Normen
B-VG Art11 Abs2
B-VG Art18 Abs1
B-VG Art136 Abs2
B-VG Art140 Abs1 Z1 lita
Oö Natur- und LandschaftsschutzG 2001 §1, §14, §24, §25, §34a, §39, §39a, §39b, §43a
Oö UmweltschutzG 1996 §4, §5
Oö Bauo 1994 §56
UVP-G 2000 §19
GewO 1994 §78
VwGVG §13
AVG §73
Übereinkommen von Aarhus, BGBl III 88/2005 Art9
VfGG §7 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2024:G10.2024
Spruch:
I. §43a des Landesgesetzes über die Erhaltung und Pflege der Natur (Oö Natur- und Landschaftsschutzgesetz 2001 - Oö NSchG 2001), LGBl Nr 129/2001, idF LGBl Nr 35/2014 wird zur Gänze als verfassungswidrig aufgehoben.
II. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.
III. Die aufgehobene Bestimmung ist nicht mehr anzuwenden.
IV. Der Landeshauptmann von Oberösterreich ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt für Oberösterreich verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Anträge
Mit den vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG gestützten Anträgen begehrt das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich jeweils,
"(1.) §43a Oö NSchG 2001, LGBGl. Nr 129/2001, idF LGBl Nr 35/2014 dem gesamten Umfang nach […], in eventu
(2.) §43a Abs2 und Abs3 Oö NSchG 2001, LGBl Nr 129/2001, idF LGBl Nr 35/2014 zur Gänze sowie in §43a Abs1 Oö NSchG 2011, LGBl Nr 129/2001, idF LGBl Nr 35/2014 die Wort- und Zeichenfolgen 'keine' und ' , wenn durch den angefochtenen Bescheid eine Berechtigung eingeräumt wird' […], in eventu
(3.) §43a Abs1 und Abs2 Oö NSchG 2001, LGBl Nr 129/2001, idF LGBl Nr 35/2014 zur Gänze sowie in §43a Abs3 Oö NSchG 2001, LGBl 129/2001, idF LGBl Nr 35/2014 die Wortfolgen 'gemäß Abs2' und 'keine' […]"
als verfassungswidrig aufzuheben.
II. Rechtslage
1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Oö Natur- und Landschaftsschutzgesetzes 2001 (Oö NSchG 2001), LGBl 129/2001, idF LGBl 62/2024 lauten auszugsweise wie folgt (die angefochtenen Bestimmungen sind hervorgehoben):
"I. ABSCHNITT
Allgemeine Bestimmungen
§1
Zielsetzungen und Aufgaben
(1) Dieses Landesgesetz hat zum Ziel, die heimische Natur und Landschaft in ihren Lebens- oder Erscheinungsformen zu erhalten, sie zu gestalten und zu pflegen und dadurch dem Menschen eine ihm angemessene bestmögliche Lebensgrundlage zu sichern (öffentliches Interesse am Natur- und Landschaftsschutz).
(2) Durch dieses Landesgesetz werden insbesondere geschützt:
1. das ungestörte Wirkungsgefüge des Naturhaushaltes (Ablauf natürlicher Entwicklungen);
2. der Artenreichtum der heimischen Pflanzen-, Pilz- und Tierwelt (Artenschutz) sowie deren natürliche Lebensräume und Lebensgrundlagen (Biotopschutz);
3. die Vielfalt, Eigenart, Schönheit und der Erholungswert der Landschaft;
4. Mineralien und Fossilien;
5. Naturhöhlen und deren Besucher. […]
§14
Bewilligungen
(1) Eine Bewilligung gemäß den §§5, 9, 10, 11 oder 12 oder die in einer auf Grund einer dieser Bestimmungen erlassenen Verordnung vorgesehen ist, ist zu erteilen, 1. wenn das Vorhaben, für das die Bewilligung beantragt wurde, weder den Naturhaushalt oder die Grundlagen von Lebensgemeinschaften von Pflanzen-, Pilz- und Tierarten in einer Weise schädigt noch den Erholungswert der Landschaft in einer Weise beeinträchtigt noch das Landschaftsbild in einer Weise stört, die dem öffentlichen Interesse am Natur- und Landschaftsschutz zuwiderläuft oder
2. wenn öffentliche oder private Interessen am beantragten Vorhaben das öffentliche Interesse am Natur- und Landschaftsschutz überwiegen. Ansonsten ist eine Bewilligung zu versagen.
(2) Eine Bewilligung ist unter Bedingungen, befristet oder mit Auflagen zu erteilen, wenn dies erforderlich ist, um Schädigungen, Beeinträchtigungen bzw Störungen der im Abs1 Z1 erwähnten Art auszuschließen oder auf ein möglichst geringes Ausmaß zu beschränken. In diesem Rahmen kann auch die Vornahme von Rekultivierungsmaßnahmen vorgeschrieben werden.
(3) Sind Vorhaben gemäß §5 Z1, 6, 7, 11 (hinsichtlich jener Teilflächen, die nicht wieder rekultiviert werden), 12, 18, 20 oder 21 oder §9 Abs2 Z2 lite und §10 Abs2 Z2 litf mit nachhaltigen, schwerwiegenden Schädigungen und Beeinträchtigungen von wertvollen natürlichen Lebensräumen verbunden und ist trotzdem auf Grund einer Interessenabwägung (Abs1 Z2) eine Bewilligung zu erteilen, sind nach Maßgabe von der Landesregierung durch Verordnung zu erlassender Richtlinien (Abs5) und auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens Ausgleichsmaßnahmen vorzuschreiben.
(4) Werden durch Vorhaben gemäß §5 Z1, 6, 7, 11 (hinsichtlich jener Teilflächen, die nicht wieder rekultiviert werden), 12, 18, 20 oder 21 oder §9 Abs2 Z2 lite und §10 Abs2 Z2 litf Funktionen von Lebensräumen besonders geschützter Pflanzen- und Tierarten nachhaltig geschädigt, und ist trotzdem auf Grund einer Interessenabwägung (Abs1 Z2) eine Bewilligung zu erteilen, können nach Maßgabe von der Landesregierung durch Verordnung zu erlassender Richtlinien (Abs5) und auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens Ausgleichsmaßnahmen vorgeschrieben werden.
(5) Die Landesregierung hat durch Verordnung Richtlinien für die Vorschreibung von Ausgleichsmaßnahmen zu erlassen und dabei insbesondere festzulegen:
1. die wertvollen natürlichen Lebensräume, deren nachhaltige, schwerwiegende Schädigungen und Beeinträchtigungen die Vorschreibung von Ausgleichsmaßnahmen gemäß Abs3 erfordern,
2. die Lebensräume, deren Funktionen für besonders geschützte Pflanzen- und Tierarten die Vorschreibung von Ausgleichsmaßnahmen gemäß Abs4 erfordern können,
3. Kriterien für die Beurteilung von Schädigungen und Beeinträchtigungen als nachhaltig und schwerwiegend,
4. die Grundsätze hinsichtlich Ort, Art, Inhalt und Umfang möglicher Ausgleichsmaßnahmen einschließlich der Methode für die Berechnung von Ausgleichsmaßnahmen - dabei ist insbesondere auch festzulegen, dass
- Vorleistungen durch die Bevorratung von Flächen unter näher zu bestimmenden Voraussetzungen anerkannt werden müssen und
- der Erwerb von Flächen zur Durchführung von Ausgleichsmaßnahmen nur soweit vorgeschrieben werden kann, als der dafür zu entrichtende Preis wirtschaftlich vertretbar ist. […]
§25
Naturschutzgebiete
(1) Gebiete,
1. die sich durch völlige oder weitgehende Ursprünglichkeit oder Naturnähe auszeichnen oder
2. die selten gewordene Tierarten, Pflanzen oder Pflanzengesellschaften beherbergen oder reich an Naturdenkmalen sind,
können durch Verordnung der Landesregierung zu Naturschutzgebieten erklärt werden, wenn das öffentliche Interesse am Naturschutz alle anderen Interessen überwiegt.
(2) Soweit die nähere Umgebung von Gebieten im Sinn des Abs1 für die unmittelbare Sicherung des Schutzzweckes unbedingt notwendig ist, kann sie in das Schutzgebiet einbezogen werden.
(3) Die Landesregierung hat in einer Verordnung nach Abs1 festzulegen:
1. die Grenzen des Naturschutzgebietes und
2. die allenfalls zur Sicherung des Schutzzweckes notwendigen Maßnahmen.
