VfGH G8/2018

VfGHG8/201819.6.2018

Zurückweisung von Parteianträgen mehrerer Gesellschaften auf Aufhebung näher bezeichneter Teile einer Bestimmung der StPO betreffend die Bezeichnung von sichergestellten Aufzeichnungen oder Datenträgern im Zuge einer Hausdurchsuchung im Falle eines Widerspruchs der Betroffenen unter Berufung auf das Recht auf Verschwiegenheit als zu eng gefasst bzw mangels Legitimation

Normen

B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
StPO §112 Abs1, Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2018:G8.2018

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG gestützten Antrag begehren die Antragsteller

"der Verfassungsgerichtshof möge

 

1. die Wortfolge 'seiner Verschwiegenheit' in §112 Abs2 StPO erster Satz idF BGBI I 29/2012 als verfassungswidrig aufheben;

 

in eventu

 

2. den Buchstaben 's' des Wortes 'seiner' in §112 Abs2 erster Satz StPO idF BGBI I 29/2012 als verfassungswidrig aufheben;

 

in eventu

 

3. a) Z1 in §110 Abs1 StPO idF BGBl I 19/2004

b) §110 Abs4 StPO idF BGBI I 19/2004

c) die Wortfolge 'aus Beweisgründen' in §69 Abs3 StPO idF BGBl I 19/2004

d) §115 Abs3 StPO idF BGBI I 19/2004

e) §115e Abs1 letzter Satz StPO idF BGBl I 35/2012

f) die Wortfolge '§110 Abs4 und' in §116 Abs6 StPO idF BGBI I 26/2016

 

in eventu

 

4. a) in §112 Abs1 StPO idF BGBI I 29/2012 die Wortfolge ', solange nicht über die Einsicht nach den folgenden Absätzen entschieden worden ist.'

b) §112 Abs2 und 3 StPO idF BGBl I 29/2012 zur Gänze

 

in eventu

 

5. a) §112 Abs2 und 3 StPO […] idF BGBl I 29/2012 zur Gänze

 

als verfassungswidrig aufheben."

II. Rechtslage

§110 der Strafprozeßordnung 1975 (StPO), BGBl 631/1975, idF BGBl I 71/2014, und §112 StPO idF BGBl I 29/2012 lauten:

"Sicherstellung

 

§110. (1) Sicherstellung ist zulässig, wenn sie

1. aus Beweisgründen,

2. zur Sicherung privatrechtlicher Ansprüche oder

3. zur Sicherung der Konfiskation (§19a StGB), des Verfalls (§20 StGB), des erweiterten Verfalls (§20b StGB), der Einziehung (§26 StGB) oder einer anderen gesetzlich vorgesehenen vermögensrechtlichen Anordnung

erforderlich scheint.

 

(2) Sicherstellung ist von der Staatsanwaltschaft anzuordnen und von der Kriminalpolizei durchzuführen.

 

(3) Die Kriminalpolizei ist berechtigt, Gegenstände (§109 Z1 lita) von sich aus sicherzustellen,

1. wenn sie

a. in niemandes Verfügungsmacht stehen,

b. dem Opfer durch die Straftat entzogen wurden,

c. am Tatort aufgefunden wurden und zur Begehung der strafbaren Handlung verwendet oder dazu bestimmt worden sein könnten, oder

d. geringwertig oder vorübergehend leicht ersetzbar sind,

2. wenn ihr Besitz allgemein verboten ist (§445a Abs1),

3. die im Rahmen einer Durchsuchung nach §120 Abs2 aufgefunden werden oder mit denen eine Person, die aus dem Grunde des §170 Abs1 Z1 festgenommen wird, betreten wurde oder die im Rahmen ihrer Durchsuchung gemäß §120 Abs1 zweiter Satz aufgefunden werden, oder

4. in den Fällen des Artikels 18 der Verordnung (EU) Nr 608/2013 zur Durchsetzung der Rechte geistigen Eigentums durch die Zollbehörden und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr 1383/2003 des Rates, ABl. Nr L 181 vom 29.06.2013 S. 15.

