VfGH G155/2024

VfGHG155/202425.2.2025

Zurückweisung eines Parteiantrags auf Aufhebung von Bestimmungen des KinderbetreuungsgeldG betreffend das Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens wegen zu engen Anfechtungsumfangs

Normen

B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
KinderbetreuungsgeldG §5c Abs1, §24e
VfGG §7 Abs2, §62a Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2025:G155.2024

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG gestützten Antrag begehrt die Antragstellerin, der Verfassungsgerichtshof möge das Wort "pauschalen" in §5c Abs1 sowie §24e erster Satz Kinderbetreuungsgeldgesetz (KBGG), BGBl I 103/2001, idF BGBl I 53/2016, in eventu das Wort "pauschalen" in §5c Abs1 leg cit, in eventu §24e erster Satz leg cit, "als gesetz- und verfassungswidrig aufheben bzw" die "Verfassungswidrigkeit feststellen".

II. Rechtslage

Die maßgeblichen Bestimmungen des KBGG, BGBl I 103/2001, idF BGBl I 53/2016 lauten wie folgt (ohne die Hervorhebungen im Original; die mit dem Hauptantrag angefochtenen Bestimmungen sind hervorgehoben):

"Abschnitt 2

Pauschales Kinderbetreuungsgeld als Konto

[…]

Härtefälleverlängerung

§5c. (1) Ist ein Elternteil aufgrund eines unabwendbaren und unvorhersehbaren Ereignisses, dessen Dauer den Wegfall des gemeinsamen Haushaltes mit dem Kind bewirkt, am Bezug des pauschalen Kinderbetreuungsgeldes für dieses Kind verhindert, so verlängert sich die Bezugsdauer des anderen Elternteiles im Zeitraum der Verhinderung auf Antrag um die Anzahl der Verhinderungstage, maximal aber um

91 Tage. Ein unvorhersehbares und unabwendbares Ereignis im Sinne dieses Gesetzes liegt nur vor bei:

1. Tod,

2. Aufenthalt in einer Heil- und Pflegeanstalt,

3. Gerichtlich oder behördlich festgestellter häuslicher Gewalt sowie Aufenthalt im Frauenhaus aufgrund häuslicher Gewalt,

4. Verbüßung einer Freiheitsstrafe sowie bei einer anderweitigen auf gerichtlicher oder behördlicher Anordnung beruhenden Anhaltung.

Hat der verhinderte Elternteil bereits Kinderbetreuungsgeld für dieses Kind bezogen, so werden seine Bezugstage auf den Verlängerungszeitraum des anderen Elternteiles angerechnet. Der andere Elternteil hat Beginn und (voraussichtliche) Dauer der Verhinderung des verhinderten Elternteiles bekannt zu geben und die anspruchsbegründenden Umstände nachzuweisen. Die Verlängerung nach diesem Absatz endet bei vorzeitigem Ende der Verhinderung. Der Wegfall des gemeinsamen Haushaltes mit dem Kind ist nur bei einer nicht bloß vorübergehenden Dauer des Ereignisses anzunehmen (§2 Abs6). Dem Wegfall des gemeinsamen Haushaltes mit dem Kind gleichzustellen ist der Wegfall des gemeinsamen Haushaltes mit der mit diesem Kind schwangeren Frau. Kein Anspruch auf Verlängerung besteht, sofern der nicht verhinderte Elternteil eine Ehe oder nicht-eheliche Lebensgemeinschaft mit einer anderen Person als der Kindesmutter oder dem Kindesvater eingeht.

[…]

[…]

Abschnitt 5

Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens

[…]

Anzuwendende Bestimmungen

§24e. §1, §2 Abs6 bis 9, §4, §4a, §5b, §6, §7 Abs1, §8, §8a Abs1 sowie Abschnitte 5a bis 12 sind neben dem pauschalen Kinderbetreuungsgeld als Konto auch auf das Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens anzuwenden. Ein Umstieg von Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens auf das pauschale Kinderbetreuungsgeld als Konto oder umgekehrt ist ausgenommen im Fall des §26a dritter Satz nicht möglich. Abweichend von §42 gilt das Kinderbetreuungsgeld nach diesem Abschnitt als Einkommen des beziehenden Elternteiles und mindert dessen Unterhaltsansprüche."

