European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017170255.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid vom 24. November 2015 verfügte die Bezirkshauptmannschaft Wels-Land gegenüber dem Mitbeteiligten die teilweise Betriebsschließung eines näher bezeichneten Lokals in M, wobei sich die Schließung auf einen im hinteren Bereich des Lokals durch eine Schiebetür erreichbaren Raum beschränkte. In diesem Raum waren wiederholt Glücksspielgeräte vorgefunden worden. Für den Fall des Zuwiderhandelns wurde dem Mitbeteiligten eine Zwangsstrafe in der Höhe von EUR 8.000,-- angedroht.
2 Da bei nachfolgenden Kontrollen festgestellt wurde, dass der Betrieb in dem genannten Raum fortgeführt worden war, verhängte die revisionswerbende Bezirkshauptmannschaft mit Bescheiden vom 30. November 2015 und 11. Februar 2016 jeweils Zwangsstrafen (in der Höhe von EUR 8.000,-- bzw. EUR 14.000,--) jeweils unter Androhung weiterer Zwangsstrafen für den Fall des Zuwiderhandelns.
3 Der Mitbeteiligte erhob sowohl gegen den Betriebsschließungsbescheid als auch gegen die jeweils verhängten Zwangsstrafen Beschwerde.
4 Mit dem angefochtenen Beschluss "wies" das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (LVwG) die Beschwerde gegen die Verhängung der Zwangsstrafe mit Bescheid vom 11. Februar 2016 wegen Gegenstandslosigkeit "zurück" (Spruchpunkt I.). Weiters gab es einem Antrag auf Aussetzung des Verfahrens keine Folge (Spruchpunkt II.). Das LVwG sprach aus, dass eine Revision nicht zulässig sei (Spruchpunkt III.).
5 Begründend führte das LVwG im Wesentlichen aus, der Vollzug einer Beugemaßnahme, wie einer Zwangsstrafe, komme wegen des ausschließlichen Beugecharakters der Zwangsstrafe ab dem Zeitpunkt, in dem eine Verpflichtung aus einem vollstreckbaren Titelbescheid nicht mehr vorliege, nicht mehr in Betracht und sei unzulässig. Das Außerkrafttreten des Titelbescheides betreffend die Betriebsschließung infolge Zeitablaufs (§ 56a Abs. 6 Glücksspielgesetz (GSpG)) stelle somit im Revisionsfall ein Hindernis für die Eintreibung der noch nicht bezahlten Beugestrafe dar. Da kein erzwingbarer Zustand mehr vorliege, sei die Beschwerde "zurückzuweisen" gewesen.
6 Die vorliegende Revision wendet sich ausschließlich gegen Spruchpunkt I. dieses Beschlusses. Die revisionswerbende Amtspartei bringt zur Zulässigkeit ihrer Revision - zusammengefasst - im Wesentlichen vor, es liege zur Frage der Zulässigkeit von Vollstreckungsmaßnahmen im Zusammenhang mit Zwangsstrafen nach Ablauf der Frist zur Erreichung des mit der Verhängung der Zwangsstrafe bezweckten Zieles widersprechende hg. Rechtsprechung vor. Das angefochtene Erkenntnis widerspreche den hg. Erkenntnissen jeweils vom 9. Mai 1990, 89/03/0269, und 89/03/0323, wonach auch nach Ablauf der Frist für die Vornahme der erzwungenen Handlung die Vollstreckung der Zwangsstrafe zulässig sei.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10 § 56a Glücksspielgesetz (GSpG), BGBl. Nr. 620/1989, lautet idF BGBl. I Nr. 118/2016:
"Betriebsschließung
(1) Besteht der begründete Verdacht, daß im Rahmen einer betrieblichen Tätigkeit Glücksspiele entgegen den Vorschriften dieses Bundesgesetzes veranstaltet oder durchgeführt werden, und ist mit Grund anzunehmen, daß eine Gefahr der Fortsetzung besteht, so kann die Behörde ohne vorausgegangenes Verfahren, aber nicht ohne vorher zur Einstellung der entgegen den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes veranstalteten oder durchgeführten Glücksspiele aufgefordert zu haben, an Ort und Stelle die gänzliche oder teilweise Schließung des Betriebes verfügen. ...
...
(3) Über eine Verfügung nach Abs. 1 ist binnen eines Monats ein schriftlicher Bescheid zu erlassen, widrigenfalls die Verfügung als aufgehoben gilt. ...
...
(5) Ordentlichen Rechtsmitteln gegen Bescheide über Verfügungen nach Abs. 1 kommt keine aufschiebende Wirkung zu.
(6) Die Bescheide gemäß Abs. 3 treten, wenn sie nicht kürzer befristet sind, mit Ablauf eines Jahres außer Wirksamkeit. Durch einen Wechsel in der Person des Inhabers der von den einstweiligen Zwangs- und Sicherheitsmaßnahmen betroffenen Anlagen, Anlagenteile oder Gegenstände wird die Wirksamkeit dieser Bescheide nicht berührt.