 

(4) Die Sicherstellung von Gegenständen aus Beweisgründen (Abs1 Z1) ist nicht zulässig und jedenfalls auf Verlangen der betroffenen Person aufzuheben, soweit und sobald der Beweiszweck durch Bild‑, Ton‑ oder sonstige Aufnahmen oder durch Kopien schriftlicher Aufzeichnungen oder automationsunterstützt verarbeiteter Daten erfüllt werden kann und nicht anzunehmen ist, dass die sichergestellten Gegenstände selbst oder die Originale der sichergestellten Informationen in der Hauptverhandlung in Augenschein zu nehmen sein werden.

 

[…]

 

§112. (1) Widerspricht die von der Sicherstellung betroffene oder anwesende Person, auch wenn sie selbst der Tat beschuldigt ist, der Sicherstellung von schriftlichen Aufzeichnungen oder Datenträgern unter Berufung auf ein gesetzlich anerkanntes Recht auf Verschwiegenheit, das bei sonstiger Nichtigkeit nicht durch Sicherstellung umgangen werden darf, so sind diese Unterlagen auf geeignete Art und Weise gegen unbefugte Einsichtnahme oder Veränderung zu sichern und bei Gericht zu hinterlegen. Auf Antrag des Betroffenen sind die Unterlagen jedoch bei der Staatsanwaltschaft zu hinterlegen, die sie vom Ermittlungsakt getrennt aufzubewahren hat. In beiden Fällen dürfen die Unterlagen von Staatsanwaltschaft oder Kriminalpolizei nicht eingesehen werden, solange nicht über die Einsicht nach den folgenden Absätzen entschieden worden ist.

 

(2) Der Betroffene ist aufzufordern, binnen einer angemessenen, 14 Tage nicht unterschreitenden Frist jene Teile der Aufzeichnungen oder Datenträger konkret zu bezeichnen, deren Offenlegung eine Umgehung seiner Verschwiegenheit bedeuten würde; zu diesem Zweck ist er berechtigt, in die hinterlegten Unterlagen Einsicht zu nehmen. Unterlässt der Betroffene eine solche Bezeichnung, so sind die Unterlagen zum Akt zu nehmen und auszuwerten. Anderenfalls hat das Gericht, im Fall eines Antrags nach Abs1 vorletzter Satz jedoch die Staatsanwaltschaft die Unterlagen unter Beiziehung des Betroffenen sowie gegebenenfalls geeigneter Hilfskräfte oder eines Sachverständigen zu sichten und anzuordnen, ob und in welchem Umfang sie zum Akt genommen werden dürfen. Unterlagen, die nicht zum Akt genommen werden, sind dem Betroffenen auszufolgen. Aus deren Sichtung gewonnene Erkenntnisse dürfen bei sonstiger Nichtigkeit nicht für weitere Ermittlungen oder als Beweis verwendet werden.

 

(3) Gegen die Anordnung der Staatsanwaltschaft kann der Betroffene Einspruch erheben, in welchem Fall die Unterlagen dem Gericht vorzulegen sind, das zu entscheiden hat, ob und in welchem Umfang sie zum Akt genommen werden dürfen; Abs2 letzter Satz gilt. Einer Beschwerde gegen den Beschluss des Gerichts kommt aufschiebende Wirkung zu."

III. Sachverhalt, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

1.1. Bei der zweiten, dritten und vierten antragstellenden Gesellschaft handelt es sich jeweils um belangte Verbände in einem von der Zentralen Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption geführten Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der wettbewerbsbeschränkenden Absprachen bei Vergabeverfahren gemäß §168b Abs1 StGB sowie anderer strafbarer Handlungen. Am 3. und 4. Mai 2017 fanden Hausdurchsuchungen in den Unternehmensräumlichkeiten der ersten, zweiten, dritten und vierten antragstellenden Gesellschaft statt, bei denen diverse Daten und Datenträger sichergestellt und in der Folge versiegelt an das Landesgericht für Strafsachen Wien übergeben wurden.

1.2. Der fünfte Antragsteller, welcher Gesellschafter der sechsten antragstellenden Gesellschaft ist, war bei der Durchsuchung anwesend und übernahm am 3. Mai 2017 die richterlich bewilligte Anordnung der Durchsuchung sowie die Anordnung der Sicherstellung. Im Zuge der Durchsuchung wurden die Anordnung der Hausdurchsuchung, deren gerichtliche Bewilligung sowie die Sicherstellungsanordnung mündlich auf die erste antragstellende Gesellschaft erweitert. Hinsichtlich eines Teils der sichergestellten Unterlagen und Daten widersprach der fünfte Antragsteller der Sicherstellung und beantragte die Versiegelung bzw. gerichtliche Hinterlegung.

