Normen
BFA-VG 2014 §9
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z1
MRK Art8
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020200093.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein nigerianischer Staatsangehöriger, stellte am 5. Oktober 2013 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er gab an, in seinem Heimatstaat wegen seiner Homosexualität verfolgt zu werden.
2 Mit Bescheid vom 29. November 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei und legte eine Frist von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Der Revisionswerber erhob gegen dieses Erkenntnis Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 21. Jänner 2020, E 25/2020-8, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. In der Folge wurde die gegenständliche Revision eingebracht.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 8 Soweit sich der Revisionswerber zur Begründung der Zulässigkeit der Revision gegen die durch das BVwG im Hinblick auf seinen vorgebrachten Fluchtgrund (Homosexualität) durchgeführte Beweiswürdigung wendet, ist darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz tätig ist; zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist er im Allgemeinen nicht berufen. Auch kann einer Rechtsfrage nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung läge nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. etwa VwGH 21.12.2018, Ra 2018/01/0324, mwN).
9 Eine solche Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung wird in der Revision nicht aufgezeigt. Soweit die Revision geltend macht, das BVwG sei auf eine vom Revisionswerber vorgelegte Stellungnahme zu seinem Lebensgefährten in Österreich begründungslos nicht eingegangen, ist darauf zu verweisen, dass eine solche Stellungnahme nicht im Akt erliegt und sich auch sonst keine Bezugnahme des Revisionswerbers auf ein derartiges Schreiben findet.
10 Wenn die Revision zur Begründung ihrer Zulässigkeit weiters geltend macht, das BVwG hätte bei den Feststellungen zur allgemeinen Lage von Homosexuellen im Heimatland des Revisionswerbers aktuelle Informationsmöglichkeiten und insbesondere Berichte der mit Flüchtlingsfragen befassten Organisationen in die Entscheidung einbeziehen müssen, rügt sie einen Verfahrensmangel. Dem Vorbringen des Revisionswerbers zu seiner homosexuellen Orientierung blieb aber - wie bereits ausgeführt in im Revisionsverfahren nicht zu beanstandender Weise -
die Glaubwürdigkeit versagt. Ausgangspunkt der Prüfung, ob eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegt, ist der festgestellte Sachverhalt. Entfernt sich die Revision mit ihren Ausführungen - wie hier - vom festgestellten Sachverhalt, vermag sie daher eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht aufzuzeigen (vgl. etwa VwGH 28.11.2019, Ra 2019/20/0549, mwN). Darüber hinaus legte das BVwG seiner Entscheidung aktuellere Länderberichte als die in der Revision angeführten Berichte zur Situation Homosexueller in Nigeria aus den Jahren 2011 und 2012 zugrunde.
11 Soweit sich die Revision gegen die Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK wendet, ist festzuhalten, dass diese nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. etwa VwGH 4.2.2020, Ra 2020/20/0025 bis 0030, mwN).
12 Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. etwa VwGH 12.12.2019, Ra 2019/14/0242, mwN).
13 Richtig ist zwar, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch der Frage, ob sich der Fremde bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat eine Existenzgrundlage schaffen kann, im Rahmen der Interessenabwägung unter dem Gesichtspunkt der Bindungen zum Heimatstaat (§ 9 Abs. 2 Z 5 BFA-VG) Bedeutung zukommen kann. Die Revision übersieht jedoch, dass das BVwG unter Zugrundelegung der Erwägungen zum subsidiären Schutz von der Möglichkeit der Schaffung einer Existenzgrundlage ausgegangen ist (vgl. dazu VwGH 17.12.2018, Ra 2018/14/0301; 11.2.2019, Ra 2018/20/0479; jeweils mwN). Dem setzt die Revision mit ihren bloß pauschalen Verweisen auf einen Zeitungsartikel zur Armutsgefährdung der nigerianischen Bevölkerung sowie auf eine Entwurzelung und Entfremdung des Revisionswerbers gegenüber seinem Herkunftsland, nichts Substantiiertes entgegen.
14 Wenn der Revisionswerber erstmals in der Revision ins Treffen führt, dass er und "sein Lebenspartner" in einer gemeinsamen Wohnung leben und "wenngleich auch unter Geheimhaltung ihrer Beziehung ein familienähnliches Leben" zusammen führen, ist dem entgegenzuhalten, dass der Berücksichtigung dieses Vorbringens das im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geltende Neuerungsverbot (§ 41 VwGG ) entgegensteht und dieses Vorbringen schon deswegen im Revisionsverfahren keine Beachtung finden kann (vgl. VwGH 8.1.2020, Ra 2019/18/0329, mwN). Der Revisionswerber verneinte überdies in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich die Frage, ob eine Lebensgemeinschaft bestehe und gab betreffend die vorgebrachte Beziehung an, dass er "bis vor zwei drei Monaten mit ihm zusammen war" (Seite 12 des Verhandlungsprotokolles vom 29. Oktober 2019). Vor diesem Hintergrund kann weder die Beurteilung des BVwG, wonach der Revisionswerber in Österreich kein geschütztes Familienleben führe, beanstandet werden, noch kann ein Verstoß gegen die amtswegige Ermittlungspflicht erblickt werden.
15 Soweit der Revisionswerber auf die zentrale Bedeutung seines mehr als fünfjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet verweist, übersieht er, dass das persönliche Interesse zwar grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zunimmt, die bloße Aufenthaltsdauer jedoch nicht allein maßgeblich ist, sondern vor allem anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles zu prüfen ist, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen, die eine Aufenthaltsbeendigung auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 12.11.2019, Ra 2019/20/0422, mwN). Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden - der jedoch im vorliegenden Revisionsfall noch deutlich unterschritten wird - regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (vgl. VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0405, mwN).
16 Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof mehrfach darauf hingewiesen, dass es im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. etwa VwGH 28.2.2020, Ra 2019/14/0545, mwN).
17 Das BVwG hat im Rahmen der Interessenabwägung auf alle fallbezogen entscheidungswesentlichen Umstände Bedacht genommen. Es setzte sich in seiner Entscheidung mit den Integrationsbemühungen des Revisionswerbers auseinander und kam zum Ergebnis, dass die Rückkehrentscheidung keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das Privatleben des Revisionswerbers darstelle und die öffentlichen Interessen an seiner Ausreise überwögen. Dass sich das BVwG von den dargestellten Leitlinien des Verwaltungsgerichthofes entfernt hätte oder die fallbezogen vorgenommene Interessenabwägung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise erfolgt wäre, wird von der Revision nicht dargetan. 18 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
19 Bei diesem Ergebnis war von einem Mängelbehebungsauftrag im Hinblick auf die fehlenden Revisionsgründe (die Revision enthält keine von der Zulässigkeitsbegründung getrennte Darstellung der Revisionsgründe, sondern nur unter den Ausführungen zur Zulässigkeit der Revision allenfalls als solche zu bewertende - aber eben mit der Zulässigkeitsbegründung vermengte - Ausführungen zu den Revisionsgründen, vgl. dazu VwGH 14.1.2020, Ra 2019/18/0521) abzusehen.
Wien, am 6. Mai 2020
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