VfGH G134/2019 ua

VfGHG134/2019 ua27.11.2019

Zurückweisung eines Individualantrags auf Aufhebung von Bestimmungen des ABGB betreffend die Anpassung der Bewertung von Schenkungen auf den Todeszeitpunkt infolge Möglichkeit der Stellung eines Parteiantrags sowie der Anregung eines Gesetzesprüfungsverfahrens durch das Gericht

Normen

B-VG Art140 Abs1 Z1 litc, litd
ABGB §788, §1503
VfGG §7 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2019:G134.2019

 

Spruch:

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antrag

Mit den vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litc B‑VG gestützten Anträgen begehren die Antragsteller gleichlautend

"§788 ABGB letzter Satz i.d.F. BGBl I 2015/87 (ErbRÄG 2015) mit der Wortfolge '…nach einem von der Statistik Austria verlautbarten Verbraucherpreisindex…' in Verbindung mit der in §1503 Abs7 Z1 und 2 enthaltenen Wortfolge 'für das Inkrafttreten des ErbRÄG 2015, BGBl I Nr 87/2015 (ErbRÄG 2015) gilt folgendes: Z1 der §788 samt Überschrift in der Fassung ErbRÄG 2015 samt Überschriften treten mit 01.01.2017 in Kraft' und Z2 'soweit im Folgenden nichts anders bestimmt ist, sind die nach Z1 mit 01.01.2017 in krafttretenden Bestimmungen anzuwenden, wenn der Verstorbene nach dem 31.12.2016 verstorben ist', diese ebenfalls in der Fassung BGBl I Nr 87/2015 (ErbRÄG 2015), als verfassungswidrig aufzuheben."

 

 

II. Rechtslage

1. §788 ABGB, JGS 946/1811, idF BGBl I 87/2015 lautet samt Überschrift (der angefochtene letzte Satz ist hervorgehoben):

"Bewertung der Schenkung

 

§788. Die geschenkte Sache ist auf den Zeitpunkt zu bewerten, in dem die Schenkung wirklich gemacht wurde. Dieser Wert ist sodann auf den Todeszeitpunkt nach einem von der Statistik Austria verlautbarten Verbraucherpreisindex anzupassen."

 

2. §1503 ABGB, JGS 946/1811, idF BGBl I 105/2019 lautet auszugsweise:

"§1503. (1) – (6) […]

 

(7) Für das Inkrafttreten des Erbrechts-Änderungsgesetzes 2015, BGBl I Nr 87/2015 (ErbRÄG 2015), gilt Folgendes:

 

1. Die §§199, 233, 269, 308, 531 bis 543, 546 bis 560, 563 bis 572, 575 bis 591, 601 bis 617, 647 bis 654, 656 bis 667, 672 bis 678, 681 bis 699, 701 bis 703, 705 bis 719, 721 bis 749, 750 Abs1, die §§751 bis 792, 797 bis 809, die Überschriften vor §810, die §§811 bis 817, 819 bis 821, 823, 824, 1205, 1249, 1251 bis 1254, 1278 bis 1283, 1462, 1487 und 1487a samt Überschriften in der Fassung des ErbRÄG 2015 und der Entfall der §§544, 545, 561, 562, 573, 594 bis 597, 646, 655, 668, 679, 680, 700, 704, 720, 793 bis 796, 818, 822, 951, 952, 956, 1248, 1250 und 1266 letzter Satz samt Überschriften treten mit 1. Jänner 2017 in Kraft.

 

2. Soweit im Folgenden nichts anderes bestimmt ist, sind die nach Z1 mit 1. Jänner 2017 in Kraft tretenden Bestimmungen anzuwenden, wenn der Verstorbene nach dem 31. Dezember 2016 verstorben ist.

 

[…]"

 

III. Antragsvorbringen und Sachverhalt

1. Die Antragsteller bringen zu dem zugrunde liegenden Sachverhalt zusammengefasst das Folgende vor:

1.1. Zu dem unter G134/2019 protokollierten Antrag:

Der Antragsteller sei Sohn des Verstorbenen und nach diesem Pflichtteilsberechtiger. Mit Testament vom 10. April 2014 sei die Ehegattin des Verstorbenen zur Alleinerbin eingesetzt worden. Der Verstorbene habe der Ehegattin sowie seiner Tochter zu Lebzeiten Liegenschaften geschenkt. Dem Antragsteller seien bisher € 226.655,41 als Pflichtteil überwiesen worden.

1.2. Zu dem zu G221/2019 protokollierten Antrag:

Die Antragsteller seien die Töchter des Verstorbenen und nach diesem Pflichtteilsberechtigte. Mit Testament vom 21. Juni 2011 sei die Ehegattin des Verstorbenen zur Alleinerbin eingesetzt worden. Der Verstorbene habe der Ehegattin zu Lebzeiten Hälfteanteile an Liegenschaften geschenkt. Die Antragstellerinnen hätten auf Basis der indexgesicherten Bemessungsgrundlagen des Schenkungspflichtteiles je € 50.000,– erhalten.

