VwGH Ra 2019/15/0075

VwGHRa 2019/15/007524.10.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofräte MMag. Maislinger sowie Mag. Novak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision des Bundesministers für Finanzen in 1010 Wien, Johannesgasse 5, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 20. März 2019, Zl. LVwG- 2018/23/0784-18, betreffend Maßnahmenbeschwerde in einer Angelegenheit nach dem Glücksspielgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Tirol; mitbeteiligte Partei: G Ö in I, vertreten durch Dr. Patrick Ruth und MMag. Daniel Pinzger, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Kapuzinergasse 8/4),

Normen

B-VG Art130 Abs1 Z1
B-VG Art130 Abs1 Z2
B-VG Art132 Abs1 Z1
B-VG Art132 Abs2
GewO 1994 §360
GSpG 1989 §56a
GSpG 1989 §56a Abs1
GSpG 1989 §56a Abs3
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019150075.L00

 

Spruch:

1. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird in dem Umfang zurückgewiesen, als sie das angefochtene Erkenntnis im Hinblick auf die Zurückweisung der Beschwerde bekämpft.

2. zu Recht erkannt:

Im Übrigen wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Am 20. September 2017 fand in einem näher bezeichneten Lokal eine Kontrolle nach dem Glücksspielgesetz statt. Im Zuge einer erneuten Kontrolle am 25. Februar 2018 wurden die Geschäftsräumlichkeiten geschlossen und das Türschloss zum Lokal ausgetauscht.

2 Mit Bescheid der Landespolizeidirektion Tirol vom 18. April 2018 wurde die Betriebsschließung nachträglich ab 25. Februar 2018 angeordnet und gleichzeitig nach Ablauf eines Monats am 25. März 2018 für aufgehoben erklärt. Mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol, LVwG-2018/46/1208-2, wurde dieser Bescheid aufgehoben, weil die bescheidmäßige Anordnung nicht innerhalb der einmonatigen Frist des § 53a Abs. 3 GSpG erfolgt sei.

3 Mit Schriftsatz vom 9. April 2018 hatte der Mitbeteiligte im Hinblick auf die Schließung der Geschäftsräumlichkeiten eine Maßnahmenbeschwerde (gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG) eingebracht. Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht dieser Beschwerde Folge und stellte fest, dass die Schließung des Geschäftslokales im Zeitraum vom 26. Februar 2018 bis 5. April "2019" (gemeint: 2018) rechtswidrig war. Sofern sich die Beschwerde auf die Schließung am 25. Februar "2019" (gemeint: 2018) beziehe, wurde sie als verspätet zurückgewiesen. Das Landesverwaltungsgericht erkannte dem Mitbeteiligten Aufwandersatz zu. Weiters sprach das Landesverwaltungsgericht aus, dass die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision des Bundesministers für Finanzen. Die mitbeteiligte Partei hat - nach Einleitung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung eingebracht. Die belangte Behörde nahm von einer Äußerung Abstand, verwies aber auf die von ihr gegen dieses Erkenntnis eingebrachte Revision (protokolliert zu Ra 2019/15/0068).

5 Zur Zulässigkeit wird in der Amtsrevision vorgebracht, das Erkenntnis widerspreche der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes,

wonach faktische Amtshandlungen als Einheit mit einem Betriebsschließungsbescheid zu betrachten und daher nicht länger gesondert mit Maßnahmenbeschwerde bekämpfbar seien, selbst wenn der Bescheid nachträglich kassiert werde.

6 Die Revision bekämpft - nach ihrer Anfechtungserklärung - das angefochtene Erkenntnis "in seinem vollen Umfang". Im Hinblick auf den Ausspruch über die Teilzurückweisung der Beschwerde enthält die Revision aber kein Vorbringen zur Zulässigkeit. In diesem Umfang war die Revision daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

 

Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

7 Die Revision ist insoweit zulässig und begründet.

8 Zunächst ist festzuhalten, dass die Erhebung einer Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG an das Verwaltungsgericht voraussetzt, dass ein Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt vorliegt. 9 Bei der Betriebsschließung nach § 56a GSpG handelt es sich um eine einstweilige Zwangs- und Sicherungsmaßnahme nach dem Vorbild des § 360 GewO, die auch das Anbringen von Amtssiegeln oder Plomben (vgl. VwGH 21.2.2019, Ra 2018/09/0109) oder auch den Austausch von Schlössern (vgl. dazu VwGH 26.6.2001, 2001/04/0073, VwSlg. 15632/A; sowie - zum Wiener Wettengesetz - VwGH 9.6.2017, Ra 2017/02/0060) umfasst.

10 Nach § 56a Abs. 3 GSpG ist über eine faktische Betriebsschließung binnen eines Monats ein schriftlicher Bescheid zu erlassen, widrigenfalls die Verfügung als aufgehoben gilt. 11 Solange kein Bescheid gemäß § 56a Abs. 3 GSpG erlassen worden ist, ist eine von der Behörde gemäß § 56a Abs. 1 GSpG verfügte Betriebsschließung als Akt verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anzusehen und mit Maßnahmenbeschwerde bekämpfbar. Wurde jedoch ein Betriebsschließungsbescheid erlassen, können die - bereits vorgenommenen - mit der Betriebsschließung zusammenhängenden faktischen Verfügungen nicht mehr mit Maßnahmenbeschwerde bekämpft werden (vgl. VwGH 21.2.2019, Ra 2018/09/0109, mwN). Ein bereits anhängiges Verfahren über eine Maßnahmenbeschwerde ist in diesem Fall einzustellen (vgl. VwGH 21.11.2018, Ra 2017/17/0840).

12 Wird ein Bescheid über die faktische Amtshandlung erlassen, dann wird die in der faktischen Amtshandlung liegende individuelle Norm Bestandteil des Bescheides(vgl. VwGH 21.11.2018, Ra 2017/17/0840).

13 Auch dann, wenn ein Betriebsschließungsbescheid nach Ablauf der Monatsfrist des § 56a Abs. 3 GSpG erlassen wird, wird die faktische Amtshandlung vom Spruch dieses Bescheides erfasst. Auch ein solcher Betriebsschließungsbescheid, mag er auch rechtswidrig sein, wird rechtlich existent (vgl. VwGH 22.8.2016, Ra 2015/17/0196). Die Rechtswidrigkeit des Bescheides kann im Wege der Bescheidbeschwerde geltend gemacht werden (vgl. abermals VwGH 21.11.2018, Ra 2017/17/0840).

14 Im hier zu beurteilenden Fall wurde ein Bescheid über die Betriebsschließung erlassen. Auch wenn dieser vom Landesverwaltungsgericht als rechtswidrig aufgehoben wurde, wäre das Maßnahmenbeschwerdeverfahren (soweit die Beschwerde nicht zurückgewiesen wurde) einzustellen gewesen. Indem das Landesverwaltungsgericht in Verkennung der Rechtslage die Maßnahmenbeschwerde inhaltlich erledigte, belastete es seine Entscheidung mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

15 Das angefochtene Erkenntnis war daher (in diesem Umfang) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 24. Oktober 2019

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