Normen
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §58 Abs11
AsylG 2005 §58 Abs11 Z2
AsylGDV 2005 §4 Abs1 Z3
AsylGDV 2005 §4 Abs1 Z3 idF 2013/II/492
AsylGDV 2005 §8 Abs1 Z1 idF 2013/II/492
BFA-VG 2014 §21 Abs7
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §24 Abs2 Z1
VwRallg
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019210214.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein algerischer Staatsangehöriger, stellte nach seiner illegalen Einreise am 15. April 2005 einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 13. Mai 2005 verbunden mit einer Ausweisung nach Ungarn zurückgewiesen wurde. Der Revisionswerber wurde am 9. Juni 2005 nach Ungarn überstellt. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 7. Juni 2005, bestätigt mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 12. Oktober 2005, wurde gegen ihn wegen in Österreich begangener Straftaten ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.
2 Am 20. Juni 2005 stellte der Revisionswerber einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 15. Februar 2006 verbunden mit einer Ausweisung nach Algerien abgewiesen wurde. Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung/Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 11. Dezember 2012 als unbegründet abgewiesen.
3 Mit Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 3. Juni 2005 war der Revisionswerber gemäß §§ 15, 269 Abs. 1
1. Fall, 83 Abs. 1 und 84 Abs. 1 Z 4 StGB zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten bedingt verurteilt worden, weiters mit Urteil des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 6. Oktober 2005 gemäß § 127 StGB zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat bedingt, mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 6. Juli 2007 gemäß §§ 15, 269 Abs. 1 1. Fall, 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 Z 4 StGB zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten, mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 1. Juli 2008 gemäß §§ 15, 105 Abs. 1, 124 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, mit Urteil des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 26. Mai 2010 gemäß §§15 und 141 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe. Zuletzt wurde er mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 29. Juni 2016 gemäß §§ 83 Abs. 1 und 125 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt.
4 Anträge des Revisionswerbers auf Ausstellung einer Karte für Geduldete gemäß § 46a FPG vom 24. April 2013 und auf Erteilung eines Aufenthaltstitels Rot-Weiß-Rot - Karte vom 11. April 2014 wurden rechtskräftig abgewiesen.
5 Am 22. September 2015 stellte er einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005. Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 26. November 2015 wurde ihm mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag zurückzuweisen; er wurde aufgefordert, binnen 14 Tagen ein gültiges Reisedokument und eine Geburtsurkunde oder ein dieser gleichzuhaltendes Dokument vorzulegen. Mit Schreiben vom 14. Dezember 2015 stellte der Revisionswerber gemäß § 4 AsylG-DV 2005 einen Antrag auf Heilung und führte aus, dass er bereits am 17. Juni 2013 das Konsulat seiner Botschaft in Wien aufgesucht habe, jedoch sei die Ausstellung eines Reisepasses abgelehnt worden. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29. Februar 2016 wurde daraufhin der Antrag des Revisionswerbers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 zurückgewiesen. Gleichzeitig wurde sein Antrag auf Mängelheilung gemäß § 4 Abs. 1 Z 2 und 3 AsylG-DV 2005 abgewiesen. Eine Rückkehrentscheidung unterblieb.
6 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab.
7 Das Bundesverwaltungsgericht stellte den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt fest. Es führte darüber hinaus aus, dass der Revisionswerber in Österreich über keine Verwandten oder maßgebliche private Beziehungen verfüge, wenngleich er "durchaus Schritte zur Integration gesetzt" habe. So verfüge er über Deutschkenntnisse auf dem Niveau B2 und sei insgesamt rund 36 Monate als Arbeiter beschäftigt gewesen. In Relation zu seiner langen Aufenthaltsdauer seien die Integrationsbemühungen jedoch als gering zu werten. Der Revisionswerber habe sich während seines Aufenthalts in Österreich mehrerer Aliasidentitäten bedient und seine Identität verschleiert. Es könne nicht festgestellt werden, dass er versucht habe, unter Angabe seiner richtigen Identitätsdaten die Ausstellung eines Reisepasses zu beantragen. Die von ihm angegebene Identität sei der algerischen Botschaft nämlich unbekannt, obwohl er unstrittig algerischer Staatsangehöriger sei. Es lägen auch keine Gründe vor, die die Erlangung eines Reisepasses unmöglich oder unzumutbar machen würden.
8 In rechtlicher Hinsicht führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass der Antrag des Revisionswerbers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 mangels Vorlage der in § 8 Abs. 1 Z 1 und 2 geforderten Dokumente (gültiger Reisepass und Geburtsurkunde oder dieser gleichzuhaltendes Dokument) gemäß § 58 Abs. 11 AsylG 2005 zurückzuweisen gewesen sei. Der Heilungsantrag gemäß § 4 AsylG-DV 2005 sei abzuweisen gewesen.
9 Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Z 2 AsylG-DV 2005 (Notwendigkeit zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK) seien nicht vorgelegen. Ein Aufenthalt von 14 Jahren stelle zwar eine grundsätzlich beachtliche Zeitspanne dar, jedoch lägen im gegenständlichen Fall keine Hinweise darauf vor, dass der Revisionswerber in Österreich einen maßgeblichen Grad an Integration erlangt hätte. Er habe zwar eine Deutschprüfung auf dem Niveau B2 bestanden und auch gearbeitet, habe aber keine engen Bezüge zu Österreichern und könne auch sonst keine außergewöhnlichen Umstände ins Treffen führen. Es sei vor allem zu berücksichtigen, dass der Revisionswerber während seines Aufenthalts sechs Mal straffällig geworden sei und einen Teil seiner Zeit in Österreich in Strafhaft verbracht habe. Außerdem sei sein Aufenthalt seit rechtskräftigem Abschluss seines zweiten Asylverfahrens im Dezember 2012 unrechtmäßig gewesen.
