VwGH Ra 2020/19/0074

VwGHRa 2020/19/007424.6.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens und die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Jänner 2020, G304 2177504‑1/6E, betreffend Zurückverweisung in einer Angelegenheit nach dem AsylG 2005 und dem FPG (mitbeteiligte Partei: A H A D in Z), zu Recht erkannt:

Normen

EURallg
FlKonv Art1 AbschnD
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §28 Abs2 Z2
VwGVG 2014 §28 Abs3
32011L0095 Status-RL Art12 Abs1 lita

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020190074.L00

 

Spruch:

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte, ein staatenloser, sunnitischer Palästinenser aus dem Irak, stellte am 9. Juni 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, schiitische Milizen hätten ihn und seine Familie bedroht und ihr Haus niedergebrannt.

2 Über Anfrage des BFA übermittelte die Staatendokumentation ein Schreiben des UNHCR vom 13. März 2017, wonach der Mitbeteiligte vom UNHCR‑Büro in Bagdad registriert und ohne Durchführung eines individuellen Verfahrens zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft prima facie als Flüchtling im Sinne des erweiterten Mandates von UNHCR anerkannt worden sei. Die palästinensischen Flüchtlinge im Irak befänden sich außerhalb des Tätigkeitsfeldes von UNRWA, sodass sie von UNHCR gemäß Art. 1 Abschnitt D zweiter Satz GFK ipso facto als Flüchtlinge anerkannt seien.

3 Mit Bescheid vom 13. Oktober 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Mitbeteiligten ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei und dass gemäß § 46a Abs. 1 Z 3 FPG sein Aufenthalt im Bundesgebiet zu dulden sei.

4 Das BFA stellte u.a. fest, dass der Mitbeteiligte anerkannter UNHCR‑Flüchtling sei, dass es sich dabei jedoch nicht um einen Asylausschlussgrund handle. Das BFA traf Feststellungen zur Lage im Irak in Form einer teilweisen Wiedergabe des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation, welches Informationen zu schiitischen Milizen und zu Palästinensern beinhaltet, sowie einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation betreffend die Wiedereinreise von Palästinensern im Irak. Eine weitere Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur Lage von Palästinensern im Irak und zur Ausstellung von Reisepässen und Personalausweisen vom Ausland aus sei nicht entscheidungsrelevant. Begründend führte das BFA ‑ soweit für das Revisionsverfahren maßgeblich ‑ aus, der Revisionswerber habe eine asylrelevante Verfolgung nicht glaubhaft machen können. Ihm stehe eine innerstaatliche Fluchtalternative in anderen Teilen Bagdads offen.

5 Mit dem angefochtenen Beschluss behob das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) in Erledigung der vom Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde den Bescheid, verwies die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurück und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

6 Begründend führte das BVwG aus, der angefochtene Bescheid erweise sich in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt als mangelhaft. Dem Bescheid sei die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation betreffend die Möglichkeit der Wiedereinreise staatenloser Palästinenser in den Irak zu Grunde gelegt worden. Das BFA habe hingegen die Anfragebeantwortung des UNHCR vom März 2017 betreffend den Flüchtlingsstatus des Mitbeteiligten nicht berücksichtigt. Zur fallentsprechenden Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz des Mitbeteiligten wäre aber eine Berücksichtigung dieser Anfragebeantwortung und aktueller Länderberichte zur Gefahrenlage staatenloser Palästinenser bei einer Rückkehr in den Irak unbedingt notwendig gewesen.

7 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision, die zu ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen vorbringt, das BVwG sei von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen einer Aufhebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG abgewichen.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens ‑ eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet ‑ in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

9 Die Revision ist zulässig und begründet.

10 Nach ständiger Rechtsprechung ist in § 28 VwGVG ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist (vgl. grundlegend VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063; sowie aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 26.3.2019, Ra 2018/19/0556, mwN).

11 Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen beziehungsweise besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden; eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. VwGH 6.7.2016, Ra 2015/01/0123; 14.12.2016, Ro 2016/19/0005, jeweils mwN).

12 Selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, rechtfertigen keine Zurückverweisung der Sache, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung zu vervollständigen sind. Auch wenn das Verwaltungsgericht die beweiswürdigenden Erwägungen einer Verwaltungsbehörde nicht teilt, führt dies allein noch nicht dazu, dass von einem Unterlassen gebotener Ermittlungsschritte im Sinne des § 28 Abs. 3 VwGVG gesprochen werden könnte (vgl. etwa VwGH 20.6.2017, Ra 2017/18/0103, mwN).

13 Sind (lediglich) ergänzende Ermittlungen vorzunehmen, liegt die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG, zumal diesbezüglich nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist. Nur mit dieser Sichtweise kann ein dem Ausbau des Rechtsschutzes im Sinn einer Verfahrensbeschleunigung Rechnung tragendes Ergebnis erzielt werden, führt doch die mit der verwaltungsgerichtlichen Kassation einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung verbundene Eröffnung eines neuerlichen Rechtszugs gegen die abermalige verwaltungsbehördliche Entscheidung an ein Verwaltungsgericht insgesamt zu einer Verfahrensverlängerung (vgl. VwGH 22.6.2016, Ra 2016/03/0027, mwN).

14 Im vorliegenden Fall ergeben sich keine krassen beziehungsweise besonders gravierenden Ermittlungslücken, die im Sinn der dargestellten Rechtsprechung eine Aufhebung und Zurückverweisung der Angelegenheit an das BFA zur Durchführung notwendiger Ermittlungen rechtfertigen könnten. Insbesondere könnte auch das Erfordernis der Ergänzung der Länderfeststellungen für sich eine kassatorische Entscheidung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG nicht rechtfertigen (vgl. VwGH 7.5.2020, Ra 2019/19/0250, mwN).

15 Das BVwG führt zwar zu Recht aus, das BFA habe sich mit dem Schreiben des UNHCR vom 13. März 2017 betreffend die Flüchtlingseigenschaft des Mitbeteiligten nicht näher beschäftigt, legt aber nicht dar, welche Bedeutung dies für die Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz des Mitbeteiligten haben sollte. Im fortzusetzenden Verfahren wird das BVwG zu beachten haben, dass eine Voraussetzung für die Anwendung des Art. 12 Abs. 1 lit. a Status‑RL bzw. des Art. 1 Abschnitt D GFK ist, dass ein Antragsteller auf internationalen Schutz den Schutz oder Beistand von UNRWA tatsächlich in Anspruch genommen hat; ein vom UNHCR gewährter Schutz oder Beistand (Hilfe) ist hingegen vom Anwendungsbereich dieser Bestimmungen ausdrücklich ausgenommen (vgl. zum Fall eines im Irak geborenen staatenlosen Palästinensers VwGH 28.8.2019, Ra 2018/14/0405, mwN).

16 Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 24. Juni 2020

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte