Normen
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §55 Abs1 Z1
BFA-VG 2014 §9 Abs2
MRK Art8
VwGG §42 Abs2 Z1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019210177.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, gemäß seinen Angaben ein Staatsangehöriger der Volksrepublik China und im Dezember 2002 nach Österreich eingereist, stellte am 23. Jänner 2003 einen Asylantrag. Das Bundesasylamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom 22. April 2005 ab, stellte fest, dass (insbesondere) die Abschiebung des Revisionswerbers in die Volksrepublik China zulässig sei und wies ihn aus Österreich aus. Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung - dann als Beschwerde zu werten - wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 18. Jänner 2011 zur Gänze abgewiesen. Ein im Anschluss daran von den Behörden unternommener Versuch, für den Revisionswerber ein Heimreisezertifikat zu erlangen, scheiterte; in einem Aktenvermerk vom 27. April 2011 wurde seitens der Bundespolizeidirektion Wien festgehalten, dass es "bei Chinesen nahezu aussichtslos ist, jemals ein Hz. zu erlangen", weshalb "auf eine neuerliche Befragung" des Revisionswerbers verzichtet werden könne.
2 Gegen den Revisionswerber wurden in der Folge - soweit nach der Aktenlage ersichtlich - keine fremdenpolizeilichen Maßnahmen gesetzt. Er selbst stellte allerdings im März 2015 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 Abs. 1 AsylG 2005. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies diesen Antrag mit Bescheid vom 21. Dezember 2018 gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 als unzulässig zurück, weil (insbesondere) kein gültiger Reisepass im Original vorgelegt worden sei. Unter einem erließ das BFA gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in die Volksrepublik China zulässig sei und setzte gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für eine freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest. 3 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 2. Mai 2019 - ohne Durchführung der beantragten Beschwerdeverhandlung - als unbegründet ab. Außerdem sprach es gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Über die gegen dieses Erkenntnis erhobene außerordentliche Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
5 Die Revision ist - entgegen dem gemäß �� 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG nach § 25a Abs. 1 VwGG - unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig; sie ist auch berechtigt.
6 Der Revisionswerber befand sich unstrittig - bezogen auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses - knapp 16- einhalb Jahre durchgehend im Bundesgebiet. Dem kommt bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der erlassenen Rückkehrentscheidung vor dem Hintergrund der gebotenen Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG entscheidungswesentliche Bedeutung zu.
7 Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichthofes, auf die schon in den Zulässigkeitsausführungen der Revision zutreffend Bezug genommen wird, ist nämlich bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt eines Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an seinem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (siehe zuletzt etwa VwGH 19.9.2019, Ra 2019/21/0100, Rn. 9, mwN).
8 Das BVwG ging davon aus, dass der Revisionswerber "den Nachweis von Deutschkenntnissen auf dem Niveau A 2 erbracht" habe; auf Grund der vorgelegten Unterstützungserklärungen müsse ihm zugebilligt werden, dass er im Bundesgebiet Kontakte geknüpft habe und er habe im Verfahren einen arbeitsrechtlichen Vorvertrag bzw. eine "bindende Einstellungszusage" vorgelegt. Im Hinblick darauf sprach es dem Revisionswerber - zutreffend - nicht jegliche Integration ab. Dem hielt es jedoch entgegen, dass sich der Revisionswerber seit rechtskräftiger Erledigung seines Asylantrages im Jänner 2011, mithin seit mehr als acht Jahren, unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte und dass er seiner Ausreiseverpflichtung "beharrlich nicht nachgekommen" sei; in Bezug auf den bis Jänner 2011 vorliegenden rechtmäßigen Aufenthalt des Revisionswerbers im Bundesgebiet sei darüber hinaus zu berücksichtigen, dass dieser rechtmäßige Aufenthalt nur auf die Stellung eines letztlich unberechtigten Asylantrages zurückzuführen gewesen sei und dass sich der Revisionswerber insoweit bei allen Integrationsschritten seines unsicheren Aufenthaltsstatus habe bewusst sein müssen.
9 Damit spricht das BVwG aber Gesichtspunkte an, die - in mehr oder weniger großem Ausmaß - typischerweise auf Personen zutreffen, die nach negativer Erledigung ihres Antrags auf internationalen Schutz einen mehr als zehnjährigen inländischen und zuletzt jedenfalls unrechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet aufweisen. Auch in Bezug auf diese Personen ist der Verwaltungsgerichtshof aber in seiner ständigen Judikatur von der oben dargestellten Bedeutung eines mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthaltes für die Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG ausgegangen (siehe nur das grundlegende Erkenntnis VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0005, in dem unter Rn. 13 zum Ausdruck gebracht wurde, dass - neben anderen Umständen - (erst) eine zweifache Asylantragstellung grundsätzlich gegen ein Überwiegen der persönlichen Interessen des länger als zehn Jahre im Inland aufhältigen Fremden in Anschlag gebracht werden kann). 10 Ungeachtet des eben Gesagten ist im Rahmen der jedenfalls gebotenen Gesamtbetrachtung miteinzubeziehen, dass sich der Revisionswerber zuletzt acht Jahre unrechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat (VwGH 30.6.2016, Ra 2016/21/0165, Rn. 24). Umgekehrt ist im vorliegenden Fall aber auch zu berücksichtigen, dass das Asylverfahren des Revisionswerbers, ohne dass ihm das erkennbar angelastet werden könnte, ebenfalls acht Jahre dauerte und dass auch die Bearbeitung des gegenständlichen Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 - der im Übrigen erstmals nach dem Jahr 2011 die Vornahme (weiterer) fremdenpolizeilicher Schritte gegen ihn auslöste - insgesamt rund vier Jahre in Anspruch nahm (siehe zur Maßgeblichkeit dieser Aspekte § 9 Abs. 2 Z 9 BFA-VG). Vor allem aber ist zu berücksichtigen, dass der Revisionswerber die schon mehrfach angesprochene "Zehnjahresgrenze" nicht bloß geringfügig überschritt, sondern einen deutlich längeren Inlandsaufenthalt (nämlich knapp 16-einhalb Jahre) aufweist. Damit kommt den gegen den Revisionswerber ins Treffen geführten Gesichtspunkten auch insoweit keine maßgebliche Bedeutung (mehr) zu (siehe zu vergleichbar langen Inlandsaufenthalten, gleichfalls mit Phasen längerer behördlicher Untätigkeit, etwa VwGH 20.12.2018, Ra 2018/21/0174, insbesondere Rn. 13, oder VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0117, insbesondere Rn. 14).
11 Nach dem Gesagten hätte die Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG aus den vom BVwG angestellten Überlegungen nicht zu Lasten des Revisionswerbers ausfallen dürfen. Das schlägt auch auf die auf § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 gestützte Zurückweisung des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 durch. Denn nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist es unzulässig, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 trotz Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 Z 1 dieser Bestimmung - die Erteilung des Aufenthaltstitels ist gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten - wegen Nichtvorlage von Identitätsdokumenten zurückzuweisen (vgl. aus jüngerer Zeit nur VwGH 26.6.2019, Ra 2019/21/0092 bis 0094, Rn. 14). Das angefochtene Erkenntnis war daher zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
12 Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte schon gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.
13 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 24. Oktober 2019
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