AlVG §25
B-VG Art. 133 Abs4
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2019:W216.2002736.1.00
Spruch:
W216-2002736-2/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Marion STEINER als Vorsitzende und den fachkundigen Laienrichter Alfred BENOLD sowie die fachkundige Laienrichterin Mag. Alexandra OBERMEIER-GANGL als Beisitzer über die Beschwerden von XXXX , geb. am XXXX , VNr. XXXX , gegen die Bescheide des Arbeitsmarktservice Wien Huttengasse jeweils vom 12.11.2010 zu Recht erkannt:
A)
I. Die Verfahren werden fortgesetzt.
II. Den Beschwerden gegen die Bescheide betreffend 1. den Widerruf und die Rückforderung des Arbeitslosengeldbezuges vom 01.07.2006 bis 02.12.2006 in Höhe von EUR 4.848,72 gemäß §§ 24 und 25 Abs. 1 AlVG und 2. den Widerruf und die Rückforderung des Notstandshilfebezuges vom 03.12.2006 bis 28.01.2007 in Höhe von EUR 1.556,67 gemäß § 38 iVm §§ 24 und 25 Abs. 1 AlVG wird teilweise stattgegeben und der Spruch der Bescheide wie folgt abgeändert:
1) Die Zuerkennung des Arbeitslosengeldes wird im Zeitraum 01.07.2006 bis 02.12.2006 widerrufen.
2) Die Zuerkennung des Arbeitslosengeldes wird im Zeitraum 03.12.2006 bis 28.01.2007 widerrufen.
III. Der Beschwerde gegen den Bescheid betreffend den teilweisen Widerruf und die Differenzrückforderung des Arbeitslosenbezuges vom 11.02.2008 bis 13.05.2008 in Höhe von EUR 1.470,33 gemäß §§ 24 und 25 Abs.1 AlVG wird stattgegeben und der Bescheid behoben.
B)
Die Revision ist jeweils gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Mit den Bescheiden des Arbeitsmarktservice Wien (im Folgenden AMS) jeweils vom 12.11.2010 wurde dem Beschwerdeführer der Bezug des Arbeitslosengeldes sowie des Notstandshilfebezuges für die Zeiträume 01.07.2006 bis 02.12.2006 und 03.12.2006 bis 28.01.2007 widerrufen bzw. die Bemessung rückwirkend berichtigt und der Beschwerdeführer zur Rückzahlung des unberechtigt empfangenen Arbeitslosengeldes und des Notstandshilfebezuges verpflichtet. Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer die Leistung aus der Arbeitslosenversicherung in diesen Zeiträumen zu Unrecht bezogen habe, weil er dem AMS verschwiegen habe, dass er gleichzeitig in einem vollversicherten Beschäftigungsverhältnis gestanden sei.
Mit einem weiteren Bescheid des AMS vom selben Tag wurde dem Beschwerdeführer der Bezug des Arbeitslosengeldes für den Zeitraum 11.02.2008 bis 13.05.2008 teilweise widerrufen bzw. die Bemessung rückwirkend berichtigt und der Beschwerdeführer zur Rückzahlung des unberechtigt empfangenen Arbeitslosengeldes verpflichtet.
Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer dem AMS verschwiegen habe, dass er in dem Zeitraum vom 01.07.2006 bis 28.02.2007 in einem vollversicherten Beschäftigungsverhältnis gestanden sei. Durch die rückwirkende Neubeurteilung seines Leistungsanspruches sei die Differenzrückforderung entstanden.
2. Gegen diese Bescheide erhob der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 17.01.2017 fristgerecht Berufung (nunmehr: Beschwerde) und führte begründend aus, in der Zeit vom 01.07.2006 bis 28.02.2007 lediglich geringfügig beschäftigt gewesen und im Zeitraum 11.02.2008 bis 13.05.2008 keiner Tätigkeit nachgegangen zu sein.
3. Mit Bescheid des AMS vom 13.04.2011, GZ XXXX , wurden die Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Wiener Gebietskrankenkasse (Verfahren zur Feststellung der Versicherungspflicht) ausgesetzt.
4. Die Beschwerdesache wurde unter Anschluss der Akten der Verfahren am 05.03.2014 dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
5. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.09.2019, Zl. W167 2003530-1/21E, wurde die Dienstnehmereigenschaft des Beschwerdeführers festgestellt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer stand in den Zeiträumen 01.07.2006 bis 02.12.2006, 03.12.2006 bis 28.01.2007 und 11.02.2008 bis 13.05.2008 in Bezug von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung.
Der Beschwerdeführer war im verfahrensgegenständlichen Zeitraum 01.07.2006 bis 02.12.2006 und 03.12.2006 bis 28.01.2007 in einem vollversicherungspflichtigen Dienstverhältnis bei der Dienstgeberin XXXX als Dienstnehmer vollversicherungspflichtig beschäftigt.
Der Beschwerdeführer stand im verfahrensgegenständlichen Zeitraum 11.02.2008 bis 13.05.2008 in keinem vollversicherungspflichtigen Dienstverhältnis.
2. Beweiswürdigung:
Der Bezug von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung in den verfahrensgegenständlichen Zeiträumen ist unstrittig.
Der Umstand, dass der Beschwerdeführer im verfahrensgegenständlichen Zeitraum 01.07.2006 bis 02.12.2006, 03.12.2006 bis 28.01.2007 bei der Dienstgeberin XXXX als Dienstnehmer vollversicherungspflichtig beschäftigt war, ergibt sich einerseits aus dem seitens des Bundesverwaltungsgerichts eingeholten Versicherungsdatenauszug, aus dem die vollversicherungspflichtige Beschäftigung des Beschwerdeführers im verfahrensrelevanten Zeitraum als Arbeiter für die Dienstgeberin ersichtlich ist sowie andererseits daraus, dass die Dienstnehmereigenschaft des Beschwerdeführers mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.09.2019, Zl. W167 2003530-1/21E, festgestellt wurde.
In dem von der Wiener Gebietskrankenkasse eingeleiteten Beitragsprüfungsverfahren betreffend die Dienstgeberin des Beschwerdeführers ging es insbesondere darum, ob es sich beim Kilometergeld um ein beitragspflichtiges Entgelt handelt. Im Bescheid der Wiener Gebietskrankenkasse vom 22.04.2013, VA-VR 19383929/13, betreffend die Verpflichtung zur Entrichtung von Beiträgen, Sonderbeiträgen und Umlagen der Dienstgeberin wurde das ausbezahlte Kilometergeld als Entgeltbestandteil qualifiziert. Im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.09.2019, W167 2003530-1, wurde diese Ansicht bestätigt und ausgesprochen, dass es sich bei den von der Dienstgeberin beschäftigten Personen um Dienstnehmer handelt.
Dass der Beschwerdeführer im verfahrensgegenständlichen Zeitraum 11.02.2008 bis 13.05.2008 in keinem vollversicherungspflichtigen Dienstverhältnis gestanden ist, ergibt sich ebenfalls aus dem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Versicherungsdatenauszug.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) II. Teilweise Stattgabe der Beschwerde:
3.1. Die im gegenständlichen Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (AlVG) lauten:
§ 24. (1) Wenn eine der Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld wegfällt, ist es einzustellen; wenn sich eine für das Ausmaß des Arbeitslosengeldes maßgebende Voraussetzung ändert, ist es neu zu bemessen. Die bezugsberechtigte Person ist von der amtswegigen Einstellung oder Neubemessung unverzüglich durch Mitteilung an die zuletzt bekannt gegebene Zustelladresse in Kenntnis zu setzen. Die bezugsberechtigte Person hat das Recht, binnen vier Wochen nach Zustellung der Mitteilung einen Bescheid über die Einstellung oder Neubemessung zu begehren. Wird in diesem Fall nicht binnen vier Wochen nach Einlangen des Begehrens ein Bescheid erlassen, so tritt die Einstellung oder Neubemessung rückwirkend außer Kraft und die vorenthaltene Leistung ist nachzuzahlen. Ein späterer Widerruf gemäß Abs. 2 und eine spätere Rückforderung gemäß § 25 werden dadurch nicht ausgeschlossen.
