VfGH G224/2016

VfGHG224/201622.9.2016

Zurückweisung eines Parteiantrags auf Aufhebung einer Bestimmung des ABGB betr Schadenersatz als zu eng gefasst

Normen

B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
ABGB §1330 Abs2
B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
ABGB §1330 Abs2

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG gestützten Antrag wird begehrt, die Bestimmung des "§1330 Abs2 Satz 1 ABGB zur Gänze" als verfassungswidrig aufzuheben.

II. Rechtslage

Die im vorliegenden Fall maßgebliche Bestimmung des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB), JGS 946/1811 idF RGBl. 69/1916 lautet (die angefochtenen Gesetzesbestimmungen sind hervorgehoben):

"3) an der Ehre;

§1330. (1) Wenn jemandem durch Ehrenbeleidigung ein wirklicher Schade oder Entgang des Gewinnes verursacht worden ist, so ist er berechtigt, den Ersatz zu fordern.

(2) Dies gilt auch, wenn jemand Tatsachen verbreitet, die den Kredit, den Erwerb oder das Fortkommen eines anderen gefährden und deren Unwahrheit er kannte oder kennen mußte. In diesem Falle kann auch der Widerruf und die Veröffentlichung desselben verlangt werden. Für eine nicht öffentlich vorgebrachte Mitteilung, deren Unwahrheit der Mitteilende nicht kennt, haftet er nicht, wenn er oder der Empfänger der Mitteilung an ihr ein berechtigtes Interesse hatte."

III. Antragsvorbringen

1. Der Antragstellerin wurden im Zuge eines operativen Eingriffes Venengeflechte in Ober- und Unterschenkel entfernt. Am Folgetag wies die Antragstellerin eine etwa vier Zentimeter lange Schnittverletzung außerhalb des lokalbetäubten Bereiches auf.

1.1. In der Folge machte die Antragstellerin Schadenersatzansprüche gegen den behandelnden Arzt – den nunmehrigen Kläger des Ausgangsverfahrens – gerichtlich geltend, wobei zur Stützung des Begehrens vorgebracht wurde, dass der Kläger die Behandlung nicht lege artis durchgeführt und der Antragstellerin dadurch eine Nervenverletzung zugefügt habe.

1.2. Im gerichtlichen Verfahren konnte nicht festgestellt werden, dass der Antragstellerin durch den Kläger während bzw. nach der Operation eine Schnittverletzung zugefügt worden war. Es wurde ferner festgestellt, dass der Kläger der Antragstellerin im Zuge der Operation keine Nervenverletzung zugefügt hatte.

1.3. Im Rahmen des Schadenersatzverfahrens wegen behaupteter mangelhafter Vertretung gegen den vormaligen Rechtsvertreter der Antragstellerin sowie im vorliegenden Ausgangsverfahren vertrat die Antragstellerin jeweils neuerlich, dass dem Kläger Behandlungsfehler unterlaufen seien und ihr dieser eine Nervenverletzung zugefügt habe. Dagegen richtet sich die Unterlassungsklage des Klägers im Ausgangsverfahren.

1.4. Das Bezirksgericht Feldkirch hielt in seiner rechtlichen Beurteilung zunächst fest, dass eine Rechtfertigung iSd §1330 Abs2 ABGB dann vorliegen könne, wenn die herabsetzende Tatsachenbehauptung in Ausübung eines Rechtes – etwa einer Parteiaussage – aufgestellt werde. Voraussetzung der Rechtfertigung wäre jedoch, dass die Herabsetzung nicht wider besseres Wissen erfolge. Die Antragstellerin hätte jedoch im vorliegenden Fall wissen müssen, dass ihr die von ihr behaupteten Verletzungen nicht durch den Kläger zugefügt worden waren. Ungeachtet dessen habe sie die Aussagen in den Verfahren wiederholt.

1.5. Die Antragstellerin wurde in der Folge mit Urteil des Bezirksgerichtes Feldkirch vom 19. Mai 2016, Z 8 C 629/15s für schuldig erkannt, gegenüber Dritten die Behauptung zu unterlassen, dass sie der Kläger des Ausgangsverfahrens nicht sach- und fachgerecht operiert und dadurch eine Nervenverletzung zugefügt habe. Mit dem Urteil wurde der Antragstellerin auch die Äußerung von sonstigen Behauptungen untersagt, die auf ein solches Ergebnis hinauslaufen.

2. In dem aus Anlass der Entscheidung des Bezirksgerichtes Feldkirch gestellten Antrag bringt die Antragstellerin zunächst vor, dass die Bestimmung des §1330 Abs2 Satz 1 ABGB "invalidiert" sei. Sie behauptet überdies eine Verletzung der Freiheit der Meinungsäußerung nach Art13 StGG bzw. Art10 EMRK sowie von Art6 EMRK und begründet dies näher. Schließlich erachtet die Antragstellerin die angefochtene Bestimmung auch als gleichheitswidrig.

IV. Zulässigkeit

1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels.

1.1. Mit der Berufung, aus deren Anlass der Antrag nach Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG erhoben wurde, wendete sich die Antragstellerin gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Feldkirch vom 19. Mai 2016, Z 9 C629/15s, mit welchem dem gegen die Antragstellerin gerichteten Begehren auf Unterlassung bestimmter Äußerungen stattgegeben wurde.

1.2. Der Verfassungsgerichtshof geht auf Grund einer entsprechenden Mitteilung des Bezirksgerichtes Feldkirch vom 3. August 2016 davon aus, dass die Berufung der Antragstellerin gegen das Urteil des Bezirksgerichtes vom 19. Mai 2016, Z 9 C 629/15s rechtzeitig und zulässig ist.

1.3. Gemäß §62 Abs1 VfGG muss der Antrag begehren, "dass entweder das Gesetz seinem ganzen Inhalt nach oder dass bestimmte Stellen des Gesetzes als verfassungswidrig aufgehoben werden. Der Antrag hat die gegen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes sprechenden Bedenken im Einzelnen darzulegen."

1.4. Dieses Erfordernis ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nur dann erfüllt, wenn die Gründe der behaupteten Verfassungswidrigkeit – in überprüfbarer Art – präzise ausgebreitet werden, mithin dem Antrag mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen ist, mit welcher Verfassungsbestimmung die bekämpfte Gesetzesstelle in Widerspruch stehen soll und welche Gründe für diese Annahme sprechen (vgl. im Allgemeinen z.B. VfSlg 11.150/1986, 11.888/1988, 13.851/1994, 14.802/1997, 17.651/2005; spezifisch zum Parteiantrag auf Normenkontrolle VfGH 2.7.2015, G16/2015; 2.7.2015, G145/2015).

1.5. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.

1.6. Dieser Grundposition folgend hat der Gerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl. zB. VfSlg 8155/1977, 12.235/1989, 13.915/1994, 14.131/1995, 14.498/1996, 14.890/1997, 16.212/2002). Der Antragsteller hat all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des Antragstellers teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011 und 19.933/2014).

2. Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage erweist sich der vorliegende Antrag als zu eng gefasst.

2.1. Insoweit die Antragstellerin ihre Anfechtung auf §1330 Abs2 erster Satz ABGB beschränkt, übersieht sie, dass der angefochtene Teil der Bestimmung in untrennbarem Zusammenhang mit dem übrigen Teil des Absatzes steht.

2.2. Ein Gesetzesprüfungsantrag ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sowohl dann als unzulässig zurückzuweisen, wenn im Falle einer Aufhebung im begehrten Umfang der verbleibende Rest der Gesetzesvorschrift als inhaltsleerer und unanwendbarer Torso verbliebe, als auch dann, wenn durch die Aufhebung bloßer Teile einer Gesetzesvorschrift dieser ein völlig veränderter, dem Gesetzgeber überhaupt nicht mehr zusinnbarer Inhalt gegeben würde (vgl. VfSlg 14.895/1997 mwN; VfGH 18.6.2015, G28/2015 ua.).

2.3. Der im Falle einer Aufhebung verbleibende Teil des §1330 Abs2 ABGB wäre auf Grund der systematischen Abhängigkeit vom ersten Satz der Bestimmung seines ursprünglichen Bedeutungsgehaltes entkleidet. Schon aus der sprachlichen Anknüpfung ("In diesem Fall") des zweiten Satzes, welcher dem angefochtenen Satz unmittelbar folgt, ergibt sich der untrennbare Zusammenhang, zumal dieser Rückbezug im Fall der Aufhebung leer laufen würde.

2.4. Die Zulässigkeit des Antrages kann auch nicht damit begründet werden, dass sich der Rückverweis im Falle der Aufhebung auf den ersten Absatz beziehen würde. Zu beachten ist hierbei, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes bei Verstößen gegen §1330 Abs1 ABGB kein Anspruch auf Widerruf bzw. dessen Veröffentlichung besteht (OGH in RIS-Justiz RS0031688; zuletzt OGH 22.6.2012, 6 Ob 243/11w). Bezöge sich §1330 Abs2 zweiter Satz ABGB im Gefolge der Aufhebung von §1330 Abs2 erster Satz ABGB auf §1330 Abs1 ABGB, würde die Rechtslage materiell dahingehend geändert, dass ein Anspruch auf Widerruf und Veröffentlichung desselben auch für eine Verletzung des §1330 Abs1 ABGB bestünde. Folglich würde dadurch der Sinn des §1330 Abs2 ABGB im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (oben Punkt 2.2.) verändert, weshalb die Aufhebung im beantragten Umfang einem Akt positiver Gesetzgebung gleichkäme.

2.5. Der Antrag ist daher als unzulässig zurückzuweisen. Ein Eingehen auf die vorgebrachten Bedenken erübrigt sich vor diesem Hintergrund.

V. Ergebnis

1. Der Antrag wird als unzulässig zurückgewiesen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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