(4) Die Landesregierung kann in einer Verordnung gemäß Abs1 bestimmte Eingriffe in ein Naturschutzgebiet - allenfalls nach Durchführung eines Anzeigeverfahrens gemäß §6 Abs2 bis 7 - gestatten, wenn das öffentliche Interesse an seinem Schutz nicht überwiegt. Dabei dürfen in einem Naturschutzgebiet, das gleichzeitig Europaschutzgebiet gemäß §24 ist, nur solche Maßnahmen und Nutzungen erlaubt werden, die zu keiner wesentlichen Beeinträchtigung des Schutzzweckes des Europaschutzgebietes (§24) führen können. Sonstige Eingriffe im Sinn des §3 Z3 in ein Naturschutzgebiet sind verboten, es sei denn, dass sie auf Grund gesetzlicher Bestimmungen oder im Interesse der Sicherheit von Menschen oder zur Abwehr der Gefahr bedeutender Sachschäden vorgenommen werden müssen.
(5) Die Landesregierung kann im Einzelfall Ausnahmen von den Verboten bewilligen, wenn dadurch der Schutzzweck, insbesondere im Hinblick auf ein Europaschutzgebiet, nicht wesentlich beeinträchtigt wird. §14 Abs2 ist sinngemäß anzuwenden. […]
§39
Parteistellung der Oö Umweltanwaltschaft
Die Oö Umweltanwaltschaft hat in Verfahren zur Erteilung von Bewilligungen gemäß den §§14 und 25 Abs5 in Naturschutzgebieten, die nicht gleichzeitig Europaschutzgebiete oder Teile von Europaschutzgebieten sind, sowie gemäß §31, sofern nicht geschützte Pflanzen- und Tierarten, die im Anhang IV der FFH-Richtlinie aufgelistet oder von Art1 der Vogelschutz-Richtlinie erfasst sind, betroffen sind, Parteistellung nach Maßgabe des §5 Abs1 Oö Umweltschutzgesetz 1996. […]
§39a
Zuerkennung von Beteiligten- und Beschwerderechten an Umweltorganisationen
(1) Berechtigte Umweltorganisationen im Sinn dieses Landesgesetzes sind Vereine oder Stiftungen, die gemäß §19 Abs7 des Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetzes 2000 (UVP-G 2000), BGBl Nr 697/1993, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 80/2018, zur Ausübung von Parteienrechten in Oberösterreich befugt sind. […]
§39b
Beteiligung von berechtigten Umweltorganisationen an Verwaltungsverfahren und Rechtsmittelbefugnis
(1) Bei
1. Vorhaben gemäß §24 Abs3 oder
2. Vorhaben gemäß §25 Abs5, die Naturschutzgebiete betreffen, die gleichzeitig auch Europaschutzgebiete oder Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung im Sinn des Art4 Abs2 UAbs3 der FFH-Richtlinie sind,
ist der verfahrenseinleitende Antrag und in weiterer Folge das dazu von der Behörde eingeholte Sachverständigengutachten auf der elektronischen Plattform gemäß §39a Abs2 bereitzustellen. Ab dem Tag der Bereitstellung des verfahrenseinleitenden Antrags ist berechtigten Umweltorganisationen Einsicht in den Verwaltungsakt zu gewähren.
(2) Bis zum Ablauf von vier Wochen ab dem Tag der gemäß Abs1 erfolgten Bereitstellung des von der Behörde eingeholten Sachverständigengutachtens, im Fall der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung spätestens bei dieser, können berechtigte Umweltorganisationen eine begründete Stellungnahme zum Vorhaben abgeben.
(3) Begründete Stellungnahmen sind bei der Entscheidung über Anträge für die im Abs1 genannten Vorhaben zu berücksichtigen.
(4) Berechtigte Umweltorganisationen haben das Recht, gegen Bescheide gemäß 1. §14
- mit Auswirkungen auf den Schutzzweck eines Europaschutzgebiets oder eines Gebiets von gemeinschaftlicher Bedeutung im Sinn des Art4 Abs2 UAbs3 der FFH‑Richtlinie oder
- sofern geschützte Pflanzen- und Tierarten, die im Anhang IV der FFH‑Richtlinie aufgelistet oder von Art1 der Vogelschutz‑Richtlinie erfasst sind, betroffen sind,
2. §24 Abs3 und 3b,
3. §25 Abs5
- die Naturschutzgebiete betreffen, die gleichzeitig auch Europaschutzgebiete oder Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung im Sinn des Art4 Abs2 UAbs3 der FFH-Richtlinie sind, oder
- sofern geschützte Pflanzen- und Tierarten, die im Anhang IV der FFH‑Richtlinie aufgelistet oder von Art1 der Vogelschutz-Richtlinie erfasst sind, betroffen sind,
4. §29 Abs1 iVm. §30, sofern geschützte Pflanzen- und Tierarten, die im Anhang IV der FFH‑Richtlinie aufgelistet oder von Art1 der Vogelschutz-Richtlinie erfasst sind, betroffen sind, sowie
5. §31, sofern geschützte Pflanzen- und Tierarten, die im Anhang IV der FFH‑Richtlinie aufgelistet oder von Art1 der Vogelschutz‑Richtlinie erfasst sind, betroffen sind,
Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht zu erheben, und zwar wegen Verletzung von Vorschriften dieses Landesgesetzes, soweit sie Bestimmungen der FFH‑Richtlinie und der Vogelschutz‑Richtlinie umsetzen.
(5) Bescheide gemäß Abs4 sind auf der elektronischen Plattform gemäß §39a Abs2 bereitzustellen. Mit Ablauf von zwei Wochen ab dem Tag der Bereitstellung gilt der Bescheid den berechtigten Umweltorganisationen als zugestellt. Ab dem Tag der Bereitstellung ist ihnen Einsicht in den Verwaltungsakt zu gewähren.
(6) Beschwerden von berechtigten Umweltorganisationen sind binnen vier Wochen ab der Zustellung (Abs5) schriftlich bei der Behörde einzubringen.
(7) Die Beschwerde einer berechtigten Umweltorganisation gegen Bescheide gemäß Abs4 Z2 oder 3 erster Spiegelstrich ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn die Berechtigung der Umweltorganisation bereits vor der Bereitstellung des von der Behörde eingeholten Sachverständigengutachtens auf der elektronischen Plattform gemäß §39a Abs2 bestanden hat und die Umweltorganisation innerhalb der Frist des Abs2 keine begründete Stellungnahme abgegeben hat, sofern in der Beschwerde Einwände oder Gründe erstmals vorgebracht werden und dieses erstmalige Vorbringen missbräuchlich oder unredlich ist. […]
§43a
Aufschiebende Wirkung von Beschwerden
(1) In den Angelegenheiten dieses Landesgesetzes haben Beschwerden gemäß Art130 Abs1 Z1 B‑VG keine aufschiebende Wirkung, wenn durch den angefochtenen Bescheid eine Berechtigung eingeräumt wird.
(2) Die Behörde hat jedoch auf Antrag der beschwerdeführenden Partei die aufschiebende Wirkung mit Bescheid zuzuerkennen, wenn dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien mit der Ausübung der durch den angefochtenen Bescheid eingeräumten Berechtigung für die beschwerdeführende Partei ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.
(3) Die Beschwerde gegen einen Bescheid gemäß Abs2 hat keine aufschiebende Wirkung."
2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Oö Umweltschutzgesetzes 1996 (Oö USchG 1996), LGBl 84/1996, idF LGBl 24/2024 lauten ohne die Hervorhebungen im Original wie folgt:
"§4
O.ö. Umweltanwaltschaft
(1) Am Sitz der Landesregierung wird eine 'O.ö. Umweltanwaltschaft' eingerichtet. Sie besteht aus dem Leiter der O.ö. Umweltanwaltschaft (O.ö. Umweltanwalt), der von der Landesregierung nach Anhörung des Umweltbeirates zu bestellen ist, und dem erforderlichen Personal. Die Landesregierung hat das Verfahren zur Bestellung des O.ö. Umweltanwalts durch Verordnung zu regeln. Sie hat dabei vorzusehen, daß die Funktion des O.ö. Umweltanwalts durch Verlautbarung in der Amtlichen Linzer Zeitung öffentlich auszuschreiben ist, und festzulegen, welche fachlichen und persönlichen Voraussetzungen Bewerber für diese Funktion erfüllen müssen. Der O.ö. Umweltanwalt ist jeweils für die Dauer der Funktionsperiode der Landesregierung zu bestellen; er hat auch nach dem Ablauf seiner Amtsdauer die Geschäfte bis zur Bestellung eines Nachfolgers weiterzuführen.
(2) (Verfassungsbestimmung) Die O.ö. Umweltanwaltschaft ist ein Organ des Landes Oberösterreich ohne eigene Rechtspersönlichkeit. Der O.ö. Umweltanwalt ist als Leiter der O.ö. Umweltanwaltschaft bei Besorgung der im Abs5 genannten Aufgaben in fachlicher Hinsicht an keine Weisungen gebunden; die ihm nachgeordneten Bediensteten sind in diesen Angelegenheiten ausschließlich an die Weisungen des O.ö. Umweltanwalts gebunden. […]
(4) Die O.ö. Umweltanwaltschaft hat ihre Aufgaben nach den Erfordernissen der Hintanhaltung schädlicher Einwirkungen auf die Umwelt, jedoch bei vertretbarer Bedachtnahme auf andere Interessen wahrzunehmen und ihre Anträge zu begründen.
(5) Die Aufgaben der O.ö. Umweltanwaltschaft sind:
1. die Vertretung der Interessen des Umweltschutzes in Verwaltungsverfahren nach Maßgabe des §5 Abs1;
2. die Wahrnehmung von Mißständen im Interesse des Umweltschutzes nach Maßgabe des §5 Abs2;
3. die Unterstützung der Gemeinden und Gemeindemitglieder bei Ausübung der ihnen nach diesem Gesetz zustehenden Rechte nach den Grundsätzen des Abs4;
4. die Beratung von Gemeindemitgliedern bei privaten Maßnahmen, die für den Umweltschutz bedeutsam sind;
5. soweit erforderlich, die Durchführung von Informationsveranstaltungen über konkrete Projekte im Zusammenhang mit Verwaltungsverfahren im Sinn des §3 auf Ersuchen der Behörde, der Gemeinden, von Vereinigungen von Gemeindemitgliedern ('Bürgerinitiativen') oder aus eigenem Antrieb;
6. die Begutachtung von Gesetzen, Verordnungen und sonstigen Rechtsnormen, die einer Begutachtung zugeführt werden, aus der Sicht des Umweltschutzes;
7. Anregungen zur besseren Gestaltung der Umwelt zu geben. […]
§5
Rechte der O.ö. Umweltanwaltschaft in Verwaltungsverfahren; Mißstandskontrolle; Amtshilfe
(1) Die O.ö. Umweltanwaltschaft hat in den von den jeweiligen Landesgesetzen bezeichneten Verfahren zur Wahrung des Umweltschutzes, insbesondere zur Vermeidung von schädlichen Einwirkungen auf die Umwelt, Parteistellung im Sinn des §8 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) sowie das Recht, gegen den das Verfahren abschließenden Bescheid Beschwerde gemäß Art130 Abs1 Z1 B‑VG an das Landesverwaltungsgericht und Revision gemäß Art133 Abs8 B‑VG an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben. Die O.ö. Umweltanwaltschaft kann auf ihre Parteienrechte auch verzichten. In Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereichs der Gemeinden besteht diese Parteistellung nur dann, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass eine erhebliche Gefährdung oder Schädigung für die Umwelt vorliegt oder das Vorhaben geeignet ist, eine solche erhebliche Gefährdung oder Schädigung herbeizuführen. Die Oö Umweltanwaltschaft hat bei der Ausübung ihrer Parteistellung auf andere, insbesondere sonstige öffentliche Interessen soweit wie möglich Rücksicht zu nehmen. Sie hat ihre Parteistellung objektiv und unabhängig von den Parteien und vom beantragten Gesamtziel oder Ergebnis des Verfahrens sowie nach den Erfordernissen der Hintanhaltung erheblicher und dauernder Schädigungen der Umwelt, jedoch unter größtmöglicher Schonung anderer Interessen, auszuüben und ihre Anbringen gegenüber der Behörde zu begründen.
(2) Bei begründetem Verdacht auf Nichteinhaltung landesgesetzlicher Bestimmungen, die dem Interesse des Umweltschutzes dienen, hat die zuständige Behörde, nachdem ihr die Mißstände von der O.ö. Umweltanwaltschaft angezeigt worden sind, dieser Auskunft zu geben, ob und welche Veranlassungen in der aufgezeigten Angelegenheit getroffen worden sind. Die Behörde ist gegenüber der O.ö. Umweltanwaltschaft verpflichtet, die von ihr gesetzten Schritte bzw deren Unterbleiben zu begründen. Diese Berechtigung der O.ö. Umweltanwaltschaft besteht insbesondere auch gegenüber der im Rahmen der Gemeindeaufsicht zuständigen Aufsichtsbehörde.
(3) Die Behörden und Dienststellen haben der O.ö. Umweltanwaltschaft die zur Ausübung ihrer gesetzlichen Aufgaben notwendige Unterstützung zu gewähren. Die O.ö. Umweltanwaltschaft ist auch gegenüber den nach §2 Abs2 berechtigten Gemeinden und Gemeindemitgliedern zur Verschwiegenheit über solche ihr ausschließlich aus ihrer amtlichen Tätigkeit bekanntgewordenen Tatsachen verpflichtet, deren Geheimhaltung im Interesse der Parteien geboten ist."
3. §13 des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG), BGBl I 33/2013, idF BGBl I 109/2021 lautet auszugsweise und ohne die Hervorhebungen im Original wie folgt:
"Aufschiebende Wirkung
§13. (1) Eine rechtzeitig eingebrachte und zulässige Beschwerde gemäß Art130 Abs1 Z1 B‑VG hat aufschiebende Wirkung.
(2) Die Behörde kann die aufschiebende Wirkung mit Bescheid ausschließen, wenn nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien der vorzeitige Vollzug des angefochtenen Bescheides oder die Ausübung der durch den angefochtenen Bescheid eingeräumten Berechtigung wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist. Ein solcher Ausspruch ist tunlichst schon in den über die Hauptsache ergehenden Bescheid aufzunehmen. […]"
III. Anlassverfahren, Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Dem beim Verfassungsgerichtshof zur Zahl G10/2024 protokollierten Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
1.1. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Gmunden vom 7. Juni 2023 wurde der vor dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich mitbeteiligten Partei die naturschutzrechtliche Bewilligung für den Neubau einer Bootshütte auf einem näher genannten Grundstück im 500 m‑Seeuferschutzbereich des Hallstätter Sees befristet bis zum 31. Dezember 2024 erteilt. Die Entscheidung über die beantragte unbefristete Erteilung der naturschutzrechtlichen Bewilligung für dasselbe Objekt wurde einem gesonderten Bescheid vorbehalten.
1.2. Gegen diese naturschutzrechtliche Bewilligung erhob die Oö Umweltanwaltschaft rechtzeitig Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich und beantragte zugleich, dieser die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Gmunden vom 31. August 2023 wurde der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung abgewiesen.
1.3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich anhängige Beschwerde der Oö Umweltanwaltschaft, in der einerseits die Stattgabe des Antrages auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung begehrt und andererseits die Einleitung eines Verfahrens gemäß Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG zur Prüfung des §43a Oö NSchG 2001 beim Verfassungsgerichtshof angeregt wird.
2. Dem beim Verfassungsgerichtshof zur Zahl G44/2024 protokollierten Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
2.1. Mit Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 27. November 2023 wurde der mitbeteiligten Partei antragsgemäß die naturschutzrechtliche Bewilligung für die Erdgas‑Aufschlussbohrung „Welchau 1" im Nahbereich des Naturschutzgebietes Jaidhaus und für weitere Maßnahmen im Zusammenhang mit der Bohrung auf näher genannten Grundstücken, teilweise im 50 m‑Uferschutzbereich des Sandernbaches, unter Vorschreibung von Auflagen und einer Befristung (der Bohr- und Testarbeiten bis 31. März 2024) erteilt.
2.2. Gegen diesen Bescheid erhoben im Sinne des §39a Oö NSchG 2001 berechtigte Umweltorganisationen rechtzeitig Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich und beantragten zugleich, dieser Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
2.3. Mit Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 18. Jänner 2024 wurden die Anträge auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung mit näherer Begründung abgewiesen.
2.4. Die gegen diesen Bescheid von den Umweltorganisationen erhobenen Beschwerden sind beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich anhängig. Darin wird einerseits die Stattgabe des Antrages auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung begehrt und andererseits die Einleitung eines Verfahrens gemäß Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG zur Prüfung des §43a Oö NSchG 2001 beim Verfassungsgerichtshof angeregt.
3. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich legt die Bedenken, die es zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof in dem zur Zahl G10/2024 protokollierten Verfahren veranlasst haben, wie folgt dar:
3.1. Zur Präjudizialität der angefochtenen Bestimmungen führt das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich das Folgende aus:
Die belangte Behörde habe ausgehend von dem in §43a Abs1 Oö NSchG 2001 geregelten Ausschluss der aufschiebenden Wirkung den von der Beschwerdeführerin gestellten Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung auf Grundlage der in §43a Abs2 Oö NSchG 2001 festgelegten Voraussetzungen abgewiesen. Die Beschwerdeführerin begehre nunmehr die Änderung des angefochtenen Bescheides dahingehend, dass ihrem Antrag stattgegeben werde. Es liege daher auf der Hand, dass die zu prüfende Vorschrift zur Gänze präjudiziell sei.
3.2. In der Sache führt das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich das Folgende aus:
Nach Art136 Abs2 B‑VG werde das Verfahren der Verwaltungsgerichte durch ein besonderes Bundesgesetz einheitlich geregelt. Dabei handle es sich um das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), in dessen §13 Abs1 der Grundsatz festgelegt werde, dass einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung zukomme. Nach §13 Abs2 VwGVG könne diese Wirkung jedoch bei Vorliegen näher genannter Voraussetzungen ausgeschlossen werden.
In §43a Oö NSchG 2001 – wie auch vereinzelt in anderen Landesgesetzen – sei dieses "Modell" umgekehrt worden: Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde (gegen eine Berechtigung) sei generell ausgeschlossen, müsse jedoch unter bestimmten Voraussetzungen auf Antrag zuerkannt werden. Diese von §13 VwGVG abweichende Regelung beruhe auf der Ermächtigung des Art136 Abs2 letzter Satz B‑VG, wonach durch Landesgesetz Regelungen über das Verfahren der Verwaltungsgerichte getroffen werden könnten, wenn sie zur Regelung des Gegenstandes erforderlich seien.
Vom VwGVG abweichende Regelungen dürften nur dann getroffen werden, wenn sie zur Regelung des Gegenstandes "unerlässlich" seien und dabei nicht anderen Verfassungsbestimmungen, etwa dem Rechtsstaatsprinzip und dem daraus abgeleiteten Grundsatz der Effektivität des Rechtsschutzes widersprechen würden. In seiner bisherigen Rechtsprechung habe der Verfassungsgerichtshof mehrfach Regelungen aufgehoben, die einen (generellen) Ausschluss der aufschiebenden Wirkung vorgesehen hätten. Der Gesetzgeber habe zur Wahrung des Rechtsstaatsprinzips die Position des Rechtsschutzsuchenden, Zweck und Inhalt der Regelung, Interessen Dritter sowie das öffentliche Interesse zu berücksichtigen und unter diesen Gegebenheiten einen Ausgleich zu schaffen, wobei dem Grundsatz der faktischen Effizienz eines Rechtsbehelfs der Vorrang zukomme und dessen Einschränkung nur aus sachlich gebotenen, triftigen Gründen zulässig sei.
Diese Kriterien zur Wahrung des Rechtsstaatsprinzips erfülle die Regelung des §43a Oö NSchG 2001 nicht.
In den Gesetzesmaterialien zu §43a Oö NSchG 2001 erschöpfe sich die Begründung des Landesgesetzgebers für die Unerlässlichkeit dieser vom VwGVG abweichenden Regelung in dem Hinweis auf bereits in Geltung stehende ähnliche Regelungen sowie auf eine pauschal vorgebrachte Harmonisierungsabsicht. Damit vermöge der Landesgesetzgeber keine sachlichen und triftigen Gründe für eine vom VwGVG abweichende Regelung darzulegen. Insbesondere bleibe unklar, ob und inwieweit dabei die Position des Rechtsschutzsuchenden, Zweck und Inhalt der Regelung, Interessen Dritter sowie das öffentliche Interesse berücksichtigt worden seien. Abgesehen davon, dass es bereits bedenklich scheine, die Abweichung von der in der Bundesverfassung intendierten Vereinheitlichung des Verfahrens vor den Verwaltungsgerichten (zwar nicht ausschließlich) mit einer gewünschten und damit implizit als höherwertig erachteten Harmonisierung der "Gesamtrechtslage" auf Landesebene zu begründen, könne mit dem Verweis auf die Oö BauO 1994 und das Oö Straßengesetz 1991 eine Unerlässlichkeit iSd höchstgerichtlichen Judikatur nicht begründet werden. Die den beiden zuletzt genannten Materiengesetzen regelmäßig zugrunde liegenden Konstellationen seien mit jenen des Oö NSchG 2001 nicht vergleichbar.
Die Umkehrung des Modells des §13 VwGVG in §56 Oö BauO 1994 (für Berechtigungen) und §38a Oö Straßengesetz 1991 werde mit der Einseitigkeit der (finanziellen) Belastung des Bewilligungswerbers sowie mit der Reversibilität der vorzeitig realisierten Maßnahmen im Falle eines letztlich nicht genehmigungsfähigen Vorhabens begründet. Ebenso miteinbezogen worden sei der Umstand, dass es in einem bei bau- und straßenbaurechtlichen Angelegenheiten typischerweise vorkommenden Mehrparteienverfahren eine Nebenpartei (etwa ein Nachbar) in der Hand hätte, die Wirkung eines berechtigenden Bescheides allenfalls auch ohne Vorliegen eines Rechtsnachteils mit bloßer Einbringung einer Beschwerde zu suspendieren.
Neben der einseitigen Belastung der bewilligungswerbenden Partei und der Reversibilität der vorzeitig realisierten Vorhaben gründe die Erforderlichkeit iSd B‑VG des §56 Oö BauO 1994 (und im Hinblick auf die Ähnlichkeit des baurechtlichen mit dem straßenbaurechtlichen Verfahren auch des §38a Oö Straßengesetz 1991) nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes zentral darauf, dass es sich in jenen Verfahren um Mehrparteienverfahren handle, in denen sich mehrere Parteien mit unterschiedlichen subjektiven Rechten und mit unterschiedlichen Interessen gegenüberstehen würden.
All diese dargelegten, für die Unerlässlichkeit iSd Art136 Abs2 B‑VG entscheidenden, (straßen-)baurechtlichen Besonderheiten würden jedoch im Bewilligungsverfahren nach dem Oö NSchG 2001 nicht vorliegen. Anders als in jenen Verfahren seien im naturschutzrechtlichen Verfahren nicht mehrere Parteien mit unterschiedlichen subjektiven Rechten und Interessen beteiligt. Denn im Falle der bescheidmäßigen Erteilung einer Berechtigung nach dem Oö NSchG 2001 komme regelmäßig nur die vom Landesgesetzgeber eingerichtete Oö Umweltanwaltschaft als Beschwerdeführerin in Betracht.
Bei dieser wiederum handle es sich – im Gegensatz zu beispielsweise Nachbarn iSd Oö BauO 1994 oder Anrainern iSd Oö Straßengesetzes 1991 – um eine Organpartei, der nicht eigene materielle subjektiv‑öffentliche Rechte zukommen würden, sondern der ausdrücklich im Gesetz einzelne prozessuale subjektive Rechte eingeräumt seien, durch die sie im öffentlichen Interesse an der Einhaltung des objektiven Rechts qualifiziert mitwirken solle. Die Bedenken, dass etwa Nachbarn die Wirkung einer Baubewilligung mit Erhebung einer Beschwerde unbillig aufschieben könnten bzw wollten, würden bei einer im öffentlichen Interesse zwecks Überprüfung der Einhaltung des objektiven Rechts gesetzlich eingerichteten, rechtskundigen Organpartei nicht bestehen.
Zu diesen Unterschieden zum (straßen-)baurechtlichen Verfahren komme hinzu, dass die in naturschutzrechtlichen Verfahren aus der vorzeitigen Umsetzung eines nicht genehmigungsfähigen Vorhabens resultierenden Nachteile im Regelfall nicht alleine den Bewilligungswerber (in bloß finanzieller Hinsicht), sondern überwiegend und mitunter irreversibel die Natur und Landschaft, an deren Erhaltung ein in §1 Abs1 Oö NSchG 2001 normiertes öffentliches Interesse bestehe, treffen würden. Denn anders als bei (Straßen-)Bauvorhaben, die idR in bereits "vorbelasteten" Gebieten (Wohngebiet, Betriebsbaugebiet, Verkehrsfläche etc.) realisiert würden und daher ohne Weiteres rückgängig gemacht werden könnten, würden nach dem Oö NSchG 2001 bewilligte Vorhaben regelmäßig Eingriffe in ein bestehendes, mitunter sensibles ökologisches Gefüge darstellen, die zu unwiederbringlichen Schädigungen in qualitativer Hinsicht führen könnten. Von einer einseitigen Belastung des Bewilligungswerbers, der bei vorzeitiger Realisierung des nicht genehmigungsfähigen Vorhabens nur ein (finanzielles) Risiko für sich in Kauf nehmen würde, könne daher keine Rede sein.
Letztlich sei davon auszugehen, dass sich die mit der vorzeitigen Realisierung eines nicht genehmigungsfähigen Vorhabens verbundenen Auswirkungen für das in Anspruch genommene ökologische Gefüge nach Ende des Beschwerdeverfahrens – anders als in (straßen-)baurechtlichen Angelegenheiten – nicht ohne Weiteres wieder beseitigen lassen würden. Es sei davon auszugehen, dass die vorzeitige Realisierung von Vorhaben in vom Oö NSchG 2001 geschützten Gebieten oftmals mit einer unverhältnismäßigen Beeinträchtigung des von der Oö Umweltanwaltschaft zu vertretenden öffentlichen Interesses am Natur- und Landschaftsschutz verbunden sei. Demgegenüber würden oftmals nur private Interessen der Bewilligungswerber stehen, weshalb auch regelmäßig die Voraussetzungen für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nach §43a Abs2 Oö NSchG 2001 vorliegen würden.
Durch die angefochtene Regelung und den darin normierten Ausschluss der aufschiebenden Wirkung werde die Beschwerdeführerin als Rechtsschutzsuchende mit dem Rechtsschutzrisiko in einem im öffentlichen Interesse liegenden Bereich (Natur- und Landschaftsschutz) bis zur endgültigen Rechtsschutzgewährung zwar nicht einseitig, aber angesichts des bloß finanziellen Risikos des Bewilligungswerbers überwiegend belastet. Der eigentliche, auf (straßen-)baurechtliche Verfahren zugeschnittene Zweck der Regelung, nämlich der "Schutz" des einseitig belasteten Bewilligungswerbers in Mehrparteienverfahren, könne im naturschutzrechtlichen Verfahren nicht erreicht werden, weil kein großes Mehrparteienverfahren, keine besondere Schutzbedürftigkeit und keine bloß einseitige finanzielle Belastung des Bewilligungswerbers sowie keine uneingeschränkte Reversibilität vorliegen würden. Zudem würden sich im naturschutzrechtlichen Verfahren oftmals das hoch zu gewichtende, in §1 Abs1 Oö NSchG 2001 normierte öffentliche Interesse am Natur- und Landschaftsschutz und "nur" private (wirtschaftliche) Interessen des Bewilligungswerbers gegenüberstehen.
In Anbetracht dieser zur Wahrung des Rechtsstaatsprinzips zu berücksichtigenden Tatsachen und des Umstandes, dass eine Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nach §43a Abs2 Oö NSchG 2001 eher den Regelfall als die Ausnahme darstelle, gelange das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich zur Auffassung, dass der Rechtsschutz gegen eine naturschutzrechtliche Bewilligung nach dem Oö NSchG 2001 in Anwendung des §43a Abs1 leg. cit. faktisch nicht (ausreichend) effizient sei. Dies zumal mit Einbringung einer Beschwerde die vorzeitige Realisierung eines nicht genehmigungsfähigen Vorhabens in zumeist sensiblen Bereichen (Naturhaushalt etc.) nicht verhindert werden könne. Vielmehr könne trotz anhängiger Beschwerde bereits umgehend mit der Umsetzung des Projektes begonnen und könnten dabei schlimmstenfalls bereits erste irreversible Schädigungen an Natur und Landschaft herbeigeführt werden. Dies, obwohl erfahrungsgemäß davon auszugehen sei, dass die im öffentlichen Interesse agierende, rechtskundige und fachlich versierte Oö Umweltanwaltschaft von ihrer Legitimation zur Erhebung einer Beschwerde nur dann Gebrauch mache, wenn entsprechend begründete Bedenken wegen der Nichteinhaltung des objektiven Rechtes vorliegen würden. Es sei daher aus Rechtsschutzerwägungen noch weniger nachvollziehbar, weshalb den Beschwerden dieser Organpartei, die mit Beschwerden von mit materiellen subjektiven Rechten involvierten, gegebenenfalls rechtsunkundigen, fachlich unerfahrenen oder gar uneinsichtigen Parteien im (straßen-)baurechtlichen Verfahren nicht vergleichbar seien, die aufschiebende Wirkung grundsätzlich verwehrt bleiben solle.
Vor diesem Hintergrund widerspreche der in §43a Abs1 Oö NSchG 2001 normierte Ausschluss der aufschiebenden Wirkung trotz Möglichkeit der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung dem Grundsatz der faktischen Effizienz des Rechtsschutzes, dem nach höchstgerichtlicher Judikatur stets der Vorrang zukomme. Sachliche und triftige Gründe, die eine Einschränkung dieses Grundsatzes ermöglichen würden, könnten nicht erkannt werden und seien auch vom Landesgesetzgeber in seinen kurz gehaltenen Erläuterungen nicht dargelegt worden. Die von §13 VwGVG abweichende Regelung sei daher nicht erforderlich iSd Art136 Abs2 B‑VG.
Bei Anwendung des §13 Abs1 VwGVG würde nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich der aus dem vorübergehenden Schutz der ökologischen Verhältnisse resultierende Vorteil für das von der Oö Umweltanwaltschaft zu vertretende öffentliche Interesse am Natur- und Landschaftsschutz den aus der zeitlichen Verzögerung der Umsetzung des beantragten Vorhabens (längstens im Ausmaß der sechsmonatigen Entscheidungsfrist) resultierenden Nachteil für den Bewilligungswerber deutlich überwiegen. Es werde nicht ausgeschlossen, dass in wenigen bestimmten Fällen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung geboten sein könne, doch seien mit der Möglichkeit zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung durch die Behörde bzw durch das Verwaltungsgericht diese den Gegenstand von Einzelfällen bildenden Interessen ausreichend gewahrt, zumal es sich bei naturschutzrechtlichen Angelegenheiten auch nicht um Massenverfahren handle.
4. Die im zur Zahl G44/2024 protokollierten Antrag des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich dargelegten verfassungsrechtlichen Bedenken entsprechen zunächst in allen wesentlichen Belangen jenen im oben wiedergegebenen Antrag des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich zur Zahl G10/2024. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich legt überdies dar, dass seine Ausführungen zur Oö Umweltanwaltschaft auch auf berechtigte Umweltorganisationen sinngemäß insoweit zutreffen würden, als auch deren Rolle nicht die Vertretung eigener materieller subjektiver Rechte, sondern die Wahrung der objektiven Rechtmäßigkeit bzw die Wahrnehmung bestimmter öffentlicher Interessen sei.
5. Die Oberösterreichische Landesregierung hat jeweils eine Äußerung erstattet, in der sie die Abweisung des Antrages beantragt und den in den Anträgen des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich erhobenen Bedenken zusammengefasst wie folgt entgegentritt:
5.1. Beginnend mit dem Erkenntnis VfSlg 11.196/1986 habe der Verfassungsgerichtshof den generellen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von Rechtsmitteln als dem Rechtsstaatsprinzip widersprechend erkannt und dargelegt, dass bei der Regelung der vorläufigen Wirkung zulässiger Rechtsmittel bis zur Entscheidung darüber vom Gesetzgeber neben der Stellung der Rechtsmittelwerberin bzw des Rechtsmittelwerbers auch Zweck und Inhalt der Regelung, ferner die Interessen Dritter sowie schließlich das öffentliche Interesse zu berücksichtigen seien. Dieser Judikatur zufolge habe der Gesetzgeber unter diesen Gegebenheiten einen Ausgleich zu schaffen, wobei aber dem Grundsatz der faktischen Effizienz eines Rechtsbehelfes der Vorrang zukomme und dessen Einschränkung nur aus sachlich gebotenen, triftigen Gründen zulässig sei. Immer problematisiere der Verfassungsgerichtshof, dass die aufschiebende Wirkung generell ausgeschlossen oder die Zuerkennbarkeit im Einzelfall zumindest stark eingeschränkt sei; niemals fordere der Gerichtshof, dass für besondere Sachverhalte eine generelle Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung (mit allfälliger Aberkennbarkeit auf Antrag) erforderlich wäre. Insofern könne in der bloßen Umkehr des Modells des §13 VwGVG durch §43a Oö NSchG 2001 jedenfalls kein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip und das aus diesem abgeleitete Prinzip der Effektivität des Rechtsschutzes gesehen werden.