..."
§ 5 Verwaltungsvollstreckungsgesetz 1991 (VVG), BGBl. Nr. 53/1991 idF BGBl. I Nr. 3/2008, lautet:
"b) Zwangsstrafen
§ 5. (1) Die Verpflichtung zu einer Duldung oder Unterlassung oder zu einer Handlung, die sich wegen ihrer eigentümlichen Beschaffenheit nicht durch einen Dritten bewerkstelligen läßt, wird dadurch vollstreckt, daß der Verpflichtete von der Vollstreckungsbehörde durch Geldstrafen oder durch Haft zur Erfüllung seiner Pflicht angehalten wird.
(2) Die Vollstreckung hat mit der Androhung des für den Fall des Zuwiderhandelns oder der Säumnis zur Anwendung kommenden Nachteiles zu beginnen. Das angedrohte Zwangsmittel ist beim ersten Zuwiderhandeln oder nach fruchtlosem Ablauf der für die Vornahme der Handlung gesetzten Frist sofort zu vollziehen. Gleichzeitig ist für den Fall der Wiederholung oder des weiteren Verzuges ein stets schärferes Zwangsmittel anzudrohen. Ein angedrohtes Zwangsmittel ist nicht mehr zu vollziehen, sobald der Verpflichtung entsprochen ist.
..."
§ 10 VVG idF BGBl. I Nr. 33/2013 lautet:
"§ 10. (1) Auf das Vollstreckungsverfahren sind, soweit sich aus diesem Bundesgesetz nicht anderes ergibt, der I. Teil, hinsichtlich der Rechtsmittelbelehrung die §§ 58 Abs. 1 und 61 und der 2. und 3. Abschnitt des IV. Teiles des AVG sinngemäß anzuwenden.
(2) Die Beschwerde beim Verwaltungsgericht gegen die Vollstreckungsverfügung hat keine aufschiebende Wirkung."
11 Unter Vollstreckung im Sinne des VVG ist die zwangsweise Durchsetzung der durch individuelle Normen begründeten Pflichten zu verstehen (Thienel/Schulev-Steindl, Verwaltungsverfahrensrecht5, 553).
12 Besteht die Verpflichtung in einem unvertretbaren Handeln (Dulden, Unterlassen), erfolgt die Vollstreckung, indem der Verpflichtete von der Vollstreckungsbehörde durch Geldstrafen (im Sinne von Zwangsstrafen) oder durch Haft zur Erfüllung seiner Pflicht angehalten wird (vgl. § 5 Abs. 2 VVG).
13 Zwangsstrafen sind keine Strafen für Übertretungen, sondern Beugemittel zur Erzwingung einer Leistung. Diese Maßnahmen fallen nicht in den Anwendungsbereich des Art. 6 MRK; auch das VStG ist auf diese Beugemaßnahmen grundsätzlich nicht anwendbar (Thienel/Schulev-Steindl, Verwaltungsverfahrensrecht5, 570 f.).
14 Zwangsstrafen sind nicht gleicher Natur wie andere Strafen, da sie einen anderen Zweck verfolgen. Ihre Aufgabe ist es, einen dem Willen der Behörde entgegenstehenden Willen einer Partei zu brechen. Ist dieser Zweck erreicht, bevor die verhängte Haft vollstreckt oder der als Zwangsstrafe auferlegte Betrag entrichtet worden ist, so wäre es zweckwidrig, auf den Vollzug der Haft oder die Entrichtung des Geldbetrages zu bestehen, weil hier jedes Moment eines Sühne- oder Besserungszwecks ausscheidet (vgl. Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens6, 1805, mwN).
15 Eine Zwangsstrafe nach § 5 VVG darf - sofern gesetzlich nicht anderes angeordnet ist - auch neben einer Verwaltungsstrafe verhängt werden (Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht10, Rz. 1323). So dürfte beispielsweise ein Lokalbetreiber, der trotz eines Verbots durch einen Betriebsschließungsbescheid gemäß § 56a GSpG nicht nur den Betrieb fortführt, sondern dabei auch verbotene Ausspielungen zugänglich macht, mit einer Zwangsstrafe zum Unterlassen der weiteren Betriebsführung verhalten und überdies wegen seines Verstoßes gegen § 52 Abs. 1 Z 1 drittes Tatbild GSpG mit einer Geldstrafe nach § 52 Abs. 2 GSpG belegt werden.
16 Der Vollstreckungsvorgang bei der Zwangsstrafe besteht aus der Androhung der Zwangsstrafe, deren bescheidmäßiger Verhängung ("Vollstreckungsverfügung") und der Vollstreckung als faktischer Amtshandlung (vgl. Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens6, 1799).