III. Anlassverfahren, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Die Antragstellerin ist Mutter eines im November 2021 geborenen Kindes und bezog vom 10. Februar 2022 bis 16. November 2022 Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens. Nach dem Tod ihres Lebensgefährten und Vater des Kindes im Juni 2022 stellte sie am 16. Dezember 2022 einen Antrag auf "Härtefälle‑Verlängerung des pauschalen Kinderbetreuungsgeldes (Konto)" für einen näher bezeichneten Zeitraum, den die Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen mit Bescheid vom 7. Februar 2023 abwies.

2. Gegen diesen Bescheid erhob die Antragstellerin Klage an das Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits‑ und Sozialgericht, das das Klagebegehren mit Urteil vom 28. Februar 2024 – der Antragstellerin zugestellt am 2. September 2024 – abwies. Begründend führte es auf das Wesentliche zusammengefasst aus, dass §5c Abs1 KBGG idF BGBl I 53/2016 ausdrücklich nur auf das pauschale Kinderbetreuungsgeld Bezug nehme und auch §24e leg cit nicht auf §5c Abs1 leg cit verweise. Eine verfassungskonforme Interpretation scheide schon aus diesem Grund aus, zudem komme eine analoge Anwendung mangels planwidriger Lücke nicht in Betracht. Schließlich würden auch die vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken nicht geteilt.

3. Gegen dieses Urteil erhob die Antragstellerin Berufung und stellte aus Anlass dieses Rechtsmittels unter einem den vorliegenden Gesetzesprüfungsantrag, mit dem sie die Verfassungswidrigkeit des Wortes "pauschalen" in §5c Abs1 sowie des §24e erster Satz KBGG idF BGBl I 53/2016 geltend macht: Bei der Regelung des §5c Abs1 leg cit handle es sich um eine gleichheitswidrige Differenzierung zwischen Beziehern des pauschalen Kinderbetreuungsgeldes und des Kinderbetreuungsgeldes als Ersatz des Erwerbseinkommens; auch die "Verweisungsnorm" des §24e leg cit sei verfassungswidrig und verletze den Gleichheitsgrundsatz, weil sie Bezieher von Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens von der "Härtefälleverlängerung" ausschließe.

Hinsichtlich der Zulässigkeit ihres Antrages führt die Antragstellerin unter anderem aus, dass ihrer Klage im Falle der Aufhebung der angefochtenen Bestimmungen vollinhaltlich Folge zu geben gewesen wäre, weil die "Härtefälleverlängerung" nicht mehr ausdrücklich auf das pauschale Kinderbetreuungsgeld beschränkt wäre. Dadurch würde ein verfassungskonformer Zustand hergestellt werden.

4. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie insbesondere der Zulässigkeit des Gesetzesprüfungsantrages entgegentritt, unter anderem mit dem Argument, die Aufhebung des Wortes "pauschalen" in §5c Abs1 und des §24e erster Satz KBGG idF BGBl I 53/2016 sei nicht geeignet, die von der Antragstellerin behauptete Verfassungswidrigkeit zu beseitigen. Der §5c Abs1 leg cit sei in den zweiten Abschnitt inkorporiert, der ausschließlich Regelungen zum pauschalen Kinderbetreuungsgeld als Konto vorsehe; die Bestimmungen zum Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens seien hingegen im fünften Abschnitt (§§24 bis 24e leg cit) geregelt. Die in §24e erster Satz leg cit genannten Bestimmungen würden nur aufgrund des expliziten Verweises auch auf das Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens anwendbar; daraus ergebe sich e contrario, dass die in §24e erster Satz leg cit nicht genannten Bestimmungen auf das Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens nicht anzuwenden seien. Eine Aufhebung des Wortes "pauschalen" in §5c Abs1 und des §24e erster Satz KBGG idF BGBl I 53/2016 führe daher nicht automatisch dazu, dass die "Härtefälleverlängerung" auch auf das Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens Anwendung fände; vielmehr wäre es erforderlich, den §5c Abs1 leg cit in die Aufzählung des §24e erster Satz leg cit aufzunehmen. Jedoch räume weder Art140 B‑VG noch eine andere (Verfassungs‑)Bestimmung dem Verfassungsgerichtshof die Befugnis ein, Rechtsvorschriften anders als durch Aufhebung zu verändern (vgl VfGH 13.12.2017, G111/2017).

Für den Fall, dass der Verfassungsgerichtshof den Hauptantrag oder einen der beiden Eventualanträge dennoch als zulässig erachten sollte, hat die Bundesregierung auch in der Sache Stellung genommen.

IV. Erwägungen

1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels. Nach §62a Abs1 erster Satz VfGG idF BGBl I 78/2016 kann eine Person, die als Partei in einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, einen Antrag stellen, das Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben.

2. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.

Dieser Grundposition folgend hat der Verfassungsgerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl VfSlg 16.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011, 20.154/2017). Der Antragsteller hat all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des Antragstellers teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.684/2012, 19.903/2014; VfGH 10.3.2015, G201/2014).

Unzulässig ist der Antrag etwa dann, wenn der im Falle der Aufhebung im begehrten Umfang verbleibende Rest einer Gesetzesstelle als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar wäre (VfSlg 16.279/2001, 19.413/2011; VfGH 19.6.2015, G211/2014; 7.10.2015, G444/2015; VfSlg 20.082/2016), der Umfang der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen so abgesteckt ist, dass die angenommene Verfassungswidrigkeit durch die Aufhebung gar nicht beseitigt würde (vgl zB VfSlg 18.891/2009, 19.933/2014), oder durch die Aufhebung bloßer Teile einer Gesetzesvorschrift dieser ein völlig veränderter, dem Gesetzgeber überhaupt nicht mehr zusinnbarer Inhalt gegeben würde (VfSlg 18.839/2009, 19.841/2014, 19.972/2015, 20.102/2016).

3. Vor diesem Hintergrund erweist sich der Antrag als unzulässig:

3.1. Die Antragstellerin sieht die Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Bestimmungen im Wesentlichen darin begründet, dass die "Härtefälleverlängerung" des §5c Abs1 KBGG idF BGBl I 53/2016 nur auf das pauschale Kinderbetreuungsgeld anwendbar sei und §24e leg cit eine Anwendung des §5c leg cit auf das Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens nicht vorsehe.

3.2. Wie die Bundesregierung jedoch zutreffend ausführt, würde weder eine Aufhebung beider mit dem Hauptantrag angefochtenen Bestimmungen noch die alternative Aufhebung einer der beiden mit dem ersten bzw zweiten Eventualantrag angefochtenen Bestimmungen die von der Antragstellerin behauptete Verfassungswidrigkeit beseitigen:

3.2.1. Die Bestimmung des §5c KBGG idF BGBl I 53/2016 ist in Abschnitt 2 ("Pauschales Kinderbetreuungsgeld als Konto") des Kinderbetreuungsgeldgesetzes inkorporiert und sieht in Abs1 unter näher festgelegten Voraussetzungen eine "Härtefälleverlängerung" vor, wenn "ein Elternteil aufgrund eines unabwendbaren und unvorhersehbaren Ereignisses, dessen Dauer den Wegfall des gemeinsamen Haushaltes mit dem Kind bewirkt, am Bezug des pauschalen Kinderbetreuungsgeldes für dieses Kind verhindert [ist]". Die Bestimmung des §24e KBGG idF BGBl I 53/2016 befindet sich demgegenüber in Abschnitt 5 ("Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens") des Kinderbetreuungsgeldgesetzes und zählt in ihrem ersten Satz explizit jene Bestimmungen auf, die "neben dem pauschalen Kinderbetreuungsgeld als Konto auch auf das Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens anzuwenden [sind]".

3.2.2. Vor diesem Hintergrund würde weder eine Aufhebung des Wortes "pauschalen" in §5c Abs1 sowie des §24e erster Satz KBGG idF BGBl I 53/2016 (Hauptantrag) noch eine alternative Aufhebung entweder des Wortes "pauschalen" in §5c Abs1 leg cit (erster Eventualantrag) oder des §24e erster Satz leg cit (zweiter Eventualantrag) dazu führen, dass die "Härtefälleverlängerung" auch auf das Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens Anwendung fände. Denn in jedem Fall – insbesondere auch dann, wenn §5c Abs1 leg cit nicht mehr explizit auf das pauschale Kinderbetreuungsgeld abstellen würde – ergäbe sich auf Grund der Gesetzessystematik weiterhin, dass §5c Abs1 leg cit (nur) auf das pauschale Kinderbetreuungsgeld Anwendung finden soll.

3.3. Der Antrag erweist sich damit als zu eng gefasst und ist daher schon aus diesem Grund unzulässig.

V. Ergebnis

1. Der Antrag ist daher als unzulässig zurückzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte