VwGH Ra 2020/20/0160

VwGHRa 2020/20/01601.9.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Mag. Eder und Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, in der Rechtssache der Revision des W K, vertreten durch Mag. Raimund Wiesner-Zechmeister, Rechtsanwalt in 4910 Ried im Innkreis, Bahnhofstraße 35a, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. April 2020, W136 2200755-1/11E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §8
B-VG Art133 Abs4
MRK Art2
MRK Art3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020200160.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der aus Afghanistan stammende Revisionswerber stellte am 17. September 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005.

2 Mit Bescheid vom 7. Juni 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise setzte es mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG für nicht zulässig.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7 Die Revision macht zur Begründung ihrer Zulässigkeit ausschließlich geltend, es liege bislang noch keine Rechtsprechung „zur Rechtsfrage vor, ob und inwieweit die COVID-19-Pandemie ‚exzeptionelle Umstände‘ begründet, die dazu führen, dass der Betroffene im Zielstaat keine Lebensgrundlage vorfindet und daher eine Außerlandesschaffung wegen Verletzung des Art. 3 EMRK unzulässig ist“.

8 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Beurteilung eines drohenden Verstoßes gegen Art. 2 oder 3 EMRK eine Einzelfallprüfung voraus, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Um von der realen Gefahr („real risk“) einer drohenden Verletzung der durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen Heimatstaat ausgehen zu können, reicht es nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf vielmehr einer darüber hinausgehenden Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Gefahr verwirklichen wird (vgl. VwGH 26.4.2017, Ra 2017/19/0016, mwN).

9 Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann etwa auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten und daher die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründen, wenn ‑ wobei eine solche Situation allerdings nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen ist ‑ der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also seine Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz nicht gedeckt werden können (vgl. VwGH 21.5.2019, Ro 2019/19/0006, mit Hinweis auf VwGH 18.10.2018, Ra 2017/19/0200; 25.4.2017, Ra 2017/01/0016, zu den Voraussetzungen einer solchen Annahme).

10 Wird von der Behörde nach entsprechender Prüfung die Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Bezug auf ein Gebiet allgemein bejaht, so obliegt es dem Asylwerber, besondere Umstände aufzuzeigen, die gegen die Zumutbarkeit sprechen (vgl. VwGH 17.9.2019, Ra 2019/14/0160, mwN).

11 Dass zu Maßstäben der Prüfung, ob exzeptionelle Umstände anzunehmen sind, unter denen die Außerlandesschaffung eines Fremden in sein Herkunftsland eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeutet, weil er dort keine Lebensgrundlage vorfindet, keine Rechtsprechung vorläge, zeigt die Revision nicht auf.

12 Im Übrigen gelangte das BVwG im vorliegenden Fall zum Ergebnis, dass sich bei der Ansiedlung des Revisionswerbers in den Städten Kabul, Herat und Mazar‑e Sharif kein reales Risiko einer Verletzung von Art. 2 und Art. 3 EMRK ergebe und das Vorbringen des Revisionswerbers nicht geeignet sei, ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen. Mit dem lediglich pauschal auf die „COVID‑19‑Pandemie“ Bezug nehmenden, allein maßgeblichen Zulässigkeitsvorbringen legt der Revisionswerber nicht dar, dass das BVwG bei seiner Beurteilung die in der Rechtsprechung aufgestellten Richtlinien missachtet oder in unvertretbarer Weise zur Anwendung gebracht hätte (vgl. zu einem sich ebenfalls auf die „COVID‑19‑Pandemie“ berufenden Vorbringen VwGH 23.6.2020, Ra 2020/20/0188, 27.7.2020, Ra 2020/01/0130, mwN).

13 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 1. September 2020

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