1.3. Mit Beschluss vom 3. Jänner 2018, **************, gab das Landesgericht für Strafsachen Wien dem Antrag auf Durchführung eines Sichtungsverfahrens gemäß §112 Abs2 StPO im Hinblick auf die sichergestellten Daten und Datenträger keine Folge. Begründend führte das Landesgericht für Strafsachen Wien hiezu aus, dass die gesetzlichen Voraussetzungen eines Sichtungsverfahrens, "nämlich die Durchsuchung von bzw Sicherstellung in Räumlichkeiten von Berufsgeheimnisträgern sowie der Widerspruch eines Berufsgeheimnisträgers unter Berufung auf ein gesetzliches Verschwiegenheitsrecht", nicht vorlägen. Vor diesem Hintergrund dürften die sichergestellten Objekte gemäß §112 Abs1 und 2 StPO zum Akt genommen werden.

Gegen diesen Beschluss erhoben die Antragsteller Beschwerde und stellten den vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG gestützten Antrag.

2. Die Antragsteller legen in ihrem Antrag die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die angefochtenen Bestimmungen bzw. Wortfolgen näher dar.

3. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie den Antrag zum Teil als unzulässig erachtet; darüber hinaus tritt sie den im Antrag erhobenen Bedenken entgegen.

IV. Zur Zulässigkeit

1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels.

Voraussetzung eines Parteiantrages auf Normenkontrolle ist – entsprechend der Formulierung des Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG – die Einbringung eines Rechtsmittels in einer "in erster Instanz entschiedenen Rechtssache", somit eines Rechtsmittels gegen eine die Rechtssache erledigende Entscheidung erster Instanz (vgl. VfSlg 20.001/2015; VfGH 25.2.2016, G659/2015). Außerdem muss der Parteiantrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG "aus Anlass" der Erhebung eines Rechtsmittels gestellt werden. Für den Rechtsmittelwerber ist dabei die Frist zur Einbringung des Rechtsmittels maßgebend (vgl. VfSlg 20.074/2016; VfGH 26.9.2016, G62/2016).

2. Der vorliegende Antrag wird aus Anlass einer Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 3. Jänner 2018, **************, mit dem einem Widerspruch gemäß §112 Abs1 StPO keine Folge gegeben wurde, gestellt.

Der Parteiantrag wurde – ausweislich der Aktenlage – ebenso wie die gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien erhobene Beschwerde innerhalb der zweiwöchigen Beschwerdefrist eingebracht (vgl. §84, §88 Abs2 StPO; §89d Abs2 GOG). Damit ist der Parteiantrag als rechtzeitig anzusehen. Die Rechtzeitigkeit der Beschwerde wurde auch vom Landesgericht für Strafsachen Wien nicht in Abrede gestellt.

3. Mit Schreiben vom 26. März 2018 teilte das Oberlandesgericht Wien dem Verfassungsgerichtshof mit, dass es hinsichtlich der erst-, zweit- und drittantragstellenden Gesellschaft keinen Grund für eine Unzulässigkeit der Beschwerden sehe. Die Beschwerden des vierten, fünften und sechsten Antragstellers wurden hingegen mit Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 23. März 2018, ************, gemäß §89 Abs2 StPO als unzulässig zurückgewiesen. Wie sich aus dem vom Oberlandesgericht Wien genannten – dem Verfassungsgerichtshof vorgelegten – Beschluss ergibt, ging das Oberlandesgericht Wien davon aus, dass der fünfte Antragsteller (und mit ihm die sechste antragstellende Gesellschaft) im Zuge der Hausdurchsuchung den Widerspruch gemäß §112 Abs1 StPO bloß im Namen seiner Mandanten, nicht aber im eigenen Namen und auch nicht im Namen der vierten antragstellenden Gesellschaft erhoben hatte.

Der Antrag des vierten, fünften und sechsten Antragstellers ist schon aus diesem Grund als unzulässig zurückzuweisen (vgl. auch unten Punkt 5.).

4. Zur Frage, ob die Entscheidung über einen Widerspruch iSd §112 Abs1 StPO bereits eine "von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedene Rechtssache" iSd Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG darstellt, ist auf folgende Erwägungen im Erkenntnis VfSlg 20.001/2015 zu verweisen:

"§112 StPO dient insbesondere dem Schutz des Verschwiegenheitsrechtes, das bestimmten Berufsgruppen aus rechtsstaatlichen Gründen im Strafverfahren eingeräumt wird. Ein von einem betroffenen Berufsgeheimnisträger gemäß §112 Abs2 StPO erwirkter – mittels Beschwerde nach §87 Abs1 StPO anfechtbarer – Gerichtsbeschluss darüber, ob und in welchem Umfang sichergestellte Unterlagen zum Ermittlungsakt genommen werden dürfen, spricht hinsichtlich des Geheimnisträgers über die Frage der Zulässigkeit des Eingriffs in seine geschützten Rechte abschließend ab. Ein Beschluss nach §112 Abs2 StPO (bzw. die darüber im Ermittlungsverfahren ergehende Rechtsmittelentscheidung) führt somit zumindest für den Geheimnisträger und seinen Mandanten […] bereits im Ermittlungsverfahren eine 'entschiedene Rechtssache' herbei, sodass diese Prozessvoraussetzung des Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG insoweit erfüllt ist.

 

Anders verhält es sich mit der Antragslegitimation des erstantragstellenden Beschuldigten. Dieser hat nämlich die Möglichkeit, einen allfälligen Schuldspruch, der sich auf die Einbringung von im Ermittlungsverfahren entgegen dem Verwendungsverbot des §112 Abs2 StPO (direkt oder indirekt – als Beweis oder durch weitere Ermittlungen –) gewonnenen Erkenntnissen in die Hauptverhandlung stützt, mittels Nichtigkeitsbeschwerde (gestützt auf §281 Abs1 Z2 StPO) zu bekämpfen".

Auf dem Boden dieser Erwägungen und des dem Verfassungsgerichtshof vorliegenden strafrechtlichen Ermittlungsaktes, aus dem die Stellung als belangte Verbände hinsichtlich der zweit- und drittantragstellenden Gesellschaft hervorgeht, ist die Legitimation der zweit- und drittantragstellenden Gesellschaft zur Erhebung eines Parteiantrages zu verneinen.

Aus diesem Grund ist der Antrag der zweit- und drittantragstellenden Gesellschaft schon wegen Fehlens einer "von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache" zurückzuweisen (vgl. auch unten Punkt 5.).

5. Es ist sohin nur mehr zu prüfen, ob der Antrag der erstantragstellenden Gesellschaft zulässig ist:

5.1. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.

Aus dieser Grundposition folgt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Umfang der in Prüfung gezogenen Norm nicht zu eng gewählt werden darf (vgl. VfSlg 16.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011). Der Antragsteller hat all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des Antragstellers teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.684/2012, 19.903/2014; 20.070/2016; VfGH 13.10.2016, G640/2015; 12.12.2016, G105/2016).

Unzulässig ist der Antrag etwa dann, wenn der im Falle der Aufhebung im begehrten Umfang verbleibende Teil einer Gesetzesstelle als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar wäre (VfSlg 16.279/2001, 19.413/2011, 20.082/2016; VfGH 19.6.2015, G211/2014; 7.10.2015, G444/2015), der Umfang der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen so abgesteckt ist, dass die angenommene Verfassungswidrigkeit durch die Aufhebung gar nicht beseitigt würde (vgl. zB VfSlg 18.891/2009, 19.933/2014), oder durch die Aufhebung bloßer Teile einer Gesetzesvorschrift dieser ein völlig veränderter, dem Gesetzgeber überhaupt nicht mehr zusinnbarer Inhalt gegeben würde (VfSlg 18.839/2009, 19.841/2014, 19.972/2015, 20.102/2016).

Unter dem Aspekt einer nicht trennbaren Einheit in Prüfung zu ziehender Vorschriften ergibt sich ferner, dass ein Prozesshindernis auch dann vorliegt, wenn es auf Grund der Bindung an den gestellten Antrag zu einer in der Weise isolierten Aufhebung einer Bestimmung käme, dass Schwierigkeiten bezüglich der Anwendbarkeit der im Rechtsbestand verbleibenden Vorschriften entstünden, und zwar in der Weise, dass der Wegfall der angefochtenen (Teile einer) Bestimmung den verbleibenden Rest unverständlich oder auch unanwendbar werden ließe. Letzteres liegt dann vor, wenn nicht mehr mit Bestimmtheit beurteilt werden könnte, ob ein der verbliebenen Vorschrift zu unterstellender Fall vorliegt (VfSlg 16.869/2003 mwN).

5.2. Ausgehend von dieser Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes erweisen sich sowohl der Hauptantrag auf Aufhebung der Wortfolge "seiner Verschwiegenheit" in §112 Abs2 erster Satz StPO als auch sämtliche Eventualanträge als unzulässig:

Die erstantragstellende Gesellschaft wendet sich – wie aus der Begründung des Antrages hervorgeht – im Wesentlichen gegen die beschränkte Legitimation zur Erhebung eines Widerspruches. Mit einem Verweis auf das Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 11. Oktober 2017, 13 Os 94/17y ua., erachtet die erstantragstellende Gesellschaft den Sitz der Verfassungswidrigkeit hiebei in der Wortfolge "seiner Verschwiegenheit" in §112 Abs2 StPO, zumal die Strafgerichte – so die erstantragstellende Gesellschaft – daraus ableiteten, dass sich der von der Sicherstellung Betroffene bei Erhebung eines Widerspruches auf "sein" Verschwiegenheitsrecht berufen müsse. Unter dieser Prämisse sei ein Widerspruch des von der Sicherstellung unmittelbar betroffenen Mandanten unter Berufung auf das Verschwiegenheitsrecht seines Anwaltes – obgleich §112 Abs1 StPO lediglich auf "ein" gesetzlich anerkanntes Recht auf Verschwiegenheit verweise – unzulässig.

Ungeachtet der Frage, ob diese systematische Interpretation des Begriffs "betroffene Person" in §112 Abs1 StPO unter Verweis auf die Wortfolge "seiner Verschwiegenheit" in §112 Abs2 leg.cit. zutrifft, verkennt die erstantragstellende Gesellschaft damit, dass die Legitimation zur Erhebung des Widerspruches – an sich – nicht in §112 Abs2 StPO (und damit auch nicht in der mit dem Hauptantrag angefochtenen Wortfolge), sondern in §112 Abs1 leg.cit. geregelt ist und es insofern in jedem Fall notwendig gewesen wäre, §112 Abs1 StPO mitanzufechten. Da sowohl der Hauptantrag als auch der erste, zweite und vierte Eventualantrag dies unterlassen, erweisen sich diese Aufhebungsbegehren als zu eng gefasst.

Darüber hinaus erweist sich auch der dritte Eventualantrag, mit dem die Wortfolge ", solange nicht über die Einsicht nach den folgenden Absätzen entschieden worden ist," in §112 Abs1 StPO sowie der zweite und dritte Absatz des §112 StPO zur Gänze angefochten werden, als unzulässig: Im Fall einer Aufhebung in diesem Umfang verbliebe in §112 Abs1 StPO lediglich die Möglichkeit, einen Widerspruch zu erheben, sowie die Verpflichtung zur Sicherung und Hinterlegung der Unterlagen – und damit ein mit Anwendungsproblemen behafteter Torso. Weder wäre ersichtlich, wie die Unterlagen zu sichten sind, noch unter welchen Voraussetzungen sie trotz Widerspruchs zum Akt genommen werden könnten. Auch in diesem Fall wäre es insofern erforderlich gewesen, den gesamten Absatz 1 des §112 StPO mitanzufechten.

Wenn die erstantragstellende Gesellschaft hiezu ausführt, dass die Anfechtung des §112 StPO zur Gänze nicht statthaft sei, weil dessen (gänzliche) Aufhebung die behauptete Verfassungswidrigkeit nur verschärfe, übersieht sie, dass es Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes ist, darüber zu befinden, auf welche Weise die behauptete Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung der erstantragstellenden Gesellschaft teilen – beseitigt werden kann, und es nicht der erstantragstellenden Gesellschaft obliegt, dem Verfassungsgerichtshof einen Weg für die Beseitigung der behaupteten Verfassungswidrigkeit vorzugeben (vgl. ua. VfSlg 16.756/2002).

V. Ergebnis

1. Der Antrag ist zurückzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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