BVwG W255 2149908-1

BVwGW255 2149908-127.7.2017

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2017:W255.2149908.1.00

 

Spruch:

W255 2149908-1/10E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Ronald EPPEL, MA als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.02.2017, Zl. 1098075106/151937780 RD NÖ, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.04.2017 zu Recht:

 

A)

 

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) reiste am 05.12.2015 gemeinsam mit seinen minderjährigen Söhnen und seiner Ehegattin nach Österreich ein und stellte am selben Tag den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

 

2. Am 05.12.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Niederösterreich die niederschriftliche Erstbefragung des BF statt. Dabei gab der BF im Wesentlichen an, afghanischer Staatsangehöriger und schiitischer Muslim zu sein, der Volksgruppe der Ghezelbash anzugehören und die letzten 25 Jahre im Iran gelebt zu haben, da seine Eltern Probleme in XXXX gehabt hätten und Afghanistan verlassen hätten müssen. Den Iran habe er verlassen, da er und seine Familie sich dort illegal aufgehalten hätten, die Kinder nicht zur Schule gehen hätten können und seine Frau sich nach einem Autounfall im Iran nicht richtig behandeln lassen habe können.

 

3. Am 19.12.2016 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich (im Folgenden: BFA), im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari. Dabei gab der BF im Wesentlichen an, dass er in der XXXX geboren sei und Afghanistan im Alter von 15 Jahren mit seinen Eltern in Richtung Iran verlassen habe, da es Erbschaftsstreitigkeiten über ein Grundstück mit einem Onkel gegeben habe. Aufgrund der Streitigkeiten habe der Onkel geplant, jemanden aus der Familie als Geisel zu nehmen. Zusätzlich führte der BF an, dass er auch in die Schule gehen haben wollen. Im Iran habe er bis zu seiner Ausreise Richtung Österreich in der Stadt XXXX gelebt. Der BF habe am XXXX XXXX, geb. XXXX, StA. Afghanistan, geheiratet. Die Heirat habe im Iran stattgefunden und der BF habe mit seiner Ehegattin ausschließlich im Iran gelebt. Der BF habe in Afghanistan nie Probleme aufgrund seiner Religion, Rasse, Nationalität oder politischen Gesinnung gehabt. Den Iran habe der BF verlassen, da er Geld, welches er sich geliehen habe, nicht zurückgeben habe können, seine Kinder nicht die Schule besuchen hätten können und aufgrund des Autounfalls seiner Frau.

 

4. Das BFA wies den Antrag des BF auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 09.02.2017, Zl. 1098075106/151937780 RD NÖ, bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), gab dem Antrag des BF bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 statt (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm eine bis zum 09.02.2018 befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.). Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten begründete das BFA im Wesentlichen damit, dass sich aus den Ausführungen des BF keine individuelle asylrelevante Verfolgungsgefährdung erkennen lasse und seine Schilderungen nicht glaubhaft seien. Er habe Afghanistan verlassen, weil er sich im Iran eine verbesserte Lebenssituation mit seiner Familie erhofft habe.

 

5. Gegen Spruchpunkt I. des unter Punkt 4. genannten Bescheides des BFA richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde.

 

6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 18.04.2017 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari sowie im Beisein des BF, seines Rechtsvertreters, seiner Ehefrau und seines ältesten Sohnes eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Seitens des BFA wurde mit Schreiben vom 08.03.2017 auf die Teilnahme an der Verhandlung verzichtet. Der BF gab im Wesentlichen an, afghanischer Staatsangehöriger zu sein, amXXXX inXXXX geboren und im 15. Lebensjahr in den Iran gezogen zu sein. Seine Eltern hätten Afghanistan wegen eines Streits zwischen seinem Vater und dessen Bruder über ein Grundstück, welches zwischen den Geschwistern aufgeteilt worden sei, verlassen. Im Zuge der Streitigkeiten habe der Onkel gedroht, den Vater umzubringen bzw. zu entführen. Vor sechs Jahren sei sein Bruder nach Afghanistan zurückgekehrt und daraufhin verschollen. Im Iran habe der BF im Jahr 2000 seine Cousine mütterlicherseits, XXXX (Mädchenname: XXXX), geheiratet und mit ihr in der Stadt XXXX gelebt. Dort habe er, weil er keine Arbeitserlaubnis gehabt habe, als Straßenhändler gearbeitet. Den Iran habe er schließlich verlassen, da er keine Dokumente gehabt und sich Geld für die Behandlung seiner Frau ausgeborgt habe. Auch hätten seine Kinder nicht in die Schule gehen können und er wolle ihnen eine bessere Zukunft bieten. Von Nachbarn habe er gehört, dass seine Cousins der Familie nichts Gutes wollen. Als Zugehöriger der Volksgruppe der Quiselbash und als schiitischer Muslim sei er zusätzlich einer Gefahr ausgesetzt. In Österreich kümmere er sich gemeinsam mit seiner Frau um die Kinder. Wichtige Entscheidungen würden er und seine Ehegattin gemeinsam treffen.

 

7. Mit Schreiben vom 17.05.2017 führte der rechtsfreundliche Vertreter des BF aus, dass der BF seine Ehegattin bereits im Jahr 2000 im Iran geheiratet und die Ehe somit bereits vor der Einreise nach Österreich bestanden habe. Damit unterstehe der BF (gemeinsam mit seiner Ehegattin) Art. 8 EMRK. Zusammengefasst würde sich aus Art. 8 EMRK iVm. Art 14 EMRK iVm. § 34 AsylG und Art. 2 lit. j der Statusrichtlinie ergeben, dass dem BF als Familienangehöriger seiner Ehegattin für den Fall, dass dieser der Status der Asylberechtigten zuerkannt werde, ebenso der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen sei.

 

8. Mit Schreiben vom 25.07.2017 informierte das BFA das Bundesverwaltungsgericht darüber, dass der BF zwecks Urgenz der Erlassung einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in gegenständlichem Beschwerdeverfahren persönlich vorstellig geworden sei.

 

II. Feststellungen:

 

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des erhobenen Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung und Einvernahme des BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des BFA, der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des im Spruch genannten Bescheides des BFA, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt, der Einsichtnahme in die Verwaltungsakte des Bundesverwaltungsgerichts zu den Zahlen W255 2149911 (Ehefrau des BF), W255 2149921-1, W255 2149915-1, W255 2149918-1 (Kinder des BF), das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister und das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

 

1. Zur Person des Beschwerdeführers:

 

1.1. Der BF führt den Namen XXXX und behauptet am XXXX in XXXX, Afghanistan, geboren zu sein. Er übersiedelte im Alter von ca. 15 Jahren in den Iran, wo er bis zu seiner Ausreise Anfang 2015 lebte. Der BF hat sich seit seinem 15. Lebensjahr nicht mehr in Afghanistan aufgehalten.

 

1.2. Der BF ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Quiselbash und schiitischer Muslim. In Afghanistan besuchte er sechs Jahre lang die Grundschule.

 

1.3. Der BF hat im Iran seinen Lebensunterhalt als Straßenhändler verdient.

 

1.4. Der BF hat im Jahr 2000 im Iran die afghanische Staatsangehörige XXXX, geb. XXXX, geheiratet. Dieser Ehe entstammen die gemeinsamen Söhne XXXX, geb. XXXX, XXXX, geb. XXXX alias XXXX im Iran, und Tochter XXXX, geb. XXXX in Österreich. Der BF und seine Ehegattin haben nie gemeinsam in Afghanistan gelebt.

 

1.5. Der BF hat im Iran mit seiner Ehegattin und seinen Söhnen in XXXX gelebt.

 

1.6. Der BF verließ den Iran 2015 und reiste über die Türkei, Griechenland und mehrere ihm unbekannte Länder nach Österreich, wo er am 05.12.2015 gemeinsam mit seiner Familie einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

 

1.7. Der BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

 

1.8. Der BF lebt in Österreich im gemeinsamen Haushalt mit seiner Ehegattin und den gemeinsamen Kindern. Der Ehegattin des BF wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.05.2017, Zl. W255 2149911-1/7E, gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Den drei Kindern des BF (XXXX, XXXX und XXXX) wurde mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.05.2017, Zl. W255 2149915-1/6E, Zl. W255 2149918-1/6E, Zl. W255 2149921-1/7E, als Familienangehörige ihrer Mutter iSd § 2 Abs. 22 AsylG 2005 gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 34 Abs. 2 AsylG 2005 jeweils der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

 

2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

 

2.1. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF in Afghanistan Verfolgung seitens der Familie väterlicherseits aufgrund von Grundstücksstreitigkeiten ausgesetzt war oder im Falle der Rückkehr sein würde.

