VfGH V601/2020

VfGHV601/202029.9.2021

Zurückweisung eines Individualantrages betreffend das Betretungsverbot von Beherbergungsbetrieben mangels Darlegung der aktuellen und unmittelbaren Betroffenheit

Normen

B-VG Art139 Abs1 Z3
2. COVID-19-SchutzmaßnahmenV BGBl II 544/2020 §8
VfGG §7 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2021:V601.2020

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antrag

Gestützt auf Art139 Abs1 Z3 B‑VG begehrt die Antragstellerin, der Verfassungsgerichtshof möge §8 2. COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung, BGBl II 544/2020, als verfassungswidrig aufheben.

II. Rechtslage

§8 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, mit der besondere Schutzmaßnahmen gegen die Verbreitung von COVID-19 getroffen werden (2. COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung – 2. COVID-19-SchuMaV), BGBl II 544/2020, lautete:

"Beherbergungsbetriebe

 

§8. (1) Das Betreten von Beherbergungsbetrieben zum Zweck der Inanspruchnahme von Dienstleistungen von Beherbergungsbetrieben ist untersagt.

 

(2) Beherbergungsbetriebe sind Unterkunftsstätten, die unter der Leitung oder Aufsicht des Unterkunftgebers oder eines von diesem Beauftragten stehen und zur entgeltlichen oder unentgeltlichen Unterbringung von Gästen zum vorübergehenden Aufenthalt bestimmt sind. Beaufsichtigte Camping- oder Wohnwagenplätze, sofern es sich dabei nicht um Dauerstellplätze handelt, sowie Schutzhütten gelten als Beherbergungsbetriebe.

 

(3) Abs1 gilt nicht für das Betreten eines Beherbergungsbetriebs

1. durch Personen, die sich zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Bestimmung bereits in Beherbergung befinden, für die im Vorfeld mit dem Unterkunftgeber vereinbarte Dauer der Beherbergung,

2. zum Zweck der Betreuung von und Hilfeleistung für unterstützungsbedürftige Personen,

3. aus unaufschiebbaren beruflichen Gründen,

4. zu Ausbildungszwecken gesetzlich anerkannter Einrichtungen,

5. zur Stillung eines dringenden Wohnbedürfnisses,

6. durch Kurgäste und Begleitpersonen in einer Kuranstalt, die gemäß §42a des Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetzes (KAKuG), BGBl Nr 1/1957, als Beherbergungsbetrieb mit angeschlossenem Ambulatorium gemäß §2 Abs1 Z5 KAKuG organisiert ist,

7. durch Patienten und Begleitpersonen in einer Einrichtung zur Rehabilitation, die als Beherbergungsbetrieb mit angeschlossenem Ambulatorium gemäß §2 Abs1 Z5 KAKuG organisiert ist,

8. durch Schüler zum Zweck des Schulbesuchs und Studenten zu Studienzwecken (Internate, Lehrlingswohnheime und Studentenheime).

 

(4) Der Gast hat in allgemein zugänglichen Bereichen gegenüber anderen Personen, die nicht im gemeinsamen Haushalt leben oder nicht zur Gästegruppe in der gemeinsamen Wohneinheit gehören, einen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten. Dies gilt nicht, wenn durch geeignete Schutzmaßnahmen zur räumlichen Trennung das Infektionsrisiko minimiert werden kann.

 

(5) Beim Betreten allgemein zugänglicher Bereiche in geschlossenen Räumen ist eine den Mund- und Nasenbereich abdeckende und eng anliegende mechanische Schutzvorrichtung zu tragen. Der Betreiber und seine Mitarbeiter haben bei Kundenkontakt eine den Mund- und Nasenbereich abdeckende und eng anliegende mechanische Schutzvorrichtung zu tragen, sofern zwischen den Personen keine sonstige geeignete Schutzvorrichtung zur räumlichen Trennung vorhanden ist, die das gleiche Schutzniveau gewährleistet.

 

(6) Die Nächtigung in einem Schlaflager oder in Gemeinschaftsschlafräumen ist nur zulässig, wenn gegenüber Personen, die nicht im gemeinsamen Haushalt leben, ein Abstand von mindestens 1,5 Meter eingehalten wird oder durch geeignete Schutzmaßnahmen zur räumlichen Trennung das Infektionsrisiko minimiert werden kann."

 

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Die Antragstellerin bringt zusammengefasst das Folgende vor:

1.1. §8 2. COVID-19-SchuMaV untersage laut allgemeiner Handhabung durch Tourismusverbände und Ferienwohnungsvermieter die kurzfristige Vermietung bzw Miete von Wohnungen und Häusern, da diese als Beherbergungsbetriebe iSd Verordnung behandelt würden. So sei es der Antragstellerin und ihrer Familie nicht möglich, wie geplant eine Wohnung oder ein Haus abseits ihres Hauptwohnsitzes für ein paar Tage zu mieten. Auf Grund dieser Einschränkung und der Notwendigkeit des täglichen Rückkehrens an den Hauptwohnsitz seien ihre Möglichkeiten der Bewegung und des freien Aufenthalts stark eingeschränkt. Eine ganzjährige Miete oder Kauf einer Immobilie am Zielort und damit Begründung eines dauerhaften Zweitwohnsitzes sei aus finanziellen Gründen schwer möglich und aus diversen Gründen auch nicht erwünscht. Die Antragstellerin fühle sich durch die angefochtene Bestimmung unverhältnismäßig in ihren Rechten verletzt, da sie in einer kurzzeitig gemieteten Wohnung oder einem Haus ebenso wie an ihrem Hauptwohnsitz im Kreise der erlaubten Kontaktpersonen ihres Haushalts sei und durch kontaktlose Schlüsselübergabe auch keinen zusätzlichen persönlichen Kontakt zum Vermieter oder sonstigen Personen habe. Gleiches gelte auch bei Personen mit Zweitwohnsitz, welche diesen jedoch entsprechend der niedrigen epidemiologischen Risikoeinschätzung uneingeschränkt nutzen dürften. Eine Gleichbehandlung sei hier nicht erfolgt.

1.2. Der Antrag sei zulässig, da alle Voraussetzungen für einen Verordnungsprüfungsantrag vorliegen würden. Durch die weite Fassung des Geltungsbereichs der Verordnung würden Teilbereiche miterfasst, für die sich eine nicht verhältnismäßige Verletzung von verfassungsmäßig garantierten Rechten ergebe. Auf Grund der hohen angedrohten Strafen für Zuwiderhandeln der verordneten Maßnahmen (bis zu € 1.450,– für Mieter und bis zu € 30.000,– für Vermieter) sei der Umweg über ein verwaltungsbehördliches Verfahren nicht zumutbar.

1.3. In der Sache sieht sich die Antragstellerin durch die angefochtene Bestimmung in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Freizügigkeit (Art4 StGG, Art2 4. ZPEMRK), auf Aufenthalt (Art6 StGG) sowie auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG) verletzt.

2. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (im Folgenden: BMSGPK) hat eine Äußerung erstattet, in der er die Zurückweisung des Antrages, in eventu dessen Abweisung begehrt. Der BMSGPK verneint die Zulässigkeit des Antrags mit der Begründung, dass der Anfechtungsumfang zu eng gewählt worden sei und es die Antragstellerin unterlassen habe, ihre unmittelbare Betroffenheit hinreichend substantiiert darzulegen:

2.1. Die Antragstellerin müsse nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darlegen, inwiefern sie von sämtlichen angefochtenen Bestimmungen unmittelbar und aktuell betroffen sei. Diese Ausführungen müssten dabei hinreichend konkret sein (vgl mwN zum Ganzen zuletzt VfGH 21.9.2020, V382/2020). Das Erfordernis solcher Darlegungen bestehe auch dann, wenn bestimmte Annahmen im Hinblick auf die sonst geschilderte Situation naheliegen mögen (vgl VfSlg 14.309/1995, 14.817/1997, 19.613/2011).

2.2. Diesen Anforderungen nach §57 Abs1 VfGG werde der Antrag nach Ansicht des BMSGPK nicht gerecht: So bringe die Antragstellerin zwar in diesem Zusammenhang vor, dass es ihr auf Grund der angefochtenen Norm nicht möglich sei, wie geplant eine Wohnung oder ein Haus abseits des Hauptwohnsitzes für ein paar Tage zu mieten. Diese Behauptung werde jedoch in keiner Weise substantiiert. Aus diesem Grund sei nicht ersichtlich, inwieweit die Antragstellerin tatsächlich konkret beabsichtigt habe, ein Haus oder eine Wohnung zu mieten. Darüber hinaus lege die Antragstellerin nicht dar, inwieweit sie von allen angefochtenen Bestimmungen unmittelbar betroffen sei. So würden insbesondere entsprechende Darlegungen zu §8 Abs4, Abs5 und Abs6 (Abstandspflicht in Schlaflagern) fehlen. Die unmittelbare Betroffenheit sei damit nach Ansicht des BMSGPK nicht ausreichend dargelegt. Der Antrag sei daher bereits aus diesem Grund unzulässig.

2.3. Darüber hinaus bringe die Antragstellerin nicht gegen alle angefochtenen Bestimmungen Bedenken vor. Ihr inhaltliches Vorbringen beziehe sich ausschließlich auf das Betretungsverbot gemäß §8 Abs1 2. COVID-19-SchuMaV. Sie bringe jedoch weder Bedenken gegen die Abstandspflichten gemäß §8 Abs3 und 6 noch gegen die Verpflichtung zum Tragen einer den Mund- und Nasenbereich abdeckenden und eng anliegenden mechanischen Schutzvorrichtung gemäß §8 Abs5 2. COVID-19-SchuMaV vor.

2.4. Auch in der Sache tritt der BMSGPK dem Antrag entgegen.

IV. Zulässigkeit

1. Der Antrag ist nicht zulässig.

2. Gemäß Art139 Abs1 Z3 B‑VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg 8058/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, dass die Verordnung in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie – im Fall ihrer Gesetzwidrigkeit – verletzt. Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art139 Abs1 Z3 B‑VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl zB VfSlg 8594/1979, 15.527/1999, 16.425/2002 und 16.426/2002).

3. Es ist darüber hinaus erforderlich, dass die Verordnung selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch die Verordnung selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteterweise – rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg 13.944/1994, 15.234/1998, 15.947/2000).

4. Nach §57 Abs1 VfGG muss der Antrag, eine Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben, begehren, dass entweder die Verordnung ihrem ganzen Inhalte nach oder dass bestimmte Stellen der Verordnung als gesetzwidrig aufgehoben werden. Ein Antrag, der sich gegen den ganzen Inhalt einer Verordnung richtet, muss die Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit aller Bestimmungen der Verordnung "im Einzelnen" darlegen und dartun, inwieweit alle angefochtenen Verordnungsregelungen unmittelbar und aktuell in die Rechtssphäre des Antragstellers eingreifen. Bei der Prüfung der aktuellen Betroffenheit hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu untersuchen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art139 Abs1 Z3 B‑VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl zB VfSlg 10.353/1985, 14.277/1995, 15.306/1998, 16.890/2003, 18.357/2008, 19.919/2014, 19.971/2015). Anträge, die dem Erfordernis des §57 Abs1 VfGG nicht entsprechen, sind nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (vgl VfSlg 14.320/1995, 14.526/1996, 15.977/2000, 18.235/2007) nicht im Sinne von §18 VfGG verbesserungsfähig, sondern als unzulässig zurückzuweisen (vgl etwa VfSlg 12.797/1991, 13.717/1994, 17.111/2004, 18.187/2007, 19.505/2011, 19.721/2012).

5. Vor diesem Hintergrund erweist sich der Antrag als unzulässig:

5.1. Die Antragstellerin bringt vor, dass es ihr und ihrer Familie auf Grund der angefochtenen Bestimmung nicht möglich sei, wie geplant für ein paar Tage eine Wohnung oder ein Haus abseits ihres Hauptwohnsitzes zu mieten. Ihre Möglichkeiten der Bewegung und des freien Aufenthalts seien auf Grund der Einschränkungen der angefochtenen Bestimmung und der Notwendigkeit des täglichen Rückkehrens an den Hauptwohnsitz stark eingeschränkt. Eine ganzjährige Miete oder Kauf einer Immobilie am Zielort und damit Begründung eines dauerhaften Zweitwohnsitzes sei aus finanziellen Gründen schwer möglich und aus diversen Gründen auch nicht erwünscht.

5.2. Mit diesem allgemein gehaltenen Vorbringen zur Betroffenheit ist es der Antragstellerin nicht gelungen, ihre unmittelbare und aktuelle Betroffenheit für ein Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof hinreichend konkret darzulegen: Sie hat es unterlassen darzulegen, inwiefern sie im Antragszeitpunkt konkret beabsichtigt hat, eine Wohnung oder ein Haus abseits des Hauptwohnsitzes zum Zweck der Inanspruchnahme von Dienstleistungen dieser Beherbergungsbetriebe zu mieten (vgl idS VfGH 21.9.2020, V365/2020; 1.10.2020, V405/2020). Das Erfordernis dieser Darlegung durch die Antragstellerin besteht aber auch dann, wenn bestimmte Annahmen im Hinblick auf die sonst geschilderte Situation naheliegen mögen (vgl VfGH 21.9.2020, V365/2020, und V375/2020; 1.10.2020, G271/2020 ua, und V405/2020). Da es sich dabei um kein behebbares Formgebrechen, sondern ein Prozesshindernis handelt, ist der Antrag schon aus diesem Grund als unzulässig zurückzuweisen.

V. Ergebnis

1. Der Antrag ist zurückzuweisen.

2. Dies konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte