VwGH Ra 2016/08/0174

VwGHRa 2016/08/017413.9.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofräte Dr. Strohmayer und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision des M A in L, vertreten durch MMag. Johannes Pfeifer, Rechtsanwalt in 8940 Liezen, Rathausplatz 3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. September 2016, G305 2013155-2/4E, betreffend Herstellung des gesetzlichen Zustandes gemäß § 101 ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Allgemeine Unfallversicherungsanstalt; weitere Partei: Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz), den Beschluss gefasst:

Normen

ASVG §101;
AVG §45 Abs3;
B-VG Art133 Abs4;
VwGG §28 Abs3;
VwGG §34 Abs1;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

4 Die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) erkannte dem Revisionswerber für die Folgen eines Arbeitsunfalles vom 28. Juli 2005, bei dem der Revisionswerber eine Verletzung des rechten Augapfels erlitten hatte, mit Bescheid vom 14. Februar 2006 eine vorläufige Versehrtenrente ab 14. November 2005 in der Höhe von 25% der Vollrente und mit Bescheid vom 22. Mai 2007 eine Dauerrente ab 1. Juni 2007 in selber Höhe zu. Die Bescheide erwuchsen in Rechtskraft.

5 Der Revisionswerber beantragte die rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes gemäß § 101 ASVG. In einem beim Landesgericht Leoben wegen Erhöhung der Dauerrente geführten Verfahren habe sich durch ein in diesem Verfahren eingeholtes Sachverständigengutachten ergeben, dass seine Minderung der Erwerbsfähigkeit aufgrund der Folgen des Arbeitsunfalles vom 28. Juli 2005 bereits ab dem Zeitpunkt des Unfalls 30% betragen habe.

6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht diesen Antrag ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.

7 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit seiner Revision vor, das Bundesverwaltungsgericht habe sich - offensichtlich irrtümlich - in seiner rechtlichen Beurteilung darauf gestützt, dass der im Verfahren des Landesgerichtes Leoben wegen Erhöhung der Dauerrente mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragte Sachverständige eine Minderung der Erwerbsfähigkeit des Revisionswerbers erst ab 17. August 2011 - nicht aber für den Zeitraum davor - im Ausmaß von 30% angenommen hätte. Der Sachverständige habe aber tatsächlich ausgeführt, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit aufgrund der Folgen des Arbeitsunfalles vom 28. Juli 2005 bereits ab dem Zeitpunkt des Unfalls 30% betragen habe.

8 Der Revisionswerber übersieht mit diesem Vorbringen, dass das Bundesverwaltungsgericht sich tragend auch darauf gestützt hat, dass eine Änderung der medizinischen Einschätzung keinen wesentlichen Irrtum über den Sachverhalt begründe, der ein Vorgehen nach § 101 ASVG rechtfertige. Diese Ausführungen entsprechen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs.

9 Ein Irrtum über den Sachverhalt liegt nämlich nur vor, wenn der Sozialversicherungsträger Sachverhaltselemente angenommen hat, die mit der Wirklichkeit im Zeitpunkt der Bescheiderlassung nicht übereinstimmten (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 21. Dezember 2005, 2002/08/0281, und vom 28. März 2012, 2012/08/0047, jeweils mwN). Einen Tatsachenirrtum in diesem Sinn könnte etwa eine unrichtige Befundaufnahme durch einen Sachverständigen - etwa das Übersehen eines konkreten Leidenszustandes - darstellen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 27. Juli 2001, 2001/08/0040, und vom 18. März 1997, 96/08/0079). In der Außerachtlassung einer gesicherten Erkenntnis des Faches durch einen Sachverständigen könnte ein offenkundiges Versehen liegen. § 101 ASVG bietet aber keine Handhabe dafür, jede Fehleinschätzung im Tatsachenbereich - insbesondere auch die Beweiswürdigung - im Nachhinein neuerlich aufzurollen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 26. Mai 2004, 2001/08/0030, und vom 28. März 2012, 2012/08/0047). Insbesondere liegt ein wesentlicher Sachverhaltsirrtum dann nicht vor, wenn sich bloß die medizinische Einschätzung - etwa aufgrund neuerer medizinischer Erkenntnisse - geändert hat (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis 2012/08/0047, mwN). Daher werden etwa auch allein dadurch, dass ein Sachverständiger den Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit, die sich aus bestimmten Leidenszuständen ergibt, anders beurteilt, die Voraussetzungen eines Vorgehens nach § 101 ASVG nicht begründet (vgl. in diesem Sinn nochmals die hg. Erkenntnisse 2012/08/0047 und 96/08/0079).

10 Der Revisionswerber hat einen Irrtum im Tatsachenbereich im dargestellten Sinn bzw. eine Außerachtlassung einer gesicherten Erkenntnis des Faches durch den Sachverständigen bei der Feststellung der der vorläufigen Versehrtenrente bzw. der Dauerrente mit Bescheiden vom 14. Februar 2006 und 22. Mai 2007 zu Grunde liegenden Einschätzung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht behauptet.

11 Beruht ein angefochtenes Erkenntnis aber auf einer tragfähigen Alternativbegründung und wird im Zusammenhang damit keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufgezeigt, ist die Revision unzulässig (vgl. die hg. Beschlüsse vom 29. Juli 2015, Ra 2015/07/0084, und vom 17. Februar 2015, Ro 2015/09/0001, jeweils mwN).

12 Der Revisionswerber bringt unter dem Gesichtspunkt der Zulässigkeit der Revision weiters vor, die "Erhebungen und Befundungen", auf die sich das Erkenntnis stütze, seien "in keiner Weise zur Kenntnis gebracht" worden. Mit diesem nicht weiter substantiierten Vorbringen wird schon deshalb keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG dargetan, weil auch bei Verfahrensmängeln wie der Verletzung des Parteiengehörs und des "Überraschungsverbots" die Relevanz des Verfahrensmangels in den Zulässigkeitsgründen dargetan werden muss; somit weshalb bei Vermeidung des Verfahrensmangels (etwa auf Grund welchen konkreten Vorbringens) in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Mai 2017, Ra 2015/10/0127, mwN). Ein derartiges Vorbringen enthält die Revision nicht.

13 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 13. September 2017

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