BVwG I419 2245245-1

BVwGI419 2245245-13.11.2021

AuslBG §18 Abs12
B-VG Art133 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2021:I419.2245245.1.00

 

Spruch:

I419 2245245-1/10E

I419 2245247-1/10E

I419 2245249-1/10E

I419 2245254-1/11E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Tomas Joos als Vorsitzenden sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Markus Hintner und die fachkundige Laienrichterin Jennifer Schumacher als Beisitzer und Beisitzerin über die Beschwerden von XXXX , vertreten durch Grasch + Krachler Rechtsanwälte OG, gegen die Bescheide des AMS Feldkirch vom 04.05.2021,

1. Zl. ABB-Nr: XXXX , weitere Partei XXXX (WP1),

2. Zl. ABB-Nr: XXXX , weitere Partei XXXX (WP2),

3. Zl. ABB-Nr: XXXX , weitere Partei XXXX (WP3), und

4. Zl. ABB-Nr: XXXX , weitere Partei XXXX (WP4),

zu Recht erkannt:

A) Den Beschwerden wird stattgegeben. Die angefochtenen Bescheide werden behoben. Die Voraussetzungen der EU-Entsendung der genannten weiteren Parteien gemäß den Meldungen nach § 18 Abs. 12 AuslBG liegen vor.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

 

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Mit den bekämpften Bescheiden wurde jeweils die von der Beschwerdeführerin gemeldete Entsendung der im Spruch als weitere Parteien genannten Arbeitnehmer gemäß § 18 Abs. 12 AuslBG untersagt.

2. Beschwerdehalber wird dagegen vorgebracht, die inländische Auftraggeberin habe mit einem Umsatz von mehr als 3 Millionen Euro jedenfalls eine operative Tätigkeit in Österreich nachgewiesen. Der Umfang der Geschäftstätigkeit, die Mitarbeiterzahl und andere Umstände wie das Vorhandensein einer Homepage wären keine Kriterien für die Bestätigung oder Untersagung einer EU-Entsendung. Das AMS habe keinen hinreichenden Sachverhalt festgestellt und darauf aufbauend auch keine entsprechende rechtliche Würdigung vorgenommen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Verfahrensgang wird festgestellt, wie oben in I. wiedergegeben. Weiters wird festgestellt:

1.1 Die Beschwerdeführerin ist eine Kapitalgesellschaft mit Sitz in Slowenien. Die im Spruch genannten weiteren Parteien sind mit Ausnahme von WP1 Staatsangehörige von Bosnien und Herzegowina. WP1 ist serbischer Staatsangehöriger. Er ist seit 16.03.2021 bei der Beschwerdeführerin beschäftigt, WP 2 und WP3 sind es seit 01.02.2021, WP4 ist es seit 11.01.2021.

1.2 Die Beschwerdeführerin meldete der Zentralen Koordinationsstelle des Bundesministeriums für Finanzen für die Kontrolle illegaler Beschäftigung (ZKO) die Entsendung der weiteren Parteien an eine GmbH in Kärnten. Die Genannten sollten in Vorarlberg für Baustahlverlegung, Schalungs- und Betonierarbeiten von 12. bis 30.04.2021 mit einer Normalarbeitszeit von 8 Stunden eingesetzt werden, und zwar WP1 mit einem Stundenlohn von € 15,04 und die anderen mit € 14,37.

1.3 Die Beschwerdeführerin hat A1-Bescheinigungen des slowenischen Sozialversicherungsträgers vorgelegt, in welchen dieser den Status der vier WP als entsandte Arbeitnehmer bestätigt, und zwar für WP1 mit Tätigkeitszeitraum 18.03. bis 21.12.2021, für WP2 mit Tätigkeitszeitraum 02.02. bis 21.12.2021, für WP3 mit Tätigkeitszeitraum 02.02. bis 18.12.2021 und für WP4 mit Tätigkeitszeitraum 11.01. bis 21.12.2021.

