Normen
AuslBG §18 Abs12
B-VG Art133 Abs4
EURallg
VwGG §34 Abs1
32004R0883 Koordinierung Soziale Sicherheit
32009R0987 Koordinierung Soziale Sicherheit DV Art19 Abs2
32009R0987 Koordinierung Soziale Sicherheit DV Art5
62016CJ0359 Altun VORAB
62016CJ0527 Alpenrind VORAB
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RO2022090002.J00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Bund hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Bescheiden der belangten Behörde und nunmehrigen revisionswerbenden Partei vom 4. Mai 2021 wurde jeweils die Entsendung näher bezeichneter drittstaatsangehöriger Arbeitnehmer der mitbeteiligten Partei, einer slowenischen Gesellschaft, nach Österreich gemäß § 18 Abs. 12 AuslBG untersagt.
2 Den gegen diese Bescheide von der mitbeteiligten Partei erhobenen Beschwerden wurde vom Bundesverwaltungsgericht (Verwaltungsgericht) stattgegeben, die angefochtenen Bescheide behoben und ausgesprochen, dass die Voraussetzungen der EU‑Entsendung der Arbeitnehmer gemäß den Meldungen nach § 18 Abs. 12 AuslBG vorlägen. Weiters erklärte das Verwaltungsgericht die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG für zulässig.
3 Das Verwaltungsgericht stellte fest, die mitbeteiligte Partei sei eine slowenische Kapitalgesellschaft, die Arbeitnehmer Staatsangehörige von Bosnien und Herzegowina bzw. Serbien. Die Beschäftigung dieser Personen bestehe seit 16. März 2021, 1. Februar 2021 bzw. 11. Jänner 2021. Die mitbeteiligte Partei habe die Entsendung dieser Arbeitnehmer an eine näher bezeichnete GmbH in Kärnten an die Zentrale Koordninationsstelle des Bundesministeriums für Finanzen für die Kontrolle illegaler Beschäftigung (ZKO) gemeldet. Die Arbeitnehmer sollten in Vorarlberg für Baustahlverlegung, Schalungs‑ und Betonierarbeiten von 12. bis 30. April 2021 mit einer Normalarbeitszeit von acht Stunden mit einem jeweils näher festgestellten Stundenlohn eingesetzt werden; dieser Stundenlohn entspreche jeweils dem anzuwendenden Kollektivvertrag. A1‑Bescheinigungen des slowenischen Sozialversicherungsträgers lägen vor. Die mitbeteiligte Partei sei 2012 gegründet worden und betreibe seit Herbst 2020 die Baugewerbe „Bauen von Wohnhäusern und Gebäuden“ und „andere spezielle Bauarbeiten“. Ihre Geschäftsführerin und Alleingesellschafterin sei slowenische Staatsangehörige. Diese sei auch handelsrechtliche Geschäftsführerin und Alleingesellschafterin der 2012 gegründeten inländischen Auftraggeberin, welche die Gewerbe Baumeister (seit 2017) und Überlassung von Arbeitskräften (seit 15. Februar 2021) betreibe und im Dezember 2020 rund € 3,3 Millionen an Umsatzerlösen erzielt habe. Die GmbH habe keine Homepage und auf „herold.at“ nur eine „Gmail“‑Adresse sowie eine Mobiltelefonnummer, es gebe einen Mietvertrag über Geschäftsräume von 40 m² und vier gemeldete Arbeitnehmer, deren Wohnsitze „teilweise“ vom Firmensitz „hunderte Kilometer“ entfernt seien.
4 Nach Darstellung seiner Beweiswürdigung führte das Verwaltungsgericht rechtlich aus, die belangten Behörde (und nunmehrige revisionswerbende Partei) wolle eine nähere Prüfung der nennenswerten Geschäftstätigkeit der mitbeteiligten Partei in Slowenien durchführen, was nach der Rechtsprechung bei Prüfung der Sozialversicherungspflicht zulässig sei. Hiefür lägen Kriterien der Verwaltungskommission für die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit zur Auslegung des Art. 12 der VO (EG) Nr. 883/2004 vor. Die belangte Behörde müsse die Richtigkeit der A1‑Bescheinigung nicht prüfen, diese liege vor. Der Ansicht der belangten Behörde, die inländische Auftraggeberin müsse ebenfalls eine operative Tätigkeit entfalten, die in Bezug auf die Gesellschafterstruktur vom Entsendeunternehmen unterscheidbar sei sowie, dass ein österreichisches Unternehmen ebenfalls diese Kriterien erfüllen müsse und „nicht nur zum (Haupt‑)Zweck der Ermöglichung von Entsendungen“ gemäß § 18 Abs. 12 AusBG gegründet und unterhalten werden dürfe, sei entgegenzuhalten, dass entsendete Arbeitnehmer auch für Privatpersonen Dienstleistungen erbringen dürften. Die Voraussetzungen gemäß § 18 Abs. 12 AuslBG lägen vor, weshalb die Untersagung zu beheben sei.
5 Die Revision sei zulässig, weil keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu existiere, inwieweit die belangte Behörde in Verfahren nach § 18 Abs. 12 AuslBG auch Sachverhalte zu prüfen habe, die in Art. 12 Abs. 1 der VO 883/2004 als Voraussetzungen für die fortgesetzte persönliche Geltung der Rechtsordnung des Arbeitgeberstaates und demnach für die A1‑Bescheinigung vorgesehen sei. Insbesondere fehle Rechtsprechung dazu, ob die belangte Behörde nach § 18 Abs. 12 AuslBG zu prüfen habe, ob der entsendende Arbeitgeber im Staat des Betriebssitzes gewöhnlich tätig im Sinn des Art. 12 Abs. 1 der VO 883/2004 sei und es sei auch nicht klar, ob die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur bindenden Feststellung des anzuwendenden Sozialversicherungsrechts in einer A1‑Bescheinigung (Verweis auf VwGH 29.1.2020, Ra 2016/08/0040) auf die vorgelagerten Feststellungen übertragbar seien.
6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision der belangten Behörde mit dem Antrag, das Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
7 Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte die Abweisung der Revision sowie Aufwandersatz.
8 Die Revision erweist sich als unzulässig:
9 Gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes ist die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
10 Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist der Verwaltungsgerichtshof an den Ausspruch des Verwaltungsgerichts nach § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Auch bei Erhebung einer vom Verwaltungsgericht zugelassenen Revision hat die revisionswerbende Partei von sich aus die Zulässigkeit der Revision (gesondert) darzulegen, sofern sie der Ansicht ist, dass die Begründung des Verwaltungsgerichtes für die Zulässigkeit der Revision nicht ausreicht oder sie eine andere Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet (VwGH 18.11.2021, Ro 2021/09/0031, mwN).
11 Die Revision der amtsrevisionswerbenden Partei bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, es liege eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vor, weil es keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu gebe, welche Auswirkungen ein Rechtsmissbrauch der Dienstleistungsfreiheit in Verfahren nach § 18 Abs. 12 AuslBG habe bzw. wann von einem solchen Rechtsmissbrauch auszugehen sei. Jene Rechtsfragen, deretwegen das Verwaltungsgericht die Revision zugelassen hat, werden in der Revision nicht weiter ausgeführt.
12 In Bezug auf die Revisionszulässigkeit bedarf es einer Verknüpfung zwischen der individualisierten Rechtsfrage, dem konkreten Sachverhalt und der darauf basierenden rechtlichen Beurteilung (vgl. VwGH 31.5.2021, Ro 2020/10/0010, mwN). Jedenfalls ist eine konkrete Bezugnahme auf den Revisionsfall herzustellen (vgl. VwGH 2.5.2016, Ra 2016/16/0028, mwN). Diese Konkretisierung obliegt auch im Falle einer ordentlichen Revision, wenn sie nicht schon der Begründung des Verwaltungsgerichtes für die Zulässigkeit der Revision entnommen werden kann, der revisionswerbenden Partei (vgl. z.B. VwGH 22.1.2019, Ro 2018/05/0023, mwN).