 

2.2. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF in Afghanistan Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Quiselbash (Quezelbash) ausgesetzt war oder im Falle der Rückkehr sein würde.

 

2.3. Der BF hat Afghanistan verlassen, da seine Eltern diesen Beschluss für ihn getroffen haben. Grund für die Ausreise des BF (und seiner Eltern) aus seinem Herkunftsstaat waren schließlich persönliche Gründe, die dortigen prekären Lebensbedingungen und die Unzufriedenheit mit dem im Herkunftsstaat herrschenden politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen System sowie die Suche nach besseren Lebensbedingungen im Ausland.

 

2.4. Der BF hat den Iran verlassen, da er aufgrund seines illegalen Aufenthalts keine Arbeitserlaubnis erhielt, ihm eine Abschiebung nach Afghanistan drohte, seine Kinder nicht die Schule besuchen konnten und er ihnen eine bessere Zukunft bieten wollte.

 

2.5. Der BF wurde in seinem Herkunftsstaat niemals inhaftiert und hatte mit den Behörden seines Herkunftsstaates weder auf Grund seines Religionsbekenntnisses oder seiner Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst irgendwelche Probleme. Der BF war nie politisch tätig und gehörte nie einer politischen Partei an.

 

3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

 

Aufgrund der im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen:

 

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017:

 

1. Sicherheitslage

 

1.1. Allgemeines

 

Die Sicherheitslage ist beeinträchtigt durch eine tief verwurzelte militante Opposition. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädten und den Großteil der Distriktzentren. Die afghanischen Sicherheitskräfte zeigten Entschlossenheit und steigerten auch weiterhin ihre Leistungsfähigkeit im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand. Die Taliban kämpften weiterhin um Distriktzentren, bedrohten Provinzhauptstädte und eroberten landesweit kurzfristig Hauptkommunikationsrouten; speziell in Gegenden von Bedeutung wie z.B. Kunduz City und der Provinz Helmand (USDOD 12.2016). Zu Jahresende haben die afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF) Aufständische in Gegenden von Helmand, Uruzgan, Kandahar, Kunduz, Laghman, Zabul, Wardak und Faryab bekämpft (SIGAR 30.1.2017).

 

In den letzten zwei Jahren hatten die Taliban kurzzeitig Fortschritte gemacht, wie z.B. in Helmand und Kunduz, nachdem die ISAF-Truppen die Sicherheitsverantwortung den afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräften (ANDSF) übergeben hatten. Die Taliban nutzen die Schwächen der ANDSF aus, wann immer sie Gelegenheit dazu haben. Der IS (Islamischer Staat) ist eine neue Form des Terrors im Namen des Islam, ähnlich der al-Qaida, auf zahlenmäßig niedrigerem Niveau, aber mit einem deutlich brutaleren Vorgehen. Die Gruppierung operierte ursprünglich im Osten entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze und erscheint, Einzelberichten zufolge, auch im Nordosten und Nordwesten des Landes (Lokaler Sicherheitsberater in Afghanistan 17.2.2017).

 

Mit Stand September 2016, schätzen Unterstützungsmission der NATO, dass die Taliban rund 10% der Bevölkerung beeinflussen oder kontrollieren. Die afghanischen Verteidigungsstreitkräfte (ANDSF) waren im Allgemeinen in der Lage, große Bevölkerungszentren zu beschützen. Sie hielten die Taliban davon ab, Kontrolle in bestimmten Gegenden über einen längeren Zeitraum zu halten und reagierten auf Talibanangriffe. Den Taliban hingegen gelang es, ländliche Gegenden einzunehmen; sie kehrten in Gegenden zurück, die von den ANDSF bereits befreit worden waren, und in denen die ANDSF ihre Präsenz nicht halten konnten. Sie führten außerdem Angriffe durch, um das öffentliche Vertrauen in die Sicherheitskräfte der Regierung, und deren Fähigkeit, für Schutz zu sorgen, zu untergraben (USDOD 12.2016). Berichten zufolge hat sich die Anzahl direkter Schussangriffe der Taliban gegen Mitglieder der afghanischen Nationalarmee (ANA) und afghaninischen Nationalpolizei (ANP) erhöht (SIGAR 30.1.2017).

 

Einem Bericht des U.S. amerikanischen Pentagons zufolge haben die afghanischen Sicherheitskräfte Fortschritte gemacht, wenn auch keine dauerhaften (USDOD 12.2016). Laut Innenministerium wurden im Jahr 2016 im Zuge von militärischen Operationen – ausgeführt durch die Polizei und das Militär – landesweit mehr als 18.500 feindliche Kämpfer getötet und weitere 12.000 verletzt. Die afghanischen Sicherheitskräfte versprachen, sie würden auch während des harten Winters gegen die Taliban und den Islamischen Staat vorgehen (VOA 5.1.2017).

 

Obwohl die afghanischen Sicherheitskräfte alle Provinzhauptstädte sichern konnten, wurden sie von den Taliban landesweit herausgefordert: intensive bewaffnete Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften verschlechterten die Sicherheitslage im Berichtszeitraum (16.8. – 17.11.2016) (UN GASC 13.12.2016; vgl. auch: SCR 30.11.2016). Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es im August 2016, mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte zu vereiteln, und verlorenes Territorium rasch wieder zurückzuerobern (USDOD 12.2016).

 

1.2. Kontrolle von Distrikten und Regionen

 

Den Aufständischen misslangen acht Versuche, die Provinzhauptstadt einzunehmen; den Rebellen war es möglich, Territorium einzunehmen. High-profile Angriffe hielten an. Im vierten Quartal 2016 waren 2,5 Millionen Menschen unter direktem Einfluss der Taliban, während es im 3. Quartal noch 2,9 Millionen waren (SIGAR 30.1.2017).

 

Laut einem Sicherheitsbericht für das vierte Quartal, sind 57,2% der 407 Distrikte unter Regierungskontrolle bzw. –einfluss; dies deutet einen Rückgang von 6,2% gegenüber dem dritten Quartal: zu jenem Zeitpunkt waren 233 Distrikte unter Regierungskontrolle, 51 Distrikte waren unter Kontrolle der Rebellen und 133 Distrikte waren umkämpft. Provinzen, mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Rebelleneinfluss oder -kontrolle waren: Uruzgan mit 5 von 6 Distrikten, und Helmand mit 8 von 14 Distrikten. Regionen, in denen Rebellen den größten Einfluss oder Kontrolle haben, konzentrieren sich auf den Nordosten in Helmand, Nordwesten von Kandahar und die Grenzregion der beiden Provinzen (Kandahar und Helmand), sowie Uruzgan und das nordwestliche Zabul (SIGAR 30.1.2017).

 

1.3. Rebellengruppen

 

Regierungsfeindliche Elemente versuchten weiterhin durch Bedrohungen, Entführungen und gezielten Tötungen ihren Einfluss zu verstärken. Im Berichtszeitraum wurden 183 Mordanschläge registriert, davon sind 27 gescheitert. Dies bedeutet einen Rückgang von 32% gegenüber dem Vergleichszeitraum im Jahr 2015 (UN GASC 13.12.2016). Rebellengruppen, inklusive hochrangiger Führer der Taliban und des Haqqani Netzwerkes, behielten ihre Rückzugsgebiete auf pakistanischem Territorium (USDOD 12.2016).

 

Afghanistan ist mit einer Bedrohung durch militante Opposition und extremistischen Netzwerken konfrontiert; zu diesen zählen die Taliban, das Haqqani Netzwerk, und in geringerem Maße al-Qaida und andere Rebellengruppen und extremistische Gruppierungen. Die Vereinigten Staaten von Amerika unterstützen eine von Afghanen geführte und ausgehandelte Konfliktresolution in Afghanistan - gemeinsam mit internationalen Partnern sollen die Rahmenbedingungen für einen friedlichen politischen Vergleich zwischen afghanischer Regierung und Rebellengruppen geschaffen werden (USDOD 12.2016).

 

Zwangsrekrutierungen durch die Taliban, Milizen, Warlords oder kriminelle Banden sind nicht auszuschließen. Konkrete Fälle kommen jedoch aus Furcht vor Konsequenzen für die Rekrutierten oder ihren Familien kaum an die Öffentlichkeit (AA 9 .2016).

 

1.4. Taliban und ihre Offensive

 

Die afghanischen Sicherheitskräfte behielten die Kontrolle über große Ballungsräume und reagierten rasch auf jegliche Gebietsgewinne der Taliban (USDOD 12.2016). Die Taliban erhöhten das Operationstempo im Herbst 2016, indem sie Druck auf die Provinzhauptstädte von Helmand, Uruzgan, Farah und Kunduz ausübten, sowie die Regierungskontrolle in Schlüsseldistrikten beeinträchtigten und versuchten, Versorgungsrouten zu unterbrechen (UN GASC 13.12.2016). Die Taliban verweigern einen politischen Dialog mit der Regierung (SCR 12.2016).

 

Die Taliban haben die Ziele ihrer Offensive "Operation Omari" im Jahr 2016 verfehlt (USDOD 12.2016). Ihr Ziel waren großangelegte Offensiven gegen Regierungsstützpunkte, unterstützt durch Selbstmordattentate und Angriffe von Aufständischen, um die vom Westen unterstütze Regierung zu vertreiben (Reuters 12.4.2016). Gebietsgewinne der Taliban waren nicht dauerhaft, nachdem die ANDSF immer wieder die Distriktzentren und Bevölkerungsgegenden innerhalb eines Tages zurückerobern konnte. Die Taliban haben ihre lokalen und temporären Erfolge ausgenutzt, indem sie diese als große strategische Veränderungen in sozialen Medien und in anderen öffentlichen Informationskampagnen verlautbarten (USDOD12.2016). Zusätzlich zum bewaffneten Konflikt zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Taliban kämpften die Taliban gegen den ISIL-KP (Islamischer Staat in der Provinz Khorasan) (UN GASC 13.12.2016).

 

Der derzeitig Talibanführer Mullah Haibatullah Akhundzada hat im Jänner 2017 16 Schattengouverneure in Afghanistan ersetzt, um seinen Einfluss über den Aufstand zu stärken. Aufgrund interner Unstimmigkeiten und Überläufern zu feindlichen Gruppierungen, wie dem Islamischen Staat, waren die afghanischen Taliban geschwächt. hochrangige Quellen der Taliban waren der Meinung, die neu ernannten Gouverneure würden den Talibanführer stärken, dennoch gab es keine Veränderung in Helmand. Die südliche Provinz – größtenteils unter Talibankontrolle – liefert der Gruppe den Großteil der finanziellen Unterstützung durch Opium. Behauptet wird, Akhundzada hätte nicht den gleichen Einfluss über Helmand, wie einst Mansour (Reuters 27.1.2017).

 

Im Mai 2016 wurde der Talibanführer Mullah Akhtar Mohammad Mansour durch eine US-Drohne in der Provinz Balochistan in Pakistan getötet (BBC News 22.5.2016; vgl. auch: The National 13.1.2017). Zum Nachfolger wurde Mullah Haibatullah Akhundzada ernannt - ein ehemaliger islamischer Rechtsgelehrter - der bis zu diesem Zeitpunkt als einer der Stellvertreter diente (Reuters 25.5.2016; vgl. auch:

The National 13.1.2017). Dieser ernannte als Stellvertreter Sirajuddin Haqqani, den Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (The National 13.1.2017) und Mullah Yaqoub, Sohn des Talibangründers Mullah Omar (DW 25.5.2016).

 

2. Sicherheitslage in der Provinz Kabul

 

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden und (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Stadt hat 22 Stadtgemeinden und 14 administrative Einheiten (Pajhwok o.D.z). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.523.718 geschätzt (CSO 2016)

 

Distrikt Kabul

 

 

Gewalt gegen Einzelpersonen

21

Bewaffnete Konfrontationen und Luftangriffe

18

Selbstmordattentate, IED-Explosionen und andere Explosionen

50

Wirksame Einsätze von Sicherheitskräften

31

Vorfälle ohne Bezug auf den Konflikt

28

Andere Vorfälle

3

Insgesamt

151

  

 

(EASO 11.2016)

 

Im Zeitraum 1.9.2015 – 31.5.2016 wurden im Distrikt Kabul 151 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

 

Provinz Kabul

 

 

Gewalt gegen Einzelpersonen

5

Bewaffnete Konfrontationen und Luftangriffe

89

Selbstmordattentate, IED-Explosionen und andere Explosionen

30

Wirksame Einsätze von Sicherheitskräften

36

Vorfälle ohne Bezug auf den Konflikt

1

Andere Vorfälle

0

Insgesamt

161

  

 

(EASO 11.2016)

 

Im Zeitraum 1.9.2015. – 31.5.2016 wurden in der gesamten Provinz Kabul 161 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

 

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast alle Distriktzentren (USDOD 12.2015). Aufständischengruppen planen oft Angriffe auf Gebäude und Individuen mit afghanischem und amerikanischem Hintergrund: afghanische und US-amerikanische Regierungseinrichtungen, ausländische Vertretungen, militärische Einrichtungen, gewerbliche Einrichtungen, Büros von Nichtregierungsorganisation, Restaurants, Hotels und Gästehäuser, Flughäfen und Bildungszentren (Khaama Press 13.1.2017). Nach einem Zeitraum länger andauernder relativer Ruhe in der Hauptstadt, explodierte im Jänner 2017 in der Nähe des afghanischen Parlaments eine Bombe; bei diesem Angriff starben mehr als 30 Menschen (DW 10.1.2017). Die Taliban bekannten sich zu diesem Vorfall und gaben an, hochrangige Beamte des Geheimdienstes wären ihr Ziel gewesen (BBC News 10.1.2017).

 

In der Provinz Kabul finden regelmäßig militärische Operationen statt (Afghanistan Times 8.2.2017; Khaama Press 10.1.2017; Tolonews 4.1.2017a; Bakhtar News 29.6.2016). Taliban Kommandanten der Provinz Kabul wurden getötet (Afghan Spirit 18.7.2016). Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften finden statt (Tolonews 4.1.2017a).

 

Regierungsfeindliche Aufständische greifen regelmäßig religiöse Orte, wie z.B. Moscheen, an. In den letzten Monaten haben eine Anzahl von Angriffen, gezielt gegen schiitische Muslime, in Hauptstädten, wie Kabul und Herat stattgefunden (Khaama Press 2.1.2017; vgl. auch: UNAMA 6.2.2017).

 

3. Sicherheitsbehörden

 

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) bestehen aus folgenden Komponenten: der afghanischen Nationalarmee (ANA), welche auch die Luftwaffe (AAF) und das ANA-Kommando für Spezialoperationen (ANASOC) beinhaltet; der afghanischen Nationalpolizei (ANP), die ebenso die uniformierte afghanische Polizei beinhaltet (AUP), der afghanischen Nationalpolizei für zivile Ordnung (ANCOP), der afghanischen Grenzpolizei (ABP) und der afghanischen Polizei die Verbrechen bekämpft (AACP). Sie stehen unter der Kontrolle des Verteidigungsministeriums Die afghanische Lokalpolizei (ALP), sowie ihre Komponenten (etwa die afghanischen Kräfte zum Schutz der Öffentlichkeit (APPF) und die afghanische Polizei zur Drogenbekämpfung (CNPA) sind unter der Führung des Innenministeriums (USDOD 6. 2016).

 

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (Afghan National Defense and Security Forces, ANDSF) haben - wenn auch unbeständig - Fortschritte gemacht. Sie führten ihre Frühjahrs- und Sommeroperationen erfolgreich durch. Ihnen gelang im August 2016, mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte zu vereiteln, und verlorenes Territorium rasch wieder zurückzuerobern. Schwierigkeiten in Schlüsselbereichen wie Spionage, Luftfahrt und Logistik, verbesserten sich, beeinträchtigten dennoch die Schlagkraft. Die afghanischen Sicherheitskräfte behielten die Kontrolle über große Ballungsräume und reagierten rasch auf jegliche Gebietsgewinne der Taliban (USDOD 12.2016).

 

Die afghanischen Sicherheitskräfte haben zwar im Jahr 2015 die volle Verantwortung für die Sicherheit des Landes übernommen (AA 9 .2016; vgl. auch: USIP 5.2016); dennoch werden sie teilweise durch US-amerikanische bzw. Koalitionskräfte unterstützt (USDOD 6.2016).

 

Drei Ministerien verantworten die Sicherheit in Afghanistan: Das afghanische Innenministerium (Afghanistan’s Ministry of Interior - MoI), das Verteidigungsministerium (Ministry of Defense - MoD) und der afghanische Geheimdienst (NDS). Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die Afghan Local Police (ALP). Die (Afghan National Police (ANP) untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit zuständig. Ihre primäre Aufgabe ist die Bekämpfung der Aufständischen. Das National Directorate of Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist auch für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen (USDOS 13.4.2016).

 

Die autorisierte Truppenstärke der ANDSF wird mit 352.000 beziffert (USDOD 6.2016), davon 4.228 Frauen (SIGAR 30.7.2016).

 

Die monatlichen Ausfälle (umfasst alle geplanten und ungeplanten Ausfälle von Pensionierungen über unerlaubte Abwesenheit bis hin zu Gefallenen) der ANDSF liegen bei 2.4% - eine leichte Erhöhung gegenüber dem Dreijahresmittel von 2.2% (USDOD 6.2016).

 

4. Folter und unmenschliche Behandlung

 

Laut afghanischer Verfassung ist Folter verboten (Art. 29) (AA 9 .2016; vgl. Max Planck Institut 27.1.2004). Fälle von Folter durch Angehörige der Polizei, des NDS und des Militärs sind nachgewiesen und werden von den jeweiligen Behörden zumindest offiziell als Problem erkannt (AA 9 .2016; vgl. OHCHR 11.2.2016).

 

Generell sind Frauen und Kinder in Polizeigewahrsam und Haftanstalten besonders in Gefahr, misshandelt zu werden. In jüngerer Vergangenheit wurden im Zusammenhang mit Häftlingen, die im Zuge des bewaffneten Konfliktes in Afghanistan festgenommen wurden, grobe Missstände aufgedeckt (AA 9 .2016).

 

Im Jänner 2015, startete Präsident Ghani einen Nationalen Aktionsplan zur Eliminierung von Folter; das dafür zuständige Komitee wurde im Mai 2015 gegründet (HRW 27.1.2016; vgl. auch: HRW 12.1.2017). Im November 2015, war das Justizministerium dabei ein neues Anti-Folter-Gesetz zu erarbeiten. Von diesem wird erwartet, weitläufige Bestimmungen zur Wiedergutmachung für Folteropfer zu enthalten (OHCHR 11.2.2016). Human Rights Watch zufolge, gab es im Jahr 2016 diesbezüglich keine weiteren Entwicklungen (HRW 12.1.2017).

 

Artikel 30 der afghanischen Verfassung besagt, dass Aussagen und Geständnisse, die durch Zwang erlangt worden sind, ungültig sind (AA 9 .2016; vgl. auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Da die Abgrenzung zwischen polizeilicher und staatsanwaltlicher Arbeit nicht immer gewahrt ist, werden Verdächtige oft lange über die gesetzliche Frist von 72 Stunden hinaus festgehalten, ohne einem Staatsanwalt oder Richter vorgeführt zu werden. Trotz gesetzlicher Regelung erhalten Inhaftierte zudem nur selten rechtlichen Beistand durch einen Strafverteidiger. Schließlich liegt ein zentrales Problem in der Tatsache begründet, dass sich afghanische Richter/innen bei Verurteilungen fast ausschließlich auf Geständnisse der Angeklagten stützen. Das Geständnis als "Beweismittel" erlangt so überdurchschnittliche Bedeutung, wodurch sich der Druck auf NDS und Polizei erhöht, ein Geständnis zu erzwingen. Da die Kontrollmechanismen weder beim NDS noch bei der afghanischen Polizei durchsetzungsfähig sind, erfolgt eine Sanktionierung groben Fehlverhaltens durch Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden bisher nur selten. Allerdings scheint sich die Lage dieser Häftlinge insgesamt verbessert zu haben: rund 35% der Befragten gaben an, gefoltert worden zu sein (im Gegensatz zu 49% im UNAMA-Bericht von Januar 2013) (AA 9 .2016).

 

Im Juni 2015 gab der NDS wiederholt Anweisungen betreffend des Folterverbots, speziell zum Erhalt von Geständnissen (HRW 27.1.2016; vgl. auch AI 24.2.2016).

 

5. Allgemeine Menschenrechtslage

 

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen erhebliche Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine starke Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern nur schwer durchzusetzen. Die Menschenrechte haben in Afghanistan eine klare gesetzliche Grundlage (AA 9 .2016). Die 2004 verabschiedete afghanische Verfassung enthält einen umfassenden Grundrechtekatalog (AA 9 .2016; vgl. auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Afghanistan hat die meisten der einschlägigen völkerrechtlichen Verträge - zum Teil mit Vorbehalten - unterzeichnet und/oder ratifiziert (AA 9 .2016).

 

Im Februar 2016 hat Präsident Ghani, den ehemaligen Leiter der afghanischen Menschenrechtskommission, Mohammad Farid Hamidi, zum Generalstaatsanwalt ernannt (USDOD 6.2016; vgl. auch NYT 3.9.2016).

 

Drohungen, Einschüchterungen und Angriffe gegen Menschenrechtsverteidiger hielten in einem Klima der Straflosigkeit an, nachdem die Regierung es verabsäumt hatte, Fälle zu untersuchen und Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen.

Menschenrechtsverteidiger wurden sowohl durch staatliche, als auch nicht-staatliche Akteure angegriffen und getötet – (AI 24.2.2016).

 

6. Religionsfreiheit

 

Etwa 99.7% der Bevölkerung sind Muslime, davon sind 84.7-89.7% Sunniten (CIA 21.11.2016; vgl. USCIRF 4.2016). Schätzungen zufolge, sind etwa 10–19% der Bevölkerung Schiiten (AA 9 .2016; vgl. auch: CIA 21.10.2016). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie z.B. Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen zusammen nicht mehr als 1% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (AA 9 .2016).

 

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Religionsfreiheit ist in der afghanischen Verfassung verankert, dies gilt allerdings ausdrücklich nur für Anhänger/innen anderer Religionen als dem Islam. Die von Afghanistan ratifizierten internationalen Verträge und Konventionen wie auch die nationalen Gesetze sind allesamt im Lichte des generellen Islamvorbehalts (Art. 3 der Verfassung) zu verstehen (AA 9 .2016; vgl. auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Die Glaubensfreiheit, die auch die freie Religionsauswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan daher für Muslime nicht. Darüber hinaus ist die Abkehr vom Islam (Apostasie) nach Scharia-Recht auch strafbewehrt (AA 9.11.2016).

 

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 verbessert, wird aber noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformierte Muslime behindert. Blasphemie und Abtrünnigkeit werden als Kapitalverbrechen angesehen. Nichtmuslimische Religionen sind erlaubt, doch wird stark versucht, deren Missionierungsbestrebungen zu behindern (FH 27.1.2016). Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (FH 27.1.2016; vgl. auch:

CSR 8.11.2016).

 

Im Strafgesetzbuch gibt es keine Definition für Apostasie. Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, für Frauen lebenslange Haft, sofern sie die Apostasie nicht bereuen. Ein Richter kann eine mindere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte - dennoch hatten Individuen, die vom Islam konvertierten, Angst vor Konsequenzen. Christen berichteten, dass sie aus Furcht vor Vergeltung, Situationen vermieden, in denen es gegenüber der Regierung so aussehe, als ob sie missionieren würden (USDOS 10.8.2016).

 

Nichtmuslimische Minderheiten, wie Sikh, Hindu und Christen, sind sozialer Diskriminierung und Belästigung ausgesetzt, und in manchen Fällen, sogar Gewalt. Dieses Vorgehen ist jedoch nicht systematisch (USDOS 10.8.2016). Dennoch bekleiden Mitglieder dieser Gemeinschaften vereinzelt Ämter auf höchster Ebene (CSR 8.11.2016). Im Mai 2014 bekleidete ein Hindu den Posten des afghanischen Botschafters in Kanada (RFERL 15.5.2014). Davor war Sham Lal Bathija als hochrangiger Wirtschaftsberater von Karzai tätig (The New Indian Express16.5.2012).

 

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Bildungsplan einrichten und umsetzen, der auf den Bestimmungen des Islams basiert; auch sollen religiöse Kurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime ist es nicht erforderlich den Islam an öffentlichen Schulen zu lernen (USDOS 10.8.2016).

 

Nicht-muslimische religiöse Minderheiten werden durch das geltende Recht diskriminiert. So gilt die sunnitische-hanafitische Rechtsprechung für alle afghanischen Bürgerinnen und Bürger, unabhängig von ihrer Religion (AA 9 .2016). Für die religiöse Minderheit der Schiiten gilt in Personenstandsfragen das schiitische Recht (USDOS 10.8.2016).