1.4 Das AMS forderte die Beschwerdeführerin in mehreren anderen Verfahren mittels „Parteiengehör“ auf, einen Nachweis der „nennenswerten Geschäftstätigkeit“ im Staat ihrer Betriebsstätte zu erbringen und zählte eine Reihe von nachzuweisenden Unternehmensdaten auf, wie Anzahl der in der Verwaltung Beschäftigen, Ort an dem die entsandten Arbeitnehmer eingestellt werden, Umsatzzahlen und anteiliger Umsatz im Staat der Niederlassung und in anderen Staaten.

Es steht nicht fest, ob ein solches „Parteiengehör“ auch in den vorliegenden Verfahren eingeräumt wurde. Eine Beantwortung der Aufforderung erfolgte jedenfalls nicht. In den von der anwaltlichen Vertretung verfassten Beschwerden wird jeweils ausgeführt, dass die Beantwortung innerhalb der Frist nicht möglich gewesen sei. Den Beschwerden sind – wie jenen in einer höheren zweistelligen Anzahl weiterer anhängiger Beschwerdeverfahren – Mitteilungen des BMDW gemäß § 373a Abs. 5 Z. 2 GewO 1994 sowie der Gewerbeschein und der Handelsregisterauszug der Beschwerdeführerin und ein Kontoauszug der Auftraggeberin beigefügt.

1.5 Laut dem Kollektivvertrag für Bauindustrie und Baugewerbe lag der Stundenlohn für „Angelernte Bauarbeiter (das sind für besondere Arbeiten qualifizierte Arbeiter)“ die als Eisenbieger und Eisenflechter, Gerüster sowie Schaler nach Punkt III. c) der Lohntafel bezahlt wurden, von 01.05.2020 bis 30.04. 2021 bei € 14,37, als Betonierer nach Punkt III. d) bei € 13,55.

1.6 Die 2012 gegründete Beschwerdeführerin betreibt seit Herbst 2020 die Baugewerbe „Bauen von Wohnhäusern und Gebäuden“ und „Andere spezielle Bauarbeiten“. Ihre Geschäftsführerin und Alleingesellschafterin ist slowenische Staatsangehörige.

Diese ist auch handelsrechtliche Geschäftsführerin und Alleingesellschafterin der ebenfalls 2012 gegründeten inländischen Auftraggeberin, welche die Gewerbe Baumeister (seit 2017) und Überlassung von Arbeitskräften (seit 15.02.2021) betreibt und im Dezember 2020 rund € 3,3 Mio. an Umsatzerlösen erzielt hat.

1.7 Die Auftraggeberin hat nach den Feststellungen des AMS keine Homepage und auf „Herold.at“ nur eine „Gmail“-Adresse sowie eine Mobiltelefonnummer. Den Bescheiden ist ferner zu entnehmen, dass sie einen gewerberechtlichen Geschäftsführer aufweist, der aus Österreich stammt, einen Mietvertrag über Geschäftsräume von 40 m² und vier gemeldete Arbeitnehmer hat, deren Wohnsitze „teilweise“ vom Firmensitz „hunderte Kilometer“ entfernt sind.

2. Beweiswürdigung:

2.1 Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus den vorliegenden AMS-Akten samt den Beschwerden. Ergänzend wurde das Firmenbuch eingesehen. Der Kollektivvertrag kann im Internet aufgerufen werden (www.kollektivvertrag.at/kv ). Die damaligen Stundenlöhne und die inländischen Gewerbeberechtigungen waren den Seiten der WKO zu entnehmen (www.wko.at/service/kollektivvertrag/lohnordnung-baugewerbe-bauindustrie-arbeiter-2020.html und firmen.wko.at ).

2.2 Das Verwaltungsgericht hat das AMS aufgefordert, die nicht in den vorgelegten Akten befindlichen Urschriften des Parteiengehörs sowie alle anderen allfälligen Aktenteile vorzulegen, die es noch nicht vorgelegt habe. Das AMS legte ein Beispiel eines solchen Parteiengehörs aus einem anderen Verfahren vor (in dem zu I401 2246879-1 die Beschwerde behängt) und replizierte, die Akten seien seines Erachtens vollständig, jedoch sei „in einigen Fällen“ auf früher an die Beschwerdeführer ergangene „Parteiengehöre“ Bezug genommen worden, wobei der „Hintergrund“ sei, dass die Beschwerdeführerin „trotz negativer Erledigung“ das AMS fast täglich mit ZKO-Meldungen und Beschwerden „überhäuft“.