Trotz der allgemein recht streng umschriebenen Voraussetzung, wonach abweichende Regelungen vom Konzept des §13 VwGVG nur zulässig seien, wenn sie zur Regelung des Gegenstandes erforderlich iSv "unerlässlich" seien, sei die Rechtsprechung in Bezug auf konkrete Fallkonstellationen relativ großzügig. Jedenfalls könne konstatiert werden, dass dann, wenn der "Hürde" der Effektivität des Rechtsschutzes hinreichend Rechnung getragen worden sei, eine Regelung wie sie auch §43a Oö NSchG 2001 enthalte, bereits dann gerechtfertigt sei, wenn sie Verfahren betreffe, in denen sich mehrere Parteien mit unterschiedlichen subjektiven Rechten und mit unterschiedlichen Interessen gegenüberstünden. Dies ergebe sich aus dem Erkenntnis VfSlg 19.969/2015 betreffend §56 Oö BauO 1994.
Die generelle Regelung des §13 VwGVG sei insbesondere in Mehrparteienverfahren deshalb besonders problematisch, weil sie die verschiedenartigsten Interessen, die mit einem beantragten Projekt verfolgt werden sollen, gegenüber den gegenläufigen Interessen zu sehr privilegiere [gemeint wohl: benachteilige]. Schließlich reiche es nach §13 VwGVG für die mögliche Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde nicht aus, dass der Projektwerber einen unverhältnismäßigen Nachteil durch die aufschiebende Wirkung erleiden könne; vielmehr müsse ein Ausschluss der aufschiebenden Wirkung "wegen Gefahr im Verzug dringend geboten sein", also ein Sachverhalt vorliegen, der zwar theoretisch denkbar sei, in der Verwaltungspraxis jedoch nicht vorkomme. Eine Sonderregelung gegenüber §13 VwGVG sei daher schon aus diesem Grund nicht nur sachlich gerechtfertigt, sondern geradezu geboten.
5.2. In der bloßen Umkehrung des Modells des §13 VwGVG durch §43a Oö NSchG 2001 könne kein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip und das aus diesem abgeleitete Prinzip der Effektivität des Rechtsschutzes gesehen werden. Vergleichbare Regelungen, wie etwa §85 VfGG und §30 VwGG, seien üblich und bisher nicht beanstandet worden.
Die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes VfSlg 19.969/2015 dürfe nach Auffassung der Oberösterreichischen Landesregierung nicht als auf Mehrparteienverfahren beschränkt verstanden werden. Entscheidend sei nicht das Gegenüberstehen unterschiedlicher subjektiver Rechte, sondern das jeweilige Rechtsschutzrisiko jeder einzelnen am Verfahren beteiligten Partei. Daher sei unter dem Aspekt des Rechtsstaatsprinzips gerade auch das Rechtsschutzrisiko der Oö Umweltanwaltschaft zu berücksichtigen. Diese verfüge über keine verfassungsrechtlich besonders geschützte Rechtsstellung gegenüber anderen Parteien. Die Vertretung öffentlicher Interessen allein hebe die Oö Umweltanwaltschaft und die berechtigten Umweltorganisationen noch nicht gegenüber den Interessen eines Bewilligungswerbers hervor, zumal an einem naturschutzrechtlich zu bewilligenden Vorhaben nicht nur private, sondern durchaus auch bedeutsame öffentliche Interessen bestehen könnten. Dass gerade bei Organ- bzw Amtsparteien von Verfassungs wegen generell eine gesetzliche Regelung geboten sei, nach der deren Beschwerden stets aufschiebende Wirkung haben müssten, lasse sich aus der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nicht ableiten. Hinzu komme, dass gerade in naturschutzbehördlichen Verfahren die Oö Umweltanwaltschaft und die berechtigten Umweltorganisationen als mitbeteiligte Parteien dieselben öffentlichen Interessen zu vertreten hätten, wegen derer das behördliche Verfahren überhaupt durchgeführt werde, und deren Wahrung sogar im besonderen Fokus dieser Behörde stehe.
Berechtigte Umweltorganisationen könnten gegen bestimmte naturschutzbehördliche Bescheide Beschwerde erheben. Solche Umweltorganisationen würden gegenläufige Interessen weniger wahrnehmen als die auch gesetzlich zur Objektivität verpflichtete Oö Umweltanwaltschaft.
Eine Abweichung von §13 VwGVG sei daher auch im konkreten Zusammenhang letztlich nicht weniger gerechtfertigt als in Bezug auf §56 Oö BauO 1994.
6. In dem zur Zahl G10/2024 protokollierten Verfahren hat die Oö Umweltanwaltschaft als beschwerdeführende Partei im Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich eine Äußerung erstattet, in der sie sich den Bedenken des Gerichtes anschließt. Die im Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich mitbeteiligte Partei hat in diesem Verfahren eine Äußerung erstattet, in der sie den Bedenken des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich entgegentritt.
In dem zur Zahl G44/2024 protokollierten Verfahren hat die vor dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich mitbeteiligte Partei eine Äußerung erstattet, in der sie den Bedenken des Gerichtes entgegentritt.
IV. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat über die in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Anträge des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich erwogen:
1. Zur Zulässigkeit der Anträge
1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG nur dann wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).
1.2. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat in den Anlassfällen jeweils §43a Abs2 Oö NSchG 2001 anzuwenden. Die überdies angefochtenen Bestimmungen des §43a Abs1 und 3 Oö NSchG 2001 stehen mit dieser präjudiziellen Bestimmung in einem untrennbaren Regelungszusammenhang (vgl VfSlg 20.111/2016; VfGH 25.6.2024, G29/2024).
1.3. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweisen sich die jeweiligen Hauptanträge als zulässig, sodass auf die Eventualanträge nicht weiter einzugehen ist.
2. In der Sache
Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B‑VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen zu beschränken (vgl VfSlg 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den im Antrag dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).
Die Anträge sind – im Ergebnis – begründet.
2.1. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich vertritt – auf das Wesentliche zusammengefasst – zunächst den Standpunkt, dass die – von §13 VwGVG abweichende – Regelung des §43a Oö NSchG 2001 den Vorgaben des Art136 Abs2 B‑VG widerspreche, weil sie den Anforderungen des Rechtstaatsprinzips bzw dem daraus abgeleiteten Grundsatz der Effektivität des Rechtsschutzes nicht genüge.
Der Verfassungsgerichtshof teilt dieses Bedenken nicht:
2.1.1. §43a Abs1 Oö NSchG 2001 regelt – in Abweichung von §13 VwGVG –, dass in den Angelegenheiten des Oö NSchG 2001 Beschwerden gemäß Art130 Abs1 Z1 B‑VG keine aufschiebende Wirkung haben, wenn durch den angefochtenen Bescheid eine Berechtigung eingeräumt wird. Dieser Ausschluss der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde gilt allerdings nicht generell und ausnahmslos. Die aufschiebende Wirkung ist auf Antrag der beschwerdeführenden Partei gemäß §43a Abs2 Oö NSchG 2001 von der Behörde zuzuerkennen, "wenn dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien mit der Ausübung der durch den angefochtenen Bescheid eingeräumten Berechtigung für die beschwerdeführende Partei ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre."
2.1.2. Nach Art136 Abs2 dritter Satz B‑VG können durch Bundes- oder Landesgesetz Regelungen über das Verfahren der Verwaltungsgerichte getroffen werden, wenn sie zur Regelung des Gegenstandes erforderlich sind oder soweit das in Art136 Abs2 erster Satz B‑VG genannte Bundesgesetz, das das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Verwaltungsgerichtes des Bundes für Finanzen einheitlich regelt, sohin das VwGVG, dazu ermächtigt.
Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes können von den allgemeinen Bestimmungen der Verfahrensgesetze abweichende Regelungen nur dann "erforderlich" sein, wenn sie nicht anderen Verfassungsbestimmungen, wie etwa dem Rechtsstaatsprinzip und dem daraus abgeleiteten Grundsatz der Effektivität des Rechtsschutzes, widersprechen (vgl VfSlg 17.340/2004, 19.922/2014, 19.969/2015, 20.216/2017, 20.579/2022).
2.1.3. Der Verfassungsgerichtshof hat im Hinblick auf den Grundsatz der Effektivität des Rechtsschutzes in seiner Rechtsprechung ausgeführt, dass der Gesetzgeber bei der Regelung der vorläufigen Wirkung zulässiger Rechtsmittel bis zur Entscheidung darüber neben der Stellung des Rechtsmittelwerbers auch Zweck und Inhalt der Regelung, die Interessen Dritter sowie das öffentliche Interesse zu berücksichtigen hat und unter diesen Gegebenheiten einen Ausgleich schaffen muss, wobei dem Grundsatz der faktischen Effizienz eines Rechtsbehelfes der Vorrang zukommt und die Einschränkung dieses Grundsatzes nur aus sachlich gebotenen, triftigen Gründen zulässig ist (VfSlg 11.196/1986 sowie ferner zB VfSlg 13.003/1992, 15.511/1999, 16.460/2002, 17.346/2004, 18.383/2008, 19.969/2015).
Diese rechtsstaatlichen Vorgaben betreffen nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes alle Arten von behördlichen Verfahren: Gleichgültig wie viele Parteien an einem Verfahren jeweils beteiligt sind, muss der Gesetzgeber die Behörde (bzw das Verwaltungsgericht) zur Entscheidung darüber ermächtigen, wessen Interessen im Rechtsmittelverfahren in welchem Umfang entgegenstehende Interessen dahin überwiegen, dass im Weg des Provisorialverfahrens jedenfalls die Effektivität des Rechtsschutzes gewahrt bleibt (vgl VfSlg 16.460/2002, 19.921/2014, 19.969/2015, VfGH 12.3.2024, G31/2024). In einem solchen Provisorialverfahren ist gleichwohl nicht nur auf die Position des Rechtsschutzsuchenden, sondern auch auf die Interessen Dritter sowie auf das öffentliche Interesse abzustellen (VfSlg 11.196/1986). Der Gesetzgeber hat unter diesen Gegebenheiten einen Ausgleich zu schaffen (VfSlg 13.305/1992).
Der Verfassungsgerichtshof hat demnach den generellen Ausschluss (zB VfSlg 14.374/1995, 14.765/1997, 15.511/1999, 20.239/2018) oder die starke Einschränkung (VfSlg 19.921/2014) der aufschiebenden Wirkung von Rechtsmitteln als dem Grundsatz der Effektivität des Rechtsschutzes widersprechend erkannt, sofern dafür nicht sachlich gebotene, triftige Gründe vorliegen (vgl VfSlg 17.346/2004, 18.383/2008, 20.216/2017; VfGH 1.3.2023, G146/2022, G227/2022). Eine automatische Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsmittels kraft Gesetzes, wie sie §13 Abs1 VwGVG vorsieht, ist nach der Rechtsprechung gleichwohl nicht gefordert (vgl VfSlg 16.460/2002, 19.969/2015).
2.1.4. Die Regelung des §43a Oö NSchG 2001 ist laut den Gesetzesmaterialien (AB 1051/2014 BlgLT 27. GP, 29) unter anderem der Regelung des §56 Oö BauO 1994 nachgebildet. Zur Verfassungskonformität dieser Bestimmung im Hinblick auf den Grundsatz der Effektivität des Rechtsschutzes hat der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg 19.969/2015 Folgendes ausgeführt:
"[…] Anders als in jenen Fällen, in denen der Verfassungsgerichtshof die Verfassungskonformität von Bestimmungen zu beurteilen hatte, durch welche die Möglichkeit der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtmittels auf Antrag des Beschwerdeführers ausgeschlossen (VfSlg 16.460/2002, 17.340/2004; VfGH 2.12.2014, G148/2014) oder stark eingeschränkt wurde (VfGH 2.12.2014, G74/2014 ua), räumt §56 Abs2 OÖ BauO 1994 im Baubewilligungsverfahren der letztinstanzlichen Verwaltungsbehörde bzw (ab Zuständigkeitsübergang) dem Verwaltungsgericht somit die Möglichkeit ein, der Beschwerde des Nachbarn gegen die erteilte Baubewilligung bei Vorliegen der Voraussetzungen die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Im Rahmen dieser Entscheidung hat die letztinstanzliche Verwaltungsbehörde bzw das Verwaltungsgericht umfassend die öffentlichen Interessen sowie die Interessen des Bewilligungswerbers und alle geltend gemachten Interessen der Nachbarn abzuwägen. Ungeachtet der Tatsache, dass gegebenenfalls der Bauwerber die Kosten der Beseitigung des konsenslos gewordenen Bauwerks zu tragen hätte, hat die Behörde dabei umfassend alle diese Kriterien im Einzelfall zu berücksichtigen.
[…] §56 OÖ BauO 1994 steht somit nicht im Widerspruch zum Rechtsstaatsprinzip und dem daraus abgeleiteten Prinzip der Effektivität des Rechtsschutzes."
Der Verfassungsgerichtshof hat in der zitierten Entscheidung VfSlg 16.460/2002 im Zusammenhang mit §78 Abs1 GewO 1994 in der Stammfassung BGBl 194/1994 ausgesprochen, dass der ausnahmslose Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von (damals) Nachbarberufungen gegen Betriebsanlagengenehmigungsbescheide dem Rechtsstaatsprinzip widerspricht. Er hat zugleich jedoch deutlich gemacht, dass eine Regelung unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten verfassungskonform sein kann, wenn sie den wirtschaftlichen Interessen des Genehmigungswerbers entgegenkommt und diesem "im Regelfall bereits während des Laufes eines gegen die Genehmigung gerichteten Rechtsmittelverfahrens die vorläufige Inanspruchnahme seiner Genehmigung" gestattet. Die nach der zitierten Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes in diesem Sinn neu erlassene Bestimmung des §78 Abs1 GewO 1994 erlaubt dem Genehmigungswerber bereits ab dem Zeitpunkt der Erlassung des Genehmigungsbescheides – vorläufig und auf die Dauer von drei Jahren befristet – die Errichtung und den Betrieb der Anlage bzw von Teilen derselben bei Einhaltung der im Genehmigungsbescheid festgelegten Auflagen. Die Behörde hat die Inanspruchnahme dieses Rechtes gemäß §78 Abs1 GewO 1994 jedoch auszuschließen, wenn der Begründung der Beschwerde zu entnehmen ist, dass "auf Grund der besonderen Situation des Einzelfalles trotz Einhaltung der Auflagen des angefochtenen Bescheides eine Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit zu erwarten ist".
2.1.5. Die in VfSlg 16.460/2002 und 19.969/2015 dargelegten Erwägungen des Verfassungsgerichtshofes zum Grundsatz der Effektivität des Rechtsschutzes sind auf die mit §56 Oö BauO 1994 im Wesentlichen wortlautidente Regelung des §43a Oö NSchG 2001 übertragbar. Auch diese Bestimmung ermöglicht es der Verwaltungsbehörde bzw (ab Zuständigkeitsübergang) dem Verwaltungsgericht, einer Beschwerde gegen die erteilte naturschutzrechtliche Bewilligung bei Vorliegen der Voraussetzungen des §43a Abs2 Oö NSchG 2001 die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Im Rahmen dieser Entscheidung hat die Verwaltungsbehörde bzw das Verwaltungsgericht umfassend die öffentlichen Interessen sowie die Interessen des Bewilligungswerbers und alle geltend gemachten (auch öffentlichen) Interessen der Rechtsmittelwerber (vgl VfSlg 19.636/2012 zur Wahrnehmung öffentlicher Interessen durch Amtsparteien) gegeneinander abzuwägen (vgl auch VwGH 9.10.2013, AW 2013/10/0036).
2.1.6. Der vom antragstellenden Gericht ins Treffen geführte Umstand, dass aus der Umsetzung eines von der Naturschutzbehörde bewilligten Vorhabens vor der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes mitunter irreversible Nachteile für die Natur und Landschaft resultieren können, kann und muss von der Behörde bei ihrer Entscheidung über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung (zentral) beachtet werden (vgl auch VfSlg 16.460/2002). §73 Abs1 AVG verpflichtet die Behörde – in rechtsstaatlich gebotener Weise – überdies, derartige Entscheidungen zur Vermeidung solcher Nachteile mit Blick auf das konkrete Vorhaben und dessen potentiell irreversible Nachteile für die Schutzgüter des Oö NSchG 2001 "ohne unnötigen Aufschub" zu treffen. Sie hat dabei nicht die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung zu beurteilen (vgl auch VwGH 31.7.2015, Ra 2015/03/0058; 4.2.2019, Ra 2018/04/0179; 23.7.2024, Ra 2024/22/0021), sondern ausschließlich die oben dargestellte Interessenabwägung vorzunehmen.
2.1.7. Da §43a Oö NSchG 2001 – auf Grund eines Antrages der beschwerdeführenden Partei – die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung vorsieht und im dazu zu führenden Provisorialverfahren der Behörde eine Abwägung aller relevanten Interessen, darunter insbesondere auch jene der beschwerdeführenden Partei, zur Pflicht macht, widerspricht diese Bestimmung nicht dem Prinzip der Effektivität des Rechtsschutzes.
2.2. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hegt überdies das Bedenken, wonach die von §13 VwGVG abweichende Regelung der aufschiebenden Wirkung in §43a Oö NSchG 2001 nicht zur Regelung des Gegenstandes "erforderlich" iSd Art136 Abs2 B‑VG sei.
Dieses Bedenken trifft zu:
2.2.1. Nach dem Wortlaut des Art136 Abs2 B‑VG und dem mit diesem übereinstimmenden Willen des Verfassungsgesetzgebers (vgl die Erläuterungen zur Regierungsvorlage der Verwaltungsgerichtsbarkeits‑Novelle 2012, 1618 BlgNR 24. GP , 18 f.) entspricht das Kriterium, dass durch Bundes- oder Landesgesetz Regelungen über das Verfahren der Verwaltungsgerichte getroffen werden können, wenn sie zur Regelung des Gegenstandes erforderlich sind, jenem des Art11 Abs2 letzter Halbsatz B‑VG (vgl VfSlg 19.921 und 19.922/2014; VfGH 4.3.2024, G261/2023). Vom VwGVG abweichende Regelungen dürfen daher nur dann getroffen werden, wenn sie zur Regelung des Gegenstandes "unerlässlich" sind (VfSlg 19.969/2015; VfGH 4.3.2024, G261/2023). Die "Unerlässlichkeit" einer abweichenden Regelung in einem Materiengesetz kann sich dabei aus besonderen Umständen oder aus dem Regelungszusammenhang mit den materiellen Vorschriften ergeben (VfGH 1.3.2023, G146/2022, G227/2022; vgl auch VfSlg 19.787/2013 mwN).
2.2.2. §43a Oö NSchG 2001 regelt die aufschiebende Wirkung von Beschwerden der Oö Umweltanwaltschaft sowie von berechtigten Umweltorganisationen.
2.2.3. Die von §13 VwGVG abweichende Regelung des §43a Oö NSchG 2001 ist jedenfalls schon im Hinblick auf Beschwerden von berechtigten Umweltorganisationen nicht "unerlässlich" im Sinn der zitierten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes:
Berechtigte Umweltorganisationen sind gemäß §39a Abs1 Oö NSchG 2001 Vereine oder Stiftungen, die gemäß §19 Abs7 UVP‑G 2000, BGBl 697/1993, idF BGBl I 80/2018 zur Ausübung von Parteienrechten in Oberösterreich befugt sind. Sie sind – vor dem Hintergrund des Art9 Abs2 und 3 der Aarhus-Konvention (vgl AB 1103/2019 BlgLT 28. GP, 4 und 21 ff.) – gemäß §39b Abs4 Oö NSchG 2001 als private (Verfahrens-)Beteiligte und sohin nicht als Amtsparteien zur Beschwerde gegen Bescheide in den in dieser Bestimmung genannten Angelegenheiten berechtigt, und zwar wegen Verletzung von Vorschriften des Oö NSchG 2001, soweit diese Bestimmungen die FFH‑Richtlinie und die Vogelschutz‑Richtlinie umsetzen. Berechtigte Umweltorganisationen sind demnach gegen solche Bescheide zur Beschwerde legitimiert, die insbesondere Vorhaben mit Auswirkungen auf Europaschutzgebiete bzw Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung (§24 Oö NSchG 2001) oder auf geschützte Pflanzen- und Tierarten (§14 Abs4 Oö NSchG 2001) zum Gegenstand haben. Dem antragstellenden Gericht ist zuzustimmen, dass – anders als in baurechtlichen Angelegenheiten, die der Entscheidung VfSlg 19.969/2015 zugrunde lagen – potentielle Beeinträchtigungen der damit betroffenen Schutzgüter auf Grund der Umsetzung von mit solchen Bescheiden bewilligten Vorhaben typischerweise nicht mehr oder jedenfalls nicht mehr zur Gänze reversibel sein können.
2.2.4. Der Verfassungsgerichtshof kann vor diesem Hintergrund – entgegen dem Vorbringen der Oberösterreichischen Landesregierung – nicht erkennen, dass die allgemeine Bestimmung des §13 Abs2 VwGVG betreffend den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von Beschwerden gemäß Abs1 leg. cit. zu eng gefasst ist. Gemäß §13 Abs2 VwGVG kann die Behörde "die aufschiebende Wirkung mit Bescheid ausschließen, wenn nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien der vorzeitige Vollzug des angefochtenen Bescheides oder die Ausübung der durch den angefochtenen Bescheid eingeräumten Berechtigung wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist."
Der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung ist damit – anders als die Oberösterreichische Landesregierung meint – keine bloß theoretische Möglichkeit. Bei der Entscheidung über die Zuerkennung oder Aberkennung der aufschiebenden Wirkung darf (nämlich) nicht allein auf die Position des Rechtsschutzsuchenden abgestellt werden. Vielmehr müssen – unter Wahrung des Grundsatzes der Effektivität des Rechtsschutzes – auch die Interessen anderer Verfahrensparteien sowie öffentliche Interessen berücksichtigt werden (vgl VfSlg 11.196/1986, 13.305/1992, 19.969/2015, 20.515/2021).
In Übereinstimmung mit diesen Anforderungen ist das Tatbestandsmerkmal "Gefahr in Verzug" in §13 Abs2 VwGVG so zu verstehen, dass mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung (zwar nicht jeglicher Nachteil, wohl aber) "das Eintreten erheblicher Nachteile für eine Partei bzw gravierender Nachteile für das öffentliche Wohl" verhindert werden soll (so zB VwGH 11.4.2018, Ro 2017/08/0033; 5.9.2018, Ra 2017/03/0105; 23.2.2023, Ra 2022/11/0009 mwN). In die nach dieser Bestimmung von der Behörde "im Einzelfall vorzunehmende Interessenabwägung" (vgl VwSlg 18.913 A/2014; VwGH 11.4.2018, Ro 2017/08/0033; 23.2.2023, Ra 2022/11/0009 uam.) sind deshalb, neben den vom Rechtsschutzsuchenden geltend gemachten Interessen, (auch) die mit dem verwaltungsbehördlich bewilligten Vorhaben verfolgten privaten und öffentlichen Interessen – entsprechend gewichtet (vgl etwa §34a Abs2 Oö NSchG 2001, wonach Erneuerbare-Energie-Anlagen in einem "überragenden öffentlichen Interesse liegen") – einzustellen.
2.2.5. Die von §13 VwGVG abweichende Regelung des §43a Oö NSchG 2001 erweist sich damit insgesamt als nicht "erforderlich" im Sinn des Art136 Abs2 B‑VG.
V. Ergebnis
1. §43a Oö NSchG, LGBl 129/2001, idF LGBl 35/2014 ist daher zur Gänze als verfassungswidrig aufzuheben.
2. Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B‑VG.
3. Der Verfassungsgerichtshof sieht sich veranlasst, von der ihm durch Art140 Abs7 zweiter Satz B‑VG eingeräumten Ermächtigung Gebrauch zu machen und auszusprechen, dass die aufgehobene Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist.
4. Die Verpflichtung des Landeshauptmannes von Oberösterreich zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B‑VG und §64 Abs2 VfGG iVm §4 Abs1 Z1 litb Oö Verlautbarungsgesetz 2015.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)