 

Militante Gruppen haben sich unter anderem als Teil eines größeren zivilen Konfliktes gegen Moschen und Gelehrte gerichtet. Konservative soziale Einstellungen, Intoleranz und das Unvermögen oder die Widerwilligkeit von Polizeibeamten individuelle Freiheiten zu verteidigen bedeuten, dass jene, die religiöse und soziale Normen brechen, anfällig für Misshandlung sind (FH 27.1.2016).

 

Blasphemie – welche anti-islamische Schriften oder Ansprachen beinhaltet, ist ein Kapitalverbrechen im Rahmen der gerichtlichen Interpretation des islamischen Rechtes. Ähnlich wie bei Apostasie, gibt das Gericht Blasphemisten drei Tage um ihr Vorhaben zu widerrufen oder sie sind dem Tod ausgesetzt (CRS 8.11.2016).

 

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin der zwei anderen abrahamitischen Religionen, Christentum und Judentum, ist. Einer Muslima ist nicht erlaubt einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind legal, solange das Paar nicht öffentlich ihren nicht-muslimischen Glauben deklariert (USDOS 10.8.2016).

 

6.1. Schiiten

 

Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10-19% geschätzt (AA 9 .2016; vgl. auch: CIA 21.10.2016). Zu der schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und die ethnischen Hazara (USDOS 10.8.2016). Die meisten Hazara Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an. Im letzten Jahrhundert ist allerdings eine Vielzahl von Hazara zur Ismaili-Sekte übergetreten. Es gibt einige Hazara-Gruppen, die zum sunnitischen Islam konvertierten. In Uruzgan und vereinzelt in Nordafghanistan sind einige schiitische Belutschen (BFA Staatendokumentation 7.2016).

 

Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten. Sowohl im Rat der Religionsgelehrten (Ulema), als auch im Hohen Friedensrat sind Schiiten vertreten; beide Gremien betonen, dass die Glaubensausrichtung keinen Einfluss auf ihre Zusammenarbeit habe (AA 9 .2016). Afghanische Schiiten und Hazara sind dazu geneigt weniger religiös und gesellschaftlich offener zu sein, als ihre religiösen Brüder im Iran (CRS 8.11.2016).

 

Die Situation der afghanisch schiitisch-muslimischen Gemeinde hat sich seit dem Ende des Taliban-Regimes wesentlich gebessert (USCIRF 30.4.2015). Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung gegen die schiitische Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch gab es Berichte zu lokalen Vorfällen (USDOS 10.8.2016).

 

Ethnische Hazara sind gesellschaftlicher Diskriminierungen ausgesetzt (USDOS 13.4.2016). Informationen eines Vertreters einer internationalen Organisation mit Sitz in Kabul zufolge, sind Hazara, entgegen ihrer eigenen Wahrnehmung, keiner gezielten Diskriminierung aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit ausgesetzt (Vertrauliche Quelle 29.9.2015).

 

Afghanischen Schiiten ist es möglich ihre Feste öffentlich zu feiern - manche Paschtunen sind über die öffentlichen Feierlichkeiten verbittert, was gelegentlich in Auseinandersetzungen resultiert (CRS 8.11.2016). Im November 2016, hat ein Kämpfer der IS-Terrormiliz, während einer religiösen Zeremonie in der Bakir-al-Olum-Moschee - einer schiitischen Moschee in Kabul - am schiitischen Feiertag Arbain, einen Sprengstoffanschlag verübt (Tolonews 22.11.2016; vgl. auch: FAZ 21.11.2016). Bei diesem Selbstmordanschlag sind mindestens 32 Menschen getötet und 80 weitere verletzt worden (Khaama Press 22.11.2016). In Kabul sind die meisten Moscheen trotz Anschlagsgefahr nicht besonders geschützt (FAZ 21.11.2016). Am 23. Juli 2016 wurde beim schwersten Selbstmordanschlag in der afghanischen Geschichte die zweite Großdemonstration der Enlightenment-Bewegung durch den ISKP angegriffen. Es dabei starben über 85 Menschen, rund 240 wurden verletzt. Dieser Schlag richtete sich fast ausschließlich gegen Schiiten (AA 9 .2016).

 

Einige Schiiten bekleiden höhere Ämter (CRS 8.11.2016); sowie andere Regierungsposten. Schiiten verlautbarten, dass die Verteilung von Posten in der Regierung die Demographie des Landes nicht adäquat berücksichtigte. Das Gesetz schränkt sie bei der Beteiligung am öffentlichen Leben nicht ein – dennoch verlautbarten Schiiten - dass die Regierung die Sicherheit in den Gebieten, in denen die Schiiten die Mehrheit stellten, vernachlässigte. Hazara leben hauptsächlich in den zentralen und westlichen Provinzen, während die Ismailiten hauptsächlich in Kabul, den zentralen und nördlichen Provinzen leben (USDOS 10.8.2016).

 

Unter den Parlamentsabgeordneten befinden sich vier Ismailiten. Manche Mitglieder der ismailitischen Gemeinde beschweren sich über Ausgrenzung von Position von politischen Autoritäten (USDOS 10.8.2015).

 

6.2. Ethnische Minderheiten

 

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2016 mehr als 33.3 Millionen Menschen (CIA 12.11.2016). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (Staatendokumentation des BFA 7.2016).

Schätzungen zufolge, sind: 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara, 9% Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten, wie z.B. die Aimaken, die ein Zusammenschluss aus vier semi-nomadischen Stämmen mongolisch, iranischer Abstammung sind, sowie die Belutschen, die zusammen etwa 4 % der Bevölkerung ausmachen (GIZ 1.2017).

 

Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane‘ wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet."

(Staatendokumentation des BFA 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht. Diese weiteren in der Verfassung genannten Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 9 .2016; vgl. auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 13.4.2016).

 

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung verankert. Fälle von Sippenhaft oder sozialer Diskriminierung sind jedoch nicht auszuschließen und kommen vor allem in Dorfgemeinschaften auf dem Land häufig vor (AA 9 .2016). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 13.4.2016).

 

III. Beweiswürdigung:

 

1. Der Beweiswürdigung liegen folgende maßgebende Erwägungen zu

Grunde:

 

1. Zum Verfahrensgang

 

Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und der vorliegenden Gerichtsakte des Bundesverwaltungsgerichts betreffend den BF, seinen drei Kindern und seiner Ehegattin.

 

2. Zur Person des BF und zu seinen Fluchtgründen (Pkt. II.1. und II.2.):

 

2.1. Die Feststellungen zum Namen, Geburtsdatum, Personenstand, Familienangehörigen, Staats-, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit des BF stützen sich auf seine diesbezüglich glaubhaften Angaben im Verfahren vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

 

2.2. Die Identität des Beschwerdeführers konnte mangels Vorlage unbedenklicher Dokumente sowie aufgrund abweichender Angaben zum Geburtsdatum nicht festgestellt werden; der im Spruch angeführte Name dient lediglich zur Identifizierung des BF als Verfahrenspartei. Während der BF im erstinstanzlichen Verfahren übereinstimmend angab, am XXXX geboren zu sein, gab er in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht an, am XXXX nach afghanischem Kalender (entspricht XXXXnach dem gregorianischen Kalender) geboren zu sein.

 

2.3. Die Angaben des BF zu seinem Heimatdorf, seiner Herkunftsprovinz, seinen Aufenthaltsorten in Afghanistan, seinem Aufenthaltsort im Iran, seinem familiären Hintergrund und seiner schulischen Ausbildung sind chronologisch stringent. Die vom BF in diesem Zusammenhang getätigten Angaben waren gleichbleibend und widerspruchsfrei.

 

2.4. Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des BF ergibt sich aus dem eingeholten Strafregisterauszug.

 

2.5. Die Feststellungen zu den Gründen des BF für das Verlassen des Iran (Kinder konnten nicht die Schule besuchen, keine Arbeitserlaubnis im Iran, Geldschulden aufgrund der Behandlung seiner Ehefrau, bessere Zukunft für seine Kinder) gründen sich auf die diesbezüglich glaubhaften und widerspruchsfreien Angaben des BF. Der BF hat diesbezüglich im Wesentlichen gleichbleibende Angaben gemacht.

