Vertretung bevollmächtigten Rechtsberaters, erschien. Das ordnungsgemäß geladene Bundesamt für Fremdenwesen und hatte sich bereits vorab mit Schreiben vom 15.10.2020 entschuldigt und erschien nicht zur Verhandlung. In der Verhandlung wurden die Quellen der zu Entscheidungsfindung herangezogenen Länderinformationen dargetan, auf deren Einsichtnahme und Ausfolgung die Beschwerdeführerin verzichtete. Das Bundesverwaltungsgericht räumte den Verfahrensparteien vor Schluss der Verhandlung eine Frist zur Abgabe von Stellungnahmen ein.
Mit Schriftsatz vom 24.11.2020 übermittelte die Beschwerdeführerin eine Stellungnahme zur Situation von LGBTI Personen in der Russischen Föderation und der mangelnden Schutzwilligkeit staatlicher Behörden. Die Beschwerdeführerin sei in XXXX uns sei ein gesichertes Lebensumfeld positiv für den psychischen Zustand der Beschwerdeführerin.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässige Beschwerde erwogen:
1. Feststellungen:
a) Zur den persönlichen Verhältnissen der Beschwerdeführerin:
Die Identität der Beschwerdeführerin steht fest. Sie ist Staatsangehörige der Russischen Föderation, gehört der Volksgruppe der Russen an und ist ohne Glaubensbekenntnis. Die Beschwerdeführerin wurde in XXXX geboren und hat dort bis zur Ausreise im Alter von XXXX gelebt. Sie gilt in der Russischen Föderation als Mann und führt den männlichen Vornamen XXXX und einen männlichen Nachnamen XXXX . Die Beschwerdeführerin ist allein stehendend, fühlt sich als Transgender und wird in diesem Erkenntnis, auf Grund des in der Beschwerdeverhandlung ausdrücklich geäußerten Wunsches, als Beschwerdeführerin bezeichnet.
b) Zum bisherigen Verfahrensverlauf:
Die Beschwerdeführerin reiste problemlos legal mit ihrem russischen Auslandsreisepass über einen internationalen Flughafen der Russischen Föderation und einem Visum der Österreichischen Botschaft Moskau gültig von XXXX aus der Russischen Föderation aus und kam nach Österreich.
Während der Gültigkeitsdauer des Visums bzw. ihres legalen Aufenthalts in Österreich stellt die Beschwerdeführerin keinen Antrag auf internationalen Schutz.
Die Beschwerdeführerin reiste vor Ablauf des legalen Aufenthalts von Österreich zu Bekannten nach XXXX , stellte aber auch dort keinen Antrag auf internationalen Schutz.
Nach Ablauf ihres Visums wurde die Beschwerdeführerin auf ihrem Heimweg von der Republik Serbien im XXXX , bei einem Zwischenstopp im Transitbereich des Flughafens Schwechat, aufgegriffen und stellte erst am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.09.2018, Zahl 1146600105-170806398, wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz vom XXXX hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.), und hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin „nach“ Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).
Gegen diesen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, zugestellt am 07.09.2018, erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht am 01.10.2018 gegenständliche Beschwerde.
Für den 23.11.2020 wurde zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht anberaumt.
c) Zu den behaupteten Fluchtgründen der Beschwerdeführerin:
Die Beschwerdeführerin wusste bereits im Herkunftsstaat, dass sie Transgender ist. Dass die Beschwerdeführerin keine Erfahrung mit Transgender gehabt und sich deshalb in der Russischen Föderation als homosexuell ausgegeben hätte ist nicht glaubhaft. Sie hat in der Russischen Föderation XXXX
Es gab zu keinem Zeitpunkt konkrete Bedrohungen oder körperliche Übergriffe seitens russischen Behördenvertreter. Es gab zwar Übergriffe von Privatpersonen und die Beschwerdeführerin wurde XXXX , dies alles ereignete sich aber Jahre vor ihrer Ausreise und die Beschwerdeführerin hat auch keinen der Übergriffe von Privatpersonen angezeigt. Die Beschwerdeführerin wurde vor ihrer Ausreise aus ihren Herkunftsstaat nicht von Behördenvertretern verfolgt, musste von dort auch nicht fliehen, sondern reiste problemlos legal im XXXX aus ihrem Herkunftsstaat aus und das Bundesverwaltungsgericht kann nicht feststellen, dass sie im Fall ihrer Rückkehr in die Russischen Föderation verfolgt werden würde.
d) Zu einer Rückkehr der Beschwerdeführerin in ihren Herkunftsstaat:
Die Beschwerdeführerin hat im Herkunftsstaat elf Jahre die Grundschule und zwei Jahre ein XXXX besucht. Im Herkunftsstaat hat sie zuletzt als XXXX gearbeitet und hat in der Russischen Föderation zudem auch noch eine Einkommensquelle, in Form ihrer XXXX . Ihre Eltern besitzen zwei Wohnungen in der Russischen Föderation, leben nach wie vor dort und die Beschwerdeführerin hat mit ihrer Mutter, die weiß, dass die Beschwerdeführerin Transgender ist, circa einmal pro Monat telefonischen Kontakt.
Die Beschwerdeführerin leidet an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung; derzeit jedoch an einer XXXX Im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation kann nicht mit der nötigen Gewissheit ausgeschlossen werden, dass die Beschwerdeführerin, weil sie Transgender ist, in Alltagssituationen erhebliche unmenschliche oder erniedrigende Behandlung erfahren würde.
e) Zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin:
Politische Lage
Die Russische Föderation hat mehr als 142,3 Millionen Einwohner (Stand Juli 2021) und ist schätzungsweis ca. 1,8 Mal so groß wie die die U.S.A. (CIA Factbook letzte Aktualisierung 23.08.2021, abgefragt am 02.09.2021).
Der Präsident verfügt über weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 01.2021a; EASO 03.2017, AA 21.10.2020c). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister, und entlässt sie (GIZ 01.2021a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.03.2018; FH 04.3.2020). Die Wahlbeteiligung lag der russischen Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.03.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motiviert eingestuften Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.03.2018; vgl. FH 03.03.2021). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.03.2018). Wahlbetrug ist weit verbreitet, was insbesondere im Nordkaukasus deutlich wird (BTI 2020). Präsident Putin kann dem Ergebnis zufolge nach vielen Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen (Tagesschau.de 19.03.2018; vgl. OSCE/ODIHR 18.03.2018).
Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzesentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Am 15. Januar 2020 hat Putin in seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation eine Neuordnung des politischen Systems vorgeschlagen und eine Reihe von Verfassungsänderungen angekündigt. Dmitri Medwedjew hat den Rücktritt seiner Regierung erklärt. Sein Nachfolger ist der Leiter der russischen Steuerbehörde Michail Mischustin. In dem neuen Kabinett sind 15 von 31 Regierungsmitgliedern ausgewechselt worden (GIZ 01.2021a). Die Verfassungsänderungen ermöglichen Wladimir Putin, für zwei weitere Amtszeiten als Präsident zu kandidieren (GIZ 01.2021a; vgl. FH 03.03.2021), dies gilt aber nicht für weitere Präsidenten (FH 03.03.2021). Die Volksabstimmung über eine umfassend geänderte Verfassung fand am 1. Juli 2020 statt, nachdem sie aufgrund der Corona-Pandemie verschoben worden war. Bei einer Wahlbeteiligung von ca. 65% der Stimmberechtigten stimmten laut russischer Wahlkommission knapp 78% für und mehr als 21% gegen die Verfassungsänderungen. Neben der sogenannten Nullsetzung der bisherigen Amtszeiten des Präsidenten, durch die der amtierende Präsident 2024 und theoretisch auch 2030 zwei weitere Male kandidieren darf, wird das staatliche Selbstverständnis der Russischen Föderation in vielen Bereichen neu definiert. Der neue Verfassungstext beinhaltet deutlich sozialere und konservativere Inhalte als die Ursprungsverfassung aus dem Jahre 1993 (GIZ 01.2021a). Nach dem Referendum kam es zu Protesten von einigen hundert Personen in Moskau. Bei dieser nicht genehmigten Demonstration wurden 140 Personen festgenommen. Auch in St. Petersburg gab es Proteste (MDR 16.07.2020).
Der Föderationsrat ist als 'obere Parlamentskammer' das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten (GIZ 01.2021a): Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für fünf Jahre gewählt (GIZ 01.2021a; AA 21.10.2021c). Es gibt eine Fünfprozentklausel (GIZ 01.2021a).
Zu den wichtigen Parteien der Russischen Föderation gehören: die Regierungspartei Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern; Gerechtes Russland (Sprawedliwaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern; die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, welche die Nachfolgepartei der früheren KP ist; die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist; die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern; die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), links-zentristisch mit 85.000 Mitgliedern und die Partei der Volksfreiheit (PARNAS), eine demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 1.2021a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (343 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (39 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (RIA Nowosti 23.09.2016; vgl. Global Security 21.09.2016, FH 03.03.2021). Die sogenannte Systemopposition stellt die etablierten Machtverhältnisse nicht in Frage und übt nur moderate Kritik am Kreml (SWP 11.2018). Die nächste Duma-Wahl steht im Herbst 2021 an (Standard.at 01.01.2021).
Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international nicht anerkannten Annexion der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 01.2021a; vgl. AA 21.10.2020c). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 01.2021a).
Es gibt acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten), denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum („exekutive Machtvertikale“) deutlich (GIZ 01.2021a).
Bei den in einigen Regionen stattgefundenen Regionalwahlen am 08.09.2019 hat die Regierungspartei Einiges Russland laut Angaben der Wahlleitung in den meisten Regionen ihre Mehrheit verteidigt. Im umkämpften Moskauer Stadtrat verlor sie allerdings viele Mandate (Zeit Online 09.09.2019). Hier stellt die Partei nur noch 25 von 45 Vertretern, zuvor waren es 38. Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze. Die liberale Jabloko-Partei bekommt vier und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland drei Sitze (ORF 18.09.2019). Die beiden letzten Parteien waren bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten. Zuvor sind zahlreiche Oppositionskandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden, was zu den größten Protesten seit Jahren geführt hat (Zeit Online 09.09.2019), bei denen mehr als 1.000 Demonstranten festgenommen wurden (Kleine Zeitung 28.07.2019). Viele von den Oppositionskandidaten haben zu einer 'smarten Abstimmung' aufgerufen. Die Bürgersollten Jeden wählen – nur nicht die Kandidaten der Regierungspartei. Bei den für die russische Regierung besonders wichtigen Gouverneurswahlen gewannen die Kandidaten der Regierungspartei überall (Zeit Online 09.09.2019).
Neben den bis Juli 2021 verlängerten wirtschaftlichen Sanktionen wegen des andauernden Ukraine-Konfliktes (Presse.com 10.12.2020) haben sich die EU-Außenminister wegen der Inhaftierung des Kremlkritikers Alexej Nawalny auf neue Russland-Sanktionen geeinigt. Die Strafmaßnahmen umfassen Vermögenssperren und EU-Einreiseverbote gegen Verantwortliche für die Inhaftierung Nawalnys (Cicero 22.02.2021).
Nach rund drei Wochen hat der in einem Straflager inhaftierte Oppositionelle Alexej Nawalny am 23.04.2021 das Ende seines Hungerstreiks angekündigt. Nawalny hatte das Essen verweigert, um so gegen die unzureichende medizinische Versorgung zu protestieren. Nawalnys Ärzte hatten am 22.04.2021 in einem von Medien veröffentlichten Brief an den 44-Jährigen appelliert, seinen Hungerstreik sofort zu beenden. Die Ärzte hatten nach eigenen Angaben die vorliegenden Untersuchungsergebnisse ausgewertet. Nach Angaben des Bürgerrechtsportals Ovd-Info sind am 21.04.2021 bei landesweiten Demonstrationen für die Freilassung Nawalnys bis zu 2000 Menschen festgenommen worden. Allein bei der Kundgebung in St. Petersburg habe die Polizei mehr als 350 Demonstrierende in Gewahrsam genommen. Insgesamt listete das Portal Festnahmen in mehr als 80 Städten auf. Die Behörden hatten davor gewarnt, an den nicht genehmigten Protesten teilzunehmen. In Moskau sei die Demonstration hingegen ohne größere Zwischenfälle verlaufen. Im Stadtzentrum waren Tausende Menschen auf den Straßen, um Nawalny zu unterstützen. Viele forderten auch den Rücktritt des russischen Präsidenten Putin, dem sie die Unterdrückung Andersdenkender vorwerfen. Insgesamt nahmen wesentlich weniger Demonstrierende an den Kundgebungen teil als im Januar und Februar 2021. Dies dürfte vor allem darauf zurückzuführen sein, dass bei den vorangegangenen landesweiten Solidaritäts-Demonstrationen mehr als 11.000 Menschen festgenommen worden waren und die Sicherheitskräfte mit teils massiver Härte gegen die Protestierenden vorgingen (BAMF 26.04.2021).
Die Büros der Organisation des russischen Putin-Kritikers Alexej Nawalny dürfen nicht mehr tätig sein. Die Regionalbüros wurden vom Staat am 30.04.2021 als extremistisch eingestuft und stehen jetzt auf der Liste der terroristischen und extremistischen Organisationen der Finanzaufsichtsbehörde Rosfinmonitoring, die kurz zuvor eine entsprechende Aktualisierung ihrer Liste angekündigt hatte. Die russische Staatsanwaltschaft hatte am 27.04.2021 beantragt, Nawalnys Antikorruptionsstiftung FBK und das Netzwerk regionaler Organisationen des Regierungskritikers als extremistisch einzustufen und damit die Arbeit der Organisationen komplett zu verbieten. Mitgliedern und Unterstützern könnten dann lange Haftstrafen drohen. Daraufhin hatten sich die Regionalbüros am 27.04.2021 selbst aufgelöst, um möglicherweise einem kompletten Verbot infolge der befürchteten Einstufung als extremistisch zuvorzukommen. Einige der insgesamt 37 Büros wollen versuchen, ihre Aktivitäten als neue unabhängige politische Organisationen fortzusetzen. Die Regionalbüros sind bei Wahlen in den vergangenen Jahren für die Opposition wichtig gewesen, da sie immer wieder Kampagnen für sogenanntes intelligentes Wählen organisierten. Dabei riefen sie dazu auf, unabhängig von der Partei für jenen Kandidaten zu stimmen, der die besten Aussichten gegen den Kandidaten der Kreml-Partei Geeintes Russland hatte. Vor der Einstufung der Regionalbüros als extremistisch war am 30.04.21 auch bekannt geworden, dass in Moskau der prominente Anwalt Iwan Pawlow vom russischen Inlandsgeheimdienst FSB festgenommen worden ist. Die von Pawlow geführte Anwaltsorganisation Komanda 29 vertritt u.a. die Bewegung um den inhaftierten Nawalny (BAMF 03.05.2021).
Nachdem die Regionalbüros des Netzwerkes von Alexej Nawalny bereits seitens der russischen Finanzaufsichtsbehörde zu „terroristischen und extremistischen Organisationen“ erklärt worden waren (vgl. BN v. 03.05.2021), hat das Moskauer Stadtgericht am 09.06.21 alle drei zum Netzwerk gehörenden Organisationen, d.h. neben den Regionalbüros auch die Antikorruptionsstiftung FBK und den Bürgerrechtsfonds FZPG, als „extremistisch“ eingestuft und somit offiziell verboten. Das Gericht folgte damit dem Antrag der Staatsanwaltschaft, die Nawalnys Organisationen der Destabilisierung der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse im Land beschuldigt hatte. In der Folge drohen Mitarbeitenden, Spendenden und sonstigen Unterstützenden des Netzwerkes (sofern sie ihre Tätigkeit fortsetzen) bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe sowie seit Kurzem der Ausschluss von der Parlamentswahl im September 2021. Hintergrund ist eine von Präsident Putin am 04.06.2021 unterzeichnete Gesetzesnovelle, die Personen mit aktuellen wie auch zurückliegenden Verbindungen zu „extremistischen“ Vereinigungen das passive Wahlrecht für mehrere Jahre entzieht. Beobachter sehen in dem Gerichtsurteil einen schweren, wenn auch erwartbaren „Schlag“ gegen Nawalny und die russische Opposition insgesamt. Medienberichten zufolge kündigten Nawalnys Anwälte umgehend Berufung an; auch eine Fortsetzung der Arbeit des Netzwerkes unter neuem Namen stehe im Raum (BAMF 14.06.2021).
Gegen den inhaftierten Putin-Kritiker Alexej Nawalny ist eine neue Anklage erhoben worden, die seine Gefängnisstrafe deutlich verlängern könnte. Ihm werde die Gründung einer rechtswidrigen Organisation vorgeworfen, erklärte das für schwere Straftaten zuständige Ermittlungskomitee. Im Falle einer Verurteilung drohen Nawalny zusätzlich drei Jahre Gefängnis. Konkret geht es um Nawalnys Anti-Korruptionsstiftung FBK, die inzwischen in Russland als extremistisch eingestuft und im Juni 2021 verboten worden ist. Nawalny wird vorgeworfen, mit der Organisation die „Rechte der Bürger verletzt“ zu haben. Die FBK war vor zehn Jahren 14 gegründet worden und veröffentlichte seitdem u.a. mehrere Videos über versteckte Vermögen und Luxus Besitztümer von russischen Amtsträgern, insbesondere von Ministerpräsident Medwedjew und Präsident Putin. Die russische Opposition wirft der Führung in Moskau vor, im Vorlauf der geplanten Parlamentswahl im September 2021 eine massive Einschüchterungskampagne gegen regierungskritische Personen zu führen. Russischen Staatsmedien zufolge ist Ljubow Sobol, eine der engsten Unterstützerinnen Nawalnys, am 08.08.21 ausgereist, um der Vollstreckung eines Urteils zuvorzukommen (BAMF 16.08.2021).
(CIA, The World Factbook, Russland, letzte Aktualisierung am 23.08.2021, abgefragt am 02.09.2021, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/russia/
AA, Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.10.2020c), Russische Föderation – Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/politisches-portrait/201710 , Zugriff des BFA 16.02.2021
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BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Note, 26.04.2021, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw17-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=3
BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Note, 03.05.2021, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw18-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=3
BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Note, 14.06.2021, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw24-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=2
BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Note, 16.08.2021, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw33-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=4 )
Sicherheitslage
Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf. Seien Sie weiterhin insbesondere an belebten Orten, bei Menschenansammlungen und bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel besonders aufmerksam. Insbesondere in Moskau und St. Petersburg, aber auch in anderen großen Städten kann es im Zusammenhang mit nicht genehmigten Kundgebungen und Demonstrationen zu einem massiven, zum Teil gewaltsamen Vorgehen der Sicherheitskräfte kommen. Ein Aufenthalt auch in der Nähe von nicht genehmigten Veranstaltungen sollte unbedingt vermieden werden. In den touristischen Zentren russischer Städte sowie in größeren Menschenansammlungen und in öffentlichen Verkehrsmitteln wie der Metro kommt es zu Kleinkriminalität wie Taschendiebstahl. Wie auch in anderen Großstädten kann es in Bars und Clubs russischer Großstädte zu Straftaten und vereinzelt dem Einsatz von K.o.-Tropfen kommen. Bewusstlose Personen können Opfer sexueller Gewalt werden oder sich im Freien wiederfinden, was in den Wintermonaten lebensgefährlich sein kann. In nur offiziell aussehenden, aber nicht lizensierten Taxis sind Touristen Opfer von Straftaten geworden (AA Reise- und Sicherheitshinweise Stand 04.09.2021).
Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen (AA 07.04.2021a; GIZ 01.2021d, EDA 07.04.2021). Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 07.04.2021a; EDA 07.04.2021). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 07.04.2021).
Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Die gewaltsamen Zwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem ägyptischen Sinai mit 224 Todesopfern (SWP 04.2017). Seitdem war der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken sollte (SWP 04.2017; vgl. Deutschlandfunk 29.09.2020). Der Einsatz in Syrien ist der größte und längste Auslandseinsatz des russischen Militärs seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Zunächst sollten nur die Luftstreitkräfte die syrische Armee unterstützen. Bodentruppen wurden erst später und in geringerem Maße mobilisiert - in Form von Spezialeinheiten und schließlich am Ende des Feldzugs als Militärpolizei. Es gab auch Berichte über den Einsatz privater paramilitärischer Strukturen (DW 29.09.2020). Hier ist vor allem die 'Gruppe Wagner' zu nennen. Es handelt sich hierbei um einen privaten russischen Sicherheitsdienstleister, der nicht nur in Syrien, sondern auch in der Ukraine und in Afrika im Einsatz ist. Mithilfe solcher privaten Sicherheitsdienstleister lässt sich die Zahl von Verlusten des regulären russischen Militärs gering halten (BPB 08.02.2021), und der teure Einsatz sorgt dadurch in der russischen Bevölkerung kaum für Unmut (DW 29.09.2020).
In den letzten Jahren rückte eine weitere Tätergruppe in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sog. IS kämpften, wurde auf einige Tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017). Erst im Oktober 2020 wurden bei Spezialoperationen zentralasiatische Dschihadisten in Südrussland getötet und weitere in Moskau und St. Petersburg festgenommen (SN 15.10.2020).
(AA, Auswärtiges Amt, Russische Föderation, Reise- und Sicherheitshinweise, unverändert gültig seit 03.08.2021, Stand 04.09.2021, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederationsicherheit/201536
AA, Auswärtiges Amt [Deutschland] (07.04.2021a), Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederationsicherheit/201536#content_0 , Zugriff des BFA 07.04.2021
BPB, Bundeszentrale für politische Bildung [Deutschland] (08.02.2021), Analyse: Söldner im Dienst autoritärer Staaten: Russland und China im Vergleich, https://www.bpb.de/internationales/europa/russland/analysen/327198/soeldner-im-dienst-autoritaerer-staaten , Zugriff des BFA 08.04.2021
Deutschlandfunk (28.06.2017), Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden, https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram:article_id=389824 , Zugriff des BFA 07.04.2021
Deutschlandfunk (29.09.2020), An Russland kommt im Nahen Osten niemand mehr vorbei, https://www.deutschlandfunk.de/fuenf-jahre-russischer-militaereinsatz-in-syrien-an.724.de.html?dram:article_id=484951 , Zugriff des BFA 08.04.2021
DW, Deutsche Welle (29.09.2020): Russland im Syrien-Krieg: Gekommen, um zu bleiben, https://www.dw.com/de/russland-im-syrien-krieg-gekommen-um-zu-bleiben/a-55096554 , Zugriff des BFA 08.04.2021
EDA, Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (07.04.2021): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html#par_textimage , Zugriff des BFA 07.04.2021
GIZ, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (02.2020d): Russland, Alltag, https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170 , Zugriff des BFA 07.04.2021
SN, Salzburger Nachrichten (15.10.2020), Terrorzelle in Russland ausgeschaltet, https://www.sn.at/politik/weltpolitik/terrorzelle-in-russland-ausgeschaltet-94250941 , Zugriff des BFA 08.04.2021
SWP, Stiftung Wissenschaft und Politik (04.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf , des BFA Zugriff 07.04.2021)
LGBTI
Homosexualität ist in Russland seit 1993 nicht mehr strafbar, die sogenannte „Verbreitung homosexueller Propaganda gegenüber Minderjährigen“ hingegen schon. Verstöße gegen diese Vorschriften können mit empfindlichen Geldstrafen geahndet werden. Sie werden allerdings in der Praxis nur selten verhängt. Die Situation für Homosexuelle ist regional sehr unterschiedlich. In St. Petersburg findet jährlich ein „Queerfest“ statt. 2019 gelang es seinen Organisatoren erstmals, Sponsoren aus der Privatwirtschaft zu gewinnen; der örtliche Ombudsmann für Menschenrechte Schischlow unterstützte den Dialog der Organisatoren mit den Sicherheitsbehörden zur Gewährleistung der Sicherheit der Teilnehmer. Gegen das jährliche LGBTI-Filmfestival „Side by Side“ in St. Petersburg richteten sich jedoch zu Beginn Bombendrohungen, die den Verlauf erheblich beeinträchtigten. 2020 fand das Festival wegen der Pandemie online statt. LGBTI-Personen können im Alltag Diskriminierungen ausgesetzt sein, angefangen von sogenannten Mikroaggressionen bis hin zu physischen Übergriffen. Am stärksten gefährdet sind Transgender, die aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes von der Öffentlichkeit als männlich wahrgenommen werden, sich aber entsprechend ihrer sexuellen Identität feminin kleiden und z. B. schminken, und Personen, die sich öffentlich für Rechte von LGBTI Personen einsetzen. 2019 wurden im Internet erneut Listen von LGBTI-Aktivisten zirkuliert, gegen die homophobe Gruppierungen Drohungen aussprachen. Im Juli 2019 wurde die Aktivistin Jelena Grigorjewa, die auf einer solchen Liste stand, getötet. Die Strafverfolgungsbehörden gehen nicht von einem homophoben Motiv aus. Der staatliche Schutz vor solchen Übergriffen Dritter ist unzureichend. Homosexuelle können sich nicht überall darauf verlassen, dass Polizeikräfte sie bei Veranstaltungen oder Demonstration vor Übergriffen Dritter schützen. Laut glaubhaften Aussagen von NROs bringen Opfer von homophoben Straftaten diese häufig nicht zur Anzeige. Wird Anzeige erstattet, weigert sich nach Erkenntnissen der NROs Ressource LGBTQIA Moscow, Raduga und Stimul die Polizei häufig sie aufzunehmen, wenn das Opfer den homophoben Hintergrund der Tat benennt. Eine Ahndung der Tat durch die Justiz ist dann nur möglich, wenn das Tatopfer Beschwerde bei der vorgesetzten Polizeidienststelle, der Staatsanwaltschaft oder bei Gericht einlegt. Inwiefern solche Beschwerden erfolgreich beziehungsweise erfolglos sind, konnte das Auswärtige Amt nicht in Erfahrung bringen (AA 21.05.2021).
Homosexualität ist in Russland seit 1993 nicht mehr strafbar. Seit 2013 gilt in Russland das Gesetz zum Verbot der an Minderjährige gerichteten Propaganda von nicht-traditionellen sexuellen Beziehungen. Als Sanktionen sieht das Gesetz Geldstrafen sowie die temporäre Schließung von Medien, die diese Propaganda verbreiten, vor (ÖB Moskau 06.2020, AA 02.02.2021). Geldstrafen werden allerdings in der Praxis nur selten verhängt (AA 02.02.2021). Das Gesetz wird wiederholt zur Unterdrückung der freien Meinungsäußerung von LGBTI-Personen eingesetzt (AI 16.04.2020). Im September 2014 entschied der russische Verfassungsgerichtshof, dass das Gesetz nicht gegen die russische Verfassung verstößt. In einem Bericht von Human Rights Watch vom Dezember 2014 stellt die Organisation fest, dass das Gesetz zu einem Anstieg von Gewalt und Belästigung von LGBTI-Personen geführt hat. Die russischen Behörden kommen ihrer Verpflichtung, gegen homophobe Gewalt vorzugehen und diese zu ahnden, nicht nach. Russische LGBTI-Organisationen registrieren jährlich ca. 70 Fälle von Hassverbrechen auf Grundlage der sexuellen Orientierung oder Genderidentität, davon wird nur ein Bruchteil zur Anzeige gebracht und wiederum nur in einem Bruchteil davon ein Strafverfahren eingeleitet. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) beurteilte das oben genannte Gesetz in einem Urteil vom Juni 2017 als willkürlich und diskriminierend. In einer besonders gefährdeten Situation sind LGBTI-Eltern, vor allem von angenommenen/adoptierten Kindern, da es in der Vergangenheit zum Entzug des Sorgerechts kam (ÖB Moskau 06.2020). Mit einer Verfassungsänderung im Juli 2020 wurde die Ehe als Bund zwischen Mann und Frau in der russischen Verfassung festgeschrieben (ÖB Moskau 06.2020, HRW 13.01.2021, FH 03.03.2021). Bei einer Umfrage des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts Levada Zentrum vom April 2019 gaben 3% der Befragten an, sie hätten eine positive Einstellung zu Homosexuellen, 39% äußerten eine neutrale Einstellung und 56% eine negative. 47% der Befragten befürworteten eine Gleichstellung Homosexueller mit anderen Bürgern (zum Vergleich: 2013: 39%, 2012: 46%, 2010: 45%, 2005: 51%). Bei der Anzahl von Gewaltverbrechen gegen Homosexuelle verzeichnet die Menschenrechtsorganisation Sova für das Jahr 2019 einen leichten Anstieg gegenüber dem Vorjahr. Von einer hohen Dunkelziffer ist jedoch auszugehen. LGBTI-Personen können im Alltag Diskriminierungen ausgesetzt sein, angefangen von sogenannten Mikro-Aggressionen bis hin zu physischen Übergriffen. Am stärksten gefährdet sind Transgender-Personen, die aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes von der Öffentlichkeit als männlich wahrgenommen werden, sich aber entsprechend ihrer sexuellen Identität feminin kleiden und z.B. schminken, und Personen, die sich öffentlich für Rechte von LGBTI-Personen einsetzen. 2019 zirkulierten im Internet erneut Listen von LGBTI-Aktivisten, gegen die homophobe Gruppierungen Drohungen aussprachen. Im Juli 2019 wurde die Aktivistin Jelena Grigorjewa, die auf einer solchen Liste stand, getötet. Die Strafverfolgungsbehörden gehen nicht von einem homophoben Motiv aus (AA 13.02.2019).
Der staatliche Schutz vor solchen Übergriffen Dritter ist unzureichend. Homosexuelle können sich nicht überall darauf verlassen, dass Polizeikräfte sie bei Veranstaltungen oder Demonstration vor Übergriffen Dritter schützen. Laut glaubhaften Aussagen von NGOs bringen Opfer von homophoben Straftaten diese häufig nicht zur Anzeige. Wird dennoch Anzeige erstattet, weigert sich die Polizei häufig diese aufzunehmen, wenn das Opfer den homophoben Hintergrund der Tat benennt. Eine Ahndung der Tat durch die Justiz ist dann nur möglich, wenn das Tatopfer Beschwerde bei der vorgesetzten Polizeidienststelle, der Staatsanwaltschaft oder bei Gericht einlegt (AA 02.02.2021).
Bei einem Treffen der Botschaft mit einer Vertreterin des „russischen LGBT-Netzwerks“ im Mai 2021 wurde darauf hingewiesen, dass sich die Situation für LGBT-Personen in Russland auch von Region zu Region stark unterscheidet. Als rezentes Beispiel für massive Gewalt gegen Mitglieder der LGBT-Community wurde die Stadt Tschita am Baikal genannt: dort sei es in jüngster Vergangenheit zu hunderten Fällen gekommen, dass LGTB-Personen zu Treffen gelockt worden seien, bei denen sie dann angegriffen und teilweise auch getötet worden seien (ÖB Moskau 30.06.2021).
Nordkaukasus
Auch im Nordkaukasus insgesamt (nicht nur Tschetschenien) sei die Zahl der Verbrechen gegen Mitglieder der LGBT-Community sehr hoch. Durch den Einsatz von Mitgliedern des russischen LGTB Netzwerks konnten rund 200 Personen aus Tschetschenien gerettet werden. Es komme aber weiterhin zu Verfolgung, Folter und Tötungen. Betroffen seien sowohl Männer als auch Frauen. Die Spezifik bei Frauen sei allerdings, dass diese einen „stillen Tod sterben“. Entweder sie werden von ihren Familienangehörigen getötet (sogenannte Ehrenmorde) oder zwangsverheiratet. Ein rezenter Fall war jener der von Sicherheitskräften aus einem Frauenhaus in Dagestan nach Tschetschenien entführten Chalimat Taramova (ÖB Moskau 30.06.2021)
Als besonders gravierend gilt die Lage sexueller Minderheiten im Nordkaukasus (ÖB Moskau 06.2020; FH 03.03.2021). Homosexuelle müssen mit Verfolgung durch lokale Behörden rechnen (AA 02.02.2021). Im April 2017 berichtete die Nowaja Gazeta über die massive Verfolgung Homosexueller in Tschetschenien, die von Menschenrechtsorganisationen scharf kritisiert wurde (ÖB Moskau 06.2020; BAMF 11.2019). Über 100 Homosexuelle wurden durch tschetschenische Sicherheitskräfte festgenommen und gefoltert. In mindestens sechs Fällen sind die Opfer ermordet worden. Andere haben nach ihrer Freilassung Tschetschenien verlassen. Mehrere NGOs berichteten, dass homosexuelle Frauen und Männer bei ihnen in anderen Landesteilen Schutz gesucht haben. Als Reaktion auf die Berichte haben mehrere Staaten Opfer aufgenommen, die über die Menschenrechtsorganisation LGBTI-Netzwerk vermittelt wurden. Staatspräsident Putin hat eine Untersuchung der Vorfälle angeordnet, die bisher zu keinen Ergebnissen geführt hat. Eine Mitte September 2018 durchgeführte Reise der Ombudsfrau Tatjana Moskalkowa nach Grosny versuchten tschetschenische Behörden zu nutzen, (Presse-)Berichte über verschollene Personen als falsch darzustellen (AA 02.02.2021). Nachdem die russischen Behörden im Rahmen der OSZE keine substanzielle Antwort gegeben hatten, wurde der 'Moskauer Mechanismus' ausgelöst (AA 02.02.2021, ÖB Moskau 06.2020). Im diesbezüglichen Bericht vom Dezember 2018 werden die Vorwürfe weitgehend bestätigt bzw. als glaubhaft bezeichnet. Bisher ist Russland nicht substanziell auf die Empfehlungen des OSZE-Berichts eingegangen (AA 02.02.2021). Medienberichte, denen zufolge in Tschetschenien Anfang 2019 über 40 LGBTI-Personen (AA 02.02.2021, FH 03.03.2021, BAMF 11.2019) festgenommen und zwei zu Tode gefoltert worden seien (AA 02.02.2021, ÖB Moskau 06.2020), wurden von russischen Behörden dementiert. Lokale Behördenvertreter sagten einem Beauftragten der Parlamentarischen Versammlung des Europarats 2019 (AA 02.02.2021), dass in Tschetschenien (sinngemäß) weder Homosexuelle noch Menschenrechtsverletzungen existieren. Nach glaubhaften NGO-Berichten wurden 2018/2019 auch lesbische Frauen Ziel von Verfolgung. Anders als bei homosexuellen Männern spielt hier jedoch nicht primär die staatliche Verfolgung, sondern Zwangsverheiratung und andere Maßnahmen durch das familiäre Umfeld eine Rolle (AA 02.02.2021, ÖB Moskau 06.2020). 2018 hat es beinahe monatlich einzelne Fälle von Gewalt und Anhaltungen von LGBTI-Vertretern durch die Polizei gegeben. Ein mögliches Motiv für die Anhaltungen könnte auch in der Erpressung von Lösegeld (es werden Summen in der Höhe von 13.000 € genannt) liegen (ÖB Moskau 06.2020). Die sich häufenden Beweise für die Entführung, Folterung und Tötung homosexueller Männer in Tschetschenien durch die Polizei in den vergangenen Jahren werden von den Behörden der Russischen Föderation ignoriert (AI 16.04.2020).
Seit der Veröffentlichung des Zeitungsberichtes zur Verfolgung Homosexueller in Tschetschenien im April 2017 durch die Zeitung Nowaja Gazeta konnte das russische LGBT-Netzwerk mehr als 150 Personen aus Tschetschenien evakuieren. Davon sind mehr als 140 LGBTI-Personen in europäische Länder und nach Kanada emigriert. Der Menschenrechtsorganisation zufolge waren die Evakuierungen schwierig, da sie hierbei teilweise von den Behörden und Familien der Betroffenen behindert wurden. Auch in anderen Teilen Russlands außerhalb Tschetscheniens waren die Betroffenen teilweise nicht in Sicherheit, in einigen Fällen kam es zu Entführungen, bei denen die Geflüchteten zu ihren Familien nach Tschetschenien zurückgebracht wurden (BAMF 11.2019).
Der Regisseur Sewa Galkin berichtete am 22.04.2021, dass das Moskauer Internationale Filmfestival eine Vorführung seines Films über die Ermordung von LGBTQ+ Menschen in der Republik Tschetschenien abgesagt hat (Universität Bremen 08.06.2021).
In Tschetschenien wurde ein Anwalt von zwei homosexuellen Männern, unter dem Vorwand von Quarantäne, verweigert, seine Klienten zu sehen. Die beiden Männer waren zuvor festgenommen worden, um sie vor „Ehrenmord“ zu schützen (Caucasian Knot 15.08.2021). Laut russischem LGBT-Netzwerk wurde ein Tschetschene im Mai 2021 in Moskau entführt und nach Tschetschenien gebracht, wo er zu homosexuellen Männern in der Region befragt wurde (HRW 31.08.2021).
(AA, Auswärtiges Amt [Deutschland] (02.02.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff des BFA 25.02.2021
AA, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, Stand Oktober 2020, 02.02.2021 in der Fassung 21.05.2021, https://www.ecoi.net
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HRW, Human Rights Watch, Russia, 31.08.2021, https://www.hrw.org/news/2021/08/31/no-end-chechnyas-violent-anti-gay-campaign )
Rechtsschutz/Justizwesen
Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte für Verfassungs-, Zivil-, Verwaltungs- und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 03.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR – Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, EuR – Europäischer Rat) als auch nationale Organisationen (Ombudsperson, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen (ÖB Moskau 06.2020). Der Judikative mangelt es auch an Unabhängigkeit von der Exekutive, und berufliches Weiterkommen in diesem Bereich ist an die Einhaltung der Präferenzen des Kremls gebunden (FH 03.03.2021). Auch Korruption ist im Justizsystem ein Problem (EASO 03.2017, BTI 2020).
Das russische Justizsystem ist institutionell abhängig von den Untersuchungsbeamten, die häufig die Urteile bestimmen. Politisch wichtige Fälle werden vom Kreml überwacht, und Richter haben nicht genug Autonomie, um den Ausgang zu bestimmen (ÖB Moskau 06.2020). Die Personalkommission des Präsidenten und die Vorsitzenden des Gerichts kontrollieren die Ernennung und Wiederernennung der Richter des Landes, die eher aus dem Justizsystem befördert werden, als unabhängige Erfahrungen als Anwälte zu sammeln. Änderungen der Verfassung, die im Jahr 2020 verabschiedet wurden, geben dem Präsidenten die Befugnis, mit Unterstützung des Föderationsrates, Richter am Verfassungsgericht und am Obersten Gerichtshof zu entfernen, was die ohnehin mangelnde Unabhängigkeit der Justiz weiter schädigt (FH 03.03.2021).
In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen der Angeklagten. Am 1. Oktober 2019 trat eine Reform des russischen Gerichtswesens in Kraft, mit der eigene Gerichte für Berufungs-und Kassationsverfahren geschaffen wurden sowie die Möglichkeit von Sammelklagen eingeführt wurde. Wenngleich diese Reformen ein Schritt in die richtige Richtung sind, bleiben grundlegende Mängel des russischen Gerichtswesens bestehen (z.B. de facto „Schuldvermutung“ im Strafverfahren, informelle Einflussnahme auf die Richter etc.). Laut einer Umfrage des Lewada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen von Ende 2018, rangieren die Gerichte, die Staatsanwaltschaft und die Polizei eher im unteren Bereich. 33% der Befragten zweifeln daran, dass man den Gerichten vertrauen kann, 25% sind überzeugt, dass die Gerichte das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdienen, und nur 28% geben an, ihnen zu vertrauen. Der Kampf der Justiz gegen Korruption steht mitunter im Verdacht einer Instrumentalisierung aus wirtschaftlichen bzw. politischen Gründen (ÖB Moskau 06.2020).
2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, sodass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das zur Untergrabung der Souveränität Russlands missbraucht werde (ÖB Moskau 06.2020). Im Juli 2015 stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass bei einer der russischen Verfassung widersprechenden Konventionsauslegung seitens des EGMR das russische Rechtssystem aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Diese Position des Verfassungsgerichtshofs wurde im Dezember 2015 durch ein Föderales Gesetz unterstützt (ÖB Moskau 06.2020; AA 02.02.2021, USDOS 11.03.2020). Im Juli 2020 wurde diese Rechtsposition auch in der Verfassung verankert und dem russischen Verfassungsgerichtshof das Recht eingeräumt, Urteile zwischenstaatlicher Organe nicht umzusetzen, wenn diese in ihrer Auslegung der Bestimmungen zwischenstaatlicher Verträge nicht mit der russischen Verfassung im Einklang stehen (ÖB Moskau 06.2020; AA 02.02.2021). Die Venedig-Kommission des Europarates gab eine Stellungnahme zu den damaligen Entwürfen für Verfassungsänderungen ab. Die Kommission bekräftigte ihre Ansicht, dass die Befugnis des Verfassungsgerichts, ein Urteil des EGMR für nicht vollstreckbar zu erklären, den Verpflichtungen Russlands aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) widerspricht (HRW 13.01.2021). Mit Ende 2019 waren beim EGMR 15.050 Anträge aus Russland anhängig. Im Jahr 2019 wurde die Russische Föderation in 186 Fällen wegen Verletzungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verurteilt. Besonders zahlreich sind Konventionsverstöße gegen das Recht auf Freiheit und Sicherheit, das Recht auf ein faires Verfahren und wegen unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (ÖB Moskau 06.2020).
Am 10.02.2017 fällte das Verfassungsgericht eine Entscheidung zu Artikel 212.1 des Strafgesetzbuchs, der wiederholte Verstöße gegen das Versammlungsrecht als Straftat definiert. Die Richter entschieden, die Abhaltung einer nicht genehmigten friedlichen Versammlung allein stelle noch keine Straftat dar. Am 22.02.2017 überprüfte das Oberste Gericht das Urteil gegen den Aktivisten Ildar Dadin, der wegen seiner friedlichen Proteste eine Freiheitsstrafe auf Grundlage von Artikel 212.1. erhalten hatte, und ordnete seine Freilassung an. Im Juli 2017 trat eine neue Bestimmung in Kraft, wonach die Behörden Personen die russische Staatsbürgerschaft aberkennen können, wenn sie diese mit der „Absicht“ angenommen haben, die 'Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung des Landes anzugreifen'. NGOs kritisierten den Wortlaut des Gesetzes, der nach ihrer Ansicht Spielraum für willkürliche Auslegungen bietet (AI 22.02.2018). Bei den Protesten im Zuge der Kommunal- und Regionalwahlen in Moskau im Juli und August 2019, bei denen mehr als 2.600 Menschen festgenommen wurden, wurde teils auf diesen Artikel (212.1) zurückgegriffen (AI 16.04.2020).
Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Es gibt jedoch Hinweise auf selektive Strafverfolgung, die auch sachfremd, etwa aus politischen Gründen oder wirtschaftlichen Interessen, motiviert sein kann (AA 02.02.2021).
Repressionen Dritter, die sich gezielt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe richten, äußern sich hauptsächlich in homophoben, fremdenfeindlichen oder antisemitischen Straftaten, die vonseiten des Staates nur in einer Minderheit der Fälle zufriedenstellend verfolgt und aufgeklärt werden (AA 02.02.2021).
(AA, Auswärtiges Amt [Deutschland] (02.02.2021), Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff des BFA 23.03.2021
AI, Amnesty International (22.02.2018), Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html , Zugriff des BFA 23.03.2021
AI, Amnesty International (16.04.2020): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2019), https://www.ecoi.net/de/dokument/2028170.html , Zugriff des BFA 23.03.2021
BTI, Bertelsmann Transformation Index (2020): BTI 2020 Country Report – Russia, https://bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_RUS.pdf , Zugriff des BFA 17.05.2021
EASO, European Asylum Support Office [EU] (03.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf , Zugriff des BFA 23.03.2021
FH, Freedom House (03.03.2021), Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff des BFA 23.03.2021
HRW, Human Rights Watch (13.01.2021), Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2020 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043508.html , Zugriff des BFA 23.03.2021
ÖB Moskau, Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (06.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_ÖB_Bericht_2020_06.pdf#page=25 &zoom=auto,-259,684, Zugriff des BFA 23.03.2021
USDOS, United States Department of State [USA] (11.03.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026343.html , Zugriff 2 des BFA 3.03.2021
Sicherheitsbehörden
Das Innenministerium (MVD), der Föderale Sicherheitsdienst (FSB), das Untersuchungskomitee und die Generalstaatsanwaltschaft sind auf allen Regierungsebenen für den Gesetzesvollzug zuständig. Der FSB ist mit Fragen der Sicherheit, Gegenspionage und der Terrorismusbekämpfung betraut, aber auch mit Verbrechens- und Korruptionsbekämpfung. Die nationale Polizei untersteht dem Innenministerium und bekämpft Kriminalität. Die Aufgaben der Föderalen Nationalgarde sind die Sicherung der Grenzen gemeinsam mit der Grenzwache und dem FSB, die Administrierung von Waffenbesitz, der Kampf gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität, der Schutz der öffentlichen Sicherheit und der Schutz von wichtigen staatlichen Einrichtungen. Weiters nimmt die Nationalgarde an der bewaffneten Verteidigung des Landes gemeinsam mit dem Verteidigungsministerium teil. Zivile Behörden halten eine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte aufrecht. Obwohl das Gesetz Mechanismen für Einzelpersonen vorsieht, um Klagen gegen Behörden wegen Menschenrechtsverletzungen einzureichen, funktionieren diese Mechanismen oft nicht gut. Gegen Beamte, die Missbräuche begangen haben, werden nur selten strafrechtliche Schritte unternommen, um sie zu verfolgen oder zu bestrafen, was zu einem Klima der Straflosigkeit führte (USDOS 11.03.2020), ebenso wendet die Polizei häufig übermäßige Gewalt an (FH 03.03.2021; AI 16.04.2020, HRW 13.01.2021).
Nach dem Gesetz können Personen bis zu 48 Stunden ohne gerichtliche Zustimmung inhaftiert werden, vorausgesetzt es gibt Beweise oder Zeugen. Ansonsten ist ein Haftbefehl notwendig. Verhaftete müssen von der Polizei über ihre Rechte aufgeklärt werden, und die Polizei muss die Gründe für die Festnahme dokumentieren. Der Verhaftete muss innerhalb von 24 Stunden einvernommen werden, davor hat er das Recht, für zwei Stunden einen Anwalt zu treffen. Spätestens 12 Stunden nach der Inhaftierung muss die Polizei den Staatsanwalt benachrichtigen. Die Behörden müssen dem Inhaftierten auch die Möglichkeit geben, seine Angehörigen telefonisch zu benachrichtigen, es sei denn, ein Staatsanwalt stellt einen Haftbefehl aus, um die Inhaftierung geheim zu halten. Die Polizei ist verpflichtet, einen Häftling nach 48 Stunden gegen Kaution freizulassen, es sei denn, ein Gericht beschließt in einer Anhörung, den von der Polizei eingereichten Antrag mindestens acht Stunden vor Ablauf der 48-Stunden-Haft zu verlängern. Der Angeklagte und sein Anwalt müssen bei der Gerichtsverhandlung entweder persönlich oder über einen Videolink anwesend sein. Im Allgemeinen werden die rechtlichen Einschränkungen betreffend Inhaftierungen eingehalten, mit Ausnahme des Nordkaukasus (USDOS 11.03.2020).
Nach überzeugenden Angaben von Menschenrechtsorganisationen werden insbesondere sozial Schwache und Obdachlose, Betrunkene, Ausländer und Personen „fremdländischen“ Aussehens Opfer von Misshandlungen durch die Polizei und Untersuchungsbehörden. Nur ein geringer Teil der Täter wird disziplinarisch oder strafrechtlich verfolgt (AA 02.02.2021). Am 13.5.2020 wurde von der Regierung der Russischen Föderation ein Antrag auf Änderung des Polizeigesetzes in die russische Duma eingebracht, welche zu einer erheblichen Ausweitung von Polizeibefugnissen führt (Gebrauch der Schusswaffe bei einer Festnahme, Aufbrechen von Fahrzeugen, Absperren von Bereichen, etc.) (ÖB Moskau 06.2020).
Die zivilen Behörden auf nationaler Ebene haben bestenfalls eine begrenzte Kontrolle über die Sicherheitskräfte in der Republik Tschetschenien, die nur dem Republiksoberhaupt, Kadyrow, unterstellt sind (US DOS 11.03.2020). Kadyrows Macht wiederum gründet sich hauptsächlich auf die ihm loyalen „Kadyrowzy“. Diese wurden von Kadyrows Familie in der Kriegszeit gegründet; ihre Mitglieder bestehen hauptsächlich aus früheren Rebellenkämpfern. Die Angaben zur zahlenmäßigen Stärke tschetschenischer Sicherheitskräfte fallen unterschiedlich aus. Aufseiten des tschetschenischen Innenministeriums sollen in der Tschetschenischen Republik rund 17.000 Mitarbeiter tätig sein. Diese Zahl dürfte jedoch nach der Gründung der Nationalgarde der Föderation im Oktober 2016 auf 11.000 gesunken sein. Die Polizei hat angeblich 9.000 Bedienstete. Die überwiegende Mehrheit von ihnen sind ethnische Tschetschenen. Nach Angaben des Carnegie Moscow Center wurden die Reihen von Polizei und anderen Sicherheitskräften mit ehemaligen tschetschenischen Separatisten aufgefüllt, die nach der Machtübernahme von Ramsan Kadyrow und dem Ende des Krieges in die Sicherheitskräfte integriert wurden. Bei der tschetschenischen Polizei grassieren Korruption und Missbrauch, weshalb die Menschen bei ihr nicht um Schutz ansuchen. Die Mitarbeiter des Untersuchungskomitees (SK) sind auch überwiegend Tschetschenen und stammen aus einem Pool von Bewerbern, die höher gebildet sind als die der Polizei. Einige Angehörige des Untersuchungskomitees versuchen, Beschwerden über tschetschenische Strafverfolgungsbeamte zu untersuchen, sind jedoch 'ohnmächtig, wenn sie es mit der tschetschenischen OMON [Spezialeinheit der Polizei] oder anderen, Kadyrow nahestehenden ‚unantastbaren Polizeieinheiten‘ zu tun haben' (EASO 03.2017).
Die regionalen Strafverfolgungsbehörden können Menschen auf der Grundlage von in ihrer Heimatregion erlassenen Rechtsakten auch in anderen Gebieten der Russischen Föderation in Gewahrsam nehmen und in ihre Heimatregion verbringen. Sofern keine Strafanzeige vorliegt, kann versucht werden, Untergetauchte durch eine Vermisstenanzeige ausfindig zu machen. Kritiker, die Tschetschenien aus Sorge um ihre Sicherheit verlassen mussten, fühlen sich häufig auch in russischen Großstädten vor dem 'langen Arm' des Regimes von Republiksoberhaupt Ramsan Kadyrow nicht sicher. Sicherheitskräfte, die Kadyrow zuzurechnen sind, sind nach Aussagen von NGOs etwa auch in Moskau präsent. Sie berichten von Einzelfällen aus Tschetschenien, in denen entweder die Familien der Betroffenen oder tschetschenische Behörden (welche Zugriff auf russlandweite Informationssysteme haben) Flüchtende in andere Landesteile verfolgen, sowie von LGBTI-Personen, die gegen ihren Willen nach Tschetschenien zurückgeholt worden sind (AA 02.02.2021).
(AA, Auswärtiges Amt [Deutschland] (02.02.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff des BFA 24.03.2021
AI, Amnesty International (16.04.2020), Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2019), https://www.ecoi.net/de/dokument/2038587.html , Zugriff des BFA 24.03.2021
EASO, European Asylum Support Office [EU] (03.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, https://www.ecoi.net/en/file/local/1394622/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf , Zugriff des BFA 24.03.2021
FH, Freedom House (03.03.2021), Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff des BFA 24.03.2021
HRW, Human Rights Watch (13.01.2021), Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2020 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043508.html , Zugriff des BFA 24.03.2021
ÖB Moskau, Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (06.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_ÖB_Bericht_2020_06.pdf#page=25 &zoom=auto,-259,684, Zugriff des BFA 24.03.2021
USDOS, United States Department of State [USA] (11.03.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026343.html , Zugriff des BFA 24.03.2021)
Folter und unmenschliche Behandlung
Im Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sind Folter sowie unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Strafen in Russland auf Basis von Art. 21.2 der Verfassung und Art. 117 des Strafgesetzbuchs verboten. Die dort festgeschriebene Definition von Folter entspricht jener des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Russland ist Teil dieser Konvention, hat jedoch das Zusatzprotokoll (CAT-OP) nicht unterzeichnet. Trotz des gesetzlichen Rahmens werden immer wieder Vorwürfe über polizeiliche Gewalt bzw. Willkür gegenüber Verdächtigen laut. Verlässliche öffentliche Statistiken über das Ausmaß der Übergriffe durch Polizeibeamte gibt es nicht. Innerhalb des Innenministeriums gibt es eine Generalverwaltung der internen Sicherheit, die eine interne und externe Hotline für Beschwerden bzw. Vorwürfe gegen Polizeibeamte betreibt (ÖB Moskau 06.2020; EASO 03.2017). Der Umstand, dass russische Gerichte ihre Verurteilungen in Strafverfahren häufig nur auf Geständnisse der Beschuldigten stützen, scheint in vielen Fällen Grund für Misshandlungen im Rahmen von Ermittlungsverfahren oder in Untersuchungsgefängnissen zu sein. Foltervorwürfe gegen Polizei- und Justizvollzugsbeamte werden laut russischen NGO-Vertretern häufig nur unzureichend untersucht (ÖB Moskau 06.2020; EASO 03.2017, AA 02.02.2021). Folter ist jedoch noch immer allgegenwärtig, und die Täter bleiben häufig straffrei (AI 16.04.2020; HRW 13.01.2021, AA 02.02.2021, USDOS 11.03.2020).
Immer wieder gibt es auch Berichte über Folter und andere Misshandlungen in Gefängnissen und Hafteinrichtungen im gesamten Land (AI 16.04.2020). Laut Amnesty International und dem russischen 'Komitee gegen Folter' kommt es vor allem in Polizeigewahrsam und in den Strafkolonien zu Folter und grausamer oder erniedrigender Behandlung. Momentan etabliert sich eine Tendenz, Betroffene, die vor Gericht Foltervorwürfe erheben, unter Druck zu setzen, z.B. durch Verleumdungsvorwürfe. Die Dauer von Gerichtsverfahren zur Überprüfung von Foltervorwürfen ist zwar kürzer (früher fünf bis sechs Jahre) geworden, Qualität und Aufklärungsquote sind jedoch nach wie vor niedrig (AA 02.02.2021). Physische Misshandlung von Verdächtigen durch Polizisten geschieht für gewöhnlich in den ersten Tagen nach der Inhaftierung (USDOS 11.03.2020). Vor allem der Nordkaukasus ist von Gewalt betroffen, wie z.B. Entführungen, Folter und außergerichtlichen Tötungen. Ramsan Kadyrow lässt solche Formen von Gewalt anwenden, um die Kontrolle über die Republik Tschetschenien zu behalten. Diese Aktivitäten finden manchmal über die Grenzen Russlands hinaus statt (FH 03.03.2021).
Im August 2018 veröffentlichte die unabhängige Zeitung Nowaja Gaseta Videos von Wachen, die in Jaroslawl Gefangene organisiert prügelten. Die Behörden verhafteten nach einem öffentlichen Aufschrei mindestens 12 Gefängniswachen, aber die NGO Public Verdict berichtete schon im Dezember 2018 über systematische Misshandlung in einem anderen Gefängnis in der Region. Im Juli 2019 veröffentlichte Public Verdict ein weiteres Video, das anhaltende Misshandlungen in Jaroslawl zeigt. Im November 2020 verurteilten Gerichte elf Gefängniswärter wegen Folter und verurteilten sie zu drei bis vier Jahren Haft. Die Gefängnisdirektoren wurden freigesprochen (FH 03.03.2021).
(AA, Auswärtiges Amt [Deutschland] (02.02.2021), Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff des BFA 230.3.2021
AI, Amnesty International (16.04.2020), Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2019), https://www.ecoi.net/de/dokument/2028170.html , Zugriff des BFA 23.03.2021
EASO, European Asylum Support Office (03.2017), COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf , Zugriff des BFA 23.03.2021
FH, Freedom House (03.03.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff des BFA 23.03.2021
HRW, Human Rights Watch (13.01.2021), Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2020 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043508.html , Zugriff des BFA 23.03.2021
ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (06.2020), Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_ÖB_Bericht_2020_06.pdf#page=25 &zoom=auto,-259,684, Zugriff des BFA 23.03.2021
USDOS, United States Department of State [USA] (11.03.2020), Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026343.html , Zugriff des BFA 23.03.2021)
Korruption
Korruption gilt in Russland als wichtiger Teil des gesellschaftlichen Systems. Obwohl Korruption in Russland endemisch ist, kann im Einzelfall nicht generalisiert werden. Zahlreiche persönliche Faktoren bezüglich Geber und Nehmer von informellen Zahlungen sind zu berücksichtigen, genauso wie strukturell vorgegebene Einflüsse der jeweiligen Region. Im alltäglichen Kontakt mit den Behörden fließen informelle Zahlungen, um widersprüchliche Bestimmungen zu umgehen und Dienstleistungen innerhalb nützlicher Frist zu erhalten. Korruption stellt eine zusätzliche Einnahmequelle von Staatsbeamten dar. Das Justizsystem und das Gesundheitswesen werden in der Bevölkerung als besonders korrupt wahrgenommen. Im Justizsystem ist zwischen stark politisierten Fällen, einschließlich solchen, die Geschäftsinteressen des Staates betreffen, und alltäglichen Rechtsgeschäften zu unterscheiden. Nicht alle Rechtsinstitutionen sind gleich anfällig für Korruption. Im Gesundheitswesen gehören informelle Zahlungen für offiziell kostenlose Dienstleistungen zum Alltag. Bezahlt wird für den Zugang zu Behandlungen oder für Behandlungen besserer Qualität. Es handelt sich generell um relativ kleine Beträge. Seit 2008 laufende Anti-Korruptionsmaßnahmen hatten bisher keinen Einfluss auf den endemischen Charakter der Korruption (SEM 15.07.2016).
Korruption ist sowohl im öffentlichen Leben als auch in der Geschäftswelt weit verbreitet, und ein zunehmender Mangel an Rechenschaftspflicht ermöglicht es Bürokraten, ungestraft Straftaten zu begehen. Analysten bezeichnen das politische System als Kleptokratie, in der die regierende Elite das öffentliche Vermögen plündert (FH 03.03.2021). Obwohl das Gesetz Strafen für Behördenkorruption vorsieht, bestätigt die Regierung, dass das Gesetz nicht effektiv umgesetzt wird und viele Beamte in korrupte Praktiken involviert sind (USDOS 11.03.2020; EASO 03.2017, BTI 2020). Korruption ist sowohl in der Exekutive als auch in der Legislative und Judikative auf allen hierarchischen Ebenen weit verbreitet (USDOS 11.03.2020; EASO 03.2017, BTI 2020). Die meisten Bemühungen zur Korruptionsbekämpfung sind oft nur symbolischer Natur. Korruptionsvorwürfe der politischen Elite gelten als Instrumente in Machtkämpfen (BTI 2020). Zu den Formen von Korruption zählen die Bestechung von Beamten, missbräuchliche Verwendung von Finanzmitteln, Diebstahl von öffentlichem Eigentum, Schmiergeldzahlungen im Beschaffungswesen, Erpressung und die missbräuchliche Verwendung der offiziellen Position, um an persönliche Begünstigungen zu kommen. Behördenkorruption ist zudem auch in anderen Bereichen weiterhin verbreitet: im Bildungswesen, beim Militärdienst, im Gesundheitswesen, im Handel, beim Wohnungswesen, bei Pensionen und Sozialhilfe, im Gesetzesvollzug und im Justizwesen (USDOS 11.03.2020).
Der Kampf der Justiz gegen Korruption steht mitunter im Verdacht einer Instrumentalisierung aus wirtschaftlichen bzw. politischen Gründen (ÖB Moskau 06.2020; BTI 2020). Der Oppositionspolitiker Alexej Nawalny dokumentiert regelmäßig Korruptionsfälle auf höchster politischer Ebene, ohne dass die staatlichen Strukturen darauf reagieren (BTI 2020). Eines der zentralen Themen der Modernisierungsagenda ist die Bekämpfung der Korruption und des Rechtsnihilismus. Im Zeichen des Rechtsstaats durchgeführte Reformen, wie die Einsetzung eines Richterrats, um die Selbstverwaltung der Richter zu fördern, die Verabschiedung neuer Prozessordnungen und die deutliche Erhöhung der Gehälter hatten jedoch wenig Wirkung auf die Abhängigkeit der Justiz von Weisungen der Exekutive und die dort herrschende Korruption. Im Februar 2012 erfolgte der Beitritt Russlands zur OECD-Konvention zur Korruptionsbekämpfung. 2020 nimmt Russland im Ranking des Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International den 129. Platz von 179 ein (GIZ 01.2021a).
Korruption ist auch in Tschetschenien nach wie vor weit verbreitet, und große Teile der Wirtschaft werden von wenigen, mit dem politischen System eng verbundenen Familien kontrolliert. Öffentliche Bedienstete müssen einen Teil ihres Gehalts an den nach Kadyrows Vater benannten und von dessen Witwe geführten Wohltätigkeitsfonds abführen. Der 2004 gegründete Fonds baut Moscheen und verfolgt Wohltätigkeitsprojekte. Kritiker meinen jedoch, dass der Fonds auch der persönlichen Bereicherung Kadyrows und der ihm nahestehenden Gruppen diene. So bezeichnete die Zeitung 'Kommersant' den Fonds als eine der intransparentesten NGOs des Landes. Der Fond soll Ende 2017 über 2,2 Mrd. Rubel (über 30 Mio. €) verfügt haben. Allein vom 30.11. bis 5.12.2019 berichteten tschetschenische Beamte über mindestens 12 Initiativen, die aus den Mitteln des Fonds finanziert wurden (ÖB Moskau 06.2020). Die Situation in Tschetschenien zeichnet sich dadurch aus, dass korrupte Praktiken erstens stärker verbreitet sind und zweitens offener ablaufen als im restlichen Russland (SEM 15.07.2016).
Dagestan ist eine der ärmsten Regionen Russlands, bis zu 70% des Budgets stammen aus Subventionen aus Moskau. Auch in Dagestan ist die Gesellschaft in Clans aufgebaut. Nirgendwo sonst in Russland ist der Clan so stark wie in Dagestan, weshalb systemische Korruption in dieser Republik nicht überrascht (WI 25.02.2018). Das staatliche Justizwesen ist in hohem Maße durch Ämterkauf und Bestechung geprägt (AA 02.02.2021). Zum ersten Mal in der Geschichte der Russischen Föderation wurden Anfang 2018 der Premierminister Dagestans, seine Stellvertreter und der ehemalige Bildungsminister wegen schwerer Korruptionsvorwürfe festgenommen und sofort nach Moskau ausgeflogen. Alle vier standen im Verdacht, Haushaltsmittel aus Sozialprogrammen in großem Umfang veruntreut zu haben (WI 25.02.2018). Wladimir Wassilews Ernennung [zum Republiksoberhaupt von 2018-2020] bekräftigt die Bedeutung von Dagestan für den russischen Staat und die Tatsache, dass Putin nicht länger bereit ist, die von den Subventionen abgezogenen Mittel zu ignorieren (PONARS Eurasia 11.2018). Der Nachfolger Wassilews ist Sergej Melikow. Dieser war davor Vertreter der Region Stawropol im Föderationsrat (BPB 26.10.2020).
(AA, Auswärtiges Amt [Deutschland] (02.02.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff des BFA 16.03.2021
BPB, Bundeszentrale für politische Bildung [Deutschland] (26.10.2020), Chronik: 28. September – 10. Oktober 2020, https://www.bpb.de/internationales/europa/russland/analysen/317747/chronik-28-september-10-oktober-2020 , Zugriff des BFA 16.03.2021
BTI, Bertelsmann Transformation Index (2020): BTI 2020 Country Report – Russia, https://bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_RUS.pdf , Zugriff des BFA 16.03.2021
EASO, European Asylum Support Office (03.2017), COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf , Zugriff des BFA 16.03.2021
FH, Freedom House (03.03.2021): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff des BFA 16.03.2021
GIZ, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (01.2021a), Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836 , Zugriff des BFA 16.03.2021
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SEM, Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (15.07.2016), Focus Russland. Korruption im Alltag, insbesondere in Tschetschenien, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/europa-gus/rus/RUS-korruption-d.pdf , Zugriff des BFA 16.03.2021
USDOS, United States Department of State [USA] (11.03.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019, Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026343.html , Zugriff des BFA 16.03.2021
WI, Warsaw Institute (25.02.2019), Federal clean-up in Dagestan, https://warsawinstitute.org/federal-clean-dagestan/ , Zugriff des BFA 16.03.2021)
NGOs und Menschenrechtsaktivisten
Der russische Staat wünscht sich, dass NGOs vor allem im sozialen Bereich tätig sind. Das Engagement in Bezug auf andere, politische Aktivitäten, wird mit Misstrauen betrachtet (BTI 2020). Somit geraten inländische und ausländische NGOs zunehmend unter Druck. Auf Basis des sog. NGO-Gesetzes aus 2012 werden russische NGOs, die politisch aktiv sind und aus dem Ausland Finanzmittel erhalten, in ein vom Justizministerium geführtes Register 'ausländischer Agenten' eingetragen. Die davon betroffenen NGOs haben verstärkte Berichtspflichten gegenüber dem Justizministerium und müssen alle Publikationen mit der Kennzeichnung 'ausländischer Agent' markieren (ÖB Moskau 06.2020; GIZ 01.2021a, AA 02.02.2021, FH 03.03.2021, BTI 2020). Die Bezeichnung als 'Agent' provoziert unter der russischen Bevölkerung eine negative Konnotation mit den Tätigkeiten dieser NGOs im Sinne von Spionagetätigkeiten (ÖB Moskau 06.2020; FH 03.03.2021). Organisationen, die sich nicht eintragen lassen, haben mit hohen Geldstrafen zu rechnen bzw. können aufgelöst werden. 2016 wurde die NGO Agora, eine Vereinigung von Menschenrechtsanwälten, als erste Organisation aufgrund von Nichtbefolgung des NGO-Gesetzes aufgelöst. Im Herbst 2019 wurden zwei NGOs ('Für Menschenrechte' und 'Centre of Support for Indigenous Peoples of the North') auf Antrag des Justizministeriums aufgelöst (ÖB Moskau 06.2020). Derzeit ist die NGO Memorial, eine der ältesten NGOs in Russland, die sich vor allem mit der geschichtlichen Aufarbeitung der politischen Repressionen in der Sowjetunion befasst sowie der aktuellen Menschenrechtsarbeit widmet, mit Strafen von über 66.000 Euro konfrontiert (ÖB Moskau 06.2020; AI 16.04.2020, HRW 13.01.2021). Dies, nachdem bei einer Überprüfung festgestellt wurde, dass der Hinweis darauf, dass Memorial seit 2016 vom russischen Justizministerium in das Register jener Organisationen eingetragen ist, welche die Funktion eines 'ausländischen Agenten' erfüllen, nicht auf allen Webseiten/Kanälen der Organisation aufscheint. Seit März 2015 ist zudem eine Streichung aus dem Register gesetzlich möglich (ÖB Moskau 06.2020). Mit Ende 2020 waren beim Justizministerium 75 NGOs als ausländische Agenten registriert (FH 03.03.2021). Ende 2019 wurde zudem die gesetzliche Möglichkeit geschaffen, auch natürliche Personen als 'ausländische Agenten' zu listen, sofern diese Medieninhalte von solchen verbreiten oder erarbeiten und dafür Geld erhalten (AA 02.02.2021; Standard Online 03.12.2019).
Um der ausländischen Finanzierung russischer NGOs entgegenzuwirken, werden seit einigen Jahren sogenannte präsidentielle Subventionen vergeben. 2017 - 2019 wurden auf diesem Weg rund 22 Mrd. Rubel (ca. 308 Mio. Euro) für 10.558 Projekte an Organisationen verteilt, größtenteils an jene mit patriotischer bzw. sozialer Ausrichtung, in einigen Fällen erhielten auch als 'ausländische Agenten' deklarierte Einrichtungen staatliche Zuwendungen. Die Kehrseite der staatlichen Unterstützung ist, dass die Empfänger sich im Gegenzug einer intensiven behördlichen Kontrolle ihrer Geschäftstätigkeit unterwerfen müssen (ÖB Moskau 06.2020). In einem Bereich hat der Staat Interesse an Zusammenarbeit und Beratung gezeigt, insbesondere in ländlichen Regionen: Wenn Aktivitäten auf Sozialpolitik ausgerichtet sind, nicht auf politisches Engagement (BTI 2020).
Im Mai 2015 wurde ein Gesetz angenommen, um die Tätigkeit von ausländischen oder internationalen Nichtregierungsorganisationen, die eine Bedrohung für die verfassungsmäßigen Grundlagen, für die Verteidigungsfähigkeit des Landes oder die Sicherheit des Staates darstellen, auf dem Territorium der Russischen Föderation für unerwünscht zu erklären (ÖB Moskau 06.2020; BTI 2020, FH 03.03.2021). Die Klassifizierung als unerwünschte Organisation zieht ein Verbot der Gründung bzw. die Liquidierung bereits bestehender Strukturen der ausländischen NGO in Russland nach sich, sowie ein Verbot der Verteilung von Informationsmaterialien bzw. der Durchführung von Projekten. Weiters ist es russischen Banken verboten, Finanzoperationen durchzuführen, wenn ein Kunde als unerwünschte NGO eingestuft wurde (ÖB Moskau 06.2020). Die Verbote betreffen nicht nur die NGO selbst, sondern auch Personen, die sich an ihrer Tätigkeit beteiligen (ÖB Moskau 06.2020; FH 03.03.2021). Das Gesetz sieht Geldstrafen sowie bei wiederholter Verletzung auch Freiheitsstrafen von mehreren Jahren vor (ÖB Moskau 06.2020). Mit Ende 2020 gelten 29 ausländische NGOs als unerwünschte Organisationen, da sie die nationale Sicherheit gefährden würden. Die Bezeichnung gibt den Behörden die Möglichkeit, eine Bandbreite an Sanktionen gegen diese Gruppierungen zu verhängen (FH 03.03.2021). Die erste Verurteilung gegen eine Person auf Basis des Gesetzes zu unerwünschten Organisationen traf im Februar 2020 den Journalisten Maksim Wernikow. Er wurde zu 300 Stunden Arbeitsleistung verurteilt (ÖB 06.2020; vgl. HRW 13.01.2021).
Menschenrechtler beklagen staatlichen Druck auf zivilgesellschaftliche Akteure. Im Rahmen der Terrorismusbekämpfung sind autoritäre, die Grundrechte einschränkende Tendenzen zu beobachten. Jedoch entstehen an vielen Orten neue Formen zivilgesellschaftlichen Agierens: Autofahrer protestieren gegen die Willkür der Verkehrspolizei, 'Strategie 31' setzt sich für die Versammlungsfreiheit ein, Umweltschützer verhindern Atommülltransporte, die Künstlergruppe 'Wojna' setzt auf spektakuläre Protestaktionen. Die Verbindungen zwischen diesen 'Initiativen von unten' und den etablierten russischen NGOs sind aber noch gering (GIZ 01.2021a).
Die Gesetzeslage zu NGOs hat sich in den vergangenen Jahren signifikant verändert, mit dem Ergebnis, dass derzeit unpolitische bzw. Pro-Regierungs-NGOs, die etwa im sozialen Bereich tätig sind, eher unterstützt werden und im Gegensatz dazu kritische NGOs und Think Tanks, v.a. jene, die in den Bereichen Menschenrechte, Umweltschutz und dergleichen tätig sind, mit Einschränkungen konfrontiert sind. Mitunter wird in den Medien auch über konstruierte Kriminalfälle berichtet, die gegen regimekritische Dissidenten, Journalisten oder Aktivisten gerichtet sind (ÖB Moskau 06.2020). In Dagestan können NGOs tätig werden, sich mit Opfern von Menschenrechtsverletzungen treffen, vor Ort recherchieren und sogar Verfahren gegen Mitglieder der Sicherheitskräfte wegen Foltervorwürfen anstrengen. Die NGO 'Komitee zur Verhinderung von Folter' arbeitet mit den Sicherheitsbehörden in Dagestan im Rahmen des Strafvollzugs zusammen (AA 02.02.2021). Gemeinnützige Stiftungen sind in Dagestan der am weitesten entwickelte Teil der Zivilgesellschaft. Dies sind die stärksten, stabilsten und zahlreichsten NGOs in der Republik und umfassen Stiftungen wie 'Hope and Pure Heart'. Diese Organisationen sind äußerst professionell, verfügen über gut entwickelte IT-Plattformen und verwenden eine gemeinsam nutzbare Datenbank aller Bedürftigen in Dagestan, Tschetschenien und Inguschetien. Die Zielgruppen ihrer Aktivitäten sind alleinerziehende Mütter, Waisen und Senioren, die alleine leben. Da sie sich nicht mit politischen und bürgerrechtlichen Themen befassen, passt ihre Tätigkeit in den aktuellen politischen Kontext und die konservative Wertebasis und wird von den Behörden nicht kontrolliert. Dagestan hat die am weitesten entwickelte, vielfältigste und unabhängigste Zivilgesellschaft der drei nordkaukasischen Republiken (Tschetschenien, Inguschetien, Dagestan). Dagestan unterliegt nicht der erhöhten staatlichen Kontrolle und dem Druck Tschetscheniens oder dem Konservativismus und der traditionellen Lebensweise Inguschetiens. Stattdessen gibt es viele verschiedene Gruppen, die sich aktiv für ihre zivilgesellschaftlichen Positionen einsetzen. Dagestan ist auch die erste Region, die die Umwelt aktiv auf die öffentliche Tagesordnung setzt. Aufgrund regelmäßiger Machtwechsel auf Republiks- und lokaler Ebene hat sich in Dagestan kein ausschließliches Zentrum gebildet, das Unterdrückung und Kontrolle über NGOs und Basisinitiativen ausüben würde (CSIS 01.2020).
Unbestrafte und nicht untersuchte, grobe Menschenrechtsverletzungen und Druck auf Menschenrechtsorganisationen haben die Möglichkeiten für die Zivilgesellschaft in Tschetschenien stark eingeschränkt. Trotzdem konnten viele lokale NGOs dem Druck standhalten und sich an die neuen Regeln anpassen. Die Popularität von gemeinnützigen Aktivitäten und sozialen Projekten zur Unterstützung von einkommensschwachen und schutzbedürftigen Gruppen wächst, ebenso die Anzahl sozialer Initiativen für Kinder und Jugendliche. Auch das Thema Menschen mit Beeinträchtigungen wird de-stigmatisiert. Ein weiterer wichtiger positiver Trend ist, dass immer mehr junge Menschen an Freiwilligenarbeit interessiert sind. Die Reduzierung der Auslandsfinanzierung (nach Angaben des Justizministeriums erhalten derzeit nur 16 NGOs in Tschetschenien Geld aus dem Ausland) wird teilweise durch das Programm der Präsidentenzuschüsse kompensiert, von dem mehrere lokale NGOs profitieren. Insbesondere die Abteilungen für öffentliche Angelegenheiten und religiöse Organisationen arbeiten im Rahmen des Zuschussprogramms des Präsidenten eng zusammen (CSIS 01.2020).
Memorial zählte Ende 2020 349 Menschen als politische (61) oder religiöse Gefangene (288). Darunter waren Teilnehmer der Moskauer Wahlproteste 2019, Menschenrechtsaktivisten und Anwälte ethnischer Minderheiten (FH 03.03.2021).
(AA, Auswärtiges Amt [Deutschland] (02.02.2021), Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation,https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff des BFA 12.04.2021
AI, Amnesty International (16.04.2020), Bericht zur Menschenrechtslage 2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2038587.html , Zugriff des BFA 12.04.2021
BTI, Bertelsmann Transformation Index (2020), BTI 2020 Country Report – Russia, https://bti-project.org/de/berichte/country-dashboard-RUS.html , Zugriff des BFA 12.04.2021
CSIS, Center for Strategic and International Studies (01.2020): Civil Society in the North Caucasus, https://csis-prod.s3.amazonaws.com/s3fs-public/publication/200124_North_Caucasus.pdf?jRQ1tgMAXDNlViIbws_LnEIEGLZPjfyX , Zugriff des BFA 12.04.2021
FH, Freedom House (03.03.2021), Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff des BFA 12.04.2021
GIZ, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (01.2021a), Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836 , Zugriff des BFA 12.04.2021
HRW, Human Rights Watch (13.01.2021), Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2020 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043508.html , Zugriff des BFA 12.04.2021
ÖB Moskau, Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (06.2020), Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_ÖB_Bericht_2020_06.pdf , Zugriff des BFA 12.04.2021
Standard Online (03.12.2019), Putin billigt Gesetz zu Journalisten als 'ausländische Agenten', https://apps.derstandard.at/privacywall/story/2000111799282/putin-billigt-gesetz-zu-journalisten-als-auslaendische-agenten , Zugriff des BFA 12.04.2021)
Ombudsperson
Für die Russische Föderation gibt es wie für jedes der Föderationssubjekte einen Menschenrechtsbeauftragten [Ombudsperson]. Die Amtsinhaberin Tatjana Moskalkowa (seit 2016), ehemalige Generalmajorin der Polizei, geht nicht ausreichend gegen die wichtigsten Fälle der Verletzung von Menschenrechten, insbesondere den Missbrauch staatlicher Macht, vor. In ihrem Jahresbericht vom April 2020 gibt sie gleichwohl an, dass die meisten Beschwerden das Verhalten von Polizei und Justiz betreffen. Andere wichtige Beschwerdegründe waren die Nicht-Genehmigung von Versammlungen und – mit großem Abstand – die Behandlung von Häftlingen (AA 02.2.02021). Die Effektivität der regionalen Ombudspersonen variiert erheblich, und lokale Behörden unterminieren manchmal die Unabhängigkeit (USDOS 11.03.2020).
(AA, Auswärtiges Amt [Deutschland] (02.02.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff des BFA 26.03.2021
USDOS, United States Department of State [USA] (11.03.2020), Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026343.html , Zugriff des BFA 26.03.2021)
Wehrdienst und Rekrutierungen
Alle männlichen russischen Staatsangehörigen im Alter zwischen 18 und 27 Jahren werden zur Stellung für den Pflichtdienst in der russischen Armee einberufen. Die Pflichtdienstzeit beträgt ein Jahr (ÖB Moskau 06.2020; AA 02.20.2021). Der Präsident legt jährlich fest, wie viele der Stellungspflichtigen tatsächlich zum Wehrdienst eingezogen werden. In der Regel liegt die Quote bei etwa einem Drittel bzw. rund 300.000 Rekruten (ÖB Moskau 06.2020). Es gibt in Russland zweimal im Jahr eine Stellung – eine im Frühling, eine im Herbst (Global Security 01.10.2020a). Über die regionale Aufteilung der Wehrpflichtigen entscheidet das Verteidigungsministerium, wobei die Anzahl der Wehrpflichtigen aus den jeweiligen Regionen stark variiert (ÖB Moskau 06.2020). Im Jahr 2020 wurden russlandweit 263.000 Wehrpflichtige zum Militärdienst eingezogen (Global Security 01.10.2020a).
Neben dem Grundwehrdienst gibt es auch die Möglichkeit, freiwillig auf Basis eines Vertrags in der Armee zu dienen (dies steht auch weiblichen Staatsangehörigen offen). Nachdem vermehrt vertraglich verpflichtete Soldaten herangezogen werden (ÖB Moskau 06.2020), sinkt die Bedeutung der allgemeinen Wehrpflicht für die russischen Streitkräfte (ÖB Moskau 06.2020, Jamestown 10.04.2018). Mitte April 2019 sagte Präsident Putin, dass die Wehrpflicht in Russland allmählich der Vergangenheit angehören wird. 2019 dienen ca. 370.000 Kontraktniki (Vertragssoldaten) in den russischen Streitkräften, im Vergleich zu ca. 260.000 Wehrpflichtigen (WI 19.04.2019). Der Verteidigungsminister stellte die Aufgabe, die Zahl der Vertragssoldaten bis 2025 auf 475.000 zu erhöhen (RBTH 22.04.2019). Im Oktober 2020 äußerte sich der Generaloberst Jewgeni Burdinski, dass es derzeit wohl nicht notwendig sei, auf eine komplette Vertragsarmee umzusteigen, da dies - auch aufgrund der Corona-Pandemie - wohl zu teuer ist (Global Security 01.10.2020b).
Staatsangehörige, die aus gesundheitlichen Gründen nicht zum Wehrdienst geeignet sind, werden als 'untauglich' von der Dienstpflicht befreit. Darüber hinaus kann ein Antrag auf Aufschub des Wehrdienstes gestellt werden, etwa durch Personen, die ein Studium absolvieren oder die einen nahen Verwandten pflegen müssen, oder durch Väter mehrerer Kinder. Versuche, sich dem Wehrdienst zu entziehen, sind verbreitet, aber rückläufig. Diese Versuche konzentrieren sich vor allem auf das Stadium vor der Einberufung, da nur ein Drittel der jungen Männer, die jährlich das wehrfähige Alter erreichen, tatsächlich eingezogen wird. Etwa ein Drittel ist untauglich, ein Drittel erhält keine Aufforderung, bei der Einberufungskommission vorstellig zu werden. Grundsätzlich gibt es aber keine Rekrutierungsprobleme, da genug junge Männer Grundwehrdienst leisten wollen. Neben einer patriotischen Gesinnung ist ein Grund dafür auch die Tatsache, dass die Ableistung des Grundwehrdienstes Voraussetzung für bestimmte (v.a. staatliche) berufliche Laufbahnen ist. Nichtsdestotrotz gibt es jedes Jahr einige hundert junge Männer, denen der Stellungsbefehl zugestellt wurde, welche die Stellungskommission durchlaufen, die Entscheidung der Stellungskommission zur Einberufung auch nicht beeinspruchen, aber dann dem Einberufungsbefehl nicht Folge geleistet haben. In diesen Fällen gibt es jährlich einige hundert strafrechtliche Verfahren bzw. Verurteilungen wegen Wehrdienstverweigerung (ÖB Moskau 06.2020). Im Durchschnitt erhalten russische Wehrpflichtige ca. 2.000 Rubel (ca. 22€) pro Monat, während professionelle Vertragssoldaten ca. 25.000–35.000 Rubel (275–385€) erhalten. Letztere können auch noch mit einigen zusätzlichen Zahlungen rechnen (WI 19.04.2019).
Im Jahr 2015 wurde durch Staatspräsident Putin ein Dekret erlassen, das die Aufgaben der Militärpolizei erheblich erweiterte und seitdem ausdrücklich die Bekämpfung der Misshandlungen von Soldaten durch Vorgesetzte aller Dienstgrade oder ältere Wehrpflichtige ('Dedowschtschina') sowie von Diebstählen innerhalb der Streitkräfte umfasst. Es ist zu vermuten, dass es nach wie vor zu 'Dedowschtschina' kommt, jedoch nicht mehr in dem Ausmaß wie in der Vergangenheit (AA 02.02.2021). Nach grundlegenden Reformen im russischen Heer in den Jahren 2008–2012, die auch Maßnahmen zur Humanisierung des Wehrdienstes sowie einer Reduzierung des Grundwehrdienstes von zwei auf ein Jahr beinhalteten, hat sich die Zahl der Gewaltverbrechen im Heer deutlich reduziert. Offizielle Statistiken dazu werden nicht publiziert. NGOs gehen von ca. 100-200 Todesfällen pro Jahr als Folge von Gewalt aus. Das Verteidigungsministerium kooperiert mit der Ombudsstelle für Menschenrechte und mit relevanten NGOs, um gegen Misshandlungsvorwürfe von Rekruten vorzugehen. In den vergangenen Jahren konnten gewisse Fortschritte erzielt werden. Im April 2017 erklärte Verteidigungsminister Sergej Schoigu, dass die Anzahl der gemeldeten Übergriffe von Armeeangehörigen gegenüber Untergebenen um 37,6% gesunken ist. NGOs wie das 'Komitee der Soldatenmütter' betonen, dass trotz gewisser Fortschritte mehr Anstrengungen, insbesondere bei der Verurteilung von Schuldigen sowie bei der Prävention, notwendig sind (ÖB Moskau 06.2020).
Für Strafverfahren gegen Militärangehörige sind Militärgerichte zuständig, die seit 1999 formal in die zivile Gerichtsbarkeit eingegliedert sind. Freiheitsstrafen wegen Militärvergehen sind ebenso wie Freiheitsstrafen aufgrund anderer Delikte in Haftanstalten oder Arbeitskolonien zu verbüßen. Militärangehörige können jedoch auch zur Verbüßung von Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren in Strafbataillone, die in der Regel zu Schwerstarbeit eingesetzt werden, abkommandiert werden (AA 02.02.2021).
Bis ins Jahr 2014 wurden etwa aus Tschetschenien überhaupt keine Wehrpflichtigen eingezogen. Die Anzahl der aus dem Nordkaukasus rekrutierten Soldaten bleibt weiterhin niedrig. So wurden im Herbst 2017 aus der gesamten nordkaukasischen Region nur rund 6.000 Personen rekrutiert. Aus Tschetschenien werden nunmehr jährlich ein paar hundert Rekruten einberufen. Nachdem junge Männer aus der Region aber teilweise eine Einberufung anstreben, gibt es Fälle, in denen sie dies durch Anmeldung eines Wohnsitzes in einer anderen Region zu erreichen versuchen (ÖB Moskau 06.2020).
Bürger der ehemaligen Sowjetrepubliken können durch den Dienst in den Streitkräften der Russischen Föderation eine befristete Aufenthaltsgenehmigung erlangen. Erstmalig können sich diese Personen dann nach drei Jahren um die Erteilung der russischen Staatsbürgerschaft bewerben (AA 02.02.2021).
(AA, Auswärtiges Amt [Deutschland] (02.02.2021), Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff des BFA 07.04.2021
Global Security (page last updated 01.10.2020a), Russian Military Personnel – Conscription, https://www.globalsecurity.org/military/world/russia/personnel-draft.htm , Zugriff des BFA 07.04.2021
Global Security (page last updated 01.10.2020b), Military Service - Contract Service, https://www.globalsecurity.org/military/world/russia/personnel-contract.htm , Zugriff des BFA 07.04.2021
Jamestown Foundation (10.04.2018), 2018 Spring Draft Highlights Russia’s Demographic Decline, Eurasia Daily Monitor Volume: 15 Issue: 54, https://www.ecoi.net/de/dokument/1429303.html , Zugriff des BFA 07.04.2021
ÖB Moskau, Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (06.2020), Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_ÖB_Bericht_2020_06.pdf , Zugriff des BFA 07.04.2021
RBTH, Russia beyond the Headlines (22.04.2019), Will Russia be able to win a war without conscripts? https://www.rbth.com/lifestyle/330270-win-a-war-without-coscripts , Zugriff des BFA 07.04.2021
WI, Warsaw Institute (19.04.2019), Putin (Again) Announces End of Compulsory Military Service in Russia, https://warsawinstitute.org/putin-announces-end-compulsory-military-service-russia/ , Zugriff des BFA 07.04.2021)
Allgemeine Menschenrechtslage
Russland garantiert in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich zwar immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten, es mangelt aber an der praktischen Umsetzung. Trotz vermehrter Reformbemühungen, insbesondere im Strafvollzugsbereich, hat sich die Menschenrechtssituation im Land noch nicht wirklich verbessert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann die im fünfstelligen Bereich liegende Zahl der anhängigen Verfahren gegen Russland kaum bewältigen; Russland sperrt sich gegen eine Stärkung des Gerichtshofs (GIZ 01.2021a). Die Verfassung postuliert die Russische Föderation als Rechtsstaat. Im Grundrechtsteil der Verfassung ist die Gleichheit aller vor Gesetz und Gericht festgelegt. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache, Herkunft und Vermögenslage dürfen nicht zu diskriminierender Ungleichbehandlung führen (Art. 19 Abs. 2). Für die Russische Föderation gibt es, wie für jedes der Föderationssubjekte, einen Menschenrechtsbeauftragten. Die Amtsinhaberin Moskalkowa (seit 2016), ehemalige Generalmajorin der Polizei, geht nicht ausreichend gegen die wichtigsten Fälle der Verletzung von Menschenrechten, insbesondere den Missbrauch staatlicher Macht, vor. Die Einbindung des internationalen Rechts ist in Art. 15 Abs. 4 der russischen Verfassung aufgeführt: Danach sind die allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und die internationalen Verträge der Russischen Föderation Bestandteil ihres Rechtssystems. Russland hat folgende UN-Übereinkommen ratifiziert (AA 02.02.2021):
Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (1969)
Internationaler Pakt für bürgerliche und politische Rechte (1973) und erstes Zusatzprotokoll (1991)
Internationaler Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1973)
Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (1981) und Zusatzprotokoll (2004)
Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (1987)
Kinderrechtskonvention (1990), deren erstes Zusatzprotokoll gezeichnet (2001)
Behindertenrechtskonvention (AA 2.2.2021).
Der letzte Universal Periodic Review (UPR) des UN-Menschenrechtsrates zu Russland fand im Rahmen des dritten Überprüfungszirkels 2018 statt. Dabei wurden insgesamt 309 Empfehlungen in allen Bereichen der Menschenrechtsarbeit ausgesprochen. Russland hat 94 dieser Empfehlungen nicht angenommen und weitere 34 lediglich teilweise angenommen. Die nächste Sitzung für Russland im UPR-Verfahren wird im Mai 2023 stattfinden. Russland ist zudem Mitglied des Europarates und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Russland setzt einige, aber nicht alle Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) um; insbesondere werden EGMR-Entscheidungen zu Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitskräfte im Nordkaukasus nur selektiv implementiert. Finanzielle Entschädigungen werden üblicherweise gewährt, dem vom EGMR monierten Umstand aber nicht abgeholfen [Anm.: Zur mangelhaften Umsetzung von EGMR-Urteilen durch Russland vgl. Kapitel Rechtsschutz/Justizwesen] (AA 02.02.2021). Besorgnis wurde u.a. auch hinsichtlich der Missachtung der Urteile von internationalen Menschenrechtseinrichtungen (v.a. des EGMR), des fehlenden Zugangs von Menschenrechtsmechanismen zur Krim, der Medienfreiheit und des Schutzes von Journalisten, der Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit und der Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung und ethnischer Herkunft geäußert (ÖB Moskau 06.2020).
Durch eine zunehmende Einschränkung der Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit in Gesetzgebung und Praxis wurde die Menschenrechtsbilanz Russlands weiter verschlechtert. Wer versuchte, diese Rechte wahrzunehmen, musste mit Repressalien rechnen, die von Schikanierung bis hin zu Misshandlungen durch die Polizei, willkürlicher Festnahme, hohen Geldstrafen und in einigen Fällen auch Strafverfolgung und Inhaftierung reichten (AI 16.04.2020; ÖB Moskau 06.2020). Der Freiraum für die russische Zivilgesellschaft ist in den letzten Jahren schrittweise eingeschränkt worden, aber gleichzeitig steigt der öffentliche Aktivismus deutlich. Hinzu kommt, dass sich mehr und mehr Menschen für wohltätige Projekte engagieren und Freiwilligenarbeit leisten. Zivile Kammern wurden als Dialogplattform zwischen der Bevölkerung und dem Staat eingerichtet (ÖB Moskau 06.2020). Sowohl im Bereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit als auch in Bezug auf die Pressefreiheit wurden restriktive Gesetze verabschiedet, die einen negativen Einfluss auf die Entwicklung einer freien und unabhängigen Zivilgesellschaft ausüben. Inländische wie ausländische NGOs werden zunehmend unter Druck gesetzt. Die Rechte von Minderheiten werden nach wie vor nicht in vollem Umfang garantiert. Journalisten und Menschenrechtsverteidiger werden durch administrative Hürden in ihrer Arbeit eingeschränkt (ÖB Moskau 6.2020) und sehen sich in manchen Fällen sogar Bedrohungen oder tätlichen Angriffen bzw. strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt (ÖB Moskau 06.2020; FH 03.03.2021, HRW 13.01.2021). Der Einfluss des konsultativen 'Rats beim Präsidenten der Russischen Föderation für die Entwicklung der Zivilgesellschaft und Menschenrechte' unter dem Vorsitz von Waleri Fadejew ist begrenzt. Er befasst sich in der Regel nicht mit Einzelfällen, sondern mit grundsätzlichen Fragen wie Gesetzesentwürfen, und seine Stellungnahmen zu dem Verlauf von Demonstrationen im Sommer 2019 in Moskau blieben ohne Folge (AA 02.02.2021).
Die Annexion der Krim 2014 sowie das aus Moskauer Sicht erforderliche Eintreten für die Belange der russischsprachigen Bevölkerung in der Ostukraine führten vorübergehend zu einem starken Anstieg der patriotischen Gesinnung innerhalb der russischen Bevölkerung. In den vergangenen Jahren gingen die Behörden jedoch verstärkt gegen radikale Nationalisten vor. Dementsprechend sank die öffentliche Aktivität derartiger Gruppen seit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine deutlich, wie die NGO Sova bestätigt. Gestiegen ist auch die Anzahl von Verurteilungen gegen nationalistische bzw. neofaschistische Gruppierungen. Vor diesem Hintergrund berichtete die NGO Sova in den vergangenen Jahren auch über sinkende Zahlen rassistischer Übergriffe. Die meisten Vorfälle gab es, wie in den Vorjahren, in den beiden Metropolen Moskau und Sankt Petersburg. Migranten aus Zentralasien, dem Nordkaukasus und dunkelhäutige Personen sind üblicherweise das Hauptziel dieser Übergriffe. Gleichzeitig ist aber im Vergleich zu den Jahren 2014-2017 ein gewisser Anstieg der fremdenfeindlichen Stimmung zu bemerken, der in Zusammenhang mit sozialen Problemen (Unzufriedenheit mit der Pensionsreform und sinkenden Reallöhnen) zu sehen ist. Wenngleich der Menschenrechtsdialog der EU mit Russland seit 2013 weiterhin ausgesetzt bleibt, unterstützt die EU-Delegation in Moskau den Dialog zwischen den EU-Botschaften, mit NGOs, der Zivilgesellschaft und Menschenrechtsverteidigern (ÖB Moskau 06.2020).
Menschenrechtsorganisationen sehen übereinstimmend bestimmte Teile des Nordkaukasus als den regionalen Schwerpunkt der Menschenrechtsverletzungen in Russland. Den Hintergrund bilden in ihrem Ausmaß weiter rückläufige bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und islamistischen Extremisten in der Republik Dagestan, daneben auch in Tschetschenien und Inguschetien (AA 02.02.2021). Der westliche Nordkaukasus ist hiervon praktisch nicht mehr betroffen. Die Opfer der Gewalt sind ganz überwiegend 'Aufständische' und Sicherheitskräfte (AA 13.02.2019). Die Menschenrechtslage im Nordkaukasus wird von internationalen Experten, soweit dies angesichts der bestehenden Einschränkungen möglich ist, aufmerksam beobachtet (ÖB Moskau 06.2020).
(AA, Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.02.2019), Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf , Zugriff des BFA 12.03.2021
AA, Auswärtiges Amt [Deutschland] (02.02.2021), Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff des BFA 12.03.2021
AI, Amnesty International (16.04.2020), Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2019), https://www.ecoi.net/de/dokument/2028170.html , Zugriff des BFA 12.03.2021
FH, Freedom House (03.03.2020): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff des BFA 12.03.2021
GIZ, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (01.2021a), Russland Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836 , Zugriff des BFA 12.03.2021
HRW, Human Rights Watch (13.01.2021), Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2020, Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043508.html , Zugriff des BFA 12.03.2021
ÖB Moskau, Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (06.2020), Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_ÖB_Bericht_2020_06.pdf , Zugriff des BFA 12.03.2021)
Meinungs- und Pressefreiheit, Internet
Meinungs- und Pressefreiheit sind zwar verfassungsrechtlich garantiert (AA 02.02.2021; ÖB Moskau 06.2020), die Wahrnehmung ist in der Praxis jedoch durch ein ständig dichter werdendes Netz einschränkender und bestrafender Vorschriften begrenzt (AA 02.02.2021). Das Recht auf freie Meinungsäußerung wurde 2019 in Gesetz und Praxis weiter eingeschränkt, unter anderem durch zusätzliche Restriktionen im Internet und neue Repressalien gegen Online-Dissidenten. Die Anwendung der Rechtsvorschriften zur Meinungsäußerung auf staatliche Medien und Behörden unterschied sich immer stärker von ihrer Anwendung auf kritische Medien, die abweichende Meinungen äußerten. Während die 'Aufstachelung zu Hass und Feindschaft' (Paragraf 282 des Strafgesetzbuches) im Januar 2019 teilweise entkriminalisiert wurde, erfolgte bei anderen strafrechtlichen Bestimmungen, darunter Paragraf 280 (öffentliches Anstiften zu 'extremistischen' Handlungen), weiterhin eine selektive Anwendung gegen Andersdenkende. Nach einem im März 2019 verabschiedeten neuen Gesetz wurden die 'Verbreitung von Falschnachrichten' und die 'Beleidigung' des Staates, seiner Symbole und Organe im Internet zu Ordnungswidrigkeiten, die mit hohen Geldbußen geahndet werden. In der Folge wurden bis Dezember 2019 über 20 Personen mit Geldbußen belegt, vor allem wegen Kritik am Präsidenten. Dagegen waren die Verleumdung von Regierungskritikern und die Verbreitung von 'Falschnachrichten' über sie in den staatlich kontrollierten Medien an der Tagesordnung (AI 16.04.2020). Ein weiteres Mittel der staatlichen Behörden, gegen kritische Stimmen in der Medienlandschaft vorzugehen, ist die 2012 verabschiedete Gesetzgebung zum Extremismus (ÖB Moskau 06.2020; AA 02.02.2021, AI 16.04.2020). Sie sollte ursprünglich dabei helfen, rassistische und terroristische Straftaten im Land einzudämmen, wird von den Behörden jedoch aufgrund ihrer vagen Formulierung häufig überschießend angewendet. Diese Einschränkung der Grundrechte führt zu einem schwindenden Raum für eine unabhängige Zivilgesellschaft und ist durch ein hartes Durchgreifen gegen unabhängige politische Stimmen gekennzeichnet (ÖB Moskau 06.2020). Auch die 'Bedrohung der nationalen Sicherheit' dient regelmäßig als Rechtfertigung für Eingriffe in die Pressefreiheit und andere Grundrechte. Selbst ein schlichtes 'liken' oder 'retweeten' eines Beitrags, den die Behörden als 'extremistisch' einstufen, kann zu Strafen führen (AA 02.02.2021), darunter z.B. Kommentare über die Illegalität der Annexion der Krim (ÖB Moskau 06.2020). Das oben erwähnte Gesetz zur 'Verbreitung von Falschnachrichten' sanktioniert die Verbreitung von 'fake news', die eine Gefährdung für Leib und Leben der Bevölkerung darstellen. Es wurden zahlreiche Strafen verhängt und der Strafrahmen im März 2020 erhöht (höhere Geldstrafen; bis zu fünf Jahre Haft). Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurde diese Gesetzgebung noch ausgedehnt. Seit April 2020 ist auch die Verbreitung von 'fake news' zur Pandemie strafbar (AA 02.02.2021; HRW 13.01.2021, FH 14.10.2020). Nach einer Schätzung haben die Behörden innerhalb von drei Monaten mindestens 170 Verwaltungs- und 42 Strafverfahren wegen angeblicher Online-Verbreitung von Falschinformationen über COVID-19 eingeleitet (HRW 13.01.2021). Im Frühjahr 2020 setzte die Regierung auch Überwachungssysteme ein, angeblich um das COVID-19-Quarantäneregime durchzusetzen (FH 14.10.2020). Die staatliche Kontrolle von Internet und sozialen Medien wird zunehmend verschärft (AA 02.02.2021; HRW 13.01.2021, FH 14.10.2020).
Ein Großteil der staatlichen Fernseh- und Printmedien steht unter staatlicher oder staatsnaher Kontrolle (ÖB Moskau 06.2020; GIZ 01.2021a, FH 03.03.2021). Die wenigen unabhängigen bzw. kritischen Medien (z.B. TV-Sender Doschd, Radiosender Echo Moskwy, Zeitung Nowaja Gazeta) werden mit administrativen und finanziellen Mitteln unter Druck gesetzt (ÖB Moskau 06.2020; GIZ 1.2021a, FH 03.03.2021). Kritische Journalisten sind in Russland mit Drohungen, physischer Gewalt und Verhaftungen konfrontiert (ÖB Moskau 06.2020; GIZ 01.2021a, FH 03.03.2021). Insbesondere kommt es auch im Nordkaukasus mitunter zu physischen Attacken und Verfolgung von Journalisten. Der Großteil dieser Fälle bleibt ungeklärt (ÖB Moskau 06.2020). Angriffe, Verhaftungen, Razzien in Büros und Drohungen gegen Journalisten sind weit verbreitet, und die Behörden richteten sich 2020 aktiv gegen Journalisten außerhalb Moskaus (FH 03.03.2021). Immer wieder gibt es Berichte über Angriffe auf Journalisten oder Todesfälle unter gewaltsamen Umständen. Journalisten werden manchmal auch infolge ihrer beruflichen Tätigkeit verhaftet und z.B. wegen angeblicher Drogenvergehen oder terrorismusbezogener Anklagen strafrechtlich verfolgt. Gegen die auf Tschetschenien spezialisierte Journalistin Jelena Milaschina wurden vonseiten des tschetschenischen Oberhaupts Ramsan Kadyrow im April 2020 Morddrohungen ausgesprochen (ÖB Moskau 06.2020).
Im Herbst 2017 wurde eine gesetzliche Grundlage zur Listung gewisser ausländischer Medien als ausländische Agenten geschaffen. Eine im November 2019 beschlossene Gesetzesnovelle ermöglicht es, auch natürliche Personen, die Nachrichten von Medien, welche bereits als ausländische Agenten eingetragen sind, verbreiten (z.B. Journalisten, Blogger, etc.), als ausländische Agenten zu qualifizieren. Ausländischen Personen bzw. Unternehmen ist es nach Änderungen im Gesetz über die Massenmedien seit 2014 verboten, mehr als 20% der Anteile an russischen Medien zu halten. Zahlreiche Internetseiten wurden aufgrund des Verdachts extremistischer Inhalte ohne vorhergehenden Gerichtsbeschluss von der Medienaufsichtsbehörde Roskomnadzor gesperrt (ÖB Moskau 06.2020). Im November 2020 wurde dem Parlament ein neuer Gesetzentwurf vorgelegt, der den Behörden die Befugnis geben soll, Webseiten zu blockieren, die russische staatliche Medieninhalte zensiert haben. Zu den genannten Webseiten zählen Twitter, Facebook und YouTube (HRW 13.01.2021). Auch verschlüsselte E-Mail-Dienste wurden blockiert (FH 14.10.2020).
Mehrere Personen, von denen viele politisch nicht aktiv waren, wurden unter der erwähnten Anti-Extremismus-Gesetzgebung verurteilt, beispielsweise, weil sie in sozialen Medien Kommentare anderer Nutzer befürwortet hatten. Im Jänner 2019 trat eine Gesetzesänderung in Kraft, mit welcher der Paragraf 282 des Strafgesetzbuches über die Erregung von Hass aufgrund der Rasse, Religion oder anderer Merkmale (Volksverhetzung) abgeschwächt wurde. Nur wenn jemand innerhalb eines Jahres mehrmals 'extremistischen Inhalt' veröffentlicht oder verbreitet hat, kann ein Strafverfahren eröffnet werden. Passiert das zum ersten Mal, drohen statt mehrjähriger Gefängnisstrafen lediglich Bußgelder oder Arrest. Im Mai 2020 wurde eine neue Strategie zur Extremismusbekämpfung bis 2025 unterzeichnet. Darin wird Extremismus als eine der Hauptgefahren für die verfassungsmäßige Ordnung des Staates bezeichnet. Als Gefährdung der Stabilität der russischen Gesellschaft wird auch die Tätigkeit einzelner ausländischer NGOs im Zusammenhang mit der Verbreitung extremistischer Ideologien bezeichnet (ÖB Moskau 06.2020). Im November 2019 trat das Gesetz über das 'Souveräne RuNet' in Kraft, das es den russischen Behörden ermöglichen soll, in Krisensituationen die Nachrichtenströme im Internet vollständig zu kontrollieren. Im Dezember 2019 unterzeichnete Präsident Wladimir Putin ein neues Gesetz, nach dem sich alle Bürger als 'ausländischer Agent' registrieren lassen müssen, die Informationen ausländischer Medien oder 'Agenten' weiterverbreiten und Gelder aus dem Ausland erhalten. Verstöße gegen diese Bestimmung werden mit Geldstrafen von bis zu 5.000.000 Rubel (etwa 80.000 Euro) geahndet (AI 16.04.2020).
In den Internetmedien, die weiterhin beträchtliche Wachstumsraten aufweisen, hat sich eine erhebliche Dynamik entfaltet. 78% der erwachsenen russischen Bevölkerung nutzt das Internet. Die IT-Versorgung des Landes ist eine der Prioritäten der Regierung. Dennoch bleibt es vorerst ein großstädtisches Phänomen. Der Einfluss der Internetmedien und der Blogger-Szene (wie z.B. Projekt Snob, Alexej Nawalny), als Ventil für unabhängige und kritische Meinungsäußerungen, wächst (GIZ 01.2021a). Die Medienbehörde Roskomnadzor stellte ihre Bemühungen zur Schließung des verschlüsselten Nachrichtendienstes Telegram ein und hob das zwei Jahre alte Verbot der Plattform im Juni 2020 auf. Die Aufhebung des Verbotes hängt mit der Zusammenarbeit des Unternehmens in Terrorismusfällen zusammen (FH 03.03.2021).
In einem weltweiten Ranking zur Pressefreiheit 2020 nimmt die Russische Föderation derzeit den 149. Platz von 180 Ländern und Territorien ein (RoG 2020). Reporter ohne Grenzen veröffentlichte seine Liste der 20 schlimmsten 'digitalen Raubtiere' der Pressefreiheit im Jahr 2020 - 'Unternehmen und Regierungsbehörden, die digitale Technologie einsetzen, um Journalisten auszuspionieren und zu belästigen und damit unsere Fähigkeit zu gefährden, Nachrichten und Informationen zu erhalten'. Russland findet sich auf dieser Liste (RoG 12.03.2020).
(AA, Auswärtiges Amt [Deutschland] (02.02.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff des BFA 24.03.2021
AI, Amnesty International (16.04.2020), Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2019), https://www.ecoi.net/de/dokument/2028170.html , Zugriff des BFA 24.03.2021
FH, Freedom House (14.10.2020), Bericht zur Freiheit digitaler Medien und des Internet (Berichtszeitraum Juni 2019 - Mai 2020) Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2039111.html , Zugriff des BFA 24.03.2021
FH, Freedom House (03.03.2021), Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff des BFA 24.03.2021
GIZ, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (01.2021a), Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836 , Zugriff des BFA 24.03.2021
HRW, Human Rights Watch (13.01.2021), Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2020 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043508.html , Zugriff des BFA 24.03.2021
ÖB Moskau, Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (06.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_ÖB_Bericht_2020_06.pdf#page=25 &zoom=auto,-259,684, Zugriff des BFA 24.03.2021
RoG, Reporter ohne Grenzen (2020), 2020 World Press Freedom Index, https://rsf.org/en/ranking_table , Zugriff des BFA 24.03.2021
RoG, Reporter ohne Grenzen (12.03.2020), RSF unveils 20/2020 list of press freedom’s digital predators, https://rsf.org/en/news/rsf-unveils-202020-list-press-freedoms-digital-predators , Zugriff des BFA 24.03.2021)
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sind verfassungsrechtlich garantiert, werden durch lokale Behörden in der Praxis jedoch häufig eingeschränkt (USDOS 11.03.2020; ÖB Moskau 06.2020, FH 03.03.2021). Die Organisation ungenehmigter Protestveranstaltungen zieht regelmäßig die Verhaftung der Organisatoren und die Verhängung von Geld- oder mehrwöchigen administrativen Arreststrafen nach sich (AA 02.02.2021). Das Gesetz sieht harte Strafen für nicht genehmigte Proteste und andere Verstöße gegen das öffentliche Versammlungsrecht vor - bis zu 300.000 Rubel (ca. 4.000€) für Einzelpersonen, 600.000 Rubel (8.000€) für Veranstalter und eine Million Rubel (13.600€) für Gruppen oder Unternehmen. Demonstranten mit mehreren Verstößen innerhalb von sechs Monaten können mit einer Geldstrafe von bis zu einer Million Rubel (13.600€) belegt oder für bis zu fünf Jahre inhaftiert werden (USDOS 11.03.2020). Ausnahmen wie die Demonstrationen gegen die Festnahme und Amtsenthebung eines Provinzgouverneurs in Chabarowsk, gegen die im Sommer 2020 lange nicht eingeschritten wurde, bestätigen diese Regel. Wiederholte Verstöße gegen die Vorschriften zur Organisation oder Durchführung von Versammlungen, Kundgebungen, Demonstrationen, Märschen oder auch Mahnwachen können strafrechtlich geahndet werden (bis zu drei Jahre Lagerhaft). Zudem kam es 2019/2020 zu Verurteilungen von Demonstranten wegen angeblicher Gewalt gegen Polizeibeamte, von denen einige nach öffentlichen Protesten und der Veröffentlichung von Videos aufgehoben wurden (AA 02.02.2021). Im Dezember 2020 verabschiedete die Duma zwei neue Gesetze, die Mahnwachen für Einzelpersonen verbieten und die Protestorganisatoren dazu auffordern, umfangreiche Unterlagen auszufüllen (FH 03.03.2021).
Kundgebungen und Demonstrationen von oppositionellen Gruppen werden entweder nicht genehmigt oder müssen abseits zentraler Plätze stattfinden. Gleichzeitig zeigen die Behörden eine zunehmende Intoleranz gegenüber nicht genehmigten Demonstrationen (ÖB Moskau 06.2020; FH 03.03.2021). Im Sommer 2019 kam es in Moskau zu einer Reihe von - zum Teil nicht genehmigten - Protestaktionen mit bis zu 60.000 Teilnehmern, nachdem zahlreiche oppositionelle Kandidaten nicht zur Wahl zum Moskauer Stadtparlament am 8. September zugelassen worden waren. Mehr als tausend Personen wurden festgenommen, gegen einige wurde ein Strafverfahren eröffnet. Mehrere Angeklagte wurden zu Haftstrafen verurteilt, darunter Personen, welche die Menschenrechtsorganisation Memorial zu politischen Gefangenen erklärt hat. Kreml-freundliche Gruppierungen hingegen berichten nicht über Probleme, entsprechende Genehmigungen der Moskauer Stadtverwaltung für Demonstrationen an zentralen Plätzen der Stadt zu erhalten (ÖB Moskau 06.2020; Zeit Online 02.08.2019).
Aufgrund der zunehmenden Entfremdung der Bevölkerung von den Behörden nahm die Zahl der Straßenproteste zu. Dabei geht es neben politischen Themen immer öfter auch um lokale wirtschaftliche, soziale oder ökologische Fragen wie z.B. die Abfallentsorgung. Es wurden jedoch auch allgemeinere politische Forderungen gestellt. Die Behörden reagieren darauf oft mit der Verweigerung der (im Gesetz verbindlich vorgeschriebenen) Genehmigung für öffentliche Versammlungen, der Auflösung friedlicher Versammlungen und der administrativen und strafrechtlichen Verfolgung der Organisatoren und Teilnehmenden. Diese Behandlung friedlich demonstrierender Menschen löste wiederum eine große öffentliche Solidarität mit ihnen aus (AI 16.04.2020).
In Bezug auf die Vereinigungsfreiheit ist zu sagen, dass öffentliche Organisationen ihre Statuten und die Namen ihrer Leiter beim Justizministerium registrieren müssen. Die Finanzen der registrierten Organisationen werden von den Steuerbehörden überprüft, und ausländische Gelder müssen registriert werden [bez. Organisationen siehe auch Kapitel NGOs und Menschenrechtsaktivisten] (USDOS 11.03.2020). Obwohl Gewerkschaftsrechte rechtlich geschützt sind, sind sie in der Praxis eingeschränkt. In führenden Branchen, einschließlich der Automobilherstellung, kam es zu Streiks und Protesten der Arbeiter, aber gewerkschaftsfeindliche Diskriminierung und Repressalien sind weit verbreitet. Arbeitgeber ignorieren häufig Kollektivverhandlungsrechte. Der größte Gewerkschaftsverband arbeitet eng mit dem Kreml zusammen, obwohl in einigen Industriesektoren und Regionen unabhängige Gewerkschaften tätig sind (FH 03.03.2021).
Oppositionspolitiker und -aktivisten werden häufig mit fabrizierten Anklagen und anderen Formen administrativer Belästigung konfrontiert, die ihre Teilnahme am politischen Leben verhindern sollen. Alexej Nawalny wurde im August 2020 mit einem Nervengift vergiftet, als er Korruption und Kampagnen in Sibirien untersuchte. Später gab es Beweise dafür, dass der Anschlag vom Inlandsgeheimdienst FSB durchgeführt worden war. Nawalny musste nach Deutschland evakuiert werden, um zu verhindern, dass die Behörden in seine Behandlung eingreifen (FH 03.03.2021). Die Vergiftung Nawalnys führte zu einer weiteren Verschlechterung der Beziehungen Russlands zur Europäischen Union (HRW 13.01.2021). Als Nawalny in seine Heimat im Jänner 2021 zurückkehrte, wurde er festgenommen, weil er während seiner Abwesenheit gegen Bewährungsauflagen aus einer früheren Verurteilung wegen Untreue verstoßen haben soll. Ein Gericht wandelte die frühere Bewährungsstrafe in eine Haftstrafe um. Die Verurteilung wurde international scharf kritisiert und wird auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als ungerechtfertigt angesehen. Alexej Nawalny wurde zu mehr als zweieinhalb Jahren Haft in einem Straflager verurteilt (Standard.at 28.02.2021).
(AA, Auswärtiges Amt [Deutschland] (02.02.2021), Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff des BFA 26.03.2021
AI, Amnesty International (16.04.2020), Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2019), https://www.ecoi.net/de/dokument/2028170.html , Zugriff des BFA 26.03.2021
FH, Freedom House (03.03.2021), Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff des BFA 26.03.2021
HRW, Human Rights Watch (13.01.2021), Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2020 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043508.html , Zugriff des BFA 26.03.2021
ÖB Moskau, Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (06.2021), Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_ÖB_Bericht_2020_06.pdf#page=25 &zoom=auto,-259,684, Zugriff des BFA 26.03.2021
Standard.at (28.02.2021), Regierungskritiker Nawalny in russisches Straflager überstellt, https://www.derstandard.at/story/2000124540577/regierungskritiker-nawalny-in-russisches-straflager-ueberstellt , Zugriff des BFA 26.03.2021
USDOS, United States Department of State [USA] (11.03.2020), Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019, Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026343.html , Zugriff des BFA 26.03.2021
Zeit Online (02.08.2019), Moskau genehmigt zwei Großkundgebungen, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-08/russland-moskau-proteste-kundgebungen-demonstrationen-polizei , Zugriff des BFA 26.03.2021)
Haftbedingungen
Straftäter werden entweder in sogenannten Ansiedlungskolonien (ähnelt dem freien Vollzug), Erziehungskolonien, Besserungsheileinrichtungen, Strafkolonien mit allgemeinem, strengem oder besonderem Regime (hier sitzt der ganz überwiegende Anteil der Häftlinge ein), oder in einem Gefängnis untergebracht (AA 02.02.2021). Die Bedingungen in den Haftanstalten haben sich seit Ende der 1990er Jahre langsam, aber kontinuierlich verbessert. Die Haftbedingungen entsprechen aber zum Teil noch immer nicht den allgemein anerkannten Mindeststandards. Im Piloturteil-Verfahren des EGMR zum Fall 'Ananjew und andere gegen Russland' hat das Gericht festgestellt, dass die Bedingungen in den Untersuchungsgefängnissen (russ. SIZO) einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung gemäß Art. 3 EMRK entsprechen und das Problem systemischer Natur ist. Im März 2017 veröffentlichte die Föderale Strafvollzugsbehörde (FSIN) einen Bericht, laut welchem die Zahl der Selbstmorde und der Erkrankungen mit direkter Todesfolge aufgrund verbesserter Bedingungen im Jahr 2016 um 12% bzw. 13% gesunken ist. Menschenrechtsverteidiger äußerten jedoch Zweifel an diesen Zahlen (ÖB Moskau 06.2020). Gefangene können Beschwerden bei öffentlichen Aufsichtskommissionen oder beim Büro der Ombudsperson einreichen. Aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen wird diese Option aber nicht immer genutzt. Aktivisten berichten, dass nur Gefangene, die glauben, keine andere Option zu haben, die Konsequenzen einer Beschwerde riskieren. Beschwerden, die bei den Aufsichtskommissionen eingingen, konzentrierten sich häufig auf geringfügige persönliche Anfragen. Die Behörden gestatten Vertretern der öffentlichen Aufsichtskommissionen regelmäßig, Gefängnisse zu besuchen, um die Haftbedingungen zu überwachen. Es gibt in fast allen Regionen öffentliche Aufsichtskommissionen. Menschenrechtsaktivisten äußern sich besorgt darüber, dass einige Mitglieder der Kommissionen behördennahe Personen sind und Personen, die in der Strafverfolgung arbeiten. Laut Gesetz haben Mitglieder von Aufsichtskommissionen das Recht, Insassen in Haftanstalten und Gefängnissen mit ihrer schriftlichen Genehmigung auf Video aufzunehmen und zu fotografieren. Mitglieder der Kommission können auch Luftproben sammeln, andere Umweltinspektionen durchführen, Sicherheitsbewertungen durchführen und Zugang zu psychiatrischen Einrichtungen in Gefängnissen erhalten. Es gibt Berichte, dass die Gefängnisbehörden die Mitglieder der Aufsichtskommissionen daran hindern, Beschwerden von Gefangenen entgegenzunehmen (USDOS 11.03.2020).
Die häufigsten Vorwürfe betreffen die schlechten hygienischen Zustände, den Mangel an medizinischer Betreuung, den akuten Platzmangel (ÖB Moskau 06.2020; AA 02.02.2021, FH 03.03.2021, USDOS 11.03.2020), Misshandlungen durch Aufsichtspersonen (ÖB Moskau 06.2020; FH 03.03.2021, USDOS 11.03.2020), Korruption und fehlende Resozialisierungsmaßnahmen (ÖB Moskau 06.2020). Bei einem Haftbesuch der österreichischen Botschaft in einem Untersuchungsgefängnis in Moskau im Dezember 2019 wurden etwa die beengten Verhältnisse, die fehlende Privatsphäre, schleppende medizinische Betreuung und die unzureichenden Besuchsmöglichkeiten auch für den Rechtsbeistand moniert (ÖB Moskau 06.2020). Kritisiert werden auch die Bedingungen bei der Verbringung von Häftlingen in oft weit entfernte Strafkolonien (ÖB Moskau 06.2020). 2020 ist eine Gesetzesnovelle gemäß dieser, Häftlinge in Russland ihre Haftstrafe in der Nähe ihres Wohnorts oder in der Nähe des Wohnorts ihrer Angehörigen verbüßen sollen, in Kraft getreten (ÖB Moskau 06.2020).
Seit dem Jahr 2000 ist die Zahl der Häftlinge stetig gesunken, von über 1 Mio. auf ca. 520.000 im Februar 2020. Dennoch ist Russland mit 360 Häftlingen auf 100.000 Einwohner in Europa immer noch führend. Ca. 18% der Häftlinge befinden sich in Untersuchungshaftanstalten (ÖB Moskau 06.2020). In den letzten zehn Jahren ist die Anzahl der Häftlinge kontinuierlich um durchschnittlich 32.000 pro Jahr gesunken (WPB 08.03.2019). Die Regierung ist bestrebt, die Anzahl der Gefängnisinsassen weiter zu verringern. So gibt es Ansätze, vermehrt alternative Sanktionen (wie beispielsweise im Bereich der Drogendelikte einen Gesetzesentwurf zu freiwilliger Entziehungstherapie oder Arbeitseinsätze statt Freiheitsstrafen) zu verhängen, um die Anzahl der Strafgefangenen zu verringern. Die Lage in den Strafkolonien ist sehr unterschiedlich; sie reicht von Strafkolonien mit annehmbaren Haftbedingungen bis zu solchen, die laut NGOs als 'Folterkolonien' berüchtigt sind. Hauptprobleme sind Überbelegung (in Moskau, weniger in den Regionen), qualitativ schlechtes Essen und veraltete Anlagen mit den einhergehenden hygienischen Problemen. Bausubstanz und sanitäre Bedingungen in den russischen Haftanstalten entsprechen nicht westeuropäischen Standards. Die Unterbringung der Häftlinge erfolgt oft in Schlafsälen. In den Strafkolonien schützt die Unterbringung in Gruppen den einzelnen Häftling am ehesten vor schikanöser Behandlung durch das Gefängnispersonal. Laut Menschenrechtsorganisationen kann jedoch in allen Strafkolonien gegen Häftlinge, denen Verstöße gegen die Anstaltsregeln vorgeworfen werden, sogenannte Strafisolierhaft (Schiso) angeordnet werden. Häftlinge sind in dieser Isolationshaft oft besonders üblen Haftbedingungen und unmenschlicher Behandlung ausgesetzt (AA 02.02.2021). Vorwürfe in Bezug auf Folter und andere Misshandlungen in den Haftanstalten werden weiterhin gemeldet. Täter werden so gut wie nie zur Verantwortung gezogen. Aus ganz Russland trafen unzählige Foltervorwürfe ein. Im Dezember 2019 erhielt die gemeinnützige Stiftung 'Nuschna Pomosch' (Nötige Hilfe) von der Ermittlungsbehörde Statistiken über Folterungen in Haftanstalten. Demzufolge wurden von 2015 bis 2018 jährlich zwischen 1.590 und 1.881 Beschwerden wegen 'Amtsmissbrauchs' durch Strafvollzugsbeamte verzeichnet. Nur bei 1,7 - 3,2% dieser Beschwerden wurden Ermittlungen durchgeführt (AI 16.04.2020).
Die medizinische Versorgung ist nicht überall befriedigend (AA 02.02.2021; USDOS 11.3.2020). Ein Großteil der Häftlinge bedarf medizinischer Versorgung. Sowohl von TBC- als auch HIV-Infektionen in bemerkenswertem Umfang wird berichtet. Problematisch ist ebenso die Zahl der drogenabhängigen oder psychisch kranken Inhaftierten. Todesfälle wegen unterlassener medizinischer Hilfeleistung kommen laut NGOs vor. Die COVID-19-Prävention und die medizinische Versorgung Infizierter richten sich nach den Vorgaben des russischen Föderalen Strafvollzugsdienstes und den ihm unmittelbar unterstellten Einrichtungen. Die Haftbedingungen in den Untersuchungshaftanstalten sind laut NGOs deutlich besser als in den Strafkolonien (qualitativ besseres Essen, frische Luft, wenig Foltervorwürfe). Hauptproblem ist auch hier die Überbelegung. Trotz rechtlich vorgesehener Höchstdauer verlängerten Gerichte die Haft in Einzelfällen über Jahre (AA 02.02.2021). Der Chef der föderalen Strafvollzugsbehörde (FSIN) behauptete, dass es an Personal fehle, um Menschen mit Beeinträchtigungen in Haftanstalten zu betreuen (ÖB Moskau 06.2020).
Im Allgemeinen sind die Haftbedingungen in Frauengefängnissen besser als in Männergefängnissen, aber auch diese bleiben unter dem Standard (USDOS 11.03.2020).
Russland erweiterte Anfang 2017 seinen Strafkatalog. Somit können Richter bei einigen Vergehen statt einer Haftstrafe Zwangsarbeit anordnen. Die russische Gefängnisbehörde FSIN eröffnete im Jänner 2017 vier 'Besserungszentren' – in Sibirien, Russlands Fernost, im Kaukasus und im Wolgagebiet – und sieben Aufnahmepunkte für Zwangsarbeiter. Insgesamt bieten sie zunächst 900 Verurteilten Platz. Im Gegensatz zur Haftstrafe sind die Täter 'nicht von der Gesellschaft isoliert'. Sie können Telefon und Internet benutzen, einen Teil des verdienten Geldes behalten, einen Arzt aufsuchen und nach Verbüßung eines Drittels der Strafe auch außerhalb der Zentren mit ihren Familien zusammenleben – vorausgesetzt, sie verstoßen weder gegen ihre Arbeitspflicht noch gegen andere Auflagen. Der Konsum von Alkohol und Drogen zieht die Umwandlung der Zwangsarbeit in Haft nach sich (Handelsblatt 02.01.2017; Standard.at 10.01.2017).
Im Juli 2018 veröffentlichte die unabhängige Zeitung Nowaja Gazeta ein durchgesickertes Video von Strafvollzugspersonal in Jaroslawl, das einen Gefangenen brutal schlägt. Als Reaktion auf die öffentliche Empörung verhaftete die russische Kriminalpolizei bis November 15 Verdächtige. Die schnelle und effektive Untersuchung war beispiellos in Russland, wo die Behörden typischerweise Beschwerden von Gefangenen über Misshandlungen ablehnen (HRW 17.01.2019, FH 04.02.2019). Laut Freedom House veröffentlichte die NGO Public Verdict ein Video, das den anhaltenden Missbrauch in Jaroslawl zeigt. Im November 2020 verurteilten Gerichte elf Gefängniswärter wegen Folter zu drei bis vier Jahren Haft. Die Gefängnisdirektoren wurden freigesprochen (FH 03.03.2021).
Laut Berichten des 'Komitees Ziviler Beistand' müssen Nordkaukasier in Haftanstalten außerhalb des Nordkaukasus mit Diskriminierung rechnen, was sich zum einen aus einer grundsätzlich negativen Einstellung gegenüber Nordkaukasiern speist, zum anderen darin begründet ist, dass russische Veteranen des Tschetschenienkrieges überproportional im Strafvollzug beschäftigt sind. Laut den Moskauer Vertretern des 'Komitees gegen Folter' gibt es hingegen keine gezielte staatliche Diskriminierung. Es ist flächendeckend sichergestellt, dass muslimische Strafgefangene Zugang zu Gebetsräumen und Imamen haben. Allerdings werden außer medizinisch indizierten Ernährungsvorgaben keine anderen Speisevorschriften, seien sie religiöser oder sonstiger Art, beachtet (AA 02.02.2021).
In denjenigen Fällen, in welchen die Strafverfolgung nicht sachfremd motiviert ist, oder die Sicherheitsbehörden kein besonderes Interesse haben, d.h. im Bereich 'normaler' Kriminalität, kann davon ausgegangen werden, dass Strafverfahren in nordkaukasischen Regionen mit muslimischer Mehrheitsbevölkerung (Karatschai-Tscherkessien, Kabardino-Balkarien, Inguschetien, Tschetschenien, Dagestan) ähnlich wie im Rest der Russischen Föderation verlaufen. Für muslimische Inhaftierte gestalten sich die Haftbedingungen im Nordkaukasus besser als im Rest Russlands, die Möglichkeit zur freien Religionsausübung ist für Muslime im Gegensatz zum (christlichen) Rest der Russischen Föderation gewährleistet. Zudem gelten die materiellen Bedingungen in den offiziellen Haftanstalten in Tschetschenien in der Regel als besser als in vielen sonstigen russischen Haftanstalten. Für tschetschenische Straftäter, an denen die Sicherheitsbehörden kein besonderes 'sachfremdes' Interesse haben, dürften sich ein Gerichtsstand und eine Haftverbüßung in Tschetschenien in der Regel eher günstig auswirken, da sie neben den besseren materiellen Bedingungen auch auf den Schutz der in Tschetschenien prägenden Clanstrukturen setzen können. Dementsprechend haben tschetschenische Straftäter in der Vergangenheit wiederholt ihre Überstellung nach Tschetschenien betrieben (AA 02.02.2021).
(AA, Auswärtiges Amt [Deutschland] (02.02.2021), Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff des BFA 01.03.2021
AI, Amnesty International (16.04.2020), Amnesty International Report 2019, The State of the World's Human Rights, Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/2038587.html , Zugriff des BFA 01.03.2021
FH, Freedom House (04.02.2019), Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002603.html , Zugriff des BFA 11.03.2020
FH, Freedom House (03.03.2021), Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020, Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff des BFA 05.03.2021
Handelsblatt (02.01.2017), Zwangsarbeit statt Knast, https://www.handelsblatt.com/politik/international/russlands-neuer-strafenkatalog-zwangsarbeit-statt-knast/19195230.html?ticket=ST-8052534-klHgWpsWYfm2euFZS9La-ap6 , Zugriff des BFA 11.03.2020
HRW, Human Rights Watch (17.01.2019): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2018 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002220.html , Zugriff des BFA 11.03.2020
ÖB Moskau, Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (06.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_ÖB_Bericht_2020_06.pdf , Zugriff des BFA 01.03.2021
Standard.at (10.01.2017), Zwangsarbeit statt Haft in Russland, https://www.derstandard.at/story/2000050437057/zwangsarbeit-statt-knast-in-russland , Zugriff des BFA 11.03.2020
USDOS, United States Department of State [USA] (11.03.2020), Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019, Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026343.html , Zugriff des BFA 12.03.2020
WPB, World Prison Brief (08.03.2019), Russia’s falling prison population, https://www.prisonstudies.org/news/russia’s-falling-prison-population , Zugriff des BFA 11.03.2020)
Religionsfreiheit
Art. 28 der Verfassung garantiert Gewissens- und Glaubensfreiheit (AA 02.02.2021). Christentum, Islam, Buddhismus und Judentum haben dabei als 'traditionelle Religionen' de facto eine herausgehobene Stellung (AA 02.02.2021), die Russisch-Orthodoxe Kirche (ROK) spielt allerdings eine zentrale Rolle (AA 02.02.2021; FH 03.03.2021). Die ROK arbeitet bei bestimmten Themen eng mit der Regierung zusammen (FH 03.03.2021). Rund 68% identifizieren sich als russisch-orthodoxe Christen, 7% als Muslime, und 25% gehören religiösen Minderheiten an, darunter Protestanten, Katholiken, Zeugen Jehovas, Buddhisten, Juden und Baha'i (USCIRF 04.2020). Der Islam ist eine der traditionellen Hauptreligionen Russlands. In der Russischen Föderation leben zwischen 14 und 20 Millionen Muslime (ÖB Moskau 06.2020; GIZ 01.2021c). 2015 wurde von Präsident Putin in Moskau die größte Moschee Europas eröffnet, 2019 folgte eine noch größere Moschee in der tschetschenischen Stadt Schali (ÖB Moskau 06.2020).
Bei den traditionell religiös orientierten ethnischen Minderheiten Russlands findet man Anhänger des Islam und des Buddhismus, des Schamanismus und Judaismus, des protestantischen und katholischen Glaubens. Der Islam ist die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft in Russland. Die Muslime sind in der Regel Baschkiren, Tataren, Tschuwaschen, Tschetschenen und Angehörige anderer Kaukasusvölker. Sie werden durch die 'Geistliche Verwaltung der Muslime (Muftirat) des Europäischen Teils Russlands und Sibiriens' sowie die 'Geistliche Verwaltung der Muslime (Muftirat) des Nordkaukasus' vertreten. Darüber hinaus sind zahlreiche andere Konfessionen, wie der Buddhismus (ca. 600.000 Gläubige) - zu dem sich Burjaten, Kalmyken, Tuwa und andere Bevölkerungsgruppen in den Gebieten Irkutsk und Tschita bekennen -, das Judentum (ca. 200.000 Gläubige) sowie von den christlichen Kirchen die katholische Kirche, die evangelisch-lutherische Kirche und eine Reihe von Freikirchen (vor allem Baptisten) in Russland vertreten. Sie sind im europäischen Russland und in Sibirien präsent (GIZ 01.2021c). Auch andere Religionsgemeinschaften können in Russland legal bestehen, müssen sich aber registrieren lassen (GIZ 01.2021c; vgl. USCIRF 04.2020). Die russische Regierung betrachtet unabhängige religiöse Aktivitäten als eine Bedrohung für die soziale und politische Stabilität des Landes und pflegt gleichzeitig bedeutende Beziehungen zu den sogenannten 'traditionellen' Religionen des Landes. Die Regierung aktualisiert regelmäßig Gesetze, welche die Religionsfreiheit einschränken, darunter ein Religionsgesetz von 1996, ein Gesetz zur Bekämpfung des Extremismus von 2002 und neuere Gesetze über Gotteslästerung, wie beispielsweise 'Schüren von religiösem Hass' und 'Missionstätigkeit'. Diese vagen Gesetze geben den russischen Behörden weitreichende Befugnisse, religiöse Reden oder Aktivitäten zu definieren und zu verfolgen oder religiöse Literatur zu verbieten, die sie für schädlich halten. Das Religionsgesetz legt strenge Registrierungsanforderungen an religiöse Gruppen fest und ermächtigt Staatsbeamte, die Tätigkeit der Gruppierungen zu behindern (USCIRF 04.2020).
Seit Ende der Achtzigerjahre hat der Anteil der Gläubigen im Zuge einer 'religiösen Renaissance' bedeutend zugenommen. Allerdings bezeichnen sich laut Meinungsumfragen rund 50% der Bevölkerung als nicht gläubig. Zwar gibt es in Russland einen hohen Grad der Wertschätzung von Kirche und Religiosität, dies bedeutet aber nicht, dass die Menschen ihr Leben nach kirchlichen Vorschriften führen. Die Russisch-Orthodoxe Kirche (ROK) ist heute die mit Abstand größte und einflussreichste Religionsgemeinschaft in Russland. Seit der Unabhängigkeit der Russischen Föderation ist sie zu einer äußerst gewichtigen gesellschaftlichen Einrichtung geworden. Die Verluste an Gläubigen und Einrichtungen, die sie in der Sowjetzeit erlitt, konnte sie zu einem großen Teil wieder ausgleichen. Die ROK hat ein besonderes Verhältnis zum russischen Staat, z.B. ist der Patriarch bei wichtigen staatlichen Anlässen stets anwesend. Die ROK versteht sich als multinationale Kirche, die über ein 'kanonisches Territorium' verfügt. Über die Zahl der Angehörigen der ROK gibt es nur Schätzungen, die zwischen 50 und 135 Millionen Gläubigen schwanken. Wer heute in Russland seine Zugehörigkeit zur orthodoxen Kirche herausstellt, macht damit deutlich, dass er zur russischen Tradition steht. Das Wiedererwachen des religiösen Lebens in Russland gibt regelmäßig Anlass zu Diskussionen um die Rolle der ROK in der Gesellschaft und ihr Verhältnis zum Staat (GIZ 01.2021c).
Seit einer Änderung des Anti-Extremismus-Gesetzes im Jahr 2007 gerieten bestimmte religiöse Gruppen ins Visier der russischen Behörden, vor allem die Zeugen Jehovas und islamische Gruppierungen wie Hizb ut-Tahrir, aber auch Falun Gong, Scientology, und andere. Im Zuge einer Verschärfung der anti-extremistischen Gesetzgebung im Jahr 2016 wurden die Auflagen für Missionarstätigkeiten neu geregelt (ÖB Moskau 06.2020; vgl. USCIRF 04.2020). Das Anti-Extremismus-Gesetz wird auch genutzt, um Muslime - insbesondere Anhänger der islamischen Missionsbewegung Tablighi Jamaat und Leser des türkischen Theologen Said Nursi - wegen friedlicher religiöser Aktivitäten zu verfolgen (USCIRF 04.2020).
Am 20.04.2017 billigte das Oberste Gericht Russlands einen Antrag des Justizministeriums, in dem die russische Zentrale der Zeugen Jehovas als extremistische Gruppe eingestuft wurde, welche die Bürgerrechte sowie die öffentliche Ordnung und Sicherheit bedrohe. Von dem Verbot sind alle 395 Regionalverbände des Landes betroffen. Ihr Besitz wurde beschlagnahmt. Die Zeugen Jehovas können somit für die Ausübung ihres Glaubens strafrechtlich verfolgt werden (AA 02.02.2021; ÖB Moskau 06.2020). Im Jahr 2020 erließen russische Gerichte Dutzende Schuldsprüche gegen Zeugen Jehovas (HRW 13.01.2021). Im Laufe des Jahres 2019 wurden mindestens 17 Zeugen Jehovas verurteilt, sieben von ihnen zu Freiheitsstrafen. Viele Weitere wurden zum Beispiel mit Hausdurchsuchungen schikaniert. Einige von ihnen erklärten, während der Vernehmung gefoltert oder misshandelt worden zu sein (AI 16.04.2020).
(AA, Auswärtiges Amt [Deutschland] (02.02.2021), Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff des BFA 05.03.2021
AI, Amnesty International (16.04.2020), Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2019), https://www.ecoi.net/de/dokument/2028170.html , Zugriff des BFA 05.03.2021
FH, Freedom House (03.03.2021), Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020, Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff des BFA 05.03.2021
GIZ, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (01.2021c), Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/#c18140 , Zugriff des BFA 05.03.2021
HRW, Human Rights Watch (13.01.2021), Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2020, Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043508.html , Zugriff des BFA 05.03.2021
ÖB Moskau, Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (06.2020), Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_ÖB_Bericht_2020_06.pdf , Zugriff des BFA 05.03.2021
USCIRF, United States Commission on International Religious Freedom [USA] (04.2020), 2020 Annual Report, Russia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028973/Russia.pdf , Zugriff des BFA 05.03.2021)
Ethnische Minderheiten
Russland ist ein multinationaler Staat, in dem Vertreter von mehr als 160 Völkern leben. Die Russen stellen mit 79,8% die Mehrheit der Bevölkerung. Größere Minderheiten sind Tataren (4,0%), Ukrainer (2,2%), Armenier (1,9%), Tschuwaschen (1,5%), Baschkiren (1,4%), Tschetschenen (0,9%), Deutsche (0,8%), Weißrussen und Mordwinen (je 0,6%), Udmurten (0,4%), Burjaten (0,3%) und andere. Vielfach ist die Verflechtung zwischen den nicht-russischen und russischen Bevölkerungsteilen durch interethnische Ehen und Kommunikation recht hoch, ebenso der Russifizierungsgrad der nichtrussischen Bevölkerungsteile. Nur wenige Gebietseinheiten, wie Tschetschenien, Dagestan, Tschuwaschien und Tuwa, sind stärker vom namensgebenden Ethnos geprägt. Russisch ist die einzige überall geltende Amtssprache. Parallel dazu wird in den einzelnen autonomen Republiken die jeweilige Volkssprache als zweite Amtssprache verwendet. Die Sprachen der kleinen indigenen Völker stehen unter gesetzlichem Schutz (GIZ 01.2021c). Minderheiten sind in der Regel politisch und gesellschaftlich gut integriert (AA 02.02.2021).
Die Verfassung garantiert gleiche Rechte und Freiheiten unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache und Herkunft. Entsprechend bemüht sich die Zentralregierung zumindest in programmatischen Äußerungen um eine ausgleichende Nationalitäten- und Minderheitenpolitik, inklusive der Förderung von Minderheitensprachen im Bildungssystem (AA 21.05.2018). Trotzdem werden Rechte von Minderheiten nach wie vor nicht in vollem Umfang garantiert, wobei etwa bei der Eintragung des Wohnsitzes und bei den Minderheitenmedien Fortschritte festzustellen sind (ÖB Moskau 06.2020). Fremdenfeindliche und rassistische Ressentiments richten sich insbesondere gegen Kaukasier und Zentralasiaten (AA 02.02.2021; ÖB Moskau 06.2020, FH 03.03.2021, BTI 2020). 'Racial profiling' ist bei den Behörden verbreitet. Minderheiten ohne anerkannten Rechtsstatus wie z.B. Sinti und Roma sind immer wieder Opfer von Diskriminierungen auch durch staatliche Organe (AA 02.02.2021). Die Annexion der Krim 2014 sowie das aus Moskauer Sicht erforderliche Eintreten für die Belange der russischsprachigen Bevölkerung in der Ostukraine haben zu einem starken Anstieg der patriotischen Gesinnung innerhalb der russischen Bevölkerung geführt. In den vergangenen Jahren gingen die Behörden daher verstärkt gegen radikale Nationalisten vor. Dementsprechend sank auch die öffentliche Aktivität derartiger Gruppen, wie die NGO Sova bestätigt. Gestiegen ist ebenfalls die Anzahl von Verurteilungen gegen nationalistische bzw. neofaschistische Gruppierungen wie etwa die Organisation BORN (ÖB Moskau 6.2020). Vor diesem Hintergrund berichtete die NGO Sova in den vergangenen Jahren über sinkende Zahlen rassistischer Übergriffe (ÖB Moskau 06.2020; AA 02.02.2021). Die meisten Vorfälle gab es wie in den Vorjahren in den beiden Metropolen Moskau und Sankt Petersburg. Migranten aus Zentralasien, dem Nordkaukasus und dunkelhäutige Personen sind üblicherweise das Hauptziel dieser Übergriffe. Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) des Europarats stellte in ihrem Bericht vom März 2019 betreffend die Situation in der Russischen Föderation fest, dass die Zahl rassistischer Morde und Gewaltverbrechen in den vergangenen Jahren gesunken ist und insbesondere Angriffe durch Neonazi-Gruppierungen stark zurückgegangen sind (ÖB Moskau 06.2020).
Im Jänner 2019 trat eine Gesetzesänderung in Kraft, mit welcher der Paragraf 282 des Strafgesetzbuches über die Erregung von Hass aufgrund der Rasse, der Religion oder anderer Merkmale (Volksverhetzung), der von den Behörden zum Teil überschießend angewandt worden war (z.B. für Likes und Re-Posts auf sozialen Medien), abgeschwächt wurde. Seither ist die Zahl der Verurteilungen wegen 'Anstiftung von Hass' deutlich zurückgegangen. Die Zahlen von strafrechtlicher Verfolgung wegen 'Aufruf zu und Rechtfertigung von Terrorismus' und wegen 'Organisation der Tätigkeit einer extremistischen Organisation' sind aber gestiegen (ÖB Moskau0 6.2020).
(AA, Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.05.2018), Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1434107/4598_1528119149_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-april-2018-21-05-2018.pdf , Zugriff des BFA 11.03.2020
AA, Auswärtiges Amt [Deutschland] (02.02.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff des BFA 23.02.2021
BTI, Bertelsmann Transformation Index (2020), BTI 2020 Country Report, Russia, https://bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_RUS.pdf , Zugriff des BFA 17.02.2021
FH, Freedom House (03.03.2021), Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020, Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff des BFA 05.03.2021
GIZ, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (01.2021c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/#c18140 , Zugriff des BFA 17.02.2021
ÖB Moskau, Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (06.2020), Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_ÖB_Bericht_2020_06.pdf , Zugriff des BFA 17.02.2021)
Bewegungsfreiheit
In der Russischen Föderation herrscht laut Gesetz Bewegungsfreiheit sowohl innerhalb des Landes als auch bei Auslandsreisen, ebenso bei Emigration und Repatriierung (USDOS 11.03.2020). In einigen Fällen schränkten die Behörden diese Rechte jedoch ein. Die meisten Russen können jederzeit ins Ausland reisen, aber ca. vier Millionen Mitarbeiter des Militär- und Sicherheitsdiensts wurden nach den im Jahr 2014 erlassenen Regeln vom Auslandsreiseverkehr ausgeschlossen (USDOS 11.03.2020; FH 03.03.2021).
Tschetschenen steht, genauso wie allen russischen Staatsbürgern [auch Inguschen, Dagestanern etc.], das in der Verfassung verankerte Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, nach dem Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort [temporäre Registrierung] und ihren Wohnsitz [permanente Registrierung] melden müssen. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses. Wer über Immobilienbesitz verfügt, bleibt dort ständig registriert, mit Eintragung im Inlandspass. Wer zur Miete wohnt, benötigt eine Bescheinigung seines Vermieters und wird damit vorläufig registriert. In diesen Fällen erfolgt keine Eintragung in den Inlandspass (AA 02.02.2021). Einige regionale Behörden schränken die Registrierung vor allem von ethnischen Minderheiten und Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasien ein [bez. Registrierung vgl. Kapitel Meldewesen] (FH 03.03.2021).
Personen aus dem Nordkaukasus können grundsätzlich problemlos in andere Teile der Russischen Föderation reisen. Die tschetschenische Diaspora in allen russischen Großstädten ist stark angewachsen; 200.000 Tschetschenen sollen allein in Moskau leben. Sie treffen allerdings immer noch auf anti-kaukasische Einstellungen (AA 02.02.2021; ADC Memorial, CrimeaSOS, Sova Center for Information and Analysis, FIDH 2017).
Bei der Einreise werden die international üblichen Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Personen ohne reguläre Ausweisdokumente wird in aller Regel die Einreise verweigert. Russische Staatsangehörige können grundsätzlich nicht ohne Vorlage eines russischen Reisepasses, Inlandspasses (wie Personalausweis) oder anerkannten Passersatzdokuments wieder in die Russische Föderation einreisen. Russische Staatsangehörige, die kein gültiges Personaldokument vorweisen können, müssen eine Verwaltungsstrafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen bei dem für sie zuständigen Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen (AA 02.02.2021). Personen, die innerhalb des Landes reisen, müssen ihren Inlandsreisepass mit sich führen (USDOS 11.03.2020; vgl. FH 03.03.2021). Der Inlandspass ermöglicht auch die Abholung der Pension vom Postamt, die Arbeitsaufnahme und die Eröffnung eines Bankkontos (AA 21.05.2018; FH 03.03.2021).
(AA, Auswärtiges Amt [Deutschland] (02.02.2021), Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff des BFA 06.04.2021
AA, Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.02.2019), Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf , Zugriff des BFA 06.04.2021
ADC Memorial, CrimeaSOS, SOVA Center for Information and Analysis, FIDH (International Federation for Human Rights) (2017): Racism, Discrimination and Fight Against Extremism in Contemporary Russia and its Controlled Territories. Alternative Report on the Implementation of the UN Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination by the Russian Federation, https://www.fidh.org/IMG/pdf/cerdengen.pdf , Zugriff des BFA 06.04.2021
FH, Freedom House (03.03.2021), Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2020, Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046536.html , Zugriff des BFA 06.04.2021
USDOS, United States Department of State [USA] (11.03.2020), Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2020, Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026343.html , Zugriff des BFA 06.04.2021
Meldewesen
Laut Gesetz müssen sich Bürger der Russischen Föderation an ihrem permanenten und temporären Wohnort registrieren (EASO 08.2018; AA 02.02.2021, USDOS 11.03.2020). Die Registrierung ist nichts anderes als eine Benachrichtigung für die Behörde, wo eine Person wohnt, und funktioniert relativ problemlos (DIS 01.2015; EASO 08.2018). Die Registrierung des Wohnsitzes erfolgt entweder in einer lokalen Niederlassung des Innenministeriums (MVD), über das Onlineportal für öffentliche Dienstleistungen Gosuslugi oder per E-Mail (nur für die temporäre Registrierung). Man kann neben einer permanenten Registrierung auch eine temporäre Registrierung haben, z.B. in einem Hotel, in einer medizinischen Einrichtung, in einem Gefängnis, in einer Wohnung, etc. Natürlich gibt es auch die Möglichkeit, den Hauptwohnsitz zu ändern. Hierzu muss man die permanente Registrierung innerhalb von sieben Tagen ändern. Um sich zu registrieren, braucht man einen Pass, einen Antrag auf Registrierung und ein Dokument, das zeigt, dass man berechtigt ist, sich an einer bestimmten Adresse zu registrieren, wie z.B. einen Mietvertrag. Die permanente Registrierung wird mittels eines Stempels im Inlandspass vermerkt. Die Beendigung einer permanenten Registrierung muss von der jeweiligen Person veranlasst werden. Dies muss aber nicht bei den Behörden an der alten Adresse geschehen, sondern kann von der neuen Adresse aus beantragt werden. Auch die Beendigung einer Registrierung wird mittels eines Stempels im Inlandspass vermerkt (EASO 08.2018).
Wenn eine Person vorübergehend an einer anderen Adresse als dem Hauptwohnsitz (permanente Registrierung) wohnt, muss eine temporäre Registrierung vorgenommen werden, wenn der Aufenthalt länger als 90 Tage dauert. Die Registrierung einer temporären Adresse beeinflusst die permanente Registrierung nicht. Für die temporäre Registrierung braucht man einen Pass, einen Antrag auf temporäre Registrierung und ein Dokument, das zeigt, dass man zur Registrierung berechtigt ist. Nach der Registrierung bekommt man ein Dokument, das die temporäre Registrierung bestätigt. Die temporäre Registrierung endet automatisch mit dem Datum, das man bei der Registrierung angegeben hat. Eine temporäre Registrierung in Hotels, auf Camping-Plätzen und in medizinischen Einrichtungen endet automatisch, wenn die Person die Einrichtung verlässt. Wenn eine Person früher als geplant den temporären Wohnsitz verlässt, sollten die Behörden darüber in Kenntnis gesetzt werden (EASO 08.2018).
Eine Registrierung ist für einen legalen Aufenthalt in der Russischen Föderation unabdingbar. Diese ermöglicht außerdem den Zugang zu Sozialhilfe (Arbeitslosengeld, Pension, etc.) und staatlich geförderten Wohnungen, zum kostenlosen Gesundheitssystem sowie zum legalen Arbeitsmarkt (BAA 12 .2011; ÖB Moskau 06.2020).
Es kann für alle Bürger der Russischen Föderation zu Problemen beim Registrierungsprozess kommen. Es ist möglich, dass Migranten aus dem Kaukasus zusätzlich kontrolliert werden (ADC Memorial, CrimeaSOS, Sova Center for Information and Analysis, FIDH 2017). In der Regel ist die Registrierung aber auch für Tschetschenen kein Problem, auch wenn es möglicherweise zu Diskriminierung oder korruptem Verhalten seitens der Beamten kommen kann. Im Endeffekt bekommen sie die Registrierung (DIS 01.2015; EASO 08.2018).
(AA, Auswärtiges Amt [Deutschland] (02.02.2021), Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff des BFA 06.04.2021
ADC Memorial, CrimeaSOS, SOVA Center for Information and Analysis, FIDH (International Federation for Human Rights) (2017): Racism, Discrimination and Fight Against Extremism in Contemporary Russia and its Controlled Territories. Alternative Report on the Implementation of the UN Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination by the Russian Federation, https://www.fidh.org/IMG/pdf/cerdengen.pdf , Zugriff des BFA 06.04.2021
BAA Staatendokumentation [Österreich] (12.2011), Forschungsaufenthalt der Staatendokumentation. Bericht zum Forschungsaufenthalt Russische Föderation – Republik Tschetschenien
DIS, Danish Immigration Service [Dänemark] (01.2015), Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation – residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service’s fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, https://www.ecoi.net/en/file/local/1215362/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf , Zugriff des BFA 06.04.2021
EASO, European Asylum Support Office [EU] (08.2018), Country of Origin Information Report Russian Federation. The situation for Chechens in Russia, https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/Plib/Chechens_in_RF.pdf , Zugriff des BFA 06.04.2021
ÖB Moskau, Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (06.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_ÖB_Bericht_2020_06.pdf , Zugriff des BFA 06.04.2021
USDOS, United States Department of State [USA] (11.03.2020), Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019, Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026343.html , Zugriff des BFA 06.04.2021)
Grundversorgung
2019 betrug die Zahl der Erwerbstätigen in Russland ca. 73 Millionen, somit ungefähr 62% der Gesamtbevölkerung. Der Frauenanteil an der erwerbstätigen Bevölkerung beträgt knapp 49% (WKO 04.2021). Die Arbeitslosigkeit befindet sich im Landesdurchschnitt auf einem moderaten Niveau (GIZ 01.2021b) und wird für das Jahr 2021 auf 5,2% prognostiziert (Statista 19.10.2020). Sie kann regional jedoch stark abweichen. Russische Staatsbürger haben überall im Land Zugang zum Arbeitsmarkt (IOM 2019). Das BIP lag 2020 bei ca. 1.474 Milliarden US-Dollar. Dies entspricht einem Rückgang um ca. 3%(WKO 04.2021).
Russland ist einer der größten Rohstoffproduzenten der Welt und verfügt mit einem Viertel der weltweiten Gasreserven (25,2%), circa 6,3% der weltweiten Ölreserven und den zweitgrößten Kohlereserven (19%) über bedeutende Ressourcen. Die mangelnde Diversifizierung der russischen Wirtschaft führt jedoch zu einer überproportional hohen Abhängigkeit der Wirtschaftsentwicklung von den Einnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas. Rohstoffe stehen für ca. 70% der Exporte und finanzieren zu rund 50% den Staatshaushalt. Die Staatsverschuldung in Russland ist mit rund 10% des BIP weiterhin vergleichsweise moderat. Sowohl hohe Gold- und Währungsreserven als auch die beiden durch Rohstoffeinnahmen gespeisten staatlichen Reservefonds stellen eine Absicherung des Landes dar. Strukturdefizite, Finanzierungsprobleme und Handelseinschränkungen durch Sanktionen seitens der USA, Kanadas, Japans und der EU bremsten das Wirtschaftswachstum. Insbesondere die rückläufigen Investitionen und die Fokussierung staatlicher Finanzhilfen auf prioritäre Bereiche verstärken diesen Trend. Das komplizierte geopolitische Umfeld und die Neuausrichtung der Industrieförderung führen dazu, dass Projekte vorerst verschoben werden. Wirtschaftlich nähert sich Russland China an. Im Index of Economic Freedom nimmt Russland 2020 den 94. Platz [2019 Platz 98] unter 180 Ländern ein. Das schlechte Investitionsklima schlägt sich in einer niedrigen Rate ausländischer Investitionen nieder. Bürokratie, Korruption und Rechtsunsicherheit bremsen die wirtschaftliche Entwicklung aus. Seit Anfang 2014 hat die Landeswährung mehr als ein Drittel ihres Wertes im Vergleich zum Euro verloren, was unter anderem an den westlichen Sanktionen wegen der Ukraine-Krise und dem fallenden Ölpreis liegt. Durch den Währungsverfall sind die Preise für Verbraucher erheblich gestiegen. Die Erhöhung des allgemeinen Satzes der Mehrwertsteuer von 18% auf 20% am Jahresanfang 2019 belastete die Verbrauchernachfrage. Das Wirtschaftsministerium prognostiziert für das Wirtschaftswachstum 2021 nur ein Plus von 2,8%. Langfristig befürchten Ökonomen und Behörden ein Erlahmen der Konjunktur, wenn strukturelle Reformen ausbleiben. Diese seien wegen des Rückgangs der erwerbstätigen Bevölkerung und der starken Abhängigkeit Russlands vom Öl- und Gasexport erforderlich (GIZ 01.2021b).
Die primäre Versorgungsquelle der Russen bleibt ihr Einkommen. Staatliche Hilfe können Menschen mit Beeinträchtigungen, Senioren und Kinder unter drei Jahren erwarten. Fast 14% der russischen Bevölkerung leben unterhalb der absoluten Armutsgrenze, die dem per Verordnung bestimmten monatlichen Existenzminimum von derzeit 12.130 Rubel [ca. 134 €] entspricht. Die russische Akademie der Wissenschaften veranschlagt das tatsächliche erforderliche Existenzminimum dagegen bei 33.000 Rubel [ca. 366 €]. Vollbeschäftigte erhalten den Mindestlohn (derzeit 12.130 Rubel [ca. 134 €]), der jährlich zum 01.01. auf die Höhe des Existenzminimums im 2. Quartal des Vorjahres angehoben wird. Für Einkommen unter dem Existenzminimum besteht die Möglichkeit der Aufstockung bis zur Höhe des Existenzminimums. Trotz der wiederholten Anhebungen der durchschnittlichen Bruttolöhne sind die real zur Verfügung stehenden Einkommen seit sechs Jahren rückläufig. Expertenschätzungen zufolge gibt es derzeit mindestens 25 Mio. illegal Beschäftigte. Die Verarmungsentwicklung ist vorwiegend durch niedrige Löhne verursacht, die insbesondere eine Folge der auf die Schonung der öffentlichen Haushalte zielenden Lohnpolitik sind (zwei Drittel aller Einkommen werden von staatlichen Unternehmen oder vom Staat bezahlt, der die Löhne niedrig hält). Ein weiteres Spezifikum der russischen Lohnpolitik ist der durchschnittliche Lohnverlust von 15 - 20% für abhängig Beschäftigte ab dem 45. Lebensjahr. Sie gelten in den Augen der Arbeitgeber aufgrund fehlender Fortbildungen als unqualifiziert und werden bei den Sonderzahlungen und Lohnanpassungen nicht berücksichtigt. Dieser Effekt wird durch eine hohe Arbeitslosenquote (21,6%) bei den über 50-Jährigen verstärkt. Auch Migranten verdienen oft nur den Mindestlohn (AA 02.02.2021).
Als besonders armutsgefährdet gelten Familien mit Kindern, vor allem Großfamilien, Alleinerziehende, Pensionisten und Menschen mit Beeinträchtigungen. Weiters gibt es regionale Unterschiede. In den wirtschaftlichen Zentren, wie beispielsweise Moskau oder St. Petersburg, ist die offizielle Armutsquote nur halb so hoch wie im Landesdurchschnitt (knapp 14%), wohingegen beispielsweise in Regionen des Nordkaukasus jeder fünfte mit weniger als dem Existenzminimum auskommen muss. Auch ist prinzipiell die Armutsgefährdung am Land höher als in den Städten. Die soziale Absicherung ist über Pensionen, monatliche Geldleistungen für bestimmte Personengruppen (beispielsweise Kriegsveteranen, Menschen mit Beeinträchtigungen, Veteranen der Arbeit) und Mutterschaftsbeihilfen organisiert [bitte vergleichen Sie hierzu Kapitel Sozialbeihilfen] (Russland Analysen 21.02.2020a).
Die EU hat die Verlängerung der wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland wegen des andauernden Ukraine-Konfliktes bis Ende Juli 2021 beschlossen (Presse.com 10.12.2020).
(AA, Auswärtiges Amt [Deutschland] (02.02.2021), Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff des BFA 24.02.2021
GIZ, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (01.2021b), Russland, Wirtschaft und Entwicklung, https://www.liportal.de/russland/wirtschaft-entwicklung/ , Zugriff des BFA 18.02.2021
IOM, International Organisation for Migration (2019): Länderinformationsblatt Russische Föderation, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698619/18364377/Russland_-_Country_Fact_Sheet_2019,_deutsch.pdf?nodeid=21860150&vernum=-2 , Zugriff des BFA 18.02.2021
Presse.com (10.12.2020), EU verlängerte Wirtschaftssanktionen gegen Russland, https://www.diepresse.com/5909916/eu-verlangerte-wirtschaftssanktionen-gegen-russland , Zugriff des BFA 18.02.2021
Russland Analysen/ Brand, Martin (21.02.2020a), Armutsbekämpfung in Russland, in: Russland Analysen Nr. 382, https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/382/RusslandAnalysen382.pdf , Zugriff des BFA 04.02.2020
Statista (19.10.2020), Russland: Arbeitslosenquote von 1992 bis 2019 und Prognosen bis 2025, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/17339/umfrage/arbeitslosenquote-in-russland/ , Zugriff des BFA 21.04.2021
WKO, Wirtschaftskammer Österreich [Österreich] (04.2021), Länderprofil Russland, https://wko.at/statistik/laenderprofile/lp-russland.pdf?_gl=1 *2opol5*_ga*MTMwODMzNzE3OC4xNjE4OTg5NzU3*_ga_4YHGVSN5S4*MTYxODk4OTc1Ni4xLjEuMTYxODk4OTc1OS41Nw.., Zugriff des BFA 21.04.2021)
Sozialbeihilfen
Die Russische Föderation hat ein reguläres Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Pensionssystem. Leistungen hängen von der spezifischen Situation der Personen ab; eine finanzielle Beteiligung der Profitierenden ist nicht notwendig. Alle Leistungen stehen auch Rückkehrern offen (IOM 2019).
Das soziale Sicherungssystem wird von vier Institutionen getragen: dem Pensionsfonds, dem Sozialversicherungsfonds, dem Fonds für obligatorische Krankenversicherung und dem staatlichen Beschäftigungsfonds. Aus dem 1992 gegründeten Pensionsfonds werden Arbeitsunfähigkeits- und Alterspensionen gezahlt. Das Pensionsalter beträgt 60 Jahre bei Männern und 55 Jahre bei Frauen. Da dieses Modell aktuell die Pensionen nicht vollständig finanzieren kann, steigen die Zuschüsse des staatlichen Pensionsfonds an. Eine erneute Pensionsreform wurde seit 2012 immer wieder diskutiert. Die Regierung hat am 14.06.2018 einen Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht, womit das Pensionseintrittsalter für Frauen bis zum Jahr 2034 schrittweise auf 63 Jahre und für Männer auf 65 angehoben werden soll. Die Pläne der Regierung stießen auf Protest: Mehr als 2,5 Millionen Menschen unterzeichneten eine Petition dagegen, in zahlreichen Städten fanden Demonstrationen gegen die geplante Pensionsreform statt. Präsident Putin reagierte auf die Proteste und gab eine Abschwächung der Reform bekannt. Das Pensionseintrittsalter für Frauen erhöht sich um fünf anstatt acht Jahre; Frauen mit drei oder mehr Kindern dürfen außerdem früher in Pension gehen (GIZ 01.2021c).
Der Sozialversicherungsfonds finanziert das Mutterschaftsgeld (bis zu 18 Wochen), Kinder- und Krankengeld. Das Krankenversicherungssystem umfasst eine garantierte staatliche Minimalversorgung, eine Pflichtversicherung und eine freiwillige Zusatzversicherung. Vom staatlichen Beschäftigungsfonds wird das Arbeitslosengeld (maximal ein Jahr lang) ausgezahlt. Alle Sozialleistungen liegen auf einem niedrigen Niveau (GIZ 01.2021c).
Vor allem auch zur Förderung einer stabileren demografischen Entwicklung gibt es ein umfangreiches Programm zur Unterstützung von Familien, vor allem mit Kindern unter drei Jahren: z.B. eine Aufstockung des Existenzminimums ab 2020 bis auf das Zweifache, das sogenannte Mutterschaftskapital in Form einer bargeldlosen, zweckgebundenen Leistung sowie besondere Leistungen zur Corona-Krise wie etwa eine einmalige Auszahlung an Kinder im Alter von drei bis 16 Jahre in Höhe von 10.000 Rubel [ca. 111 €], monatliche Auszahlungen an Kinder bis drei Jahre in Höhe von 5.000 Rubel [ca. 55 €] (dreimal für April, Mai und Juni ausgezahlt), monatliche Auszahlungen in Höhe von 3.000 Rubel [ca. 33 €] an Kinder bis 18 Jahre, deren Eltern offiziell als arbeitslos gemeldet sind (AA 02.02.2021).
Personen im Pensionsalter mit mindestens fünfjährigen Versicherungszahlungen haben das Recht auf eine Alterspension. Rückkehrende müssen für mindestens 10 Jahre Pensionsversicherungsbeiträge eingezahlt haben. Begünstigte müssen sich bei der lokalen Pensionskasse melden und erhalten dort, nach einer ersten Beratung, weitere Informationen zu den Verfahrensschritten. Informationen zu den erforderlichen Dokumenten erhält man ebenfalls bei der ersten Beratung. Eine finanzielle Beteiligung ist nicht erforderlich. Zu erhaltende Leistungen werden ebenfalls in der Erstberatung diskutiert (IOM 2019). Seit dem Jahr 2010 werden Pensionen, die geringer als das Existenzminimum für Pensionisten sind, aufgestockt – insofern sind sie vor existenzieller Armut geschützt (Russland Analysen 21.02.2020a). Die Pensionen der nicht arbeitenden Pensionisten werden seit 2019 vor der jährlichen Indexierung auf die Höhe des Existenzminimums angehoben. Zum 1. Jänner 2020 lag die Durchschnittspension in Russland bei 14.904 Rubel [ca. 165 €] (AA 02.02.2021).
Zum Kreis der schutzbedürftigen Personen zählen Familien mit mehr als drei Kindern, Menschen mit Beeinträchtigungen sowie alte Menschen. Staatliche Zuschüsse werden durch die Pensionskasse bestimmt (IOM 2019). Das europäische Projekt MedCOI erwähnt weitere Kategorien von Bürgern, welchen unterschiedliche Arten von sozialer Unterstützung gewährt werden:
Kinder (unterschiedliche Zuschüsse und Beihilfen für Familien mit Kindern);
Großfamilien (Ausstellung einer Großfamilienkarte, unterschiedliche Zuschüsse und Beihilfen, Rückerstattung von Nebenkosten [Wasser, Gas, Elektrizität, etc.]);
Familien mit geringem Einkommen;
Studierende, Arbeitslose, Pensionisten, Angestellte spezialisierter Institutionen und Jungfamilien (BDA 31.03.2015). 2018 profitierten von diesen Leistungen für bestimmte Kategorien von Bürgern auf föderaler Ebene 15,2 Millionen Menschen. In den Regionen könnte die Zahl noch höher liegen, da die Föderationssubjekte für den größten Teil der monatlichen Geldleistungen aufkommen (Russland Analysen 21.02.2020a).
Familienbeihilfe
Monatliche Zahlungen im Falle von einem Kind liegen bei 3.142 Rubel (ca. 43 €). Beim zweiten Kind sowie bei weiteren Kindern liegt der Betrag bei 6.284 Rubel (ca. 86 €). Der maximale Betrag liegt bei 26.152 Rubel (ca. 358 €) (IOM 2019). Seit 2018 gibt es für einkommensschwache Familien für Kleinkinder (bis 1,5 Jahre) monetäre Unterstützung in Höhe des regionalen Existenzminimums (Russland Analysen 21.02.2020a).
Mutterschaft
Mutterschaftsurlaub kann für bis zu 140 Tage bei vollem Gehaltsbezug beantragt werden (70 Tage vor der Geburt, 70 Tage danach). Im Falle von Mehrlingsgeburten kann der Urlaub auf 194 Tage erhöht werden. Das Minimum der Mutterschaftshilfe liegt bei 100% des gesetzlichen Mindestlohns bis zu einem Maximum im Vergleich zu einem 40-Stunden-Vollzeitjob. Der Mindestbetrag der Mutterschutzhilfe liegt bei 9.489 Rubel (ca. 130 €) und der Maximalbetrag bei 61.327 Rubel (ca. 840 €) (IOM 2019). Weiters gibt es landesweite Pauschalzahlungen für die Geburt und die medizinische Registrierung vor der 12. Schwangerschaftswoche und seit 2020 Lohnersatzzahlungen von 40% in den ersten drei Jahren der Elternzeit. Mütter haben auch Anspruch auf zwei zusätzliche bezahlte Urlaubstage bis zum 14. Lebensjahr des Kindes. Bezüglich Betreuungseinrichtungen von Kindern ist zu sagen, dass die Gebühren dafür niedrig sind und hohe Vergünstigungen bei zunehmender Kinderanzahl bieten. Obwohl das Angebot von Betreuungseinrichtungen regional variiert, gibt es im Allgemeinen ein breites Versorgungsnetz (Russland Analysen 21.02.2020b).
Mutterschaftskapital
Zu den bedeutendsten Positionen der staatlichen Beihilfe zählt das Mutterschaftskapital, in dessen Genuss Mütter mit der Geburt ihres zweiten Kindes kommen. Dieses Programm wurde 2007 aufgelegt und wird russlandweit umgesetzt. Der Umfang der Leistungen ist beträchtlich (RBTH 22.04.2017). Ab dem 01.01.2020 wird das Mutterschaftskapital in Russland erhöht (Russland Capital 07.06.2019). Es beträgt derzeit 616.000 Rubel [ca. 6.835 €] (AA 02.02.2021). Man bekommt das Geld allerdings erst drei Jahre nach der Geburt ausgezahlt, und die Zuwendungen sind an bestimmte Zwecke gebunden. So etwa kann man von den Geldern Hypothekendarlehen tilgen, weil dies zur Verbesserung der Wohnsituation beiträgt. In einigen Regionen darf der gesamte Umfang des Mutterkapitals bis zu 70% der Wohnkosten decken. Aufgestockt werden die Leistungen durch Beihilfen in den Regionen (RBTH 22.4.2017). Die Höhe des Mutterschaftskapitals entspricht etwa einem durchschnittlichen Jahresgehalt, und bisher profitierten über fünf Millionen Familien davon. Das Mutterschaftskapital soll laut Putin bis Ende 2026 fortgeführt werden und auf die Geburt des ersten Kindes ausgeweitet werden (Russland Analysen 21.2.2020a). Das Mutterschaftskapital muss nicht versteuert werden und ist status- und einkommensunabhängig (Russland Analysen 21.02.2020b).
Behinderung
Arbeitnehmer mit einem Invalidenstatus haben das Recht auf eine Invaliditätspension. Dies gilt unabhängig von der Ursache der Behinderung. Die Invaliditätspension wird für die Dauer der Behinderung gewährt oder bis zum Erreichen des normalen Pensionsalters (IOM 2019). Zum 01. Jänner 2020 lag die Durchschnittspension beeinträchtigter Menschen bei 9.823 Rubel [ca. 109 €]. Menschen mit Beeinträchtigungen können eine Pension in Höhe von bis zu 14.093 Rubel [ca. 156 €] monatlich erhalten (AA 02.02.2021).
Arbeitslosenunterstützung
Personen können sich bei den Arbeitsagenturen der Föderalen Behörde für Arbeit und Beschäftigung (Rostrud) arbeitslos melden und Arbeitslosenhilfe beantragen. Daraufhin bietet die Arbeitsagentur innerhalb von zehn Tagen einen Arbeitsplatz an. Sollten Bewerber diesen zurückweisen, werden sie als arbeitslos registriert. Arbeitszentren gibt es überall im Land. Arbeitslosengeld wird auf Grundlage des durchschnittlichen Gehalts des letzten Beschäftigungsverhältnisses kalkuliert. Die Mindestarbeitslosenunterstützung pro Monat beträgt 1.500 Rubel (ca. 21 €) und die Maximalunterstützung 8.000 Rubel (ca. 111 €). Gelder werden monatlich ausgezahlt. Die Voraussetzung ist jedoch die notwendige Neubewertung (normalerweise zwei Mal im Monat) der Bedingungen durch die Arbeitsagenturen. Die Leistungen können unter verschiedenen Umständen auch beendet werden. Arbeitssuchende, die sich bei der Föderalen Behörde für Arbeit und Beschäftigung registriert haben, haben das Recht, an kostenlosen Fortbildungen teilzunehmen und so ihre Qualifikationen zu verbessern. Ebenfalls bieten private Schulen, Trainingszentren und Institute Schulungen an. Diese sind jedoch nicht kostenlos (IOM 2019).
Wohnmöglichkeiten und Sozialwohnungen
Ein weiteres Problem stellt die Versorgung mit angemessenem Wohnraum dar. Eigentums- oder angemessene Mietwohnungen sind für große Teile der Bevölkerung unbezahlbar (AA 2.2.2021). Bürger ohne Unterkunft oder mit einer unzumutbaren Unterkunft und sehr geringem Einkommen können kostenfreie Wohnungen beantragen. Dennoch ist dabei mit Wartezeiten von einigen Jahren zu rechnen. Informationen über die jeweiligen Kategorien zur Qualifizierung für eine kostenlose Unterkunft sowie die dazu notwendigen Dokumente erhält man bei den kommunalen Stadtverwaltungen. Es gibt in der Russischen Föderation keine Zuschüsse für Wohnungen. Einige Banken bieten jedoch für einen Wohnungskauf niedrige Kredite an. Junge Familien mit vielen Kindern können staatliche Zuschüsse (Mutterschaftszulagen) für wohnungswirtschaftliche Zwecke beantragen. Die Wohnungskosten sind regionenabhängig. Die durchschnittlichen monatlichen Nebenkosten liegen derzeit bei ca. 3.200 Rubel (ca. 44 €) (IOM 2019).
(AA, Auswärtiges Amt [Deutschland] (02.02.2021), Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff des BFA 24.02.2021
BDA, Belgium Desk on Accessibility (31.03.2015), Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Fact Sheet via MedCOI
GIZ, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (01.2021c), Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/#c18140 , Zugriff des BFA 18.02.2021
IOM, International Organisation for Migration (2019): Länderinformationsblatt Russische Föderation, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698619/18364377/Russland_-_Country_Fact_Sheet_2019,_deutsch.pdf?nodeid=21860150&vernum=-2 , Zugriff des BFA 18.02.2021
RBTH, Russia beyond the Headlines (22.04.2017), Gratis-Studium und Steuerbefreiung: Russlands Wege aus der Geburtenkrise, https://de.rbth.com/gesellschaft/2017/04/22/gratis-studium-und-steuerbefreiung-russlands-wege-aus-der-geburtenkrise_747881 , Zugriff des BFA 18.03.2020
Russland Analysen/Brand, Martin (21.02.2020a), Armutsbekämpfung in Russland, in: Russland Analysen Nr. 382, https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/382/RusslandAnalysen382.pdf , Zugriff des BFA 04.02.2020
Russland Analysen/Hornke, Theresa (21.02.2020b); Russlands Familienpolitik, in: Russland Analysen Nr. 382, https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/382/RusslandAnalysen382.pdf , Zugriff des BFA 04.02.2020
Russland Capital (07.06.2019), Das Mutterschaftskapital wird auf 470.000 Rubel erhöht, https://www.russland.capital/das-mutterschaftskapital-wird-auf-470-000-rubel-erhoeht , Zugriff des BFA 18.03.2020)
COVID-19
In Moskau bestehen Einschränkungen bei Veranstaltungen. In anderen Teilen Russlands können andere und auch weitergehende Einschränkungen bestehen. In allen öffentlich zugänglichen Räumen und Verkehrsmitteln gilt die Pflicht zum Tragen eines Mund-Nase-Schutzes. In der Öffentlichkeit ist ein Mindestabstand von 1,5 m zu anderen Personen einzuhalten, dies gilt nicht in Taxis (AA Reise- und Sicherheitshinweise Stand 04.09.2021).
In Moskau und anderen Ballungszentren der Russischen Föderation kommen weiterhin insbesondere aufgrund der hohen Ansteckungszahlen durch die „Delta-Variante“ diverse Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Infektion (beispielsweise Masken- und Handschuhpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln) zur Anwendung. Weiters wird beim Besuch von Restaurants und öffentlichen Einrichtungen ein „3G-Nachweis“ (wobei nur in Russland zugelassene Impfungen akzeptiert werden), welcher mittels QR-Code nachzuweisen ist, verlangt (z.B. in der Region Moskau durchzuführen über das Portal mos.ru). (BMEIA Stand 04.09.2021).
Bis zum 03.09.2021 gab es in der Russischen Föderation 6.975.174 bestätigte Fälle von COVID-19 Infektionen und 185.611 Todesfälle; es wurden bis 31.08.2021 80.244.526 Einheiten Schutzimpfungen verabreicht (WHO, Russischen Föderation, Stand 03.09.2021, abgefragt am 04.09.2021). Im gleichen Zeitraum gab es in der Republik Österreich 687.240 Infektionen, 10.573 Todesfälle und wurden 10.456.753 Schutzimpfungen verabreicht (WHO, Österreich, Stand 03.09.2021abgefragt am 04.09.2021).
Erneute massive Ausbrüche in russischen Metropolen Die COVID-19-Pandemie breitet sich rasant aus. Dabei nimmt der Anteil der Delta-Variante stark zu. Betroffen sind insbesondere Moskau und St. Petersburg. In St. Petersburg wurden am 26.06.21 mehr als 1.300 Infektionen innerhalb eines Tages gemeldet. Am 27.06.21 wurden über 107 Todesfälle (neuer Höchststand für einen Tag) berichtet. Für Moskau meldeten die Behörden am 26.06.21 insgesamt 6.700 Neuinfizierte und einen Höchststand mit 144 Todesfällen an einem Tag. Für einzelne Berufszweige war in Moskau und anderen Städten bereits eine Impfpflicht verhängt worden. Dagegen regte sich aber auch Protest. Russlandweit liegt die Zahl der Neuinfektionen bei mehr als 20.500. Fast 600 Todesfälle wurden landesweit an einem Tag registriert. Westliche Experten bezweifeln jedoch, dass die Todesfälle durch das Coronavirus korrekt erfasst werden (BAMF 28.06.2021).
Die Regionalbehörden in der Russischen Föderation sind für Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 zuständig, beispielsweise betreffend Mobilitätseinschränkungen, medizinische Versorgung und soziale Maßnahmen (RAD 15.02.2021; CHRR 12.03.2021). Die Maßnahmen der Regionen sind unterschiedlich, richten sich nach der epidemiologischen Situation in der jeweiligen Region und ändern sich laufend (WKO 09.03.2021; vgl. AA 15.02.2021). Es herrscht eine soziale Distanzierungspflicht für öffentliche Plätze und öffentliche Verkehrsmittel. Der verpflichtende Mindestabstand zwischen Personen beträgt 1,5 Meter (WKO 09.03.2021).
Die regierungseigene Covid-19-Homepage gibt Auskunft über die vom russischen Gesundheitsministerium empfohlenen Covid-19-Medikamente, nämlich Favipiravir, Hydroxychloroquin, Mefloquin, Azithromycin, Lopinavir/Ritonavir, rekombinantes Interferon-beta-1b und Interferon-alpha, Umifenovir, Tocilizumab, Sarilumab, Olokizumab, Canakinumab, Baricitinib und Tofacitinib. Der in Moskau entwickelte Covid-19-Krankenhausbehandlungsstandard umfasst folgende vier Komponenten: Antivirale Therapie, Antithrombose-Medikation, Sauerstoffmangelbehebung und Prävention/Behandlung von Komplikationen. Auf Anordnung des Arztes wird Patienten ein Pulsoxymeter ausgehändigt (Gerät zur Messung des Blutsauerstoffsättigungsgrades). Die medizinische COVID-Versorgung erfolgt für die Bevölkerung kostenlos (CHRR o.D.a).
Folgende Impfstoffe wurden in der Russischen Föderation entwickelt: Gam-COVID-Vac ('Sputnik V'), EpiVacCorona, CoviVac und Ad5-nCoV (CHRR o.D.b). Mittlerweile sind in der Russischen Föderation drei heimische Impfstoffe zugelassen (Sputnik V, EpiVacCorona und CoviVac). Groß angelegte klinische Studien gibt es bisher nicht (DS 20.02.2021; vgl. RFE/RL 21.02.2021). Impfungen erfolgen kostenlos (Mos.ru o.D.). In Moskau wurden bisher mehr als 700.000 Personen geimpft (Mos.ru 08.03.2021). Obwohl Russland als weltweit erstes Land seinen Covid-Impfstoff Sputnik V registrierte, haben die Impfungen effizient gerade erst begonnen (DS 12.02.2021). Bisher wurden in der Russischen Föderation in etwa 2,2 Millionen Personen (ca. 1,5% der Bevölkerung) geimpft bzw. erhielten zumindest eine der zwei Teilimpfungen (RFE/RL 21.02.2021).
Für die Einreise nach Russland wird grundsätzlich ein COVID-19-Testergebnis (PCR) benötigt. Russische Staatsbürger müssen bei der Grenzkontrolle keinen COVID-Test vorlegen, dieser muss jedoch spätestens drei Tage nach der Einreise nachgeholt werden. Russische Staatsbürger, die nach der Einreise ein positives Testergebnis erhalten, müssen sich in Quarantäne begeben. Die Ausreise aus Russland ist bis auf unbestimmte Zeit eingeschränkt und nur in bestimmten Ausnahmefällen möglich. Die internationalen Flugverbindungen wurden teilweise wieder aufgenommen. Direktflüge zwischen Österreich und Russland werden derzeit ein- bis zweimal wöchentlich von Austrian Airlines und Aeroflot angeboten. Russische Inlandsflüge wurden während der ganzen Pandemiezeit aufrecht erhalten (WKO 09.03.2021). Der internationale Zugverkehr – mit Ausnahme der Strecke zwischen Russland und Belarus - und der Fährverkehr sind eingestellt (AA 15.02.2021).
Staatliche Unterstützungsmaßnahmen für die russische Wirtschaft sind unterschiedlich und an viele Bedingungen gebunden. Zu den ersten staatlichen Hilfsmaßnahmen zählten Kredit-, Miet- und Steuerstundungen (ausgenommen Mehrwertsteuer), Sozialabgabenreduktion sowie Kreditgarantien und zinslose Kredite. Später kamen Steuererleichterungen sowie direkte Zuschüsse dazu. Viele der Maßnahmen sind nur für kleine und mittlere Unternehmen oder bestimmte Branchen zugänglich und haben einen zweckgebundenen Charakter (beispielsweise gebunden an Gehaltszahlungen oder Arbeitsplatzerhalt) (WKO 09.03.2021). Die Regierung bietet Exporteuren Hilfe an, die Möglichkeit eines Konkursmoratoriums, zinslose Kredite für Gehaltsauszahlungen usw. (CHRR o.D.c). Jänner bis Oktober 2020 ist die Industrieproduktion pandemiebedingt um 3,1% zurückgegangen. Besonders die Rohstoffproduktion ist um 6,6% gefallen, während die verarbeitende Industrie mit 0,3% praktisch stagnierte. Die im Jahr 2020 sehr stark fallenden Ölpreise waren unter anderem eine Auswirkung der Covid-19-Pandemie und mit einem globalen Nachfragerückgang verbunden und führten zu einer Rubelabwertung von 25%. Nach leichter Erholung verlor der Rubel unter anderem wegen der anhaltenden geringen Rohstoffnachfrage Mitte 2020 erneut an Wert und lag Anfang Dezember bei ca. 90 Rubel je Euro (WKO 12.2020). Das Realwachstum des Bruttoinlandsprodukts betrug im Jahr 2020 -3,1%. Im Vergleich dazu betrug der entsprechende Wert im Jahr 2019 2%. Die öffentliche Verschuldung betrug im Jahr 2020 17,8% des Bruttoinlandsprodukts (2019: 12,4%) (WIIW o.D.).
Moskau:
In Moskau herrscht an öffentlichen Orten eine Masken- und Handschuhpflicht. Das Tragen von Masken auf Straßen wird empfohlen. Kultur- und Bildungsveranstaltungen dürfen stattfinden, wenn maximal 50% der Zuschauerplätze belegt sind. Bürgern über 65 Jahren und chronisch Kranken wird Selbstisolierung empfohlen (CHRR 12.03.2021; vgl. WKO 09.03.2021, AA 15.02.2021). Empfohlen wird Fernarbeit für mindestens 30% der Mitarbeiter. Am Arbeitsplatz sind vorgeschriebene Hygienevorschriften (unter anderem Temperaturmessungen, Mund- und Handschutz, Desinfektionsmittel, Mindestabstand etc.) einzuhalten (WKO 09.03.2021). Gemäß dem Moskauer Bürgermeister verbessert sich die Pandemielage in Moskau. Ein Großteil der Einschränkungen wurde aufgehoben. Gastronomiebetriebe sind wieder geöffnet. Für Schüler höherer Klassen und Studierende findet nun wieder Präsenzunterricht statt (Mos.ru 07.03.2021; vgl. Mos.ru 8.3.2021, LM 8.2.2021, Russland Analysen 19.2.2021). In der Oblast [Gebiet] Moskau wurde die Mehrzahl der wegen COVID geltenden Einschränkungen zurückgenommen. Einzig Massenveranstaltungen bleiben fast ausnahmslos verboten (Russland Analysen 19.02.2021).
St. Petersburg:
Auch in St. Petersburg herrscht an öffentlichen Orten eine Masken- und Handschuhpflicht. Die für gastronomische Betriebe geltenden Beschränkungen der Öffnungszeiten wurden aufgehoben. Kulturveranstaltungen dürfen stattfinden, wenn maximal 75% der Zuschauerplätze belegt sind. Empfohlen wird Fernarbeit für mindestens 30% der Mitarbeiter. Für über 65-Jährige und chronisch Kranke sind Selbstisolierung und Fernarbeit verpflichtend (CHRR 12.3.2021; Gov.spb 05.03.2021, WKO 09.03.2021, Russland Analysen 08.02.2021).
(BMEIA, Bundesministerium Europäische und internationale Angelegenheiten, Reiseinformation Russische Föderation, unverändert gültig seit 15.08.2021, Stand 04.09.2021, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation
AA, Auswärtiges Amt, Russische Föderation, Reise- und Sicherheitshinweise, unverändert gültig seit 03.08.2021, Stand 04.09.2021, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederationsicherheit/201536
WHO, World Health Organization, COVID-19 Fälle, Russische Föderation, Stand 03.09.2021, abgefragt am 04.09.2021, https://covid19.who.int/region/euro/country/ru
WHO, World Health Organization, COVID-19 Fälle, Österreich, Stand 03.09.2021, abgefragt am 04.09.2021, https://covid19.who.int/region/euro/country/at
AA, Auswärtiges Amt [Deutschland] (15.02.2021): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise (COVID-19-bedingte Reisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederationsicherheit/201536 , Zugriff des BFA 16.03.2021
Chechnya.gov – Глава Чеченской Республики [Oberhaupt der Tschetschenischen Republik] [Russische Föderation] (10.2.2021): Р Кадыров: «Мы снимаем в Чеченской Республике обязательное ношение масок в общественных местах» [R Kadyrow: „Wir heben die Maskenpflicht an öffentlichen Orten in der Tschetschenischen Republik auf“], http://chechnya.gov.ru/novosti/r-kadyrov-my-snimaem-v-chechenskoj-respublike-obyazatelnoe-noshenie-masok-v-obshhestvennyh-mestah/ , Zugriff des BFA 12.03.2021
Chechnya.gov – Глава Чеченской Республики [Oberhaupt der Tschetschenischen Republik] [Russische Föderation] (26.02.2021), Отмена обязательного масочного режима в Чеченской Республике не спровоцировала роста числа заболевших [Aufhebung der Maskenpflicht in der Tschetschenischen Republik provozierte nicht steigende Krankheitszahlen], http://chechnya.gov.ru/novosti/otmena-obyazatelnogo-masochnogo-rezhima-v-chechenskoj-respublike-ne-sprovotsirovala-rosta-chisla-zabolevshih/ , Zugriff des BFA 12.03.2021
CHRR, Covid-19-Webseite der russischen Regierung [Russische Föderation] (12.03.2021), Карта действующих ограничений в связи с COVID-19 [Landkarte bzgl. geltender Einschränkungen in Verbindung mit Covid-19], https://стопкоронавирус.рф/information/, Zugriff des BFA 12.03.2021
CHRR, Covid-19-Webseite der russischen Regierung [Russische Föderation] (o.D.a): Часто задаваемые вопросы [FAQ], https://стопкоронавирус.рф/faq/, Zugriff des BFA 12.03.2021
CHRR, Covid-19-Webseite der russischen Regierung [Russische Föderation] (o.D.b): Все о вакцинации против COVID-19 [Alles über die Covid-19-Impfung], https://вакцина.стопкоронавирус.рф/, Zugriff 12.03.2021
CHRR, Covid-19-Webseite der russischen Regierung [Russische Föderation] (o.D.c): Меры поддержки бизнеса [Unternehmensunterstützungsmaßnahmen], https://стопкоронавирус.рф/what-to-do/business/, Zugriff des BFA 24.03.2021
CK, Caucasian Knot (23.01.2021): Budget-funded Chechen employees complain about enforcement to vaccination, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/53468 , Zugriff des BFA 12.03.2021
DS, Der Standard (12.02.2021), Russland könnte sich der Herdenimmunität nähern, https://www.derstandard.at/story/2000124129778/russland-waehnt-sich-nahe-an-der-herdenimmunitaet , Zugriff des BFA 12.03.2021
DS, Der Standard (20.02.2021), Russland bringt dritten COVID-Impfstoff auf den Markt, https://www.derstandard.at/jetzt/livebericht/2000124341360/redcontent/1000220229?responsive=false , Zugriff des BFA 12.03.2021
E-dag.ru – Moj Dagestan [Mein Dagestan]/Offizielle Website Dagestans [Russische Föderation] (23.02.2021), В Дагестане впервые за долгое время меньше 50 человек, заболевших коронавирусом за сутки [In Dagestan zum ersten Mal seit langer Zeit weniger als 50 am Coronavirus erkrankte Personen innerhalb 24 Stunden], https://mydagestan.e-dag.ru/coronavirus/v-dagestane-vpervye-za-dolgoe-vremya-menshe-50-chelovek-zabolevshikh-koronavirusom-za-sutki/ , Zugriff des BFA 12.03.2021
E-dag.ru – Moj Dagestan [Mein Dagestan] / Offizielle Website Dagestans [Russische Föderation] (12.03.2021): Информация о проведении вакцинации населения Республики Дагестан против COVID-19 [Information über COVID-19-Impfung der Bevölkerung der Republik Dagestan], https://mydagestan.e-dag.ru/vaccination-against-covid-19/ , Zugriff des BFA 12.03.2021
Gov.spb, Администрация Санкт-Петербурга [St. Petersburger Verwaltung] [Russische Föderation] (05.03.2021), Отдельные ограничения продлеваются до 28 марта [Einzelne Einschränkungen bis 28.03. verlängert], https://www.gov.spb.ru/press/governor/208547/ , Zugriff des BFA 12.03.2021
KMS, Kommersant (10.02.2021), Кадыров отменил обязательный масочный режим в Чечне [Kadyrow hob die Maskenpflicht in Tschetschenien auf], https://www.kommersant.ru/doc/4683493 , Zugriff des BFA 15.03.2021
LM, Le Monde (08.02.2021), En Russie, le Covid-19 a alimenté une hausse brutale de la mortalité en 2020 [In Russland hat Covid-19 für einen brutalen Anstieg der Sterberaten im Jahr 2020 gesorgt], https://www.lemonde.fr/international/article/2021/02/08/en-russie-le-covid-19-a-alimente-une-hausse-brutale-de-la-mortalite-en-2020_6069228_3210.html , Zugriff des BFA 12.03.2021
Mos.ru, Offizielle Webseite des Moskauer Bürgermeisters [Russische Föderation] (07.03.2021), Сергей Собянин рассказал о ситуации с коронавирусом в Москве [Sergei Sobjanin sprach über die Coronavirussituation in Moskau], https://www.mos.ru/mayor/themes/18299/7190050/?onsite_molding=2 , Zugriff des BFA 15.03.2021
Mos.ru – Offizielle Webseite des Moskauer Bürgermeisters [Russische Föderation] (08.03.2021), Более 700 тысяч человек уже сделали прививку от коронавируса в Москве [Schon mehr als 700.000 Personen wurden in Moskau gegen Coronavirus geimpft], https://www.mos.ru/news/item/87519073/ , Zugriff des BFA 12.03.2021
Mos.ru, Offizielle Webseite des Moskauer Bürgermeisters [Russische Föderation] (o.D.): Бесплатная вакцинация [Gratis-Impfung], https://www.mos.ru/city/projects/covid-19/privivka/ , Zugriff des BFA 12.03.2021
Russland Analysen (08.02.2021), Covid-19-Chronik (11.-31.01.2021), (Nr. 397), https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/397/RusslandAnalysen397.pdf , Zugriff des BFA 12.03.2021
Russland Analysen (19.02.2021), Covid-19-Chronik (01.-14.02.2021), (Nr. 398), https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/398/RusslandAnalysen398.pdf , Zugriff des BFA 16.03.2021
RAD, Russian Analytical Digest/Anna Tarasenko (Nr. 263) (15.02.2021), Mitigating the Social Consequences of the COVID-19 Pandemic: Russia’s Social Policy Response, https://css.ethz.ch/content/dam/ethz/special-interest/gess/cis/center-for-securities-studies/pdfs/RAD263.pdf#page=12 , Zugriff des BFA 16.03.2021
RFE/RL, Radio Free Europe/Radio Liberty (21.20.2021), Russia Approves CoviVac, Its Third Coronavirus Vaccine, https://www.rferl.org/a/russia-coronavirus-vaccine-covivac/31113697.html , Zugriff des BFA 12.03.2021
Ria.ru, РИА Новости [RIA Nowosti] (10.02.2021), Кадыров отменил обязательное ношение масок в Чечне [Kadyrow hob die Maskenpflicht in Tschetschenien auf], https://ria.ru/20210210/maski-1596846521.html , Zugriff des BFA 12.03.2021
WIIW, Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (o.D.): Russia, Overview, https://wiiw.ac.at/russia-overview-ce-10.html , Zugriff des BFA 24.03.2021
WKO, Wirtschaftskammer Österreich [Österreich] (12.2020), Wirtschaftsbericht Russische Föderation, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/russische-foederation-wirtschaftsbericht.pdf , Zugriff des BFA 24.03.2021
WKO, Wirtschaftskammer Österreich [Österreich] (09.03.2021), Coronavirus: Situation in Russland, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-info-russland.html , Zugriff des BFA 16.03.2021
BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Note, 28.06.2021, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw26-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=2 )
Medizinische Versorgung
Krankenhäuser entsprechen nicht dem europäischen Standard, die medizinische Versorgung in privaten Kliniken und Arztpraxen, insbesondere in der Hauptstadt und in St. Petersburg, ist besser (BMEIA Stand 04.09.2021).
Die medizinische Versorgung insbesondere außerhalb der großen Städte ist mit der medizinischen Versorgung in Mitteleuropa nicht zu vergleichen. In aller Regel sind in medizinischen Versorgungseinrichtungen Kenntnisse der Landessprache notwendig. In Moskau, St. Petersburg und anderen Großstädten gibt es einige meist private Krankenhäuser, die hinsichtlich der Unterbringung und der technischen und fachlichen Ausstattung auch höheren Ansprüchen gerecht werden. Notfallbehandlungen in staatlichen Kliniken sind laut Gesetz grundsätzlich kostenlos, die staatlichen Kliniken entsprechen aber in Ausstattung und Kenntnisstand oft nicht dem deutschen Standard. Hilfe kann über die Notfall-Telefonnummer 03 (vom Mobiltelefon: 112) gerufen werden (AA Reise- und Sicherheitshinweise Stand 04.09.2021).
Das Recht auf kostenlose medizinische Grundversorgung für alle Bürger der Russischen Föderation ist in der Verfassung verankert (GIZ 01.2021c; ÖB Moskau 06.2020). Voraussetzung ist lediglich eine Registrierung des Wohnsitzes im Land [bitte vergleichen Sie hierzu die Kapitel zu Bewegungsfreiheit, insbesondere Meldewesen]. Am Meldeamt nur temporär registrierte Personen haben Zugang zu medizinischer Notversorgung, während eine permanente Registrierung stationäre medizinische Versorgung ermöglicht. Laut Gesetz hat jeder Mensch Anrecht auf kostenlose medizinische Hilfestellung in dem gemäß dem 'Programm der Staatsgarantien für kostenlose medizinische Hilfestellung' garantierten Umfang (ÖB Moskau 06.2020). Das Gesundheitswesen wird im Rahmen der 'Nationalen Projekte', die aus Rohstoffeinnahmen finanziert werden, modernisiert. So wurden landesweit sieben föderale Zentren mit medizinischer Spitzentechnologie und zwölf Perinatalzentren errichtet, Transport und Versorgung von Unfallopfern verbessert sowie Präventions- und Unterstützungsprogramme für Mütter und Kinder entwickelt. Schrittweise werden die Gehälter für das medizinische Personal angehoben sowie staatliche Mittel in die Modernisierung bestehender Kliniken investiert. Seit 2002 ist die Lebenserwartung in Russland stetig gestiegen (GIZ 01.2021c).
Medizinische Versorgung wird von staatlichen und privaten Einrichtungen zur Verfügung gestellt. Staatsbürger haben im Rahmen der staatlich finanzierten, obligatorischen Krankenversicherung (OMS) Zugang zu einer kostenlosen medizinischen Versorgung (IOM 2019; ÖB Moskau 06.2020). Alle russischen Staatsbürger, egal ob sie einer Arbeit nachgehen oder nicht, sind von der Pflichtversicherung erfasst (ÖB Moskau 06.2020). Dies gilt somit auch für Rückkehrer, daher kann jeder russische Staatsbürger bei Vorlage eines Passes oder einer Geburtsurkunde (für Kinder bis 14) eine OMS-Karte erhalten. Diese muss bei der nächstliegenden Krankenversicherung eingereicht werden (IOM 2019). An staatlichen wie auch an privaten Kliniken sind medizinische Dienstleistungen verfügbar, für die man direkt bezahlen kann (im Rahmen der freiwilligen Krankenversicherung – Voluntary Medical Insurance DMS) (IOM 2019; ÖB Moskau 06.2020). Durch die Zusatzversicherung sind einige gebührenpflichtige Leistungen in einigen staatlichen Krankenhäusern abgedeckt (ÖB Moskau 06.2020).
Die kostenfreie Versorgung umfasst Notfallbehandlung, ambulante Behandlung, inklusive Vorsorge, Diagnose und Behandlung von Krankheiten zu Hause und in Kliniken, stationäre Behandlung und teilweise kostenlose Medikamente. Behandlungen innerhalb der OMS sind kostenlos. Für die zahlungspflichtigen Dienstleistungen gibt es Preislisten auf den jeweiligen Webseiten der öffentlichen und privaten Kliniken (IOM 2019; ÖB Moskau 06.2020), die zum Teil auch mit OMS abrechnen (GTAI 27.11.2018). Immer mehr russische Staatsbürger wenden sich an Privatkliniken (GTAI 27.11.2018; vgl. Ostexperte 22.09.2017). Das noch aus der Sowjetzeit stammende Gesundheitssystem bleibt ineffektiv. Trotz der schrittweisen Anhebung der Honorare sind die Einkommen der Ärzte und des medizinischen Personals noch immer niedrig (GIZ 01.2021c). Dies hat zu einem System der faktischen Zuzahlung durch die Patienten geführt, obwohl ärztliche Behandlung eigentlich kostenfrei ist (GIZ 01.2021c; AA 02.02.2021). Kostenpflichtig sind einerseits Sonderleistungen (Einzelzimmer u.Ä.), andererseits jene medizinischen Leistungen, die auf Wunsch des Patienten durchgeführt werden (z.B. zusätzliche Untersuchungen, die laut behandelndem Arzt nicht indiziert sind) (ÖB Moskau 06.2020).
Personen haben das Recht auf freie Wahl der medizinischen Einrichtung und des Arztes, allerdings mit Einschränkungen. Für einfache medizinische Hilfe, die in der Regel in Polikliniken erwiesen wird, haben Personen das Recht, die medizinische Einrichtung nicht öfter als einmal pro Jahr, unter anderem nach dem territorialen Prinzip (d.h. am Wohn-, Arbeits- oder Ausbildungsort), zu wechseln. Davon ausgenommen ist ein Wechsel im Falle einer Änderung des Wohn- oder Aufenthaltsortes. Dies bedeutet aber auch, dass die Inanspruchnahme einer medizinischen Standardleistung (gilt nicht für Notfälle) in einem anderen als dem 'zuständigen' Krankenhaus, bzw. bei einem anderen als dem 'zuständigen' Arzt, kostenpflichtig ist. In der ausgewählten Einrichtung können Personen ihren Allgemein- bzw. Kinderarzt nicht öfter als einmal pro Jahr wechseln. Falls eine geplante spezialisierte medizinische Behandlung im Krankenhaus nötig wird, erfolgt die Auswahl der medizinischen Einrichtung durch den Patienten gemäß der Empfehlung des betreuenden Arztes oder selbstständig, falls mehrere medizinische Einrichtungen zur Auswahl stehen. Abgesehen von den oben stehenden Ausnahmen sind Selbstbehalte nicht vorgesehen (ÖB Moskau 06.2020).
Die Versorgung mit Medikamenten ist grundsätzlich bei stationärer Behandlung sowie bei Notfallbehandlungen kostenlos. Es wird aber berichtet, dass in der Praxis die Bezahlung von Schmiergeld zur Durchführung medizinischer Untersuchungen und Behandlungen teilweise erwartet wird (ÖB Moskau 06.2020). Bestimmte Medikamente werden kostenfrei zur Verfügung gestellt, z.B. Medikamente gegen Krebs und Diabetes (DIS 01.2015). In Notfällen sind Medikamente in Kliniken, wie auch an Ambulanzstationen, kostenfrei erhältlich. Für gewöhnlich kaufen russische Staatsbürger ihre Medikamente jedoch selbst. Bürgern mit speziellen Krankheiten wird Unterstützung gewährt, u.a. durch kostenfreie Medikamente, Behandlung und Transport. Die Kosten für Medikamente variieren, feste Preise bestehen nicht (IOM 2019). Weiters wird berichtet, dass die Qualität der medizinischen Versorgung hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Ausstattung von Krankenhäusern und der Qualifizierung der Ärzte landesweit variieren kann. Der Staat hat viele Finanzierungspflichten auf die Regionen abgewälzt, die in manchen Fällen nicht ausreichend Budget haben, weshalb die Zustände in manchen Krankenhäusern schlecht sind, medizinische Ausrüstungen veraltet und die Ärzte überlastet und unterbezahlt. Probleme gibt es deshalb mitunter bei der Diagnose und Behandlung von Patienten mit besonders seltenen Krankheiten in der Russischen Föderation, da meist die finanziellen Mittel für die teuren Medikamente und Behandlungen in den Regionen nicht ausreichen (ÖB Moskau 06.2020). Das Wissen und die technischen Möglichkeiten für anspruchsvollere Behandlungen sind meistens nur in den Großstädten vorhanden. Die Wege zu einer medizinischen Einrichtung auf dem Land können mehrere Hundert Kilometer betragen. Hauptprobleme stellen jedoch die strukturelle Unterfinanzierung des Gesundheitssystems und die damit verbundenen schlechten Arbeitsbedingungen dar. Sie führen zu einem großen Mangel an Ärzten und Pflegekräften. Die vom Staat vorgegebenen Wartezeiten auf eine Behandlung werden um das Mehrfache überschritten und können sogar mehrere Monate betragen. In vielen Regionen wie bspw. Tschetschenien wurden moderne Krankenhäuser und Behandlungszentren aufgebaut. Ihr Betrieb ist jedoch aufgrund des Mangels an qualifiziertem Personal oft erschwert (AA 02.02.2021).
Aufgrund der Bewegungsfreiheit im Land ist es für alle Bürger der Russischen Föderation möglich, bei Krankheiten, die in einzelnen Teilrepubliken nicht behandelbar sind, zur Behandlung in andere Teile der Russischen Föderation zu reisen (vorübergehende Registrierung) (vgl. dazu die Kapitel Bewegungsfreiheit und Meldewesen) (DIS 01.2015).
Staatenlose, die dauerhaft in Russland leben, sind bezüglich ihres Rechts auf medizinische Hilfe russischen Staatsbürgern gleichgestellt. Bei Anmeldung in der Klinik muss die Krankenversicherungskarte (oder die Polizze) vorgelegt werden, womit der Zugang zur medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der Russischen Föderation gewährleistet ist (ÖB Moskau 06.2020).
Psychiatrische Behandlungen für diverse psychische Störungen und Krankheiten sind in der gesamten Russischen Föderation verfügbar. Es gibt auch psychiatrische Krisenintervention bei Selbstmordgefährdeten (BMA 12248).
Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) sind in der gesamten Russischen Föderation behandelbar (BMA 12248). Dies gilt auch für Tschetschenien (BMA 14483). Während es in Moskau unterschiedliche Arten von Therapien gibt (Kognitive Verhaltenstherapie, Desensibilisierung und Aufarbeitung durch Augenbewegungen [EMDR] und Narrative Expositionstherapie), um PTBS zu behandeln (BMA 14271), gibt es in Tschetschenien eine begrenzte Anzahl von Psychiatern, die Psychotherapien wie kognitive Verhaltenstherapie und Narrative Expositionstherapie anbieten (BMA 14483). Diverse Antidepressiva sind in der gesamten Russischen Föderation verfügbar (BMA 12132, BMA 14483).
Wie in anderen Teilen Russlands werden auch in Tschetschenien psychische Krankheiten hauptsächlich mit Medikamenten behandelt, und es gibt nur selten eine Therapie. Die Möglichkeiten für psychosoziale Therapie oder Psychotherapie sind aufgrund des Mangels an notwendiger Ausrüstung, Ressourcen und qualifiziertem Personal in Tschetschenien stark eingeschränkt. Es gibt keine spezialisierten Institutionen für PTBS, jedoch sind Nachsorgeuntersuchungen und Psychotherapie möglich. Ambulante Konsultationen und Krankenhausaufenthalte sind im Republican Psychiatric Hospital of Grozny für alle in Tschetschenien lebenden Personen kostenlos. Auf die informelle Zuzahlung wird hingewiesen. Üblicherweise zahlen Personen für einen Termin wegen psychischer Probleme zwischen 700-2.000 Rubel (ca. 8-24 €). In diesem Krankenhaus ist die Medikation bei stationärer und ambulanter Behandlung kostenfrei (BDA 31.03.2015).
Folgende häufig angefragte Inhaltsstoffe von Antidepressiva sind verfügbar (v.a. auch in Tschetschenien):
Sertralin (BMA 12132, BMA 14483)
Escitalopran (BMA 12248, BMA 12977)
Paroxetin (BMA 12863, BMA 14483)
Citalopram (BMA 12977)
Fluoxetin (BMA 14483)
AA, Auswärtiges Amt, Russische Föderation, Reise- und Sicherheitshinweise, unverändert gültig seit 03.08.2021, Stand 04.09.2021, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederationsicherheit/201536
BMEIA, Bundesministerium Europäische und internationale Angelegenheiten, Reiseinformation Russische Föderation, unverändert gültig seit 15.08.2021, Stand 04.09.2021, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation
AA, Auswärtiges Amt [Deutschland] (02.02.2021), Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff des BFA 24.02.2021
BDA – Belgium Desk on Accessibility (31.3.2015): Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Fact Sheet via MedCOI
International SOS via MedCOI (03.04.2019): BMA 12248
International SOS via MedCOI (18.11.2019): BMA 12977
International SOS via MedCOI (12.02.2021): BMA 14483
International SOS via MedCOI (10.03.2020): BMA 12863
International SOS via MedCOI (25.02.2019): BMA 12132
International SOS via MedCOI (14.12.2020): BMA 14271
GIZ, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (01.2021c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/#c18140 , Zugriff des BFA 17.02.2021
GTAI, German Trade and Invest (27.11.2018), Russlands Privatkliniken glänzen mit hohem Wachstum, https://www.gtai.de/GTAI/Navigation/DE/Trade/Maerkte/suche ,t=russlands-privatkliniken-glaenzen-mit-hohem-wachstum,did=2183416.html, Zugriff des BFA 17.02.2021
DIS, Danish Immigration Service [Dänemark] (01.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation – residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service’s fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf , Zugriff des BFA 17.02.2021
IOM, International Organisation of Migration (2019), Länderinformationsblatt Russische Föderation, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698619/18364377/Russland_-_Country_Fact_Sheet_2019,_deutsch.pdf?nodeid=21860150&vernum=-2 , Zugriff des BFA 17.02.2021
ÖB Moskau, Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (06.2020), Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_ÖB_Bericht_2020_06.pdf , Zugriff des BFA 17.02.2021
Ostexperte.de (22.09.2017), Privatkliniken in Russland immer beliebter, https://ostexperte.de/russland-privatkliniken/ , Zugriff des BFA 17.02.2021)
Rückkehr
Bei der Einreise in die Russische Föderation werden lediglich COVID-Tests (PCR, nicht älter als 72 Stunden) als Nachweis eines geringen infektiologischen Risikos akzeptiert. Russische Staatsbürger müssen einen COVID19-Test binnen drei Tagen nach Einreise auf „russ. Behörden-Webportal“ hochladen (BMEIA Stand 04.09.2021).
Trotz COVID-19 sind weiter vom Einreiseverbot ausgenommen Personen, die als Familienangehörige (Eheleute, Eltern, Kinder, Adoptiveltern oder -kinder), Vormünder oder Pfleger von russischen Staatsangehörigen mit in dieser Eigenschaft anerkannten Identitätsdokumenten mit Visa einreisen, Personen, die zur medizinischen Behandlung einreisen und Personen, die einen ständigen Wohnsitz in der Russischen Föderation haben. Für Einreisende in die Russische Föderation aus Belarus, Kasachstan, Kirgisistan und Armenien auf dem Luftweg ist die im Rahmen der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) entwickelte App „Reisen ohne COVID“ (für iOS bzw. für Android) verpflichtend, der die Ergebnisse von PCR-Tests enthält (als QR-Code), die in zertifizierten Laboren in den jeweiligen Ländern gemacht werden. Dies gilt nicht für Transit-bzw. Durchreisende. Nähere Auskünfte zu den Einreisebedingungen wegen COVID-19 erteilt die zuständige russische Auslandsvertretung. Deutsche und russische Fluggesellschaften bieten mehrmals wöchentlich Flüge zwischen deutschen und russischen Städten an. Der Inlandsflugverkehr ist umfangreich (AA Reise- und Sicherheitshinweise Stand 04.09.2021).
Die Rückübernahme russischer Staatsangehöriger aus Österreich nach Russland erfolgt in der Regel im Rahmen des Abkommens zwischen der Europäischen Union und der Russischen Föderation über die Rückübernahme. Bei Ankunft in der Russischen Föderation müssen sich alle Rückkehrer am Ort ihres beabsichtigten Wohnortes registrieren [vgl. Kapitel Bewegungsfreiheit und Meldewesen]. Dies gilt generell für alle russischen Staatsangehörigen, wenn sie innerhalb von Russland ihren Wohnort wechseln. Bei der Rückübernahme eines russischen Staatsangehörigen, nach welchem in der Russischen Föderation eine Fahndung läuft, wird die ausschreibende Stelle über die Überstellung informiert, und diese Person kann, falls ein Haftbefehl aufrecht ist, in Untersuchungshaft genommen werden (ÖB Moskau 06.2020).
Zur allgemeinen Situation von Rückkehrern, insbesondere im Nordkaukasus, kann festgestellt werden, dass sie vor allem vor wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen stehen. Dies betrifft etwa bürokratische Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Dokumenten, die oft nur mithilfe von Schmiergeldzahlungen überwunden werden können. Die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen betreffen weite Teile der russischen Bevölkerung und können somit nicht als spezifisches Problem von Rückkehrern bezeichnet werden. Besondere Herausforderungen ergeben sich für Frauen aus dem Nordkaukasus, vor allem für junge Mädchen, wenn diese in einem westlichen Umfeld aufgewachsen sind. Eine allgemeine Aussage über die Gefährdungslage von Rückkehrern in Bezug auf eine mögliche politische Verfolgung durch die russischen bzw. die nordkaukasischen Behörden kann nicht getroffen werden, da dies stark vom Einzelfall abhängt (ÖB Moskau 06.2020).
Nach einer aktuellen Auskunft eines Experten für den Kaukasus ist allein die Tatsache, dass im Ausland ein Asylantrag gestellt wurde, noch nicht mit Schwierigkeiten bei der Rückkehr verbunden (ÖB Moskau 06.2020; AA 02.02.2021). Eine erhöhte Gefährdung kann sich nach einem Asylantrag im Ausland bei Rückkehr nach Tschetschenien aber für jene ergeben, die schon vor der Ausreise Probleme mit den Sicherheitskräften hatten (ÖB Moskau 06.2020).
Der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen ist aus Angst vor Terroranschlägen und anderen extremistischen Straftaten erheblich. Russische Menschenrechtsorganisationen berichten noch immer von willkürlichem Vorgehen der Polizei. Personenkontrollen und Hausdurchsuchungen (auch ohne Durchsuchungsbefehle) finden bei diesen Personen häufiger statt (AA 02.02.2021).
Rückkehrende werden grundsätzlich nicht als eigene Kategorie oder schutzbedürftige Gruppe aufgefasst. Folglich gibt es keine individuelle Unterstützung durch den russischen Staat. Rückkehrende haben aber wie alle anderen russischen Staatsbürger Anspruch auf Teilhabe am Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Pensionssystem, solange sie die jeweiligen Bedingungen erfüllen [vgl. Kapitel Sozialbeihilfen]. Es gibt auch finanzielle und administrative Unterstützung bei Existenzgründungen. Beispielsweise können Mikrokredite für Kleinunternehmen bei Banken beantragt werden. Einige Regionen bieten über ein Auswahlverfahren spezielle Zuschüsse zur Förderung von Unternehmensgründungen an. Programme zur Unterstützung kleiner Unternehmen werden auf regionaler Ebene implementiert, aber die verfügbaren Fördersummen sind begrenzt. Projekte und Kandidaten werden deshalb auf Basis eines Auswahlverfahrens der jeweiligen Businesspläne bestimmt. Die Förderung kann in Form eines Zuschusses oder eines Kredites erfolgen (IOM 2019).
(AA, Auswärtiges Amt, Russische Föderation, Reise- und Sicherheitshinweise, unverändert gültig seit 03.08.2021, Stand 04.09.2021, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederationsicherheit/201536
AA, Auswärtiges Amt [Deutschland] (02.02.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff des BFA 25.02.2021
IOM, International Organisation for Migration (2019), Länderinformationsblatt Russische Föderation, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698619/18364377/Russland_-_Country_Fact_Sheet_2019,_deutsch.pdf?nodeid=21860150&vernum=-2 , Zugriff des BFA 25.02.2021
ÖB Moskau, Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (06.2020), Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_ÖB_Bericht_2020_06.pdf , Zugriff des BFA 25.02.2020
BMEIA, Bundesministerium Europäische und internationale Angelegenheiten, Reiseinformation Russische Föderation, unverändert gültig seit 15.08.2021, Stand 04.09.2021, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation )
Dokumente
Die von den staatlichen Behörden ausgestellten Dokumente sind in der Regel echt und inhaltlich richtig. Dokumente russischer Staatsangehöriger aus den russischen Kaukasusrepubliken (insbesondere Reisedokumente) enthalten hingegen nicht selten unrichtige Angaben. Gründe hierfür liegen häufig in mittelbarer Falschbeurkundung und unterschiedlichen Schreibweisen von beispielsweise Namen oder Orten. In Russland ist es möglich, Personenstands- und andere Urkunden zu kaufen, wie z.B. Staatsangehörigkeitsnachweise, Geburts- und Heiratsurkunden, Vorladungen, Haftbefehle und Gerichtsurteile. Es gibt auch Fälschungen, die auf Originalvordrucken professionell hergestellt werden (AA 13.02.2019). Auslandsreisepässe sind schwieriger zu bekommen, aber man kann auch diese kaufen. Es handelt sich bei den Dokumenten oft um echte Dokumente mit echten Stempeln und Unterschriften, aber mit falschem Inhalt. Die Art der Dokumente hierbei können z.B. medizinische Protokolle (medical journals), Führerscheine, Geburtsurkunden oder Identitätsdokumente sein. Ebenso ist es möglich, echte Dokumente mit echtem Inhalt zu kaufen, wobei die Transaktion der illegale Teil ist. Für viele Menschen ist es einfacher, schneller und angenehmer, ein Dokument zu kaufen, um einen zeitaufwändigen Kontakt mit der russischen Bürokratie zu vermeiden. Es soll auch gefälschte 'Vorladungen' zur Polizei geben (DIS 01.2015).
Weder die Staatendokumentation, noch der Verbindungsbeamte oder die Österreichische Botschaft können die Bedeutung von Reisepassnummern, welche sich auf die ausstellenden Behörden beziehen, nachvollziehen (VB 04.03.2021).
(AA, Auswärtiges Amt [Deutschland] (02.02.2021), Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_Föderation_(Stand_Oktober_2020),_02.02.2021.pdf , Zugriff des BFA 01.03.2021
DIS, Danish Immigration Service [Dänemark] (01.2015), Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation – residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service’s fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, https://www.ecoi.net/en/file/local/1215362/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf , Zugriff des BFA 10.03.2020
VB, Verbindungsbeamter für die Russische Föderation [Österreich] (04.03.2021), Auskunft per E-Mail)
2. Beweiswürdigung:
a) Zur den persönlichen Verhältnissen der Beschwerdeführerin:
Die Identität der Beschwerdeführerin konnte nach Vorlage ihres russischen Auslandsreisepasses, Nr. XXXX , im Original, bereits vom Bundesasylamt für Fremdenwesen und Asyl festgestellt werden. Die Feststellungen zum Geburtsort, zur Volksgruppenzugehörigkeit, Glaube, schulischen und beruflichen Ausbildung beruhen auf den gleichbleibenden und damit glaubhaften Angaben der Beschwerdeführerin im Lauf des Verfahrens.:
„…R: Sie haben in der niederschriftlichen Befragung am 19.03.2018 angegeben aus „ XXXX zu stammen. Ich habe ein XXXX auf der Karte gefunden. Es ist eine XXXX liegt. Ist das XXXX , aus der Sie stammen?
P: Ja.
R: Haben Sie Ihr ganzes Leben bis zur Reise nach Österreich immer nur in XXXX gelebt, oder auch an anderen Orten?
P: Ich habe nur in XXXX gelebt, bin aber auch XXXX zwecks Besuchen gereist…“ (Verhandlungsschrift Seite 09)
Die Angaben zum Bewusstsein bezüglich Transgender im Herkunftsstaat waren zwar nicht gleichbleibend (siehe dazu auch Beweiswürdigung c zu den behaupteten Fluchtgründen der Beschwerdeführerin), das Bundesverwaltungsgericht bezweifelt jedoch nicht, dass die Beschwerdeführerin Transgener ist. Der von der Beschwerdeführerin in der Beschwerdeverhandlung ausdrücklich geäußerten Wunsches, als Beschwerdeführerin bezeichnet zu werden findet sich auf den Seiten 07 und 11 der Verhandlungsschrift.
b) Zum bisherigen Verfahrensverlauf:
Die Feststellungen zum bisherigen Verfahrensverlauf ergeben sich aus den gegenständlichen Akten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des Bundesverwaltungsgerichts.
c) Zu den behaupteten Fluchtgründen der Beschwerdeführerin:
Dass die Beschwerdeführerin keine Erfahrung mit Transgender gehabt und sich deshalb in der Russischen Föderation als homosexuell ausgegeben hätte ist nicht glaubhaft, da sie bereits im XXXX
Die mittlerweile XXXX Beschwerdeführerin hat in der ausführlichen niederschriftlichen Befragung beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 19.03.2018 angegeben, dass sie Misshandlungen XXXX , XXXX . Die Beschwerdeführerin war zudem während ihre Schulzeit, somit mehrerer Jahre vor ihrer Ausreise im XXXX , körperlichen Übergriffen von Mitschülern ausgesetzt. Auch Drohungen von Rockmusikern ereigneten sich mehrere Jahre vor der Ausreise der Beschwerdeführer, als diese noch nicht volljährig war.
Die Beschwerdeführerin hat nie behauptet vor ihrer Ausreise aufgrund ihrer Transsexualität staatlicher Verfolgung ausgesetzt gewesen zu sein; vielmehr konnte sie XXXX leben und arbeiten. Es gab zu keinem Zeitpunkt konkrete Bedrohungen und es kam auch nie zu körperlichen Übergriffe seitens russischer Behördenvertreter. Die Angaben der Beschwerdeführerin in ihrer niederschriftlichen Befragung am 19.03.2018, wonach sie ihre Lebenserfahrung in der Russischen Föderation auch via Internet verbreiten konnte, zeigt, dass ihr eine solche Publikationsmöglichkeit in der Russischen Föderation problemlos, ohne Repressalien oder Verfolgung, möglich war, was ebenfalls gegen eine konkrete Verfolgung der Beschwerdeführerin in der Russischen Föderation spricht.
Auch aus der vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eingeholten, im erstinstanzlichen Akt einliegenden, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 02.07.2018 geht zusammengefasst hervor, dass Homosexualität im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin nicht verboten ist. Es gibt jedoch zum Teil starke Vorbehalte der Bevölkerung gegenüber Homosexuellen, dies kann – naturgemäß – in muslimischen Bevölkerungsteilen noch stärker ausgeprägt sein. Die Unterstützungsgruppe Moscow Community Center eröffnete im Oktober 2017 eine Schutzeinrichtung für LGBT-Personen, die obdachlos oder vulnerabel sind. Auch Personen, die von ihren Familien verstoßen, vom Arbeitgeber gekündigt oder angegriffen wurden, können dort Schutz finden. Eine Transgender-Person, die ursprünglich aus Aserbaidschan stammt und aufgrund der Einnahme von weiblichen Hormonen von der eigenen Familie in der Wohnung eingesperrt wurde, erzählt, dass sie nach Russland in die Unterkunft gekommen ist. Im Endeffekt hat die Familie das Ticket nach Moskau gekauft und gleichzeitig gedroht sie umzubringen, wenn sie je zurückkehren würde. Die Beschwerdeführerin stammt weder aus einem moslemischen Kulturkreis noch wurde sie von ihrer Familie verstoßen. Sie hat ihrer Arbeit im XXXX wurde aber nicht entlassen und auch nicht bedroht. Die Beschwerdeführerin wurde im Herkunftsstaat nie verfolgt, musste von dort auch nicht fliehen, sondern reiste problemlos legal im XXXX aus ihrem Herkunftsstaat aus; ohne damals bzw. während ihres ersten Aufenthalts in Österreich eine Asylantragstellung in Erwägung zu ziehen.
Bezüglich der vorgelegten Unterlagen, hinsichtlich der russischen Gesetze betreffend Geschlechtsänderungen, ist darauf hinzuweisen, dass es in der Russischen Föderation seit Anfang 2018 möglich ist, nur mit einem ärztlichen Attest ohne geschlechtsändernde Operation die rechtliche Änderung ihres offiziellen Geschlechtes erwirken zu können. Die weiteren vorgelegten Unterlagen betreffen die Lage von LBGT Personen in der Russischen Föderation, welche sich nicht konkret auf das Fluchtvorbringen der Person der Beschwerdeführerin beziehen, sondern bloß allgemein, jedenfalls nicht individuell konkret formuliert sind, geben lediglich die Situation von LBGT Personen wieder. Eine konkrete Verfolgung wurde von der Beschwerdeführerin im Verfahren nicht vorgebracht und auch für den Fall ihrer Rückkehr nicht glaubhaft gemacht.
In der Gesamtheit betrachtet ist den Schlussfolgerungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zuzustimmen, wonach die Beschwerdeführerin nicht glaubhaft machen kann, einer individuellen und konkreten asylrelevanten Verfolgung vor Ihrer Ausreise aus der Russischen Föderation ausgesetzt gewesen zu sein und es sind auch keine Gründe glaubhaft gemacht worden, wonach die Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr in die Russische Föderation einer solchen ausgesetzt sein sollte.
d) Zu einer Rückkehr der Beschwerdeführerin in ihren Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur Ausbildung, Beruf und XXXX , sowie den Eltern bzw. regelmäßigem telefonischen Kontakt zur Mutter, beruhen auf den Angaben der Beschwerdeführerin im Lauf des Verfahrens.
Die Feststellungen zum Gesundheitszustand ergeben sich aufgrund der Angaben im Verfahren in Verbindung mit vorgelegten Befunden. Daraus geht zusammengefasst hervor, dass die Beschwerdeführerin XXXX .
Hinsichtlich der geplanten XXXX gab die Beschwerdeführerin im Verfahren an, dass es theoretisch diese Möglichkeit auch in der Russischen Föderation gibt bzw. eine derartige Behandlung auch in ihrem Heimatland zu Verfügung steht. Der Umstand, dass die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten im Zielland schlechter sind als im Aufenthaltsland, und allfällig „erhebliche Kosten“ verursachen, ist für dieses Verfahren nicht ausschlaggebend.
Hinsichtlich XXXX der Beschwerdeführerin geht aus den Länderfeststellungen zur Russischen Föderation zusammengefasst hervor, dass es in Moskau, St. Petersburg und anderen Großstädten einige Krankenhäuser, die hinsichtlich der Unterbringung und der technischen und fachlichen Ausstattung auch höheren Ansprüchen gerecht werden, gibt. Das Recht auf kostenlose medizinische Grundversorgung für alle Bürger der Russischen Föderation ist in der Verfassung verankert. Die Beschwerdeführerin hat angegeben, dass sie bereits vor ihrer Ausreise wegen XXXX
Die Beschwerdeführerin hält aus Angst vor Ablehnung bzw. wegen des Umstandes, dass sie Transgender ist, telefonischen Kontakt mit ihrer Mutter, nicht jedoch zu ihrem Vater. Die Beschwerdeführerin stammt nicht aus dem Nordkaukasus, sondern aus XXXX Wie aus den Länderfeststellungen e zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin, LGBTI, zusammengefasst hervorgeht, ist Homosexualität in der Russischen Föderation nicht strafbar. Die Situation für Homosexuelle ist regional sehr unterschiedlich. In St. Petersburg findet jährlich ein „Queerfest“ statt. 2019 gelang es seinen Organisatoren erstmals, Sponsoren aus der Privatwirtschaft zu gewinnen; der örtliche Ombudsmann für Menschenrechte Schischlow unterstützte den Dialog der Organisatoren mit den Sicherheitsbehörden zur Gewährleistung der Sicherheit der Teilnehmer. Gegen das jährliche LGBTI-Filmfestival „Side by Side“ in St. Petersburg richteten sich jedoch zu Beginn Bombendrohungen, die den Verlauf erheblich beeinträchtigten. 2020 fand das Festival wegen der Pandemie online statt. LGBTI-Personen können im Alltag Diskriminierungen ausgesetzt sein, angefangen von sogenannten Mikroaggressionen bis hin zu physischen Übergriffen. Am stärksten gefährdet sind Transgender, die aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes von der Öffentlichkeit als männlich wahrgenommen werden, sich aber entsprechend ihrer sexuellen Identität feminin kleiden und z. B. schminken, und Personen, die sich öffentlich für Rechte von LGBTI Personen einsetzen. 2019 wurden im Internet erneut Listen von LGBTI-Aktivisten zirkuliert, gegen die homophobe Gruppierungen Drohungen aussprachen. Im Juli 2019 wurde die Aktivistin Jelena Grigorjewa, die auf einer solchen Liste stand, getötet. Die Strafverfolgungsbehörden gehen nicht von einem homophoben Motiv aus. Der staatliche Schutz vor solchen Übergriffen Dritter ist unzureichend. Homosexuelle können sich nicht überall darauf verlassen, dass Polizeikräfte sie bei Veranstaltungen oder Demonstration vor Übergriffen Dritter schützen. Bei einem Treffen der Österreichischen Botschaft mit einer Vertreterin des „russischen LGBT-Netzwerks“ im Mai 2021 wurde darauf hingewiesen, dass sich die Situation für LGBT-Personen in Russland auch von Region zu Region stark unterscheidet. Als rezentes Beispiel für massive Gewalt gegen Mitglieder der LGBT-Community wurde die Stadt Tschita am Baikal genannt: dort sei es in jüngster Vergangenheit zu hunderten Fällen gekommen, dass LGTB-Personen zu Treffen gelockt worden seien, bei denen sie dann angegriffen und teilweise auch getötet worden seien.
Zwar gab die Beschwerdeführerin an, vor ihrer Ausreise als XXXX erwerbstätig gewesen zu sein, jedoch hat sie diesen Beruf zuletzt aufgrund ihrer Erkrankung XXXX
Zusammengefasst kann das Bundesverwaltungsgericht auf Grund der Länderberichte im Fall der Beschwerdeführerin nicht mit der nötigen Gewissheit ausschließen, dass diese als Transgender, aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes XXXX , bei ihrer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat nicht unerheblicher Diskriminierungen in Alltagssituationen (möglicherweise sogar in Form vereinzelter physischer Übergriffe), ausgesetzt sein könnte; siehe dazu weiter unten 3. Rechtliche Beurteilung zu Spruchpunkt II. dieses Erkenntnisses.
e) Zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin:
Die Feststellungen zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin beruhen auf dem in der Verhandlung dargetanen Dokumentationsmaterial und etwas aktuelleren Berichten derselben Quellen. Die Parteien des Beschwerdeverfahrens haben keinen Einwand gegen die Heranziehung dieser Informationsquellen (deren Inhalt sich seit der Verhandlung nicht entscheidungswesentlich geändert hat) erhoben. Die herangezogenen Berichte und Informationsquellen stammen hauptsächlich von staatlichen Institutionen oder diesen nahestehenden Einrichtungen und es gibt keine Anhaltspunkte dafür, Zweifel an deren Objektivität und Unparteilichkeit aufkommen zu lassen. Die inhaltlich übereinstimmenden Länderberichte befassen sich mit der aktuellen Lage in der Russischen Föderation.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
Zu Spruchpunkt I. dieses Erkenntnisses
In Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag auf internationalen Schutz der Beschwerdeführerin gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention definiert, dass als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Kann Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden, und kann ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden, so ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen (innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind (§ 11 Abs. 1 AsylG).
Da die Beschwerdeführerin, wie bereits in der Beweiswürdigung c zu den behaupteten Fluchtgründen der Beschwerdeführerin ausführlich dargelegt, nicht glaubhaft machen kann, jemals einer wohlbegründeten Furcht vor asylrelevanter Verfolgung in ihrem Herkunftsstaat ausgesetzt gewesen zu sein oder einer derartigen Gefahr in Zukunft ausgesetzt zu sein, ist die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des gegenständlichen Bescheides abzuweisen.
Zu Spruchpunkt II. dieses Erkenntnisses
In Spruchpunkt II. des Bescheides wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen.
Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ist der Status des subsidiär Schutzberechtigen einem Fremden zuzuerkennen,
1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder
2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,
wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden (§ 8 Abs. 2 AsylG).
Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht.
Der Verwaltungsgerichthof hat in seinem Erkenntnis vom 21.05.2019, 2019/19/0006-3, unter Bezugnahme auf das Erkenntnis vom 06.11.2018, 2018/01/0106, zusammengefasst klargestellt, dass § 8 Abs. 1 AsylG, auch wenn er nicht der Statusrichtlinie entspricht, nach wie vor anzuwenden ist.
Gemäß Art. 3 Europäische Menschenrechtskommission, BGBl. Nr. 210/1958 (EMRK), in der Fassung BGBl. III Nr. 30/1998, darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.
Unter realer Gefahr ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr („a sufficiently real risk“) möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (VwGH vom 19.02.2004, 99/20/0573, mwN auf die Judikatur des EGMR). Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre und es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde.
Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 MRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Nach der auf der Rechtsprechung des EGMR beruhenden hg. Judikatur ist eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen (VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0063).
Wie bereits in der Beweiswürdigung d zur einer Rückkehr der Beschwerdeführerin in ihren Herkunftsstaat ausführlich dargelegt, kann das Bundesverwaltungsgericht auf Grund der Länderfeststellungen im Fall der Beschwerdeführerin nicht mit der nötigen Gewissheit ausschließen, dass diese als Transgender XXXX , bei ihrer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK, in der Fassung BGBl. III Nr. 30/1998, ausgesetzt zu sein.
Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht.
Die Situation für Transgender in der Russischen Föderation ist zwar regional sehr unterschiedlich, aber zugleich auch nicht vorhersehbar, gerade weil es sich um unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Alltag handelt, weshalb im konkreten Fall der Beschwerdeführerin auch keine konkrete innerstaatliche Fluchtalternative festgestellt werden kann.
Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen, so hat eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 vorliegt (§ 8 Abs. 3a AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017).
Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des Abs. 1 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung auch dann zu erfolgen, wenn1. einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe vorliegt;2. der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder3. der Fremde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.
In diesen Fällen die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde (§ 9 Abs. 2 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017).
Da keine Ausschlussgründe gemäß § 8 Abs. 3a AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, iVm § 9 Abs. 2 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, vorliegen ist der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des Bescheides stattzugeben und der Beschwerdeführerin der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation zuzuerkennen.
Zu Spruchpunkt III. dieses Erkenntnisses
Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 68/2013, ist einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, vom Bundesamt oder vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesamt für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 17.12.2019, Ra 2019/18/0281, unter anderem ausgeführt hat, ist gemäß § 8 Abs. 4 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 68/2013, aus Anlass der erstmaligen Erteilung der Aufenthaltsberechtigung subsidiär Schutzberechtigter die Gültigkeitsdauer der zu erteilenden Berechtigung, ausgehend vom Entscheidungszeitpunkt, festzulegen. Die Errechnung eines „Fristablaufs“ würde jedoch voraussetzen, dass der Zeitpunkt der Erlassung bzw. Zustellung der Entscheidung schon feststünde, was aber bei Genehmigung einer schriftlichen Entscheidung unter Umständen nicht der Fall ist. Somit ist laut der eben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs der Zeitpunkt der Erlassung dieses Erkenntnisses maßgeblich, weshalb spruchgemäß zu entscheiden ist.
Zu Spruchpunkt IV. dieses Erkenntnisses
In Spruchpunkt III. des erstinstanzlichen Bescheides wurde der Beschwerdeführerin eine Aufenthaltsberechtigung aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. In Spruchpunkt IV. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde gegen die Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Es wurde in Spruchpunkt V. gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin „nach“ Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist und in Spruchpunkt VI. wurde die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.
Aufgrund der Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation ist diesen Spruchpunkten die Grundlage entzogen, weshalb diese ersatzlos zu beheben sind.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, BGBl. Nr. 10/1985 (VwGG), in der Fassung BGBl. I Nr. 33/2013, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Im konkreten Fall ist die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG, in der Fassung BGBl. I Nr. 51/2012, nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Es liegen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
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