Aufgrund dessen ist nicht feststellbar, dass das Parteiengehör dieses Inhalts auch in den vorliegenden Verfahren an die Beschwerdeführerin erging.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgebung und Entsendebestätigungen

3.1 Zur Stattgebung der Beschwerden:

3.1.1 Nach § 18 Abs. 1 AuslBG bedürfen Ausländer, die im Inland von einem ausländischen Arbeitgeber ohne einen Betriebssitz im Bundesgebiet beschäftigt werden, grundsätzlich einer Entsende- oder einer Beschäftigungsbewilligung.

Ausgenommen davon sind nach Abs. 12 Ausländer, die von einem Unternehmen mit Betriebssitz in einem anderen Mitgliedstaat des EWR zu einer vorübergehenden Arbeitsleistung nach Österreich entsandt oder überlassen werden, wenn sie ordnungsgemäß zu einer Beschäftigung im Staat des Betriebssitzes über die Dauer der Entsendung oder Überlassung hinaus zugelassen und beim entsendenden Unternehmen rechtmäßig beschäftigt sind (Z. 1) und weitere Voraussetzungen vorliegen, die in Z. 2 und 3 angeführt sind, zu denen auch die Einhaltung bestimmter Lohn- und Arbeitsbedingungen gehört, die vorliegend nicht strittig ist.

3.1.2 In Art. 12 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit ist festgelegt, dass eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung für Rechnung eines Arbeitgebers ausübt, der gewöhnlich dort tätig ist, und von diesem Arbeitgeber in einen anderen Mitgliedstaat entsandt wird, um dort eine Arbeit für dessen Rechnung auszuführen, weiterhin den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats unterliegt, sofern die voraussichtliche Dauer dieser Arbeit vierundzwanzig Monate nicht überschreitet und diese Person nicht eine andere Person ablöst.

Gemäß Art. 14 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit beziehen sich die Worte „der gewöhnlich dort tätig ist“ bei der Anwendung von Art. 12 Abs. 1 der Grundverordnung (VO 883/2004 ) auf einen Arbeitgeber, der gewöhnlich andere nennenswerte Tätigkeiten als reine interne Verwaltungstätigkeiten auf dem Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates ausübt, in dem das Unternehmen niedergelassen ist, unter Berücksichtigung aller Kriterien, die die Tätigkeit des betreffenden Unternehmens kennzeichnen. Die maßgebenden Kriterien müssen auf die Besonderheiten eines jeden Arbeitgebers und die Eigenart der ausgeübten Tätigkeiten abgestimmt sein. (VwGH 12.09.2017, Ra 2017/09/0023)

3.1.3 Nach Art. 19 Abs. 2 der genannten Verordnung (EG) Nr. 987/2009 bescheinigt der zuständige Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften nach Titel II der Grundverordnung anzuwenden sind, auf Antrag der betreffenden Person oder ihres Arbeitgebers, dass und gegebenenfalls wie lange und unter welchen Umständen diese Rechtsvorschriften anzuwenden sind.

Demnach hat dieser Sozialversicherungsträger die A1-Bescheinigung mit der in ihr enthaltenen Bestätigung, dass der angeführte Versicherte den Status eines entsandten Arbeitnehmers hat, nur unter der Voraussetzung zu erteilen, dass es sich um eine Person handelt, deren Arbeitgeber im betreffenden Staat (dessen Rechtsvorschriften anzuwenden sind) im Sinn des Art. 14 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 gewöhnlich tätig ist.

Unter dieser Voraussetzung hat die Behörde im „Aufnahme“-Staat (hier also: in Österreich), immer dann, wenn eine A1-Bescheinigung des Arbeitnehmers vorliegt, bei der materiellen Prüfung der Entsendung vom Inhalt der Bescheinigung auszugehen und lediglich betreffend die weiteren Voraussetzungen im Sinn der Z. 2 des § 18 Abs. 12 AuslBG (wenn deren Vorliegen anders nicht festgestellt werden kann) weitere Überprüfungsschritte zu treffen, z. B. über die Einhaltung der Lohn- und Arbeitsbedingungen.

3.1.4 Solche Schritte sind demzufolge zulässig, was zur Zeit der Geltung des früheren § 7b Abs. 4 AVRAG (der dem nunmehr als Basis der Entsendemeldungen dienenden § 19 Abs. 4 LSD-BG weithin entsprach) auch die Rechtsprechung bejaht hat. (Vgl. VwGH 19.03.2014, 2013/09/0159, 24.01.2014, 2013/09/0093; 21.03.2013, 2012/09/0120)

Die Ermittlung von unternehmensbezogenen Sachverhalten mit dem Ziel, feststellen zu können, ob ein Arbeitgeber gewöhnlich andere nennenswerte Tätigkeiten als reine interne Verwaltungstätigkeiten auf dem Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates ausübt, in dem das Unternehmen niedergelassen ist, kommt dagegen wegen der Maßgeblichkeit des anzuwendenden Rechts für die Sozialversicherungspflicht der Gesundheitskasse in jenen einschlägigen Verfahren zu, wo die Rechtsprechung diese Frage im Zusammenhang mit der Prüfung aufgreift, ob eine Versicherungspflicht in Österreich besteht. (Vgl. VwGH 31.07.2014, Ro 2014/08/0003)

3.1.5 Auf das eben genannte Erkenntnis beruft sich das AMS in den bekämpften Bescheiden, und führt aus, dass die Beschwerdeführerin eine nennenswerte Geschäftstätigkeit in Slowenien nicht nachgewiesen habe. Zu berücksichtigen seien dabei folgende Umstände:

- Die Zahl der im Mitgliedstaat seiner Betriebsstätte bzw. in dem anderen Mitgliedstaat in der Verwaltung Beschäftigten, der Ort, an dem die entsandten Arbeitnehmer eingestellt werden,

- der Ort, an dem der Großteil der Verträge mit den Kunden geschlossen wird,

- das Recht, dem die Verträge unterliegen, die das Unternehmen mit seinen Arbeitnehmern bzw. Kunden schließt,

- der während eines hinreichend charakteristischen Zeitraums im jeweiligen Mitgliedstaat erzielte Umsatz sowie die Zahl der im entsendenden Staat geschlossenen Verträge,

- die übereinstimmende Struktur des Personalbestands des entsendenden Unternehmens im Entsendestaat und im Beschäftigungsstaat und

- die Dauer der Niederlassung eines Unternehmens im Entsendestaat.

3.1.6 Die genannten Kriterien entstammen – mit Ausnahme der Struktur des Personalbestandes – dem Beschluss Nr. A2 vom 12. Juni 2009 der Verwaltungskommission für die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit zur Auslegung des Art. 12 der VO (EG) Nr. 883/2004, und zwar Z. 1 letztere Absatz des Beschlusses. Die Einleitung dieses Absatzes aber nennt dessen Adressatenkreis:

„Um erforderlichenfalls oder im Zweifelsfall festzustellen, ob ein Arbeitgeber gewöhnlich eine nennenswerte Tätigkeit im Gebiet des Mitgliedstaats verrichtet, in dem er niedergelassen ist, muss der zuständige Träger dieses Staates in einer Gesamtschau sämtliche Tätigkeiten dieses Arbeitgebers würdigen. Zu berücksichtigen sind dabei [...]“

Zudem heißt es in der Langform des Titels dieses Beschlusses: „zur Auslegung des Art. 12 der VO (EG) Nr. 883/2004 [...] hinsichtlich der auf entsandte Arbeitnehmer [...] anzuwendenden Rechtsvorschriften“, womit wieder die Feststellung des anzuwendenden Rechts angesprochen ist, die Aufgabe jenes Sozialversicherungsträgers ist, der die A1-Bescheinigung darüber erteilt.

Die „übereinstimmende Struktur des Personalbestands“ führt der VwGH (31.07.2014, Ro 2014/08/0003) mit Hinweis auf den „praktischen Leitfaden“ (der genannten Verwaltungskommission) betreffend die Bestimmung des anwendbaren Rechts für Erwerbstätige [...] im Europäischen Wirtschaftsraum und in der Schweiz an, wo es in der Auflage von August 2012 (in Z. 3) heißt:

„Unter einem Arbeitgeber ‚der gewöhnlich dort tätig ist‘, ist ein Unternehmen zu verstehen, das im Mitgliedstaat der Niederlassung eine „nennenswerte Geschäftstätigkeit“ ausübt. Beschränken sich die Tätigkeiten des Unternehmens auf reine interne Verwaltungstätigkeiten, gilt es nicht als Arbeitgeber, der in diesem Mitgliedstaat gewöhnlich tätig ist. [...]“

Wie der Titel zeigt, ist das Ziel auch hierbei die Bestimmung des anwendbaren Rechts, die Aufgabe des Sozialversicherungsträgers im Mitgliedstaat des Arbeitgebers ist, bevor er den Status des entsandten Arbeitnehmers bestätigt.

Eine vom zuständigen Träger eines Mitgliedstaats aufgrund von Art. 12 Abs. 1 der Verordnung (EG) 883/2004 ausgestellte A1-Bescheinigung ist aber - abgesehen von den Fällen des Betrugs oder des Rechtsmissbrauchs - für die Träger des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird, und auch für die Gerichte dieses Mitgliedstaats verbindlich. (VwGH 10.10.2018, Ro 2016/08/0013)

3.1.7 Im Ergebnis zeigt sich damit, dass der Nachweis über die „nennenswerte Geschäftstätigkeit“ des Arbeitgebers (d. h., dass er „gewöhnlich dort tätig ist“) regelmäßig mit der A1-Bescheinigung erbracht wird, deren Richtigkeit das AMS nicht prüfen muss, worauf nicht zuletzt die für eine solche Prüfung wohl meist zu kurze gesetzliche Frist von zwei Wochen hindeutet, die dem AMS für seine Erledigung in § 18 Abs. 12 AuslBG eingeräumt wird.

3.1.8 Das AMS hat in den bekämpften Bescheiden ferner begründend angeführt, es sei auf Basis einer „wörtlichen bzw. objektiv-teleologischen“ Interpretation des § 18 Abs. 12 AuslBG auch auf das Vorhandensein einer „tatsächlich operativen“ inländischen Auftraggeberin abzustellen, die in Bezug auf die Gesellschafterstruktur vom Entsendeunternehmen unterscheidbar sei. Demgemäß müsse ein in Österreich ansässiges Unternehmen diese Kriterien erfüllen und „nicht nur zum (Haupt-)Zweck der Ermöglichung von Entsendungen“ gemäß § 18 Abs. 12 AuslBG gegründet und unterhalten werden.

Es könne nach den Umständen nicht davon ausgegangen werden, dass die Auftraggeberin im inländischen Baugewerbe tatsächlich operativ tätig sei.

Die vorgenommene teleologische Auslegung habe laut AMS den Zweck, einen breiten Missbrauch der Regelung des § 18 Abs. 12 AuslBG zu verhindern. Dem ist entgegenzuhalten, dass eine Entsendung nach dem Wortlaut dieser Bestimmung „zur Erbringung einer vorübergehenden Arbeitsleistung“ erfolgt, nach Art. 12 Abs. 1 der Verordnung (EG) 883/2004 , „um dort eine Arbeit für dessen (des Arbeitgebers, Anm.) Rechnung auszuführen“. Damit lassen diese Normen als Empfänger der Leistung beliebige Rechtsträger zu. Keineswegs muss es sich um einen Auftraggeber handeln, der gewerblich tätig ist, und es kann sich auch um Dienstleistungen handeln, die gegenüber Privatpersonen (also Haushalten im Gegensatz zu Unternehmungen) erbracht werden, z. B. Hotelbeherbergung durch einen Reiseveranstalter mit Sitz in einem anderen Mitgliedsstaat. (Vgl. VwGH 31.07.2014, Ro 2014/08/0003)

3.1.9 Aus den Feststellungen ergeben sich, zumal die angeführten Stundenlöhne dem Kollektivvertrag nicht widersprachen, keine Verstöße gegen die in § 18 Abs. 12 Z. 2 AuslBG genannten österreichischen Lohn- und Arbeitsbedingungen. Solche Verstöße wurden auch nicht behauptet.

Demnach erfüllen die gemeldeten Entsendungen die Voraussetzungen, dass die weiteren Parteien von einem Unternehmen mit Betriebssitz in einem anderen Mitgliedstaat des Europäischen Wirtschaftsraumes zur Erbringung einer vorübergehenden Arbeitsleistung nach Österreich entsandt werden und ordnungsgemäß zu einer Beschäftigung im Staat des Betriebssitzes über die Dauer der Entsendung oder Überlassung nach Österreich hinaus zugelassen sowie beim entsendenden Unternehmen rechtmäßig beschäftigt sind, wobei die österreichischen Lohn- und Arbeitsbedingungen gemäß § 3 Abs. 3 bis 6, § 4 Abs. 2 bis 5 und § 5 LSD-BG eingehalten werden.

Bei diesem Ergebnis sind aber die gemeldeten Entsendungen nicht zu untersagen, weshalb den Beschwerden stattzugeben ist und die bekämpften Bescheide aufzuheben sind.

3.2 Zur Erteilung der Entsendebestätigungen:

Nach § 18 Abs. 12 AuslBG ist bei Erfüllung der dort genannten Voraussetzungen keine Beschäftigungsbewilligung oder Entsendebewilligung erforderlich. Da dies wie eben in 3.1.9 dargelegt der Fall ist, war das Vorliegen der Voraussetzungen zu bestätigen (EU-Entsendebestätigung

Zu B) Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Soweit ersichtlich existiert keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu, inwieweit das AMS in Verfahren nach § 18 Abs. 12 AuslBG auch Sachverhalte zu prüfen hat, die in Art. 12 Abs. 1 der VO 883/2004 als Voraussetzungen für die fortgesetzte persönliche Geltung der Rechtsordnung des Arbeitgeberstaates und demnach für die A1-Bescheinigung vorsieht.

Insbesondere fehlt eine Rechtsprechung dazu, ob das AMS nach § 18 Abs. 12 AuslBG zu prüfen hat, ob der entsendende Arbeitgeber im Staat des Betriebssitzes gewöhnlich tätig im Sinn des Art. 12 Abs. 1 der VO 883/2004 ist, und es ist auch nicht klar, ob die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur bindenden Feststellung des anzuwendenden Sozialversicherungsrechts in einer A1-Bescheinigung (29.01.2020, Ra 2016/08/0040 mwN) auf die vorgelagerten Feststellungen übertragbar ist.

Die aufgeworfene Rechtsfrage hat auch über den Einzelfall hinaus Bedeutung, zumal dem Bundesverwaltungsgericht allein aus Vorarlberg dutzende weitere Beschwerden gegen Bescheide betreffend von der Beschwerdeführerin gemeldete Entsendungen und Überlassungen vorliegen und vonseiten der belangten Behörde weitere angekündigt sind.

4. Zum Unterbleiben einer Verhandlung:

Die Beschwerdeführerin hat die Durchführung einer mündlichen Verhandlung in den Beschwerden nur für den Fall beantragt, dass diesen nicht stattgegeben wird.

Nach § 24 Abs. 2 Z. 1 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben oder die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären ist

Das Bundesverwaltungsgericht erachtete die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG nicht für erforderlich. Da es sich – soweit für die Entscheidung erheblich – auch um geklärte Sachverhalte im Sinn des § 24 Abs. 4 VwGVG handelt, bei denen lediglich die Rechtsfolge zu klären war, hätte die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lassen.

Eine mündliche Verhandlung konnte somit gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG entfallen.

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