 

2.6. Soweit das vom BF behauptete Fluchtvorbringen im Hinblick auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan nicht festgestellt werden konnte, ist Folgendes festzuhalten:

 

2.6.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 liegt es auch am BF, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Begriff der "Glaubhaftmachung" im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd § 274 ZPO zu verstehen. Ausgehend von § 274 Abs. 1 letzter Satz ZPO eignet sich nur eine Beweisaufnahme, die sich sofort ausführen lässt (mit Hilfe so genannter "parater" Bescheinigungsmittel) zum Zwecke der Glaubhaftmachung (VwGH 27.05.2014, 2014/16/0003 mwN), wobei der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen seiner asylrechtlichen Spruchpraxis von dieser Einschränkung abweicht.

 

Mit der Glaubhaftmachung ist auch die Pflicht der Verfahrenspartei verbunden, initiativ alles darzulegen, was für das Zutreffen der behaupteten Voraussetzungen spricht und diesbezüglich konkrete Umstände anzuführen, die objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser Voraussetzung liefern. Insoweit trifft die Partei eine erhöhte Mitwirkungspflicht. Allgemein gehaltene Behauptungen reichen für eine Glaubhaftmachung nicht aus (vgl. VwGH 17.10.2007, 2006/07/0007).

 

Die Glaubhaftmachung hat das Ziel, die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit bestimmter Tatsachenbehauptungen zu vermitteln. Glaubhaftmachung ist somit der Nachweis einer Wahrscheinlichkeit. Dafür genügt ein geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit als der, der die Überzeugung von der Gewissheit rechtfertigt (VwGH 29.05.2006, 2005/17/0252). Im Gegensatz zum strikten Beweis bedeutet Glaubhaftmachung ein reduziertes Beweismaß und lässt durchwegs Raum für gewisse Einwände und Zweifel an dem Vorbringen des Asylwerbers. Entscheidend ist, ob die Gründe, die für die Richtigkeit der Sachverhaltsdarstellung sprechen, überwiegen oder nicht. Dabei ist eine objektivierte Sichtweise anzustellen.

 

In diesem Zusammenhang ist der – unmittelbar anzuwendende – Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. L 337, 9, (Statusrichtlinie), maßgeblich:

 

"Artikel 4

 

Prüfung der Tatsachen und Umstände

 

(1) – (4) [ ]

 

(5) Wenden die Mitgliedstaaten den Grundsatz an, wonach der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz begründen muss, und fehlen für Aussagen des Antragstellers Unterlagen oder sonstige Beweise, so bedürfen diese Aussagen keines Nachweises, wenn

 

a) der Antragsteller sich offenkundig bemüht hat, seinen Antrag zu begründen;

 

b) alle dem Antragsteller verfügbaren Anhaltspunkte vorliegen und eine hinreichende Erklärung für das Fehlen anderer relevanter Anhaltspunkte gegeben wurde;

 

c) festgestellt wurde, dass die Aussagen des Antragstellers kohärent und plausibel sind und zu den für seinen Fall relevanten, verfügbaren besonderen und allgemeinen Informationen nicht in Widerspruch stehen;

 

d) der Antragsteller internationalen Schutz zum frühestmöglichen Zeitpunkt beantragt hat, es sei denn, er kann gute Gründe dafür vorbringen, dass dies nicht möglich war; und

 

e) die generelle Glaubwürdigkeit des Antragstellers festgestellt worden ist."

 

2.6.2. Unter diesen Maßgaben ist das Vorbringen eines Asylwerbers also auf seine Glaubhaftigkeit hin zu prüfen. Dabei ist v.a. auf folgende Kriterien abzustellen: Zunächst bedarf es einer persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers, die insbesondere dann getrübt sein wird, wenn sein Vorbringen auf ge- oder verfälschte Beweismittel gestützt ist oder er wichtige Tatsachen verheimlicht respektive bewusst falsch darstellt, im Laufe des Verfahrens das Vorbringen auswechselt oder unbegründet und verspätet erstattet oder mangelndes Interesse am Verfahrensablauf zeigt und die nötige Mitwirkung verweigert.

 

Weiters muss das Vorbringen des Asylwerbers – unter Berücksichtigung der jeweiligen Fähigkeiten und Möglichkeiten – genügend substantiiert sein; dieses Erfordernis ist insbesondere dann nicht erfüllt, wenn der Asylwerber den Sachverhalt sehr vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt, nicht aber in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen. Das Vorbringen hat zudem plausibel zu sein, muss also mit den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung übereinstimmen; diese Voraussetzung ist u.a. dann nicht erfüllt, wenn die Darlegungen mit den allgemeinen Verhältnissen im Heimatland nicht zu vereinbaren sind oder sonst unmöglich erscheinen. Schließlich muss das Fluchtvorbringen in sich schlüssig sein; der Asylwerber darf sich demgemäß nicht in wesentlichen Aussagen widersprechen.

 

2.6.3. Vor diesem Hintergrund geht der zur Entscheidung berufene Richter des Bundesverwaltungsgerichts auf Grund seines in der mündlichen Verhandlung erhaltenen persönlichen Eindrucks des BF davon aus, dass ihm hinsichtlich seines Fluchtvorbringens – aufgrund seiner äußerst vagen, teils widersprüchlichen und nicht nachvollziehbaren Angaben in wesentlichen Punkten – keine Glaubwürdigkeit zukommt. Der BF stützte sein Fluchtvorbringen darauf, dass es nach dem Tod seines Großvaters väterlicherseits zu Grundstücksstreitigkeiten gekommen sei und der BF aus diesem Grund einer Verfolgung seines Onkels ausgesetzt wäre. Der BF war dabei insbesondere nicht in der Lage, übereinstimmende Angaben zum tatsächlichen Motiv des Onkels und dessen etwaigen konkreten Drohungen zu tätigen oder eigene Erinnerungen auch nur ansatzweise zu schildern:

 

2.6.3.1. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht gab der BF anfangs an, es habe vor der Ausreise seiner Familie aus Afghanistan mehrere Drohungen seitens des Onkels gegeben, ohne dies jedoch genauer zu konkretisieren:

 

"R: Hat sich Ihr Onkel ausschließlich für die Grundstücke interessiert oder hat er Sie darüber hinaus auch persönlich bedroht?

 

BF1: Diese Erbschaftsprobleme führten zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen meinem Vater und seinem Bruder. Mein Onkel wollte sich rächen. Er hatte damit gedroht, meinen Vater umzubringen bzw. uns zu entführen, um ihn leiden zu lassen. Es gab also mehrere Drohungen, weshalb mein Vater dann beschlossen hat, das Land zu verlassen.

 

[ ]

 

R: Was war letztendlich das Geschehen oder der Vorfall, der Ihren Vater dazu bewegt hat, mit seiner Familie Afghanistan zu verlassen?

 

BF1: Es waren immer heftiger werdende Auseinandersetzungen mit seiner Familie. Meine Mutter erzählte, dass er dann zu große Angst um unser Leben hatte. Ebenso wollte er, dass wir im Iran eine bessere Bildung erhalten und das alles war ausschlaggebend dafür, dass er beschloss, Afghanistan mit uns zu verlassen."

 

In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 19.12.2016 gab der BF im Widerspruch dazu an, dass es keine Drohungen gegeben habe, sondern der BF und seine Eltern rechtzeitig vor etwaigen Drohungen Afghanistan verlassen hätten und der BF erst im Iran zu einem späteren Zeitpunkt gehört habe, dass der Onkel seiner Familie etwas antun habe wollen:

 

"LA: Gab es konkrete Zwischenfälle mit ihrem Onkel väterlicherseits?

 

VP: Wir sind rechtzeitig davon gekommen. Es ist nicht so weit gekommen, dass er uns etwas antut.

 

LA: Wie sind Sie bzw ihr Vater darauf gekommen, dass ihr Onkel Sie töten wollen würde?

 

VP: Verwandte, welche nach uns in den Iran gekommen sind, haben uns erzählt, dass dieser Onkel nach unserem Blut dürstet. Wenn wir in Afghanistan geblieben wären, hätte dieser Onkel uns umgebracht.

 

LA: Haben Sie in Afghanistan noch nicht gewusst, dass ihr Onkel Sie und Ihre Familie umbringen wollte?

 

VP: Die letzte Nacht in Afghanistan, hatte der Onkel geplant, einen von uns als Geisel zu nehmen. Wir haben aber die letzten Nacht nicht dort verbracht wo wir normalerweise gewesen sind. Natürlich hatten der Onkel und mein Vater schon Diskussionen gehabt. Aber er hätte nicht gedacht, dass mein Vater seinen Hausteil verkauft und wir in den Iran gehen würden.