10 Insgesamt sei davon auszugehen, dass die Interessen des Revisionswerbers an einem Verbleib in Österreich nur geringes Gewicht hätten und gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen in den Hintergrund träten.
11 Auch der Heilungsgrund nach § 4 Abs. 1 Z 3 AsylG-DV 2005 (Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Vorlage der erforderlichen Urkunden) liege nicht vor.
12 Eine mündliche Verhandlung habe gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben können.
13 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
14 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich (u.a.) wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG "nicht zur Behandlung eignen", ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
15 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen dieser in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
16 Die Revision bringt unter diesem Gesichtspunkt vor, dass das Bundesverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Mitwirkungspflicht abgewichen sei. Dem liegt allerdings ein Missverständnis des ins Treffen geführten Erkenntnisses VwGH 30.6.2015, Ra 2015/21/0039, zugrunde. Anders als die Revision meint, bezieht sich § 58 Abs. 11 AsylG 2005 nicht nur auf Mitwirkungsverpflichtungen im Zusammenhang mit erkennungsdienstlichen Daten und mit der Zustelladresse; der Verwaltungsgerichtshof hat vielmehr schon wiederholt ausgesprochen, dass die Nichtvorlage eines gültigen Reisepasses grundsätzlich, wenn es nicht zu einer Heilung nach § 4 AsylG-DV 2005 zu kommen hat, eine auf § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 gestützte Zurückweisung rechtfertigt (vgl. VwGH 19.9.2019, Ra 2019/21/0103, mwN).
17 Weiters macht die Revision geltend, dass das Bundesverwaltungsgericht von der Rechtsprechung zur Beurteilung eines schützenswerten Privat- und Familienlebens nach Art. 8 EMRK abgewichen sei. Der Verwaltungsgerichtshof hat aber schon vielfach ausgesprochen, dass die Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK iVm § 9 BFA-VG dann nicht revisibel ist, wenn sie im Ergebnis vertretbar ist und keinen maßgeblichen Begründungsmangel erkennen lässt (vgl. zuletzt etwa VwGH 19.9.2019, Ra 2019/21/0264, mwN). Angesichts der zwar nicht massiven, aber über viele Jahre wiederholten Straffälligkeit des Revisionswerbers, der keine maßgeblichen Bindungen in Österreich gegenüberstehen, und der Prolongierung seines Aufenthalts (trotz Aufenthaltsverbots) durch die Verwendung von Aliasidentitäten ist im vorliegenden Fall, in dem das Bundesverwaltungsgericht ohnedies alle zugunsten des Revisionswerbers sprechenden Umstände in seine Beurteilung einbezogen hat, kein Begründungsmangel zu sehen und das Ergebnis jedenfalls vertretbar (vgl. dazu, dass auch bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt in Verbindung mit dem Vorliegen gewisser integrationsbegründender Aspekte dann nicht zwingend von einem Überwiegen des persönlichen Interesses auszugehen ist, wenn dem Umstände entgegenstehen, die das gegen einen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse verstärken bzw. die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland relativieren, VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0005, sowie daran anknüpfend etwa VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0197).
18 Daran hätte auch die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks in einer mündlichen Verhandlung nichts ändern können, sodass letztlich auch die Rüge, dass das Bundesverwaltungsgericht von der beantragten mündlichen Verhandlung abgesehen habe, nicht verfängt. Die Rechtmäßigkeit des Absehens von der Verhandlung ist am Maßstab des § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG zu beurteilen, weil der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag zurückzuweisen war; dass sich das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen seiner Begründung zur Unterlassung der Beschwerdeverhandlung auf § 21 Abs. 7 BFA-VG und nicht auf § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG berufen hat, ändert nichts an der Maßgeblichkeit der zuletzt genannten Bestimmung (vgl. VwGH 22.8.2019, Ra 2019/21/0098). Trotz Erfüllung des Tatbestandes des § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG kann in Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens des Verwaltungsgerichts die Durchführung einer Verhandlung geboten sein (vgl. auch dazu VwGH 22.8.2019, Ra 2019/21/0098, mwN). Davon wäre insbesondere dann auszugehen, wenn hinsichtlich der Interessenabwägung, die bei Anträgen nach § 55 AsylG 2005 auch einer Zurückweisung nach § 58 Abs. 11 AsylG 2005 voranzugehen hat (vgl. dazu VwGH 17.11.2016, Ra 2016/21/0314, mwN), kein eindeutiger Fall vorliegt. Vor dem Hintergrund des dargestellten, unstrittig feststehenden Sachverhalts konnte aber ein solcher eindeutiger Fall, in dem die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks nicht geboten war, angenommen werden.
19 Angesichts des somit nicht zu beanstandenden Ergebnisses der Interessenabwägung wären auch die materiellen Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 nicht vorgelegen, sodass es auf die Erlangbarkeit der vorzulegenden Dokumente und somit die Erfüllung des Heilungstatbestandes des § 4 Abs. 1 Z 3 AsylG-DV 2005 nicht mehr entscheidend angekommen ist. Dadurch, dass der Antrag gegebenenfalls nicht zurückzuweisen, sondern abzuweisen gewesen wäre, konnte der Revisionswerber nämlich nicht in den in der Revision geltend gemachten Rechten verletzt werden (vgl. idS - zur Zurückweisung eines Antrags auf Erteilung eines Titels nach § 57 AsylG 2005 - VwGH 31.8.2017, Ro 2016/21/0019).
20 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 4. März 2020
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