17 Nach § 5 Abs. 2 VVG ist das angedrohte Zwangsmittel u. a. beim ersten Zuwiderhandeln sofort zu vollziehen. Die Beschwerde beim Verwaltungsgericht gegen die Vollstreckungsverfügung hat gemäß § 10 Abs. 2 VVG keine aufschiebende Wirkung. Die Vollstreckungsbehörde kann gemäß § 3 Abs. 1 VVG die Eintreibung von Geldleistungen unter sinngemäßer Anwendung der Vorschriften über die Einbringung und Sicherung der öffentlichen Abgaben selbst vornehmen (z.B. im Wege einer Taschenpfändung oder Pfändung der Tageslosung anlässlich der persönlichen Übergabe der Vollstreckungsverfügung, mit der die Zwangsstrafe ausgesprochen wird), wenn dies im Interesse der Raschheit und der Kostenersparnis gelegen ist, was bei Zwangsstrafen regelmäßig der Fall ist, zumal § 5 Abs. 2 VVG einen sofortigen Vollzug der Zwangsstrafe anordnet.
18 Wegen des ausschließlichen Beugecharakters von Zwangsstrafen nach dem VVG ist deren Verhängung und Vollzug nach der hg. Rechtsprechung unzulässig, sobald die Leistung erbracht oder die Erbringung der Leistung gegenstandslos geworden bzw. unmöglich ist, weil dann die Erreichung des mit der Zwangsstrafe letztlich verfolgten Zieles nicht mehr möglich oder nicht mehr verpflichtend ist (vgl. die bei Thienel/Schulev-Steindl, Verwaltungsverfahrensrecht5, 571;
Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht10, Rz. 1323, angeführte hg. Rechtsprechung sowie VwGH 26.6.1997, 97/11/0055; 20.3.2009, 2009/17/0033, mwN; 17.11.2014, 2010/17/0039). Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Zeitraum, innerhalb dessen die Verpflichtung zu der Handlung oder Unterlassung, die mit der Zwangsstrafe erzwungen werden sollte, abgelaufen ist (vgl. VwGH 14.12.1999, 99/11/0268).
19 Entgegen dem Zulässigkeitsvorbringen in der Revision liegt somit hg. Rechtsprechung zur Frage vor, ob eine Zwangsstrafe faktisch vollzogen werden kann, wenn die Pflicht, zu deren Einhaltung der Betroffene verhalten ist, wegfällt oder gegenstandslos wird. Mit den beiden von der Revision ins Treffen geführten hg. Erkenntnissen jeweils vom 9. Mai 1990, 89/03/0269, und 89/03/0323, liegt schon deswegen keine im Revisionsfall zu beachtende hg. Rechtsprechung vor, weil beide Erkenntnisse noch zum Verwaltungsvollstreckungsgesetz 1950, BGBl. Nr. 172/1950, ergangen sind.
20 Dass das LVwG von der oben angeführten Rechtsprechung abgewichen wäre, wurde von der Revision ebenfalls nicht aufgezeigt:
21 Im Revisionsfall wurde der Betriebsschließungsbescheid vom 24. November 2015 noch am selben Tag der mitbeteiligten Partei übergeben. Diesem Bescheid kam aufgrund des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung gemäß § 56a Abs. 5 GSpG sofortige Vollstreckbarkeit zu (Antoniolli/Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht3, 578). Gleichzeitig wurde auch eine Zwangsstrafe für den Fall angedroht, dass die mitbeteiligte Partei den Betrieb in diesem vom Verbot des Betriebsschließungsbescheides betroffenen Raum wieder aufnimmt. Gegen dieses Verbot hat die mitbeteiligte Partei nach den Feststellungen in der angefochtenen Entscheidung mehrfach verstoßen, sodass jedenfalls zweimal jeweils eine Zwangsstrafe angedroht und auch verhängt wurde. Gegenstand der vor dem LVwG erhobenen Beschwerde, die mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen wurde, war der Ausspruch der zweiten Zwangsstrafe mit Bescheid vom 11. Februar 2016.
22 Die Verpflichtung zur Unterlassung des Betriebes in dem verfahrensgegenständlichen Raum bestand nur für die Dauer der behördlich verfügten Betriebsschließung. Da der diesbezügliche Bescheid keine Befristung enthielt, endete dieses Verbot mit Ablauf des 24. November 2016. Die verfahrensgegenständliche Zwangsstrafe wurde zwar innerhalb dieser Frist ausgesprochen, aber faktisch nicht vollstreckt. Im Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung durch das LVwG lag unstrittig eine durch die Zwangsstrafe durchsetzbare Verpflichtung der mitbeteiligten Partei, den Betrieb in dem gegenständlichen Raum zu unterlassen, nicht mehr vor. Eine inhaltliche Entscheidung des LVwG über die verhängte Beugestrafe wäre mangels deren Vollstreckbarkeit ins Leere gegangen. In einem solchen Fall ist daher nach einer Gegenstandslosigkeitserklärung das Beschwerdeverfahren einzustellen. Dass im Revisionsfall das LVwG das Beschwerdeverfahren zwar für gegenstandslos erklärt, die Beschwerde in der Folge aber zurückgewiesen hat, ist als bloßes Vergreifen im Ausdruck anzusehen und daher unbeachtlich.
23 In der Revision werden demnach keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 21. November 2018
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