(2) Wenn die Zuerkennung des Arbeitslosengeldes gesetzlich nicht begründet war, ist die Zuerkennung zu widerrufen. Wenn die Bemessung des Arbeitslosengeldes fehlerhaft war, ist die Bemessung rückwirkend zu berichtigen. Ist die fehlerhafte Zuerkennung oder Bemessung auf ein Versehen der Behörde zurückzuführen, so ist der Widerruf oder die Berichtigung nach Ablauf von fünf Jahren nicht mehr zulässig.
§ 25. (1) Bei Einstellung, Herabsetzung, Widerruf oder Berichtigung einer Leistung ist der Empfänger des Arbeitslosengeldes zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn er den Bezug durch unwahre Angaben oder durch Verschweigung maßgebender Tatsachen herbeigeführt hat oder wenn er erkennen mußte, daß die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte. Die Verpflichtung zum Ersatz des empfangenen Arbeitslosengeldes besteht auch dann, wenn im Falle des § 12 Abs. 8 das Weiterbestehen des Beschäftigungsverhältnisses festgestellt wurde, sowie in allen Fällen, in denen rückwirkend das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses festgestellt oder vereinbart wird. Der Empfänger einer Leistung nach diesem Bundesgesetz ist auch dann zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn sich ohne dessen Verschulden auf Grund eines nachträglich vorgelegten Einkommensteuer- oder Umsatzsteuerbescheides ergibt, daß die Leistung nicht oder nicht in diesem Umfang gebührte; in diesem Fall darf jedoch der Rückforderungsbetrag das erzielte Einkommen nicht übersteigen. Ebenso ist der Empfänger des Arbeitslosengeldes zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn nachträglich festgestellt wird, daß auf Grund einer Anrechnung von Einkommen aus vorübergehender Erwerbstätigkeit gemäß § 21a keine oder nur eine niedrigere Leistung gebührt. Die Verpflichtung zum Rückersatz besteht auch hinsichtlich jener Leistungen, die wegen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsmittels weiter gewährt wurden, wenn das Verfahren mit der Entscheidung geendet hat, daß die Leistungen nicht oder nicht in diesem Umfang gebührten.
3.2. Für den gegenständlichen Fall bedeutet dies:
3.2.1. Zum Widerruf nach § 24 Abs. 2 AlVG:
Das Dienstverhältnis des Beschwerdeführers zur Dienstgeberin war in den verfahrensrelevanten Zeiträumen 01.07.2006 bis 02.12.2006 und 03.12.2006 bis 28.01.2007 als vollversicherungspflichtiges Dienstverhältnis zu qualifizieren.
Da sich aufgrund des Bestehens eines vollversicherungspflichtigen Dienstverhältnisses die Zuerkennung des Arbeitslosengeldes gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 AlVG nachträglich als nicht begründet herausstellte, erfolgte der Widerruf gemäß § 24 Abs. 2 AlVG zu Recht.
3.2.2. Zur Rückforderung nach § 25 Abs. 1 AlVG:
Gemäß § 25 Abs. 1 AlVG ist der Empfänger des Arbeitslosengeldes bei Einstellung, Herabsetzung, Widerruf oder Berichtigung einer Leistung zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn er den Bezug durch unwahre Angaben oder durch Verschweigung maßgebender Tatsachen herbeigeführt hat oder wenn er erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte.
