VwGH Ra 2018/19/0014

VwGHRa 2018/19/00141.3.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Samonig, in der Revisionssache des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. November 2017, Zl. I403 2167446-1/18E, betreffend Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nach dem FPG (Mitbeteiligter: G I A in W), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §21 Abs7;
BFA-VG 2014 §9;
B-VG Art133 Abs4;
FrPolG 2005 §67 Abs1;
SMG 1997 §39 Abs1;
VwGG §34 Abs1;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018190014.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

4 Zunächst ist festzuhalten, dass sich die vorliegende Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl ausdrücklich nur gegen den Spruchpunkt A.II. des angefochtenen Erkenntnisses richtet, womit jene behördlichen Aussprüche, mit denen gegen den Mitbeteiligten gemäß § 67 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein Aufenthaltsverbot erlassen und nach § 70 Abs. 3 FPG die Gewährung eines Durchsetzungsaufschubes verweigert worden war, ersatzlos behoben wurden.

5 In der Begründung für die Zulässigkeit der Revision wendet sich die Behörde gegen die Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, es könne im Zeitpunkt seiner Entscheidung nicht (weiter) davon ausgehen, dass vom Mitbeteiligten im Sinn des § 67 Abs. 1 FPG eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit ausgehe, was voraussetzen würde, dass eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr bestehe, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Weil das Bundesverwaltungsgericht die Beurteilung, an die das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG gebunden sei, entgegen dem Gesetz vorgenommen habe, sei es von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen. Die Behörde vertrete zudem den Standpunkt, dass sie befugt sei, auch vor Rechtskraft der Abweisung eines Antrages auf internationalen Schutz in derselben Bescheidurkunde gemeinsam mit dieser Abweisung die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nach § 67 FPG auszusprechen. Dazu fehle aber Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Die Frage, ob das Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz mit dem Verfahren auf Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zeitgleich geführt und nach § 39 Abs. 2 und § 59 Abs. 1 AVG verbunden werden dürfe, habe der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 14. November 2017, Ra 2017/20/0274, Rn. 45, ausdrücklich offen gelassen.

6 Von der zuletzt angeführten Rechtsfrage hängt indes die Revision im gegenständlichen Fall - wie im Weiteren zu zeigen ist -

nicht im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG ab.

7 Eine einzelfallbezogene Beurteilung betreffend die vom Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich des Aufenthaltsverbotes nach § 67 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG erstellte Gefährdungsprognose sowie eine gemäß § 9 BFA-Verfahrensgesetz vorgenommene Interessenabwägung ist dann nicht revisibel, wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde (vgl. etwa VwGH 28.1.2016, Ra 2016/21/0013; 25.1.2018, Ra 2018/21/0003; 25.1.2018, Ra 2018/21/0004, jeweils mwN). Das ist hier der Fall.

8 Soweit in der Revision vorgebracht wird, die Begründung des Bundesverwaltungsgerichts entspreche nicht den in der Rechtsprechung entwickelten Anforderung an eine solche, wird von der revisionswerbenden Behörde an anderer Stelle selbst eingeräumt, dass die Begründung grundsätzlich den formalen Anforderungen gerecht wird. Weiters rügt die Behörde das Fehlen von Feststellungen und bringt in diesem Zusammenhang vor, das Bundesverwaltungsgericht habe sich damit begnügt, die Urteilsdaten aus dem Strafregister und Auszüge aus der Urteilsbegründung des Landesgerichts für Strafsachen Wien zu referieren. Damit spricht das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl jene - im Übrigen von ihm im vor dem Bundesverwaltungsgericht angefochtenen Bescheid selbst missachtete - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes an, wonach im Rahmen der Gefährdungsprognose nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung eines Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen ist (vgl. VwGH 29.6.2017, Ra 2017/21/0068, sowie schon zur Vorläuferbestimmung des § 86 Abs. 1 FPG VwGH 5.7.2011, 2008/21/0131, jeweils mwN). Es ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für eine nachvollziehbare Gefährdungsprognose nicht ausreichend, wenn lediglich das Gericht, die Urteilsdaten, die maßgeblichen Strafbestimmungen und die verhängte Strafe angeführt werden (vgl. VwGH 19.5.2015, Ra 2015/21/0001; 19.5.2015, Ra 2014/21/0057, mwN). Im Rahmen der zu treffenden Feststellungen kann es fallbezogen mitunter aber auch nicht ausreichend sein, die im Urteilstenor des Strafgerichts zum Ausdruck kommenden Tathandlungen wiederzugeben, sondern es sich als notwendig darstellen, darüber hinausgehende Feststellungen zu treffen, um die Gefährdungsprognose in einer dem Gesetz entsprechenden Weise vornehmen zu können (vgl. etwa VwGH 3.4.2009, 2008/22/0913; 24.11.2009, 2009/21/0267; 31.5.2011, 2008/22/0831; 5.7.2011, 2008/21/0131, jeweils mwN).

9 Entgegen den Ausführungen in der Amtsrevision finden sich in der Begründung des Bundesverwaltungsgerichts derartige Feststellungen zu den der zeitlich letzten Verurteilung zugrunde liegenden Handlungen; wenn auch zum Teil disloziert (im Rahmen der beweiswürdigenden Überlegungen). Ungeachtet dessen, dass die diesbezüglichen Feststellungen ausführlicher hätten ausfallen können, kann dennoch nicht gesagt werden, dass diese derart unzureichend wären, dass eine dem Gesetz entsprechende Beurteilung gehindert gewesen wäre. Insbesondere ist zu betonen, dass es die Revision in diesem Zusammenhang unterlässt darzulegen, welche ergänzenden Feststellungen das Bundesverwaltungsgericht zu treffen gehabt hätte und weshalb diese zu einem anderen Ergebnis hätten führen können.

10 Die Revision verweist des Weiteren auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Suchtgiftdelinquenz, wonach diese ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstelle, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben sei und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse bestehe (vgl. etwa VwGH 29.3.2012, 2011/23/0662; 20.8.2013, 2013/22/0082), sowie auf jene Rechtsprechung, der zufolge es grundsätzlich im Fall von strafbaren Handlungen infolge Gewöhnung an Suchtmittel neben dem Abschluss einer Therapie noch eines maßgeblichen Zeitraums des Wohlverhaltens bedarf, um einen Wegfall der Gefährdung annehmen zu können (vgl. etwa 22.5.2014, Ro 2014/21/0007, mwN).

11 Anders als das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, das sich in seiner Argumentation zentral lediglich auf die in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien durch bloßes Anführen von Rechtssätzen zurückzieht, meint, bedeutet dies nicht, dass in jeglichen Fällen einer Suchtmitteldelinquenz und einer zur Überwindung derselben vorgenommenen Therapie eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gerechtfertigt wäre (vgl. etwa zu einem Fall, in dem - wie hier - das Strafgericht nach § 39 Abs. 1 SMG vorgegangen ist, VwGH 19.5.2015, Ra 2015/21/0001). Vielmehr ist auch diesfalls die Beurteilung anhand der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Die insofern zu Gunsten des Mitbeteiligten zu wertenden und vom Bundesverwaltungsgericht - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, an der kein Vertreter des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl teilgenommen hat - getroffenen Feststellungen blendet die revisionswerbende Behörde aber nahezu zur Gänze aus, indem sie lediglich resümierend in der Revision festhält, dass die Argumentation des Bundesverwaltungsgerichts zu einem "elementaren Gesinnungswandel(.) ganz und gar nicht zu überzeugen" vermöge und ein solcher "nicht glaubhaft" sei.

12 Somit gelingt es der Revision nicht darzulegen, dass die einzelfallbezogene Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts betreffend die Prognose einer Gefährdung im Sinn des § 67 Abs. 1 FPG in Missachtung der vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien in unvertretbarer Weise erfolgt wäre.

13 Die Revision zeigt - weil die Begründung des Bundesverwaltungsgerichts schon für sich genommen die Behebung der in Rede stehenden Spruchpunkte des Bescheides der revisionswerbenden Behörde zu tragen vermag - auch in Bezug auf die weitere von ihr aufgeworfene Problematik nicht auf, dass die Revision von einer Rechtsfrage, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme, abhängt. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

Wien, am 1. März 2018

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