VfGH A14/2018

VfGHA14/201825.2.2019

Zurückweisung einer Staatshaftungsklage mangels Darlegung eines qualifizierten Verstoßes des VwGH gegen Unionsrecht; Begriff des Eintrittsgelds iSd Vlbg KriegsopferabgabeG ist von keiner unionsrechtlichen Relevanz; keine Vergleichbarkeit der Rechtsprechung des EuGH zur Besteuerung von Glücksspielautomaten mit vorliegender Rechtslage

Normen

B-VG Art137 / sonstige Klagen
KriegsopferabgabeG Vlbg §4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2019:A14.2018

 

Spruch:

Die Klage wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Klage, Sachverhalt und Vorverfahren

1. Gestützt auf Art137 B‑VG begehrt die klagende Partei, den Bund schuldig zu erkennen, den Betrag von € 97.665.613,44 samt 4% Zinsen seit dem 8. Februar 2016 sowie die Prozesskosten zuhanden ihres Rechtsvertreters binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

2. Der Klage liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Die klagende Partei war Alleingesellschafterin der mittlerweile wegen Konkurses aufgelösten C. GmbH mit Sitz in Wien. Die C. GmbH unterhielt unter anderem in Vorarlberg eine Betriebstätte zur Durchführung erlaubter Kartenspiele ohne Bankhalter.

Mit mehreren Bescheiden setzte die Vorarlberger Landesregierung (bzw zuvor der Bürgermeister der Landeshauptstadt Bregenz) die von der C. GmbH auf Grundlage des Vorarlberger Kriegsopferabgabegesetz (KOAbG) zu entrichtende Kriegsopferabgabe für den Zeitraum September 2010 bis Dezember 2012 fest. Die von der C. GmbH abgehaltenen Kartenspiele stellten demnach eine gesellschaftliche Veranstaltung iSd §1 KOAbG dar und unterlägen daher der Abgabepflicht. Die C. GmbH verfüge über keine Konzession nach dem Glücksspielgesetz (GSpG), weswegen der Befreiungstatbestand des §1 Abs2 lith KOAbG nicht erfüllt sei. Die Abgabe sei nach dem "Eintrittsgeld" zu berechnen, wobei darunter nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Einsätze der Spieler ("Spieleinsätze") zu verstehen seien.

 

Die dagegen von der C. GmbH erhobenen Beschwerden wies der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnissen vom 16. Dezember 2016, 2013/17/0326, vom 20. Jänner 2016, 2013/17/0325 sowie vom 20. Jänner 2016, 2013/17/0644, als unbegründet ab. In diesen Entscheidungen sprach der Verwaltungsgerichtshof unter anderem aus, dass dem Beschwerdevorbringen der C. GmbH (als Beschwerdeführerin vor dem Verwaltungsgerichtshof) keine unionsrechtliche Relevanz zukomme.

In der vorliegenden Klage macht die klagende Partei – zusammengefasst – geltend, die C. GmbH sei wegen der Bestätigung der Abgabenbescheide durch den Verwaltungsgerichtshof insolvent geworden, was zur Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der C. GmbH und letztlich zur Auflösung derselben geführt habe. Die genannten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes seien unionsrechtswidrig, wodurch der klagenden Partei ein Schaden in Höhe der festgesetzten Abgabebeträge von insgesamt € 97.665.613,44 entstanden sei. Den behaupteten Verstoß gegen das Unionsrecht erachtet die klagende Partei in der (damaligen) Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes, als der Bemessung zugrunde zu legendes "Eintrittsgeld" im Sinne des §2 Abs1 KOAbG seien die Einsätze der Spieler heranzuziehen. Diese Auslegung sei unionsrechtswidrig gewesen und der Verwaltungsgerichtshof sei von dieser – von der klagenden Partei als unionsrechtswidrig erachteten – Gesetzesauslegung mit seinem Erkenntnis vom 21. März 2018, 2017/13/0076, ausdrücklich abgegangen. Die zuvor vertretene Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofes habe eine "Erdrosselungswirkung" gehabt und stehe mit "den unionsrechtlichen Vorschriften betreffend Dienstleistungsfreiheit, Eigentum und freie Erwerbsausübung (Art56 AEUV, Art15-17, 20, 47 GRC)" und der Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 11. Juni 2015, Rs. C-98/14 , Berlington, Slg. 2015, I-386, in Widerspruch.

