VfGH V375/2020

VfGHV375/202021.9.2020

Zurückweisung eines Individualantrags auf Aufhebung einer Covid-19-MaßnahmenV mangels Darlegung der unmittelbaren und aktuellen Betroffenheit

Normen

B-VG Art139 Abs1 Z3
COVID-19-MaßnahmenV BGBl II 98/2020 idF BGBl II 108/2020
VfGG §7 Abs2, §57 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2020:V375.2020

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antrag

Gestützt auf Art139 Abs1 Z3 B‑VG begehrt die Antragstellerin mit Antrag vom 9. April 2020, "die Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß §2 Z1 des COVID‑19‑Maßnahmengesetzes, BGBl II 98/2020 [idF BGBl II 108/2020], zur Gänze, in eventu die §§1, 3, 4, 5 und 6 der genannten Verordnung […]" als gesetzwidrig aufzuheben.

II. Rechtslage

Die Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß §2 Z1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, BGBl II 98/2020 idF BGBl II 108/2020, lautete (die mit dem Eventualantrag angefochtenen Bestimmungen sind hervorgehoben):

"Auf Grund von §2 Z1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, BGBl I Nr 12/2020, wird verordnet:

 

§1. Zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 ist das Betreten öffentlicher Orte verboten.

 

§2. Ausgenommen vom Verbot gemäß §1 sind Betretungen,

1. die zur Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Leib, Leben und Eigentum erforderlich sind;

2. die zur Betreuung und Hilfeleistung von unterstützungsbedürftigen Personen dienen;

3. die zur Deckung der notwendigen Grundbedürfnisse des täglichen Lebens erforderlich sind und sichergestellt ist, dass am Ort der Deckung des Bedarfs zwischen den Personen ein Abstand von mindestens einem Meter eingehalten werden kann, sofern nicht durch entsprechende Schutzmaßnahmen das Infektionsrisiko minimiert werden kann. Diese Ausnahme schließt auch Begräbnisse im engsten Familienkreis mit ein;

4. die für berufliche Zwecke erforderlich sind und sichergestellt ist, dass am Ort der beruflichen Tätigkeit zwischen den Personen ein Abstand von mindestens einem Meter eingehalten werden kann, sofern nicht durch entsprechende Schutzmaßnahmen das Infektionsrisiko minimiert werden kann. Dabei ist darauf zu achten, dass eine berufliche Tätigkeit vorzugweise außerhalb der Arbeitsstätte erfolgen soll, sofern dies möglich ist und Arbeitgeber und Arbeitnehmer darüber ein Einvernehmen finden.

5. wenn öffentliche Orte im Freien alleine, mit Personen, die im gemeinsamen Haushalt leben, oder mit Haustieren betreten werden sollen, gegenüber anderen Personen ist dabei ein Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten.

 

§3. Das Betreten von

1. Kuranstalten gemäß §42a KAKuG ist für Kurgäste verboten,

2. Einrichtungen, die der Rehabilitation dienen, ist für Patienten/-innen verboten, ausgenommen zur Inanspruchnahme unbedingt notwendiger medizinischer Maßnahmen der Rehabilitation im Anschluss an die medizinische Akutbehandlung sowie im Rahmen von Unterstützungsleistungen für Allgemeine Krankenanstalten.

 

§4. Die Benützung von Massenbeförderungsmitteln ist nur für Betretungen gemäß §2 Z1 bis 4 zulässig, wobei bei der Benützung ein Abstand von mindestens einem Meter gegenüber anderen Personen einzuhalten ist.

 

§5. Das Betreten von Sportplätzen ist verboten.

 

§6. Im Fall der Kontrolle durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind die Gründe, warum eine Betretung gemäß §2 zulässig ist, glaubhaft zu machen.

 

§7. (1) Diese Verordnung tritt mit 16. März 2020 in Kraft und mit Ablauf des 13. April 2020 außer Kraft.

 

(2) Die Änderungen durch die Novelle BGBl II Nr 107/2020 treten mit dem der Kundmachung folgenden Tag in Kraft."

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Die Antragstellerin ist Rechtsanwältin und bringt zu ihrer Antragslegitimation Folgendes vor:

"Die bekämpfte generelle Norm wirkt sich unmittelbar auf meine Rechtsposition aus, weil für mich und alle anderen Personen das Betreten öffentlicher Orte, von Kuranstalten, Einrichtungen der Rehabilitation und von Sportplätzen verboten ist und die Benützung von Massenbeförderungsmitteln beschränkt wird, dies unter Androhung hoher Verwaltungsstrafen. Das Betretungsverbot wirkt sich für alle Personen und Einrichtungen wechselseitig nachteilig aus, somit auch direkt für mich.

 

Bei der Beurteilung der Frage, ob sich die angefochtene Verordnung nachteilig auf meine Rechtssphäre auswirkt, ist ein objektiver Maßstab anzulegen, der dazu führt, dass meine Rechtsnachteile evident sind. Bei verständiger Würdigung der konkreten Umstände nach allgemeiner Auffassung sind die durch die Verordnung bewirkten Änderungen meiner Rechtsposition als eine für mich nachteilige anzusehen (zB VfSlg 11.765/1988; 14.075/1995 ua).

 

Ein zumutbarer Weg zur Geltendmachung der behaupteten Verfassungswidrigkeit ist nicht gegeben, weil mir ein gerichtliches oder verwaltungsbehördliches Verfahren, das Gelegenheit zur Anregung eines Antrages auf Normprüfung bzw zur Anrufung der VfGH bietet, nicht initiiert werden kann. Es liegen besondere und außergewöhnliche Umstände vor. Es liegt eine unmittelbare, rechtliche und aktuelle Betroffenheit durch die Verordnung vor. Ein anderer Weg zur Normenkontrolle ist nicht gegeben und unzumutbar. Ein verwaltungsstrafbehördliches Strafverfahren zu provozieren, ist jedenfalls unzumutbar (VfSlg 16.137/2001, 16. 281/2001 ua).

 

Ich bin durch die angefochtene generelle Rechtsnorm in meinen Rechten verletzt. Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (VfSlg 8009/1977, 16.031/2000 ua) kann mit einem Individualantrag ausnahmslos jede Rechtswidrigkeit der bekämpften Norm geltend gemacht werden."

 

2. Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz hat eine Äußerung erstattet, in der er die Zurückweisung des Antrages mangels aktueller Betroffenheit der Antragstellerin, in eventu die Abweisung des Antrages begehrt.

IV. Zulässigkeit

Der Antrag ist unzulässig:

1. Gemäß Art139 Abs1 Z3 B‑VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.

Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg 8058/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, dass die Verordnung in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie – im Fall ihrer Gesetzwidrigkeit – verletzt. Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art139 Abs1 Z3 B‑VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl zB VfSlg 8594/1979, 15.527/1999, 16.425/2002 und 16.426/2002).

2. Die Antragstellerin hat es zwar unterlassen, die angefochtene Fassung der Bestimmungen, deren Aufhebung begehrt wird, hinreichend genau zu bezeichnen (zu dieser Anforderung bei Individualanträgen auf Prüfung einer Verordnung vgl VfGH 20.11.2014, V61/2013; 7.10.2015, V12/2013), sie hat diese jedoch im Antrag wörtlich wiedergegeben, sodass unzweifelhaft erkennbar ist, in welcher Fassung diese Bestimmungen angefochten werden sollen (vgl VfSlg 17.237/2004, 16.773/2002, 7.10.2015, G24/2013 uva.).

3. Nach §57 Abs1 VfGG muss der Antrag, eine Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben, begehren, dass entweder die Verordnung ihrem ganzen Inhalte nach oder dass bestimmte Stellen der Verordnung als gesetzwidrig aufgehoben werden. Ein Antrag, der sich gegen den ganzen Inhalt einer Verordnung richtet, muss die Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit aller Bestimmungen der Verordnung "im Einzelnen" darlegen und insbesondere auch dartun, inwieweit alle angefochtenen Verordnungsregelungen unmittelbar und aktuell in die Rechtssphäre des Antragstellers eingreifen. Bei der Prüfung der aktuellen Betroffenheit hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu untersuchen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art139 Abs1 Z3 als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl zB VfSlg 10.353/1985, 14.277/1995, 15.306/1998, 16.890/2003, 18.357/2008, 19.919/2014, 19.971/2015). Anträge, die dem Erfordernis des §57 Abs1 VfGG nicht entsprechen, sind nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (vgl VfSlg 14.320/1995, 14.526/1996, 15.977/2000, 18.235/2007) nicht im Sinne von §18 VfGG verbesserungsfähig, sondern als unzulässig zurückzuweisen (vgl etwa VfSlg 12.797/1991, 13.717/1994, 17.111/2004, 18.187/2007, 19.505/2011, 19.721/2012).

4. Der (Haupt-)Antrag auf Aufhebung der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß §2 Z1 des COVID‑19-Maßnahmengesetzes, BGBl II 98/2020 idF BGBl II 108/2020, zur Gänze ist unzulässig:

Die angefochtene Verordnung enthält mehrere unterschiedliche, voneinander trennbare Verbotstatbestände. Die Antragstellerin hat in ihrem Antrag nicht dargetan, inwiefern sie von sämtlichen Tatbeständen der angefochtenen Verordnung unmittelbar und aktuell betroffen ist, so etwa auch, inwiefern sie im Antragszeitpunkt konkret beabsichtigt hat, eine Rehabilitationseinrichtung und eine Kuranstalt (§3 der angefochtenen Verordnung) in Anspruch zu nehmen (vgl etwa VfSlg 13.239/1992, 15.144/1998, 15.224/1998; VfGH 5.3.2014, V8/2014). Das Erfordernis solcher Darlegungen durch die Antragstellerin besteht auch dann, wenn bestimmte Annahmen im Hinblick auf die sonst geschilderte Situation naheliegen mögen (vgl VfSlg 14.309/1995, 14.817/1997, 19.613/2011).

Da es sich bei diesem Mangel um kein behebbares Formgebrechen, sondern ein Prozesshindernis handelt (vgl §18 VfGG und die oben zitierte Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes), ist der (Haupt-)Antrag auf Aufhebung der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß §2 Z1 des COVID‑19-Maßnahmengesetzes, BGBl II 98/2020 idF BGBl II 108/2020, zur Gänze schon aus diesem Grund als unzulässig zurückzuweisen.

5. Entsprechendes gilt auch für den Eventualantrag, der sich ebenfalls auf alle Verbotstatbestände der Verordnung bezieht und sich vom Hauptantrag lediglich durch Weglassung der Ausnahmetatbestände und der In- bzw Außerkrafttretensregelung unterscheidet.

V. Ergebnis

1. Der Antrag ist deshalb zurückzuweisen.

2. Dies konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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