Aufhebung wegen unterlassener Zuordnung zu den sechs Fallgruppen des § 201 Abs. 2 und 3 BAO
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BFG:2015:RV.6100848.2014
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter R in der Beschwerde-sache A-GmbH, Anschrift, gegen die Bescheide des Finanzamtes Salzburg-Stadt vom 6. Mai 2014 betreffend Haftung zur Abfuhr der Lohnsteuer sowie der Festsetzung des Dienstgeberbeitrages und des Zuschlages zum Dienstgeberbeitrag für den Zeitraum Jänner bis Oktober 2013 zu Recht erkannt:
- 1. Der Bescheidbeschwerde wird Folge gegeben. Die angefochtenen Bescheide werden aufgehoben.
- 1. Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.
Entscheidungsgründe
Mit Sammelbescheid des Finanzamtes Salzburg-Stadt vom 6. Mai 2014 betreffend Haftung zur Abfuhr der Lohnsteuer sowie der Festsetzung des Dienstgeberbeitrages und des Zuschlages zum Dienstgeberbeitrag für den Zeitraum Jänner bis Oktober 2013 schrieb die belangte Behörde der A-GmbH insgesamt einen Betrag in Höhe von € 1.444,03 zur Entrichtung vor. Begründend führt das Finanzamt durch Ankreuzen der dritten Wahlmöglichkeit im verwendeten Vordruck aus, "die Festsetzung/Gutschrift an Familienbeihilfe war erforderlich, weil diese vom Wohnsitzfinanzamt/von der in § 46 FLAG 1967 genannten Gebietskörperschaft bzw Krankenanstalt ohne Auszahlungsverpflichtung geleistet wurde". Im anschließenden Textfeld erschöpft sich die Begründung im Vermerk "Hinzurechnung halber Sachbezug PKW für Herrn AA über 3.000,00 €".
Gegen diesen Bescheid brachte die A-GmbH mit Schreiben vom 15. Mai 2014 beim zuständigen Finanzamt form- und fristgerecht das Rechtsmittel der Bescheidbeschwerde ein. Darin wird im Wesentlichen die fehlende Begründung beanstandet und abschließend beantragt, unter anderem die verfahrensgegenständlichen Bescheide ersatzlos aufzuheben.
Die Beschwerde hatte keinen Erfolg. Sie wurde mit Beschwerdevorentscheidung des Finanzamtes Salzburg-Stadt vom 4. September 2014 als unbegründet abgewiesen. In der Folge stellte die A-GmbH mit Schreiben vom 6. Oktober 2014 form- und fristgerecht einen Vorlageantrag und reichte mit Schreiben vom 20. Februar 2015 eine ausführliche Begründung nach. In einem verfahrensrechtlichen Teil der Begründung beanstandet die Beschwerdeführerin (Bf), die angefochtenen Bescheide für den Zeitraum Jänner bis Oktober 2013 würden nicht auf den Prüfbericht [gemäß § 150 BAO über das Ergebnis der Außenprüfung bei der A-GmbH vom 7. Mai 2014] verweisen, wodurch dieser auch nicht Teil der Begründung dieser Bescheide sei. Daher fehle diesen Bescheiden - neben einer nicht ausreichenden Sachbezugsformulierung und einer nicht zutreffenden Ankreuzung einer Standardformulierung zur Rückforderung von Familienbeihilfe - jeder Hinweis auf die rechtlichen Grundlagen dieses Bescheides. Der VwGH habe im Erkenntnis vom 30.01.2014, 2011/15/0156, ausgesprochen, dass schon alleine die Nichtnennung der gesetzlichen Grundlage den Bescheid mit Rechtswidrigkeit belaste. Im inhaltlichen Teil der Begründung räumt die Bf eine Privatnutzung des KFZ im "geringstmöglichen Ausmaß" ein und regt als Lösung für den Rechtsstreit die Ansetzung eines so genannten Mini-Sachbezugs an.
Das Finanzamt hat dazu mit Schriftsatz vom 4. März 2015 Stellung genommen. Erstmals im bisherigen Verfahren nennt es für den Zeitraum Jänner bis März 2013 indirekt § 201 Abs 2 Z 3 BAO und für den Zeitraum April bis Oktober 2013 § 201 Abs 2 Z 1 BAO als Grundlage für die erfolgte Abgabenfestsetzung. Im Wesentlichen ist die belangte Behörde der Ansicht, das Wort "sinngemäß" in § 201 Abs 2 Z 3 BAO gehe nicht soweit, dass das Nichtanführen von Wiederaufnahmegründen keinen sanierbaren Mangel darstelle. Für den Zeitraum April bis Oktober 2013 gelangt nach Ansicht der Behörde die Bestimmung des § 201 Abs 2 Z 1 BAO zur Anwendung, da die Festsetzung innerhalb eines Jahres ab Bekanntgabe des selbstberechneten Betrages erfolgt sei. Den Vorschlag der Bf bezüglich der Verrechnung eines geringeren Sachbezugs im Sinne des § 4 Abs 3 der Sachbezugswerteverordnung lehnt die Behörde mangels Vorliegen eines Fahrtenbuches ab.
Über die Bescheidbeschwerde wurde erwogen
Die A-GmbH wurde mit Haftungsbescheid vom 6. Mai 2014 gemäß § 82 EStG 1988 als Arbeitgeber des Herrn A für die Einbehaltung und Abfuhr der vom Arbeitslohn zu entrichtenden Lohnsteuer in Anspruch genommen. Bei der Festsetzung des Dienstgeberbeitrages samt Zuschlag handelt es sich um einen Abgabenbescheid (VwGH 22.09.2005, 2005/14/0078). Beide Abgabenarten unterliegen der Selbstberechnung.
Durch den nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts zu Recht unterlassenen Verweis auf den Bericht gemäß § 150 BAO über das Ergebnis der Außenprüfung bei der A-GmbH vom 7. Mai 2014 betreffend Lohnsteuer, Dienstgeberbeitrag und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag für die Jahre 2010, 2011 und 2012 (in einem das Jahr 2013 betreffenden Bescheid) und die überaus knappe Begründung (Hinzurechnung halber Sachbezug PKW für Herrn AA über 3.000,00 €) weist der verfahrensgegenständliche Sammelbescheid eine Reihe von Begründungsmängeln auf.
So liegt zB die Erlassung eines Haftungsbescheides im Ermessen der Abgabenbehörde. Nach Maßgabe des § 93 Abs 3 lit a BAO ist die Ermessensübung zu begründen (Ritz, BAO5, § 202 Tz 4). Ausführungen zu dem von der Abgabenbehörde geübten Ermessen sucht man sowohl im Sammelbescheid vom 6. Mai 2014 als auch in der Beschwerdevorentscheidung vom 4. September 2014 vergeblich. Begründungsmängel im Abgabenverfahren können im Rechtsmittelverfahren saniert werden; Verfahrensmängel sind bei Überprüfung eines im Instanzenzug ergangenen Bescheides nur beachtlich, wenn sie im letztinstanzlichen Verfahren unterlaufen sind (VwGH 24.09.2010, 2009/02/0329).
Nicht sanierbar ist jedoch das Fehlen der Rechtsgrundlagen, nach denen die erstmalige Festsetzung der Selbstberechnungsabgaben erfolgte und für deren Entrichtung die A-GmbH mittels Haftungs- und Abgabenbescheides herangezogen wurde. Wie § 82 EStG 1988 bestimmt, haftet der Arbeitgeber dem Bund für die Einbehaltung und Abfuhr der vom Arbeitslohn einzubehaltende Lohnsteuer. Nach § 202 Abs 1 BAO gelten die §§ 201 und 201a BAO sinngemäß, wenn nach den Abgabenvorschriften die Selbstberechnung einer Abgabe einem abgabenrechtlich Haftungspflichtigen obliegt.
§ 201 BAO lautet wie folgt:
"(1) Ordnen die Abgabenvorschriften die Selbstberechnung einer Abgabe durch den Abgabepflichtigen an oder gestatten sie dies, so kann nach Maßgabe des Abs. 2 und muss nach Maßgabe des Abs. 3 auf Antrag des Abgabepflichtigen oder von Amts wegen eine erstmalige Festsetzung der Abgabe mit Abgabenbescheid erfolgen, wenn der Abgabepflichtige, obwohl er dazu verpflichtet ist, keinen selbst berechneten Betrag der Abgabenbehörde bekannt gibt oder wenn sich die bekanntgegebene Selbstberechnung als nicht richtig erweist.
(2) Die Festsetzung kann erfolgen,
1. von Amts wegen innerhalb eines Jahres ab Bekanntgabe des selbstberechneten Betrages,
2. wenn der Antrag auf Festsetzung spätestens ein Jahr ab Bekanntgabe des selbstberechneten Betrages eingebracht ist,
3. wenn kein selbstberechneter Betrag bekannt gegeben wird oder wenn bei sinngemäßer Anwendung des § 303 die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens vorliegen würden,
4. (Anm.: aufgehoben durch BGBl. I Nr. 20/2009)
5. wenn bei sinngemäßer Anwendung des § 293b oder des § 295a die Voraussetzungen für eine Abänderung vorliegen würden.
(3) Die Festsetzung hat zu erfolgen,
1. wenn der Antrag auf Festsetzung binnen einer Frist von einem Monat ab Bekanntgabe des selbst berechneten Betrages eingebracht ist,
2. (Anm.: aufgehoben durch BGBl. I Nr. 70/2013)
3. wenn bei sinngemäßer Anwendung des § 295 die Voraussetzungen für eine Änderung vorliegen würden.
(4) Innerhalb derselben Abgabenart kann die Festsetzung mehrerer Abgaben desselben Kalenderjahres (Wirtschaftsjahres) in einem Bescheid zusammengefasst erfolgen."
Bei der Festsetzung einer Abgabe nach § 201 BAO hat das Finanzamt nach stRsp des Unabhängigen Finanzsenates jene Sachverhaltselemente zu benennen und den sechs Fallgruppen des § 201 Abs 2 und 3 BAO zuzuordnen, welche die erstmalige Festsetzung der Abgabe rechtfertigen. Dies kann im Rechtsmittelverfahren nicht nachgeholt werden (vgl dazu UFS 17.08.2009, RV/0522-L/06; 25.8.2010, RV/0419-S/10; 21.01.2010, RV/1570-W/07; 14.01.2011, RV/3459-W/08; 23.11.2011, RV/2201-W/08; 25.11.2011, RV/2204-W/08).
Da die belangte Behörde dies unterlassen hat, war spruchgemäß zu entscheiden.
Zur Zulässigkeit einer Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die ordentliche Revision ist im vorliegenden Fall zulässig, weil eine Rechtsprechung des VwGH zur Frage fehlt, ob bei der Festsetzung einer Abgabe nach § 201 BAO das Finanzamt jene Sachverhaltselemente zu benennen und den sechs Fallgruppen des § 201 Abs 2 und 3 BAO zuzuordnen hat, welche die erstmalige Festsetzung der Abgabe rechtfertigen, und dies im Rechtsmittelverfahren nicht nachgeholt werden kann. Somit liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor.
Salzburg-Aigen, am 18. März 2015
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer |
betroffene Normen: | § 202 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise: | VwGH 19.09.2007, 2004/13/0108 |