Normen
AsylG 1997 §13 Abs2
AsylG 2005 §10 Abs1 Z4
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §58 Abs1 Z3
AsylG 2005 §6 Abs1
AsylG 2005 §6 Abs1 Z3
AsylG 2005 §6 Abs1 Z4
AsylG 2005 §6 Abs2
AsylG 2005 §7 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8
AsylG 2005 §8 Abs3a
AsylG 2005 §9 Abs2
EURallg
FlKonv Art33
FlKonv Art33 Abs2
FlKonv Art33 Z2
FrÄG 2015
FrPolG 2005 §50 Abs1
FrPolG 2005 §50 Abs2
FrPolG 2005 §67 Abs1
MRK Art2
MRK Art3
StGB §17
StGB §73
VwGG §13 Abs1 Z1
VwRallg
12010P/TXT Grundrechte Charta Art18
12010P/TXT Grundrechte Charta Art19 Abs2
12010P/TXT Grundrechte Charta Art4
32004L0038 Unionsbürger-RL Art27 Abs2
32008L0115 Rückführungs-RL Art5
32008L0115 Rückführungs-RL Art8
32011L0095 Status-RL Art14 Abs4
32011L0095 Status-RL Art14 Abs4 lita
32011L0095 Status-RL Art14 Abs4 litb
32011L0095 Status-RL Art2 litd
32011L0095 Status-RL Art21 Abs2
62021CJ0663 Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl VORAB
62022CJ0008 Commissaire general aux refugies et aux apatrides VORAB
62022CJ0402 Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid VORAB
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2021200246.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird, soweit damit die Spruchpunkte I. und II. des Bescheides des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 24. September 2019, 1047761604‑180476727, ersatzlos behoben wurden, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Im Übrigen wird die Revision als unbegründet abgewiesen.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte wurde im Jahr 1989 in Damaskus (Syrien) geboren und lebte bis August 2014 in Syrien. Er reiste am 10. Dezember 2014 unrechtmäßig in Österreich ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Er gab an, staatenlos und Angehöriger der Palästinenser zu sein. Er verfügte zu dieser Zeit über ein von einer syrischen Behörde für Palästinenser ausgestelltes Reisedokument und einen ebensolchen Personalausweis.
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (die revisionswerbende Behörde) gab dem Antrag des Mitbeteiligten mit Bescheid vom 22. Dezember 2015 statt und sprach aus, dass dem Mitbeteiligten gemäß § 3 (Abs. 1) AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt und gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 festgestellt werde, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.
3 Den vorgelegten Akten ist zu entnehmen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl davon ausging, der Mitbeteiligte sei staatenlos und habe in Syrien als anerkannter Flüchtling gelebt (die Behörde ging erkennbar davon aus, dass Syrien der Herkunftsstaat des staatenlosen Mitbeteiligten im Sinn der asylrechtlichen Bestimmungen sei, weil es sich um das Land des früheren gewöhnlichen Aufenthalts gehandelt hatte). Er sei bei United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (UNRWA) registriert. Er habe Syrien wegen des Bürgerkriegs und der damit verbundenen dortigen prekären Situation verlassen. Er habe aber auch glaubhaft gemacht, dass er einer individuellen Verfolgung unterliege. Im Jahr 2013 sei er von unbekannten Personen entführt und erst nach der Zahlung von Lösegeld durch den Vater wieder freigelassen worden. Nach der Freilassung habe sich der Mitbeteiligte in den Libanon begeben. Von dort sei er aber wieder nach Syrien zurückgeschickt worden. Im August 2014 sei er von der Militärpolizei aufgefordert worden, seinen Dienst (beim Militär) anzutreten. Daraufhin sei er aus Syrien geflohen. Ihm drohe im Fall der Rückkehr nach Syrien (erkennbar gemeint: weil er sich dem Wehrdienst entzogen habe) Verfolgung seitens der Regierung.
4 Der Mitbeteiligte wurde während seines Aufenthalts in Österreich straffällig. Das Landesgericht Linz verurteilte ihn am 22. März 2018 wegen der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 und Abs. 2 Strafgesetzbuch (StGB), der Sachbeschädigung nach § 125 StGB und des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs. 2 Suchtmittelgesetz ‑ SMG (Erwerb und Besitz zum Eigengebrauch) sowie wegen der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 zweiter und dritter Fall SMG (Einfuhr und Ausfuhr von Suchtgift in einer die Grenzmenge ‑ das ist jene mit Verordnung festgelegte Untergrenze der Menge, die geeignet ist, in großem Ausmaß eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen herbeizuführen ‑ übersteigenden Menge) sowie des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall SMG (Überlassen von Suchtgift in einer die Grenzmenge übersteigenden Menge) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten sowie einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen. Der Vollzug der Freiheitsstrafe wurde unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Das Urteil wurde rechtskräftig.
5 Die Landespolizeidirektion Oberösterreich erließ in der Folge gegen den Mitbeteiligten ein (noch bis 5. Dezember 2023 gültiges) Waffenverbot.
6 Am 22. Mai 2018 leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gegen den Mitbeteiligten ein Verfahren zur Aberkennung des ihm früher zuerkannten Status des Asylberechtigten ein. Dieses Verfahren wurde von der Behörde zunächst nicht weitergeführt. Aus einem in den Akten einliegenden Aktenvermerk vom 25. Juli 2018 ergibt sich, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu dieser Zeit davon ausging, es bestehe keine ausreichende Grundlage für die Annahme, der Mitbeteiligte stelle eine Gefahr für die Allgemeinheit dar.
7 In der Folge wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl davon verständigt, dass gegen den Mitbeteiligten weitere Anzeigen wegen strafbarer Handlungen erstattet worden und gegen ihn auch Verurteilungen ergangen seien.
8 Mit Urteil des Landesgerichtes Linz vom 14. Jänner 2019 wurde der Mitbeteiligte wegen der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB und der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten rechtskräftig verurteilt. Der Vollzug der Freiheitsstrafe wurde unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen; die mit dem früheren Urteil festgelegte Probezeit wurde auf fünf Jahre verlängert.
9 Am 11. März 2019 verurteilte das Landesgericht Wels den Mitbeteiligten wegen der Vergehen der versuchten Körperverletzung nach § 15 Abs. 1, § 83 Abs. 1 StGB und der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten. Abermals wurde der Vollzug der Freiheitsstrafe unter Festlegung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen und die zuvor mit drei Jahren bestimmte Probezeit auf fünf Jahre verlängert.
10 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl leitete infolge der neuerlichen Verurteilungen am 28. März 2019 wieder ein Verfahren zur Aberkennung des dem Mitbeteiligten zuerkannten Status des Asylberechtigten ein. Dies wurde dem Mitbeteiligten mit Schreiben vom 29. März 2019 zur Kenntnis gebracht. Es wurde ihm auch die Gelegenheit gegeben, sich dazu zu äußern, was der Mitbeteiligte auch tat.
11 Mit Strafverfügung vom 13. August 2019 wurde der Mitbeteiligte von der Landespolizeidirektion Oberösterreich wegen aggressiven Verhaltens gegenüber einem Organ der öffentlichen Aufsicht mit einer Geldstrafe belegt.
12 Mit Bescheid vom 24. September 2019 sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass dem Mitbeteiligten der mit Bescheid vom 22. Dezember 2015 zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 festgestellt werde, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Unter einem wurde ausgesprochen, dass dem Mitbeteiligten der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG 2005 nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.), ihm von Amts wegen ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen ihn gestützt auf § 52 Abs. 2 Z 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005, § 9 BFA‑Verfahrensgesetz (BFA‑VG) eine Rückkehrentscheidung sowie gemäß § 53 Abs. 1 und Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkte IV. und VII.) und gemäß § 55 Abs. 1 bis Abs. 3 FPG eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise festgelegt werde (Spruchpunkt VI.). Es wurde mit demselben Bescheid aber auch ausgesprochen, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Mitbeteiligten nach Syrien nicht zulässig sei (Spruchpunkt V.).
13 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ging in seiner Begründung ‑ zusammengefasst und soweit hier wesentlich ‑ in Bezug auf die Möglichkeit einer Abschiebung des Mitbeteiligten davon aus, anhand der Berichtslage zu Syrien ergebe sich, dass dort immer noch die Gefahr bestehe, dass Menschen zwangsrekrutiert würden. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Mitbeteiligte Opfer einer Zwangsrekrutierung und gezwungen werde, an Kriegsverbrechen teilzunehmen. Von einer Abschiebung des Mitbeteiligten nach Syrien müsse daher auch künftig Abstand genommen werden.
14 Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
15 Der Mitbeteiligte beging weiterhin strafbare Handlungen. Mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichtes Linz vom 16. Juni 2020 wurde er wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt. Vom Widerruf der mit den früheren Urteilen festgelegten bedingten Strafnachsichten wurde abgesehen; die letzte noch mit drei Jahren bestimmte Probezeit aber auf fünf Jahre verlängert.
16 Das Landesgericht Linz verurteilte den Mitbeteiligten am 8. Oktober 2020 wegen der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB und des Betrugs nach § 146 StGB zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe von fünf Monaten. Vom Widerruf früher ausgesprochener bedingter Strafnachsichten wurde abermals abgesehen.
17 Das Bundesverwaltungsgericht führte am 28. Oktober 2020 eine Verhandlung durch, in der der Mitbeteiligte erklärte, die gegen Spruchpunkt V. des Bescheides ‑ damit war die Unzulässigkeit seiner Abschiebung festgestellt worden ‑ erhobene Beschwerde zurückzuziehen.
18 Mit dem Erkenntnis vom 28. Mai 2021 gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde des Mitbeteiligten statt und hob die übrigen Spruchpunkte I. bis IV., VI. und VII. des Bescheides ersatzlos auf. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
19 Das Bundesverwaltungsgericht stellte ‑ soweit hier von Interesse ‑ fest, dass der Mitbeteiligte ein „staatenloser Palästinenser aus Syrien“ sei. Er stamme „aus der Stadt Sahnaya in Damaskus‑Land“. Dieses Gebiet befinde sich „derzeit in der Hand des Regimes“ (offenkundig gemeint: unter Kontrolle des syrischen Staates). In Syrien habe der Mitbeteiligte keine Verwandten mehr. Die Eltern, ein Bruder und eine Schwester lebten mittlerweile in den Niederlanden.
20 Das Bundesverwaltungsgericht legte im Einzelnen jene Tathandlungen, die zu den oben genannten Verurteilungen geführt hatten, sowie die Gründe, die von den Strafgerichten bei der Bemessung der Strafen als erschwerend und mildernd berücksichtigt worden waren, dar. Weiters traf das Verwaltungsgericht Feststellungen zur Lage in Syrien.
21 Im Anschluss an ‑ hier nicht weiter maßgebliche ‑ Erwägungen zur Beweiswürdigung führte das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung ‑ wiederum auf das Wesentliche zusammengefasst ‑ aus, gemäß § 6 Abs. 1 Z 4 (erster Satz) AsylG 2005 sei ein Fremder von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn er von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden sei und er wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeute. Der Status des Asylberechtigten sei einem Fremden gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn ein Asylausschlussgrund nach § 6 AsylG 2005 vorliege.
22 Es müssten vier Voraussetzungen gegeben sein, um den hier in Rede stehenden Tatbestand als erfüllt ansehen zu können. Es müsse der Fremde erstens ein besonders schweres Verbrechen verübt haben, dafür zweitens rechtskräftig verurteilt worden, drittens gemeingefährlich sein, und viertens müssten die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung seine Interessen am Weiterbestehen des Schutzes durch den Zufluchtsstaat überwiegen.
23 Das Bundesverwaltungsgericht bejahte dann in der Folge ‑ unter Bedachtnahme auf die dazu ergangene (bisherige) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ‑ das Vorliegen der unter erstens bis drittens genannten Voraussetzungen. Vom Mitbeteiligten gehe infolge des von ihm begangenen Suchtgifthandels und wegen der wiederkehrenden gewalttätigen Angriffe gegen andere Menschen eine erhebliche Gefahr für die Allgemeinheit aus. Dabei setzte sich das Verwaltungsgericht eingehend mit den Straftaten und der Persönlichkeit des Mitbeteiligten auseinander. Es kam auch zum Ergebnis, dass im Fall des Mitbeteiligten, der immer rasch rückfällig geworden sei, keine „günstige Zukunftsprognose“ möglich sei.
24 Zur vierten Voraussetzung führte das Verwaltungsgericht aus, es sei eine Güterabwägung dahingehend vorzunehmen, ob die Interessen des Zufluchtsstaates jene des Flüchtlings überwögen. Bei dieser Güterabwägung seien die Verwerflichkeit eines Verbrechens und die potentielle Gefahr für die Allgemeinheit den Schutzinteressen des Asylwerbers beinhaltend das Ausmaß und die Art der ihm drohenden Maßnahmen gegenüberzustellen. Art. 1 Abschnitt F lit. b der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und Art. 33 Z 2 GFK könnten etwa dann keine Anwendung finden, wenn die drohenden Maßnahmen relativ schwer seien, der Fremde aber weitgehend als resozialisiert gelte, weil er nicht rückfällig geworden sei. Habe der Fremde mit Folter oder Tod zu rechnen, überwögen die öffentlichen Interessen an der Nichtasylgewährung „eher selten“ gegenüber den individuellen Schutzinteressen. In solchen Fällen sei sogar Kriminellen Asyl zu gewähren, wenn ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung drohe. Die Ausnahmeklausel des Art. 33 Z 2 GFK sei restriktiv auszulegen. Verstehe man das Non‑Refoulement‑Prinzip als Instrument des Menschenrechtsschutzes und ziehe man den ‑ an sich selbstverständlichen ‑ Grundsatz in Betracht, dass auch Personen, die die Normen des Strafrechts verletzen, nicht automatisch aller fundamentaler Rechte verlustig gehen, könne diese Bestimmung nur in seltenen und extremen Ausnahmefällen Anwendung finden.
25 Dem Mitbeteiligten sei vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl „aufgrund seiner Eigenschaft als Wehrdienstverweigerer“ der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden. Die Schutzwürdigkeit von „syrischen“ Wehrdienstverweigerern sei immer noch anzuerkennen. Insoweit verwies das Bundesverwaltungsgericht auf seine Feststellungen zur Lage in Syrien. Erkennbar legte es seiner Beurteilung jene Feststellungen zugrunde, wonach für „palästinische Flüchtlinge mit dauerhaftem Aufenthalt in Syrien“ Wehrpflicht bestehe. Den im Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Entscheidung vorhandenen Berichten zufolge betrachte die (syrische) Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das „Vaterland“ gegen terroristische Bedrohungen zu schützen. Hinsichtlich der Konsequenzen von Desertion und Wehrdienstverweigerung bestünden zwar unterschiedliche Berichte und es gingen die Meinungen auseinander. Es werde aber auch davon berichtet, dass „die Ergreifung eines Wehrdienstverweigerers mit Foltergarantie und Todesurteil gleichzusetzen“ sei.
26 Das Bundesverwaltungsgericht ging wegen solcher dem Mitbeteiligten (im Zeitpunkt seiner Entscheidung immer noch) mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohender Konsequenzen davon aus, dass die nach der Rechtsprechung geforderte Güterabwägung zu Gunsten des Mitbeteiligten auszufallen habe. Daher dürfe trotz der von ihm ausgehenden Gefahr der Status des Asylberechtigten nicht aberkannt werden.
27 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl an den Verwaltungsgerichtshof erhobene Revision, die vom Bundesverwaltungsgericht samt den Verfahrensakten dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt wurde. Der Verwaltungsgerichtshof hat das Vorverfahren eingeleitet. Es wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.
28 Die revisionswerbende Behörde macht geltend, die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei zu einer Zeit und zu einer Rechtslage ergangen, die nicht mit der aktuellen rechtlichen Ausgangslage vergleichbar sei. Der Gesetzgeber habe nach der im Revisionsfall anzuwendenden Rechtslage Vorkehrungen dafür getroffen, dass eine Abschiebung in den Herkunftsstaat nicht erfolgen dürfe, wenn dem Fremden solche Konsequenzen drohten, dass eine Verletzung des Art. 2 oder Art. 3 EMRK zu befürchten sei. Die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene Güterabwägung sei zum Schutz vor Abschiebung nicht erforderlich, weil für den Mitbeteiligten ein nationaler Abschiebeschutz in der Form bestehe, dass im Fall des Vorliegens eines Refoulement‑Verbotes in einer der Rechtskraft fähigen Weise festgestellt werde, dass die Abschiebung nicht zulässig sei. Der Ursprung der bisherigen Rechtsprechung liege zudem in einer Zeit vor Inkrafttreten der gemeinschaftsrechtlichen und unionsrechtlichen Regelungen zu asylrechtlichen Belangen. Eine Betrachtung des in den einschlägigen Richtlinien ‑ nämlich der Richtlinie 2011/95/EU und der davor geltenden Richtlinie 2004/83/EG ‑ enthaltenen Ausschlussgrundes zeige, dass es Ziel dieser Bestimmungen sei, die Glaubwürdigkeit des durch die Richtlinien in Übereinstimmung mit der Genfer Flüchtlingskonvention vorgesehenen Schutzsystems zu erhalten. Diese Bestimmungen stünden daher der Aufrechterhaltung des früher zuerkannten Schutzstatus sogar entgegen.
29 Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) habe in seinem Urteil vom 9. November 2010, C‑57/09 und C‑101/09, festgehalten, dass der Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling gemäß Art. 12 Abs. 2 lit. b und c der Richtlinie 2004/83/EG keine auf den Einzelfall bezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung voraussetze. Der Art. 12 Abs. 2 lit. b und c der Richtlinie 2004/83/EG sei in die Neufassung der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU , im Weiteren kurz: StatusRL) übernommen worden. Art. 12 Abs. 2 lit. b und c StatusRL sei mit § 6 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 in das innerstaatliche Recht umgesetzt worden. Mit dem fallbezogen maßgeblichen § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 habe der österreichische Gesetzgeber die Umsetzung des Art. 14 Abs. 4 lit. b StatusRL vorgenommen. Der EuGH habe sich bislang noch nicht dazu geäußert, ob nach dieser Bestimmung eine Güterabwägung durchzuführen sei. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vertrete die Ansicht, dass die Erwägungen des EuGH im Urteil vom 9. November 2010 zu Art. 12 Abs. 2 lit. b und c der Richtlinie 2004/83/EG auch für das Verständnis von Art. 14 Abs. 4 lit. b StatusRL maßgeblich seien. Auch aus der Formulierung des Art. 14 Abs. 4 StatusRL ergebe sich keinerlei Hinweis dafür, dass eine Güterabwägung zu erfolgen hätte. Vielmehr verbiete sich eine solche sogar, weil damit die Erhaltung der Glaubwürdigkeit des durch die StatusRL in Übereinstimmung mit der Genfer Flüchtlingskonvention vorgesehenen Schutzsystems in Frage gestellt werden könnte.
30 Der Verwaltungsgerichtshof hat es im gegenständlichen Revisionsverfahren für geboten erachtet, zwecks Klärung des Inhalts unionsrechtlicher Bestimmungen an den EuGH heranzutreten. Mit Beschluss vom 20. Oktober 2021, EU 2021/0007‑1 (Ra 2021/20/0246), wurden dem EuGH gemäß Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
„1. Ist bei der Beurteilung, ob der einem Flüchtling von der zuständigen Behörde zuvor zuerkannte Status des Asylberechtigten aus dem in Art. 14 Abs. 4 lit. b Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Neufassung) genannten Grund aberkannt werden darf, eine Güterabwägung als eigenständiges Kriterium in der Form vorzunehmen, dass es für die Aberkennung erforderlich ist, dass die öffentlichen Interessen für die Rückführung die Interessen des Flüchtlings am Weiterbestehen des Schutzes durch den Zufluchtsstaat überwiegen müssen, wobei dabei die Verwerflichkeit eines Verbrechens und die potentielle Gefahr für die Allgemeinheit den Schutzinteressen des Fremden ‑ beinhaltend das Ausmaß und die Art der ihm drohenden Maßnahmen ‑ gegenüberzustellen sind?
2. Stehen die Bestimmungen der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger, im Besonderen deren Art. 5, Art. 6, Art. 8 und Art. 9, einer nationalen Rechtslage entgegen, wonach gegen einen Drittstaatsangehörigen, dem sein bisheriges Aufenthaltsrecht als Flüchtling durch Aberkennung des Status des Asylberechtigten entzogen wird, selbst dann eine Rückkehrentscheidung zu erlassen ist, wenn bereits im Zeitpunkt der Erlassung der Rückkehrentscheidung feststeht, dass eine Abschiebung wegen des Verbotes des Refoulement auf unbestimmte Dauer nicht zulässig ist und dies auch in einer der Rechtskraft fähigen Weise festgestellt wird?“
31 Diese Fragen wurden vom EuGH mit Urteil vom 6. Juli 2023, C‑663/21, wie folgt beantwortet:
„1. Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ist dahin auszulegen, dass die Anwendung dieser Bestimmung von der Feststellung der zuständigen Behörde abhängt, dass die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft angesichts der Gefahr, die der betreffende Drittstaatsangehörige für ein Grundinteresse der Allgemeinheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält, verhältnismäßig ist. Zu diesem Zweck muss die zuständige Behörde diese Gefahr gegen die Rechte abwägen, die nach der Richtlinie den Personen zu gewährleisten sind, die die materiellen Voraussetzungen von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie erfüllen, ohne dass sie jedoch darüber hinaus prüfen müsste, ob das öffentliche Interesse an der Rückkehr dieses Drittstaatsangehörigen in sein Herkunftsland in Anbetracht des Ausmaßes und der Art der Maßnahmen, denen er bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland ausgesetzt wäre, sein Interesse an der Aufrechterhaltung des internationalen Schutzes überwiegt.
2. Art. 5 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger ist dahin auszulegen, dass er dem Erlass einer Rückkehrentscheidung gegen einen Drittstaatsangehörigen entgegensteht, wenn feststeht, dass dessen Abschiebung in das vorgesehene Zielland nach dem Grundsatz der Nichtzurückweisung auf unbestimmte Zeit ausgeschlossen ist.“
32 Der EuGH hat des Weiteren am 6. Juli 2023 aufgrund von anderen Gerichten eingereichter Ersuchen um Vorabentscheidung zwei weitere Urteile erlassen (zur Zl. C‑402/22 sowie zur Zl. C‑8/22), auf die in der Begründung des Urteils zu C‑663/21 verwiesen wird und auf die im hier gegebenen Zusammenhang ebenfalls Bedacht zu nehmen ist. Der jeweilige Tenor dieser Urteile lautet:
33 Urteil des EuGH vom 6. Juli 2023, C‑402/22:
„1. Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ist dahin auszulegen, dass eine ‚besonders schwere Straftat‘ im Sinne dieser Bestimmung eine Straftat ist, die angesichts ihrer spezifischen Merkmale insofern eine außerordentliche Schwere aufweist, als sie zu den Straftaten gehört, die die Rechtsordnung der betreffenden Gesellschaft am stärksten beeinträchtigen. Bei der Beurteilung, ob eine Straftat, derentwegen ein Drittstaatsangehöriger rechtskräftig verurteilt wurde, einen solchen Schweregrad aufweist, sind insbesondere die für diese Straftat angedrohte und die verhängte Strafe, die Art der Straftat, etwaige erschwerende oder mildernde Umstände, die Frage, ob diese Straftat vorsätzlich begangen wurde, Art und Ausmaß der durch diese Straftat verursachten Schäden sowie das Verfahren zur Ahndung der Straftat zu berücksichtigen.
2. Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2011/95 ist dahin auszulegen, dass das Bestehen einer Gefahr für die Allgemeinheit des Mitgliedstaats, in dem sich der betreffende Drittstaatsangehörige aufhält, nicht schon allein deshalb als erwiesen angesehen werden kann, weil dieser wegen einer besonders schweren Straftat rechtskräftig verurteilt wurde.
3. Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2011/95 ist dahin auszulegen, dass die Anwendung dieser Bestimmung davon abhängt, dass die zuständige Behörde feststellt, dass der betreffende Drittstaatsangehörige eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für ein Grundinteresse der Allgemeinheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält, und dass die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft eine in Bezug auf diese Gefahr verhältnismäßige Maßnahme ist.“
34 Urteil des EuGH vom 6. Juli 2023, C‑8/22:
„1. Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ist dahin auszulegen, dass das Bestehen einer Gefahr für die Allgemeinheit des Mitgliedstaats, in dem sich der betreffende Drittstaatsangehörige aufhält, nicht schon allein deshalb als erwiesen angesehen werden kann, weil dieser wegen einer besonders schweren Straftat rechtskräftig verurteilt wurde.
2. Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2011/95 ist dahin auszulegen, dass die Anwendung dieser Bestimmung davon abhängt, dass die zuständige Behörde feststellt, dass der betreffende Drittstaatsangehörige eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für ein Grundinteresse der Allgemeinheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält, und dass die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft eine in Bezug auf diese Gefahr verhältnismäßige Maßnahme ist.“
35 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:
36 Die maßgeblichen Bestimmungen lauten:
37 AsylG 2005:
„Begriffsbestimmungen
§ 2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist
1. die Genfer Flüchtlingskonvention: die Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951, BGBl. Nr. 55/1955, in der durch das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Jänner 1967, BGBl. Nr. 78/1974, geänderten Fassung;
2. die EMRK: die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958;
3. ...
...
11. Verfolgung: jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Statusrichtlinie;
12. ...
...
15. der Status des Asylberechtigten: das zunächst befristete und schließlich dauernde Einreise- und Aufenthaltsrecht, das Österreich Fremden nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gewährt;
16. ...
17. ein Herkunftsstaat: der Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Fremde besitzt, oder ‑ im Falle der Staatenlosigkeit ‑ der Staat seines früheren gewöhnlichen Aufenthaltes;
18. ...
...
Status des Asylberechtigten
§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
(2) ...
(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn
1. ...
2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.
(4) ...
...
(5) Die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, ist mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
...
Ausschluss von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten
§ 6. (1) Ein Fremder ist von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn
1. und so lange er Schutz gemäß Art. 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt;
2. einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Ausschlussgründe vorliegt;
3. aus stichhaltigen Gründen angenommen werden kann, dass der Fremde eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt, oder
4. er von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.
(2) Wenn ein Ausschlussgrund nach Abs. 1 vorliegt, kann der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ohne weitere Prüfung abgewiesen werden. § 8 gilt.
Aberkennung des Status des Asylberechtigten
§ 7. (1) Der Status des Asylberechtigten ist einem Fremden von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn
1. ein Asylausschlussgrund nach § 6 vorliegt;
2. einer der in Art. 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Endigungsgründe eingetreten ist oder
3. der Asylberechtigte den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat.
(2) ...
...
(4) Die Aberkennung nach Abs. 1 Z 1 und 2 ist mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Betroffenen die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt. Dieser hat nach Rechtskraft der Aberkennung der Behörde Ausweise und Karten, die den Status des Asylberechtigten oder die Flüchtlingseigenschaft bestätigen, zurückzustellen.
Status des subsidiär Schutzberechtigten
§ 8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,
1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder
2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,
wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.
(3) ...
(3a) Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen, so hat eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.
(4) ...
...
Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten
§ 9. (1) Einem Fremden ist der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn
1. die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) nicht oder nicht mehr vorliegen;
2. er den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat oder
3. er die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erlangt hat und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen neuen Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(2) Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des Abs. 1 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung auch dann zu erfolgen, wenn
1. einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe vorliegt;
2. der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder
3. der Fremde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.
In diesen Fällen ist die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(3) ...
...
Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme
§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn
1. ...
...
4. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder
5. ...
und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.
(2) ...
...
‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz‘
§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz‘ zu erteilen:
1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,
2. ...
...
Antragstellung und amtswegiges Verfahren
§ 58.
(1)
Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn
1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,
2. der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
3. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt,
4. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird oder
5. ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.
(2) ...
...“
38 FPG:
„Voraussetzung für den rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet
§ 31. (1) Fremde halten sich rechtmäßig im Bundesgebiet auf,
1. ...
...
4. solange ihnen ein Aufenthaltsrecht nach dem AsylG 2005 zukommt;
5. ...
...
(1a) Liegt kein Fall des Abs. 1 vor, halten sich Fremde nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf; dies insbesondere, wenn sie
1. ...
...
3. geduldet sind (§ 46a) oder
4. ...
...
Duldung
§ 46a. (1) Der Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet ist zu dulden, solange
1. deren Abschiebung gemäß §§ 50, 51 oder 52 Abs. 9 Satz 1 unzulässig ist, vorausgesetzt die Abschiebung ist nicht in einen anderen Staat zulässig;
2. deren Abschiebung gemäß §§ 8 Abs. 3a und 9 Abs. 2 AsylG 2005 unzulässig ist;
3. ...
...
Verbot der Abschiebung
§ 50. (1) Die Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.
(2) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).
(3) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.
...
Rückkehrentscheidung
§ 52. (1) ...
(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn
1. ...
...
3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder
4. ...
und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. ...
(3) ...
...
(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.
(10) ...
...“
39 Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Neufassung); im Weiteren: StatusRL:
„Artikel 2
Begriffsbestimmungen
Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
a) ...
b) „Person, der internationaler Schutz zuerkannt wurde“ eine Person, der die Flüchtlingseigenschaft gemäß Buchstabe e oder der subsidiäre Schutzstatus gemäß Buchstabe g zuerkannt wurde;
c) ...
...
Artikel 14
Aberkennung, Beendigung oder Ablehnung der Verlängerung der Flüchtlingseigenschaft
(1) Bei Anträgen auf internationalen Schutz, die nach Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG gestellt wurden, erkennen die Mitgliedstaaten einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen die von einer Regierungs- oder Verwaltungsbehörde, einem Gericht oder einer gerichtsähnlichen Behörde zuerkannte Flüchtlingseigenschaft ab, beenden diese oder lehnen ihre Verlängerung ab, wenn er gemäß Artikel 11 nicht länger Flüchtling ist.
(2) ...
(3) Die Mitgliedstaaten erkennen einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen die Flüchtlingseigenschaft ab, beenden diese oder lehnen ihre Verlängerung ab, falls der betreffende Mitgliedstaat nach Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft feststellt, dass
a) die Person gemäß Artikel 12 von der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft hätte ausgeschlossen werden müssen oder ausgeschlossen ist;
b) ...
(4) Die Mitgliedstaaten können einem Flüchtling die ihm von einer Regierungs- oder Verwaltungsbehörde, einem Gericht oder einer gerichtsähnlichen Behörde zuerkannte Rechtsstellung aberkennen, diese beenden oder ihre Verlängerung ablehnen, wenn
a) es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass er eine Gefahr für die Sicherheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält;
b) er eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Mitgliedstaats darstellt, weil er wegen einer besonders schweren Straftat rechtskräftig verurteilt wurde.
(5) In den in Absatz 4 genannten Fällen können die Mitgliedstaaten entscheiden, einem Flüchtling eine Rechtsstellung nicht zuzuerkennen, solange noch keine Entscheidung darüber gefasst worden ist.
(6) Personen, auf die die Absätze 4 oder 5 Anwendung finden, können die in den Artikeln 3, 4, 16, 22, 31, 32 und 33 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Rechte oder vergleichbare Rechte geltend machen, sofern sie sich in dem betreffenden Mitgliedstaat aufhalten.
...
Artikel 21
Schutz vor Zurückweisung
(1) Die Mitgliedstaaten achten den Grundsatz der Nichtzurückweisung in Übereinstimmung mit ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen.
(2) Ein Mitgliedstaat kann, sofern dies nicht aufgrund der in Absatz 1 genannten völkerrechtlichen Verpflichtungen untersagt ist, einen Flüchtling unabhängig davon, ob er als solcher förmlich anerkannt ist oder nicht, zurückweisen, wenn
a) es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass er eine Gefahr für die Sicherheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält, oder
b) er eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Mitgliedstaats darstellt, weil er wegen einer besonders schweren Straftat rechtskräftig verurteilt wurde.
(3) Die Mitgliedstaaten können den einem Flüchtling erteilten Aufenthaltstitel widerrufen, beenden oder seine Verlängerung bzw. die Erteilung eines Aufenthaltstitels ablehnen, wenn Absatz 2 auf die betreffende Person Anwendung findet.“
40 Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger; im Weiteren: Rückführungsrichtlinie:
„Artikel 5
Grundsatz der Nichtzurückweisung, Wohl des Kindes, familiäre Bindungen und Gesundheitszustand
Bei der Umsetzung dieser Richtlinie berücksichtigen die Mitgliedstaaten in gebührender Weise:
a) ...
...
und halten den Grundsatz der Nichtzurückweisung ein.
Artikel 6
Rückkehrentscheidung
(1) Unbeschadet der Ausnahmen nach den Absätzen 2 bis 5 erlassen die Mitgliedstaaten gegen alle illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung.
(2) ...
...
(4) Die Mitgliedstaaten können jederzeit beschließen, illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen wegen Vorliegen eines Härtefalls oder aus humanitären oder sonstigen Gründen einen eigenen Aufenthaltstitel oder eine sonstige Aufenthaltsberechtigung zu erteilen. In diesem Fall wird keine Rückkehrentscheidung erlassen. Ist bereits eine Rückkehrentscheidung ergangen, so ist diese zurückzunehmen oder für die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels oder der sonstigen Aufenthaltsberechtigung auszusetzen.
(5) ...
(6) Durch diese Richtlinie sollen die Mitgliedstaaten nicht daran gehindert werden, entsprechend ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften und unbeschadet der nach Kapitel III und nach anderen einschlägigen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts und des einzelstaatlichen Rechts verfügbaren Verfahrensgarantien mit einer einzigen behördlichen oder richterlichen Entscheidung eine Entscheidung über die Beendigung eines legalen Aufenthalts sowie eine Rückkehrentscheidung und/oder eine Entscheidung über eine Abschiebung und/oder ein Einreiseverbot zu erlassen.
...
Artikel 8
Abschiebung
(1) Die Mitgliedstaaten ergreifen alle erforderlichen Maßnahmen zur Vollstreckung der Rückkehrentscheidung, wenn nach Artikel 7 Absatz 4 keine Frist für die freiwillige Ausreise eingeräumt wurde oder wenn die betreffende Person ihrer Rückkehrverpflichtung nicht innerhalb der nach Artikel 7 eingeräumten Frist für die freiwillige Ausreise nachgekommen ist.
(2) ...
...
Artikel 9
Aufschub der Abschiebung
(1) Die Mitgliedstaaten schieben die Abschiebung auf,
a) wenn diese gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung verstoßen würde oder
b) ...
(2) ...
...“
41 Genfer Flüchtlingskonvention:
„Artikel 33
Verbot der Ausweisung und Zurückweisung
1. Keiner der vertragschließenden Staaten wird einen Flüchtling auf irgendeine Weise über die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zurückweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde.
2. Auf die Vergünstigung dieser Vorschrift kann sich jedoch ein Flüchtling nicht berufen, der aus schwer wiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit des Landes anzusehen ist, in dem er sich befindet, oder der eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Staates bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder eines besonders schweren Vergehens rechtskräftig verurteilt wurde.“
42 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC):
„Artikel 2
Recht auf Leben
(1) Jede Person hat das Recht auf Leben.
(2) ...
...
Artikel 4
Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung
Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.
...
Artikel 18
Asylrecht
Das Recht auf Asyl wird nach Maßgabe des Genfer Abkommens vom 28. Juli 1951 und des Protokolls vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge sowie gemäß dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft gewährleistet.
Artikel 19
Schutz bei Abschiebung, Ausweisung und Auslieferung
(1) ...
(2) Niemand darf in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen oder an einen Staat ausgeliefert werden, in dem für sie oder ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht.“
43 EMRK:
„Artikel 2 ‑ Recht auf Leben
(1) Das Recht jedes Menschen auf das Leben wird gesetzlich geschützt. Abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils, das von einem Gericht im Falle eines durch Gesetz mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens ausgesprochen worden ist, darf eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden.
(2) ...
Artikel 3 ‑ Verbot der Folter
Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“
44 Zum Ausschlussgrund des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005:
45 Bisherige Rechtsprechung
46 Bereits das früher in Österreich geltende (am 31. Dezember 2004 außer Kraft getretene) Asylgesetz 1997 (AsylG) legte in seinem § 13 Abs. 2 unter der Überschrift „Ausschluss von der Asylgewährung“ fest, dass die Gewährung von Asyl (auch dann) ausgeschlossen war, wenn Fremde von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden waren und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeuteten.
47 Der Verwaltungsgerichtshof hat sich mit dieser Bestimmung in seinem Erkenntnis vom 6. Oktober 1999, 99/01/0288, erstmals grundsätzlich auseinandergesetzt.
48 Dort wurde ausgeführt, dass sich aus dem eindeutigen Wortlaut des § 13 Abs. 2 AsylG ergebe, dass einerseits der Gesetzgeber bereits für das Asylverfahren jene Überprüfungskriterien eingeführt habe, welche nach dem in Art. 33 GFK enthaltenen „Verbot der Ausweisung oder der Zurückweisung“ aus der Sicht der GFK erst im Verfahren zur Außerlandesbringung zu beurteilen wären. Andererseits habe sich der Gesetzgeber mit dem von ihm verwendeten Wortlaut der völkerrechtlichen Bedeutung dieser Wortfolgen angeschlossen.
49 Nach dem Art. 33 Z 2 GFK müssten nach internationaler Literatur und Judikatur kumulativ vier Voraussetzungen erfüllt sein, damit ein Flüchtling trotz drohender Verfolgung in den Heimat- oder Herkunftsstaat verbracht werden dürfe. Er müsse erstens ein besonders schweres Verbrechen verübt haben, dafür zweitens rechtskräftig verurteilt worden sein, drittens gemeingefährlich sein und viertens müssten die öffentlichen Interessen an der Rückschiebung die Interessen des Flüchtlings am Weiterbestehen des Schutzes durch den Zufluchtsstaat überwiegen. In diesem Zusammenhang verwies der Verwaltungsgerichtshof auf die Ausführungen in Kälin, Grundriss des Asylverfahrens (1990), S 227 ff, sowie die dort zitierte Literatur und Judikatur.
50 Unter den Begriff des „besonders schweren Verbrechens“ fallen nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur solche Straftaten, die objektiv besonders wichtige Rechtsgüter verletzen. Typischerweise schwere Verbrechen sind etwa Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Kindesmisshandlung, Brandstiftung, Drogenhandel, bewaffneter Raub und dergleichen (VwGH 6.10.1999, 99/01/0288). Auch die Verletzung des Rechtsgutes der sexuellen Integrität von Kindern wurde als „besonders schweres Verbrechen“ eingestuft (vgl. VwGH 5.4.2018, Ra 2017/19/0531). Der Verwaltungsgerichtshof hat aber auch festgehalten, dass es sich dabei bloß um eine demonstrative und daher keineswegs abschließende Aufzählung von Delikten in Zusammenhang mit Art. 33 Z 2 GFK handelt. Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung zum Ausdruck gebracht, dass auch im Fall einer Vielzahl einschlägiger rechtskräftiger Verurteilungen und insofern verhängter, beträchtlicher und überwiegend unbedingter Freiheitsstrafen, verwirklichte Delikte in einer Gesamtbetrachtung als „besonders schweres Verbrechen“ qualifiziert werden können. Es wurde auch betont, dass es auf die Strafdrohung allein bei der Beurteilung, ob ein „besonderes schweres Verbrechen“ vorliegt, nicht ankommt (vgl. VwGH 29.8.2019, Ra 2018/19/0522, mwN).
51 Allerdings hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung auch ausgeführt, dass es, auch wenn es auf die Strafdrohung allein bei der Beurteilung, ob ein „besonderes schweres Verbrechen“ vorliegt, nicht ankommt, für die Anwendung des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 Voraussetzung ist, dass ein Verbrechen im Sinn des § 17 StGB begangen wurde. Erst in einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob es sich dabei ‑ oder gegebenenfalls in einer Zusammenschau mehrerer begangener Delikte ‑ um ein „besonders schweres Verbrechen“ handelt.
52 Gemäß § 17 Abs. 1 StGB sind Verbrechen vorsätzliche Handlungen, die mit lebenslanger oder zumindest mehr als dreijähriger Freiheitsstrafe bedroht sind. Alle anderen strafbaren Handlungen sind gemäß § 17 Abs. 2 StGB Vergehen. Mit der Einteilung in Verbrechen und Vergehen hat der Gesetzgeber in § 17 StGB eine grundsätzliche Unterscheidung der Straftaten, durch die das besondere Gewicht der als Verbrechen geltenden Straftaten ihrer Art nach betont werden soll, getroffen. Über die Bezeichnung dieser Straftaten hinaus ‑ mit „Verbrechen“ wird schon rein sprachlich ein höherer Unwert konnotiert ‑ bringt die Anknüpfung an ein Mindestmaß der Strafdrohung von mehr als dreijähriger oder lebenslanger Freiheitsstrafe sowie die Einschränkung auf Vorsatztaten zum Ausdruck, dass es sich um solche handelt, denen ein besonders hoher Unrechtsgehalt innewohnt (vgl. VwGH 25.5.2020, Ra 2019/19/0116; dem folgend VwGH 31.1.2023, Ra 2021/19/0332).
53 An diesen Begriff des Verbrechens hat der Gesetzgeber mithin in § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 angeknüpft. Jene Aussage in der bisherigen Rechtsprechung, wonach es auf die Strafdrohung allein bei der Beurteilung, ob ein „besonderes schweres Verbrechen“ vorliegt, nicht ankommt, erging im Zusammenhang, mit der Schaffung des Asylgesetzes 1997. § 4 Asylgesetz 1968 hatte noch die bescheidmäßige Feststellung vorgesehen, ob der Flüchtling „nach rechtskräftiger Verurteilung wegen eines Verbrechens, das mit mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist, eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet (Art. 33 Abs. 2 der Konvention)“. Zur entsprechenden Vorschrift des § 5 Abs. 1 Z 3 Asylgesetz 1991, die ihrem Wortlaut nach nicht mehr auf die Strafdrohung abstellte, ging der Verwaltungsgerichtshof wegen des sachlichen Zusammenhanges mit § 37 Abs. 4 Fremdengesetz 1992 davon aus, dass es weiterhin darauf ankomme, dass die Verurteilung wegen eines mit mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedrohten Verbrechens erfolgt sei. Zugleich wurden die Erfordernisse einer Interessenabwägung und einer ‑ vom Vorliegen der Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung „unabhängigen“, insbesondere die näheren Umstände der Tat und das Verhalten seither berücksichtigenden ‑ Zukunftsprognose hervorgehoben. Zu § 13 Abs. 2 zweiter Fall und § 14 Abs. 1 Z 5 zweiter Fall Asylgesetz 1997 wurde mit Rücksicht auf die Änderung der entsprechenden Bestimmung im Fremdengesetz 1997 (§ 57 Abs. 4) dann aber nicht mehr angenommen, der Begriff des „besonders schweren Verbrechens“ bezeichne Delikte mit einer fünf Jahre übersteigenden Strafdrohung (vgl. die Darstellung der bis dahin erfolgten historischen Entwicklung der Rechtsprechung zum Begriff des „besonders schweren Verbrechens“ mit zahlreichen Hinweisen auf die zu früheren Bestimmungen ergangene Rechtsprechung sowie auf Literatur in VwGH 3.12.2002, 99/01/0449).
54 Es genügt allerdings nach der bisherigen Rechtsprechung nicht, dass der Fremde ein abstrakt als schwer einzustufendes Delikt verübt hat. Die Tat muss sich im konkreten Einzelfall als objektiv und subjektiv besonders schwerwiegend erweisen. Milderungsgründe, Schuldausschließungsgründe und Rechtfertigungsgründe sind zu berücksichtigen (vgl. auch dazu VwGH 99/01/0288 sowie Ra 2017/19/0531). Bei der Beurteilung, ob ein „besonders schweres Verbrechen“ vorliegt, ist daher eine konkrete fallbezogene Prüfung vorzunehmen. Es sind insbesondere die Tatumstände zu berücksichtigen. Lediglich in gravierenden Fällen schwerer Verbrechen erweist sich bereits ohne umfassende Prüfung der einzelnen Tatumstände eine eindeutige Wertung als schweres Verbrechen mit negativer Zukunftsprognose als zulässig (vgl. VwGH 29.8.2019, Ra 2018/19/0522; VwGH 14.2.2018, Ra 2017/18/0419; 23.9.2009, 2006/01/0626; vgl. weiters ausführlich zur Frage, wann eine Straftat als ausreichend schwerwiegend zu qualifizieren ist, um von einem „besonders schweren Verbrechen“ sprechen zu können, neuerlich VwGH 3.12.2002, 99/01/0449).
55 Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof festgehalten, dass im Sinn des Art. 33 Z 2 GFK nur gemeingefährliche Straftäter in den Herkunftsstaat verbracht werden dürfen. Besteht für das zukünftige Verhalten des Täters eine günstige Prognose, darf eine Anwendung des hier in Rede stehenden Aberkennungsgrundes im Sinn des Art. 33 Z 2 GFK nicht erfolgen (vgl. VwGH 6.10.1999, 99/01/0288). Im Rahmen der Gefährdungsprognose ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung eines Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Es ist für eine nachvollziehbare Gefährdungsprognose nicht ausreichend, wenn lediglich das Gericht, die Urteilsdaten, die maßgeblichen Strafbestimmungen und die verhängte Strafe angeführt werden. Im Rahmen der zu treffenden Feststellungen kann es fallbezogen mitunter auch nicht ausreichend sein, die im Urteilstenor des Strafgerichts zum Ausdruck kommenden Tathandlungen wiederzugeben, sondern es sich als notwendig darstellen, darüber hinausgehende Feststellungen zu treffen, um die Gefährdungsprognose in einer dem Gesetz entsprechenden Weise vornehmen zu können (vgl. VwGH 1.3.2018, Ra 2018/19/0014, mwN)
56 Zur darüber hinaus als eigenständiges Kriterium für die Zulässigkeit der Aberkennung notwendigen Güterabwägung wurde vom Verwaltungsgerichtshof ‑ worauf sich auch das Bundesverwaltungsgericht in der in Revision gezogenen Entscheidung gestützt hat ‑ im Erkenntnis vom 6. Oktober 1999, 99/01/0288, wörtlich ausgeführt:
„Als letzter Punkt für die Zulässigkeit der Zurückverbringung hat die belangte Behörde eine Güterabwägung vorzunehmen, ob die Interessen des Zufluchtsstaates jene des Flüchtlings überwiegen. Diese Verpflichtung zur Güterabwägung wird in der Staatenpraxis anerkannt (vgl. Kälin, aaO, S 231 mwN). Diesbezüglich besteht zwischen (den in § 13 AsylG übernommenen Teilen des) Art. 1 Abschnitt F lit. b GFK und Art. 33 Abs. 2 GFK kein Unterschied (vgl. Kälin, aaO, S 228). Bei dieser Güterabwägung hat die belangte Behörde die Verwerflichkeit eines Verbrechens und die potentielle Gefahr für die Allgemeinheit den Schutzinteressen des Asylwerbers beinhaltend das Ausmaß und die Art der ihm drohenden Maßnahmen gegenüberzustellen. Art. 1 Abschnitt F lit. b GFK und Art. 33 Abs. 2 GFK können etwa keine Anwendung finden, wenn die drohenden Maßnahmen relativ schwer sind, der Asylwerber aber weitgehend als resozialisiert gelten kann, weil er nicht rückfällig geworden ist. Hat der Asylwerber mit Folter oder Tod zu rechnen, überwiegen die öffentlichen Interessen an der Nichtasylgewährung eher selten die individuellen Schutzinteressen. In solchen Fällen ist sogar Kriminellen Asyl zu gewähren, wenn ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung droht (vgl. Rohrböck, aaO, Rz 455).“
57 Betrachtet man nun die als Referenz zitierte Literaturstelle (Kälin, auf den auch Rohrböck, Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl [1999], S 279 f, Rn. 455, verweist), so ergibt sich insbesondere aus dem in einer Fußnote enthaltenen Hinweis auf eine weitere Literaturstelle und einem daraus entnommenen Zitat, dass maßgeblich der Gedanke Einfluss nahm, jede Güterabwägung finde dort ihre Grenze, wo Art. 3 EMRK eine Rückschiebung verbiete (dies wird der Sache nach ‑ aber dort nicht tragend, weil schon das Vorliegen eines „besonders schweren Verbrechens“ verneint wurde ‑ auch in VwGH 3.12.2002, 99/01/0449, angesprochen, wo darauf hingewiesen wurde, dass die Güterabwägung ‑ über die sich aus Art. 3 EMRK ergebenden Verpflichtungen hinaus ‑ der Durchbrechung des Verbotes des Refoulement entgegenstehen kann).