 

[ ]

 

LA: Woher wussten Sie, dass ihr Onkel jemanden aus Ihrer Familie als Geisel nehmen will?

 

VP: Die Nachbarn haben es meinem Vater erzählt, dass er vorhat einen von uns als Geisel zu nehmen.

 

LA: Warum hätte ihr Onkel das den Nachbarn erzählen sollen?

 

VP: Ich weiß es nicht. Vielleicht haben das seine Kinder erzählt."

 

Abgesehen davon, dass der BF widersprüchlich angab, dass es entweder keine oder doch Drohungen vor seiner Ausreise gegeben habe, war er auch nicht in der Lage, präzise und detaillierte Angaben über die (teils behauptete) Drohung des Onkels zu machen, insbesondere wann diese stattgefunden oder wie sein Vater davon erfahren hat, so dass es bei nicht näher substantiierten Aussagen bleibt.

 

2.6.3.2. Der BF war laut eigenen Angaben 15 Jahre alt, als er Afghanistan verlassen hat. Angenommen es hätte tatsächlich "heftige" Drohungen seitens des Onkels gegeben, wäre zu erwarten, dass der BF zumindest rudimentäre Erinnerungen hat. Dies wurde in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht von ihm aber gänzlich verneint:

 

"R: Haben Sie selbst noch eigene Wahrnehmungen und Erinnerungen an diesen Konflikt?

 

BF1: Nein, nicht wirklich. Ich war 15 Jahre alt und mit anderen Dingen beschäftigt. Es liegt doch schon viele Jahre zurück."

 

2.6.3.3. Auch die Angabe des BF, dass sein Bruder vor 6 Jahren nach Afghanistan zurückgekehrt und eingesperrt worden sei, ist nicht nachvollziehbar, zumal der BF auf weitere Nachfrage schließlich selbst zugab, dass es sich um eine reine Mutmaßung seinerseits handelt.

 

"R: Haben Sie sich seit Ihrer damaligen Ausreise mit ca. 15 Jahren, je wieder in Afghanistan aufgehalten?

 

BF1: Nein. Es wäre viel zu gefährlich gewesen. Mein Bruder beschloss damals nach Afghanistan zurückzugehen. Er sagte, unser Vater hätte Probleme gehabt, doch sie würden uns in Ruhe lassen. Sobald er zurück war, wurde er eingesperrt und von diesem Zeitraum gilt er als verschollen. Dasselbe Schicksal hätte mich wohl auch erwartet."

 

Erst auf weiteres nachfragen des Richters führte er aus, dass es sich um eine reine Vermutung handle, dass sein Bruder eingesperrt worden sei:

 

"R: Wann ist Ihr Bruder nach Afghanistan zurückgekehrt?

 

BF1: Vor sechs Jahren.

 

R: Ist er in die Stadt XXXX gereist oder in einen anderen Landesteil?

 

BF1: Er ist direkt in die Stadt XXXX zurückgegangen, in der Hoffnung, von unserem Onkel in Ruhe gelassen zu werden und sich ein neues Leben dort aufzubauen. Doch wie gesagt mittlerweile gilt er als verschollen und wir wissen nicht, ob er überhaupt noch lebt.

 

R: Hat Ihr Bruder nach seiner Rückkehr nach XXXX Ansprüche bezüglich der Grundstücke gegenüber Ihrem Onkel gestellt?

 

BF1: Das wissen wir nicht. Wir haben ja nichts mehr von ihm gehört.

 

R: Woher wissen Sie, dass Ihr Bruder entführt wurde?

 

BF1: Das ist eine persönliche Vermutung, aber wenn er noch am Leben wäre, hätte er uns irgendeine Nachricht zukommen lassen.

 

[ ]

 

R: Wann hatten Sie das letzte Mal Kontakt mit Ihrem Bruder?

 

BF1: Zuletzt hatte ich vor sechs Jahren Kontakt zu meinem Bruder, als er nach Afghanistan aufbrach.

 

R: Hatten Sie auch noch Kontakt, nachdem Ihr Bruder in Afghanistan angekommen war?

 

BF1: Nein.

 

R: Haben Sie je mit der Familie Ihres Onkel Kontakt aufgenommen, um zu erfragen, wo sich Ihr Bruder befindet?

 

BF1: Wir haben ja keine Kontaktnummer und keine Informationen über sie. Deshalb gibt es auch keine Möglichkeit, diesen Kontakt herzustellen."

 

2.6.3.4. Während der BF vor dem Bundesverwaltungsgericht angab, dass sein Bruder zurückkehren habe wollen und nicht mehr damit gerechnet habe, dass die "alten" Streitigkeiten noch ein Problem darstellen würden, gab der BF vor dem BFA an, dass der Bruder gerade deswegen zurückkehren habe wollen, "um diesen Streit zu schlichten." Mit diesem Widerspruch konfrontiert, gab der BF an. "Nein, so etwas habe ich nie gesagt. Er war nicht in der Situation und im angemessenen Alter, um überhaupt so etwas zu versuchen."

 

Hinzu tritt, dass seitens des Onkels bzw. der Cousins zu keiner Zeit eine Verfolgungshandlung gegenüber dem BF und seiner Familie gesetzt wurde oder glaubhaft dargelegt werden konnte. Auch seine Angaben zu den Mordplänen der Cousins sind lediglich pauschale und vage Angaben. So gab der BF in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht zunächst an, dass seine Cousins sehr machtvoll seien und der BF von Bekannten gehört habe, dass sie Rachepläne gegenüber dem BF hegen würden. Auf Nachfrage konnte er dies aber nicht ansatzweise konkretisieren:

 

"R: Schildern Sie mir bitte, wem gegenüber Ihre Cousins welche genauen Rachepläne geschildert haben?

 

BF1: Das kann ich Ihnen auch nicht genau sagen. Es ist so, dass die Leute in der Nachbarschaft es immer wieder gehört haben, dass sich meine Cousins darüber aufregten, dass mein Vater einen Teil des Anwesens an einen Wildfremden verkauft hätte, mit dem sie immer wieder Probleme hätten.

 

R: Das ist doch ein Unterschied, ob sich jemand über einen Vorfall aufregt, oder Mordpläne gegenüber Ihre Familie schmiedet.

 

BF1: In Afghanistan machen die Menschen selbst die Gesetze. Es wird alles von Vergeltung und Familienfehden geleitet. Wir wissen auch nicht, was meinem Bruder widerfahren ist. Müsste ich jetzt mit meiner Familie zurückkehren, hätte ich niemanden dort, der mich beschützt. Ich hätte nichts, womit ich unseren Lebensunterhalt finanzieren könnte. Wenn eines meiner Kinder entführt würde, hätte ich nicht einmal mehr einen Besitz, mit dem ich sein Leben beschützen könnte. In Wahrheit wäre ich wie ein Fremder, der der Macht der einzelnen Leute ausgeliefert wäre."

 

2.6.3.5. Während sich der BF vor dem BFA darauf beschränkte, von der von seinem Onkel ausgehenden Gefahr bzw. dessen Drohungen zu berichten, erwähnte der BF vor dem Bundesverwaltungsgericht erstmals (zusätzlich) seine Cousins und die von diesen ausgehende Gefahr. Warum er die Cousins im erstinstanzlichen Verfahren nie erwähnt hat, konnte er nicht erklären. Vor dem Bundesverwaltungsgericht betonte er jedoch wiederholt, deren große Macht und deren Rachepläne.

 

2.6.3.6. Der BF erklärte, dass der Onkel deshalb großes Interesse am Grundstück des Vaters gehabt habe, da dieses viel wertvoller gewesen sei, als jenes, das der Onkel geerbt habe. Damit im Widerspruch stehend gab der BF jedoch an, dass sein Vater das (wertvolle) Grundstück unmittelbar vor der Ausreise verkauft habe, jedoch keiner Geld dafür zahlen habe wollen, da es sich um einen Erbschaftsstreitfall gehandelt habe.

 

2.6.3.7. Schließlich waren auch die Angaben des BF zur behaupteten Bedrohung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Quiselbash (Quezelbash) äußerst vage. Er selbst sei nie bedroht worden, mittlerweile würden aber radikale Sunniten, die oftmals prinzipiell gegen die Schiiten seien, gegen die Quiselbash (Quezelbash) vorgehen. Der BF habe im Iran immer wieder Geschichten darüber gehört. Näheres dazu konnte er nicht angeben.

 

2.7. Dem BF kommt aufgrund der oben dargestellten widersprüchlichen und äußerst vagen Angaben hinsichtlich seines Fluchtvorbringens keine Glaubwürdigkeit zu. Aus einer Gesamtschau der oben angeführten Angaben des BF im gesamten Verfahren ergibt sich, dass der BF im gesamten Verfahren trotz der zahlreichen Gelegenheiten nicht imstande war, eine im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bestehende Verfolgungsgefahr glaubhaft zu machen. Es konnte weder eine konkret gegen die Person des BF gerichtete Verfolgungsgefahr festgestellt werden, noch sind im Verfahren sonst Anhaltspunkte hervorgekommen, die eine mögliche Verfolgung im Herkunftsstaat für wahrscheinlich erscheinen lassen hätten.

 

3. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat (Pkt. II.3.):

 

3.1. Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

 

3.2. Die o.a. Länderfeststellungen wurden dem BF mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung übermittelt und dem BF die Möglichkeit eingeräumt, hierzu vor und in der mündlichen Beschwerdeverhandlung eine diesbezügliche Stellungnahme abzugeben. Der BF ist diesen Erkenntnisquellen nicht entgegengetreten. Er hat auf eine diesbezügliche Stellungnahme verzichtet. Auch seine rechtsfreundliche Vertretung ist den Erkenntnisquellen nicht entgegengetreten.

 

IV. Rechtliche Beurteilung:

 

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

 

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

 

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet.

 

Die Gefahr der Verfolgung iSd § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK kann nicht nur ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Sie kann auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende "Gruppenverfolgung", hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (vgl. VwGH 29.04.2015, Ra 2014/20/0151; 17.12.2015, Ra 2015/20/0048). Für das Vorliegen einer Gruppenverfolgung ist nicht entscheidend, dass sich die Verfolgung gezielt gegen Angehörige nur einer bestimmten Gruppe und nicht auch gezielt gegen andere Gruppen richtet. Schutz für Angehörige einer verfolgten Gruppe ist unabhängig davon, ob auch andere Gruppen in vergleichbarer Intensität verfolgt werden, zu gewähren (vgl. VfGH 18.09.2015, E 736/2014). Der Verwaltungsgerichtshof hat erkannt, dass die Ermittlung der asylrelevanten Verfolgungsgefahr (insbesondere unter dem Aspekt einer Gruppenverfolgung) nach rein mathematischen Gesichtspunkten nicht möglich ist; eine solche Betrachtung sei schon vom Ansatz her verfehlt. Entscheidend ist vielmehr, ob der Asylwerber sein Heimatland aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen hat. Dies ist der Fall, wenn sich eine mit Vernunft begabte Person in der konkreten Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat fürchten würde (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771 ua.). Anhand dieses Maßstabes ist auch zu ermitteln, ob eine asylrelevante Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten (etwa ethnischen) Gruppe glaubhaft ist. Dabei spielen Häufigkeit und Intensität der bereits dokumentierten Übergriffe auf Mitglieder dieser Gruppe im Herkunftsstaat eine wesentliche Rolle.

 

Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargestellt, konnte der BF nicht glaubwürdig durch ein konkretes Vorbringen darlegen, inwiefern er bedroht wurde. Dem BF ist es nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der GFK genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen. Sohin kann nicht erkannt werden, dass dem BF aus dem von ihm ins Treffen geführten Gründen im Herkunftsstaat eine asylrelevante Verfolgung droht. Die dahingehenden Ausführungen der Beschwerdeschrift gehen daher ins Leere.

 

Gemäß § 34 Abs. 2 AsylG 2005 hat die Behörde auf Antrag eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen unter weiteren Voraussetzungen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen.

 

Gemäß § 2 Abs. 22 AsylG 2005 ist Familienangehöriger wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits im Herkunftsland bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits im Herkunftsstaat bestanden hat.

 

Der BF ist kein Familienangehöriger seiner Ehegattin iSd § 2 Abs. 22 AsylG 2005, da die Ehe ausschließlich im Iran, nicht aber im Herkunftsstaat des BF bestanden hat.

 

Der BF ist Familienangehöriger seiner drei minderjährigen Kinder iSd § 2 Abs. 22 AsylG 2005. Den beiden Söhnen und der Tochter des BF wurde aufgrund ihrer Eigenschaft als minderjährige Kinder einer Asylberechtigten der Status des Asylberechtigten im Familienverfahren (abgeleitet) zuerkannt.

 

Gemäß § 34 Abs. 6 Z 2 AsylG 2005 ist die oben zitierte Bestimmung des § 34 Abs. 2 AsylG 2005 jedoch nicht auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen eines Verfahrens nach diesem Abschnitt zuerkannt wurde, anzuwenden, es sei denn es handelt sich bei dem Familienangehörigen um ein minderjähriges lediges Kind. Diese Bestimmung verbietet es dem BF, auf Grundlage der "abgeleiteten" Zuerkennung des Status des Asylberechtigten für seine minderjährigen Kinder, von diesen für sich den Status des Asylberechtigten abzuleiten.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Hinblick auf § 34 Abs. 6 Z 2 AsylG 2005 in seinem Erkenntnis vom 02.09.2014 ausgeführt, dass die (einfachgesetzliche) Rechtslage, wonach einer Fremden, deren Ehe mit einem Konventionsflüchtling nicht bereits im Herkunftsstaat bestanden hat und die den Status als Asylberechtigte im Familienverfahren nur aus ihrer Verwandtschaft (Elternteil) zu einem minderjährigen Kind ableiten könnte, das seinerseits Asyl im Rahmen eines Familienverfahrens nach dem Vater erlangt hat, die Begünstigungen des Familienverfahrens nach § 34 AsylG 2005 nicht zukommen, eindeutig ist und keiner Klärung durch den Verwaltungsgerichtshof bedarf (vgl. auch VwGH vom 31.08.2015, Zl. Ra 2015/19/0154). Auch Art. 2 lit. j der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie) verlangt in Bezug auf "Familienangehörige", dass die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat, so der Verwaltungsgerichtshof weiter. Es trifft zwar zu, dass Art. 3 der Statusrichtlinie günstigere Normen im nationalen Recht zulässt. Das bedeutet aber nicht, dass der österreichische Gesetzgeber unionsrechtlich gehalten gewesen wäre, Personen wie dem BF – abweichend von der Statusrichtlinie – die Begünstigungen des Familienverfahrens zukommen zu lassen.

 

Daher ist es auch das Vorbringen der rechtsfreundlichen Vertretung des BF in der schriftlichen Stellungnahme vom 17.05.2017 nicht geeignet, eine abweichende Entscheidung herbeizuführen. In der schriftlichen Stellungnahme wird in erster Linie auf die Statusrichtlinie verwiesen. Ein Blick auf Art. 2 lit. j der Statusrichtlinie zeigt jedoch, dass diese Bestimmung im Hinblick auf die Erfüllung des Begriffes des "Familienangehörigen" eindeutig vorsieht, dass "die Familie bereits im Herkunftsstaat bestanden hat". Sofern der Gesetzgeber in den Erläuternden Bemerkungen zum Fremdenrechtsänderungsgesetz 2017 im Hinblick auf die beabsichtigte Anpassung des Begriffes des "Familienangehörigen" auf die Statusrichtlinie verweist – darauf stützt sich die rechtsfreundliche Vertretung gegenständlich –, ist festzuhalten, dass eine Durchsicht der Statusrichtlinie zum Ergebnis führt, dass dieser Verweis in den Erläuternden Bemerkungen offensichtlich falsch ist und den Gesetzgeber andere Gründe (möglicherweise eine Umsetzung der Familienzusammenführungsrichtlinie in Übereinstimmung mit dem österreichischen System der Trennung des Asylwesens einerseits und dem Niederlassungs- und Aufenthaltsrecht andererseits) zur beabsichtigen Adaptierung veranlasst haben. Selbst eine (theoretische) unmittelbare Anwendung von Art. 2 lit. j. der Statusrichtlinie würde im gegenständlichen Fall folglich zu keinem anderen Ergebnis führen.

 

Das erkennende Gericht ist angehalten, auf Grundlage der aktuellen Gesetzeslage zu entscheiden. Zudem wurde vom BF in gegenständlicher Sache durch persönliche Vorsprache beim BFA kürzlich die Erlassung einer baldigen Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht urgiert.

 

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides ist daher gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abzuweisen.

 

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A) wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte