BVwG W232 2234745-1

BVwGW232 2234745-125.1.2021

B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3
VwGVG §28 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2021:W232.2234745.1.00

 

Spruch:

W232 2234745-1/2E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Simone BÖCKMANN-WINKLER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Serbien, vertreten durch RAST & MUSLIU Rechtsanwälte, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.07.2020, Zl. 1154495009, zu Recht:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Am 24.03.2017 heiratete der Beschwerdeführer, ein serbischer Staatsangehöriger, in Serbien eine ungarische Staatsbürgerin. In weiterer Folge stellte er bei der MA 35 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels.

2. Am 09.11.2017 wurden Ermittlungen wegen Eingehens einer Aufenthaltsehe geführt und der Beschwerdeführer aufgrund dieser Ermittlungen einvernommen.

3. Mit Bescheid vom 21.02.2018 wurde der Antrag auf Ausstellung einer Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts zurückgewiesen und festgestellt, dass der Beschwerdeführer nicht in den Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts falle. Die dagegen eingebrachte Beschwerde zog der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht XXXX am 19.06.2018 zurück.

4. Am 04.12.2018 und 01.10.2019 wurde dem Beschwerdeführer die Absicht der Behörde mitgeteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung iVm einem Einreiseverbot zu erlassen und wurde ihm Gelegenheit gegeben, binnen zwei Wochen dazu Stellung zu nehmen. Es langte keine Stellungnahme ein.

5. Am 20.05.2020 fand (nach einer Festnahme bei einer Kontrolle von Beamten der LPD- XXXX ) eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers statt.

6. Mit dem oben angeführten Bescheid vom 31.07.2020 wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 67 Absatz 1 und 2 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) ein für die Dauer von 5 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 70 Absatz 3 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. Nr. 100/2005 (FPG), ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit der Entscheidung erteilt (Spruchpunkt II.).

Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass bei umfangreichen Erhebungen festgestellt worden sei, dass der Beschwerdeführer am 24.03.2017 die Ehe mit einer ungarischen Staatsbürgerin nur deswegen geschlossen habe, um sich einen Aufenthaltstitel und freien Zugang zum Arbeitsmarkt zu verschaffen. Durch seine Ehe mit einer ungarischen Staatsbürgerin sei sie als begünstigter Drittstaatsangehöriger anzusehen und daher zum Aufenthalt berechtigt. Er habe durch sein Verhalten gezeigt, dass er kein Interesse daran habe, die Gesetze Österreichs zu respektieren. Sein bisheriger Aufenthalt in Österreich habe ein Grundinteresse der Gesellschaft, nämlich jenes an Ruhe, an Sicherheit und an sozialem Frieden beeinträchtigt. Das von ihm gezeigte Verhalten sei erst vor kurzem gesetzt worden und aufgrund seiner wirtschaftlichen Situation mit einer Fortsetzung zu rechnen. Es müsse daher von einer aktuellen, gegenwärtigen Gefahr gesprochen werden.

6. Mit Schreiben vom 27.08.2020 wurde gegen den genannten Bescheid im vollen Umfang Beschwerde erhoben, in welcher zusammengefasst vorgebracht wird, dass das Vorliegen einer Scheinehe vom Beschwerdeführer nicht bestritten worden sei. Er habe auch die Beschwerde gegen den abweisenden Bescheid der MA 35 zurückgezogen und sich somit einsichtig gezeigt. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe sich nicht ausreichend mit dem Familienleben des Beschwerdeführers auseinandergesetzt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten, sowie der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, das Zentrale Fremdenregister und Strafregister werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist serbischer Staatsangehöriger. Seine Identität steht fest.

Am 24.03.2017 heiratete der Beschwerdeführer eine ungarische Staatsbürgerin und stellte am 30.05.2017 bei der nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zuständigen Behörde einen Antrag auf Ausstellung einer Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts. Ermittlungen ergaben, dass der Beschwerdeführer nie ein gemeinsames Eheleben mit seiner Ehegattin geführt hat und die Ehe nur geschlossen wurde, um sich ein Aufenthalts- und Bleiberecht in Österreich zu sichern.

Mit Bescheid der MA 35 vom 21.02.2018 wurde sein Antrag auf Ausstellung einer Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts gemäß § 54 Abs. 1 iVm Abs. 7 NAG zurückgewiesen und festgestellt, dass der Beschwerdeführer nicht in den Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts falle. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass vor dem Hintergrund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens für die Behörde feststehe, dass der Beschwerdeführer und seine Ehegattin kein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK führen würden und zu keiner Zeit geführt hätten.

Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtes XXXX vom 19.06.2018 wurde das Verfahren über die gegen diesen Bescheid eingebrachte Beschwerde infolge deren Zurückziehung eingestellt.

Der Beschwerdeführer war in der Folge nicht mehr zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich unzweifelhaft aus dem vorliegenden Verwaltungs- bzw. Gerichtsakt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da weder im BFA-VG noch im AsylG 2005 eine Senatsentscheidung vorgesehen ist, liegt gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß Abs. 2 leg. cit. hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zu A)

3.1. Zur Stattgabe der Beschwerde:

Der Beschwerdeführer ist als Staatsangehöriger von Serbien Fremder iSd § 2 Abs. 4 Z 1 FPG 2005 und Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs. 4 Z 10 FPG 2005.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits zum Ausdruck gebracht, dass einem Fremden, der mit einem in Österreich lebenden, sein unionsrechtliches Recht auf Freizügigkeit in Anspruch nehmenden EU-Bürger aufrecht verheiratet ist (unabhängig davon, ob die Ehe als Scheinehe zu qualifizieren wäre), die Rechtsposition als begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinn des § 2 Abs. 4 Z 11 FPG zukommt. Insofern treffe zu, dass das formell aufrechte Bestehen der Ehe maßgeblich ist. Das steht der Wahrnehmung einer Scheinehe aber nicht entgegen, sondern bedeutet nur, dass sich die Konsequenzen dieser Scheinehe nach den für begünstigte Drittstaatsangehörige geltenden Regeln bestimmen. Insbesondere käme etwa die Erlassung eines Aufenthaltsverbots nach § 67 Abs. 1 FPG, weil auf Grund des persönlichen Verhaltens des begünstigten Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist, in Betracht. Daran kann auch auf Grundlage der Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38/EG ) kein Zweifel bestehen, sieht doch deren Art. 35 vor, dass die Mitgliedstaaten die Maßnahmen erlassen können, die notwendig sind, um die durch die Richtlinie verliehenen Rechte "im Falle von Rechtsmissbrauch oder Betrug - wie z.B. durch Eingehung von Scheinehen - zu verweigern" (vgl. VwGH 14.4.2016, Ro 2016/21/0005 mwN).

Als Ehegatte einer EWR-Bürgerin, die ihr unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Anspruch genommen hat, kam dem Beschwerdeführer demnach grundsätzlich die Stellung als "begünstigter Drittstaatsangehöriger" iSd § 2 Abs. 4 Z 11 FPG 2005 zu; dies galt unabhängig davon, dass die Ehe als Aufenthaltsehe zu qualifizieren ist, und zwar jedenfalls solange keine rechtskräftige Feststellung iSd § 54 Abs. 7 NAG vorlag (vgl. VwGH 23.3.2017, Ra 2016/21/0349; 25.9.2017, Ra 2017/20/0293).

Mit in Rechtskraft erwachsenem Bescheid der MA 35 vom 21.02.2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung einer Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts gemäß § 54 Abs. 1 iVm Abs. 7 NAG zurückgewiesen und festgestellt, dass der Beschwerdeführer nicht in den Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts fällt.

Dem Beschwerdeführer kommt damit – entgegen der Ansicht des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl – ungeachtet des formalen Fortbestehens der (Aufenthalts-)Ehe mit einer EU-Bürgerin die Rechtsposition als begünstigter Drittstaatsangehöriger nicht zu. Der Ausspruch eines auf § 67 FPG 2005 gestützten Aufenthaltsverbotes erweist sich im gegenständlichen Fall daher als unzulässig. Im Falle des Beschwerdeführers wäre richtigerweise die Zulässigkeit einer auf § 52 Abs. 1 FPG 2005 gestützten Rückkehrentscheidung (und der damit verbundenen Aussprüche) zu prüfen gewesen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat ausgesprochen, dass es sich bei Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot einerseits sowie bei einem Aufenthaltsverbot andererseits um unterschiedliche Maßnahmen handelt. Erstere ergehen gegen Drittstaatsangehörige, verpflichten diese zur Ausreise in deren Herkunftsstaat, ein Transitland oder einen anderen Drittstaat (Rückkehrentscheidung; siehe § 52 Abs. 8 FPG) und enthalten die normative Anordnung, für den festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten (das sind jene Staaten, für die die Richtlinie 2008/115/EG gilt; siehe das Erkenntnis VwGH 22.5.2013, 2013/18/0021) einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten (Einreiseverbot; siehe § 53 Abs. 1 FPG). Ein Aufenthaltsverbot ist dagegen jene aufenthaltsbeendende Maßnahme, die gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige in Betracht kommt und verpflichtet "nur" zum Verlassen und über den festgesetzten Zeitraum zum Verbleib außerhalb des Bundesgebietes. Angesichts des demnach unterschiedlichen normativen Gehalts der erwähnten Maßnahmen, die zudem an unterschiedliche Voraussetzungen anknüpfen, sind sie nicht "austauschbar"; damit komme aber die vom Revisionswerber und vom BVwG offenbar angedachte Transformation eines Einreiseverbotes in ein Aufenthaltsverbot, wenn der betroffene Fremde EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger wird, nicht in Betracht (vgl. VwGH 14.11.2017 Ra 2017/21/0151).

Vor dem Hintergrund dieser Erwägungen kam die erstmalige Beurteilung einer Rückkehrentscheidung und der damit verbundenen Aussprüche im Stadium des Beschwerdeverfahrens nicht in Betracht.

Der angefochtene Bescheid erweist sich somit schon vor einem weiteren Eingehen auf die Beschwerdegründe als inhaltlich rechtswidrig und war das ausgesprochene Aufenthaltsverbot sowie der darauf aufbauende Ausspruch eines Durchsetzungsaufschubes im Ergebnis zu beheben.

3.2. Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Da aufgrund der Aktenlage feststand, dass der mit Beschwerde angefochtenen Bescheid aufzuheben war, konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG eine mündliche Verhandlung unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal der vorliegende Fall vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln ist. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

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