58 Diese Rechtsprechung hat der Verwaltungsgerichtshof auf spätere Gesetzesbestimmungen, insbesondere auch auf die aktuell geltende Rechtslage nach dem (mit 1. Jänner 2006 in Kraft gesetzten) AsylG 2005 übertragen, weil der Wortlaut der Bestimmung des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 gegenüber jenem von früheren gesetzlichen Bestimmungen (seit dem Asylgesetz 1997 stets) unverändert blieb (vgl. VwGH 23.9.2009, 2006/01/0626). Dabei und in der folgenden Rechtsprechung hatte er sich allerdings nicht mehr eingehend mit dem Kriterium der Güterabwägung zu befassen.
59 Neubeurteilung im Licht der unionsrechtlichen Vorgaben
60 Art. 14 Abs. 4 lit. b StatusRL stellt darauf ab, dass der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit des Mitgliedstaats darstellt, weil er wegen einer besonders schweren Straftat rechtskräftig verurteilt wurde.
61 Voraussetzung des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 ist, dass der Fremde von einem inländischen Gericht (dem ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht) wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet.
62 Zunächst ist festzuhalten, dass der in § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 enthaltene Ausschlussgrund, bei dessen Vorliegen der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 6 Abs. 2 AsylG 2005 ohne weitere Prüfung abgewiesen werden kann und gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 einem Fremden der Status des Asylberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen ist, inhaltlich mit dem in Art. 14 Abs. 4 lit. b StatusRL genannten Grund, korreliert. Danach kann einem Flüchtling die ihm von einer Regierungs‑ oder Verwaltungsbehörde, einem Gericht oder einer gerichtsähnlichen Behörde zuerkannte Rechtsstellung aberkannt, diese beendet oder ihre Verlängerung abgelehnt werden, wenn der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit des Mitgliedstaates darstellt, weil er wegen einer besonders schweren Straftat rechtskräftig verurteilt wurde (Art. 14 Abs. 4 StatusRL). In einem solchen Fall können die Mitgliedstaaten auch entscheiden, einem Flüchtling eine Rechtsstellung nicht zuzuerkennen, solange noch keine Entscheidung darüber gefasst worden ist (Art. 14 Abs. 5 StatusRL).
63 Somit ist beim Verständnis und der Anwendung des Ausschlussgrundes des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 auf die unionsrechtlichen Vorgaben des Art. 14 Abs. 4 lit. b StatusRL Rücksicht zu nehmen. Daran ändert auch nichts, dass im österreichischen Recht dieser Ausschlussgrund bereits vor der Schaffung unionsrechtlicher Regelungen betreffend das Asylrecht existent war (so enthielt bereits das am 1. Jänner 1998 in Kraft getretene Asylgesetz 1997 in seinem § 13 Abs. 2 die Anordnung: „Asyl ist weiters ausgeschlossen, wenn Fremde [...] von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden sind und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeuten. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine solche durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht.“) und die frühere Regelung in das (nunmehr geltende) AsylG 2005 übernommen wurde.
64 Dass ‑ mittlerweile ‑ die in § 6 Abs. 1 AsylG 2005 enthaltenen Ausschlussgründe auch der Umsetzung der unionsrechtlichen Vorgaben der StatusRL dienen, hat der Gesetzgeber in den Materialien zum Fremdenrechtsänderungsgesetz 2015 (FrÄG 2015, BGBl. I Nr. 70/2015) zum Ausdruck gebracht. Darin hat er festgehalten, dass die mit dem FrÄG 2015 erfolgte Adaptierung des § 6 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 „bezweckt, die Bestimmung noch mehr als bisher an den Wortlaut von Art. 14 Abs. 4 lit. a der Richtlinie 2011/95/EU [...] anzupassen. Genannter Artikel der Statusrichtlinie sowie Art. 33 Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention bilden den unions‑ und völkerrechtlichen Rahmen für diese Regelung, wonach bei einer Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich ein Asylausschlussgrund vorliegt“ (RV 582 BlgNR 25. GP , 11).
65 Dass dies in Bezug auf den hier in Rede stehenden § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 anders wäre, ist vor diesem Hintergrund nicht anzunehmen. Dafür spricht letztlich auch der ‑ wenn auch nicht völlig idente, so doch ‑ ähnlich gelagerte Wortlaut des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 im Verhältnis zu Art. 14 Abs. 4 lit. b StatusRL. Der Gesetzgeber hat im Übrigen mit dem FNG‑Anpassungsgesetz (BGBl. I Nr. 68/2013), mit dem (unter anderem auch) das AsylG 2005 geändert wurde, ausweislich der Materialien auch das (in der Regierungsvorlage mehrfach erwähnte) Ziel verfolgt, die Vorgaben (auch) der StatusRL umzusetzen (RV 2144 BlgNR 24. GP , insbesondere S 1, 2, 3, 7, 17). Aufgrund der Ähnlichkeit der Formulierungen liegt die Annahme nahe, dass der Gesetzgeber in Bezug auf den bisherigen Wortlaut der österreichischen Regelung des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 weder im Rahmen des FNG‑Anpassungsgesetzes noch später einen Bedarf zur Änderung dieser Bestimmung im Hinblick auf die Regelung des Art. 14 Abs. 4 lit. b StatusRL gesehen hat, sondern davon ausgegangen ist, dass dieser in jener Deckung finde.
66 Sohin ist den weiteren Überlegungen zugrunde zu legen, dass die in § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 enthaltene Wendung, dass der Fremde (von einem inländischen Gericht oder einem ausländischen Gericht, wenn die Verurteilung den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht) „wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet“, (mittlerweile auch) als Umsetzung der in Art. 14 Abs. 4 lit. b StatusRL enthaltenen Wortfolge „er eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Mitgliedstaats darstellt, weil er wegen einer besonders schweren Straftat rechtskräftig verurteilt wurde“ anzusehen und diese nationale Regelung im Sinn des Verständnisses der unionsrechtlichen Vorgaben des Art. 14 Abs. 4 lit. b StatusRL auszulegen ist.
67 In seinem Urteil vom 6. Juli 2023, C‑402/22, hat der EuGH ausgesprochen, dass eine „besonders schwere Straftat“ im Sinn des Art. 14 Abs. 4 lit. b StatusRL eine Straftat ist, die angesichts ihrer spezifischen Merkmale insofern eine außerordentliche Schwere aufweist, als sie zu den Straftaten gehört, die die Rechtsordnung der betreffenden Gesellschaft am stärksten beeinträchtigen. Bei der Beurteilung, ob eine Straftat, derentwegen ein Drittstaatsangehöriger rechtskräftig verurteilt wurde, einen solchen Schweregrad aufweist, sind insbesondere die für diese Straftat angedrohte und die verhängte Strafe, die Art der Straftat, etwaige erschwerende oder mildernde Umstände, die Frage, ob diese Straftat vorsätzlich begangen wurde, Art und Ausmaß der durch diese Straftat verursachten Schäden sowie das Verfahren zur Ahndung der Straftat zu berücksichtigen (Spruchpunkt 1. des Tenors dieses Urteils). Da allerdings diese Beurteilung eine Würdigung sämtlicher besonderer Umstände des Einzelfalls erfordert, sind diese Kriterien nicht abschließend und können daher gegebenenfalls durch zusätzliche Kriterien ergänzt werden (Rn. 46). Da Art. 14 Abs. 4 lit. b StatusRL eine rechtskräftige Verurteilung wegen einer „besonders schweren Straftat“ im Singular betrifft und restriktiv auszulegen ist, kann seine Anwendung nur im Fall einer rechtskräftigen Verurteilung wegen einer Straftat gerechtfertigt sein, die für sich genommen unter den Begriff „besonders schwere Straftat“ fällt, was voraussetzt, dass sie den genannten Schweregrad aufweist, wobei dieser Schweregrad nicht durch eine Kumulierung verschiedener Straftaten erreicht werden kann, von denen keine als solche eine besonders schwere Straftat darstellt (Rn. 39).
68 Es steht den Mitgliedstaaten frei, Mindestschwellen festzulegen, die eine einheitliche Anwendung dieser Bestimmung erleichtern sollen. Jedoch müssen solche Schwellenwerte notwendigerweise mit dem genannten Schweregrad in Einklang stehen und dürfen es keinesfalls ermöglichen, festzustellen, dass die fragliche Straftat „besonders schwer“ sei, ohne dass die zuständige Behörde eine vollständige Prüfung sämtlicher besonderer Umstände des jeweiligen Einzelfalls vorgenommen hat (Rn. 47).
69 Sohin stellt es sich zunächst als unbedenklich dar, wenn der Gesetzgeber in § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 davon ausgeht, es müsse (zumindest) eine Verurteilung wegen eines Verbrechens im Sinn des § 17 StGB vorliegen.
70 Wie bereits oben dargestellt, hat der Gesetzgeber mit der Einteilung in Verbrechen und Vergehen in § 17 StGB eine grundsätzliche Unterscheidung der Straftaten, durch die das besondere Gewicht der als Verbrechen geltenden Straftaten ihrer Art nach betont werden soll, getroffen. Delikte, die bloß fahrlässig begangen wurden, scheiden daher im Übrigen jedenfalls aus.
71 Schon in der bisherigen (ebenfalls oben dargestellten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wurde ausgeführt, dass unter den Begriff des „besonders schweren Verbrechens“ nur solche Straftaten fallen, die objektiv besonders wichtige Rechtsgüter verletzen. Als typischerweise schwere Verbrechen wurden beispielsweise Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Kindesmisshandlung, Brandstiftung, Drogenhandel, bewaffneter Raub und die Verletzung des Rechtsgutes der sexuellen Integrität von Kindern eingestuft. Daran ist auch unter Bedachtnahme auf die unionsrechtlichen Vorgaben festzuhalten.
72 Es ist jedoch zur Bestimmung des Vorliegens eines „besonders schweren Verbrechens“ im Sinn des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 aufgrund der Vorgaben des Art. 14 Abs. 4 lit. b StatusRL nicht statthaft, im Fall einer Vielzahl einschlägiger rechtskräftiger Verurteilungen und insofern verhängter, beträchtlicher und überwiegend unbedingter Freiheitsstrafen die verwirklichten Delikte in einer Gesamtbetrachtung als „besonders schweres Verbrechen“ zu qualifizieren. Diese Rechtsprechung (vgl. dazu etwa VwGH 24.1.2022, Ra 2021/18/0344, mwN) kann daher nicht länger aufrechterhalten werden. Es muss vielmehr jene Tat, für die der Fremde rechtskräftig wegen eines Verbrechens verurteilt wurde, jenen Schweregrad aufweisen, der nach der oben dargestellten Rechtsprechung des EuGH zu verlangen ist, um sie als „besonders schwer“ einzustufen.
73 Der Verwaltungsgerichtshof hat weiters in seiner bisherigen Rechtsprechung ausgeführt, dass es nicht genügt, dass der Fremde ein abstrakt als schwer einzustufendes Delikt verübt hat. Die Tat muss sich im konkreten Einzelfall als objektiv und subjektiv besonders schwerwiegend erweisen. Milderungsgründe, Schuldausschließungsgründe und Rechtfertigungsgründe sind zu berücksichtigen. Bei der Beurteilung, ob ein „besonders schweres Verbrechen“ vorliegt, ist daher eine konkrete fallbezogene Prüfung vorzunehmen. Es sind insbesondere die Tatumstände zu berücksichtigen. Auch diese Rechtsprechung steht inhaltlich mit den unionsrechtlichen Vorgaben im Einklang.
74 Der Verwaltungsgerichtshof hat aber in seiner bisherigen Rechtsprechung zu dieser Beurteilung auch ausgeführt, dass sich in gravierenden Fällen schwerer Verbrechen bereits ohne umfassende Prüfung der einzelnen Tatumstände eine eindeutige Wertung als schweres Verbrechen mit negativer Zukunftsprognose als zulässig erweist. Diese Rechtsprechung kann im Hinblick auf die unionsrechtlichen Vorgaben nicht länger aufrechterhalten werden, weil denen zufolge immer eine vollständige Prüfung sämtlicher besonderer Umstände des jeweiligen Einzelfalls vorzunehmen ist.
75 Der EuGH hat weiters in seinem Urteil vom 6. Juli 2023, C‑8/22, ausgesprochen, dass nach Art. 14 Abs. 4 lit. b StatusRL das Bestehen einer Gefahr für die Allgemeinheit des Mitgliedstaats, in dem sich der betreffende Drittstaatsangehörige aufhält, nicht schon allein deshalb als erwiesen angesehen werden kann, weil dieser wegen einer besonders schweren Straftat rechtskräftig verurteilt wurde (Spruchpunkt 1. dieses Urteils; so auch der Spruchpunkt 2. im Urteil des EuGH 6.7.2023, C‑402/22, in dessen Begründung er zu diesem Thema auf die Erwägungen im Urteil zu C‑8/22 abstellt). Die Anwendung des Art. 14 Abs. 4 lit. b StatusRL hängt von der Erfüllung zweier unterschiedlicher Voraussetzungen ab, nämlich zum einen, dass der betreffende Drittstaatsangehörige wegen einer besonders schweren Straftat rechtskräftig verurteilt wurde, und zum anderen, dass festgestellt wurde, dass er eine Gefahr für die Allgemeinheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält (Rn. 43 des Urteils C‑8/22).
76 Was nun die inhaltliche Beurteilung der letztgenannten Voraussetzung anlangt, hat der EuGH ausgesprochen, dass die Anwendung des Art. 14 Abs. 4 lit. b StatusRL davon abhängt, dass die zuständige Behörde feststellt, dass der betreffende Drittstaatsangehörige eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für ein Grundinteresse der Allgemeinheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält, und dass die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft eine in Bezug auf diese Gefahr verhältnismäßige Maßnahme ist (Spruchpunkt 2. des Urteils C‑8/22; so auch der Spruchpunkt 3. im Urteil des EuGH 6.7.2023, C‑402/22). Im Spruchpunkt 1. des Urteils vom 6. Juli 2023, C‑663/21, hat der EuGH ebenfalls zum Ausdruck gebracht, dass die Anwendung des Art. 14 Abs. 4 lit. b StatusRL von der Feststellung der zuständigen Behörde abhängt, dass die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft angesichts der Gefahr, die der betreffende Drittstaatsangehörige für ein Grundinteresse der Allgemeinheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält, verhältnismäßig ist. Dies ergänzend hat er dort aber auch festgehalten, dass zu diesem Zweck die zuständige Behörde diese Gefahr gegen die Rechte abwägen muss, die nach der Richtlinie den Personen zu gewährleisten sind, die die materiellen Voraussetzungen von Art. 2 lit. d StatusRL erfüllen, ohne dass sie jedoch darüber hinaus prüfen müsste, ob das öffentliche Interesse an der Rückkehr dieses Drittstaatsangehörigen in sein Herkunftsland in Anbetracht des Ausmaßes und der Art der Maßnahmen, denen er bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland ausgesetzt wäre, sein Interesse an der Aufrechterhaltung des internationalen Schutzes überwiegt.
77 Hinsichtlich des Maßstabes, der an das Ausmaß der vom Drittstaatangehörigen ausgehenden Gefahr anzulegen ist, hat der EuGH im Urteil C‑8/22 festgehalten, dass zwar nach dem Wortlaut des Art. 14 Abs. 4 StatusRL, im Unterschied insbesondere zu Art. 27 Abs. 2 zweiter Satz Richtlinie 2004/38/EG („Freizügigkeitsrichtlinie“), für die Einstufung des Drittstaatsangehörigen als Gefahr für die Allgemeinheit nicht ausdrücklich gefordert ist, dass das Verhalten dieses Drittstaatsangehörigen eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (Rn. 51). Dennoch ist, wie der EuGH in diesem Urteil mit näherer Begründung dargelegt hat (vgl. die Erwägungen des EuGH in den Rn. 52 ff), dieser Maßstab auch bei der Beurteilung nach Art. 14 Abs. 4 lit. b StatusRL heranzuziehen.
78 Schon bisher hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung zu § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 festgehalten, dass im Rahmen der Gefährdungsprognose nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung eines Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen ist. Es ist für eine nachvollziehbare Gefährdungsprognose nicht ausreichend, wenn lediglich das Gericht, die Urteilsdaten, die maßgeblichen Strafbestimmungen und die verhängte Strafe angeführt werden. Im Rahmen der zu treffenden Feststellungen kann es fallbezogen mitunter auch nicht ausreichend sein, die im Urteilstenor des Strafgerichts zum Ausdruck kommenden Tathandlungen wiederzugeben, sondern es sich als notwendig darstellen, darüber hinausgehende Feststellungen zu treffen, um die Gefährdungsprognose in einer dem Gesetz entsprechenden Weise vornehmen zu können. Daran ist angesichts der Ausführungen des EuGH festzuhalten.
79 Es wird jedoch hinkünftig zu beachten sein, dass es nach der Rechtsprechung des EuGH erforderlich ist, dass vom Fremden eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr ausgeht, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Dieser Maßstab findet sich im nationalen Recht im Besonderen bereits in § 67 Abs. 1 zweiter Satz FPG, sodass die dazu ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes künftig für die nach § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 vorzunehmende Beurteilung herangezogen werden kann.
80 Weiter hat der EuGH in seinem Urteil C‑8/22 zu diesem Maßstab (unter Hinweis auf seine Vorjudikatur) ergänzend betont, dass im Rahmen der Umstände, die bei der Würdigung dessen zu berücksichtigen sind, ob eine Gefahr für die Allgemeinheit besteht, es ‑ auch wenn in der Regel die Feststellung einer ein Grundinteresse der Gesellschaft berührenden tatsächlichen, gegenwärtigen und erheblichen Gefahr eine Neigung des Betroffenen impliziert, das Verhalten, das diese Gefahr darstellt, in Zukunft beizubehalten ‑ auch möglich ist, dass allein das frühere Verhalten den Tatbestand einer solchen Gefahr erfüllt. Dass der betreffende Drittstaatsangehörige wegen einer besonders schweren Straftat rechtskräftig verurteilt wurde, ist von besonderer Bedeutung, weil der Unionsgesetzgeber speziell auf eine solche Verurteilung Bezug genommen hat und diese je nach den Umständen der Begehung dieser Straftat dazu beitragen kann, das Bestehen einer tatsächlichen und erheblichen Gefahr für ein Grundinteresse der Allgemeinheit des betreffenden Mitgliedstaats zu belegen (Rn. 63). Was insbesondere die Gegenwärtigkeit einer solchen Gefahr betrifft, so ergibt sich aus der Rechtsprechung des EuGH, dass aus den Vorstrafen des betreffenden Drittstaatsangehörigen nicht automatisch geschlossen werden kann, dass dieser Adressat der in Art. 14 Abs. 4 lit. b StatusRL vorgesehenen Maßnahme sein kann. Je später also eine Entscheidung gemäß dieser Bestimmung nach der rechtskräftigen Verurteilung wegen einer besonders schweren Straftat getroffen wird, desto mehr obliegt es der zuständigen Behörde, im Besonderen die Entwicklungen nach der Begehung einer solchen Straftat zu berücksichtigen, um festzustellen, ob eine tatsächliche und erhebliche Gefahr zu demjenigen Zeitpunkt besteht, zu dem diese Behörde über die etwaige Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft zu befinden hat (Rn. 64).
81 Weiters hat der EuGH festgehalten, dass nach Art. 14 Abs. 4 lit. b StatusRL bloß vorgesehen ist, dass der betreffende Mitgliedstaat, wenn er festgestellt hat, dass die beiden in Art. 14 Abs. 4 lit. b StatusRL genannten Voraussetzungen erfüllt sind, die in dieser Bestimmung vorgesehene Maßnahme erlassen kann, ohne jedoch verpflichtet zu sein, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen.
82 Dies erfordert die Abwägung der Gefahr, die der betreffende Drittstaatsangehörige für die Allgemeinheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält, gegen die Rechte, die gemäß dieser Richtlinie den Personen zu gewährleisten sind, die die materiellen Voraussetzungen von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie erfüllen.
83 Im Rahmen dieser Würdigung muss die zuständige Behörde auch den durch das Unionsrecht garantierten Grundrechten Rechnung tragen und insbesondere die Möglichkeit prüfen, andere, die Flüchtlings‑ und Grundrechte weniger beeinträchtigende Maßnahmen zu ergreifen, die die Allgemeinheit des Mitgliedstaats, in dem sich der betreffende Drittstaatsangehörige aufhält, ebenso wirksam schützen. Der Mitgliedstaat muss dabei zumindest die in der GFK verankerten Rechte sowie die in dieser Konvention vorgesehenen Rechte, deren Ausübung keinen rechtmäßigen Aufenthalt voraussetzt, gewähren, und zwar unbeschadet möglicher Vorbehalte des Mitgliedstaats (vgl. dazu EuGH 6.7.2023, C‑8/22, Rn. 66 bis 69).
84 Die in Art. 14 Abs. 4 StatusRL genannten Fälle, in denen die Mitgliedstaaten die Flüchtlingseigenschaft aberkennen können, entsprechen im Wesentlichen denen, in denen die Mitgliedstaaten einen Flüchtling nach Art. 21 Abs. 2 dieser Richtlinie und Art. 33 Abs. 2 GFK zurückweisen können.
85 Während jedoch der Flüchtling nach Art. 33 Abs. 2 GFK in solchen Fällen den Grundsatz der Nichtzurückweisung in ein Land, in dem sein Leben oder seine Freiheit bedroht sind, nicht mehr in Anspruch nehmen kann, ist Art. 21 Abs. 2 StatusRL unter Achtung der in der GRC, insbesondere in deren Art. 4 und Art. 19 Abs. 2, verankerten Rechte auszulegen und anzuwenden, wonach Folter und unmenschliche oder erniedrigende Strafen und Behandlungen unabhängig vom Verhalten der betreffenden Person ebenso wie die Abschiebung in einen Staat, in dem einer Person das ernsthafte Risiko einer solchen Behandlung droht, uneingeschränkt verboten sind. Daher können die Mitgliedstaaten einen Ausländer nicht abschieben, ausweisen oder ausliefern, wenn es ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme gibt, dass für ihn die reale Gefahr besteht, im Bestimmungsland einer durch Art. 4 und Art. 19 Abs. 2 GRC verbotenen Behandlung ausgesetzt zu werden.
86 Wenn die Zurückweisung eines Flüchtlings, der von einer der in Art. 14 Abs. 4 sowie in Art. 21 Abs. 2 StatusRL genannten Fallgruppen erfasst wird, ihn der Gefahr aussetzen würde, in seinen in Art. 4 und Art. 19 Abs. 2 GRC verankerten Grundrechten verletzt zu werden, kann der betreffende Mitgliedstaat daher nicht gemäß Art. 33 Abs. 2 GFK vom Grundsatz der Nichtzurückweisung abweichen.
87 Soweit aber Art. 14 Abs. 4 StatusRL in den darin genannten Fällen vorsieht, dass die Mitgliedstaaten die „Flüchtlingseigenschaft“ im Sinn dieser Richtlinie aberkennen können, während Art. 33 Abs. 2 GFK die Zurückweisung eines sich in einer solchen Situation befindlichen Flüchtlings in einen Staat, in dem sein Leben oder seine Freiheit bedroht sind, zulässt, sieht das Unionsrecht einen weiteren internationalen Schutz der betreffenden Flüchtlinge vor als er durch die GFK gewährleistet wird.
88 Daher kann nach dem Unionsrecht die zuständige Behörde berechtigt sein, nach Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2011/95 die einem Drittstaatsangehörigen zuerkannte Flüchtlingseigenschaft abzuerkennen, ohne jedoch zwangsläufig die Abschiebung in sein Herkunftsland vornehmen zu dürfen.
89 In verfahrensrechtlicher Hinsicht würde eine solche Abschiebung außerdem den Erlass einer Rückkehrentscheidung unter Beachtung der in der Richtlinie 2008/115 vorgesehenen materiellen und verfahrensrechtlichen Garantien voraussetzen, die u.a. in ihrem Art. 5 vorsieht, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, bei der Umsetzung dieser Richtlinie den Grundsatz der Nichtzurückweisung einzuhalten.
90 Somit erfordert die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 14 Abs. 4 StatusRL keine Stellungnahme zu der gesonderten Frage, ob diese Person in ihr Herkunftsland abgeschoben werden darf.
91 Daher sind die Folgen, die eine etwaige Rückkehr des Drittstaatsangehörigen in sein Herkunftsland für ihn oder für die Allgemeinheit des Mitgliedstaats hätte, in dem er sich aufhält, nicht bei Erlass der Entscheidung, die Flüchtlingseigenschaft abzuerkennen, sondern gegebenenfalls dann zu berücksichtigen, wenn die zuständige Behörde beabsichtigt, gegen diesen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen (vgl. zu alldem EuGH 6.7.2023, C‑663/21, Rn. 35 bis 42).
92 Anders als nach der bisherigen Rechtsprechung hat sohin eine Güterabwägung in der Form, dass die Verwerflichkeit eines Verbrechens und die potentielle Gefahr für die Allgemeinheit den Schutzinteressen des Asylwerbers beinhaltend das Ausmaß und die Art der ihm im Herkunftsstaat drohenden Maßnahmen gegenüberzustellen sind, hinkünftig nicht stattzufinden.
93 Zusammengefasst ergeben sich folgende Kriterien für die Beurteilung nach § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 unter Bedachtnahme auf die unionsrechtlichen Vorgaben des Art. 14 Abs. 4 lit. b StatusRL:
94 Der Fremde muss wegen eines Verbrechens im Sinn des § 17 StGB rechtskräftig verurteilt worden sein. Es muss sich bei der der Verurteilung zugrundeliegenden Straftat um eine solche handeln, die angesichts ihrer spezifischen Merkmale insofern eine außerordentliche Schwere aufweist, als sie zu den Straftaten gehört, die die Rechtsordnung der betreffenden Gesellschaft am stärksten beeinträchtigen. Dazu gehören beispielsweise Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Kindesmisshandlung, Brandstiftung, Handel mit Suchtgiften und Suchtmitteln, bewaffneter Raub, die Verletzung des Rechtsgutes der sexuellen Integrität von Kindern und aus terroristischen Motiven begangene Straftaten. Bei der Beurteilung, ob jene Straftat, derentwegen ein Drittstaatsangehöriger rechtskräftig verurteilt wurde, einen solchen außerordentlichen Schweregrad aufweist, sind sämtliche besondere Umstände des Einzelfalls einzubeziehen, insbesondere die für diese Straftat angedrohte und verhängte Strafe, die Art der Straftat, die erschwerenden und mildernden Umstände, die Art und das Ausmaß der durch diese Straftat verursachten Schäden sowie das Verfahren zur Ahndung der Straftat ‑ etwa ob hinsichtlich eines Delikts auch bei geringerer Strafdrohung die Durchführung des Hauptverfahrens des Strafverfahrens einem Geschworenengericht (§ 31 Abs. 2 StPO) überantwortet ist ‑ zu berücksichtigen. Da jene Straftat, für die der Fremde verurteilt wurde, für sich genommen den genannten Schweregrad aufweisen muss, ist es nicht statthaft, diesen Schweregrad durch die Kumulierung verschiedener Straftaten, von denen keine als solche eine besonders schwere Straftat darstellt, zu bejahen.
95 Bei der Beurteilung, ob der Fremde „wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet“, ist zu prüfen, ob der betreffende Fremde eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für ein Grundinteresse der Allgemeinheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält. Dabei kann ‑ unter Beachtung der weiteren Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 (wie etwa, dass zwingend eine Verurteilung wegen eines Verbrechens im Sinn des § 17 StGB vorliegen muss) sowie der sonstigen Vorgaben des Art. 14 Abs. 4 lit. b StatusRL ‑ auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum identen, in § 67 Abs. 1 zweiter Satz FPG enthaltenen Maßstab zurückgegriffen werden. Im Rahmen der Gefährdungsprognose ist auf Grund konkreter Feststellungen zu den maßgeblichen Umständen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Es ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftat und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Für eine nachvollziehbare Gefährdungsprognose ist es nicht ausreichend, wenn lediglich das Gericht, die Urteilsdaten, die maßgeblichen Strafbestimmungen und die verhängte Strafe angeführt werden. Je nach Lage des Einzelfalls wird es mitunter auch nicht ausreichend sein, die im Urteilstenor des Strafgerichts zum Ausdruck kommenden Tathandlungen wiederzugeben, sondern sich als notwendig darstellen, darüber hinausgehende Feststellungen zu treffen, um die Gefährdungsprognose in einer dem Gesetz entsprechenden Weise vornehmen zu können. Dass der betreffende Drittstaatsangehörige wegen einer besonders schweren Straftat rechtskräftig verurteilt wurde, ist aber von besonderer Bedeutung. Dies kann nach den Umständen der Begehung dieser Straftat dazu beitragen, das Bestehen einer tatsächlichen und erheblichen Gefahr für ein Grundinteresse der Allgemeinheit zu belegen. Aus Vorstrafen des Fremden darf nicht automatisch geschlossen werden, dass das geforderte Maß der Gefahr vorliegt. Je später nach der rechtskräftigen Verurteilung wegen einer besonders schweren Straftat eine Entscheidung über das Vorliegen des Ausschlussgrundes getroffen wird, desto mehr sind bei der Prüfung, ob eine tatsächliche und erhebliche Gefahr zu demjenigen Zeitpunkt besteht, zu dem die Entscheidung getroffen wird, die Entwicklungen nach der Begehung einer solchen Straftat zu berücksichtigen.
96 Weiters ist zu prüfen, ob die Aberkennung des Status des Asylberechtigten in Bezug auf die vom Fremden ausgehende Gefahr als verhältnismäßig anzusehen ist. Bei der Abwägung ist einerseits auf die Gefahr, die der Fremde für die Gemeinschaft darstellt, und andererseits auf die Auswirkungen des Verlusts jener Rechte, die mit dem Status des Asylberechtigten einhergehen, Bedacht zu nehmen. Es ist auch zu prüfen, ob der mit der Aberkennung des Status des Asylberechtigten verfolgte Zweck auch durch den Fremden weniger beeinträchtigende Maßnahmen, die darauf gerichtet sind, den Schutz der Allgemeinheit des Mitgliedstaats, in dem sich der betreffende Fremde aufhält, in wirksamer Weise herzustellen, erreicht werden kann. Dabei ist auch auf sonstige diesen Zweck verfolgende und gegenüber dem Fremden von Gerichten oder Behörden angeordnete Maßnahmen Bedacht zu nehmen. Die Folgen, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Herkunftsland zu gewärtigen hätte, und im Besonderen der Umstand, dass eine Abschiebung in das Herkunftsland aus den in § 50 Abs. 1 oder Abs. 2 FPG genannten Gründen (auf die auch in § 3 und § 8 AsylG 2005 abgestellt wird) nicht zulässig ist, sind bei der Prüfung, ob sich die Versagung oder die Aberkennung des Status des Asylberechtigten als verhältnismäßig darstellt, nicht zu berücksichtigen.
97 Zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung im Fall der Unzulässigkeit der Abschiebung auf unbestimmte Zeit
98 In § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist vorgesehen, dass immer dann, wenn der Status des Asylberechtigten nicht zuerkannt oder aberkannt wird, zu prüfen ist, ob eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
99 Liegt eine solche Gefahr vor und steht dem Fremden auch eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinn des § 11 AsylG 2005 nicht offen (§ 8 Abs. 3 AsylG 2005), ist gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 dem Fremden grundsätzlich der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen.
100 Der Vollständigkeit halber ist an dieser Stelle festzuhalten, dass sich eine solche Gefahr auch aus in § 3 Abs. 1 AsylG 2005 genannten Gründen ergeben kann. Nach § 6 Abs. 2 erster Satz AsylG 2005 kann nämlich, wenn ein Ausschlussgrund des § 6 Abs. 1 AsylG 2005 vorliegt, der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ohne weitere Prüfung ‑ also allein wegen des Bestehens des Ausschlussgrundes ‑ abgewiesen werden. Gemäß § 6 Abs. 2 zweiter Satz AsylG 2005 gilt aber auch diesfalls § 8 AsylG 2005, sodass bei der Beurteilung, ob eine Gefahr im Sinn des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 gegeben ist, auch jene ‑ aufgrund des § 6 Abs. 2 AsylG 2005 bei der Abweisung des Begehrens auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten allenfalls ungeprüft gebliebenen ‑ Gründe einzubeziehen sind, die der Fremde vorgebracht hat, um zu begründen, weshalb ihm seiner Ansicht nach ‑ nicht nur der Status des subsidiär Schutzberechtigten, sondern sogar ‑ der Status des Asylberechtigten zustehe (siehe auch das in § 50 Abs. 1 und Abs. 2 FPG statuierte Verbot der Abschiebung, das sowohl von § 3 Abs. 1 als auch von § 8 Abs. 1 AsylG 2005 erfasste Situationen betrifft).
101 Das gilt sinngemäß auch in jener Konstellation, in der einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, obgleich jene Gefahr, die zur Zuerkennung dieses Status geführt hat, weiterhin besteht.
102 Es ist aber dem Fremden trotz Bestehens einer solchen Gefahr dennoch der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen, wenn einer der Gründe des § 9 Abs. 2 AsylG 2005 gegeben ist. In einem solchen Fall ist die Antragsabweisung bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten oder der von Amts wegen vorzunehmende Ausspruch über die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 3a AsylG 2005 sowie die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
103 Der EuGH hat in seinem Urteil vom 6. Juli 2023, C‑663/21, zu den unionsrechtlichen Vorgaben der Rückführungsrichtlinie festgehalten, dass ein Mitgliedstaat einen illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen nicht nach Art. 8 dieser Richtlinie abschieben darf, ohne dass zuvor eine Rückkehrentscheidung gegen diesen Drittstaatsangehörigen unter Beachtung der durch diese Richtlinie eingeführten materiellen und prozessualen Garantien erlassen wurde (Rn. 48).
104 Art. 5 Rückführungsrichtlinie, der eine für die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung dieser Richtlinie geltende allgemeine Regel darstellt, verpflichtet aber zudem die zuständige nationale Behörde, in jedem Stadium des Rückkehrverfahrens den Grundsatz der Nichtzurückweisung einzuhalten, der als Grundrecht in Art. 18 GRC iVm Art. 33 GFK sowie in Art. 19 Abs. 2 GRC gewährleistet ist. Dies gilt (u.a. auch) dann, wenn diese Behörde nach Anhörung des Betroffenen beabsichtigt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung zu erlassen (Rn. 49 des Urteils C‑663/21).
105 Aufgrund dessen ist der EuGH im genannten Urteil vom 6. Juli 2023, C‑663/21, zum Ergebnis gekommen, dass Art. 5 Rückführungsrichtlinie der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen einen Drittstaatsangehörigen entgegensteht, wenn feststeht, dass dessen Abschiebung in das vorgesehene Zielland nach dem Grundsatz der Nichtzurückweisung auf unbestimmte Zeit ausgeschlossen ist (Spruchpunkt 2. dieses Urteils).
106 Beurteilung im Licht der unionsrechtlichen Vorgaben
107 Der eindeutige Wortlaut des § 8 Abs. 3a sowie des § 9 Abs. 2 AsylG 2005, wonach die nach einer dieser Bestimmungen erfolgte Antragsabweisung, Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten oder Aberkennung dieses Status mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme zu verbinden ist, ist einer unionsrechtskonformen Interpretation nicht zugänglich. Die angeführten unionsrechtlichen Vorgaben verlangen nämlich im Gegenteil, dass in einer solchen Situation die Erlassung einer Rückkehrentscheidung unterbleibt (vgl. zu den Grenzen einer unionsrechtskonformen Interpretation, insbesondere dass die Verpflichtung des nationalen Richters, bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts den Inhalt des Unionsrechts heranzuziehen, ihre Schranken in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen findet und nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen darf, VwGH 21.5.2019, Ro 2019/19/0006, mwN).
108 Belastendes nationales Recht, das in einer konkreten Konstellation im Widerspruch zu unmittelbar anwendbarem Unionsrecht steht, wird für diese Konstellation verdrängt. Die Verdrängungswirkung des Unionsrechts hat zur Folge, dass die nationale gesetzliche Regelung in jener Gestalt anwendbar bleibt, in der sie nicht mehr im Widerspruch zum Unionsrecht steht. Die Verdrängung erreicht dabei bloß jenes Ausmaß, das gerade noch hinreicht, um einen unionsrechtskonformen Zustand herbeizuführen (vgl. VwGH 8.3.2022, Ro 2019/15/0184, mwN; vgl. zur Verpflichtung, eine in der österreichischen Rechtsordnung vorgesehene Regelung, die gegen das Unionsrecht verstößt, unangewendet zu lassen, etwa auch VwGH 11.1.2023, Ra 2022/12/0143, mwN).
109 Es ist daher in Anbetracht des dem Unionsrecht zukommenden Vorranges geboten, künftig die in § 8 Abs. 3a zweiter Satz und § 9 Abs. 2 zweiter Satz AsylG 2005 enthaltene ‑ den Rechtsunterworfenen ausschließlich belastende ‑ Anordnung, die vorsieht, dass die gemäß diesen Bestimmungen erfolgte Antragsabweisung, Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten oder Aberkennung dieses Status mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme zu verbinden ist, unangewendet zu lassen, um eine den unionsrechtlichen Vorgaben entsprechende Rechtslage herzustellen.
110 Sohin haben dann aber auch jene Aussprüche, die rechtlich von der Erlassung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme abhängen, zu unterbleiben.
111 Es hat lediglich die in diesen Bestimmungen vorgesehene ‑ mit den unionsrechtlichen Vorgaben nicht im Widerspruch stehende ‑ Feststellung zu erfolgen, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
112 Davon, dass dieser aufgrund § 8 Abs. 3a AsylG 2005 und § 9 Abs. 2 AsylG 2005 (weiterhin) zu treffende Ausspruch (ausnahmsweise im Gegensatz zu anderen Konstellationen, vgl. zum Regelfall VwGH 28.1.2015, Ra 2014/20/0121) von der Erlassung einer Rückkehrentscheidung nicht trennbar wäre (vgl. auch dazu VwGH Ro 2019/19/0006), ist vor diesem Hintergrund nicht (länger) auszugehen.
113 Anwendung dieser Rechtslage auf den vorliegenden Fall
114 Das Bundesverwaltungsgericht ist bei der Anwendung des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 davon ausgegangen, dass dem Mitbeteiligten im Herkunftsstaat weiterhin jene Gefahr drohe, derentwegen ihm früher der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden sei. Davon ging zuvor auch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, das aufgrund des § 8 Abs. 3a AsylG 2005 ausgesprochen hatte, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Mitbeteiligten nach Syrien nicht zulässig sei.
115 Aufgrund der dem Mitbeteiligten im Herkunftsstaat im Fall einer Rückführung drohenden Gefahr für sein Leben kam das Bundesverwaltungsgericht sodann ‑ unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ‑ im Rahmen der Güterabwägung zum Ergebnis, dass es nicht zulässig sei, dem Mitbeteiligten den Status des Asylberechtigten abzuerkennen.
116 Derartige Gründe waren aber nach dem Gesagten nicht in die Prüfung, ob sich die Aberkennung des Status des Asylberechtigten als verhältnismäßig darstellt, einzubeziehen, weshalb das Bundesverwaltungsgericht in Bezug auf diesen Ausspruch seine Entscheidung mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet hat. Zu Recht macht das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl geltend, dass der diesbezügliche Spruchpunkt I. des von der Behörde erlassenen Bescheides nicht aus diesem Grund hätte aufgehoben werden dürfen.
117 Damit verliert aber auch jene Entscheidung, mit der der Spruchpunkt II. des vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erlassenen Bescheides aufgehoben wurde, mit dem dem Mitbeteiligten gestützt auf § 8 Abs. 3a AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt wurde, seine rechtliche Grundlage. Auch in diesem Umfang ist das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit seines Inhalts belastet.
118 Jedoch war es nach dem Gesagten in der vorliegenden Konstellation, in der ‑ bereits vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ‑ festgestellt wurde, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Mitbeteiligten nach Syrien aus den in § 8 Abs. 3a AsylG 2005 genannten Gründen nicht zulässig sei, nicht statthaft, gegen den Mitbeteiligten eine Rückkehrentscheidung zu erlassen. Insoweit entsprach es (im Ergebnis) der ‑ unter Bedachtnahme auf unionsrechtliche Vorgaben als maßgeblich anzusehenden ‑ Rechtslage, dass das Bundesverwaltungsgericht mit seiner Entscheidung auch jene behördlichen Aussprüche aufgehoben hat, mit denen eine Rückkehrentscheidung erlassen und weitere rechtlich davon abhängende Anordnungen getroffen wurden.
119 Was den behördlichen Ausspruch über die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 anlangt, hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 27. April 2020, Ra 2020/21/0121, ausgeführt, in § 58 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 werde zwar ganz allgemein und ohne eine Einschränkung bestimmt, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen habe, wenn der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird. Diese Bestimmung stehe aber im Zusammenhang mit § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005, der normiert, dass eine Entscheidung, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz zur Gänze abgewiesen wird, mit einer Rückkehrentscheidung ‑ vorbehaltlich ihrer Zulässigkeit unter dem Gesichtspunkt des § 9 BFA‑VG ‑ zu verbinden ist, wenn von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird. Die letztgenannte Voraussetzung gelte somit nur für den Fall der Verbindung der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz mit einer Rückkehrentscheidung. Sei die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig und habe diese daher zu unterbleiben, so lasse sich dem Gesetz für die diesbezügliche, nach § 9 Abs. 3 BFA‑VG vorzunehmende Feststellung nicht die Bedingung entnehmen, dass zuvor über die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 negativ abgesprochen werde. Vielmehr entfalle diesfalls eine amtswegige Prüfung der Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels, weil gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 (jedenfalls) ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 zu erteilen sei. Ginge man vom Gegenteil aus, dann wäre bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 57 AsylG 2005 vorrangig dieser Aufenthaltstitel zu erteilen und es käme trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 9 Abs. 3 BFA‑VG nicht zur Feststellung der dauernden Unzulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung und zur Erteilung des ‑ aufenthaltsrechtlich eine bessere Rechtsposition einräumenden ‑ Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005. Dass eine solche (gleichheitswidrige) Konsequenz vom Gesetzgeber beabsichtigt gewesen wäre, könne ihm nicht unterstellt werden. Die Anordnung eines negativen Ergebnisses der amtswegigen Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 als Bedingung für eine Rückkehrentscheidung habe offenbar auch nur den Zweck zu verhindern, dass eine Rückkehrentscheidung erlassen werde, obwohl der Drittstaatsangehörige nach der genannten Bestimmung Anspruch auf eine Aufenthaltsberechtigung habe. Diese teleologische Überlegung treffe aber auf den Fall, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei und dem Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 zu erteilen sei, gerade nicht zu.
120 Eine solche Konstellation, in der die Erlassung einer Rückkehrentscheidung aufgrund des § 9 Abs. 3 BFA‑VG auf Dauer für unzulässig zu erklären und ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 zu erteilen ist, liegt zwar in einer Situation, wie sie hier gegeben ist, nicht vor. Jedoch ist auch in einer Konstellation, wonach gemäß § 58 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005, wenn einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt, die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen ist, wesentlich, dass diese Bestimmung im Zusammenhalt mit jener des § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 zu sehen ist. Danach ist eine Entscheidung, womit einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt, mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn dem Fremden nicht von Amts wegen ein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 erteilt wird. Sohin kommt auch diesfalls die Erlassung einer Rückkehrentscheidung erst dann in Betracht, wenn verneint wurde, dass dem Fremden ein auf § 57 AsylG 2005 gestütztes Aufenthaltsrecht einzuräumen ist. Zielt aber diese Anordnung darauf ab, zu verhindern, dass gegen einen Fremden eine Rückkehrentscheidung erlassen wird, obgleich ihm ein Aufenthaltsrecht nach § 57 AsylG 2005 zustünde, ist auch für den ‑ hier allenfalls in Betracht zu ziehenden ‑ Fall des § 58 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 davon auszugehen, dass diese Bestimmung ‑ wie im oben dargestellten Fall des § 58 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ‑ einschränkend dahingehend zu verstehen ist, dass ein von Amts wegen zu tätigender Ausspruch über die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 nicht zu erfolgen hat, wenn die Erlassung einer Rückkehrentscheidung von vornherein überhaupt unterbleibt, weil eine solche auf unbestimmte Zeit ‑ etwa wie hier, wenn dem das Verbot des Refoulements entgegen steht ‑ nicht zulässig ist.
121 Da im vorliegenden Fall nach dem oben Gesagten die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen den Mitbeteiligten zu unterbleiben hatte, weil im Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Entscheidung davon auszugehen war, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Mitbeteiligten nach Syrien sei aus den in § 8 Abs. 3a AsylG 2005 genannten Gründen nicht zulässig, stellt sich auch die Behebung jenes behördlichen Ausspruches, womit von Amts wegen ein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wurde, als mit dem Gesetz in Einklang stehend dar.
122 Ergebnis
123 Das angefochtene Erkenntnis war wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts insoweit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben, als damit der vom Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde stattgegeben wurde und jene behördlichen Aussprüche behoben wurden, mit denen ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt sowie festgestellt wurde, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme, und ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt wurde. Im Übrigen war die Revision gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
124 Diese Entscheidung konnte in einem gemäß § 11 Abs. 1 VwGG gebildeten Senat getroffen werden, weil in jenem Fall, in dem der Verwaltungsgerichtshof durch Änderung seiner Rechtsprechung der Rechtsansicht des EuGH Rechnung trägt, es keiner Befassung eines verstärkten Senates nach § 13 Abs. 1 Z 1 VwGG bedarf (vgl. etwa VwGH 18.11.2021, Ra 2020/22/0015, mwN).
Wien, am 25. Juli 2023
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