3. Die beklagte Partei legte die Bezug habenden Akten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie sowohl die Zulässigkeit der Klage als auch die Begründetheit des Klagebegehrens bestreitet. Nach Ansicht der beklagten Partei habe die klagende Partei einen qualifizierten Verstoß gegen Unionsrecht nicht hinreichend dargelegt; zudem fehle der klagenden Partei die aktive Klagslegitimation im Hinblick auf den behaupteten vermögensrechtlichen Anspruch. Der behauptete Schaden sei – dem eigenen Vorbringen der klagenden Partei zufolge – der C. GmbH entstanden, weshalb es sich aus Sicht der klagenden Partei als Gesellschafterin der C. GmbH lediglich um einen mittelbaren, nicht zur Klagsführung berechtigenden Schaden handle. Das Klagebegehren sei zudem unbegründet, dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass nach dem Vorarlberger Kriegsopferabgabegesetz die Besucher der Betriebstätte der C. GmbH und nicht die C. GmbH abgabepflichtig seien und die von der klagenden Partei behauptete "Erdrosselungswirkung" der Kriegsopferabgabe für die C. GmbH daher dem Grunde nach nicht vorliegen könne.

4. Die klagende Partei verkündete mit Eingabe vom 19. Dezember 2018 dem als Masseverwalter im Konkursverfahren über das Vermögen der C. GmbH bestellten Rechtsanwalt gemäß §21 ZPO den Streit. In Entsprechung des diesbezüglichen Antrages der klagenden Partei setzte der Verfassungsgerichtshof den genannten Rechtsanwalt durch Übermittlung der auf Art137 B‑VG gestützten Klage samt Beilagen von der Streitverkündung in Kenntnis.

5. Mit Eingaben vom 3. Jänner 2019 und vom 23. Jänner 2019 beantragte die klagende Partei, der Verfassungsgerichtshof möge ein Versäumungsurteil gemäß §35 VfGG und §396 ZPO gegen den Bund fällen, weil der Bund der Aufforderung zur Erstattung einer Gegenschrift nicht fristgerecht nachgekommen sei.

II. Rechtslage

§§1, 2 und 3 des Vorarlberger Gesetzes über die Einhebung einer Kriegsopferabgabe im Lande Vorarlberg ("Kriegsopferabgabegesetz – KOAbG"), LGBl 40/1989, idF 11/2012 lauten:

"§1

Gegenstand der Abgabe

 

(1) Für die in Vorarlberg stattfindenden gesellschaftlichen Veranstaltungen und für das nichtöffentliche Abspielen von Laufbildern, die auf Bildträgern aufgezeichnet sind, ist eine Abgabe zu entrichten, sofern nicht gemäß Abs2 eine Befreiung gewährt ist.

 

(2) Der Abgabe unterliegen nicht:

a) Veranstaltungen mit überwiegend kulturellem oder künstlerischem Gehalt,

b) Sportveranstaltungen,

c) Zirkusveranstaltungen,

d) die öffentliche Veranstaltung von Lichtspielen,

e) Tanzveranstaltungen mit lebender Musik,

f) Rundfunkübertragungen in öffentlichen Lokalen,

g) Veranstaltungen von Vereinen für ihre eigenen ausübenden Mitglieder,

h) Ausspielungen gemäß §2 des Glücksspielgesetzes durch Konzessionäre nach den §§14 (Übertragung bestimmter Lotterien), 21 (Spielbanken) und 22 (Pokersalons) des Glücksspielgesetzes.

 

§2

Abgabepflichtige und einhebepflichtige Personen

 

(1) Zur Entrichtung der Abgabe ist verpflichtet, wer die von der Abgabe betroffenen Veranstaltungen gegen Entrichtung eines Eintrittsgeldes besucht. Hiebei ist es gleichgültig, ob das Eintrittsgeld in der gewöhnlichen Form des Entgeltes für eine Eintrittskarte oder in anderer Form entrichtet wird. Als Eintrittsgeld sind insbesondere auch Beiträge für irgendwelche Zwecke anzusehen, wenn mit ihnen das Recht zum Besuch der Veranstaltung miterworben wird, ferner Beiträge, die zur Deckung der Veranstaltungskosten von den Besuchern eingesammelt oder in Form eines Zuschlages auf den Preis der bei der Veranstaltung verabreichten Speisen und Getränke oder in Form einer die gewöhnliche Höhe übersteigenden Garderobengebühr oder als Preis für Tanzkarten, Maskenzeichen und dergleichen eingehoben werden. Zur Entrichtung der Abgabe ist weiters verpflichtet, wem der von der Abgabe betroffene Bildträger gegen Entgelt zum nichtöffentlichen Abspielen innerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes überlassen wird. Im Zweifel ist anzunehmen, dass der Bildträger zu diesem Zweck überlassen wird.

 

(2) Der Veranstalter ist verpflichtet, die Abgabe vom Abgabepflichtigen in Form eines Zuschlages zum Eintrittsgeld einzuheben und nach den Bestimmungen dieses Gesetzes abzuführen. Er haftet für die richtige Abfuhr aller Beträge, zu deren Einhebung er verpflichtet ist. Kommen mehrere Personen gemeinsam als Veranstalter in Betracht, so haften sie für die Abgabe zur ungeteilten Hand. Dies gilt in gleicher Weise für Personen, die Bildträger Dritten gegen Entgelt zum nichtöffentlichen Abspielen überlassen.

 

(3) Als Veranstalter gilt, wer sich als Veranstalter öffentlich ankündigt oder der Behörde gegenüber ausgibt, im Zweifel derjenige, auf dessen Rechnung die Einnahmen der Veranstaltung gehen.

 

(4) Für das Aufstellen oder den Betrieb von Wettterminals ist jene Person abgabepflichtig, die hiefür eine Bewilligung nach dem Wettengesetz hat oder haben müsste.

 

§3

Höhe der Abgabe

 

(1) Die Abgabe für Veranstaltungen beträgt, soweit sich aus dem Abs2 nichts anderes ergibt, 10 v.H. des Eintrittsgeldes.

 

(2) Die Landesregierung kann die Abgabe bei Veranstaltungen von Unternehmungen, die aus Landesmitteln unterstützt werden, von 10 v.H. auf 5 v.H. des Eintrittsgeldes ermäßigen.

 

(3) Die Abgabe für das nichtöffentliche Abspielen von Laufbildern, die auf Bildträgern aufgezeichnet sind, beträgt 5 v.H. des Entgelts für die Überlassung des Bildträgers.

 

(4) Die Abgabe für das Aufstellen oder den Betrieb von Wettterminals beträgt für jeden einzelnen Wettterminal 700 Euro für jeden Kalendermonat, in dem der Wettterminal aufgestellt ist oder betrieben wird.

 

(5) Als Eintrittsgeld im Sinne der vorstehenden Abs1 und 2 gelten alle im §2 Abs1 bezeichneten Leistungen der Veranstaltungsbesucher abzüglich in ihnen etwa enthaltener öffentlicher Zuschlagsabgaben."

 

III. Zur Zulässigkeit

1. Gemäß Art137 B‑VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über vermögensrechtliche Ansprüche gegen den Bund, ein Land, eine Gemeinde oder einen Gemeindeverband, die weder im ordentlichen Rechtsweg auszutragen noch durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen sind.

Wie der Verfassungsgerichtshof zu seiner Zuständigkeit für die Geltendmachung eines unionsrechtlich begründeten Staatshaftungsanspruches ausgesprochen hat, ist es nicht die Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes, – ähnlich einem Rechtsmittelgericht – die Richtigkeit der Entscheidungen anderer Höchstgerichte zu prüfen. Der Verfassungsgerichtshof ist nur zur Beurteilung berufen, ob ein qualifizierter Verstoß gegen Unionsrecht im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (vgl u.a. EuGH 30.9.2003, Rs. C-224/01 , Köbler, Slg. 2003, I-10239) vorliegt (vgl VfSlg 17.095/2003, 17.214/2004, 19.361/2011; VfGH 5.12.2016, A8/2016).

 

Eine auf den Titel der Staatshaftung gestützte Klage nach Art137 B‑VG ist unter anderem nur unter der Voraussetzung zulässig, dass ein Verstoß gegen das Unionsrecht geltend gemacht wird, der im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union offenkundig ist (VfSlg 19.361/2011, 19.428/2011; VfGH 23.11.2017, A8/2017). Wie der Gerichtshof der Europäischen Union in der Rechtssache Köbler (Rz 51 ff.) festhält, liegt ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen Unionsrecht durch ein nationales letztinstanzliches Gericht unter Berücksichtigung der Besonderheit der richterlichen Funktion und der berechtigten Belange der Rechtssicherheit insbesondere dann vor, wenn gegen eine klare und präzise Vorschrift verstoßen oder eine einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union offenkundig verkannt wird (EuGH 30.9.2003, Rs. C-224/01 , Köbler, Slg. 2003, I-10239 [Rz 51 ff.]; VfSlg 18.448/2008).

Die klagende Partei im Staatshaftungsverfahren hat daher nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes begründet darzulegen, dass eine dieser Voraussetzungen erfüllt ist. Der behauptete Verstoß muss also der Art nach möglich sein. Lässt eine Klage dies jedoch vermissen oder werden lediglich Auslegungsfragen, wie etwa auf Grund einer Literaturmeinung und einer deswegen angenommenen Vorlagepflicht des letztinstanzlichen Gerichtes, aufgeworfen, wird dadurch dieser Anforderung nicht Genüge getan. Eine solche Klage ist unzulässig (VfGH 27.6.2017, A17/2016; 23.11.2017, A8/2017).

2. Die vorliegenden Klagebehauptungen vermögen eine Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes für die Geltendmachung eines unionsrechtlich begründeten Staatshaftungsanspruches, abgeleitet aus einem rechtswidrigen Verhalten des Verwaltungsgerichtshofes, nicht zu begründen:

Die klagende Partei behauptet zwar einen die Staatshaftung auslösenden Verstoß des Verwaltungsgerichtshofes gegen das Unionsrecht, zeigt diesen Verstoß jedoch nicht nachvollziehbar auf. Es ist dem Verfassungsgerichtshof anhand des Klagevorbringens nicht erkennbar, in welcher Hinsicht die relevierte Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofes betreffend die Bemessung der Abgabepflicht der C. GmbH nach dem Vbg Kriegsopferabgabegesetz unter Nichtbeachtung von oder im Widerspruch zu Unionsrecht erfolgte. Die vom Verwaltungsgerichtshof bis zur Änderung seiner Judikatur mit Entscheidung vom 19. April 2018 zu 2017/15/0075 (sowie VwGH 21.3.2018, 2017/13/0076) gewählte Gesetzesauslegung des Begriffes "Eintrittsgeld" in §2 KOAbG dahingehend, dass darunter die Einsätze der Spieler zu verstehen seien, ist – wie auch der Verwaltungsgerichtshof in seinen Erkenntnissen vom 16. Dezember 2016, 2013/17/0326, und vom 20. Jänner 2016, 2013/17/0325, sowie vom 20. Jänner 2016, 2013/17/0644, festhält – von keiner unionsrechtlichen Relevanz. Ein (offenkundiger) Verstoß gegen Unionsrecht lässt sich damit nicht begründen.

Gleiches gilt für den Verweis der klagenden Partei auf die Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union in der Rechtssache Berlington (EuGH 11.6.2015, Rs. C-98/14 , Berlington, Slg. 2015, I-386). In dieser Entscheidung beurteilte der Gerichtshof der Europäischen Union aus Anlass eines Vorabentscheidungsersuchens eine ungarische Bestimmung über die Besteuerung von Glücksspielautomaten innerhalb und außerhalb von Spielhallen im Hinblick auf die Dienstleistungsfreiheit. Die von der klagenden Partei offenbar angenommene Vergleichbarkeit der Konstellationen in der Rechtssache Berlington einerseits mit den Bestimmungen des Vorarlberger Kriegsopferabgabegesetzes andererseits wird in der Klage nicht begründet, und für den Verfassungsgerichtshof ist auch nicht erkennbar, worin ein Widerspruch zu den angeführten Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtshofes bestehen soll. Der behauptete Verstoß der angeführten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes gegen die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union ist in der Klage nicht dargetan.

3. Die vorliegende Klage ist daher wegen des Fehlens der erforderlichen Darlegung eines offenkundigen Verstoßes gegen Unionsrecht zurückzuweisen. Damit erübrigt sich in der Sache die Beurteilung der – von der beklagten Partei verneinte – Frage der Aktivlegitimation der klagenden Partei.

4. Bei diesem Ergebnis ist auf den Antrag der klagenden Partei auf Erlassung eines Versäumungsurteils gemäß §35 VfGG iVm §396 Abs1 ZPO nicht einzugehen.

IV. Ergebnis

1. Die Klage ist zurückzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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