Normen
B-VG Art133 Abs4
MRK Art6
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §24 Abs2
VwRallg
ZPO §500
ZPO §501
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022170149.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (der belangten Behörde) vom 9. Februar 2022 wurde einem Antrag des Revisionswerbers auf Mängelheilung stattgegeben (Spruchpunkt I.), sein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK abgewiesen (Spruchpunkt II.), gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt III.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan nicht zulässig sei (Spruchpunkt IV.).
2 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde. Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) diese Beschwerde in Hinblick auf Spruchpunkt II. des Bescheides mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass der Antrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels gemäß § 58 Abs. 10 Asylgesetz 2005 zurückgewiesen und das Beschwerdeverfahren hinsichtlich der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt III. des Bescheides) bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache C‑663/21 ausgesetzt wurde. Es sprach weiters aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG unzulässig sei.
3 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof (VfGH). Mit Beschluss vom 29. Juni 2022, E 1564/2022‑5, lehnte der VfGH die Behandlung der Beschwerde ab und trat die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B‑VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
4 Sodann erhob der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 In der gesonderten Zulassungsbegründung ist konkret darzulegen, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht und konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat. Lediglich pauschale Behauptungen erfüllen diese Voraussetzungen nicht (vgl. für viele VwGH 20.4.2022, Ra 2022/01/0018, mwN).
9 Mit dem Zulässigkeitsvorbringen, es seien „[...] die entsprechenden Angaben des RW im Verfahren nur unzureichend gewürdigt worden, insbesondere auch die im Verfahren vorgelegten Urkunden nicht zugunsten des RW gewertet, so dass jedenfalls der belangten Behörde eine antizipierende Beweiswürdigung anzulasten“ sei, richtet sich die Revision gegen die Beweiswürdigung.
10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes soll sich das Revisionsmodell nach dem Willen des Verfassungsgesetzgebers an der Revision nach den §§ 500 ff ZPO orientieren (vgl. ErläutRV 1618 BlgNR 24. GP 16). Ausgehend davon ist der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz tätig, zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist er im Allgemeinen nicht berufen. Auch kann einer Rechtsfrage nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. für viele VwGH 30.3.2022, Ra 2021/01/0281, mwN).
11 Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel dargelegt werden, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise, also fallbezogen darzulegen (vgl. für viele VwGH 21.2.2022, Ra 2021/01/0330, 0331, mwN; 21.6.2022, Ra 2022/18/0119).
12 Die bloß pauschale Behauptung in der Zulässigkeitsbegründung der Revision, das BVwG habe ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt sowie eine unzureichende und antizipierende Beweiswürdigung vorgenommen, wird weder durch konkrete Hinweise auf entsprechende Erwägungen des BVwG näher begründet noch sind solche erkennbar.
13 Mit dem weiteren Zulässigkeitsvorbringen, es sei zu berücksichtigen, dass trotzt gestellten Antrages eine mündliche Beschwerdeverhandlung nicht anberaumt worden sei, so dass schon allein unter dieser Prämisse „der belangten Behörde“ eine antizipierende Beweiswürdigung anzulasten sei, behauptet die Revision eine Verletzung der Verhandlungspflicht. Sie führt dazu aus, dass die Anberaumung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung unabdingbar notwendig gewesen wäre, um dem Revisionswerber auch die Möglichkeit einzuräumen, persönlich darzulegen, dass seit der Rückkehrentscheidung im Asylverfahren sich die soziale Integration zu seinen Gunsten wesentlich gebessert habe, so dass sämtliche Gründe vorlägen, die es gerechtfertigt hätten, dem Revisionswerber den Aufenthaltstitel aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen.
14 Damit vermag die Revision nicht konkret aufzuzeigen, dass das BVwG von den Leitlinien der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 24 Abs. 2 VwGVG abgewichen wäre, wonach eine Verhandlung (u.a. dann) entfallen kann, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei zurückzuweisen ist. In den Fällen des § 24 Abs. 2 VwGVG liegt es im Ermessen des Verwaltungsgerichtes, trotz Parteiantrages keine Verhandlung durchzuführen. Dieses Ermessen ist jedenfalls im Licht des Art. 6 EMRK zu handhaben (vgl. etwa VwGH 22.8.2019, Ra 2019/21/0098, mwN).
15 Der Revisionswerber zeigt weder eine Unvertretbarkeit des Ergebnisses dieser Ermessensübung noch einen maßgeblichen Begründungsmangel auf. Insbesondere lässt er offen, welche Aspekte seiner sozialen Integration das BVwG unberücksichtigt gelassen oder unzureichend gewürdigt hätte, zumal das BVwG sämtliche Angaben des Revisionswerbers zu seinen Integrationsleistungen seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat. Der Revisionswerber legt zum behaupteten Abweichen von der hg. Rechtsprechung auch nicht konkret unter Angabe zumindest einer nach Datum und Geschäftszahl bezeichneten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes dar, inwiefern das BVwG durch das angefochtene Erkenntnis nach seiner Ansicht von welcher höchstgerichtlichen Judikatur abgewichen sein soll (vgl. etwa VwGH 21.1.2021, Ra 2020/22/0270, mwN; erneut 21.6.2022, Ra 2022/18/0119).
16 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 20. September 2022
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