VwGH Ra 2018/20/0126

VwGHRa 2018/20/012628.3.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofrätin Dr. Leonhartsberger und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Honeder, in der Rechtssache der Revision des T A O in K, vertreten durch Mag. Peterpaul Suntinger, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Pfarrplatz 17, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Februar 2018, Zl. I416 2168374- 1/21E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §3 Abs1;
AVG §45 Abs2;
AVG §52;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018200126.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28. Juli 2017 wurde der Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz vom 24. September 2015 gemäß §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen, gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Nigeria gemäß § 46 FPG zulässig sei und dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht bestehe. Einer Beschwerde wurde gemäß § 18 Abs. 1 Z 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt.

2 Das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 30. August 2017, mit dem die dagegen erhobene Beschwerde abgewiesen worden war, hob der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 22. November 2017 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf.

3 Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung wies das BVwG die Beschwerde mit der Maßgabe einer Formulierungsänderung hinsichtlich der Nichterteilung eines Aufenthaltstitels ab, behob (trotz falscher Bezifferung des diesbezüglichen Spruchpunktes) erkennbar die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ersatzlos und legte gemäß § 55 Abs. 2 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen fest. Eine Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7 Zur Zulässigkeit der Revision wird zusammengefasst vorgebracht, das BVwG habe Verfahrensvorschriften verletzt, indem es trotz vorliegender Anträge weder ein medizinisches Sachverständigengutachten zum Beweis dafür, dass der Revisionswerber von den Angreifern aus dem Bus gezogen und auf den Kopf geschlagen wurde, wovon er Verletzungen an seinen Füßen und Armen und am Kopf davongetragen habe, noch einen länderkundigen Sachverständigen zum Beweis dafür beigezogen habe, dass er nicht die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative habe. Das BVwG habe auch Feststellungen getroffen, die sich nicht mit dem übermittelten Länderinformationsblatt deckten und es habe sich mit den Beschwerdeausführungen zu den Länderfeststellungen nicht auseinander gesetzt. Überdies sei die Beweiswürdigung des BVwG hinsichtlich der Integration des Revisionswerbers und der damit in Zusammenhang stehenden Abwägung im Sinne des Art. 8 EMRK in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden und nicht nachvollziehbaren Weise vorgenommen worden.

8 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dürfen Beweisanträge nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel (ohne unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung) untauglich ist. Es ist nicht zulässig, ein vermutetes Ergebnis noch nicht aufgenommener Beweise vorwegzunehmen. Das Verwaltungsgericht darf sich auch über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. VwGH 20.2.2018, Ra 2017/20/0303, mwN).

9 Soweit sich die Revision gegen die Nichteinholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens wendet, ist vorweg festzuhalten, dass das BVwG davon ausging, dass der Revisionswerber Narben aufweist. Insoweit hat es die Beweistatsachen als wahr unterstellt. Der Beweisantrag war jedoch auch darauf gerichtet, der medizinische Sachverständige könne zur Glaubhaftmachung beitragen, dass der Revisionswerber von den Angreifern aus dem Bus gezogen und auf den Kopf geschlagen wurde. Dazu ist festzuhalten, dass der Antrag auf Einholung eines medizinischen Gutachtens geeignet sein mag, die Verletzungsursache von vorhandenen Narben zu belegen. Jedoch ist ein medizinisches Gutachten in einem Fall wie dem vorliegenden nicht geeignet, Aufklärung über die Frage, im Zuge welcher Ereignisse der Revisionswerber die Verletzung erlitten haben mag und damit über die Nachvollziehbarkeit des Fluchtvorbringens des Revisionswerbers zu geben (vgl. VwGH 20.2.2018, Ra 2017/20/0464). Als Beweismittel dafür, dass gerade die vom Revisionswerber benannten Angreifer ihm die Narben zugefügt hätten, erweist sich das beantragte Sachverständigengutachten als untauglich.

10 Die Zulässigkeit der Revision setzt neben einem eine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufwerfenden Verfahrensmangel voraus, dass die Revision von der Lösung dieser geltend gemachten Rechtsfrage abhängt. Davon kann im Zusammenhang mit einem Verfahrensmangel aber nur dann ausgegangen werden, wenn auch die Relevanz des Mangels für den Verfahrensausgang dargetan wird, das heißt, dass dieser abstrakt geeignet sein muss, im Falle eines mängelfreien Verfahrens zu einer anderen - für den Revisionswerber günstigeren - Sachverhaltsgrundlage zu führen (vgl. VwGH 20.2.2018, Ra 2017/20/0464; 9.10.2014, Ra 2014/18/0036 bis 0039).

11 Die Revision zeigt mit ihren Ausführungen zur Nichtbeiziehung eines länderkundigen Sachverständigen zum Beweis dafür, dass der Revisionswerber nicht die Möglichkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative habe, die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels nicht auf. Mit der bloßen Behauptung, das BVwG wäre bei Beiziehung eines solchen Sachverständigen zu dem Ergebnis gelangt, dass es dem Revisionswerber innerstaatlich nicht möglich wäre, durch eine alternative Wohnsitznahme Gefährdungen durch Boko Haram auszuweichen, wird insbesondere nicht dargetan, weshalb die vom BVwG getroffenen Feststellungen zur Beurteilung des Vorliegens einer innerstaatlichen Fluchtalternative für den Revisionswerber nicht ausreichen bzw. welche über diese Feststellungen hinausgehenden oder davon abweichenden Sachverhaltselemente von einem Sachverständigen zu erwarten gewesen wären.

12 Auch die nicht näher ausgeführten und damit auch keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung konkret aufzeigenden Erwähnungen, das BVwG habe sich mit den Beschwerdeausführungen nicht auseinander gesetzt und zwei - nicht im Länderinformationsblatt enthaltene - Absätze zur Situation in Nigeria in die Feststellungen neu aufgenommen - die im Übrigen schon in dem vom Verwaltungsgerichtshof aufgehobenen Erkenntnis des BVwG vom 30. August 2017 enthalten und dem Revisionswerber daher nicht unbekannt waren - lassen die Relevanz eines damit implizit angesprochenen Verfahrensmangels nicht erkennen.

13 Soweit sich die Revision gegen die Beweiswürdigung wendet, ist zunächst auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu verweisen, wonach die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts im Allgemeinen nicht revisibel ist. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt in diesem Zusammenhang nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (VwGH 18.3.2016, Ra 2015/01/0255, mwN). Das BVwG hat - ausführlich und nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - beweiswürdigend dargelegt, weshalb es das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers für nicht glaubwürdig erachtet. Dass die beweiswürdigenden Ausführungen unvertretbar wären, ist nicht ersichtlich.

14 Überdies ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs auch eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen, wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wird, nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG (vgl. VwGH 23.2.2016, Ra 2015/01/0249, mwN). Das BVwG hat - ausführlich und nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - dargelegt, weshalb die Abwägung im Sinne des Art. 8 EMRK zu Ungunsten des Revisionswerbers ausfällt und warum es deshalb die Rückkehrentscheidung für zulässig erachtet. Es kann dem BVwG schon angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer des Revisionswerbers in Österreich von nicht einmal zweieinhalb Jahren und des Nichtbestehens von familiären Bindungen in Österreich nicht entgegen getreten werden, wenn es trotz zielstrebiger Integrationsschritte das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung unter Einbeziehung aller erforderlichen Aspekte als überwiegend beurteilte.

15 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

16 Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 28. März 2018

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