Der erste Rückforderungstatbestand umfasst eine Rückforderung aufgrund Erschleichung einer Leistung durch unwahre Angaben. Hierbei wird vom Leistungsempfänger zumindest ein mittelbarer Vorsatz (dolus eventualis) benötigt.
Der zweite Rückforderungstatbestand des § 25 Abs. 1 erster Satz AlVG betrifft das Verschweigen maßgebender Tatbestände. Dieser Tatbestand wird in der Regel durch die Verletzung der Meldepflicht nach § 50 AlVG erfüllt. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes erfordert die Verwirklichung dieses Tatbestandes weiters zumindest mittelbaren Vorsatz des Leistungsempfängers (vgl. VwGH 19.02.2003, 2000/08/0091).
Im gegenständlichen Fall kann weder von einer Erschleichung durch unwahre Angaben noch vom Verschweigen maßgebender Tatbestände ausgegangen werden. Der Beschwerdeführer gab zum Zeitpunkt der Antragstellung an, dass er sich in einem geringfügigen Dienstverhältnis befindet. Dass dieses nachträglich als vollversicherungspflichtiges Dienstverhältnis qualifiziert wurde, konnte der Beschwerdeführer zum damaligen Zeitpunkt nicht wissen und war aus diesem Grund auch ein Verfahren bei der Wiener Gebietskrankenkasse und danach am Bundesverwaltungsgericht anhängig, in dem diese Frage geklärt wurde. Zu diesem wurde auch das gegenständliche Verfahren noch vom AMS ausgesetzt.
Der dritte Rückforderungstatbestand des § 25 Abs. 1 AlVG liegt dann vor, wenn der Leistungsbezieher erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte. Wie der Verwaltungsgerichtshof auch in ständiger Rechtsprechung ausführt, ist der dritte Rückforderungstatbestand des § 25 Abs. 1 erster Satz AlVG schon nach dem isolierten Wortlaut der Wendung "wenn er erkennen musste, dass ..." nicht erst dann erfüllt, wenn der Leistungsempfänger die Ungebührlichkeit der Leistung an sich oder ihrer Höhe nach erkannt hat; das Gesetz stellt vielmehr auf das bloße Erkennenmüssen ab und statuiert dadurch eine (freilich zunächst nicht näher bestimmte) Diligenzpflicht. Aus der Gegenüberstellung mit den zwei anderen in § 25 Abs. 1 erster Satz AlVG genannten Rückforderungstatbeständen (unwahre Angaben, Verschweigung maßgebender Tatsachen) wird jedoch deutlich, dass für die Anwendung des dritten Rückforderungstatbestandes eine gegenüber den beiden anderen Tatbeständen abgeschwächte Verschuldensform, nämlich Fahrlässigkeit, genügt. Fahrlässige Unkenntnis davon, dass die Geldleistung nicht oder nicht in der konkreten Höhe gebührt, setzt voraus, dass die Ungebühr bei Gebrauch der (im Sinne des § 1297 ABGB zu vermutenden) gewöhnlichen Fähigkeiten erkennbar gewesen ist. Ob dies zutrifft, ist im Einzelfall zu beurteilen, wobei jedoch der Grad der pflichtgemäßen Aufmerksamkeit weder überspannt noch überdurchschnittliche geistige Fähigkeiten verlangt werden dürfen (vgl. VwGH 07.04.2016, Ra 2016/08/0037, mwH).
Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, ist die allgemeine Vermutung von der Gesetzeskenntnis (§ 2 ABGB) bei Beurteilung der Sorgfaltspflichtverletzung nach § 25 Abs. 1 AlVG nicht ohne Weiteres heranzuziehen, weil der Gesetzgeber in dieser Bestimmung nicht schon die Rechtswidrigkeit der Leistungsgewährung allein für die Rückforderung genügen lassen wollte. "Erkennenmüssen" im Sinne des § 25 Abs. 1 AlVG kann daher nicht mit Rechtskenntnis und schon gar nicht mit Judikaturkenntnissen gleichgesetzt werden (vgl. VwGH 30.10.2002, 97/08/0569).
Im Falle des "Erkennenmüssens" handelt es sich definitionsgemäß um Sachverhalte, bei denen in der Regel nicht der Leistungsempfänger durch unwahre Angaben oder Verschweigen maßgebender Tatsachen, sondern die Behörde selbst den Überbezug einer Leistung verursacht hat. Da die Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung dem Unterhalt des Leistungsempfängers zu dienen bestimmt sind und daher mit ihrem laufenden Verbrauch gerechnet werden muss, stellt die Rückforderung einer solchen Leistung in der Regel eine erhebliche Belastung für den Leistungsempfänger dar. Soweit daher der Leistungsempfänger am Entstehen eines Überbezuges nicht mitgewirkt hat, ist es sachlich nicht angebracht, vermeidbare Behördenfehler durch überstrenge Anforderungen an den vom Leistungsempfänger zu beobachtenden Sorgfaltsmaßstab zu kompensieren. Schlechtgläubig im Sinne des hier anzuwendenden Rückforderungstatbestandes ist daher nur ein Leistungsbezieher, der nach den konkret zu beurteilenden Umständen des Einzelfalles ohne Weiteres den Überbezug hätte erkennen müssen. Dem Leistungsbezieher muss der Umstand, dass er den Überbezug tatsächlich nicht erkannt hat - ohne dass ihn zunächst besondere Erkundigungspflichten träfen - nach seinen diesbezüglichen Lebens- und Rechtsverhältnissen vorwerfbar sein (vgl. VwGH 23.05.2012, 2010/08/0119; 2010/08/0120).
Der Sache nach ist somit zu beurteilten, ob der Leistungsbezieher (erkannt hat oder doch) unter Heranziehung eines ihm nach seinen konkreten Lebensumständen zumutbaren Alltagswissens hätte erkennen müssen, dass ihm die Leistung aus der Arbeitslosenversicherung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte (VwGH 07.04.2016, RA 2016/08/0037 mHa VwGH 28.06.2006, 2006/08/0017)
"Kann das "Erkennenkönnen" nur im Wissen um die rechtlichen Zusammenhänge erfolgen, hat die Behörde die Umstände festzustellen, die solche Rechtskenntnisse beim konkreten Leistungsbezieher erwarten lassen (vgl. zur Bezugsdauer VwGH 3. 10. 2002, 97/08/0569). Die allgemeine Vermutung von der Gesetzeskenntnis (§ 2 ABGB) ist nämlich bei Beurteilung der Sorgfaltspflichtverletzung nach § 25 Abs. 1 AlVG nicht ohne weiteres heranzuziehen, da der Gesetzgeber in dieser Bestimmung nicht schon die Rechtswidrigkeit der Leistungsgewährung allein für die Rückforderung genügen lassen wollte (VwGH 16. 6. 1992, 91/08/0158). Ein geringfügiger Überbezug (hier € 49,29 für fünf geleistete Mehrstunden) hätte nicht erkannt werden müssen, ohne der Beschwerdeführerin besondere, ihr nicht zumutbare Sorgfaltspflichten aufzuerlegen. Im gegenständlichen Fall konnte außerdem nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin von der belangten Behörde über die Rechtsfolgen einer nachträglichen, für sie nicht vorhersehbaren Änderung des Ausmaßes ihres Beschäftigungsverhältnisses in Bezug auf ihr Arbeitslosengeld informiert wurde (Ist die geringfügige Überschreitung der Geringfügigkeitsgrenze (€ 44,17) auf den entschuldbaren Rechtsirrtum zurückzuführen, dass das ursprünglich vereinbarte Entgelt unter dem kollektivvertraglichen Mindestentgelt lag und es daher nachträglich zu einer Vollversicherung kam und war die Beschwerdeführerin zu keinem Zeitpunkt schlechtgläubig, sodass sie aus diesem Grund schutzwürdig und der ihr vorhaltbare Sorgfaltsmaßstab anzupassen war, ist der Rückforderungstatbestand nicht erfüllt (BVwG 17.11.2016, W198 2120373-1)." (Sdoutz/Zechner in Krapf/Keul, Arbeitslosenversicherungsgesetz: Praxiskommentar (16. Lfg. 2019) zu § 25 AlVG Rz 528)
Im vorliegenden Fall wurde der Übergenuss dadurch verursacht, dass das ursprünglich geringfügige Dienstverhältnis des Beschwerdeführers im Nachhinein in den festgestellten Zeiträumen als ein vollversicherungspflichtiges Dienstverhältnis zu qualifizieren war. Zur Klärung der Versicherungspflicht wurde ein Verfahren bei der WGKK geführt, zu dem gegenständliches Verfahren ausgesetzt wurde. Bezüglich der Frage, ob es sich bei dem bezahlten Kilometergeld um ein beitragspflichtiges Entgelt handelt und daher ein vollversicherungspflichtiges Dienstverhältnis vorgelegen ist, war ein Verfahren am Bundesverwaltungsgericht anhängig.