13 Die revisionswerbende Partei legt in ihrer Zulässigkeitsbegründung nicht konkret dar, welche Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG, von deren Lösung das Schicksal der vorliegenden Revision abhängt, vom Verwaltungsgerichtshof erstmals zu lösen wäre. Ein pauschales oder nur ganz allgemein gehaltenes Vorbringen ohne Herstellung eines Fallbezuges und ohne jede fallbezogene Verknüpfung mit der angefochtenen Entscheidung reicht nicht aus, eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen (vgl. VwGH 18.12.2020, Ra 2019/10/0087, mwN). Zur Lösung abstrakter Rechtsfragen ist der Verwaltungsgerichtshof aufgrund von Revisionen nicht zuständig (vgl. VwGH 21.11.2019, Ro 2018/10/0022 bis 0027, mwN).
14 Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass zur Bindungswirkung einer A1‑Bescheinigung (auch für Gerichte) Rechtsprechung sowohl des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) als auch des Verwaltungsgerichtshofes vorliegt (vgl. z.B. EuGH 6.9.2018, Alpenrind, C‑527/16 ). Der Verwaltungsgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass mit dem Vorliegen einer A1‑Bescheinigung eine bindende Feststellung getroffen wurde, wessen Sozialversicherungsrecht die von der A1‑Bescheinigung betroffenen Arbeitnehmer unterliegen (vgl. näher VwGH 10.10.2018, Ro 2016/08/0013, 0014; VwGH 29.1.2020, Ra 2016/08/0040).
15 Ein Gericht kann nach der Rechtsprechung des EuGH lediglich im Fall der betrügerischen Erlangung von Bescheinigungen diese außer Acht lassen, sofern ein den Vorgaben des EuGH sowie der VO (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung Nr. 883/2004 entsprechendes Verfahren geführt worden ist (insb. auch gemäß Art. 5 dieser VO die zuständigen Träger der beiden Mitgliedstaaten ein Verfahren zur Prüfung und dem etwaigen Widerruf der Bescheinigungen geführt haben; vgl. dazu und zu den Voraussetzungen, um von Betrug ausgehen zu können: EuGH 6.2.2018, Altun et. al., C‑359/16 ). Ein Abweichen des Verwaltungsgerichtes von dieser Rechtsprechung wurde weder geltend gemacht noch ist ein solches für den Verwaltungsgerichtshof ersichtlich.
16 Im Übrigen ist Ausgangspunkt der Prüfung, ob eine grundsätzliche Rechtsfrage vorliegt, der festgestellte Sachverhalt. Entfernt sich die revisionswerbende Partei in der Zulässigkeitsbegründung vom festgestellten Sachverhalt, wird schon deshalb keine fallbezogene Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt (vgl. etwa VwGH 14.9.2020, Ra 2019/14/0350, mwN):
17 Im Revisionsfall ist nämlich nach dem Vorbringen der Amtsrevisionswerberin und den Feststellungen des Verwaltungsgerichtes nicht ersichtlich, weshalb hinsichtlich des inländischen Unternehmens von einer rechtsmissbräuchlichen Inanspruchnahme der Dienstleistungsfreiheit auszugehen wäre; aus den Feststellungen, die mitbeteiligte Partei habe zahlreiche Anträge gemäß § 18 Abs. 12 AuslBG gestellt, es gebe personelle Verflechtungen zwischen Unternehmen und der Unternehmenszweck eines inländischen Unternehmens liege in der Vermittlung von Arbeitskräften, ist solches nicht ableitbar. Die Dienstleistungsfreiheit gewährt dem slowenischen Unternehmen die Erbringung seiner Dienstleistungen in Österreich, sofern im Fall der Entsendung von Arbeitnehmern die Voraussetzungen des § 18 Abs. 12 AuslBG vorliegen, was nach den unbestrittenen Feststellungen des Verwaltungsgerichtes hier der Fall ist. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 18 Abs. 12 AuslBG auch dann zu prüfen ist, wenn im Bundesgebiet ein weiterer Betriebssitz vorliegt (vgl. näher VwGH 28.2.2022, Ro 2021/09/0001).
18 Insgesamt wirft die amtsrevisionswerbende Partei somit keine Rechtsfrage auf, welcher grundsätzliche Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG zukommt.
19 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.
20 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere auf § 51 VwGG iVm der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 28. Februar 2022
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