VwGH Ra 2017/22/0048

VwGHRa 2017/22/004825.10.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, Hofrätin Mag.a Merl und die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Lechner, über die Revision der T K in W, vertreten durch Dr. Thomas Fritzsche, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Nibelungengasse 11/4, dieser vertreten durch die PHH Prochaska Havranek Rechtsanwälte GmbH & Co KG in 1010 Wien, Julius-Raab-Platz 4/Eingang Franz-Josefs-Kai 1, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 23. März 2017, VGW-151/019/2116/2017- 6, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

NAG 2005 §63 Abs3;
NAGDV 2005 §8 Z6 litc idF 2013/II/481;
SchUG-B 1997 §23;
SchUG-B 1997 §26 idF 2016/I/120;
SchUGNov Berufstätige 1999 §26 idF 2016/I/120;
VwGG §42 Abs2 Z1;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017220048.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin, eine georgische Staatsangehörige, verfügte über eine Aufenthaltsbewilligung "Sonderfälle unselbständiger Erwerbstätigkeit" mit einer Gültigkeitsdauer bis 29. Mai 2016. Mit Schriftsatz vom 30. November 2015 brachte sie einen Zweckänderungsantrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung "Schüler" gemäß § 63 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ein. Diese wurde ihr mit einer Gültigkeitsdauer vom 2. Dezember 2015 bis 2. Dezember 2016 erteilt.

2 Verfahrensgegenständlich ist nunmehr der Verlängerungsantrag der Revisionswerberin vom 29. November 2016. Der Landeshauptmann von Wien wies diesen Antrag mit Bescheid vom 13. Dezember 2016 ab, weil die Revisionswerberin laut Schulzeugnis des International Business College H (im Folgenden kurz: IBC) vom 1. Juli 2016 in drei Fächern nicht beurteilt und in fünf Fächern negativ benotet worden sei; hinsichtlich der negativ benoteten Fächer sei sie berechtigt, jeweils ein Kolloquium abzulegen. Laut Schulbesuchsbestätigung vom 10. Oktober 2016 besuche sie jedoch nach wie vor die 1. Klasse. Eigenen Angaben zufolge habe die Revisionswerberin Anfang April an einer Nierenbeckenentzündung gelitten, aufgrund derer sie drei Wochen das Kolleg nicht habe besuchen können und sodann entschieden habe, das erste Semester zu wiederholen. "Der Verwaltungsgerichtshof bzw. die Landesverwaltungsgerichte haben im § 64 Abs. 3 NAG Fälle angeführt die keinen unabwendbaren oder unvorhersehbaren Hinderungsgrund zur Erfüllung des Studien- bzw. Schulerfolges darstellen. Darunter fallen auch gesundheitliche Probleme oder längere dauernde

Erkrankungen. ... Es liegen die Voraussetzungen für die weitere

Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung ‚Schüler' nicht mehr vor."

3 Das Verwaltungsgericht Wien (VwG) wies die Beschwerde der Revisionswerberin mit dem angefochtenen Erkenntnis - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 22. März 2017 - als unbegründet ab. Das VwG stellte zunächst fest, dass die Revisionswerberin gemäß der Schulbesuchsbestätigung vom 20. März 2017 mittlerweile das zweite Semester des IBC besuche. In seiner rechtlichen Beurteilung führte das VwG - soweit dies für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof relevant ist - aus, mit einem Verlängerungsantrag für eine Aufenthaltsbewilligung Schüler sei grundsätzlich der Schulerfolg für das dem Verlängerungsantrag vorangegangene bzw. das zuletzt abgelaufene Schuljahr (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 2012, 2009/22/0294) - fallbezogen somit für den Zeitraum "September 2016 bis Juli 2017" - nachzuweisen (Hinweis auf die hg. Erkenntnisse vom 31. Mai 2011, 2011/22/0123, und vom 13. Oktober 2012 (richtig: 2011), 2010/22/0205). Ein solches "positives Schulzeugnis" liege jedoch nicht vor; aus dem Semesterzeugnis gehe nur hervor, dass die Revisionswerberin zur Ablegung von Kolloquien, nicht jedoch zum Aufstieg berechtigt sei. Es seien zwar Gründe konkret eingewendet und nachgewiesen worden, die unvorhersehbar und unabwendbar seien und trotz des Fehlens eines Schulerfolges die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung ermöglichten, eine allfällige psychische oder physische Erkrankung, wodurch es der Revisionswerberin von Beginn an bzw. auf Dauer an der Eignung mangle, eine entsprechende Schule zu besuchen und einen entsprechenden Schulerfolg zu erzielen, sei jedoch nicht als bloß vorübergehender Ausnahmezustand im Sinn des § 63 Abs. 3 NAG zu werten (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 17. April 2013, 2013/22/0038).

Die ordentliche Revision wurde für unzulässig erklärt. 4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende

außerordentliche Revision.

5 Der Landeshauptmann von Wien beantragte in seiner Revisionsbeantwortung die Abweisung der Revision.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

6 Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit unter anderem vor, das Verwaltungsgericht weiche bei der Festlegung des zu beurteilenden Zeitraumes für den Nachweis des Schulerfolges (Hinweis auf das hg. Erkenntnis 2011/22/0321) und der Beurteilung der eingetretenen Krankheit (Hinweis auf die hg. Erkenntnisse 2013/22/0038 und 2009/22/0124) von der hg. Rechtsprechung ab.

7 Die Revision ist im Hinblick auf dieses Vorbringen zulässig und auch berechtigt.

8 § 63 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 122/2009, lautet auszugsweise:

"Schüler

§ 63. (1) Drittstaatsangehörigen kann eine

Aufenthaltsbewilligung für Schüler ausgestellt werden, wenn sie

die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und

1. ordentliche Schüler einer öffentlichen Schule sind;

2. ordentliche Schüler einer Privatschule mit

Öffentlichkeitsrecht sind;

3. Schüler einer Statutschule mit Öffentlichkeitsrecht nach

§ 14 Abs. 2 lit. b des Privatschulgesetzes, BGBl. Nr. 244/1962, sind;

4. Schüler einer zertifizierten nichtschulischen

Bildungseinrichtung sind (§ 70) oder

5. außerordentliche Schüler einer Schule nach Z 1 oder 2 sind, soweit es sich um die erstmalige Ausstellung einer Aufenthaltsbewilligung handelt.

Eine Haftungserklärung ist zulässig.

(2) ...

(3) Dient der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen dem Besuch einer Schule im Sinne des Abs. 1, ist die Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung für diesen Zweck nur zulässig, wenn der Drittstaatsangehörige einen Nachweis über den Schulerfolg und in den Fällen des Abs. 1 Z 5 darüber hinaus über die Aufnahme als ordentlicher Schüler erbringt. Liegen Gründe vor, die der Einflusssphäre des Drittstaatsangehörigen entzogen, unabwendbar oder unvorhersehbar sind, kann trotz Fehlens des Schulerfolges eine Aufenthaltsbewilligung verlängert werden."

Gemäß § 8 Z 6 lit. c Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung (NAG-DV), BGBl. II Nr. 451/2005 in der Fassung BGBl. II Nr. 481/2013, ist im Fall eines Verlängerungsantrages für eine "Aufenthaltsbewilligung - Schüler" ein schriftlicher Nachweis der Schule oder der nichtschulischen Bildungseinrichtung über den Schulerfolg im vorangegangenen Schuljahr vorzulegen.

Gemäß § 26 Schulunterrichtsgesetz für Berufstätige, Kollegs und Vorbereitungslehrgänge - SchUG-BKV, BGBl. I Nr. 33/1997 in der Fassung BGBl. I Nr. 120/2016, ist ein Studierender oder eine Studierende zum Aufsteigen in das nächste Semester berechtigt. Über ein negativ beurteiltes Modul kann außerhalb des lehrplanmäßigen Unterrichts ein Kolloquium abgelegt werden (§ 23 SchUG-BKV). § 33 SchUG-BKV regelt Details über Form und Umfang der abschließenden Prüfung.

9 Das IBC wird als Abendkolleg für Berufstätige semesterweise geführt. Auch wenn der Revisionswerberin die Aufenthaltsbewilligung "Schüler" erstmals am 2. Dezember 2015 erteilt wurde und sie - der Schulbesuchsbestätigung vom 20. März 2017 zufolge - das IBC erst ab 8. Februar 2016 besuchte, bleibt der Beurteilungszeitraum für den Nachweis eines Schulerfolges das dem Entscheidungszeitpunkt vorangegangene Schuljahr, somit das Schuljahr 2015/2016. Dass sie fallbezogen im Wintersemester 2015 keinen Schulerfolg nachweisen konnte, weil sie zu diesem Zeitpunkt das IBC noch nicht besuchte, ist dabei nicht entscheidungsrelevant, weil das Schuljahr als Ganzes zu beurteilen ist und jedenfalls in semesterweise geführten Schulen ein Erfolg auch alleine im Sommersemester hätte erbracht werden können.

10 Die Revisionswerberin wurde im Sommersemester 2016 - dem Semesterzeugnis vom 1. Juli 2016 zufolge - in sieben Pflichtgegenständen nicht beziehungsweise negativ beurteilt und wiederholte sodann das erste Semester im Wintersemester 2016. Dem Semesterzeugnis vom 3. Februar 2017 zufolge wurde sie im Wintersemester 2016 im Pflichtschulfach "Englisch einschließlich Wirtschaftssprache" nicht und im Fach "Technologie, Ökologie und Warenlehre" negativ beurteilt; gemäß § 23 Abs. 3 SchUG-BKV ist sie berechtigt, in diesen Fächern Kolloquien abzulegen. Laut eigener Aussage in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 22. März 2017 hatte die Revisionswerberin zu diesem Zeitpunkt die Kolloquien noch nicht abgelegt. In das nächste Semester konnte die Revisionswerberin gemäß § 26 leg. cit. jedoch aufsteigen. Der Schulbesuchsbestätigung vom 20. März 2017 zufolge besuchte sie im Sommersemester 2017 auch das zweite Semester.

11 Fallbezogen kann im Hinblick auf den hier maßgeblichen Beurteilungszeitraum dahinstehen, ob allein der Umstand, dass ein Schüler zum Aufstieg berechtigt ist, bereits als Nachweis eines Schulerfolges im Sinn des § 8 Z 6 lit. c NAG-DV ausreicht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. Mai 2013, 2013/22/0050, ergangen zu § 26 SchUG-BKV). Die Revisionswerberin wiederholte nämlich im Wintersemester 2016 das erste Semester, weshalb von einem "Aufstieg" am Ende des Beurteilungszeitraums keine Rede sein kann.

12 Wenn das VwG somit davon ausging, dass die Revisionswerberin keinen Schulerfolg nachgewiesen habe, kann dies im Ergebnis nicht als rechtswidrig erkannt werden.

13 Die Revision zeigt jedoch zutreffend auf, dass die Ausführungen des VwG mit Hinweis auf das hg. Erkenntnis 2013/22/0038 betreffend das Vorliegen einer psychischen oder physischen Erkrankung der Revisionswerberin, die sie daran gehindert hätte, von Beginn an bzw. auf Dauer eine entsprechende Schule zu besuchen, nicht nachvollziehbar sind. Das VwG legte nicht dar, aufgrund welcher Umstände es vom Fehlen der grundsätzlichen geistigen und/oder körperlichen Voraussetzung der Revisionswerberin ausgeht. Als unabwendbaren oder unvorhersehbaren Hinderungsgrund zur Erfüllung des Schulerfolges gemäß § 63 Abs. 3 NAG führte die Revisionswerberin eine beidseitige Nierenbeckenentzündung im April 2016 an. Ohne weitere Begründung ist eine solche Erkrankung nicht geeignet, das Fehlen der grundsätzlichen geistigen und/oder körperlichen Voraussetzung für einen erfolgreichen Schulbesuch nachzuweisen.

14 Das angefochtene Erkenntnis entzieht sich in diesem Punkt einer nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof; es leidet an inhaltlicher Rechtswidrigkeit und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

15 Die Entscheidung über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 25. Oktober 2017

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte