VwGH Ra 2020/14/0536

VwGHRa 2020/14/053627.4.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in den Revisionssachen der 1. A B und der 2. C D, beide vertreten durch Mag. Michaela Jurkowitsch, Rechtsanwältin in 1130 Wien, Einsiedeleigasse 15, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Oktober 2020, 1. W161 2196582‑1/8E und 2. W161 2196584‑1/6E, betreffend Visa nach § 26 FPG iVm § 35 AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Österreichische Botschaft Beirut), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §35
AsylG 2005 §35 Abs1
AsylG 2005 §35 Abs4
BFA-VG 2014 §1
BFA-VG 2014 §20
BFA-VG 2014 §3 Abs2
FrPolG 2005 §11
FrPolG 2005 §11a
FrPolG 2005 §11a Abs2
FrPolG 2005 §26
VwRallg
62017CJ0380 K und B VORAB

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020140536.L00

 

Spruch:

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Begründung

1 Die Erstrevisionswerberin ist die Mutter der minderjährigen Zweitrevisionswerberin, beide sind syrische Staatsangehörige. Dem Ehemann der Erstrevisionswerberin und Vater der Zweitrevisionswerberin wurde mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 6. September 2016 der Status des Asylberechtigten nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) zuerkannt. Am 30. Jänner 2017 stellten die Revisionswerberinnen persönlich bei der Österreichischen Botschaft Beirut Anträge auf Erteilung von Visa nach § 26 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) in Verbindung mit § 35 Abs. 1 AsylG 2005.

2 Die Österreichische Botschaft Beirut wies diese Anträge mit Bescheid vom 8. November 2017 ab. Über die dagegen von den Revisionswerberinnen erhobenen Beschwerden erließ sie am 12. Februar 2018 eine abweisende Berufungsvorentscheidung, woraufhin die Revisionswerberinnen Vorlageanträge stellten.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerden der Revisionswerberinnen als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung von Revisionen nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

4 Begründend stellte es ‑ erkennbar bezogen auf den Zeitpunkt der Bescheiderlassung ‑ fest, dass der Ehemann und Vater der Revisionswerberinnen über kein Einkommen verfüge und an einer Anschrift mit neun weiteren Personen gemeldet sei. Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1 und 3 AsylG 2005 seien somit nicht erfüllt. Die Erteilung der beantragten Visa sei auch nicht zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten. Soweit sich die Revisionswerberinnen darauf berufen, sie hätten innerhalb der Dreimonatsfrist des § 35 Abs. 1 AsylG 2005 online eine Terminreservierung bei der Botschaft vorgenommen, was als schriftliche Antragstellung zu werten sei, (sodass sie die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 AsylG 2005 nicht erfüllen müssten), finde eine solche Auslegung im Gesetzeswortlaut keine Deckung. Im Beschwerdeverfahren vorgelegte Urkunden und Unterlagen seien aufgrund des Neuerungsverbotes nach § 11a Abs. 2 FPG unbeachtlich.

5 Gegen dieses Erkenntnis richten sich die vorliegenden außerordentlichen Revisionen, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringen, aufgrund der maßgeblichen Beteiligung des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl in diesem Verfahren sei nicht das Neuerungsverbot des § 11a Abs. 2 FPG, sondern jenes nach § 20 BFA‑Verfahrensgesetz (BFA‑VG) als speziellere Regelung maßgeblich. Nach § 20 BFA‑VG sei die Nachreichung von Unterlagen unter bestimmten Umständen möglich, wobei diese Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet werde. Weiters fehle es an Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Ermittlungspflicht des BVwG zu den Erteilungsvoraussetzungen des § 60 Abs. 2 AsylG 2005 bezogen auf den Zeitpunkt seiner Entscheidung: Das BVwG habe keine Ermittlung des aktuellen Sachverhaltes durchgeführt, sondern sich nur auf die bei Antragstellung vorgelegten Beweismittel bezogen. Die Nichtberücksichtigung der Änderung persönlicher Umstände nach drei Jahren Verfahrensdauer verunmögliche eine tatsächliche Zukunftsprognose über die ökonomische Lage der Familie nach einer Einreise. Das Verfahren sei fehlerhaft gewesen, weil die Österreichische Botschaft Beirut die Revisionswerberinnen nicht über die maßgebliche Dreimonatsfrist des § 35 Abs. 1 AsylG 2005 informiert, einen Termin für eine persönliche Antragstellung nur außerhalb dieser Frist gewährt und damit ihre staatliche Informationspflicht verletzt habe. Die Antragstellung habe daher unverschuldet nur außerhalb der Dreimonatsfrist erfolgen können, sodass die (noch innerhalb der Frist) erfolgte Terminanfrage bereits als fristwahrender schriftlicher Antrag zu gelten habe. Schließlich sei auch der Ausnahmetatbestand des § 35 Abs. 4 Z 3 AsylG 2005 erfüllt, durch das Erkenntnis werde gegen das Recht auf Privat- und Familienleben nach Art. 8 EMRK verstoßen.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9 Zum Zulässigkeitsvorbringen, wonach die Bestimmung über das Neuerungsverbot in § 20 BFA‑VG als speziellere Regelung jener des § 11a Abs. 2 FPG vorgehe, ist zunächst auf die klare gesetzliche Regelung zu verweisen: § 11a FPG betrifft nach seiner Überschrift und seiner systematischen Stellung „Beschwerden gegen Bescheide österreichischer Vertretungsbehörden in Visaangelegenheiten“, welche auch hier zu beurteilen waren.

10 Für die Annahme, dass die Bestimmungen über das Beschwerdeverfahren gegen Bescheide österreichischer Vertretungsbehörden (§ 11a FPG) in Verfahren gemäß § 35 AsylG 2005 nicht zur Anwendung gelangen, liefert die Gesetzeslage keine Anhaltspunkte. Es ist daher - angesichts des klaren Wortlauts der Bestimmungen und deren Systematik im Visaregime - von deren Anwendbarkeit auch in diesen Verfahren auszugehen (VwGH 27.6.2017, Ra 2017/18/0146, mwN).

11 § 20 BFA‑VG ist hingegen eine Regelung für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht, welche nach § 1 BFA‑VG in Verfahren gemäß § 3 Abs. 2 Z 1 bis 6 BFA‑VG gilt. Verfahren zur Erteilung von Visa zur Einbeziehung in das Familienverfahren nach dem AsylG 2005 gemäß § 26 FPG (im 4. Hauptstück des FPG) in Verbindung mit § 35 AsylG 2005 und die Mitwirkung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in diesem Verfahren gemäß § 35 Abs. 4 AsylG 2005 sind in dieser Aufzählung nicht enthalten.

12 Eine Überschneidung der Regelungsbereiche des § 11a Abs. 2 FPG und § 20 BFA‑VG liegt somit nicht vor, dem § 20 BFA‑VG kann somit auch kein Vorrang als speziellere Regelung zukommen. Im Hinblick auf die klare gesetzliche Regelung wird diesbezüglich keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen (vgl. VwGH 27.11.2020, Ra 2020/01/0407, Rn 6, nwN). Auf die weiters angeführte Rechtsfrage zu § 20 BFA‑VG kommt es damit auch nicht an.

13 Zum weiteren Vorbringen, es fehle Rechtsprechung dazu, ob das BVwG zur Beurteilung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 AsylG 2005 den aktuellen Sachverhalt zum Entscheidungszeitpunkt zu ermitteln habe, verabsäumen es die Revisionen, in der Zulässigkeitsbegründung darzulegen, warum sie von der Lösung dieser Rechtsfrage abhängen soll. Sie führt darin nämlich nicht aus, welchen (aktuellen) Sachverhalt das BVwG aufgrund welcher Beweismittel ermitteln hätte können und warum bei Zugrundelegung dieses Sachverhaltes den Beschwerden stattzugeben gewesen wäre.

14 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof bereits klargestellt hat, dass es ‑ gerade im Hinblick auf das Neuerungsverbot im Beschwerdeverfahren nach § 11a Abs. 2 FPG ‑ auch in den Fällen des § 35 AsylG 2005 jederzeit möglich ist, neue Visaanträge zu stellen (vgl. VwGH 27.6.2017, Ra 2017/18/0146).

15 Das Zulässigkeitsvorbringen betreffend ein fehlendes Verschulden an der Nichteinhaltung der Frist des § 35 Abs. 1 AsylG 2005 bezieht sich auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, der - unter Bezugnahme auf das Urteil des EuGH vom 7. November 2018, KB, C‑380/17, und den Anwendungsvorrang des Unionsrechtes - ausgesprochen hat, dass bei der Beurteilung der Versäumung der dreimonatigen Frist des § 35 Abs. 1 AsylG 2005 auf besondere Umstände Bedacht zu nehmen ist, aufgrund derer die Versäumung durch den Antragsteller objektiv entschuldbar gewesen sein könnte (VwGH 25.6.2019, Ra 2018/19/0568; 17.12.2019, Ra 2019/18/0242, und 15.4.2020, Ra 2019/20/0291). Dass in derartigen Fällen ‑ wie die Revisionen vorbringen ‑ bereits die online erfolgte Vornahme einer Terminbuchung bei der Vertretungsbehörde als ein konkreter fristwahrender schriftlicher Antrag zu fingieren wäre, ergibt sich aus dieser Rechtsprechung und auch sonst aus der gesetzlichen Regelung jedoch nicht.

16 Die Revisionswerberinnen machen in diesem Zusammenhang mit dem Vorbringen, die Österreichische Botschaft Beirut hätte sie nicht über die Dreimonatsfrist des § 35 Abs. 1 AsylG 2005 informiert und damit eine sie treffende Informationspflicht verletzt, vielmehr einen Verfahrensmangel geltend.

17 Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, ist auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel darzutun, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise, also fallbezogen, darzulegen (vgl. VwGH 8.3.2021, Ra 2020/14/0291, mwN; zur Notwendigkeit einer Relevanzdarstellung bei behaupteter Verletzung der Manuduktionspflicht nach § 13a AVG vgl. etwa VwGH 4.9.2017, Ra 2017/20/0097, 0136). Eine derartige Relevanzdarstellung enthalten die Revisionen allerdings nicht.

18 Das abschließende Zulässigkeitsvorbringen, es sei der Ausnahmetatbestand des § 35 Abs. 4 Z 3 AsylG 2005 erfüllt und durch das angefochtene Erkenntnis werde gegen das Recht auf Privat- und Familienleben nach Art. 8 EMRK verstoßen, nimmt keinen Bezug auf die diesbezügliche Begründung des BVwG und zeigt damit nicht auf, inwiefern das angefochtene Erkenntnis von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweichen soll.

19 In den Revisionen werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie waren daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 27. April 2021

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