VwGH Ra 2016/22/0049

VwGHRa 2016/22/004920.7.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Lechner, in der Revisionssache des S K L in Wien, vertreten durch Mag. Josef Phillip Bischof und Mag. Andreas Lepschi, Rechtsanwälte in 1090 Wien, Währinger Straße 26/1/3, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 19. Februar 2016, VGW- 151/071/6021/2015-18, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:

Normen

B-VG Art133 Abs4;
MRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §41a Abs9;
NAG 2005 §44b Abs1;
VwGG §34 Abs1;
B-VG Art133 Abs4;
MRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §41a Abs9;
NAG 2005 §44b Abs1;
VwGG §34 Abs1;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1. Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof nach § 34 Abs. 1a VwGG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

2.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde des Revisionswerbers, eines chinesischen Staatsangehörigen, gegen den Bescheid des Landeshauptmanns von Wien vom 7. Jänner 2015, mit dem sein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gemäß § 41a Abs. 9 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) in der Fassung vor BGBl. I Nr. 87/2012 abgewiesen wurde, als unbegründet ab. Es führte im Wesentlichen aus, dass trotz des ununterbrochenen inländischen Aufenthalts des Revisionswerbers seit September 2003 mangels einer auch nur ansatzweisen Integration in die österreichische Gesellschaft die Erteilung eines Aufenthaltstitels zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK nicht geboten sei.

Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht gemäß § 25a Abs. 1 VwGG für nicht zulässig.

2.2. Dagegen wendet sich die außerordentliche Revision, in der ein begründungsloses Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs behauptet wird.

Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG wird jedoch nicht aufgezeigt.

3.1. Der Revisionswerber macht geltend, bei einem mehr als zehnjährigen überwiegend rechtmäßigen Inlandsaufenthalt sei regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib auszugehen. Der Revisionswerber lebe seit September 2003 in Österreich, sein Asylverfahren habe mit der Ausweisung im Jahr 2010 geendet, er habe in den jeweiligen Verfahren seine Mitwirkungspflichten erfüllt, er verfüge über ein Sprachdiplom A2 und einen Arbeitsvorvertrag und habe auch schon gelegentlich in einem Restaurant gearbeitet. Folglich könne sein Integrationsgrad nicht als so niedrig eingestuft werden, dass die Ausweisung ausnahmsweise gerechtfertigt wäre.

3.2. Zutreffend ist, dass die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich ausgeht. Nur wenn der Fremde die im Inland verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, werden Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach einem so langen Aufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (vgl. die zur Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK zum Fremdenpolizeigesetz ergangenen hg. Erkenntnisse vom 20. März 2012, 2011/18/0256, und vom 18. Oktober 2012, 2010/22/0136). Diese Rechtsprechung ist auch für die Erteilung von Aufenthaltstiteln relevant (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 18. März 2014, 2013/22/0129, und vom 16. September 2015, Ra 2015/22/0075).

3.3. Das Verwaltungsgericht ist im Zuge der durchgeführten Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK trotz des bereits mehr als zwölf Jahre dauernden inländischen Aufenthalts (Legalität lag freilich nicht überwiegend, sondern nur bis zur Abweisung des Asylantrags im Oktober 2009 vor, ab November 2010 war zudem eine rechtskräftige Ausweisung gegeben, die vom Revisionswerber trotz wiederholter Bestrafung ignoriert wurde) unter Berücksichtigung der besonderen Gegebenheiten des konkreten Falls, vor allem der nach dem festgestellten Sachverhalt nahezu gänzlich fehlenden Integration (so waren sprachliche Fähigkeiten trotz des vorgelegten Sprachdiploms A2 nicht vorhanden, ebenso waren familiäre Bindungen, sonstige soziale Kontakte - mit Ausnahme einer unsubstanziiert behaupteten Lebensgemeinschaft mit einer chinesischen Staatsangehörigen, die ihrerseits über keinen Aufenthaltstitel verfügt - und eine berufliche Integration nicht gegeben), unter Beachtung der für die Abwägung maßgebenden Kriterien im Sinn des § 11 Abs. 3 NAG auf jedenfalls nicht unvertretbare Weise zum Ergebnis gelangt, dass fallbezogen von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem weiteren Verbleib in Österreich nicht ausgegangen werden kann.

Der Verwaltungsgerichtshof hat auch bereits wiederholt ausgesprochen (vgl. etwa die hg. Beschlüsse vom 27. Jänner 2015, Ra 2014/22/0203, und vom 5. Mai 2015, Ra 2014/22/0189), dass die im Rahmen der Entscheidung über einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen, wenn sie - wie vorliegend - auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde, nicht revisibel ist.

4.1. Der Revisionswerber releviert ferner, der Landeshauptmann habe den Antrag nach § 44b Abs. 1 NAG in der Fassung vor BGBl. I Nr. 87/2012 zurückgewiesen, das Verwaltungsgericht habe hingegen zu Unrecht und im Widerspruch zur Judikatur eine Sachentscheidung getroffen.

4.2. Zutreffend ist, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 23. Juni 2015, Ra 2015/22/0040, und vom 7. Juni 2016, Ra 2016/22/0028) im Fall einer Antragszurückweisung durch die Behörde das Verwaltungsgericht lediglich befugt ist, über die Rechtmäßigkeit der ausgesprochenen Zurückweisung zu entscheiden, bildet diese doch allein den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens.

Von dieser Rechtsprechung ist das Verwaltungsgericht freilich nicht abgewichen. Im Bescheid des Landeshauptmanns mögen sich stellenweise Begründungselemente finden, wie sie bei zurückweisenden Entscheidungen zur Anwendung kommen. Bei fallbezogener Würdigung des Bescheids in seiner Gesamtheit kann aber durchaus davon ausgegangen werden, dass der Landeshauptmann im Ergebnis keine Zurückweisung, sondern eine Sachentscheidung (Antragsabweisung unter inhaltlicher Neubeurteilung im Hinblick auf Art. 8 EMRK) getroffen hat, wie dies auch im Spruch zum Ausdruck gekommen ist. Folglich hat auch das Verwaltungsgericht mit seinem Erkenntnis die ihm im Beschwerdeverfahren gesetzten Grenzen nicht überschritten.

5. Insgesamt werden daher in der Revision keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

Die Revision war deshalb nach § 34 Abs. 1 und Abs. 3 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 20. Juli 2016

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