VwGH Ra 2017/20/0011

VwGHRa 2017/20/001122.6.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Hainz-Sator als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Halm-Forsthuber, über die Revision des A M in L, vertreten durch Dr. Gerhard Mory, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19/5, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. November 2016, Zl. W111 2130447- 1/4E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Normen

VwGVG 2014 §28 Abs2 Z2;
VwGVG 2014 §28 Abs3;
VwGVG 2014 §28;

 

Spruch:

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 1. Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Somalias, stellte am 14. Mai 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. In der Erstbefragung vom 15. Mai 2015 gab der Revisionswerber an, die Al Shabaab hätten ihn telefonisch und persönlich bedroht und ihn aufgefordert, seine Arbeit für eine Telekommunikationsfirma in Mogadischu niederzulegen. In der Einvernahme vom 23. Mai 2016 führte der Revisionswerber als weiteren Fluchtgrund an, dass er von der Al Shabaab mit dem Umbringen bedroht worden sei, nachdem ein Abgeordneter, für welchen er als Fahrer tätig gewesen sei, gezielt von der Al Shabaab getötet worden wäre.

2 Mit Bescheid vom 5. Juli 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag sowohl hinsichtlich der Gewährung von Asyl gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als auch hinsichtlich der Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 52 Abs. 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und es wurde festgestellt, dass die Abschiebung nach Somalia gemäß § 52 Abs. 9 FPG zulässig sei.

3 2. Nach fristgerechter Beschwerdeerhebung durch den Revisionswerber hob das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) den bekämpften Bescheid mit Beschluss vom 15. November 2016 auf und verwies die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurück. Die Revision erklärte es für nicht zulässig.

4 Begründend führte das BVwG aus, die Beurteilung der vorgebrachten Fluchtgründe als unglaubwürdig sei praktisch ausschließlich auf Widersprüche zwischen der Erstbefragung und der Einvernahme gestützt worden. Der Umstand, dass ein Fluchtgrund erstmals in der Einvernahme erwähnt werde, entbinde das BFA nicht gänzlich von weiteren diesbezüglichen Erhebungen. In Hinblick auf eine allfällige Aufklärung, warum der Revisionswerber in der Erstbefragung nicht sämtliche Fluchtgründe vorgebracht habe, wären die näheren Umstände der polizeilichen Erstbefragung zu erheben gewesen. Das BFA gehe zwar davon aus, dass das Attentat auf den Abgeordneten an dem vom Revisionswerber genannten Tag stattgefunden habe, beziehe dies jedoch in der weiteren Würdigung nicht ein. Das BFA habe es auch unterlassen, den Revisionswerber zu den näheren Umständen des Attentats zu befragen und seine Aussagen mit der objektiven Quellenlage zu vergleichen. Insofern könne von einer lediglich ansatzweisen Ermittlungstätigkeit des BFA ausgegangen werden. Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch die Beschwerdeinstanz stehe - vor allem im Hinblick auf die beim BFA als Spezialbehörde eingerichtete Staatendokumentation - nicht im Einklang mit der Intention des Gesetzgebers. Angesichts des mit dem Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen Mehraufwandes, läge eine Beweisaufnahme durch das BVwG auch nicht im Interesse der Raschheit und wäre nicht mit erheblicher Kostenersparnis verbunden.

5 3. Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufzuheben. Im Wesentlichen bringt die Revision vor, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen für Behebungen und Zurückverweisungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG abgewichen. Indem es notwendige Ergänzungs- und Zusatzfragen unterlassen habe, sei das BFA zwar seiner amtswegigen Ermittlungspflicht nicht vollständig und fehlerfrei nachgekommen, in Hinblick auf die gestellten Fragen und die aufgenommenen schriftlichen Beweise liege jedoch keine derart krasse Fehlerhaftigkeit vor, dass von einer Ermittlungslücke im Sinne der Rechtsprechung zu § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG gesprochen werden könne.

6 Das BFA erstattete keine Revisionsbeantwortung.

 

7 4. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

8 Die Revision ist wegen der aufgezeigten Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zulässig und begründet.

9 Nach ständiger hg. Rechtsprechung ist in § 28 VwGVG ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg. cit. vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist (vgl. grundlegend das hg. Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Ro 2014/03/0063).

10 Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden; eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. etwa hg. Erkenntnis vom 6. Juli 2016, Ra 2015/01/0123, und vom 14. Dezember 2016, Ro 2016/19/0005, je mwN).

11 Selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, rechtfertigen keine Zurückverweisung der Sache, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung zu vervollständigen sind. Auch wenn das Verwaltungsgericht die beweiswürdigenden Erwägungen einer Verwaltungsbehörde nicht teilt, führt dies allein noch nicht dazu, dass von einem Unterlassen gebotener Ermittlungsschritte im Sinne des § 28 Abs. 3 VwGVG gesprochen werden könnte (vgl. etwa hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 2016, Ra 2015/08/0178).

12 Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens führte das BFA am 15. Mai 2015 eine Erstbefragung und am 23. Mai 2016 eine Einvernahme des Revisionswerbers durch. Hierbei wurde der Revisionswerber zu seinen Fluchtgründen befragt und es wurde ihm die Gelegenheit gegeben, sich zu den Widersprüchen zwischen Erstbefragung und Einvernahme zu äußern. Das BFA legte dem Bescheid sämtliche vom Revisionswerber vorgelegten Beweise sowie die zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung aktuellen Länderberichte zugrunde. Davon ausgehend ist nicht ersichtlich, dass das BFA jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen, nur völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder nur ansatzweise ermittelt hätte. Das BVwG wäre im Sinne der angeführten Judikatur verpflichtet gewesen, allenfalls notwendige, ergänzende Ermittlungen - etwa eine detailliertere Einvernahme des Revisionswerbers zu seinen Fluchtgründen oder eine Ergänzung der Länderfeststellungen - selbst durchzuführen.

13 Sind (lediglich) ergänzende Ermittlungen vorzunehmen, liegt die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG, zumal diesbezüglich nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist. Nur mit dieser Sichtweise kann ein dem Ausbau des Rechtsschutzes im Sinn einer Verfahrensbeschleunigung Rechnung tragendes Ergebnis erzielt werden, führt doch die mit der verwaltungsgerichtlichen Kassation einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung verbundene Eröffnung eines neuerlichen Rechtszugs gegen die abermalige verwaltungsbehördliche Entscheidung an ein Verwaltungsgericht insgesamt zu einer Verfahrensverlängerung (vgl. hg. Erkenntnis vom 22. Juni 2016, Ra 2016/03/0027, mwN).

14 Vor diesem Hintergrund kann der Argumentation des BVwG, eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch die Beschwerdeinstanz stehe einerseits nicht im Einklang mit der Intention des Gesetzgebers und läge andererseits - angesichts des mit dem Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen Mehraufwandes - nicht im Interesse der Raschheit bzw. wäre nicht mit erheblicher Kostenersparnis verbunden, nicht gefolgt werden.

15 Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Vor diesem Hintergrund war auf das übrige Vorbringen in der Revision nicht weiter einzugehen.

16 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 22. Juni 2017

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