2. Zur Zulässigkeit ihrer Anträge führen die Antragsteller zusammengefasst das Folgende aus:

Die historischen Verkehrswerte seien im außerstreitigen Verlassenschaftsverfahren ermittelt worden. Die auf den historischen Verkehrswerten im Schenkungszeitpunkt basierenden Berechnungen des Schenkungspflichtteiles und der Heranziehung des von der Statistik Austria verlautbarten Verbraucherpreisindexes stünden in untrennbarem Zusammenhang mit den anwendbaren Gesetzesbestimmungen. Es liege eine Unzumutbarkeit vor, weil bei Einbringung einer Zivilklage mit einem sicheren Prozessverlust gerechnet werden müsse. Dies würde ungefähr € 33.673,76 an Kosten verursachen. Darüber hinaus stünde im Raum, dass die Antragsteller ungefähr denselben Betrag an den Prozessgegner bezahlen müssten. Dies sei kein zumutbarer Weg, die verfassungsrechtlichen Bedenken an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen. Es sei sohin im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes von einer Umwegsunzumutbarkeit auszugehen.

3. Die Antragsteller legen ihre Bedenken zusammengefasst wie folgt dar:

Die Bemessungsregelung des §788 letzter Satz ABGB verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz. Die Bestimmung berücksichtige keine Unterschiede im Tatsachenbereich, sondern sehe eine starre, von statistischen Überlegungen geprägte Wertanpassung vor, weil die Verbraucherpreisindizes der Statistik Austria in keiner Weise den tatsächlichen Wert im Zeitpunkt des Todes des Erblassers abbildeten. Der Verbraucherpreisindex sei zur Bemessung des Wertes von Liegenschaften ungeeignet. Der Gesetzgeber müsse alle Noterben gleich behandeln. Die Rechtslage sei auch deshalb verfassungswidrig, weil Wertverminderungen geschenkter Gegenstände nicht berücksichtigt werden könnten. Steigende Indizes würden stets zu einer höheren Bemessung führen, auch wenn der Vermögenswert in der Zwischenzeit an Wert verloren haben könnte. So könne etwa nicht berücksichtigt werden, wenn geschenktes Bauland nachträglich in Grünland rückgewidmet werde. Es sei daher unsachlich und gleichheitswidrig, solche Wertentwicklungen einer standardisierten Bewertung zuzuführen, wenn diese Verfahren nicht in Ansätzen geeignet seien, die Wertentwicklung auch nur annährend richtig wiederzugeben. Dem Obersten Gerichtshof sei eine berichtigende Auslegung durch den klaren Wortlaut der Bestimmung verwehrt. Die derzeitige Rechtslage führe dementsprechend zu einer massiven Ungleichbehandlung der Noterben.

IV. Zulässigkeit

1. Die – in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 VfGG zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen – Anträge sind unzulässig.

2. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B‑VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.

3. Voraussetzung der Antragslegitimation gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B‑VG ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz – im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit – in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese – im Falle seiner Verfassungswidrigkeit – verletzt.

4. Nicht jedem Normadressaten kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, dass das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteterweise – rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg 11.868/1988, 15.632/1999, 16.616/2002, 16.891/2003).

4.1. Nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes ist es grundsätzlich zumutbar, den Klagsweg zu beschreiten und im gerichtlichen Rechtsstreit Bedenken gegen präjudizielle Vorschriften vorzubringen (vgl zB VfSlg 8979/1980, 8890/1980, 9394/1982, 9695/1983, 9926/1984, 10.445/1985, 10.785/1986, 11.551/1987, 11.759/1988, 11.890/1988, 12.046/1989, 12.775/1991, 16.653/2002, 18.778/2009).

4.2. Seit dem Inkrafttreten der B‑VG‑Novelle BGBl I 114/2013 mit 1. Jänner 2015 hat gemäß Art89 Abs2 B‑VG jedes ordentliche Gericht (und damit auch das Gericht erster Instanz) bei Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des anzuwendenden Gesetzes einen Gesetzesprüfungsantrag beim Verfassungsgerichtshof zu stellen. Damit steht es einer Partei eines gerichtlichen Verfahrens (auch schon) vor einem ordentlichen Gericht erster Instanz zu, ihre verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die vom Gericht anzuwendenden Gesetzesbestimmungen vorzutragen und das gemäß Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG antragsberechtigte ordentliche Gericht zur Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof zu veranlassen. Außerdem erkennt der Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels.

5. Vor diesem Hintergrund erweisen sich die Anträge als unzulässig:

5.1. Die Antragsteller weisen in ihren Anträgen selbst darauf hin, dass ihnen die Geltendmachung ihrer behaupteten Ansprüche vor den ordentlichen Gerichten offen stünde. Im Rahmen eines solchen Prozesses bestünde die Möglichkeit, das zuständige Gericht zur Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG anzuregen (vgl VfGH 8.3.2017, G425/2016). Überdies könnten die Antragsteller auch aus Anlass eines gegen die Entscheidung des zuständigen Gerichtes erhobenen Rechtsmittels im Wege eines Antrages gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG ihre Bedenken an den Verfassungsgerichtshof herantragen (vgl VfGH 14.6.2017, G16/2017).

5.2. Besondere außergewöhnliche Umstände, die die Einbringung eines Individualantrages ausnahmsweise zulässig machen könnten, wurden nicht geltend gemacht (vgl dazu zB VfGH 15.6.2015, G182/2014 ua). Diesfalls würde eine Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes eintreten, welche mit dem Grundsatz der Subsidiarität von Individualanträgen nach Art140 B‑VG im Sinne der oben angeführten Judikatur nicht in Einklang stünde (VfGH 14.6.2017, G16/2017).

6. Die (Individual-)Anträge sind daher schon aus diesem Grund unzulässig.

V. Ergebnis

1. Die Anträge werden als unzulässig zurückgewiesen.

2. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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