Vor dem Hintergrund des hier anzuwendenden Sorgfaltsmaßstabs kann dem Beschwerdeführer der Umstand, dass er das Dienstverhältnis nicht als vollversicherungspflichtig angesehen hat sowie dass er einen daraus resultierenden potenziellen Überbezug nicht erkannt hat, nicht vorgeworfen werden.
Im Ergebnis ist damit auch der Rückforderungstatbestand des Erkennenmüssens nicht erfüllt und kommt damit eine Rückforderung gemäß § 25 Abs. 1 AlVG nicht in Betracht, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.
Zu A) III. Stattgabe der Beschwerde:
Anspruch auf Arbeitslosengeld hat gemäß § 7 AlVG nur, wer arbeitslos ist.
Der Beschwerdeführer stand im verfahrensgegenständlichen Zeitraum 11.02.2008 bis 13.05.2008 in keinem vollversicherungspflichtigen Dienstverhältnis. Die Zuerkennung der Leistung aus der Arbeitslosenversicherung war daher aufgrund des Vorliegens von Arbeitslosigkeit begründet.
Der Beschwerde gegen den Bescheid betreffend den teilweisen Widerruf und die Differenzrückforderung des Arbeitslosenbezuges vom 11.02.2008 bis 13.05.2008 in Höhe von EUR 1.470,33 gemäß §§ 24 und 25 Abs.1 AlVG war daher stattzugeben und der angefochtene Bescheid zu beheben.
3.3. Die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung wurde nicht beantragt. Es wurde von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG abgesehen, da sich in den gegenständlichen Fällen klar aus der Aktenlage ergab, dass von einer mündlichen Erörterung keine weitere Klärung der Rechtssache zu erwarten war und sich der Sachverhalt zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufes und der Rückforderung des Arbeitslosengeldes bzw. der Notstandhilfe aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde als hinreichend geklärt darstellte; den behördlichen Sachverhaltsfeststellungen wurde in der Beschwerde nicht substantiiert entgegen getreten. Der Sachverhalt war weder in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig noch erschien er in entscheidenden Punkten als nicht richtig. Es wurden keine Rechts- oder Tatfragen aufgeworfen, deren Lösung eine mündliche Verhandlung erfordert hätte.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.
Die Entscheidungsfindung im gegenständlichen Fall war nicht von der Lösung einer Rechtsfrage von über den konkreten Einzelfall hinausgehender Bedeutung abhängig; sie erging in Anlehnung an die unter Punkt 3.2. der Erwägungen zu Spruchpunkt A) dargelegte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes betreffend Widerruf und Rückforderung des Arbeitslosengeldes gemäß § 24 Abs. 2 AlVG und § 25 Abs. 1 AlVG. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich auf eine klare Rechtslage stützen.
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